BE with US: Für immer auf Zeit! - Jasmin Romana Welsch - E-Book

BE with US: Für immer auf Zeit! E-Book

Jasmin Romana Welsch

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Beschreibung

Fröhlich frivol und prickelnd packend. Vor der nächsten Party kündigt sich eine Überraschung für Lena an, die einen erfahrenen Nachhilfelehrer und eine persönliche Grenzüberschreitung erfordert. Alex versteht sich aber hervorragend darauf, Unsicherheiten mit einem koketten Grinsen verschwinden zu lassen. Dass er nicht nur dieser lustige, unbeschwerte Sex-Gott ist, findet Lena heraus, als er sie bittet, ihn auf eine Benefiz-Veranstaltung zu begleiten. Die Löwensteins haben es in sich und der Abend hält mehr als ein unerwartetes Ereignis bereit. Nach dem Löwenstein-Debakel und einer schwierigen Prüfung kommt das Sommerfest gerade recht. Feiern, Spaß haben, kein Drama, keine überraschenden Wendungen. Oder?

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Jasmin Romana Welsch

BE with US: Für immer auf Zeit!

NEW ADULT

Inhaltsverzeichnis

Sag, dass ich hübsch bin!

Fremder, nackter Junge

Willkommen, Prinzessin!

Östrogen-Überdosis

Was stimmt bei euch bloß nicht?!

Entweder – oder

Nicht heulen!

Zwei Waschbären im Auto

Tausche Drama gegen Alkohol

Filmriss

Miau?

Tränen und Witze

Verwirrt gerührt

Vampir-Prinz

Guter Doktor, böser Doktor

Die perfekte Frau

Die fliegende Katze

Waschbär auf Bühne

Jetzt oder nie!

Sieben Jahre warten

Zweite Schublade von unten

Leicht dämlich

57 verpasste Anrufe

Ist das Leben nicht schön?

Wahre Metaphern

Scheiß Tag

Reden hilft

Schreien hilft ... nicht

Kartenhaus

Kaffeeklatsch mit Doktor DeLuca

Die Tür schließen

C´est La Vie

NACHWORT

Impressum

Sag, dass ich hübsch bin!

Ich stehe vor dem Badezimmerspiegel und rede mir ein, dass es ein Zeichen von Experimentierfreude ist, wenn man darüber nachdenkt, sich spontan die Haare abzuschneiden. Ist es nicht. Es ist mehr ein Hilferuf der inneren Stimme, die einem versichert, dass man aussieht, als hätte man mit dem Finger in der Steckdose gebohrt.

Warum Haare?! Wieso tut ihr mir das an? Ausgerechnet jetzt?!

Ich war so stolz auf mich, als ich heute Morgen aufgewacht bin und wie ein Mensch ausgesehen habe. Gestern war ich ein Zombie. Ein hässlicher Zombie. Wäre ich in Walking Dead umhergeschwankt, hätte keiner der anderen Zombies mich daten wollen.

Zum Glück konnte ich mich in meiner Wohnung verschanzen und in mein Sofakissen stöhnen. Kein prickelndes Stöhnen, eher ein brummiges Ächzen, das meistens von den Worten: „Nie wieder Alkohol“ eingeleitet wurde.

Der üble Hangover ließ sich erst durch drei Liter Mineralwasser, zwei Fertiglasagnen, einer Tüte Chips und zwölf Stunden Schlaf vertreiben. Jetzt bin ich nüchtern, aber fett und habe eine Steckdosenfrisur.

Ich muss weg von diesem Spiegel, ich mache mich sonst wahnsinnig. Es ist noch nicht mal fünf Uhr und Alex kommt erst um halb sieben. Zeit, um sich eine kleine Pause von der Selbstkritik zu gönnen, bevor ich noch versuche, mich in Frischhaltefolie einzuwickeln, weil ich mal gesehen habe, wie das eine dicke Frau im Fernsehen gemacht hat, um schlanker zu wirken.

Ich lasse mich auf mein Bett fallen und greife nach meinem Handy. Gestern habe ich es in den Flugmodus versetzt, da jedes Klingeln oder Piepsen meinem Zombie-Hirn Schmerzen bereitet hat. Da ich vergessen habe, den Modus umzustellen, habe ich einen Anruf mit einer seltsamen Vorwahl verpasst.

Oh, London was calling ...

Ich öffne die Nachricht, die Dan geschrieben hat. Schon als ich sie überfliege, muss ich grinsen. Er ist normalerweise so furchtbar schreibfaul, dass ich maximal mit einem „Ruf zurück!“, gerechnet hätte, da stehen aber eindeutig mehr Wörter. Anscheinend hat es Wirkung gezeigt, dass ich mich eine Weile in Schweigen gehüllt habe. Bei beliebten Jungs muss man sich selbst erst rarmachen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, auch, wenn man mal mit ihnen verwandt war.

Dan –

Hey! Hast du das Studium geschmissen und bist einer Hinterwald-Sekte beigetreten? Oder warum wirft man sein Handy sonst in die Tonne? Ich versuche seit über einer Woche, dich zu erreichen. Ruf zurück!

Ich grinse über die Zeilen und seufze im nächsten Moment. Dass wir uns aus Sturheit und Zeitmangel entfremden, ist schade und tut weh.

Ich drücke das Handy ans Ohr und höre ein Knacksen in der Leitung, bevor es klingelt.

»Ich dachte schon, du ignorierst mich für immer!«, meldet sich eine Stimme, die mich fröhlich macht, egal wie lange ich sie nicht mehr gehört habe.

»Wenn ich zu schnell auf deine Nachrichten reagiere, bekomme ich nur Sparversion-Smalltalk«, entgegne ich und bette den Kopf auf mein Kissen.

»Ich bin ein Minimalist, ich dachte, du wüsstest das.«

»Das stimmt nicht. Du geizt bei manchen Leuten nur mit deiner Zeit und ich will nicht dazugehören.«

Dan lacht. Was ich ihm vorwerfe, ist aber wahr. Er hatte schon immer zu viele Freunde und zu wenig Zeit. Der Fluch der beliebten Leute. Ich kenne ein paar Jungs, mit denen er eine Selbsthilfegruppe gründen könnte.

»Du wirfst mir vor, dass ich mich nicht melde? Zwei unbeantwortete Anrufe und drei Nachrichten! Dich muss man erst mit Zuneigung bombardieren, bevor du mal zurückrufst«, erklärt er und klingt einstudiert beleidigt.

»Entschuldige, ich hatte einen kleinen Hangover«, gestehe ich und beginne gedankenverloren an meinen Nägeln zu beißen. Eine lästige Angewohnheit, die ich mir eigentlich mit vierzehn abgewöhnt habe.

»Krasse Party? Warst du nicht immer eine Streberin? Hast du dich dahin verlaufen?«

Ich überdrehe die Augen und lasse die beleidigte Eitelkeit meinen Tonfall zeichnen.

»Ich war nie eine Streberin!« Nur etwas langweilig, füge ich in Gedanken hinzu. Wie spannend mein Leben seit einiger Zeit ist, kann ich ihm aber nicht verraten, also wechsle ich das Thema.

»Kommst du im Sommer nach Hause?«

Er murrt. »Nein. Kein Bock. Keine Wohnung. Keine Zeit.«

»Du kannst bei mir wohnen«, schlage ich vor, weil ich gerade die Befürchtung habe, dass ich Dan überhaupt nie mehr wiedersehe. Er lacht.

»Ja. Sicher«, entgegnet er, als hätte ich ihm vorgeschlagen, in Narnia zu übernachten.

»Wirklich. Ich habe zwar nicht viel Platz, aber bevor du gar nicht nach Hause kommst, könnten wir zusammenrücken.«

Ich schiele durch die offene Wohnzimmertür auf mein Sofa. Da passt er locker drauf. Mein Bett ist zu klein für zwei.

»Witzig, Lena. Witzig aber dämlich.«

»Was soll das denn bitte heißen?!«

Ich vergesse manchmal, dass er ein Arschloch sein kann. Ich will ihn trotzdem wiedersehen. Das kann doch nicht so kompliziert sein!

»Soll heißen, dass du bitte nicht gleich jeden Typen in deine Wohnung einladen sollst. Sonst höre ich das nächste Mal in den Abendnachrichten von dir.«

»Wir kennen uns seit vierzehn Jahren und waren mal Geschwister. Wenn du ein Psychopath wärst, hätte mir das doch auffallen müssen. Außerdem lade ich ein, wen ich möchte, ich bin erwachsen.«

»Ganz schön schlecht gelaunt, mein Schwesterherz«, entgegnet er amüsiert und mir fällt auf, dass meine Antwort wirklich etwas ruppig war.

»Entschuldige ...«, brumme ich kleinlaut. »Ich bin nur nervös, weil ich heute auf eine wichtige Veranstaltung muss und mir deshalb vielleicht wie Britney Spears den Kopf rasiere.«

»Eine wichtige Veranstaltung? Bist du jetzt die Freundin von Bruce Wayne?«

»Wer ist das?«

»Batman, du Kunstbanausin!«

»Ich gehe da wohl eher mit Superman hin.«

»Hast du einen neuen Freund?«

»Nein, wir sind nicht zusammen, ich begleite ihn nur. Eigentlich stehe ich auf Deadpool, wäre da nicht Thor.«

»So viele Superhelden-Anspielungen und du wusstest nicht, dass Bruce WayneBatman ist?!«

»Doch, aber du bist auch nicht auf meine großartige Britney-Spears-Anspielung eingegangen.«

»Weil ich Christina Aguilera immer viel heißer fand. Die ist bestimmt besser im Bett.«

»Ihr Männer seid furchtbar.«

»Na endlich! Du hast nur 21 Jahre gebraucht, um das herauszufinden. Willst du immer noch, dass ich bei dir wohne?«

»Ja, du Idiot!«

»Dämlich, Lena. Dämlich.«

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder eingeschnappt sein soll. Ich liebe unsere Gespräche, zumal sie meistens erfrischend idiotisch sind und einem das Herz angenehm leicht machen. Er will mich aber ganz offensichtlich trotzdem nicht sehen.

