Lifetime Learning - Rüdiger Marmulla - E-Book

Lifetime Learning E-Book

Rüdiger Marmulla

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Beschreibung

Niemand will ungebetene Ratschläge, Tipps oder Hinweise. Auch das Lesen von Ratgeberbüchern hängt uns schon zum Hals raus. Umso mehr überrascht die 10 sichere Tipps-Tetralogie von Rüdiger Marmulla mit ihrem Humor, der selbstironisch unsere Lebenswelt hinterfragt. Einiges ist aktuell, anderes völlig überzogen. Dennoch finden wir Leser uns darin wieder. Genüsslich kann man die vier Bände mit ihren Kapiteln einzeln oder auf einen Rutsch lesen. Der Autor richtet seinen liebevollen Blick auf die Hauptanliegen in unserem Leben: Liebe, Familie und Sinn. Der Held dieser Bücher, Stephan Krönlein, ist mir beim Lesen so ans Herz gewachsen, dass ich es schade finde, nach dem letzten Band wieder alleine dazustehen. Ich werde ihn vermissen.

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Seitenzahl: 279

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Charaktere und Ereignisse in diesem Buch sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit wirklichen Personen, seien sie lebendig oder verstorben, ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Texte: © Copyright 2020-2025 by Rüdiger Marmulla

2. Auflage 2025

Umschlaggestaltung: © Copyright 2025 by Rüdiger Marmulla mit der Unterstützung von Apple Intelligence / PlaygroundAI

Verlag:Rüdiger Marmulla, Gartenstraße 153, D-63263 Neu-Isenburg

https://marmulla.com

Herstellung:epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Vorwort

Niemand will ungebetene Ratschläge, Tipps oder Hinweise.

Auch das Lesen von Ratgeberbüchern hängt uns schon zum Hals raus.

Umso mehr überrascht die 10 sichere Tipps-Tetralogie von Rüdiger Marmulla mit ihrem Humor, der selbstironisch unsere Lebenswelt hinterfragt.

Einiges ist aktuell, anderes völlig überzogen. Dennoch finden wir Leser uns darin wieder.

Genüsslich kann man die vier Bände mit ihren Kapiteln einzeln oder auf einen Rutsch lesen.

Der Autor richtet seinen liebevollen Blick auf die Hauptanliegen in unserem Leben: Liebe, Familie und Sinn.

Der Held dieser Bücher, Stephan Krönlein, ist mir beim Lesen so ans Herz gewachsen, dass ich es schade finde, nach dem letzten Band wieder alleine dazustehen.

Ich werde ihn vermissen.

Margit Helten, Karlsruhe

Erstes Buch:The Dating Coach

Erstkontakt

Warteschleifenmusik. Vielleicht lege ich wieder auf. Zehn Minuten sind mehr, als ich ertragen kann. Halt. Jetzt ein Klingelzeichen. Jemand nimmt ab.

„Guten Tag. Mein Name ist Krönlein. Bin ich da bei The Dating Coach? ... Ja, ich möchte ein verbindliches Angebot ... Auf ihrer Webseite einloggen und das Consulting-Paket online zusammenstellen? Oh, können wir das auch telefonisch machen? ... Ja, ich verstehe, nur ausnahmsweise. Haben sie vielen Dank ... Nein, ich suche keinen Mann, ich suche eine Frau ... Sie empfehlen mir eine Frau als Coach? Ja, wie sie meinen ... Oh, die Kontaktanzeige habe ich schon geschrieben und veröffentlicht ... Da habe ich am falschen Ende gespart? ... Ja, wollen sie meine Kontaktanzeige hören? Moment. Hier ist sie:

‚Guten Tag. Ich suche Sie zum Kennenlernen oder was sich so ergibt. Ich bin 51 und aus Mannheim.‘

... Nicht gut? ... Sie brauchen einen Steckbrief von mir und schreiben eine neue Anzeige? Was wird das kosten? ... Im Paketpreis ist die Anzeige enthalten? Gut. Aber was kommt da finanziell auf mich zu? ... Eine Typberatung? Ich weiß nicht so recht ... 515 €? Oh. Sind da die neuen Klamotten schon dabei? ... Nein? Dann nehmen wir das besser nicht mit ins Paket ... Sie beraten mich individuell anhand jeder Antwort auf meine Kontaktanzeige? Ja, das klingt gut ... Anzeige im Paket plus 80 € pro Date-Beratung. Gut. So machen wir das ... Ich bekomme jetzt eine Kundennummer ... Moment, ich nehme mir gerade was zu schreiben ... Krönlein. Mein Name ist Stephan Krönlein. Stephan mit ‚ph‘ – nicht mit ‚f‘ ... Mit der Kundennummer auf ihrer Internetseite einloggen, den Vertrag bestätigen, den Steckbrief ausfüllen und ein aktuelles Foto hochladen. Ich habe verstanden. Ja. Danke. Auf Wiederhören.“

Jetzt bin ich doch wieder auf der Webseite gelandet. Heute geht einfach nichts mehr ohne das Internet. Kunden-Login. Die Nummer. Hier ist sie: S5929. Gut, ich bin schon als Kunde aufgenommen worden. Der Vertrag ist schon angelegt. Ich muss nur noch zustimmen und meine Kontodaten eingeben. Das war jetzt einfacher, als ich dachte. Dann kümmere ich mich als nächstes um den Steckbrief und das Foto.

Steckbrief

Alter: 51.

Größe: 1 Meter 86.

Gewicht: 80 kg.

Behinderung: keine.

Konfession: Evangelisch.

Zivilstand: Ledig.

Anzahl der Kinder: keine.

Staatsangehörigkeit: Deutsch.

Ausbildung: Gymnasium, Technische Universität.

Erlernter Beruf: Mathematiker.

Ausgeübte Tätigkeit: Versicherungsmathematiker.

