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Was wird aus der großen Liebe – wenn man sie gefunden hat? Dieser Roman macht dort weiter, wo andere Bücher enden. Was geschieht, wenn alles in guten und gewohnten Bahnen verläuft? Was ist, wenn man nochmal auf Flügeln der Morgenröte in einen neuen Tag und in ein neues Abenteuer aufbrechen möchte? Die Geschichte von Lars und Lisa wird durch Höhen und Tiefen navigiert. Du wirst als Leser mit den beiden leben, leiden und lieben.
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Seitenzahl: 232
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Die große Liebe – wer wünscht sie sich nicht? Doch eine Ehe ohne Schwierigkeiten – die gibt es nicht. Lars und Lisa sind das Liebespaar über mehrere Romane von Rüdiger Marmulla hinweg. In Lifetime Learning beginnt ihre Liebe als Kinderfreundschaft. In Lars‘ Diary werden die beiden ein Paar und in Beautiful Lights findet diese Liebe ihre Erfüllung. Rüdiger Marmulla, bekannt durch seine einfühlsamen Lebensbeschreibungen, lässt die Leser teilhaben an einer Ehe, die alle Facetten eines normalen Ehelebens widerspiegelt. Der Autor streut medizinische, technische und kulturelle Aspekte in die Hauptgeschichte ein, so dass ein permanenter Lernprozess entsteht. Wer das nicht will, kann dennoch mit den Protagonisten leben, leiden und lieben. Das Buch zeigt, dass Gegenwart und Vergangenheit nicht voneinander zu trennen sind, und es nimmt den Leser in eine mögliche Zukunft mit, in der futuristische Alltagsszenarien und atemberaubende künftige Forschungsfelder skizziert werden.
Ich persönlich lese gerne Romane, in denen die Liebe garantiert ist. Doch das Leben ist anders. Meisterhaft navigiert der Autor die Geschichte durch Höhen und Tiefen. Der christliche Glaube darf wie immer nicht fehlen, und als Leserin spüre ich die psychologische und menschliche Kompetenz des Schriftstellers.
Das Buch tut gut, weil ich mich darin wiederfinde und meine Lebensfragen bearbeitet werden.
Margit Helten, Karlsruhe im Juni 2021
Liebe Lisa,
ich nehme das Ende der Geschichte vorweg. Ich möchte sagen, dass ich das Lieben dem Geliebtwerden vorziehe. Zu lieben hüllt die Welt in ein warmes, wundervolles Licht. Geliebt zu werden kann sehr belastend sein, wenn man keine Gegenliebe aufbringen kann. In diesem Fall mag sich sogar eine innere Leere einstellen, wenn man fühlt, dass da ein Weg ist, den man mitzugehen nicht im Stande ist. So ist es mir willkommener, meinerseits im Liebesrausch keine Ungeschicklichkeit auszulassen, als dass ich umgekehrt einem Menschen erkläre, warum ich nicht wiederliebe.
Und nun bin ich diesen neuen Weg gegangen. Ich wollte noch einmal ganz neu lieben. Und jetzt ist alles anders zwischen uns. Beim Gedanken, Dich verloren zu haben, fühle ich mich einsam. Diese Einsamkeit ist ganz neu in mir. Sie ist stark und überwältigt mich. Wie dumm ich doch war. Ich bin zu spät klug geworden, Lisa. Bitte verzeihe mir.
Ich schaue aus dem Fenster. Hinter uns steht die Sonne noch ganz tief über dem Horizont. Wir kommen über den Osten rein. Ich komme auf den Flügeln der Morgenröte. Ich sehe die Autobahn A3. Die Wälder. Die Ortschaften. Gleich landen wir. Ich will zu Dir. Wirst Du mich empfangen? Und was wird Francis sagen?
Ich stelle diese Seite unserem gemeinsamen Tagebuch voran. Heute ist Donnerstag, der 5. März 2043, Dein einundzwanzigster Geburtstag. Und meine Knie zittern.
Lieber Lars,
ich sah gerade deinen neuen Tagebucheintrag in der Cloud. Eigentlich wollte ich mich auf unserem gemeinsamen Account nicht mehr einloggen. Jetzt habe ich es doch gemacht.
Wir haben uns aus den Augen verloren.
Zu lieben und geliebt zu werden ist das größte Glück der Erde. Mit diesem Glück spielt man nicht. Ich wollte nicht, dass das Ende so kommt, wie es sich jetzt anbahnt. Ich habe noch so viele Gedanken im Kopf. Ich habe noch nichts gesagt. Ich habe noch alles zu sagen.