»Na gut, dann kommst du eben nicht. Ruf an, wenn du mal heiratest oder jemanden schwängerst. Über die Meilensteine deines Lebens kannst du mich doch auf dem Laufenden halten, oder?«

Ich höre ihn seufzen. »Schnapp nicht ein. Ich bleibe nicht ewig in London. Weißt du, wie windig es hier ist?«

Jetzt habe ich keine Lust mehr, mich mit Witzen vertrösten zu lassen.

»Ich muss mich in mein Kleid zwängen, lass uns auflegen.«

»Schick mir ein Foto.«

»Schick du mir ein Foto!«

»Du willst sehen, wie ich ein Kleid trage? Ganz schön pervers, Lena.«

»Ciao, Dan.«

»Bye.«

Mein Handy landet auf der Bettdecke, und ich weiß nicht, ob ich grinsen, rot werden oder den Kopf schütteln soll.

Antrieb hat mir das Telefonat aber auf alle Fälle gegeben. Ich raffe mich auf und öffne meinen Schrank. Darin hängt nur ein schwarzes Cocktail-Kleid, die Auswahl fällt mir also nicht schwer. Dass ich es endlich mal tragen und ausführen kann, stimmt mich froh. Es gibt kaum Anlässe, die das schicke knielange Kleid rechtfertigen. Im Büro wäre ich damit overdressed. Ein Benefiz-Essen bei den Löwensteins ist aber die perfekte Gelegenheit.

Im Badezimmer werfe ich dann einen Kilo Feenstaub durch die Luft, schließlich muss ich mich schön genug zaubern, um Alex’ Freundin zu spielen.

Es ist zehn vor halb sieben und es klopft an meiner Tür. Als ich öffne, steht da ein personifizierter weiblicher Tagtraum im Smoking.

Ich wusste nicht, dass Männer so schön aussehen können – in echt. Dass ausgedachte, glitzernde Vampire das draufhaben, war mir klar. Alex übertrumpft für mich aber gerade alle Edward Greys, die jemals Auftritte in meinem Kopfkino hatten.

Der schwarze Smoking hat ein schmales Revers aus einem leicht schimmernden Stoff. Er trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Fliege. Die Haare hat er sich dezent zurückgegelt, was Alex’ hübsches Gesicht und die grünen Augen in den Vordergrund rückt.

»Mann, siehst du gut aus!«, begrüße ich ihn, während mir sein leckeres Parfum in die Nase steigt.

»Danke! Du ...« Sein viel zu bescheidenes Schmunzeln verschwindet auffallend schnell. Seine Gesichtsmuskulatur wirkt angespannt, während er den Blick über mich schweifen lässt.

Ich bekomme Herzrasen, weil er so unangenehm überrascht wirkt und seinen Satz einfach nicht beendet.

Was ist denn los?! Sag mir doch, dass ich auch gut aussehe! Ich weiß, dass du hübscher bist als ich, aber das ist ein Standard-Floskel-Kompliment!

»Lena ...«, stammelt er.

Ja, so heiße ich! Sag, dass ich hübsch bin!

»Irgendetwas an mir gefällt dir nicht«, unterstelle ich ihm, als meine Miene ebenso schockierte Züge annimmt wie seine. Er beginnt hektisch den Kopf zu schütteln.

»Nein! Nein! Du bist hübsch, immer – grundsätzlich!«

Immer, grundsätzlich?! Da kommt doch noch ein dickes „Aber“!

»Aber ...« Da ist es!

»Spucks aus, Alex!«, fordere ich ihn mit viel zu hoher Stimme auf. Ich will endlich wissen, was an mir ab heute Komplexe bei mir lostritt.

»Meine Großmutter hasst Cocktailkleider auf solchen Veranstaltungen. Sie hält jede Frau ohne langes Kleid auf einem Ball für eine Kellnerin.«

Ich verfinstere den Blick und funkle ihn an. »Ball?!«, wiederhole ich energisch. »Hast du gerade „Ball“ gesagt?!«

Er beißt sich unsicher auf die Unterlippe. »Das hatte ich doch erwähnt, oder? Benefiz-Ball?«

»Nein! Du hast es „Benefiz-Abend“ genannt! Über einen Ball fiel nicht das kleinste, leiseste Wort!«

Ich bekomme Panik, da ein Ball wohl die einzige Veranstaltung ist, auf der man in einem Cocktailkleid underdressed ist. Ein Ball oder die verdammten Oscars!

»Ich dachte, das wäre sowas wie ein Essen in der Villa deiner Großeltern!«

Er zuckt vorsichtig mit den Schultern. »Essen, ja. Aber eher in den Kongress-Sälen als bei ihnen zu Hause. So groß das Haus auch ist, tausend Leute und ein Orchester haben dort keinen Platz.«

Ich stammle vor mich hin. Mir war nicht klar, dass die Löwensteins so dick auftragen. Dass es festlich wird, war absehbar, aber zwei Leute, die einen ganzen Ball veranstalten? Meine Cinderella Fantasien waren eigentlich nur Spinnereien, jetzt brauche ich wirklich umgehend ein paar nähende Mäuse und den ganzen Bibidi-Babidi-Bu-Mist!

»Es tut mir leid ...«, gesteht Alex eindringlich klingend. »Ich hätte mich viel klarer ausdrücken sollen. Und du siehst auch wirklich unheimlich gut aus, aber könntest du dir schnell ein langes Abendkleid anziehen? Ich weiß, es ist nur dämliche Etikette, aber je weniger wir auffallen, und je weniger Kritikspielraum wir meiner Familie lassen, umso eher verschanzen wir uns nicht um Mitternacht heulend in den Toiletten.« Alex seufzt. »Entschuldige bitte. Ich weiß, wie spießig und dämlich das alles klingt.«

Es bereitet ihm sichtliches Unbehagen, mich darum zu bitten. Alex will mich nicht kritisieren, aber er muss, weil er sich an gewisse Regeln zu halten hat. Hätte er mich schon früher in diese Regeln eingeweiht, würden wir dieses durch und durch unangenehme Gespräch jetzt gar nicht erst führen.

Er verlagert das Gewicht unsicher von einem Bein aufs andere und schmunzelt mich vorsichtig an. Wie gerne würde ich jetzt abwinken, ihm einen Kuss auf die Wange drücken und mich umziehen – aber ich kann nicht.

»Dann musst du alleine dorthin, Alex.«

Seine Augen werden groß und er sieht mitleidig schockiert aus, weil er eine Sekunde lang denkt, er hätte mich gekränkt. Ich erlöse ihn aber mit meiner Erklärung.

»Ich würde mich gerne umziehen, aber in meinem Schrank hängt kein Ballkleid. Ich habe eines bei meiner Mutter zu Hause, aber bis wir von dort wieder zurück sind, ist die halbe Nacht vorbei. Es tut mir leid ...«

Es tut mir wirklich leid. Ich hatte mich auf den Abend gefreut und Alex hängen zu lassen ist das Letzte, das ich tun will.

»Bist du dir sicher, dass du kein Ballkleid im Schrank hast?«, fragt er vorsichtig verzweifelt.

Ähm, mir ist schon bewusst, dass du aus einer Welt kommst, in der man überrascht ist, dass da noch dieser eine Chanel-Anzug im zweiten Kleiderzimmer hängt, den man vollkommen vergessen hat, weil man doch schon seit Jahren nur mehr Prada trägt, aber ich komme aus einer Welt, in der man weiß, ob man eine Abendrobe in das IKEA-Pax-System gestopft hat! Echt jetzt! Kuck an mir vorbei in meine Wohnung! Sieht es so aus, als ob ich hier jemals in einem Ballkleid rausstolziert wäre?!

Ich erspare ihm meinen vorwurfsvollen inneren Monolog und schüttle nur den Kopf. Er wirkt niedergeschlagen, da ihm wahrscheinlich bewusst wird, dass es ein Fehler war, mich zu fragen. Ich will mich nochmal entschuldigen, aber Alex’ Stimmung schlägt plötzlich um. Anscheinend nickt er gerade seine eigenen Gedanken ab.

»Was ...?«

»Komm! Wir besorgen dir ein Kleid!«

Er streckt mir die Hand entgegen und dreht den Körper schon in Richtung Flur.

»Die Läden haben geschlossen«, erwidere ich und schaue auf seine Hand, die trotzdem meine greift.

»Ich weiß. Das macht nichts! Komm!«

Er zieht mich aus der Wohnung, aber ich halte mich am Türrahmen fest. »Warte!«

Mein Einwand lässt seine fröhliche Stimmung wieder umschwenken. Er sieht mich schuldbewusst fragend an. »Willst du nicht mehr? Ich weiß, diese ganze Dresscode-Sache ist dämlich, aber das lösen wir in Nullkommanichts!«

»Natürlich will ich, aber ...« Das reicht Alex, um einmal etwas schwungvoller an meiner Hand zu ziehen und mich dazu zu zwingen, den Türrahmen loszulassen. Ich werde hier quasi entführt, aber ich müsste schon ganz schön dämlich sein, um mich nicht von James Bond verschleppen zu lassen.