Markieren Sie zehn Merkmale, die auf Sie zutreffen. Da ist eine Liste mit 54 Merkmalen. Mal sehen. Ich nehme diese: Ruhig, analytisch, sparsam, diszipliniert, optimistisch, natürlich, naturverbunden, ordentlich, introvertiert, freundlich.

Nennen Sie Ihre besonderen Interessen: Sterblichkeitsstatistik, Einschätzung des Versicherungsrisikos.

Ach nein, ich glaube, da wird nicht nach meinen beruflichen sondern nach meinen privaten Interessen gefragt. Was schreibe ich da? Spazieren gehen und Fahrrad fahren.

Leiden Sie an seelischen Störungen oder Süchten? Nein.

Rauchen Sie? Nein.

Was empfinden Sie als Ihre hauptsächlichen Stärken? Verlässlichkeit und Treue.

Was empfinden Sie als Ihre hauptsächlichen Schwächen? Ich weiß nicht. Muss ich das ausfüllen? Ich lasse es offen.

Was könnten Sie an Ihrer Partnerin nicht akzeptieren? Ich weiß nicht. Das lasse ich auch offen.

Beschreiben Sie Ihre Partnerin in Stichworten. Freundlich, aufgeschlossen, ehrlich. Ich denke, das reicht.

Zum Schluss noch das Foto. Hier ist eins von meinem letzten Urlaub in Ascona. Ein Selfie mit dem Lago Maggiore im Hintergrund. Sehr gut.

Jetzt lade ich alles hoch. Und dann wollen wir sehen, was kommt.

Die Kontaktanzeige

Da ist eine neue Nachricht von The Dating Coach. Das ist die Kontaktanzeige. Die waren aber schnell.

„Für schöne gemeinsame Stunden oder auch ein gemeinsames Leben wünsche ich mir eine Partnerin, die sich auf einen 51jährigen, vielseitig interessierten und zuverlässigen Mann einlassen möchte. Wir könnten uns viel Zeit lassen, uns kennenzulernen, ohne Verpflichtungen.“

Auf meine erste Kontaktanzeige hin hat sich niemand gemeldet. Mal sehen, wie es mit diesem Text läuft. Ich schicke ihn gleich an den Mannheimer Morgen. Meine Anzeige erscheint dann sowohl in der Printausgabe als auch im Onlineportal. Klick. Abgeschickt.

Ich könnte jetzt spazieren gehen. Ich schließe das Fenster meines Einzimmerappartements. Ich gehe los. Ich gehe an der Blumeninsel des Gontardplatzes vorbei, weiter entlang der Gontardstraße in Richtung Rhein. Vorbei am Spielplatz. Vorbei am Fußballplatz. Durch die Parkanlage auf den Weg am Flussufer. Ich könnte heute zum Hafen laufen.

Ein Schiff kämpft sich flussaufwärts gegen den Strom. Ich sehe auf der anderen Rheinseite Ludwigshafen. Es ist ein trüber Februarsamstag. Ich könnte mich mal wieder mit Matthias treffen. Zum Essen und Unterhalten.

Ich komme bei den Lagerhallen an. Kein Mensch weit und breit. Es wird dunkel.

Ich gehe wieder nachhause.

Erste Antwort

Mein Laptop steht noch aufgeklappt auf dem Esstisch. Mal sehen. Ja. Da ist schon eine Antwort. Ich glaube, mit dieser Kontaktanzeige läuft es besser.

„Hausfrau, vollbusig, fraulich mit Lust, will mit Dir gemeinsame Abende verbringen.“

Ich weiß nicht.

Ich leite die Antwort mal an The Dating Coach weiter. Am Montag bekomme ich vielleicht eine Rückmeldung von meiner Kontakt-Agentin.

In der Küche mache ich mir mein Abendbrot. Küche ist zu viel gesagt. Es ist eine Kochecke im Eingangsbereich des Einzimmerappartements. Heute Abend könnte ich mir ein Leberwurstbrot machen. Und einen Tee.

Ich setze mich an den Esstisch im Wohnraum. Eine Antwort. Meine Kontakt-Agentin hat mir schon geschrieben. Schon heute Abend.

„Wenn Sie jemanden für ein gemeinsames Leben suchen, dann ist das definitiv nicht die richtige Partnerin.“

Ich schreibe sofort zurück: „Warum?“

„Die Dame will nicht reden. Und wenn Sie Pech haben, dann will sie auch noch Geld für ihre gemeinsamen Stunden.“

Nein. Das will ich nicht. Ich lösche die erste Antwort auf meine Kontaktanzeige. Vielleicht kommt ja noch etwas anderes.

Zweite Antwort

„Sie 45/165, blond, schlank, liebevoll und attraktiv, möchte sich gern so richtig in Dich verlieben. Sternzeichen Zwilling. Trau Dich und schreibe zurück.“

Das sieht besser aus. Ach, du meine Güte. Was mache ich jetzt? Ich leite die Nachricht wieder an meine Kontakt-Agentin weiter. Ich fühle mich nervös.

Die Antwort kommt sehr schnell. Samstagabend 21.00 Uhr. The Dating Coach arbeitet noch so spät?

„Vereinbaren Sie einen Termin. Brauchen Sie noch irgendwelche Hilfe? Viel Glück.“

Ich könnte mich morgen mit der Frau auf den Rheinterrassen treffen. Was ziehe ich an? Mittagessen oder Kaffeetrinken mit Kuchen? Und was soll ich sagen? Ich schaue von meinem Laptop auf. Das Reden ist das größte Problem. Wenn ich etwas Dummes sage, dann gibt es kein zweites Date. Ich frage einfach bei meiner Agentin an. Vielleicht hat sie einen Tipp:

„Ich weiß nicht, wie ich das Gespräch anfangen soll. Haben Sie einen Tipp? Was soll ich fragen? ‚Was machst du so in deiner Freizeit?‘ Oder was? Und was soll ich über mich sagen?“

Klick. Abgeschickt.