„Lisa! Das war eine wundervolle Idee von dir, mich zu meinem Geburtstag in die Alte Oper einzuladen. Jetzt bin auch ich endlich volljährig.“ Ich nehme neben ihr in der Mitte des Parketts Platz. Die große Orgel über der Orchesterbühne ist imposant. Die Holztäfelung schenkt dem großen Saal eine warme Atmosphäre. Die Decke des Saals mit ihrem Metallgeflecht wirkt raffiniert. Die Konstruktion muss etwas mit der guten Akustik in der Alten Oper zu tun haben.
In der Hand halte ich das aktuelle Programmheft der Saison Frühjahr/Sommer 2040.
„Lars, gib mir bitte das Programmheft. Ich will sehen, was heute gegeben wird.“ Lisa nimmt das Heft von mir entgegen. „Es beginnt heute mit Claude Debussy. Es wird ‚La Mer‘ gespielt. Dann schließt sich Erik Satie mit ‚Gymnopédies‘ an. Der Konzertabend endet mit Maurice Ravel und der zweiten Suite von ‚Daphnis et Chloé‘. Also die beiden letzten Komponisten kenne ich gar nicht. Ich kenne nur Claude Debussy.“
„Mir sind alle drei unbekannt.“ Ich kratze mich am rechten Ohr. Papa und Heidi gehen gerne in die Alte Oper. Ich hatte sie dazu nie begleitet. „Das ist hier eine ganz neue Welt für mich.“
„Also, Lars – auf keinen Fall darfst du zwischen den einzelnen Sätzen eines Stückes applaudieren.“
„Nicht?“
„Nein. Niemals.“
„Wie weiß ich, wann ein Stück zu Ende ist?“
„Du schaust ins Programmheft und zählst die Sätze mit. Kritisch wird es, wenn zwei Sätze ineinander übergehen. Dann können die zwei Sätze wie ein einzelner Satz wirken. Und wenn du nicht mitzählen möchtest, dann achte einfach darauf, wann der ganze Saal applaudiert.“
„Ja. Das ist mir sympathischer.“ Ich lächele sie an.
Lisa zieht ihre Augenbrauen nach oben. „Die Königsklasse ist natürlich, wenn man die Kompositionen schon kennt und anhand der Musik weiß, wann ein Stück zu Ende ist. ‚La Mer‘ kenne ich gut. Das hören meine Eltern gern zuhause.“
Ich greife nach Lisas Hand. „Schön, dass wir jetzt verheiratet sind und du mit Francis mit mir wohnst. Ich hätte nicht länger warten können.“
Lisa nickt. „Zu mir mussten gleich zwei Männer ‚Ja‘ sagen – du und auch dein Vater. Schließlich brauchtest du seine Einwilligung, weil du vor einem Monat noch minderjährig warst.“
Lachend gebe ich zu: „Du warst mir mit deinem Vierteljahr, das du vor mir geboren bist, immer schon voraus.“
„Klar doch. Die Frau von heute nimmt sich einen jüngeren Mann.“ Lisa hat ein verschmitztes Lächeln um ihren Mund.
Ein Gong ertönt. Die letzten Hörer nehmen Platz. Die hellen Lichter im Saal werden gelöscht. Die Spots bleiben auf die Orchesterbühne gerichtet. Ich denke daran, wie ich vor vielen Jahren mein erstes Konzert mit den Stadtratten in der Festhalle erlebt habe. Hier, in der Alten Oper, ist alles so viel feierlicher und vornehmer. Während Debussy gespielt wird, schaue ich Lisa an. Sie ist so unendlich schön. Ihr Haar. Ich liebe ihr schulterlanges dunkelblondes Haar. Ihre Gesichtszüge. Ich liebe ihre zarten Gesichtszüge. Ihre Gestalt. Ich liebe alles an ihr. Lisa verfolgt das Konzert sehr aufmerksam und bewegt. Ich halte mich streng an Lisas Applaus-Regel.
Das letzte Stück wird gegeben. Es besteht nur aus einem einzigen Satz. Es beginnt ganz leise. Und es baut sich zu einem erhebenden Crescendo auf. Lisa drückt meine Hand ganz fest, während die Musik anschwillt. Der Saal bebt. Es wird wieder sanfter. Lisa flüstert mir ins Ohr: „Das ist wie ein Sonnenaufgang. So schön. So überwältigend. Ich sehe alle Farben der Morgenröte vor mir.“
Ich sehe es Lisa an, dass ihr Herz von nun an für Maurice Ravel schlägt.