Wie er mir ein Kleid zaubern will, bleibt abzuwarten, aber Alex hat auf mich schon immer wie jemand gewirkt, der selbst am Ostersonntag spontan eine Yacht und etwas Uran auftreiben kann.

Fremder, nackter Junge

Wow. Besser lässt sich Alex’ Auto kaum beschreiben. Ich weiß jetzt, warum er letztes Wochenende mit seinem Bruder den Wagen getauscht hat. Das dunkelblaue BMW-Caprio sieht klasse aus, fasst aber nur zwei Personen. Die schwarzen Ledersitze fühlen sich kühl und samtweich auf der Haut an. Hier Sex zu haben, ist bestimmt unbequem, aber cool. Ich würde Alex fragen, ob er es schon mal hier drin gemacht hat, aber ich muss eine naheliegende, nicht Libido gesteuerte Frage stellen:

»Wohin fahren wir?«, will ich wissen und kralle mich in den Sitz, als er das Gaspedal durchtritt. Das ist kein Auto, das ist ein Flugzeug.

»In eine Boutique, die auch Samstagabend für mich aufmacht«, erklärt er schmunzelnd und drückt ein paar Knöpfe an seinem Lenkrad. Ich höre das Klingeln aus der Freisprechanlage.

»Geh ran ...«, murmelt er und beißt sich auf den Lippen herum. »Du hörst dein Handy doch immer!«

Er lässt es drei Mal bis zur Mailbox durchklingeln, dann gibt er auf.

Ich glaube Alex sofort, dass er eine Frau kennt, die ihren Laden für ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit öffnet, aber wenn sie nicht rangeht, sind wir angeschmiert. In diesem Kleid werde ich auf keinen Fall zwischen Leuten in Roben und teuren Abendkleidern in einem Kongresssaal stehen. Cinderella wäre auch nicht auf den Ball gegangen, wenn ihr die Fee ein Cocktailkleid statt dem Tüllkleid gezaubert hätte. Außerdem habe ich Angst vor Oma Löwenstein. Wenn ihr mein Outfit nicht gefällt, stellt sie Alex und mich vors Erschießungskommando.

Wir halten in einem gepflegten, grünen Wohnviertel. Hier gibt es weit und breit kein Geschäft. Als wir aussteigen und auf eine der hohen Glastüren zugehen, werde ich das Gefühl nicht los, dass die „Boutique“, die Alex meint, der Kleiderschrank von jemandem ist.

»Warte!«, ich bleibe stehen, als mir ein skeptischer Gedanke kommt, der mir schon viel früher hätte kommen müssen. Dass er im Smoking so unglaublich gut aussieht, und sein Auto verdammt cool ist, hat mich anscheinend etwas begriffsstutzig gemacht.

»Nicki wohnt hier, oder?!«

Von wem würdest du dir sonst spontan ein Ballkleid leihen können?! Wir sind zu deiner zickigen, fiesen, besten Freundin gefahren!

Alex dreht sich nach mir um, mustert mich mit großen unschuldige Augen und schüttelt den Kopf.

»Nein.«

Das überrascht mich.

»Wer wohnt denn dann hier?«

»Du kennst sie noch nicht«, sagt er und klingt dabei seltsam.

Ich folge ihm weiter, während die Neugier in mir wächst. Wir müssen nicht am Eingang klingeln, weil gerade eine Frau mit ihrem Pudel das Wohnhaus verlässt. Alex läuft nach oben in den ersten Stock und ich stöckle ihm hinterher. Er klingelt, und ich hoffe, dass gleich das Mädchen aufmacht, dessen Foto ich in seiner Geldbörse gefunden habe. Das wäre großartig! Ich will wissen, wer sie ist und wie sie zueinander stehen.

»Komm schon! Ich weiß, dass du da bist!«

Er klingelt Sturm, was mir unangenehm ist, da wir sie, falls sie denn zu Hause ist, anscheinend aus dem Bett oder der Dusche scheuchen, um ihren Kleiderschrank zu durchforsten. So mache ich bestimmt keinen guten ersten Eindruck auf sie. Ich bin die dumme Trulle, die alle mit ihren nackten Beinen schockieren würde, weil sie nicht geschnallt hat, dass die Löwensteins nicht die Kardashians sind.

»Wälz dich von dem Typen runter und mach auf«, murmelt Alex der Klingel entgegen, und ich bekomme sofort ein ganz anderes Bild von seinem Gelbörsen-Mädchen. Sie hat auf dem Foto so unschuldig ausgesehen. Das war aber vielleicht nur ein Scherz von ihm, sie ist bestimmt nicht ...

Die Tür springt auf und ich starre perplex auf den perfekten Frauenkörper, der nur in rote Spitzenunterwäsche gehüllt ist. Als ich die Kinnlade wieder hochklappen kann, schnellt mein finsterer Blick zu James Bond.

Du miese, fiese, gutaussehende Ratte!

»Was willst du, Alex?!«, faucht Nicki wütend. »Es hat schon seine Gründe, warum ich nicht rangehe, selbst, wenn du achtzehn Mal anrufst! Ich bin beschäftigt!«

»Das ist aber sowas wie ein Notfall, also unterbrich dein kleines Samstags-Abenteuer für zehn Minuten und lass uns rein!«

Sie will irgendetwas zurückgiften, wird aber von Alex’ schicken Outfit abgelenkt. »Wieso siehst du so gut aus?«

»Keine Ahnung. Schöne Eltern?« entgegnet er grinsend. Sein Witz wird aber nicht honoriert, weder von mir noch von Nicki, die sich schnell einen Reim aus dem Smoking macht.

»Löwenstein’scher Spenden-Protz-Ball«, schlussfolgert sie und mustert mich, während sie verständnislos den Kopf schüttelt.

»Und du kellnerst dort?«

Der Sarkasmus hilft im Moment niemandem weiter, er verstärkt nur meinen Fluchtinstinkt. Alex weiß, warum er seine Hand auf meinem Rücken platziert hat. Er hält mich quasi fest, damit ich nicht sofort auf den Absätzen meiner Stöckelschuhe kehrtmache.

»Ich habe vergessen, Lena zu sagen, dass sie ein Ballkleid tragen sollte. Leih ihr eines. Bitte.«

Sie knallt uns bestimmt gleich die Tür vor der Nase zu. Wir stören hier ganz offensichtlich, und es ist nicht ihr Problem, dass Alex und ich ein Dresscode-Kommunikations-Missverständnis hatten.

»Kommt rein«, seufzt sie genervt, macht eine auffordernde Kopfbewegung und dreht sich dann um. Alex will mich in die Wohnung schieben, aber ich wehre mich dagegen.

»Unglaublich, wie abgebrüht und frech du lügen kannst!«, werfe ich ihm im wütenden Flüsterton vor.

»Wenn ich dir die Wahrheit gesagt hätte, würden wir noch immer unten im Hof diskutieren.«

Er hat recht, aber jetzt diskutieren wir eben zwischen Tür und Angel.

»Bitte Lena! Stell dich nicht so an, das ist nur ein Kleid.«

Es ist nicht „nur“ ein Kleid, es ist Nickis Kleid. Ich will ihre Klamotten nicht tragen, weil ich weiß, dass sie sie mir nicht gerne leiht und auch, weil ich denke, dass ich da gar nicht reinpasse.

Alex gibt mir einen Schubs und stellt sich dann so dicht hinter mich, als würde er mich zwangs-eskortieren. Er strahlt eine gewisse Nervosität aus, was mir wieder bewusst macht, wie wichtig ihm dieser Abend ist. Ich will ihn weder bloßstellen noch hängen lassen, deshalb sehe ich auch darüber hinweg, dass er schamlos lügt und mich in eine Wohnung schubst, die ich niemals betreten wollte. Ihn stresst das Ganze noch mehr als mich, also schlucke ich meine eigene Unruhe hinunter.

Wir folgen meiner gertenschlanken, halbnackten Nemesis durch einen kleinen Flur ins Wohnzimmer.

Nicki lebt wie Carrie Bradshaw aus Sex and the City. Hier ist es farbenfroh, aber nicht zu bunt, voll, aber nicht unordentlich, und sie hat verdammt viel coolen Schnickschnack.

Als sie eine der Türen öffnet, höre ich Kings of Leon über Sex on Fire singen. Wir betreten ihr Schlafzimmer, und ich starre peinlich berührt auf den nackten Körper auf dem Bett. Sein Blick trifft meinen, und er ist ganz offensichtlich ebenso schockiert wie ich, dass wir hier herein platzen.

Was ihn annähernd beruhigt stimmen könnte, ist die Tatsache, dass der kleine Teil der Decke, der auf ihm liegt, seine intimste Stelle verdeckt – ansonsten sammelt er gerade nicht viele positive Eindrücke: Seine Handgelenke sind mit roten Handschellen ans Bettgestell gefesselt und da stehen plötzlich zwei aufgedonnerte Fremde, die ihn anstarren.

Zwinkere zweimal, wenn du gegen deinen Willen festgehalten wirst!

»Hey. Ich bin Alex«, tönt es hinter mir freundlich fröhlich, so, als ob er gar nicht sehen würde, dass hier jemand nackt und gefesselt ist. Antwort bekommt er keine, da Nickis Übernachtungsgast zu verdutzt ist und wahrscheinlich gerade versucht, annähernd cool zu wirken und nicht in seinem Schamgefühl zu verbrennen.

Ich fühle mit dir, fremder, nackter Junge!

Dass Alex und Nicki diese Situation mit so stoischer Gelassenheit ausblenden können, liegt eindeutig an der Porno-Internat-Ausbildung. „Wie ich die Sex-Sklaven meiner Freunde ohne Unbehagen ignoriere“, stand bei uns aber nicht auf dem Lehrplan.