„Die Frau steht auf Sterne. Beginnen Sie das Gespräch mit diesem Satz: ‚Unter den Sternen bin ich zuhause.‘ Das klingt gut und ist romantisch.“

Ich schreibe meinem ersten Date. Sehen wir uns schon morgen?

Mein erstes Date

In einer Mischung aus Mut und Verzweiflung laufe ich zu den Rheinterrassen. Sonntagnachmittag. Wir haben uns zum Kaffeetrinken verabredet. Zwei Sonnenbrillen sind unser Erkennungszeichen. Bei diesem trüben Februarwetter hat garantiert kein vernünftiger Mensch eine Sonnenbrille dabei.

Ich nehme drinnen im Restaurant Platz. Zum Glück finde ich noch einen Tisch mit zwei Plätzen. Ich habe nicht reserviert, und das Restaurant ist gut besucht.

Sie kommt. Das muss sie sein. Sie trägt die Sonnenbrille nach oben geschoben im Haar.

„Susanne?“

„Ja. Du bist Stephan?“

Ich nicke.

Sie legt ihren Schal und Mantel ab und nimmt Platz.

Nun sitze ich meinem Date gegenüber. Freundlich sieht sie aus. Susanne. Es ist die erste Susanne, die ich in meinem Leben kennenlerne. Ihre Augen sind wach und aufmerksam. Wie kann ich nur anfangen? Ich will sie nicht langweilen. Ich will, dass sie auch nach meinem ersten Satz noch diesen gespannten Blick in ihren Augen bewahrt.

Ich denke an den Rat von The Dating Coach. „Unter den Sternen bin ich zuhause“, lege ich los. Zu spät. Der Satz ist schon draußen. Ich hätte wirklich einen originelleren Einfall haben können.

Fragend schaut mich Susanne an. Dann ihr Satz: „Hast du kein Zuhause?“

– Wie komme ich da jetzt wieder raus? Meine Dating-Agentin hat gesagt, dass der Satz funktioniert. Nur bei mir funktioniert er nicht.

Schweigen. Dann ein Lachen. Susanne lacht. Sie hat mich beim Aufschneiden ertappt.

Jetzt hilft nur eins. Flucht nach vorn. Von meinem Dating-Coach sollte ich besser nichts sagen. „Ich hatte den Satz einmal gehört. In einem Film. Und es war der Einstieg in ein wunderbares Gespräch...“

Susanne schüttelt den Kopf. Sie ist sehr natürlich: „Der Anfang für ein wunderbares Gespräch könnte sein, dass du von dir erzählst. Wer bist du? Was interessiert dich? Wofür schlägt dein Herz? Das könnte ein Anfang werden.“

Ich spüre, ich habe trotz des schlechten Einstiegs noch eine Chance. Gut. In der Zwischenzeit kommen unsere zwei Kaffees. Wir trinken. Ich schalte einen Gang runter. Dann gebe ich zu: „Ich wollte die dunkle Jahreszeit nicht allein verbringen. Und den Frühling auch nicht.“

Nochmal schüttelt Susanne den Kopf. Diesmal schaut sie ernst: „Das ist nicht genug.“ Ihre Tasse ist noch halbvoll. Dennoch legt sie ihren Schal um und greift nach ihrem Mantel. Die Sonnenbrille, die sie auf dem Tisch abgelegt hatte, packt sie in ihre Handtasche.

Ich habe keine Übung. Ich glaube, beim nächsten Date sollte ich etwas bescheidener beginnen.

Mein Coach

„Das ging voll in die Hose. Haben sie nicht einen besseren Vorschlag für eine Eröffnung des Gesprächs?“

Ich sende meine Frage über das Portal meiner Agentur. Da kommt schon die Antwort. Die sind wirklich flott:

„Das hängt von der Antwort auf Ihre Kontaktanzeige ab. Haben Sie noch eine weitere Antwort bekommen?“

Ich tippe auf die Tasten. Ja. Hier ist noch eine weitere Rückmeldung:

„Sie, 43 Jahre, 1,65 m, schlank, sportlich, berufstätig, Nichtraucherin, sucht auch einen ehrlichen, treuen, gepflegten Ihn, Nichtraucher, zum Aufbau einer festen Beziehung. Ihre Anzeige hat mich sehr angesprochen.“

Ich füge an: „Das mit dem Eröffnungssatz ist wirklich gut. Er muss nur passen.“

Kurz danach kommt die Antwort auf meinen Laptop:

„Sie hatten Pech. Normalerweise funktionieren unsere Tipps todsicher.“

Todsicher? Damit kenne ich mich als Versicherungsmathematiker gut aus. Naja. Sicher würde mir schon genügen. Ich schreibe zurück: „Wie soll ich dieses Mal einsteigen?“

„Die Schlagzeile in der Bildzeitung heute Morgen hat mir gar nicht gefallen.“

OK. Let’s go.

Date #2

Wir haben unser Date im Café des Schwetzinger Schlossparks. Ich zahle mein Ticket, ich gehe durch das große Schlosstor, halte mich nach rechts und bin nach wenigen Schritten im Café. Die Gartenanlage wirkt in dieser Jahreszeit recht trist.

Erkennungszeichen: Elisabeth wählte eine rote Rose. Na gut. Sie liegt auf dem Tisch. Die Rose. Ich warte. Das muss sie sein. Die Frau kommt direkt auf meinen Tisch zu. „Elisabeth?“

„Stephan?“

„Ja. Nimm doch Platz.“

Sie legt ihren Mantel ab und hängt ihn auf einen Kleiderbügel an der Garderobe. Dann kehrt sie zu unserem Tisch zurück. „Hast du schon bestellt?“

„Nein. Ich habe gewartet. Was darf ich für dich bestellen?“ Mir fällt ihr freundliches Lächeln auf.

