Behinderung und Ableismus - Andrea Schöne - E-Book

Behinderung und Ableismus E-Book

Andrea Schöne

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Beschreibung

In den letzten Jahren haben Behindertenrechtsaktivist*innen den Begriff ›Ableismus‹ in den Diskurs eingebracht, da er das strukturelle System der Diskriminierung und Unterdrückung behinderter Menschen, das sich auf verschiedenste Weise und mit zahlreichen Wechselwirkungen durch all ihre Lebensbereiche zieht, sehr viel tiefer zu fassen vermag als ›Behindertenfeindlichkeit‹. Um zu verdeutlichen, wie tief verankert die strukturelle Form der Diskriminierung behinderter Menschen in unserer Gesellschaft ist, legt die Autorin die historischen Wurzeln von Ableismus frei. Dabei richtet sie ihren Fokus auf Alltagsableismus und hinterfragt ableistische Sprachmuster, Stereotype und Phänomene wie beispielsweise Inspiration Porn. Das Buch verdeutlicht, dass Denksysteme und gesellschaftliche Strukturen, die auf Leistungsfähigkeit beruhen, in der modernen ›Burnout-Gesellschaft‹ auch die Lebenswelt nichtbehinderter Menschen prägen, was diesen meist gar nicht bewusst ist. Es enthält zudem Tipps und Empfehlungen für Nichtbehinderte, die einen Weg raus aus der ableistischen Gesellschaft suchen und sich gegen Ableismus verbünden möchten. Und nicht zuletzt ist es Ausdruck seines Anliegens: durch ›Disability Pride‹ der nichtbehinderten Mehrheitsgesellschaft ein Bild von Behinderung entgegenzuhalten, das dem Facettenreichtum der Realität endlich zu seinem Recht verhilft.

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Seitenzahl: 111

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Andrea Schöne

Behinderung & Ableismus

unrast transparent

linker alltag

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Andrea Schöne:

Behinderung & Ableismus

unrast transparent

linker alltag, Band 6

1. Auflage, Oktober 2022

eBook UNRAST Verlag, Oktober 2022

ISBN 978-3-95405-133-5

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Vorwort

1. Wissenschaftliche Hintergründe und Geschichte hinter Ableismus

Able-Was? – Unterschied zwischen Ableismus und Behindertenfeindlichkeit

Nicht normal? – Ableismus macht behinderte Menschen zu den ›Anderen‹

Historische Hintergründe über Behinderung

Die Macht und Kultur hinter Sprache

Sichtweisen auf Behinderung seitens der Gesellschaft

2. Phänomene, Stereotype, Sichtweisen von Alltagsableismus

Mikroaggressionen und Sphären von Ableismus

Stigmatisierung oder der Elefant im Raum

Distanzlosigkeit

Inspiration Porn

Pity Porn

Reduktion auf Dinge, die ein Mensch nicht kann

Aggressive Ablehnung und Entmenschlichung

Abschottung von der Außenwelt

Ignoranz der Lebenswelt und Erfahrungen behinderter Menschen

Überbetonung, Bewunderung

3. Auswirkungen von Ableismus im Alltag

Internalisierter Ableismus und gesellschaftliche Erwartungen an behinderte Menschen

Warum Ableismus auch für nichtbehinderte Menschen schlecht ist und wie er ihre Lebenswelt betrifft

Tipps für den Erstkontakt mit behinderten Menschen

Was bedeutet Nondisabled Privilege

Ausblick: Disability Pride und Culture – Behinderung als Identität

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

»Ich habe Kenntnis davon erhalten, dass es ein verletzendes Wort in meinem neuen Song ›Grrrls‹ gibt. Lasst mich eines klar sagen: Ich wollte niemals abwertende Sprache unterstützen. Als mehrgewichtige Schwarze Frau in den Vereinigten Staaten, habe ich viele schmerzhafte Worte gehört, die gegen mich verwendet wurden. Deshalb verstehe ich, welche Macht Worte haben können (egal ob absichtlich oder, wie in meinem Fall, unabsichtlich). Ich bin stolz zu sagen, dass es eine neue Version von ›Grrrls‹ mit einer Änderung der Lyrics gibt. Dies ist mein Ergebnis zuzuhören und zu handeln. Als einflussreiche Künstlerin versuche ich stets, Teil des Wandels zu sein, den ich auf der Welt zu sehen erhoffe.«

Statement von Lizzo auf Instagram am 14. Juni 2022

In einer Liedzeile der ersten Version von ›Grrrls‹ sang Lizzo: »Hold my bag, bitch, hold my bag / Do you see this shit? I’m a sp*z[1]«. Im englischsprachigen Raum ist Sp*z ein abwertendes Wort für Menschen mit Zerebralparese. Auf die Kritik von Behindertenrechtsaktivist*innen reagierte Lizzo vorbildlich als Verbündete, die etwas dazugelernt hat. Das ist bei Weitem nicht die Regel, da ableistische Wortwahl, Verhaltensweisen und Gesellschaftsstrukturen nach wie vor noch viel zu wenig oder sogar gar nicht von Nichtbetroffenen wahrgenommen werden[2]. Wie schon das Wort ›able‹ in Ableismus andeutet, kommt der Ausdruck aus dem englischsprachigen Raum, ›able‹ bedeutet so viel wie ›fähig sein‹ und ist dort – im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum – auch schon seit Jahrzehnten in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen.