Der Konzertabend geht zu Ende. Der Saal wird wieder erhellt und wir gehen nachhause. Auf dem Weg zur S-Bahn schwärmt Lisa: „Ich muss mehr über Maurice Ravel erfahren. Und über Daphnis und Chloé.“
Kaum sind wir in unserer Wohnung im Sonnenring angekommen, schlägt Lisa im Internet den spätantiken Liebesroman nach. Voller Begeisterung liest sie mir vor: „Die Hirtengeschichte von Daphnis und Chloé spielt auf der ägäischen Insel Lesbos. Die zwei wachsen als Findelkinder bei Hirten heran. Ein neues, unbekanntes Gefühl steigt in Chloé auf, als sie Daphnis beim Baden zusieht. Das junge Mädchen spürt das Verlangen, ihn wieder baden zu sehen. Die erotische Spannung zwischen den beiden wird immer stärker – bis Seeräuber die Küste überfallen und Daphnis entführen.“
Ich schaue Lisa an. „Wer hat das Stück geschrieben?“
„Der griechische Schriftsteller Longos. Ach und schau nur – hier. Weißt du wer das Stück über Daphnis und Chloé am meisten verehrte?“
„Johann Wolfgang?“
„Genau, Lars. Woher weißt du das? Wie kamst du auf Goethe?“
„Wir Frankfurter müssen doch zusammenhalten.“ Jetzt lache ich. Da habe ich tatsächlich richtig getroffen.
Lisa setzt wieder an und liest aus der Online-Bibliothek: „In der Trennung von Daphnis erkennt Chloé, dass gegen den Eros kein Mittel hilft – nicht, was getrunken, nicht was eingenommen, nicht was in Zauberliedern ausgesprochen wird. Kein Mittel kann helfen als allein der Kuss, die Umarmung und das Zusammenliegen mit nackten Leibern.“
„Lisa?“
„Ja, Lars?“
„Francis ist bei deinen Eltern. Wir haben die Nacht allein für uns.“
„Ja, Liebling. Lösche das Licht. Heute Nacht sind wir Daphnis und Chloé.“
„Das ist ein wundervoller Samstag. Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne strahlt. Schau nur, Lisa.“ Ich stehe vor dem Wohnzimmerfenster und schaue auf die Frankfurter Skyline.
Lisa stellt sich zu mir. „Was hältst du davon, wenn wir nach dem Frühstück Francis von meinen Eltern abholen und dann einen Ausflug machen.“
„Wohin magst du?“
„Ich war schon lange nicht mehr auf der Saalburg. Wir könnten am Limes entlangwandern. Das kann ein schöner Ausflug werden.“ Lisa nimmt mich in den Arm und gibt mir einen Kuss.
„Wer kann da schon ‚Nein‘ sagen?“
„Du willst?“
„Ja. Aber erst mache ich uns noch ein schönes Frühstück. Ich habe Toast und deine geliebte Ananasmarmelade gekauft. Und frische Milch und Schoko-Flakes.“
„Da kann auch ich nicht ‚Nein‘ sagen, Lars.“
Ich gehe in die Küche und bereite das Essen vor.
Lisa spielt über die Mediathek noch einmal das Musikstück von Maurice Ravel, das wir gestern Abend gehört haben.
Ja. Das klingt wie ein Sonnenaufgang. Jetzt kann ich es mir auch vorstellen.
Während ich die Tafel decke, macht es sich Lisa am Tisch schon einmal gemütlich. Sie schaut mich an. „Du, ich werde nächstes Jahr mein Abitur machen. Durch die Geburt von Francis ist ja einiges nicht so ganz planmäßig verlaufen.“
„Ich unterstütze dich.“
„Ich habe einen Traum, Lars.“
„Ja?“
„Ich möchte Medizin studieren und Ärztin werden, wie mein Vater.“
„Du wirst bestimmt eine gute Ärztin.“ Ich setze mich zu Lisa an den liebevoll gedeckten Frühstückstisch. Ich drücke ihre Hand ganz fest. Dann essen wir.