„Ich nehme einen doppelten Espresso.“ Sie streift die Ärmel ihres Pullovers nach oben. Ihr scheint warm zu sein.

„Eine Torte?“

„Nein. Bitte nicht. Ich achte auf meine Linie.“

Stimmt. Schlank und sportlich hatte sie geschrieben. Wir sitzen uns schweigend gegenüber. Zum Glück habe ich meinen Satz von meiner Kontakt-Agentin: „Die Schlagzeile in der Bildzeitung heute Morgen hat mir gar nicht gefallen.“

Elisabeth rückt ihren Stuhl zurecht. „Die Bildzeitung? Heute Morgen? Was stand denn da als Schlagzeile?“

Oh. Mit dieser Wendung habe ich nicht gerechnet. Ich lese die Bildzeitung gar nicht. Grundsätzlich. Was sage ich jetzt? Wie komme ich aus der Nummer wieder raus? „Naja, ich meine mehr das Bild zur Schlagzeile...“

„Was für ein Bild?“ Elisabeth legt die Stirn in Falten und wendet den Kopf leicht zur Seite. Ihre Augen fixieren mich dennoch.

„Naja, dieses Bild ... es war so komplex ... ich meine dieses komplexe Bild auf der Titelseite.“ Ich glaube, ich werde gerade rot.

„Komplex? Ein komplexes Bild in der Bildzeitung? Ich lese die Bildzeitung gar nicht. Grundsätzlich. Was soll ich dazu sagen?“

Hilfe. Was mache ich? Da kommen unsere Espressos. Ohne Torte. Gerettet. „Danke“, sage ich zur Dame, die uns bedient.

„Wo stehst du denn politisch?“ Elisabeth führt die Tasse zum Mund und mustert mich genau.

„Die Mitte. Ich wähle die Mitte. Ich bin für die Partei der politischen Mitte“, stottere ich.

„Welche Partei meinst du denn da genau? Die sagen doch alle von sich, dass sie die Mitte sind – bis auf die Linken. Die stehen dazu, dass sie links sind.“

Glatteis. Glatteis. Was sage ich? „CDU...?“. sage ich – und das klingt mehr wie eine Frage als wie eine Antwort.

„Ich bin links. Richtig links.“ Meine Dating-Partnerin stellt die Espresso-Tasse wieder ab.

Jetzt lache ich: „Eine rote Socke?“

„Lieber eine rote Socke sein, als ein Gespräch führen, das sich wie eingeschlafene Füße anfühlt.“ Sie verzieht ihren Mund.

Moment. Eingeschlafene Füße. Da habe ich erst vor kurzem etwas in der Apothekenrundschau gelesen: „In der Regel wachen deine Füße innerhalb von Sekunden von alleine wieder auf, sobald die Blutzirkulation wieder ungehindert funktioniert.“

„Hier zirkuliert überhaupt nichts. Weder in den Füßen noch im Kopf. Ich zahle meinen Espresso selbst.“ Sehr forsch steht sie von ihrem Platz auf.

Ich sage nichts.

Sie geht.

Beratung

„Hat sich ein Gespräch entwickelt, ausgehend von der Eingangsfrage, die ich Ihnen geschickt habe?“

Mein Laptop zeigt die Rückfrage meiner Agentin bei The Dating Coach an. Ich tippe meine Antwort ein: „Ja. Es gab ein kurzes Gespräch. Aber Sie hätten mir schon noch den Tipp geben können, auch die Bildzeitungstitelseite zu lesen.“

„Ja. Haben Sie sich nicht informiert?“

Das ist mir jetzt peinlich. Ich antworte einfach nicht. Hier ist eine neue Reaktion auf meine Kontaktanzeige. Ich schicke sie mal an meine Agentin:

„Ich, Margitta, bin 43 Jahre, verwitwet und sehr einsam, ich habe eine schlanke Figur mit schöner Oberweite. Ich habe Ihre Anzeige mit Interesse gelesen. Ich bin aus Heidelberg. Ich würde für Sie sorgen, Ihnen Ihr Lieblingsessen kochen und Sie zärtlich verwöhnen. Bitte schreiben Sie zurück.“

Jetzt brauche ich nur noch meinen Eröffnungssatz. Ich warte.

„Ich bin ein Frauenversteher.“

Sehr gut. Welche Frau wünscht sich das nicht? Ich sage dem Date zu. Treffpunkt: Heidelberger Schloss, vor dem Apothekenmuseum.

Date #3

Ich laufe den Weg von der Altstadt hoch zum Heidelberger Schloss. Der Weg ist sehr steil. Ich sollte langsamer laufen, um nicht außer Atem zu kommen. Im Schlosshof stelle ich mich vor den Eingang zum Apothekenmuseum.

Erkennungszeichen: eine Rhein-Neckar-Zeitung, zusammengerollt in der rechten Hand – mit lesbarem Titelschriftzug.

Verschiedene Paare gehen an mir vorbei. Auch einzelne Frauen. Da. Da kommt eine Frau mit Zeitung. Zusammengerollt. Rhein-Neckar... kann ich gerade so lesen. Das muss sie sein. ich spreche sie an: „Margitta?“

„Stephan?“

Wir reichen uns die Hand.

Sie eröffnet das Gespräch: „Ich wohne schon so lange in Heidelberg, doch ich war noch kein einziges Mal hier oben auf dem Schloss. Das ist wie mit den Parisern, die zeitlebens nie auf dem Eiffelturm waren. Ich würde gern einmal über die Burganlage laufen und den Blick auf den Neckar genießen. Oder magst du lieber zuerst in das Apothekenmuseum?“

Ich schaue sie an. Meine Rhein-Neckar-Zeitung entsorge ich in der nächsten Mülltonne. „Ich bin einverstanden.“

Wir gehen zur Terrasse, stellen uns an die Brüstung und schauen auf die Altstadt. Die Heiliggeistkirche ist gut zu sehen. Auch die alte Brücke mit dem Tor und den zwei Türmen.