»Komm mit.«

Nickis Aufforderung gilt mir. In ihrem Schlafzimmer gibt es noch eine Tür, die in einen begehbaren Kleiderschrank führt.

Alex bleibt freundlich grinsend im Schlafzimmer stehen. Ich drehe den Kopf nochmal in Richtung Bett, bevor ich in dem Schrank-Zimmer verschwinde. Er starrt gerade den blonden Mann im Smoking mit hochgezogenen Brauen an, der einfach nur dasteht und so aussieht, als würde er gleich mit Smalltalk anfangen.

Das ist ein wahrer Frauentraum! Der begehbare Schrank, nicht der gefesselte Typ. Obwohl er ziemlich gut aussieht.

Nicki macht die Tür hinter uns zu, während ich meinen Blick über die vielen hochhackigen Schuhe schweifen lasse, die in dem beleuchteten Regal stehen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht auf den beigen Teppichboden sabbere. Der Anblick lässt mich sogar vergessen, dass ich Nicki nicht ausstehen kann und gerade in ihre BDSM-Session geplatzt bin.

Schuhe ... schön ...

»Mit dem Cocktailkleid wärst du auf dem Ball zerfleischt worden«, höre ich eine strenge, melodische Stimme sagen, die mich aus dem Sabber-Modus reißt. Ich drehe mich nach Nicki um. Sie öffnet gerade eine Schranktür.

»Solche Snob-Events sind der reinste Spießrutenlauf. Du kannst dir während einer gewöhnlichen Konversation schon dein gesellschaftliches Grab schaufeln, da solltest du zumindest sichergehen, dass du angemessen gekleidet bist.«

Sie schiebt ein paar Kleiderbügel herum und gibt mir Anweisungen.

»Rede mit niemandem über Politik oder Religion, dort hält sich jeder für Gott, und der lässt nicht mit sich diskutieren. Oberflächlicher Smalltalk und Lobgesänge auf alles, was mit den Löwensteins zu tun hat, beschränk dich darauf.«

Ich nicke und lasse meinen Blick über die vielen schönen Kleider wandern, die Nicki verschiebt.

»Trink bloß nicht zu viel, aber trink auch nicht gar nichts, sonst denken sie, du wärst schwanger. Lass immer Alex alles zuerst machen: Jemandem die Hand reichen, dich vorstellen, eine Tür öffnen – stell dir einfach vor, du wärst strunzdämlich und körperlich und geistig gelähmt, solange er nicht den Anfang macht. Du kannst alleine keine Tür aufmachen, keinen Stuhl nach hinten rücken, dir nichts zu trinken besorgen, du bist quasi eine freundlich lächelnde 2-Jährige im Körper einer Erwachsenen.«

Ich starre sie prüfend an, während ich ihr diese mechanisch klingende Frage stelle.

»Wieso machst du das?«

Sie dreht den Kopf zu mir und mustert mich fragend. »Was?«

»Mir helfen. Das Kleid. Die Ratschläge. Du hättest uns die Tür nicht aufmachen müssen.«

Sie schnaubt ein Lachen und lässt ihren Blick wieder über die Kleider wandern, bevor sie mir antwortet.

»Für Alex ist das wichtig, sehr sogar. Ich kenne ihn, ich weiß, wie sehr ihm der ganze gesellschaftliche Druck zu schaffen macht – immer schon. Nach außen hin ist er vielleicht der dauergrinsende, privilegierte Junge mit den vielen Freunden und dem glänzenden Leben, aber ich weiß, wie es hinter den Kulissen aussieht. Unschöner als du dir vorstellen kannst. Du glaubst, du kennst ihn mittlerweile, aber das tust du nicht. Nicht so, wie ich. Ich würde ihm, gerade heute, keinen Gefallen abschlagen. Außerdem ...«

Nicki blickt wieder zu mir und sieht mir wahrscheinlich an, dass sie mich mal wieder mit ihrer Ehrlichkeit überrascht.

»Außerdem war ich mal in genau derselben Situation wie du. Mein erster Löwenstein-Ball war die reinste Katastrophe. Wenn mir damals jemand etwas Vernünftiges angezogen und mir verraten hätte, dass ich Alex’ Onkel keinen chauvinistischen Iditoten nennen darf, hätte ich mir viel Drama erspart.«

Sie schmunzelt gedankenverloren, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, aus mehr als einem Grund. Dass ich Nicki gedanklich immer unterstelle, dass sie eine egomanische Zicke ist, ist wohl unfair. Alex bedeutet ihr ganz offensichtlich sehr viel, außerdem hat sie etwas überaus Empathisches an sich – was sie die meiste Zeit aber hervorragend versteckt.

»Wieso gehst du nicht mit ihm hin?«, will ich wissen, auch auf die Gefahr hin, dass ich darauf herumreite, dass Alex mich gefragt hat, und nicht sie.

Sie lacht, ausgiebig. »Gott, nein! Ich gehe nicht mehr auf solche Veranstaltungen. Zum Glück. Alex tut mir das nicht mehr an und er würde sich selbst damit auch keinen Gefallen tun. Mein Ruf ist nicht der beste.« Der letzte Satz wird von einem Schmunzeln untermalt, das ein klein wenig triumphierend wirkt. »Ich bin das Flittchen, das mit all ihren Söhnen, Enkeln und Brüdern geschlafen hat. Auf diesem Ball gibt es wohl keine einzige Frau, die mich leiden kann.«

Dass Nicki ihr schlechter Ruf nichts ausmacht, wirkt nicht gespielt. Das war aber ganz offensichtlich nicht immer so, sonst hätte sie mir vorhin nicht gesagt, dass sie damals froh gewesen wäre, wenn ihr jemand das ganze Drama erspart hätte.

»Hier, probier das an.«

Sie hält mir ein golden schimmerndes, bodenlanges Kleid hin. In mir steigt nervositätsbedingte Hitze hoch, weil es ziemlich figurbetont geschnitten ist. Wenn sie keinen Tannenbaumtrichter hier drin versteckt hat, passe ich da vermutlich nicht rein.

»Hast du vielleicht etwas Fließenderes?«

Hat sie, in diesem Schrank hängen zwanzig Kleider. Nicki zieht aber die Brauen hoch. »Du sollst elegant aussehen, aber das heißt nicht, dass es nicht figurbetont sein darf.«

Okay, sie denkt, dass ich es nicht anprobieren will, weil ich Angst habe, zu sexy zu wirken. Wie kann ich ihr sagen, dass es hier um meinen fetten Arsch geht?

»Ich glaube nicht, dass ich da reinpasse.«

So, jetzt habe ich es gesagt. Du wiegst drei Kilo und ich tausend. Ergötz dich daran!

»Mal sehen. Zieh dich aus.«, erwidert sie und ich beneide sie gerade, nicht nur um ihren Körper, sondern auch um diesen strengen Tonfall. Während ich mein Kleid ausziehe, tippt sie ungeduldig mit dem Fuß auf den Teppichboden.

»Die Unterwäsche auch«, sagt sie tonlos und ich starre sie fragend an. Für wen hältst du dich?! Theo?!

»Ich gehe dort doch nicht ohne Unterwäsche hin!«

»Das Kleid hat ein Bustier eingenäht und dein Tanga würde sich darunter nur abzeichnen. Das sieht beschissen und nuttig aus!«

»Also ist es mit Höschen nuttiger als ohne?!«

»Definitiv!«

Ich fasse es nicht, dass ich hier gerade komplett blankziehe. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich mal splitternackt in Nickis Wohnung stehe, hätte ich denjenigen für geisteskrank erklärt. Ich drehe mich zu ihr und sehe ihr an, dass sie sich gerade dasselbe denkt.

»Hier.« Sie geht in die Knie und hält das Kleid auf. Ich steige hinein. Hochziehen ist noch kein Problem. Ich rücke das Dekolletee zurecht und atme tief ein. Jetzt kommt der schwierige Teil des Ganzen – Schließen. Der Reißverschluss ist ziemlich lang, da das Kleid an der Hüfte und am Hintern eng sitzen muss und erst ab der Mitte der Oberschenkel fließend nach unten verläuft.

»Halt mal die Luft an«, verlangt Nicki und zieht prüfend am Stoff. »Das klappt«, prophezeit sie und klingt etwas atemlos, weil sie hinter mir einen kleinen Kraftakt verübt.

Sie zerrt an mir und ich kippe beinahe vorneüber, also stütze ich mich mit den Händen an der Schrankwand ab.

Als die Tür aufgeht, zucke ich peinlich berührt zusammen. Alex taucht auf und legt den Kopf neugierig schief, während er uns mustert.

Jap, wir versuchen meinen dicken Hintern gerade in ein Kleid zu pressen – sexy, nicht? Gott ist das peinlich!

»Ähm ...«, beginnt er amüsiert zu stammeln. »Braucht ihr Hilfe?«

»Nein, verschwinde!«, sagt Nicki schroff und ich höre ihren strengen, zickigen Tonfall zum ersten Mal gerne.

»Sag mal, ist der Junge eigentlich volljährig oder muss ich die Polizei rufen? Er sieht so jung aus! Du fesselst doch keine Kinder an dein Bett, oder?«

Wir haben gerade keine Zeit für Alex’ Witzchen. Nicki knurrt leise. »Er ist neunzehn und jetzt hau ab! Wir sind gleich fertig!«

Er zuckt grinsend mit den Schultern und schließt die Tür hinter sich. Ich höre noch, dass er Nickis Übernachtungsgast fragt, ob er eine Cola möchte. Alex und seine Fähigkeit, selbst mit gefesselten Lustknaben Smalltalk zu machen ...