„Deine Einkünfte aus dem Algorithmus zur Kryptierung von Personen-IDs geben uns eine große Freiheit, zu tun, was wir wollen. Viele träumen davon, ein Leben so frei führen zu können, wie wir das tun.“
„Ich bin glücklich, dich zu unterstützen. Dr. med. Lisa Krönlein. Das klingt irgendwie gut.“
„Mein Traum ist es, Menschen zu helfen und in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen. Mein Vater ist mir da ein Vorbild.“
Ich lächele. „Soll ich uns einen Mietwagen bestellen? Dann holen wir Francis von deinen Eltern ab, und dann geht es in den Taunus.“
„Ja, Lars. Wir werden einen schönen Tag zu dritt haben.“
Der Mietwagen fährt uns zum römischen Kastell und parkt auf dem großen Platz neben der Burg ein. Der Bordcomputer zeigt als Adresse „Jupitersäule“ an. Francis jubelt, als er das Kastell entdeckt.
Während wir zur Pforte der Saalburg laufen, wird mir plötzlich klar, dass ich das letzte Mal hier mit Mama und Papa war, als ich selbst noch ein kleiner Junge war. Das ist eine Ewigkeit her. Und plötzlich vermisse ich Mama. Warum musste sie so früh gehen?
„Lars? Du schaust so traurig. Was ist mit dir?“
„Ich denke an meinen letzten Besuch auf der Saalburg. Das war noch mit meinen beiden Eltern. Ich habe mit einem Mal so große Sehnsucht nach Mama.“
„Lars! Das tut mir leid. Ist es nicht gut, dass wir heute hierher gefahren sind? Damit habe ich nicht gerechnet.“
„Doch, Lisa. Ist schon OK. Es war nur ein kleiner Moment. Es geht schon wieder. Ich bin in Ordnung.“
„Sicher?“
„Ja, Lisa.“
Francis stellt sich zwischen uns und nimmt unsere Hände. Dann zieht er uns zum Eingang der Saalburg. Die große Vorhalle der Principia beeindruckt unseren Francis am meisten. Er schaut mit großen Augen die Halle an. Dann sagt er: „Ich habe Hunger.“Hung
Wir kehren in die Taberna ein. Wir finden noch einen schönen Tisch im Schatten eines großen Sonnenschirms. Ich bestelle eine Centurio-Pfanne, Francis sucht sich eine gebratene Lucanica und Lisa einen Salatteller Agricola aus. Dazu bestellen wir uns eine große Flasche Mineralwasser. Francis‘ Augen wandern über die Zinnen der Burgmauer hinweg.
Da kommt über meinen Messenger eine Nachricht von John Morgan herein: „Hallo Lars. Wir haben hier eine sensationelle Entdeckung gemacht, die ich unbedingt mit ihnen teilen möchte. Melden sie sich doch bitte ab 12 Uhr Ostküstenzeit bei mir.“ Ich lese Lisa die Nachricht vor. In Washington D.C. ist es jetzt früh am Morgen. Vermutlich hat John mit seinem Team die Nacht über diese Entdeckung gemacht. Und nun legt er sich wohl schlafen.
„Das klingt spannend, Lars. Ja, melde dich später bei deinem Professor.“
Unser Essen trifft ein. Francis hat ganz hungrige Augen, als er seine römische Wurst auf dem Teller liegen sieht. Lisa schneidet ihm die Wurst in kleine Stücke. Dazu hat er frisches Brot und einen Salat. Wir alle essen.
Lisa schaut mich an. „Wir könnten nach dem Essen den Limes entlanglaufen. Da gibt es einen schönen Wanderweg. Magst du?“
„Klar.“ Ich zahle und wir brechen auf. Auf dem Wanderweg neben dem nachgebildeten Limes finden wir einen Jägerhochstand. „Da will ich hoch“, ruft Francis. Hinter ihm steige ich die Leiter nach oben, um ihn sicher halten zu können, falls er fällt. Dann folgt Lisa. Auf dem Hochstand setzen wir uns. Ich fühle mich sehr glücklich. Es ist hier vollkommen ruhig, und die Luft ist mild. Ich nehme diesen Moment zufrieden in mich auf.