„Wer bist du? Ich habe ja von dir die Anzeige gelesen. Mit welchem kurzen Satz würdest du dich beschreiben?“ Sie sieht mich intensiv an.

Es gelingt mir nicht, an ihrer schönen Oberweite vorbeizuschauen, selbst, wenn ich will. „Ich bin ein Frauenversteher.“

„Woher weißt du das? Das klingt ein bisschen so, als würdest du mit einem Pferd sprechen und sagen, du bist ein Pferdeflüsterer.“

„Ich weiß es, weil ich mich mit Frauen richtig gut auskenne“, bringe ich noch raus.

„Wie viele Beziehungen hattest du denn schon?“ Sie blickt jetzt in Richtung der Altstadt.

Ab wann ist eine Beziehung eine Beziehung? Wie meint sie das? Das ist sehr unscharf formuliert. „Mit dieser Frage kann ich nicht arbeiten.“

Margitta schaut wieder mich an. Zweifelnd. Dann setzt sie nach: „Womit kennst du dich denn sonst noch gut aus – außer mit Frauen?“

„Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht. Da kenne ich mich wirklich gut aus. Ich habe eine weithin bekannte Expertise.“ Jetzt weiß ich nicht, wie tief ich in die Antwort einsteigen soll, ohne sie zu langweilen.

„Was machst du denn beruflich?“ Margitta kratzt sich hinter dem rechten Ohr.

„Im Augenblick versuche ich, neue Versicherungsrisiken zu ermitteln. Ich muss herausfinden, ob wir unsere Versicherungsbeiträge anheben müssen. Dazu muss ich Sterblichkeitsstatistiken und Sterberisiken ermitteln.“

„Du bist Arzt?“

„Nein. Versicherungsmathematiker. Von Medizin selbst weiß ich nichts. Aber mit Zahlen und Statistiken kann ich umgehen.“ Jetzt bin ich in meinem Element. Das Gespräch geht gerade ganz gut.

„Und? Gibt es ein neues Sterberisiko? Müssen die Versicherungsbeiträge angehoben werden?“ Margitta schaut auf den Boden.

„Nein. Anhand der Zahlen, die mir vorliegen, nicht. Die Beiträge bleiben stabil.“ Fast habe ich das Gefühl, das Thema interessiert sie gar nicht. Schade. Gerade taue ich auf.

„Woher weißt du, dass du ein Frauenversteher bist? Sagst du das? Oder die Frauen? Und überhaupt ... wo sind jetzt all die Frauen, die du so gut verstanden hast?“

Was kann ich sagen? Auf keinen Fall werde ich sagen, dass meine Kontakt-Agentin diesen Satz formuliert hat. Ich denke nach. Da trifft Margitta ein Ehepaar aus ihrem Freundeskreis. Die drei sprechen interessiert miteinander. Ich stehe daneben und suche immer noch nach einer Antwort.

Dann wendet sich Margitta mir zu: „Wir haben uns so viel zu erzählen. Ich denke, ich gehe jetzt mit den beiden. Das wirst du ja sicher verstehen. Man sieht sich.“

Rücksprache

„Vielleicht war das ein bisschen dick aufgetragen – mit dem Frauenversteher.“

Klick. Abgesandt.

„Haben Sie noch eine andere Rückmeldung auf Ihre Anzeige?“

Ja. Da ist wieder was reingekommen:

„Du könntest der Mann sein, der mit mir (Kerstin, 50 Jahre, 1,71 m, nett, schlank, blond, Nichtraucher) und Hund durch den Wald und um die Stadt Heidelberg ziehen möchte. Ich bin smart, lache gern, bin inspirierend und habe Interesse am Aufbau einer harmonischen Beziehung. Bitte melde dich!“

„Wie soll ich dieses Date angehen?“

Es dauert heute ein bisschen länger als sonst. Aber dann kommt die Antwort für mich rein:

„Lieber Stephan, tut mir leid, dass meine Anfangssätze bisher so gar nicht erfolgreich waren. Vielleicht passten die Sätze bislang einfach nicht zu Ihrer Persönlichkeit. Wenn es weiterhin so schlecht läuft, sollten wir einmal persönlich darüber reden. Fürs nächste Date empfehle ich:

Schon als Kind habe ich mir immer einen Hund gewünscht.“

Ja. Das sieht gut aus. Wir machen unser Date auf dem Dachsbuckel aus. Da kann sie ihren Hund mitbringen.

Date #4

Ich warte auf der Bank am Rehgehege. Mein Blick geht weit in die Landschaft. Niemand weit und breit. Unser Erkennungszeichen ist ihr Hund. Ein Dalmatiner.

Da unten am Weg bewegt sich etwas. Ja. Ein Hund. Weiß mit schwarzen Punkten. Kurz dahinter folgt die Hundehalterin. Schon wieder werde ich nervös. Der Eröffnungssatz passt heute wie die Faust aufs Auge. Kann nichts schiefgehen.

„Margitta?“

„Margitta? Nein. Sie müssen sich irren.“ Sie dreht wieder um.

Moment. Falsch. Wie war doch gleich ihr Name? Ich hole schnell mein Smartphone raus, logge mich im Onlineportal vom Mannheimer Morgen ein. Da ist die Nachricht. Kerstin. Ihr Name ist Kerstin. Mist. Ich stecke mein Mobiltelefon weg und laufe ihr hinterher: „Kerstin. Moment. Ihr Name ist Kerstin.“

Sie wendet sich kurz zu mir um: „Das wievielte Date ist denn das für sie diese Woche?“

„Das vierte.“

„Machen sie sich bereit für Nummer fünf. Nummer vier ist für sie gelaufen.“ Sie zieht die Augenbrauen nach oben. Dann ist sie weg.