»Na also!«

Sie bekommt den Reißverschluss über meinem Hintern zu, der Rest gleitet mühelos dahin.

Ich richte mich auf und bin überrascht, dass das Kleid nicht so eng ist, wie ich gedacht hätte. Ich kann problemlos atmen, an der Taille und am Dekolletee sitzt es perfekt. Einzig um den Hintern und den Hüftbereich bewegen sich Kleid und Körper im Grenzbereich.

»Dreh dich um.«

Ich stolpere beinahe über den langen Stoff, weil ich noch barfuß bin.

»Ich sage das nicht gerne zu der Frau, die sich zwischen mich und meine Jungs drängt, aber du siehst verdammt gut aus.«

Obwohl ich selbst noch keinen Blick in den Spiegel geworfen habe, bin ich sicher, dass mir das Kleid hervorragend steht – ein Kompliment von Nicki an mich lässt sich nicht einfach erhaschen.

Als ich mich zu der verspiegelten Schranktür drehe, bestätigt sich meine Vermutung. Dieses Kleid ist der Wahnsinn! Ich hatte noch nie eine so schöne Robe an.

»Danke. Ehrlich. Das ist ...«

»Ach komm, heul jetzt hier nicht rum! Ich tue das zu 99 % für Alex!«

Ich wollte keineswegs heulen, nur einen ehrlichen Dank aussprechen, aber Nicki hört das anscheinend genauso ungern wie der Mann, für den sie mich gerade eingekleidet hat.

»Ich passe gut darauf auf und bringe es dir morgen wieder«, versichere ich, aber sie winkt ab.

»Um Gottes Willen, steh nicht am Sonntag vor meiner Haustür! Ich brauche das Kleid nicht sofort zurück. Pack es zu den Schuhen, die du noch von mir hast und leg alles irgendwann bei Alex ab. Oder Theo. Oder Simon. Spielt keine Rolle, ich komme überall vorbei.«

Sie grinst, und mir fällt wieder ein, warum ich sie nicht leiden kann.

Als sie die Hand auf die Türklinke legt, dreht sie sich nochmal zu mir.

»Pass auf, dass Alex nicht zu viel trinkt. Er schmeißt sonst leicht die Nerven weg.«

Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich Alex davon abhalten soll zu trinken, aber ich nicke.

»Und tu dir selbst einen Gefallen und sprich so wenig wie möglich mit David – am besten auch kein Augenkontakt.«

»David?«

»Alex’ Bruder. Ignorieren. Bloß nicht anstarren oder anlächeln, egal, wie gut er aussieht.«

Ich muss mir gerade natürlich zwangsläufig vorstellen, wie er aussieht.

»Großartig, du grinst ja schon jetzt ...«, tönt Nicki sarkastisch und fasst sich an die Stirn. »David kaut dich durch und spuckt dich vor dem ersten Gang wieder aus. Zum Nachtisch heulst du, aber bitte nicht vor Alex, sonst fängt er auch an.«

Ich lege den Kopf ungläubig schief, weil ich auf einen Ball gehe und nicht in einer Telenovela mitspiele.

Nicki dreht sich um und geht voraus ins Schlafzimmer.

Das Bild, das sich uns dort bietet, ist bizarr amüsant. Ein nackter, gefesselter Mann im Bett und einer, der im Smoking am Bettrand sitzt – mit einer Dose Cola in der Hand.

»Wow. Du siehst unglaublich gut aus!«, kommentiert Alex mein Auftauchen und steht auf.

»Danke, Victoria´s Secret«, entgegnet Nicki zwinkernd, die noch immer die rote Spitzenwäsche trägt. Alex überdreht gespielt genervt die Augen, zieht den halbnackten Körper dann aber doch zu sich, um ihr einen Kuss aufzudrücken.

»Danke ...«, haucht er Nicki ins Gesicht und streicht ihr über den Oberarm. Sie seufzt.

»Ja, ja. Und jetzt haut ab! Ich habe hier noch etwas vor.«

Mein Blick schweift zu dem großen Bett, weil mir von dort aus ein Schmunzeln geschenkt wird. Anscheinend hat Alex’ Lässigkeit etwas auf ihn abgefärbt.

»Schönes Kleid«, höre ich ihn sagen und nicke dankend.

»Nicht reden! Licht ausschalten!«, Nickis erste Anweisung ging an ihren Übernachtungsgast, die zweite an uns. Alex nimmt meine Hand und knipst das Licht im Schlafzimmer aus, nicht ohne noch einen Ratschlag zum Besten zu geben.

»Verrate Nicki dein Safeword, falscher Stolz führt im schlimmsten Fall zu abgeschossenen Nervenenden – das braucht Jahre, um zu heilen!«, rät er amüsiert und lässt die Tür dann ins Schloss fallen.

Willkommen, Prinzessin!

Alex schafft es, auf der Autobahn zweimal geblitzt zu werden. Wir müssen wieder Zeit gutmachen, deshalb fährt er auch, als würde er gerade für The Fast and the Furious gecastet werden.

»Hat dir Nicki Angst vor dem Ball gemacht?«, will er wissen, während er kurz zu mir rüberschielt.

Nein, ich wirke nur so angespannt, weil du 210 km/h fährst.

»Sie hat mir nur ein paar Tipps gegeben – nützliche, denke ich.«

»Zum Beispiel?«

Ich weiß nicht, wieviel ich Alex verraten darf. Dass sie mir gesagt hat, wie sehr er mit dem gesellschaftlichen Druck hadert, behalte ich mal lieber für mich.

»Ich soll eine 2-Jährige im Körper einer freundlich grinsenden Erwachsenen sein. Den Rest erledigst du für mich.«

Alex lacht. »Ja, das kommt hin! Ich öffne Türen für dich und werfe mich über Pfützen, damit du meinen Körper als Brücke verwenden kannst.«

Obwohl er amüsiert klingt, kommt er mir angespannt vor.

»Was muss ich über deine Familie wissen?«, frage ich und versuche, möglichst gelassen zu klingen. Ich will heute nicht nur seine Freundin spielen, sondern auch sowas wie ein Ruhepol für ihn sein. Wir schaukeln diesen Ball schon, schließlich kann ich mich benehmen und bin im Grunde die langweilige, etwas spießige angehende Juristin, die seine Familie erwartet. Oder ich war es mal, bevor ihr Sohn mich auf seine Sex-Partys eingeladen hat. Das „langweilig“ und „spießig“ ist aber erst seit kurzer Zeit aus meinem Leben verschwunden. Ich kann das problemlos wieder abrufen und über die Notwendigkeit von Desinfektionsmittelspendern an der Uni diskutieren, als wäre es mir nicht scheißegal.

Unterbumste Leute reiten gerne klugscheißerisch auf Banalitäten herum – eine gewagte Theorie, aber ich war auch mal so, also muss ich es wissen.

Alex seufzt leise. Man merkt, dass er nicht gerne über seine Familienangelegenheiten spricht, aber er muss. Ich würde auch nicht nachhaken, wenn er mich nicht eingeladen hätte. Aber nicht ich habe mich zu seiner Freundin erklärt, sondern er, und wenn ich auf dem Ball mit kompletter Ahnungslosigkeit um mich werfe, wirft das kein gutes Licht auf uns beide.

»Mein Vater war Konzertpianist, arbeitet im Moment eigentlich am Konservatorium, reist aber trotzdem noch gerne durch die Weltgeschichte. Meine Mutter macht ... naja.« Er scheint zu überlegen. Entweder macht sie etwas total Abgefahrenes, oder er weiß nicht, welchem Beruf sie nachgeht. »Sie kümmert sich eigentlich um die Stiftungen meines Großvaters. Manchmal malt sie auch oder kauft und renoviert Häuser. Im Grunde ist sie hauptberuflich die Tochter meiner Großeltern.«

Er zuckt auffallend energisch mit den Schultern, so, als wollte er irgendetwas von sich abschütteln.

»Und deine Großeltern?«

Ich hoffe, das Thema bereitet ihm weniger Unbehagen. Es scheint zumindest so.

»Sie haben in den letzten fünfzehn Jahren vor der Pensionierung eine Privatklinik geleitet. Mein Großvater ist Mediziner und meine Großmutter stammt aus einer Unternehmerfamilie.«

Okay, woher das viele Geld kommt, kann ich mir jetzt zusammenreimen.

»Und dein Bruder?« Mit dem ich nicht reden und den ich nicht ansehen darf, da ich sonst laut Nicki in Tränen ausbreche.

»Hat Medizin studiert«, antwortet Alex kurz und knapp.

Das enttäuscht mich jetzt. Nicht, weil ich keinen Respekt vor diesem anspruchsvollen Studium und der Berufung dahinter hätte, sondern weil meine Erwartungshaltung eine andere war. Ich dachte, er wäre ein Serienkiller oder zumindest ein Drogendealer.

»Und dich hat das Medizinstudium nie interessiert?«, beginne ich ein wenig Smalltalk, um Alex abzulenken, bevor er noch die 220 auf dem Tachometer vollmacht.

»Na, da hättest du doch schon mal ein furchtbar tolles Thema für den Löwenstein’schen Familienrat! Mit solchen Fragen machst du dich garantiert beliebt.«

Ich starre mit großen Augen auf Alex und dann auf das Armaturenbrett. Oha. Diesen giftigen Tonfall kannte ich noch gar nicht. Ich wollte nur plaudern, nicht den Wut-Knopf bei ihm drücken.

»Entschuldige ...«, murmelt er einsichtig. Seine finstere Miene wird weich, während ihm seine Überreaktion bewusst wird.