Nachdem wir wieder zuhause eingetroffen sind, melde ich mich bei John Morgan. Sein Avatar erscheint über meinem Handgelenk. Er sieht gut aus. Ich frage ihn unvermittelt: „Haben sie sich nach einer langen Nacht gut ausgeschlafen?“
„Ja, Lars. Wir haben eine atemberaubende Entdeckung gemacht. Wir werden nächste Woche einen Artikel an das Scientific American senden. Ich wollte sie unbedingt benachrichtigen. Ich will wissen, was sie über alles denken.“
„Schießen sie los.“
„Wir lassen seit einer Woche unseren Quantencomputer eine komplexe rekursive Kryptierung durchführen. Und heute Nacht haben wir eine Entdeckung gemacht, die wir zuerst selbst nicht glauben konnten. Wir haben es wieder und wieder kontrolliert, weil es zunächst so unfassbar war.“
„Ja?“
„Die Uhr im Quantencomputer lief auf zehn Minuten genau fünf Sekunden nach. Wir legten eine andere Uhr neben den Quantencomputer. Die lief ebenfalls auf zehn Minuten fünf Sekunden nach. Wir haben es mit verschiedenen Chronometern vielfach wiederholt.“
„Sie meinen, während der Rechentätigkeit des Computers verlief die Zeit langsamer?“
„Genau, Lars. Und nun fragen wir uns, was das zu bedeuten hat.“
Ich lache. „Vielleicht leben wir ja tatsächlich in einer Simulation, und ihr Computer verbraucht so viel Kapazität, dass für die Welt um ihren Quantencomputer herum weniger Rechenleistung übrigbleibt.“
„Das könnte das Phänomen erklären. Ja, Lars. Könnten sie diesen Gedanken einmal zu Papier bringen? Wir lassen ihre Vorstellungen dann in die Diskussion unserer gemeinsamen Publikation einfließen.“
„Ja, John. – John?“
„Ja?“
„Das ist ein echter Knaller. Wenn das stimmt, dann müssen wir unser ganzes Weltbild überdenken.“
„Richtig. Deshalb dachten wir auch, dass dieser Artikel am besten im Scientific American untergebracht wird.“
„John?“
„Ja?“
„Ich fühle, wir haben die Tür in eine neue Welt eben erst ein Stück weit geöffnet. Ich fühle, da ist noch mehr zu entdecken.“
„Damit könnten sie Recht haben, Lars. Ich sende Montag den Erstentwurf für unser Paper. Und ich warte auf ihre Diskussion.“
Wir beenden die Telekommunikation.
„Du machst so große Augen, Lars. Was hast du mit John besprochen?“
„John hat mit seinem Team einen quantenmechanischen Effekt beobachtet. Er fragte mich nach meiner Einschätzung und Interpretation der Ergebnisse. Und er fragte an, ob ich die Diskussion zu einem Paper schreiben mag, das er im Scientific American platzieren will.“
„Kannst du das von hier aus erledigen? Oder musst du zu John fliegen?“
„Das kann ich selbstverständlich auch von Frankfurt aus leisten. Ich bleibe hier.“
„Dann bleibt unser Sommerurlaub fest eingeplant?“
„Ja, Lisa. Wo magst du hin?“
„Ich habe eine Finka auf Mallorca ausgesucht, die ich gern anmieten würde. Sie ist fernab der Touristenströme im Südosten der Insel.“
„Ich bin einverstanden. Du kannst es fest machen. Das wird unser großer Urlaub, bevor du in den Abiturjahrgang einsteigst. Wann willst du los?“
„Übernächste Woche. Wir bleiben volle drei Woche. Und dann beginnt für mich auch schon wieder die Schule.“
„Gut. Sehr gut, Lisa. Bis dahin haben wir unser Paper fertig geschrieben.“
Die Grenzen zwischen Informatik, Elektrotechnik und Medizin werden überschritten, seitdem Nano-3D-Drucker vitale neuronale Netzwerke nachbilden, die quantenmechanische Rechenprozesse ermöglichen. Mit einem Quantencomputer der zweiten Generation haben wir einen Einfluss des Rechenwerks auf das Raum-Zeit-Kontinuum beobachten können. Ein Artikel von John Morgan, Andrew Williams und Lars Krönlein, Virginia Science & Technology Campus, George Washington University, Washington D.C.
