Begegnung im Unfallkrankenhaus - Patricia Vandenberg - E-Book

Begegnung im Unfallkrankenhaus E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Dr. Daniel Norden war nicht abergläubisch, aber diesen Freitag, den Dreizehnten, würde er nicht so schnell vergessen. Um fünf Uhr morgens hatte das Telefon ihn aus dem Schlaf gerissen. Eine aufgeregte Männerstimme redete auf ihn ein: »Herr Doktor, schnell, meine Frau, sie verblutet, o mein Gott, und das Kind …« »Ihr Name«, sagte Dr. Norden, »so sagen Sie doch Ihren Namen, Mann.« »Fichte, Lohenstraße sieben, ich war schon bei Ihnen.« »Ich komme«, sagte Daniel Norden, und bevor seine Frau noch richtig begriffen hatte, war er schon in seinem Anzug und an der Tür. »Fichte, Lohenstraße sieben«, rief er ihr zu. »Verständige die Klinik, Fee, für alle Fälle.« Felicitas Norden war sofort hellwach. Bei einem Notfall konnte Daniel keine langen Erklärungen abgeben. Während sie sein Auto wegfahren hörte, rief sie schon die Behnisch-Klinik an. Fichte, dachte Dr. Norden indessen. Lohenstraße. Ja, das war der Neubau, der vor vier Wochen bezogen worden war.

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Leseprobe: Jungbrunnen

Guten Tag! Da sind Sie ja wieder! Wie schön! Ich freue mich, liebe Leserin, ­geschätzter Leser, dass Sie mich erneut ins Krankenhaus St. Bernhard begleiten. Es sind ja doch noch ein paar Geschichten da zum Weitererzählen. Sie glauben bestimmt, dass ich mir das alles ausdenke, oder? Dass das alles pure Fantasie ist.

Falsch! Ich habe zehn Jahre in drei Kliniken gearbeitet. Und ich kann Ihnen, liebe Leserin, geschätzter Leser, versichern: So, wie ich es schreibe, ist es gewesen. Und es ist noch immer so. Und es wird immer so sein. Sie kennen den ersten Band noch nicht? Macht nichts. Obwohl – ich habe dort die wichtigsten Personen vorgestellt. Sehr sympathische Menschen. Auch den einen oder anderen Unsympathischen. Was sagen Sie? Die gibt es immer? Ihnen fallen jetzt bestimmt sogar Namen ein, oder? Vielleicht haben Sie ja doch Lust, dort einmal hineinzuschauen.

Schauen wir mal, was im zweiten Teil so passiert. Da lernen wir noch jemand ganz Wichtigen kennen, der … Moment mal! Was macht Frau Dr. Rommert denn in München? Hatte sie nicht bis 20 Uhr Dienst? Schon ziemlich spät für jemanden, der anderntags früh 'raus muss!

Sepandar

Ich komme mir vor wie in einer Folge einer in schwarz-weiß gedrehten Krimi-Serie der 70er Jahre, dachte Dagmar Rommert.

Nach dem Spätdienst in der Notaufnahme des Krankenhauses St. Bernhard in Schliersee gierte sie nach etwas Abwechslung. Deswegen hatte sie beschlossen, den Abend in München zu verbringen. Dort nieselte es. Einen Schirm aufzuspannen hätte sich nicht gelohnt. Die Tropfen schienen horizontal zu fallen. Die kühle Temperatur der Abendluft kroch durch den Stoff ihres schicken Tweed-Kostüms ohne Umwege auf ihre Haut. Das rhythmische Klack-klack ihrer Absätze auf dem nass-glänzenden Pflaster des Gehwegs hallte durch die Straße.

Die Frau Doktor spürte den Hunger, den sie tagsüber verdrängt hatte. Zum Essen war mal wieder keine Zeit gewesen heute, nur das Croissant und der Kaffee am Morgen. Vielleicht etwas Sushi? Futo-Maki und Nigiri … Proteine … gesund, kaum Kalorien, gut für die Linie. Oder vielleicht einen Salat aus dem Steakhouse?