»Das ist ein furchtbar leidiges Thema. Aber das konntest du nicht wissen. Die Arschloch-Antwort tut mir leid.«

Er schüttelt schwach den Kopf. »Entschuldige, Lena«, wiederholt er eindringlich.

»Schon gut. Ich bin nicht empfindlich, was patzige Antworten betrifft.«

Das stimmt. Ich rede selbst manchmal schneller als ich denke und bin irrational vorwurfsvoll. Ich halte das aber auch für menschlich und Alex’ Entschuldigung für übertrieben. Er neigt dazu, sich etwas zu oft zu entschuldigen, sobald er mal überreagiert hat, das ist mir schon letztes Wochenende aufgefallen. Theo reagiert dann meistens genervt, wahrscheinlich, weil er das schon oft erlebt hat.

»Dass aus mir kein Arzt wird, ist enttäuschend für meine Großeltern. Das hat sich aber schon relativ früh abgezeichnet, dementsprechend sind sie auch schon erschreckend lange enttäuscht. Zum Glück gibt es David. Ohne ein Wunderkind in der Familie würden jetzt all meine Vorfahren unter Panikattacken leiden.«

Die letzten beiden Sätze waren sowas wie schwarzer Humor, er hat sie zumindest übertrieben und dunkel ausgesprochen. Ich verstehe den wunden Punkt, den ich vorhin gedrückt habe, langsam. Kinder aus Akademiker-Familien stehen oft unter Erwartungs- und Leistungsdruck. Da fühlt man sich gleich besser, wenn man die Einzige in seiner Familie ist, die weiß, dass eine Dissertation nichts mit einem Dessert zu tun hat.

»Man muss nicht unbedingt Arzt werden, um ein kluger, erfolgreicher Mensch zu sein«, spreche ich meine Gedanken aus und ernte ein Lachen von Alex.

»Das stimmt, man kann auch Anwältin werden, so wie du«, scherzt er.

Er grinst zu mir rüber und ich fühle Verlegenheit in mir wachsen. Ich bin niemand, der nur Leute mit Diplom für klug hält. Eine der schlausten und charismatischsten Menschen, die ich kenne, ist meine Großmutter, und die hat gerade mal Pflichtschulabschluss. Dass sie so viel weiß und so schlagfertig ist, liegt alleine daran, dass sie ein wissbegieriger, positiver Mensch mit einer Liebe zum Sarkasmus ist.

»Ich weiß, was du meinst, und ich sehe das auch so. Aber lass uns das Thema heute Abend trotzdem lieber nicht anschneiden«, bittet Alex und ich nicke.

»Keine Angst, ich trete keine kontroversen Diskussionen los«, versichere ich ihm und schaue neugierig aus dem Fenster, weil der Verkehr plötzlich dichter und die Wagen um uns herum teurer werden.

»Wieso haben sie denn das Parkhaus gesperrt?«, murrt Alex, als er wieder auf die Hauptstraße abbiegen muss. Ich sehe das große, schöne Altbauhaus, in dem sich die Kongresssäle befinden, schon. Das letzte Mal war ich hier, als ich zur Grundschule gegangen bin und uns ein langweiliger Mann bei einer Führung erzählt hat, dass einer der Säle nach einer Prinzessin benannt wurde. Die Erinnerung bringt mich zum Grinsen. Dreizehn Jahre später komme ich als Prinzessin wieder. Okay, Lena die vielen teuren Wagen da draußen lassen dich fantasieren ...

Während ich mich lächerlichen Mädchen-Fantasien hingebe, beschallt Alex das Auto mit seinem Seufzen. Ich höre das Klingeln aus der Freisprechanlage.

»Ja?« Wer auch immer sich da meldet, klingt genervt.

»Wieso ist das Parkhaus gesperrt? Wo soll ich denn meinen Wagen abstellen?«

Der Mann am Telefon ist mit ziemlicher Sicherheit sein Bruder, weil er beim genervten Seufzen genau gleich klingt wie Alex.

»Fahr zum Eingang vor. Der Park-Service übernimmt den Rest. Du bist spät dran.«

Alex antwortet nicht, drückt ihn einfach weg und knurrt. »Wir hatten noch nie Park-Service, woher soll ich das denn wissen?«

Beim schwungvollen Abbiegen rammt er beinahe einen schwarzen Audi.

»Ganz ruhig. So spät ist es gar nicht. Du hast gesagt, wir müssen um acht Uhr hier sein – jetzt ist es zehn nach acht. Bei so vielen Menschen fallen zehn Minuten Verspätung doch nicht auf. Sag, es ist meine Schuld, weil du mich zu den Toiletten bringen musstest. Ich bin schließlich zwei und absolut hilflos ohne dich.«

Meine Worte verfehlen die beabsichtigte Wirkung nicht. Alex lacht leise und entspannt sich wieder ein wenig.

Ja genau, ich bin dein Ruhepol ... dein Prinzessinnen- Ruhepol!

Als wir vor dem Eingang halten, öffnet ein hübscher junger Mann im Anzug meine Beifahrertür.

»Guten Abend.«

Zum Glück taucht Alex neben mir auf, bevor ich einen Knicks vor dem Park-Service-Typen machen kann. Er bietet mir seinen Arm an, und ich versuche, nicht allzu breit zu grinsen, zumal ich sonst noch für bekifft gehalten werde.

Ein hohes Glastor führt in den Eingangsbereich des Veranstaltungsortes. Die Atmosphäre spendiert mir umgehend einen Gefühlscocktail aus Euphorie, Bewunderung und angenehmer Nervosität. Die hohen Hallen, der schöne helle Marmor und der Blumenschmuck sehen großartig aus. Obwohl der Eingangsbereich noch mit modernen Elementen wie dem Glastor und Deckenspots bestückt ist, wirkt die breite, geteilte Treppe, die hoch in die Säle führt, wie aus einer anderen Zeit.

Alles ist weitläufig, trotzdem tummeln sich bereits hier viele Menschen. Ich bin verdammt froh, dass ich dieses großartige Kleid trage. Die Gäste sind so herausgeputzt, als wäre das der Opernball. Die einzigen Frauen, die schwarze Cocktailkleider tragen, sind tatsächlich die Kellnerinnen. Ich erspähe eine der Damen mit einem Tablett voller Sektgläser im Flur vor den Sälen.

»Dürfte ich Ihre Eintrittskarte sehen?«

Wir werden kurz vor der Treppe von Vin Diesel angesprochen, der scheinbar dafür verantwortlich ist, sicherzustellen, dass sich hier niemand einschleicht, der möglicherweise nur einen Ford Fiesta fährt.

»Alexander Löwenstein plus Begleitung. Ich stehe auf der Liste.«

Vin Diesel im Anzug zückt sein Tablet und schüttelt die Glatze.

»Es tut mir leid. Sie werden hier nicht aufgeführt.«

Ich sehe zu Alex, der kurz davor steht, wieder in den Stress-Modus zu verfallen. Seine Augenbrauen hüpfen regelrecht zusammen, als er den Blick verfinstert.

»Das ist der Ball meiner Großeltern. Löwenstein. Mein Name ist auch Löwenstein. Fällt Ihnen etwas auf?«

Ich will ihn eigentlich beschwichtigen, bevor er Vin Diesel zu einem Autorennen herausfordert, aber noch während ich den Mund aufmache, bleibt jemand vor uns stehen.

»Hat dir deine Oma Hausverbot erteilt? Hast du etwas angestellt, Alexander?«

Ich sehe in ein Gesicht, das ich zum allerersten Mal so perfekt glattrasiert sehe. Er sieht wahnsinnig gut aus, auch wenn ich den Dreitagebart eigentlich liebe. Dass ich so überrascht bin, Theo zu sehen, ist eigentlich dumm von mir. Natürlich ist er hier, ihre Familien kennen sich – gut wahrscheinlich.

»Anscheinend steht mein Name nicht auf der Liste, nur auf dem drei Meter langen Banner über der Tür!«, erklärt Alex genervt. Theo schmunzelt.

»Soll ich deine Mama holen?«, schlägt er vor und klingt gewollt so, als würde er mit einem Kleinkind sprechen. »Sie steht gleich oben vor dem Saal, ich habe gerade erst mit ihr gesprochen.«

Alex knurrt bockig. »Ja, bitte.«

Theo schenkt mir ein schiefes Lächeln, bevor er auf dem Absatz kehrt macht und die Treppe hinauf läuft. Der dunkelblaue Smoking steht ihm so gut, dass meine Libido unter dem Kleid hervorspringen und sich ihm um den Hals werfen möchte. Er ist der Typ für Anzüge, weil sie diesen autoritären Charakterzug, den er zweifelsohne hat, hervorheben. Mir wird mal wieder bewusst, dass ich in ihn verschossen bin. Ich könnte hier problemlos in schmutzigen Fantasien versinken, aber ich muss meine Libido zurück unter das Kleid schieben und sie in der Stelle zwischen meinem Hintern und dem Stoff festpressen – da kommt sie so schnell nicht mehr raus, das ist wie ein Gefängnis.

Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um sich zu wünschen, von Theo schmutzige Anweisungen ins Ohr geknurrt zu bekommen. Ich bin hier, um Alex’ Ruhepol zu spielen, nicht die Sex-Sklavin seines besten Freundes.

Ich muss aufhören, meine Entschlüsse mit erotischen Verboten zu rechtfertigen, das macht mich dummerweise heiß.

»Ist doch irgendwie witzig, oder? Du kommst nicht auf deinen eigenen Ball«, sage ich, während ich mich zu ihm drehe und seine Fliege zurechtzupfe. Ich versuche, Alex zu einem Lächeln zu bewegen, aber er sieht quasi durch mich hindurch.