Dabei war mein Eröffnungssatz heute genial gut.

Dumm gelaufen.

Briefing

„Ich sage nur so viel: es lag diesmal nicht am Eröffnungssatz.“

Klick. Abgeschickt.

Gleich kommt die Antwort rein: „Was ist geschehen?“

Ich weiß nicht. Das möchte ich nun wirklich nicht berichten. Wenn mich meine Kontakt-Agentin für vollkommen bescheuert hält, hilft das nicht weiter. Ich sende ihr einfach die nächste Antwort auf meine Kontaktanzeige:

„Ich bin 39 Jahre jung und habe Deine Anzeige gern gelesen. Ich war über 20 Jahre mit meinem Mann zusammen, habe zwei Jungs im Alter von 6 und 15 Jahren, die letzten zwei Jahre waren nicht so toll, daher suche ich jetzt jemanden, mit dem ich alt werden kann, denn zusammen ist doch alles viel schöner, oder? Ich bin Nichtraucherin, 1,78 m groß, habe blaue Augen, dunkelblondes langes Haar und bin mollig. Ich liebe Kinder und Tiere, bin ein lustiger und humorvoller Mensch und für jeden Spaß zu haben. Hobbies sind: Musik hören, kochen, backen, Freunde treffen, Kino, lesen, schwimmen, tanzen, spazieren gehen. Ich bin treu und ehrlich, kein Langweiler und habe Freude am Leben. Ich freue mich auf Deine Kontaktaufnahme, Iris.“

Ich könnte natürlich nochmal mit dem Satz vom letzten Mal kommen: „Schon als Kind habe ich mir immer einen Hund gewünscht.“ Oder ich sage: „Schon als Kind habe ich mir immer Kinder gewünscht.“

Mal schauen, was The Dating Coach vorschlägt.

Da kommt schon die Antwort über das Online-Portal:

„Wie läuft’s so, privat? – Das ist eine offene Frage und lässt viel Freiraum zum Antworten.“

Sehr gut. Meine Kontakt-Agentin hat immer eine Idee. Ich schreibe gleich Iris. Ihr Name ist Iris, Iris, Iris.

Date #5

Unser Treffpunkt ist das Sushi-Restaurant am Kaiserring. Da bin ich zu Fuß ganz schnell. Ich gehe durch den Bahnhof. 18.45 Uhr. Ich bin zeitig. Sehr gut. Ich betrete das Restaurant und nehme Platz. Auf einem Förderband fahren die Gerichte an den Tischen vorbei. Cool. Nur ein weiteres Paar ist im Restaurant.

Die Tür öffnet sich wieder. Eine Frau. Das könnte sie sein.

Unser Erkennungszeichen ist ein Schal in der rechten Hand. Mein Schal liegt auf dem Tisch, meine Hand liegt drauf.

Sie ist es. Ich stehe auf: „Iris?“

„Stephan?“

„Ja. Hallo. Nimm doch Platz.“ Ich rücke ihr den Stuhl zurecht.

Sie zieht ihren Mantel aus. „Hallo. Ich musste kurzfristig noch jemanden finden, der meinen Sechsjährigen betreut. Der Große ist mit seinen Freunden unterwegs. Der ursprüngliche Babysitter für den Kleinen ist abgesprungen. Mein Tag war ganz durchwachsen. Ich musste spontan zwei Überstunden machen. Meine Kollegin hat sich krank gemeldet. Es gibt ja so viel Arbeit in unserem Büro.“

Sie macht eine Pause. Dann nimmt sie sich eine Portion Sushi vom Förderband. „Ich bin total hungrig. Willst du nichts essen?“

Ich greife nach einem bunten Sushi-Menü. Ich lege die Stäbchen zur Seite und nehme mir eine Gabel. Wir sprechen beide nicht. Das ist mein Auftritt. Mein Eröffnungssatz:

„Wie läuft’s so, privat? – Das ist eine offene Frage und lässt viel Freiraum zum Antworten.“

Sie kaut. Sie kaut weiter. „Bist du Psychologe oder so was?“

„Nein, ich bin Versicherungsmathematiker.“

„Naja. Ich dachte nur – wegen der offenen Frage und dem Freiraum zum Antworten. Das klang wie aus der Vorlesung und auswendig gelernt.“

Ich ziehe meine Schultern nach oben.

Da deutet sie mit den Stäbchen in ihrer rechten Hand auf mich: „Es könnte natürlich auch sein, dass du einen Dating Coach hast, der dich gebrieft hat.“ Sie nimmt das nächste Stück Sushi in den Mund und kaut weiter.

Jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll. Auf diese Situation hat man mich nicht vorbereitet. Ich beiße mir auf die Lippen.

„Kann es sein, dass du ein bisschen komisch bist? Du sagst gar nichts.“

Ich nehme schnell eine Reisrolle in den Mund, kauend antworte ich: „Ich esse gerade.“ Gerettet.

Da klingelt ihr Mobiltelefon. „Iris Neumeyer ... der Kleine kotzt? Ich komme nachhause. Ich bin in einer Viertelstunde da. Ja. Danke.“ Sie steckt das Telefon wieder in ihre Hosentasche. „Ich muss los. Übernimmst du die Rechnung?“

„Ja, klar. Ich bin Old School.“ Das habe ich schon mehrfach in der Dating-Sendung im Fernsehen gehört. Gute Antwort.

Sie geht. Gibt es auch Frauen, die Old School sind? Ich habe nie in einer Dating-Sendung gesehen, dass einmal die Frau die Rechnung übernimmt.

Ich esse auch ihre Portion auf. Bezahlt ist bezahlt.