Dr. Norden Bestseller Classic – 9 –

Begegnung im Unfallkrankenhaus

Dr. Norden gerät in dramatische Ereignisse

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden war nicht abergläubisch, aber diesen Freitag, den Dreizehnten, würde er nicht so schnell vergessen.

Um fünf Uhr morgens hatte das Telefon ihn aus dem Schlaf gerissen. Eine aufgeregte Männerstimme redete auf ihn ein: »Herr Doktor, schnell, meine Frau, sie verblutet, o mein Gott, und das Kind …«

»Ihr Name«, sagte Dr. Norden, »so sagen Sie doch Ihren Namen, Mann.«

»Fichte, Lohenstraße sieben, ich war schon bei Ihnen.«

»Ich komme«, sagte Daniel Norden, und bevor seine Frau noch richtig begriffen hatte, war er schon in seinem Anzug und an der Tür.

»Fichte, Lohenstraße sieben«, rief er ihr zu. »Verständige die Klinik, Fee, für alle Fälle.«

Felicitas Norden war sofort hellwach. Bei einem Notfall konnte Daniel keine langen Erklärungen abgeben. Während sie sein Auto wegfahren hörte, rief sie schon die Behnisch-Klinik an.

Fichte, dachte Dr. Norden indessen. Lohenstraße. Ja, das war der Neubau, der vor vier Wochen bezogen worden war. Beim Einzug war einem jungen Mann die Hand gequetscht worden. Joachim Fichte hieß er. Jetzt konnte Dr. Norden sich erinnern.

Cellist war er, und eine gequetschte Hand konnte für ihn den Verlust der Existenz bedeuten. Nun, sie hatten die Hand wieder schön in Ordnung gebracht. Es war nicht so schlimm gewesen, wie es ausgesehen hatte. Was an diesem Morgen geschehen war, schien bedeutend schlimmer zu sein.

Dr. Norden war schnell am Ziel. Er läutete Sturm, stürzte in den Lift, dann durch eine offenstehende Tür, sah eine junge Frau im Bett in einer Blutlache liegen und darin ein noch nicht abgenabeltes Kind.

Die Frage zu stellen, warum Joachim Fichte nicht sofort die Ambulanz angerufen hatte, war müßig. Der Mann zitterte am ganzen Körper. Er war eines vernünftigen Gedankens wohl gar nicht fähig gewesen.

»Es ging alles so schnell«, stotterte er nur hilflos.

Zu schnell, zu unerwartet war die Geburt gekommen, aber das Kind lebte. Es gab klägliche Laute von sich. Dr. Norden nabelte es ab.

»Ein Handtuch«, sagte er im Befehlston. »Nerven behalten, Mann.« Er hüllte das Kind ein und legte es dem Mann in die Arme. »Halten Sie den Kopf nach unten. Tut mir leid, aber Sie müssen helfen.«

Jetzt ging es um das Leben der jungen Mutter, und Daniel konnte nur hoffen, dass Fee richtig begriffen und alles veranlasst hatte.

Er hörte schon eine Sirene und atmete auf. Auf Fee war Verlass. Im Unterbewusstsein empfand er Stolz. Seine Frau, ja, hundertprozentig konnte man auf sie bauen.

Bis die Sanitäter mit der Tragbahre kamen, hatte er der jungen Frau eine Injektion verabreicht. Ihr Puls ging schwach, aber solange ein Herz schlug, durfte, musste man hoffen. Dies hatte sich Dr. Norden zum Leitwort gemacht.

Die junge Frau wurde vorsichtig auf die Trage gelegt, das Baby daneben. Dr. Norden deckte beide warm zu.

»Sie können mit mir fahren, Herr Fichte«, sagte er, und es gelang ihm sogar, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen.

Der Chefarzt Dr. Leitner war eine Minute früher dagewesen. Auch auf ihn war Verlass. Dr. Norden war schon lange mit ihm befreundet, wie auch mit Dr. Behnisch, dem auch diese Gynäkologische Klinik gehörte. Er kam ebenfalls, weil Fee ihm ja nicht genau hatte erklären können, worum es ging, nur eben, dass es ein äußerster Notfall sei.