„Lisa, schau nur, unser Abstract ist fertig.“
„Und der restliche Artikel?“
„Der ist selbstverständlich auch schon fertig. Das Abstract schreibt man erst ganz zum Schluss.“
„Und deine Diskussion?“
„Die Diskussion ist das vorletzte, was man zu Papier bringt.“
„Und womit fängt man an?“
„Mit den Messergebnissen. Messergebnisse sind stets der Anfang jeder naturwissenschaftlichen Arbeit. Sie sind das Herz der Arbeit, sie sind das Fundament, auf dem man seine ganze Schrift aufbaut. Man erklärt, wie und unter welchen Bedingungen man seine Beobachtungen gemacht hat. Und in der Diskussion deutet man die Messergebnisse vor dem Hintergrund des bisherigen Wissens.“
Ich sehe Lisas Interesse. „Danke für den Hinweis. Das werde ich sehr gebrauchen können, wenn ich selbst einmal Medizin studiere und vielleicht eine Dissertation schreibe.“
„Dein Vater wird dir da vielleicht auch hier und da unter die Arme greifen.“
„Ja. Und du hoffentlich auch. Das werde ich sicher brauchen können.“
„Urlaubszeit! Das ist jetzt unser Urlaub, Lars!“ Lisa lächelt mich breit an, während wir im Parkhaus neben dem Aeropuerto de Palma de Mallorca in den Mietwagen steigen. Es ist ein offenes Cabriolet. Francis haben wir auf einen Kindersitz im Fond des Wagens gesetzt. Das Fahrzeug fragt mich, ob ich den Wagen steuern möchte, oder ob uns der Bordcomputer an das Ziel unserer Reise führen soll. Ich entscheide mich für den Selbstfahrmodus des Cabriolets. Und schon fährt uns der Wagen aus dem Parkhaus heraus.
„Der Himmel ist hier viel blauer und leuchtender als zuhause, Lisa.“
„Das liegt am Meer. Das Blau des Himmels reflektiert die Farben des Meeres, Lars.“
Francis deutet lachend auf die bunten Windmühlen, die zwischen vereinzelten Palmen am Rand der Schnellstraße nach Manacor an uns vorbeiziehen. In der zweitgrößten Stadt der Insel biegen wir nach rechts in Richtung Calles de Mallorca ab. Die Landstraße wird zunehmend hügelig. Wir passieren Obstplantagen, die von meterhohen Steinmauern auf beiden Seiten der Landstraße eingefasst werden. Dann weist uns ein Schild den Weg nach rechts zur Playa Romantica. Es schließt sich eine kleine Siedlung mit Finkas an. Am Horizont sehen wir im Osten das Meer. Nach Süden schließt sich an die Siedlung das größte Naturschutzgebiet Mallorcas an.
Wir verlassen das Cabriolet und schließen das Tor zum Grundstück auf. Wir öffnen erst die Haustür und dann die vielen sorgsam verschlossenen Fensterläden der Finka. Ich bringe unsere Koffer ins Haus.
„Die Terrasse ist ein Traum. Wir schauen direkt auf das Naturschutzgebiet, Lars.“
Es ist ganz still. Man hört kein Geräusch. Solch eine Ruhe kannte ich bis jetzt gar nicht. Mit einem Mal hören wir das Rascheln von Blättern. Was ist das? „Eine Schildkröte, Papa.“ – Francis deutet mit dem Zeigefinger auf das Tier, das sich seinen Weg durch den Garten bahnt.
Lisa öffnet die Küchenschränke. „Der Vermieter hat für uns eingekauft und alle Schränke gut gefüllt. Jetzt mache ich uns erst einmal einen Kaffee. Und Francis bekommt einen Kakao.“
Francis klatscht vor Freude in die Hände. Dann nimmt er auf einem Schaukelstuhl auf der Terrasse Platz.
Lisa bringt die Getränke auf die Terrasse heraus. Wir setzen uns zu Francis. „Am Nachmittag können wir an den Strand gehen. Wollt ihr?“
„Selbstverständlich.“ Ich nicke und sehe, dass auch unser Junge sich auf den Besuch des Strands freut. „Es ist herrlich. Lisa, das hast du hier gut ausgesucht.“
Liebe Lisa,
es ist heute Morgen noch ganz still im Haus. Du schläfst noch. Und Francis auch. Ich nutze die Zeit, um in unser gemeinsames Tagebuch zu schreiben.
Wir hatten gestern einen wundervollen Tag am Strand. Die Bucht ist auf beiden Seiten von Felsen umgeben. Ich liebe die Gischt, die Luft und Wasser in der Brandung schlagen. Selbst wenn man weit ins Meer hinausgeht, ist das Wasser nicht tief. Das ist gut für unseren kleinen Jungen. Wir haben nach dem Baden sogar eine Sandburg gebaut. Mir ist nicht entgangen, wie du uns mit liebevollen Blicken gefolgt bist.
Gestern Abend kam dann noch eine schwere Nachricht bei dir an. Die Eltern von Brian haben sich bei dir gemeldet. Ich vergesse vollkommen, dass eigentlich Brian der Vater von Francis ist. Für mich ist er unser gemeinsamer Sohn. Und so wird es auch immer bleiben.