Gut gelaufen

„Diesmal lief es wirklich gut. Sie musste gehen, weil etwas mit ihrem Kind war. Sie wurde angerufen und ist sofort los. Sonst alles bestens.“ Ich sende meine Nachricht an die Kontakt-Agentin.

Nach fünf Minuten kommt ihre Antwort: „Haben Sie ein neues Treffen vereinbart, nachdem sie so plötzlich aufbrechen musste?“

„Neues Treffen? Nein. Hätte ich eins ausmachen sollen?“ Klick. Abgeschickt.

„Ja, hatte sie kein Interesse, Sie wiederzusehen?“

„Ich weiß nicht.“

Die Antwort kommt postwendend: „Was war denn ihr letzter Satz, mit dem sie sich verabschiedet hat?“

„Übernimmst du die Rechnung?“

„Sonst nichts?“

„Nein.“

„Also, die ist weg. Stephan, ich würde Ihnen nun doch einmal eine Typberatung und ein persönliches Coaching empfehlen. Ich denke, da gibt es noch das eine oder andere, was wir verbessern können. Ich habe mir noch einmal Ihr Foto angeschaut, das Sie hochgeladen haben. Ich meine, wir sollten Sie optisch etwas anziehender stylen. Haarschnitt. Rasur. Kleider. Und dann lassen wir sie nochmals auf die Piste.“

Auf die Piste. Vielleicht hat sie Recht? Ich tippe auf die Tasten: „Wie sieht das praktisch aus?“

„Sie kommen zu mir in die Agentur nach Frankfurt. Und dann lernen wir uns persönlich kennen. Wir machen einen Persönlichkeitstest, den wir am selben Tag noch besprechen. Und meine Kollegin von der Typberatung wird herausfinden, welcher Farbtyp Sie sind. Sie wird Ihnen dann Kleidervorschläge machen.“

„Wie kann ich mich auf das Treffen vorbereiten?“

„Kommen Sie so, wie Sie bislang bei Ihren Datings erschienen sind. Dann können wir uns selbst ein Bild machen.“

„Ich weiß nicht. Ich will, dass man mich so liebt, wie ich bin. Sagt man nicht ‚Don’t judge a book by it’s cover‘?“

„Ja. Man sagt aber auch ‚Wie Du kommst gegangen, so wirst Du auch empfangen‘.“

Kenne ich nicht. Nie gehört. Aber es reimt sich. Könnte was dran sein. „OK. Machen wir einen Termin.“

„Freitag, 13. März, ab 10.00 Uhr.“

„Ich bin berufstätig. Da müsste ich mir frei nehmen. Wie lange wird der Termin denn gehen?“

„Bis 18.00 Uhr müssen wir schon veranschlagen. Sie wollen ja eine professionelle Leistung. Wir machen eine Farb- und Imageberatung. Und dann eine Einkaufsbegleitung. Wir gehen auf die Zeil.“

„OK.“

Internetrecherche

Ich belese mich im Internet einmal zur Farb- und Imageberatung. Ich habe ja gar keine Ahnung, was da auf mich zukommt.

Bei der Farbberatung wird Ihr Farbtyp nach Haut-, Haar- und Augenfarbe mittels Analysetüchern ermittelt. Sie erhalten einen auf Ihren Typ abgestimmten hochwertigen Farbpass. Auch zu mitgebrachten Kleidungsstücken hinsichtlich der Farbe erhalten Sie ein Feedback.

In der Stilberatung besprechen wir Ihre optimalen Kleidungsschnitte, Kleidungslängen und Ausschnittformen, abgestimmt auf Ihre Größe, Proportionen und Silhouette. Mit individuellen Lösungsmöglichkeiten und durch richtige Kleidungsformen und Accessoires unterstreichen wir Ihre Figur positiv. Wir geben Tipps zu Ihrer Frisur und Brille, inspirieren Sie für Ihre persönliche Stilrichtung und geben Ihnen Outfitvorschläge aus aktuellen Modezeitschriften und Broschüren. Alle Ergebnisse halten wir Ihnen in Ihrem persönlichen Style-Guide fest.

Bei der Imageberatung besprechen wir Ihre derzeitige Wirkung und wie Sie in Zukunft wahrgenommen werden möchten. Wir inspirieren Sie für Ihre persönliche Stilrichtung, sowohl beruflich als auch privat. Wir sorgen für ein authentisches Erscheinungsbild.

Ich stelle mich im Flur vor meinen Garderobenspiegel. Ich finde mein Erscheinungsbild ganz außerordentlich authentisch.

Was werden die mit mir machen?

Auf der anderen Seite will ich mal beim Dating punkten.

Das Komplettpaket

Schäfergasse. Geht von der Zeil ab. Ah. Hier ist die Straße. Noch ein paar Schritte. Ich bin da. The Dating Coach. Ich läute. Als das Surren des Türöffners ertönt, schiebe ich die Tür auf. Dritter Stock. Kein Aufzug. Ich gehe nach oben.

Eine lächelnde Frau öffnet die Tür. Sie hört auf zu lächeln. „Oh, mein Gott“, ist alles, was sie sagt. Sie bittet mich, herein zu kommen.

Die andere Frau sagt: „Da ist viel Potenzial.“ Sie begrüßt mich. „Ich bin Marietta.“

Ich frage nach: „Marietta?“

„Ja, ich bin ihre Kontakt-Agentin. Wir hatten telefoniert und stehen über das Online-Portal miteinander in Kontakt.“ Sie hebt ihre Augenbrauen.

Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Nachrichten mit einem Namen unterzeichnet waren. Aber ich bin ja lernfähig. Nach der Sache mit Kerstin. Der Frau mit dem Dalmatiner. „Ach ja, Marietta. Sehr angenehm.“

Die Frau, die mich herein ließ, sagt immer noch kein Wort.