Auch jetzt war keine Zeit für lange Erklärungen, das sahen die anderen beiden Ärzte auch.

Herr Fichte musste sich selbst überlassen bleiben.

Dr. Leitner und Dr. Behnisch verschwanden mit der jungen Frau im Operationssaal, Dr. Norden nahm sich unter der Assistenz von Schwester Hildegard des Babys an.

Selbst Schwester Hilde, in Ehren ergraut und jenseits von Gut und Böse, konnte sich der Ausstrahlung nicht entziehen, die von Dr. Norden ausging. Seine Ruhe, seine Sicherheit teilte sich ihr mit. Es faszinierte sie, seine schlanken Hände zu beobachten, die das Kind drehten und wendeten, nachdem sie es schnell gewaschen hatte.

»Ein strammer Bursche«, sagte er. »Er ist gut davongekommen. Hat es ein bißchen zu eilig gehabt.«

»Ja, manchmal sind die Mütter auch recht sorglos«, sagte Schwester Hildegard.

»Ich weiß nicht, wie es zu dieser Sturzgeburt kam«, stellte er ruhig fest. »Hoffen wir, dass ihm seine Mutter erhalten bleibt.«

Das Baby schlief längst in einem weißen Bettchen, als seine Mutter aus dem Operationssaal gefahren wurde. Joachim Fichte hatte kein Ohr dafür gehabt, dass sein Sohn gesund und kräftig genug war, um die dramatische Geburt zu überstehen. Er zitterte noch immer, obgleich ihm Schwester Hildegard Beruhigungstropfen gebracht hatte.

Dr. Norden konnte ihm sagen, dass seine Frau nicht mehr in akuter Lebensgefahr schwebte.

Joachim Fichtes Erregung löste sich in Tränen, die ihm unaufhaltsam über die Wangen rannen. Dr. Norden ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen. Er hatte volles Verständnis für ihn. Er selbst war auch ein werdender Vater. Er war durchaus nicht so ruhig, wie er sich gab, wenn er an Fee und ihr Baby dachte, und heute war er wieder einmal in eine Situation geraten, die ihn zutiefst beunruhigte.

Er war Arzt mit Leib und Seele und auch dazu berufen. Er fragte sich in solchen dramatischen Augenblicken, wie solche Gefahren verhindert werden, wie man das Leben von Mutter und Kind besser schützen könnte.

Er war kein Frauenarzt, aber wie sein Vater schon, hatte auch er sich mit jedem Gebiet der Medizin beschäftigt.

Wenn man ein richtiger Arzt sein wolle, hatte sein Vater gesagt, dann dürfe man sich nicht abgrenzen. Natürlich müsse es Spezialisten geben, aber bevor man sich für ein Spezialgebiet entscheide, musste man sehr viel gelernt haben, sodass einem jeder Teil des menschlichen Körpers vertraut wäre.

Dr. Friedrich Norden war das Ideal seines Sohnes gewesen. Immer, wenn Daniel in Zweifel geriet, überlegte er, wie sein Vater wohl entschieden und gehandelt hätte.

»Nur nie zögern, mein Junge«, hatte sein Vater gesagt. »Handeln gilt es, wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht. Minuten können entscheidend sein.«

So war es auch bei Margret Fichte gewesen. Nun aber wollte Dr. Norden von Joachim Fichte doch mehr erfahren.

»Wenn Sie sich beruhigt haben, Herr Fichte, erzählen Sie mir bitte, wie es zu dieser schnellen Geburt kam«, sagte er behutsam.

Der Mann krächzte nur. Er brachte kein Wort mehr hervor.

»Können wir Tee oder Kaffee haben?«, fragte Daniel die nette Schwes­ter Nuno, eine junge Indonesierin.

»Okay, Herr Doktor«, sagte sie in ihrem lustigen Deutsch.