Brians Eltern haben vor vier Wochen erfahren, dass ihr Sohn mit einem Oldtimer über den Santa Monica Boulevard zum Ocean Drive gefahren ist. Er parkte den Wagen so, dass er den Pazifik sehen konnte. Und dort hat er dann eine Überdosis Vital Kick genommen. Zwei Beamte vom hiesigen Police Department haben ihn bewusstlos aufgefunden. Er hatte bereits nicht mehr geatmet, als sie ihn antrafen. Sie leisteten Erste Hilfe und reanimierten ihn. Brian kam ins Krankenhaus. Dort stellte man fest, dass er sich übergeben hatte und Erbrochenes in seine Lunge gelangt war. Durch den Sauerstoffmangel hat er einen Hirnschaden erlitten. Jetzt hat er ein Locked-In-Syndrom. Er blickt aus seinen Augen, kann sich aber nicht bewegen. Brian kann noch nicht einmal sprechen. Er wird über eine Magensonde ernährt und muss gewindelt werden. Das Pflegepersonal muss ihn mehrfach am Tag in seinem Bett wenden, damit er keine Geschwüre vom Liegen bekommt. Die Ärzte haben gesagt, dass sie nichts mehr für Brian tun können, und dass er entweder in ein Pflegeheim müsste oder seine Eltern ihn nachhause nehmen könnten. Robert und Kate entschlossen sich, Brian zu sich nachhause zu nehmen. Sie haben zwei Pflegekräfte engagiert.
Kate sprach direkt mit Lisa. Sie weinte. Kate sagte, sie schaue ihren Sohn an und wisse nicht, ob er versteht, was sie zu ihm sagt. Seine Augen starrten ganz leer in den Raum.
Du hattest keine tröstenden Worte, als du all das von Kate und Robert erfahren hattest. Ich fühlte, wie schwer das dein Herz machte.
Ich nahm dich nach dem Gespräch in den Arm.
Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass Brian ein sportlicher, schöner junger Mann war. Dieses Vital Kick hat ihn zugrunde gerichtet. Es ist ein furchtbares Zeug. Drogen sind furchtbar.
Lisa, ich bin immer für dich da. Ich tröste dich.
Lieber Lars,
schon vor dem Aufstehen entdeckte ich deinen Tagebucheintrag in unserer Cloud. Danke, dass du für mich da bist, mich trägst und tröstest.
Als wir gestern hier ankamen, war alles so leicht. Das Leben war so ganz ohne jede Schwere. Die Nachricht von Kate und Robert hat das alles schlagartig verändert.
Brian hat sich damals gegen mich und Francis und für die Drogen entschieden. Wie sehr habe ich um ihn gekämpft, doch ich habe ihn nicht retten können.
Schon damals warst du immer an meiner Seite. Du hast mich nie fallen lassen. Du bist mein Mann. Und du bist Francis ein wunderbarer Vater. Lars, ich kann gar nicht in Worte fassen, wie dankbar ich dir bin.
Jetzt höre ich, dass du den Frühstückstisch auf der Terrasse vorbereitest. Ich stehe auf. Ich komme zu dir.
Ein neuer Morgen. Ein neuer Tag. Ich decke auf der Terrasse den Frühstückstisch für uns drei. In dem kleinen Laden, der zum Strand hin steht, habe ich frisches Brot gekauft. Und Marmelade, Käse und Orangensaft. Der gedeckte Tisch sieht gut aus. Ich warte auf Lisa und Francis. Unser Kleiner erscheint zuerst.
Ein Teil des Gartens ist schon in das morgendliche Licht getaucht. Es ist noch angenehm frisch. Lisa kommt jetzt auch auf die Terrasse. Sie hat sich eine Strickjacke übergezogen. „Guten Morgen, Liebling.“
„Guten Morgen, Lisa. Lass uns essen. Und dann habe ich einen schönen Vorschlag.“
„Du machst mich neugierig.“
„Wir können einen Ausflug nach Valldemossa machen. Der Ort liegt in über vierhundert Metern Höhe im Nordwesten der Insel. Es soll dort aussehen wie im Tessin.“
„Du warst mit deinen Eltern immer gern in Ascona, ich weiß.“
„Also, wir fahren nach Valldemossa, und am Nachmittag können wir nach Port de Sóller weiterfahren. Dort ist ein schöner Hafen.“
„Schiffe!“, ruft Francis aus.
„Ich sehe schon, du hast den Tag schön geplant. Das machen wir.“ Lisa greift nach meiner Hand, die auf dem Tisch liegt.