»Komm schon. Es ist doch wunderschön hier. Das wird ein großartiger Abend. Theo ist hier, ich bin hier, wir haben bestimmt Spaß.«

Er fokussiert mich plötzlich und verzieht die Lippen doch zu einem Grinsen. Auf diese Steilvorlage musste er aber auch anspringen.

»Das klingt, als ob du endlich Bock auf einen Dreier haben würdest«, flüstert er mir zu und beißt sich amüsiert angeheizt auf die Unterlippe. »Damit überspringst du aber eine meiner Nachhilfestunden und legst gleich die Prüfung ab.«

Wir grinsen uns an, dürfen aber natürlich trotzdem nicht scharf aufeinander wirken. Wenn ich Alex durch etwas Dirty Talk fröhlicher machen kann, lasse ich die schmutzigen Fantasien gerne wieder zu. So kann er seinen Unmut über Vin Diesel ignorieren.

»Wenn ihr zärtlich zu mir seid ...«, flüstere ich zurück und zwinkere ihm zu. Ich kann nur so kokett und cool wirken, weil mir bewusst ist, dass ich heute nie und nimmer meinen ersten Dreier haben werde. Abgesehen davon, dass ich glaube, dass Alex das Risiko, erwischt zu werden, nicht eingehen würde, würden es die beiden selbst mit vereinten Kräften nicht schaffen, mir dieses Kleid über die Hüften zu schieben. Das ist physikalisch absolut unmöglich.

»Ach Lena, du machst mich wirklich ...«

»Alexander!«

Alex zuckt mit den Augen, bevor er sich der etwas schrillen Frauenstimme zuwendet, die in der Nähe der Treppe ertönt ist.

»Zack, bum – impotent«, kommentiert er noch leise brummend und wendet sich dann der blonden Frau zu, die auf uns zukommt. Sie trägt ein langes, rotes Kleid mit kleinen funkelnden Steinen darauf.

»Das ist mein Sohn«, ruft Heidi Klum Vin Diesel zu, der uns sofort entschuldigend zunickt.

Ganz schön viel Prominenz hier ...

»Wieso stehe ich nicht auf der Liste?«, fragt Alex seine Mutter und macht eine vorwurfsvolle Geste mit den Händen. Sie macht ihrerseits eine auffordernde Handbewegung und winkt uns zu sich. Wir bekommen noch zwei kleine, rote Schleifenanstecker, damit wir ab jetzt rein- und rausgehen können, ohne nochmal über die Liste zu diskutieren.

Während wir auf Alex’ Mutter zugehen, versuche ich, möglichst sympathisch und freundlich auszusehen, aber ihr Blick ruht im Moment sowieso nur auf ihrem Sohn.

»Es gab offensichtlich ein Kommunikationsproblem. Löwenstein stand nur einmal auf der Liste, was eigentlich heißen sollte, dass alle Familienmitglieder reingelassen werden. Anscheinend sind die Herren von der Security aber geistig überfordert mit dieser Information. Nachdem dein Vater und ich reingekommen sind, haben sie den Namen abgehakt, und er ist von der Liste verschwunden. Dein Bruder hatte dasselbe Problem. Er musste mich aber nicht rufen, um das aufzuklären.«

Okay. Die Security-Leute als dämlich bezeichnen und Alex vorzuwerfen, dass sein Bruder schlauer ist – und das in unter einer Minute. Diese Frau ist keine nette, in die Kamera grinsende Heidi Klum, sondern eher so, wie ich mir die Model-Mama hinter den Kulissen vorstelle.

Außerdem: Wie ist David denn bitte reingekommen? Hat er Vin Diesel verprügelt oder sich an ihm vorbeigeschlichen? Alex hat meiner Meinung nach alles richtig gemacht. Ich lächle trotzdem freundlich, weil ich will, dass sie mich mag. Soziale Normen sind manchmal stumpfsinnig.

»Naja, jetzt bist du ja hier. Spät«, schiebt sie noch schnell einen Tadel in ihren Satz und beginnt, über Alex’ Jackett zu streichen. »Hast du den Anzug in der Reinigung nicht bügeln lassen?«

»Sicher«, entgegnet er und ich kann ihm nicht verübeln, dass er dezent genervt klingt. Natürlich sind da ein paar winzige Falten, aber er saß auch im Auto, wir sind nicht hergeflogen!

»Sie sind Lena?« Dass sie mich plötzlich anspricht, obwohl sie eigentlich noch am Smoking ihres Sohnes herumzupft, macht mich nervös.

Gott im Himmel, bin ich froh, dass ich dieses Cocktailkleid nicht trage! Das mit dem Erschießungskommando wäre noch der mildeste Tod gewesen, den ich sterben hätte können!

»Ja. Lena Relisch, freut mich.«

Ich strecke ihr meine Hand entgegen, die in der Luft hängen bleibt, während sie mich mustert.

Hilfe? Soll ich die Hand wieder runternehmen?! Bloß nicht aufhören zu lächeln, Lena, du stehst diesen absurd merkwürdigen Moment durch! Er kann nicht ewig dauern!

»Erika Löwenstein«, stellt sie sich endlich vor und nickt kurz mit dem Kopf. Jetzt muss ich die Hand wieder runternehmen, ungeschüttelt. Schüttelt man als Frau keine Hände auf Bällen? Adolph Knigge muss doch hier auch irgendwo herumlaufen, oder?

»Begrüß die Freundinnen deiner Großmutter, bevor du in den Saal gehst. Sonst gibt es wieder dasselbe Theater wie letztes Jahr«, weist sie Alex noch an, bevor sie sich umdreht und auf eine Frau in einem unglaublich hässlichen bunten Kleid zuhält. Ich denke zuerst, sie kritisiert sie für diese Modesünde tot, aber sie geben sich Küsschen und machen sich gegenseitig Komplimente.

Ich fühle eine Hand auf meiner Schulter, die sanften Druck ausübt, und mich dazu bringt, mich wieder in Bewegung zu setzen. Als ich zu Alex blicke, zuckt er mit den Schultern.

»Und du hast gedacht, ich bedanke mich zu übertrieben für deine Zusage, mich zu begleiten«, unterstellt er mir amüsiert. »Das beißende Unbehagen, das gerade in dir hochsteigt, nenne ich übrigens unsere „Familienwärme“.« Er grinst. »Willkommen in meiner Welt.«

Östrogen-Überdosis

Alex bietet mir seinen Arm an, und ich hake mich ein. Etwas paralysiert stöckle ich neben ihm her, da mich das Zusammentreffen mit seiner Mutter verunsichert hat. Vielleicht strapaziert diese Veranstaltung ihre Nerven und sie ist nicht immer so – mir fällt kein anderes Wort ein – unsympathisch.

Ich versuche, mich wieder auf das Ambiente zu konzentrieren. Es ist nach wie vor wunderschön hier. Wir schreiten gerade die breite Treppe nach oben, unter uns ein dunkelroter Teppich, über uns eine malerische Glaskuppel.

Alex nickt jedem, dem wir begegnen, freundlich zu und wird dabei von vielen Augenpaaren verliebt angestarrt. Langsam beginne ich, mich wieder wie eine Prinzessin zu fühlen. Eine etwas verwirrte Prinzessin, die gerade ein merkwürdiges Nicht-Händeschütteln hinter sich hat, aber immerhin.

Wir kommen im breiten Flur vor dem Saal an, und mein Prinz winkt eine der Kellnerinnen heran. Er greift sich zwei Gläser Sekt oder Champagner – ich kann das nicht unterscheiden – und sieht das Mädchen im Cocktailkleid eindringlich an.

»Bleib in der Nähe«, flüstert er ihr zu und sie nickt verliebt grinsend. Dass der schöne junge Mann im Smoking das nur zu ihr sagt, weil sie Alkohol herumträgt, streicht sie wahrscheinlich aus ihrem Tagtraum.

Alex reicht mir eines der Gläser und prostet mir zu.

»Hilft gegen das Brennen in der Seele und den Drang, sich über das Geländer zu stürzen.«

Schwarzer Humor wirkt in unangenehmen Situationen wie Medizin. Dass Alex davon zehrt, kommt mir vernünftig vor. Ich würde es nicht anders machen.

»Ich entschuldige mich vorläufig nicht für meine Mutter, sonst hörst du den ganzen Abend nur noch denselben Satz von mir. Am Ende gibt’s ein pauschales „Verzeih mir bitte“ für die ganze Familie und Verhandlungen darüber, was ich dir für diesen Abend schulde. Wahrscheinlich ein Haus. Wohnst du lieber in der Stadt oder auf dem Land?«

Das Schmunzeln tut gut, es lockert die Stimmung auf, aber hier läuft trotzdem etwas falsch. Alex soll nicht mich unterhalten, ich bin hier, weil ich ihm beistehen wollte und das ziehe ich auch durch.

»Das hier ist mit Abstand der schönste Veranstaltungsraum, in dem ich jemals war, und die Leute hier zu beobachten, ist spannender als jede Seifenoper. Du musst dich für gar nichts entschuldigen, ich finde es klasse.«

Er mustert mich ungläubig, aber ich lüge nur ein bisschen. Im Grunde finde ich es wirklich spannend und schön. Dass ich Angst davor habe, nochmal so eine sozial unbehagliche Begegnung wie mit seiner Mutter zu haben, muss er nicht wissen.

»Mit wem ist Theo eigentlich hier?«, frage ich und lasse meinen Blick über die Gäste schweifen. Ich entdecke ihn leider nicht mehr, aber es ist auch ziemlich voll. Alex leert sein Glas und die verliebte Kellnerin fliegt sofort zu uns.