»Ich kann Ihnen doch nicht noch mehr Zeit rauben«, flüsterte Joachim Fichte, nachdem er ein paar Schlucke hastig getrunken hatte. »Sie waren meine einzige Rettung. Ich wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand.«

»Aber Sie wussten doch ungefähr den Termin der Geburt«, sagte Dr. Norden nachdenklich.

»Freilich. Übermorgen sollte es sein. Wir hatten auch schon alles vorbereitet. Margret war doch in der Universitätsklinik angemeldet. Wir haben in der Nähe gewohnt, bevor wir hierherzogen. Die Wohnung sollte schon vor drei Monaten fertig sein. Wir können nichts dafür, dass es sich mit dem Bau so hinzog. Es waren ein bisschen viel der Aufregungen, aber Margret hat sich wohlgefühlt. Gestern abend hat sie noch gar nichts gespürt. Sie hat mich immer ausgelacht, weil ich so ängstlich war. Kinderkriegen ist keine Krankheit, hat sie gesagt. Und dann das. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie erschrocken ich war, als sie mitten in der Nacht aufstand und sagte, dass wir nun wohl doch fahren müssten, und dann kamen wir nicht mal bis zur Tür.« Er schlug die Hände vor sein Gesicht. »Es war einfach schrecklich. Nie wieder möchte ich das erleben. Hilf mir doch, hat Margret gesagt, und da habe ich Sie angerufen. Ich habe doch keine Ahnung, was man da tun kann. Ich hatte nur noch Angst.«

Man müsste den Vätern wenigstens sagen, was im Notfall zu tun ist, dachte Daniel Norden.

»Ich danke Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind«, murmelte Joachim Fichte. »Ich weiß, dass wir es nur Ihnen zu verdanken haben, wenn meine Frau und unser Baby am Leben bleiben.«

»Übertreiben wir es mal nicht«, sagte Daniel Norden mit einem flüchtigen Lächeln. »Gesunde Babys sind zäher als man denkt, und ein Arzt kann auch keine Wunder verbringen, wenn das Glück nicht auf seiner Seite ist.« Er legte seine Hand auf Joachim Fichtes Schulter. »Jedenfalls war es richtig, dass Sie mich anriefen. Viel Zeit durfte nicht verstreichen. Jetzt ist Ihre Frau bei Dr. Leitner in guten Händen, und ich werde mich darum kümmern, wie es ihr geht. – Was macht Ihre Hand?«, lenkte er dann ab. »Geht es mit dem Spielen?«

»Gut. Es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre, in der heutigen Zeit ist man gleich weg vom Fenster, wenn es nicht mehr so geht. Vielleicht darf ich Ihnen mal eine Freikarte schicken, Herr Doktor.«

»Wenn schon, dann zwei«, erwiderte Daniel lächelnd. »Meine Frau und ich lieben klassische Musik. Nun schauen Sie sich aber wenigstens mal Ihren Stammhalter richtig an. Er sieht sehr manierlich aus. Wie soll er denn heißen?«

»Eigentlich hatten wir uns auf eine Tochter vorbereitet, aber wenn Sie nichts dagegen haben, nennen wir ihn Daniel.«

Auch ein Zeichen der Dankbarkeit. Daniel fand es nett.

»Drüben ist eine Imbissstube«, sagte er zu Joachim Fichte. »Stärken Sie sich, damit Ihre Frau sich nicht noch um Sie Sorgen machen muss. Frauen sind da nämlich ganz komisch. Ihre Schmerzen vergessen sie schnell, wenn sie ihr Kind im Arm halten.«

»Danke, Herr Doktor, nochmals vielen Dank«, stammelte Joachim Fichte.

Dr. Norden musste sich beeilen. Seine Sprechstunde hatte eigentlich schon angefangen.

Er traf in der Halle noch Dr. Dieter Behnisch.

»Du bist ein ganz schneller, Dan«, sagte der. »Eine Viertelstunde später, und es wäre nichts mehr zu machen gewesen.«

»Wird sie durchkommen?«, fragte Daniel.