„Lisa, ich räume alles zurück in die Küche. Und dann fahren wir los.“
Kurz darauf sitzen wir drei im Cabriolet und fahren zurück in Richtung Manacor, dann in Richtung Palma. In Höhe des Flughafens geht es in den Norden. Es wird bergig. Die Landschaft wirkt tatsächlich wie in der Schweiz. Und auch die Häuser wirken so. Ich schaue meine kleine Familie an. Die beiden lieben den Ausflug auch. Nach einer letzten scharfen Linkskurve geht es in den Ort hinein. Das Cabriolet sucht sich einen freien Parkplatz im Zentrum der Stadt.
„Frédéric Chopin hat hier in Valldemossa einmal einen Winter verlebt und hat hier auch viel komponiert, Lisa.“
– „Ja. Chopin. Ich liebe seine Préludes.“
„Ich weiß, Lisa.“
„Ich fühle mich phantastisch. Das ist ein wundervoller Tag heute, Lars.“
In einem Restaurant in der Fußgängerzone kehren wir ein und essen einen Salat und trinken ein Wasser. Francis bekommt auch ein Eis.
Mit unserem Auto fahren wir weiter über eine Bergstraße, die einen atemberaubenden Blick auf das Meer freigibt. Viele Serpentinen bestimmen die hoch gelegene Straße, die nach und nach auf das Meeresniveau hinabführt. Dann treffen wir in Port de Sóller ein. Als erstes fällt uns eine klassische Holzstraßenbahn auf, die am Ufer entlangfährt. Wir finden ein schönes Restaurant mit Blick auf den Hafen und bestellen uns Pasta.
„Papa, das ist toll hier. Und die vielen Schiffe…“, Francis lächelt mich an. Und ich streichele sein Haar. Mir entgeht nicht, wie liebevoll Lisa mich und Francis anschaut.
Mein Messenger am Handgelenk flasht. Ich nehme das Gespräch entgegen, und sofort erscheint Johns Avatar ganz vertraut als Hologramm über meinem Handgelenk. Ich frage ihn gleich nach unserer Publikation.
John stockt. Dann antwortet er zögerlich. „Unser Paper liegt noch zum Peer Review bei einem Gutachter, den Scientific American hinzugezogen hat.
„Dann wird die Welt noch ein Paar Tage auf unsere Entdeckung warten müssen, John.“
„Eine New Yorker Arbeitsgruppe hat eine Publikation in Nature veröffentlicht. Sie erschien gestern. Sie beschreibt Ergebnisse, die mit unseren Beobachtungen identisch sind, Lars.“
„Da haben sie zeitgleich mit uns geforscht?“
„Ja. Offensichtlich.“
„Dann bekommen wir also nicht den Ruhm für die Erstentdeckung dieses quantenmechanischen Phänomens?“
„Nein, Lars. Die Trophäe geht an McCarthys Arbeitsgruppe in New York.“
„Wird Scientific American unseren Artikel dann überhaupt noch drucken?“
„Ich kann es nicht sagen. Die Messergebnisse und auch die Diskussion sind unserem Paper zu ähnlich, glaube ich. Es kann sein, dass unsere Arbeit unveröffentlicht bleibt. Aber ich frage nochmal bei Scientific American nach. Ich melde mich wieder.“
Wir beenden das Gespräch.
Lisa schaut mich an. „Das klingt jetzt aber gar nicht gut. Kann man in Erfahrung bringen, bei wem euer Paper zum Peer Review auf dem Tisch liegt und versauert?“
„Peer Reviewer sind immer das bestgehütete Geheimnis der Journals. Die Editors-in-Chief geben keine Namen preis. Da kann man nichts machen. Wir werden es nicht erfahren.“ Ich schaue auf die Abendsonne, die sich hinter dem Bergrücken senkt. „Alle Ehre, aller Ruhm gehen jetzt nach New York.“
„Das tut mir leid, Lars.“
Liebe Lisa,
unser schöner Sommerurlaub auf Mallorca ist zu Ende, und wir sind jetzt auf dem Rückflug nach Frankfurt. Es war eine wundervolle Zeit mit dir und Francis. Nächste Woche geht für dich die Schule los. Und ich werde alles tun, um dir das Lernen leicht zu machen. Und wenn alles gut geht, dann bekommst du schon im nächsten Jahr zum Wintersemester 2041/2042 einen Studienplatz in Medizin.
Ich fühle mich als Hausmann ganz gut. Und ich werde dazu auch das Kochen lernen. Ich werde dich richtig verwöhnen, du wirst schon sehen.
Lisa, ich liebe dich über alles.