»Ich weiß nicht, wen er gefragt hat. Wahrscheinlich hat er es mir sogar gesagt, aber ich habe es vergessen.«

Dass das Alex nicht so wichtig ist wie mir, liegt auf der Hand. Im Grunde ist es aber egal, wer seine Begleitung ist, ich bin schließlich auch mit jemand anderen hier.

Mann, bin ich heute gut darin, mir selbst etwas vorzulügen ...

Alex leert das zweite Glas Sekt in beachtlicher Geschwindigkeit und seufzt leise. »Auf in den Kampf.«

Ich vermute, dass das heißt, dass wir uns gleich unter die Leute mischen und Smalltalk machen werden. Die Kellnerin will uns hinterher kommen, da sie sieht, dass Alex’ Glas wieder leer ist, aber ich winke sie weg. Ich soll aufpassen, dass er nicht zu viel trinkt, und alles, was mehr als der viertel Liter Sekt wäre, den er sich schon zu Gemüte geführt hat, wäre für die ersten zehn Minuten definitiv zu viel.

Die Gespräche sind oberflächlich nett und mit mehr oder weniger subtiler Neugierde gespickt – alle. Nach dem dritten Mal fühlt es sich so an, als wären wir in einer Zeitschleife gefangen.

Alex wird gefragt, ob ihm das Studium gefällt, wie lange wir schon zusammen sind und ob wir eine Hochzeit im Sommer einer im Frühling vorziehen. Ich werde dabei größtenteils ignoriert, weil ich wohl nur so etwas wie Dekoration mit einem Puls bin.

Kaum machen wir ein paar Schritte von dem älteren Ehepaar weg hin zu drei Botox-Frauen, geht es wieder los. Wie gefällt dir das Studium? Wie lange seid ihr schon zusammen? Und täglich grüßt das Murmeltier ...

Während ich versuche, nicht zu amüsiert schockiert auszusehen, wenn die Frau mit den Schlauchbootlippen lacht, entdecke ich einen dunkelblauen Smoking und ein wunderschönes Profil. Theo steht zehn Meter entfernt und grinst süffisant. Ich will sehen, mit wem er sich gerade unterhält und wer ihm diesen koketten Ausdruck aufs Gesicht zaubert, aber da steht ein absurd dicker Mann im Weg, der mir die Sicht auf seine Begleitung versperrt.

Ein kurzer Blick zu Alex verrät mir, dass er Theo auch entdeckt hat. Während sich die Botox-Schwestern darin übertrumpfen, Alex möglichst beiläufig und doch stetig anzutatschen, versucht er, Blickkontakt mit Theo zu bekommen. Ohne jemanden, der uns rettet, würden wir hier wahrscheinlich den ganzen Abend stehen.

Es entbrennt eine Diskussion darüber, welcher der Löwenstein Brüder seinem Vater am ähnlichsten sieht. Alex hält sich die Hand vor den Mund und beginnt zu husten. Er hat sich nicht am Sekt verschluckt, das ist sowas wie ein Hilferuf. Theo dreht den Kopf auch tatsächlich in unsere Richtung. Er sieht sich ein paar Sekunden grinsend an, wie wir das Geschwätz abnicken, und setzt sich dann in Bewegung.

Der dicke Mann macht auch endlich einen Schritt zur Seite, und ich kann mir das Mädchen ansehen, das Theo stehenlässt, um zu uns zu kommen. Sie hat mir leider den Rücken zugedreht, als sie im Saal verschwindet. Ich erkenne nur, dass sie blond ist und ein pastellblaues Kleid trägt. Vielleicht war das auch seine Schwester.

»Darf ich stören?«

Ich liebe seine Stimme, auch wenn sie dunkel und raunend noch schöner klingt als aufgesetzt freundlich.

Paris Hiltons Großtanten drehen sich nach Theo um und sehen sofort die Gelegenheit, ihre Krallen in den nächsten hübschen Mann zu schlagen.

Pass bloß auf, wo du deine Hände platzierst, Schlauchlippen-Frau!

»Der junge Lorenz-Herbst«, säuselt die Dame mit den langen, tiefroten Nägeln. »Sie sehen Ihrem Vater aber auch zum Verwechseln ähnlich.«

Theo schmunzelt schwach und nickt einmal, ehe er sich Alex und mir zuwendet. »Darf ich euch kurz entführen?«

Ich muss aufpassen, nicht ins Schmachten zu geraten. Von Theo entführt zu werden, war mal einer meiner Sexträume.

»Natürlich. Lassen wir die jungen Leute frei, wir halten Sie schon viel zu lange auf«, sagt eine der Damen, woraufhin die anderen beiden sie kurz anfunkeln, weil sie sich selbst noch für Mitte zwanzig halten – seit zwanzig Jahren.

»Hat mich gefreut«, versichert Alex glaubwürdig und es liegt jetzt für mich auf der Hand, warum er so gut flunkern kann. Lügen ist in seiner Welt überlebensnotwendig, außer man flirtet gerne mit Menschen, die die Eltern der eigenen Eltern sein könnten.

Wir stellen uns ein wenig abseits des Trubels in die Nähe der Catering-Räume. Hier hat man einen guten Überblick, ist aber außer Hörweite. Ein hervorragendes Versteck, ich vermute, wir bleiben eine Zeit lang hier.

Kaum stehen wir, reißt Theo Alex das Sektglas aus der Hand und trinkt es leer.

»Ich hasse es manchmal, dich zu kennen«, knurrt er vorwurfsvoll.

»Du siehst deinem Vater nicht ähnlich – kein Stück«, entgegnet Alex, für mich unzusammenhängend, aber Theo legt die finstere Miene ab. Die beiden wissen, wann sie welche Knöpfe beim anderen drücken müssen. Mir wäre nicht aufgefallen, dass sich Theo an diesem Statement gestört hat. Er schüttelt den Kopf.

»Wie konntest du dich nur von den Golden Girls einfangen lassen? Absoluter Anfängerfehler. Sei froh, dass du Lena im Schlepptau hast, sonst hättest du drei Hände am Hintern gehabt.«

Alex zuckt lachend mit den Schultern und ich verziehe das Gesicht.

»Grapschen die euch wirklich an?«, will ich wissen und halte mein Glas etwas fester, weil ich schon sehe, wie Alex es mit dem Blick fokussiert.

»Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, wenn dich alte, reiche Ladys wie ein Stück Fleisch behandeln«, meint Alex gespielt theatralisch und greift nach meinem Glas. Ich gebe es ihm, aber nur, weil er gerade wie ein armer Junge klingt, dem schon zu oft von alten Frauen auf den Hintern getatscht wurde.

»Das Geschwafel ist schlimmer«, meint Theo und hebt im nächsten Moment die Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. Mein Blick folgt seinem und ich entdecke das blonde Mädchen, das auf uns zuhält. Groß, schlank, hübsch – sie sieht Jula zum Verwechseln ähnlich.

»Hey.«

Okay, es ist Jula. Es hat etwas gedauert, sie zu erkennen, da ich sie bisher noch nie so auffällig geschminkt gesehen habe. Die dunklen Augen stehen ihr unheimlich gut. Sie zwinkert damit.

»Ihr seht schick aus«, sagt sie mit dieser etwas rauen, melodischen Stimme und stellt sich zu Theo. Als Begleitung ist sie eine hervorragende Wahl. Eine junge, gertenschlanke angehende Ärztin mit Haaren aus einer Shampoo-Werbung. Ihre Hand hätte Heidi Klum wahrscheinlich nicht in der Luft hängen lassen.

»Hat Theo dich gezwungen, dir unseren Ball anzutun?«, fragt Alex.

»Ja, ich habe sie an derselben unsichtbaren Leine her geschleift wie du Lena«, entgegnet Theo und zieht die Brauen nach oben.

Jula schüttelt den Kopf. »Stellt euch nicht so an. Das hier ist doch kein Folterkeller. Ich bin gerne hier.«

»Und ich wäre lieber mit dir in einem Folterkeller. Einigen wir uns darauf?«, fragt Theo und schenkt Jula Blicke, die mich eifersüchtig machen könnten. Ich habe meine Gefühle aber unter Kontrolle. Ich bin froh, dass es Jula ist und keine Fremde. Wir sind wohl sowas wie eine Clique, in der jeder die wichtigste und eigentlich einzige Regel kennt. Ohne Liebe kommt so etwas wie Eifersucht nicht auf. Alex hat da ein großartiges Konzept geschaffen. Vollkommen risiko- und fehlerlos ist das Ganze aber natürlich nicht. No risk, no fun ...

Alex stellt die leeren Sektgläser auf einen Servierwagen und wendete sich Theo zu. »Kommst du kurz mit auf die Toilette?«

»Soll ich dir beim Halten helfen, oder was?«, tönt Theo sarkastisch. Alex nickt. »Ja, bitte. Wenn ich mir einen Bruch hebe, wäre der tolle Abend viel zu schnell vorbei.«

»Du wirst von Jahr zu Jahr seltsamer, Löwenstein«, murrt Theo und setzt sich dann doch in Bewegung.

»Wir sind gleich wieder hier«, versichert Alex, bevor sie verschwinden.

Ich bleibe mit Jula im Abseits, weil man von hier aus gefahrlos die Leute beobachten kann.

»Hast du Alex’ Familie schon kennengelernt?«, will sie wissen und steckt mir eine rebellische Haarsträhne fest.

»Nur seine Mutter. Aber ich kenne seine Großeltern von unserem Wochenende im Wald.«

»Ja, Theo hat mir erzählt, dass du Alex’ Freundin spielst.«

Jula schmunzelt. »Das stört ihn.«