»Wir geben uns Mühe.«

»Kümmert euch auch ein bisschen um ihren Mann. Er ist ein sensibler Künstler. Ich muss weiter, die Pflicht ruft.«

»Wir sehen uns doch bald?«, rief ihm Dieter Behnisch nach.

»Wenn die Grippewelle gebremst ist.«

Als er am Steuer seines Wagens saß, dachte er, dass es ein langer Tag werden würde, denn Hausbesuche standen mehr als genug auf dem Notizblock.

Er gab Gas, aber er fuhr dennoch vorsichtig. In der Nähe gab es mehrere Schulen, und er wusste sehr gut, wie unvorsichtig Kinder waren, wenn sie es eilig hatten.

Da sah er auch schon einen Jungen, der über die Straße rannte, als die Ampel schon auf Gelb geschaltet war. Und dann preschte von der anderen Seite ein Sportwagen über die Kreuzung.

Daniel trat auf die Bremse und hörte das Kreischen von anderen Bremsen. Wie ein Filmstreifen rollte die Szene blitzschnell vor seinen Augen ab. Der Junge wurde gestreift, er fiel hin, der Wagen schleuderte, prallte an eine Mauer und drehte sich um seine eigene Achse.

Dr. Daniel Norden dachte nicht mehr an seine Sprechstunde, nur noch daran, dass hier ein Arzt gebraucht wurde.

Er lief zu dem Jungen, der benommen, aber nicht bewusstlos war, der ihn voller Entsetzen anstarrte und stammelte: »Das wollte ich doch nicht.«

Dann lief Daniel zu dem Wagen. Er sah nur eine Flut rotbrauner Haare über dem Steuer. Dann, als er die Wagentür aufgerissen hatte, eine schlaff herabhängende Hand. Er fühlte den Puls, der so schwach war wie der von Frau Fichte heute Morgen. Dann waren Menschen um ihn herum, und ganz automatisch erteilte er Anordnungen.

Und dann tönte plötzlich wieder eine klagende Stimme an sein Ohr: »Ich wollte das nicht. Ich bin schuld.« Ein kleiner schmutziger Junge in zerrissener Kleidung stand dicht neben ihm und schrie dann gellend: »Bringt sie zu Papi. Papi muss ihr helfen!«

»Wer bist du?«, fragte Dr. Norden.

»Stefan Albrecht. Mein Papi ist doch Professor, er kann der Dame helfen.« Und dann schluchzte er wieder herzzerreißend.

Irgendjemand musste getan haben, was Daniel Norden verlangt hatte. Der Unfallwagen kam.

Professor Albrecht, dachte er. Ein berühmter Chirurg am Unfallkrankenhaus. Es war bekannt, was er in der Unfallchirurgie geleistet hatte. Persönlich war ihm Daniel Norden noch nie begegnet!

»Und du kommst gleich mit«, sagte er zu dem Jungen. »Ich bin nämlich auch Arzt.«

»Und von Tante Hella kriege ich auch noch eine Tracht Prügel«, sagte der Junge bebend. »Aber sie soll mich ruhig hauen, wenn die Dame nur wieder gesund wird.«

»Nun beruhige dich mal, Stefan«, sagte Daniel. »Du bist bei Gelb über die Kreuzung, aber die Dame auch. Schuld seid ihr beide.«

»Ich war so spät dran. Ich hatte verschlafen. Tante Hella hat mich nicht geweckt. Sie hat wieder Migräne.«

»Und deine Mutter?«, fragte Daniel geistesabwesend.

»Ich habe keine Mutter. Sie ist schon lange tot.«

Daniel holte tief Luft. »Und dein Vater ist Professor Albrecht?«

»Ich hab’s doch gesagt. Ich habe nicht gelogen. Papi hat einen schweren Fall, deshalb ist er die ganze Nacht im Krankenhaus geblieben. Sonst weckt er mich, wenn Tante Hella Migräne hat. Wenn die Dame bloß am Leben bleibt, sonst mag Papi mich auch nicht mehr.«

*

Professor Martin Albrecht hatte eine aufregende Nacht hinter sich und war eigentlich schon todmüde, als der Morgen graute. Dann war bei seinem schwierigen Patienten nochmals eine Kreislaufschwäche aufgetreten.