Marietta stellt die andere Frau vor: „Das ist Sandra. Sie ist ihre Farb- und Imageberaterin. Sie wird später auch mit ihnen einkaufen gehen, Stephan.“

Jetzt spricht Sandra. Sie schaut dabei zu Marietta: „Schlabber-T-Shirt und dunkelbraune Cordjacke.“ Dann schaut sie mich an: „Woher haben sie nur diese Cordjacke? So eine bekommen sie ja gar nicht mehr zu kaufen.“

Ich streiche mit meiner rechten Hand über den linken Ärmel meiner Cordjacke: „Die habe ich mir zum Studienbeginn gekauft. Sie ist sehr bequem.“

Sandras Mund steht offen. Dann fragt sie: „Sind sie so auch zu ihren Datings gegangen?“

„Nein. Da trug ich das andere T-Shirt.“

„Das andere?“, fragt Sandra fassungslos nach.

Ich nicke.

Jetzt schaltet sich Marietta ein: „Stephan, sie machen jetzt erst einmal die Farb- und Stilanalyse mit Sandra. Danach machen sie den Persönlichkeitstest. Während ich den Test auswerte, gehen sie mit Sandra auf die Zeil zum Garderobenkauf. Haben sie ihre Kreditkarte dabei?“

„Ja. Ist in meinem Portemonnaie.“

In der Zwischenzeit hat Sandra ihre Farbtücher sortiert. Sie ruft mich zum Fenster. Sie will meinen Hauttyp im Tageslicht bestimmen. Um meinen Hals legt sie ein Tuch nach dem anderen. Sie schaut in meine Augen. Sie schaut auf meine Haare. Sie notiert sich Buchstaben- und Zahlencodes. Das Ganze geht fast eine halbe Stunde. Ich hätte nicht gedacht, dass man sich so lange mit Tüchern beschäftigen kann.

Sandra sagt mir ganz genau, was zu tun ist: „Sie können jetzt mit Marietta den Persönlichkeitstest machen.“

Marietta bietet mir einen Platz an einem Schreibtisch an. Darauf liegt ein Katalog mit 324 Fragen und einem computerlesbaren Antwortbogen.

„Kann ich mir da aussuchen, welche Fragen ich beantworten will?“ Ich schaue zu Marietta auf, nachdem ich mich gesetzt habe.

„Nein. Sie müssen natürlich alle 324 Fragen beantworten. Es gibt maximal drei Antwortmöglichkeiten. Manchmal auch nur zwei. Länger als neunzig Minuten sollten sie nicht brauchen. Sonst müssen wir den Test wiederholen.“

„Wiederholen?“

„Ja. Sie dürfen nicht grübeln. Antworten sie spontan und ohne Hintergedanken. Es ist wichtig, dass sie sich so beschreiben, wie sie sich wahrnehmen – nicht so, wie sie wahrgenommen werden wollen.“

Ich beiße mir auf die Unterlippe.

Erste Frage:

Bei gleicher Arbeitszeit und gleichem Verdienst wäre folgender Beruf für Sie interessanter:

🞎 1. Computerspezialist/in oder Koch/Köchin🞎 2. unsicher🞎 3. Bedienung in einem guten Restaurant

Definitiv die „1“.

Zweite Frage:

„Spaten“ verhält sich zu „graben“ wie „Messer“ zu:

🞎 1. scharf

🞎 2. schneiden🞎 3. Spitze

Was mache ich hier? Ist das ein Intelligenztest? Ist Intelligenz auch Teil der Persönlichkeit? Und was macht Persönlichkeit aus? Welche Aspekte hat Persönlichkeit? Ich habe ja keine Ahnung. Ich bin nicht nur unpolitisch, ich bin auch unpsychologisch. Halt. Ich soll nicht grübeln. Also weiter mit dem Fragebogen. 324 Fragen. Das ist eine Menge Holz. Jetzt denke ich an die schöne Oberweite von Margitta. Nein, nein. Ich muss mich konzentrieren. Weiter geht’s.

Die Antwort ist „schneiden“.

Dritte Frage:

Die Ziele, die ich mir in meinem Privatleben setze, erreiche ich fast immer:

🞎 1. stimmt

🞎 2. unsicher

🞎 3. stimmt nicht

Hm. Die wollen es aber jetzt wissen. Meine Datings lassen sich ja durchaus noch optimieren. Ich kreuze mal „unsicher“ an.

Jetzt lege ich beim Antworten mal einen Zahn zu.

Es wird 12.00 Uhr. Ich komme endlich zur letzten Frage.

324. Frage:

Die Ergebnisse dieses Persönlichkeitstests werden mir helfen können, im Berufs- und Privatleben weiterzukommen:

🞎 1. stimmt

🞎 2. teilweise🞎 3. stimmt nicht

Defintiv „1“. Ich bin zuversichtlich. Sonst wäre das alles hier ja sinnlos.

Ich gehe mit dem Antwortbogen zu Marietta.

Die beiden Frauen sind gerade im Gespräch. Sandra wirkt erregt: „Sie haben in der Alten Oper das Sinfoniekonzert für heute Abend abgesagt. So etwas gab es noch nie.“

„Was sollte denn gegeben werden?“, fragt Marietta nach, die meinen Bogen entgegennimmt.

„Johannes Brahms. Und das alles, nachdem das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks gerade erst seinen neuen Dirigenten bekommen hat. Was sagen sie eigentlich dazu, Stephan? Als Versicherungsmathematiker haben sie doch die Zahlen und Fakten.“

„Zahlen und Fakten? Zum Sinfoniekonzert? Nein.“ Ich weiß gar nicht, worum es geht.

„Wir sprechen von der Absage aller Veranstaltungen über tausend Teilnehmern.“

„Nee. Keine Ahnung. Warum das?“

„Wegen dieses Virus. Haben sie nichts von der Pandemie gehört?“