Es handelte sich um eine prominente Persönlichkeit, und man erwartete von ihm, dass dieser Mann seinen Unfall überleben würde. Es handelte sich um einen ganz gewöhnlichen Unfall. Der Mann war auf einer Marmortreppe ausgeglitten und hatte sich dabei unglücklicherweise das Rückgrat verletzt. Da er zudem schwer herzkrank war, hatten sich zusätzliche Komplikationen ergeben. Die Hauptschwierigkeiten lagen aber darin, dass dieser Mann einem außereuropäischen Staat angehörte, dessen Machthaber diesen Unfall als ein Attentat auslegen wollten.

Die Oberschwester hatte zum ers­ten Mal erlebt, dass der Professor an diesem Morgen zu einem Aufmunterungsmittel gegriffen hatte.

Und dann kam der Unfallwagen. Als nach Professor Albrecht gerufen wurde, winkte die Oberschwester ab. »Unmöglich«, sagte sie barsch.

Dr. Norden stand vor ihr. »Professor Albrechts Sohn ist in den Unfall verwickelt«, sagte er.

»Stefan?«, schrie sie auf.

»Was ist mit Stefan?«, fragte eine heisere Stimme.

Dr. Norden stand Professor Al­brecht gegenüber. Er war etwas kleiner als er, und sein markantes Gesicht war grau.

»Was ist mit meinem Sohn?«, fragte er erregt.

Daniel Norden stellte sich vor. »Ihrem Sohn geht es gut, soweit ich es bisher feststellen konnte. Er hat jetzt vor allem Angst.« Und dann erklärte er rasch, was geschehen war.

»Mein Gott«, sagte Professor Albrecht. Und dann schien alle Müdigkeit von ihm abgefallen zu sein.

»Sie sind der Sohn von Friedrich Norden?«, fragte er überstürzt. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Können Sie sich um meinen Sohn kümmern? Ich muss mir die Verletzte ansehen.«

»Soll ich Stefan mit in meine Praxis nehmen?«, fragte Daniel.

»Macht es Ihnen nichts aus?«

»Nein.«

»Danke«, sagte Professor Albrecht und eilte schon davon.

Stefan saß schluchzend in einem Sessel. »Papi ist wohl sehr böse auf mich, Dr. Norden?«, fragte er.

»Nein, aber er hat jetzt keine Zeit für dich. Du kommst mit zu mir und dann schauen wir uns mal deine Verletzungen an.«

»Tut gar nicht sehr weh«, sagte Stefan. »Brennt nur.«

Daniel nahm ihn bei der Hand. »Wie alt bist du?«, fragte er.

»Sieben.«

»Und wer ist Tante Hella?«

»Mamas Schwester. Mama habe ich ja gar nicht gekannt. Ich war noch ein Baby, als sie gestorben ist, aber so wie Tante Hella kann sie doch nicht gewesen sein.«

»Wie ist Tante Hella?«, fragte Daniel beiläufig.

»Affig, und dauernd hat sie Migräne«, erwiderte Stefan.

»Migräne kann einem schwer zu schaffen machen«, erklärte Daniel.

»Aber sie hat nie Migräne, wenn sie ausgeht, oder wenn Papi daheim ist. Da tanzt sie um ihn herum und kichert dämlich«, sagte Stefan.

Daraus konnte Daniel schon einiges entnehmen. Er meinte auch, dass der Junge nun ein wenig abgelenkt sei, aber es vergingen nur ein paar Sekunden, dann sagte Stefan beklommen: »Aber wenn der Dame was ganz Schlimmes passiert ist, wird Papi mich auch nicht mehr mögen, und dann ist alles aus.«

»Ich habe dir gesagt, dass sie genauso schuld war wie du, Stefan«, erklärte Daniel. »Ich habe es gesehen und kann es bezeugen.«