In meinem Berufsleben als Journalistin, Speakerin und Moderatorin erlebe ich nur allzu häufig, wie wenig sensibilisiert und auch interessiert deutsche Medienhäuser sind, die diskriminierenden Strukturen innerhalb ihres Betriebs als auch in der eigenen Berichterstattung wahrzunehmen. Immer wieder muss ich Kolleg*innen erklären, warum ihre Haltung oder Wortwahl in der Berichterstattung diskriminierend ist. Teils verlangen Medienhäuser von mir, Interviewpartner*innen mit Behinderung übergriffige Fragen zu stellen oder verändern meine Artikel, indem sie herabsetzende Haltungen und Wörter gegenüber behinderten Menschen eigenmächtig ergänzen. Auf der anderen Seite erlebe ich auch große Berührungsängste gegenüber mir als Person bei Journalist*innen-Tagungen, bei denen ich oft als Auskunftsquelle zur Berichterstattung über Behinderung herhalten muss, weil ich die erste Journalistin mit Behinderung bin, der sie begegnen und die sich zusätzlich auch noch bestens in dem Themenbereich auskennt. In Bildungseinrichtungen haben Lehrkräfte zum Großteil noch nie davon gehört, was Ableismus eigentlich bedeutet, sollen aber Schüler*innen mit und ohne Behinderung zusammen unterrichten, ohne sich der eigenen diskriminierenden Einstellung bewusst zu sein und ohne jemals bezüglich Ableimus sensibilisiert worden zu sein.

Dieses Buch soll das ändern. Bisher gibt es fernab der akademischen Literatur kein umfassendes deutschsprachiges Einführungswerk, das wissenschaftliche und aktivistische Hintergründe zusammenbringt. Ausgehend von den Forschungsergebnissen aus Soziologie, Geschichtswissenschaft, Disability[3]Studies (Wissenschaft zu [Nicht-]Behinderung) und Kulturwissenschaft werden aktivistische Diskussionen und Erfahrungen aus der Lebenswelt behinderter und chronisch kranker Menschen eingeordnet. Dazu war oftmals eine interkulturelle Transferleistung notwendig, da die meiste Grundlagenliteratur bisher nur auf Englisch verfügbar ist.

Im ersten Teil gehe ich insbesondere auf verschiedene wissenschaftliche Hintergründe zu Behinderung und Ableismus ein. Ich definiere, was Ableismus und Behindertenfeindlichkeit bedeuten und worin der Unterschied liegt. Zum anderen beschreibe ich, warum es Behinderung nur geben kann, wenn es ›Normalität‹ gibt. Im weiteren Verlauf gehe ich darauf ein, welche historischen Hintergründe es gibt und wie diese unseren heutigen Sprachgebrauch beeinflussen. Zuletzt beleuchte ich welche Sichtweisen auf Behinderung durch die Gesellschaft hervorgebracht wurden. Im zweiten Teil dreht sich alles um Mikroaggressionen, welche zur Lebenswelt behinderter Menschen gehören, bisher aber kaum erforscht sind. Im dritten Teil werden die Auswirkungen von Ableismus auf das Selbstbild behinderter Menschen aufgezeigt und dargestellt, wie es ebenso die Lebenswelt Nichtbehinderter mitbestimmt. Zuletzt gebe ich Anregungen, wie Nichtbehinderte ihre Privilegien reflektieren und Verbündete werden können.

Während meiner Arbeit an diesem Buch war es stets mein Bemühen, nicht nur ableistische Erfahrungen einzubringen, die ich als kleinwüchsige und gehbehinderte Frau mache. Dennoch wurde mir im Laufe der Zeit klar, dass Behinderungen und chronische sowie psychische Erkrankungen und die Lebenswelten der Betroffenen so vielfältig sind, dass auch ich Lebenswelten missachte, nicht verstehe und nicht zur Sprache bringe. Dieses Buch ist ein erster Versuch, Ableismus auf verschiedenen Ebenen erklärbar zu machen. Zum Nachdenken, zum Streiten und zum Weiterdenken, zum Entdecken, worüber wir noch sprechen müssen, wer Raum in Diskussionen einnimmt, wer mehr Raum bekommen muss und wie wir das als Gesellschaft schaffen.

1. Wissenschaftliche Hintergründe und Geschichte hinter Ableismus

Able-Was? – Unterschied zwischen Ableismus und Behindertenfeindlichkeit

Im September 2020 startete die US-amerikanische Behindertenrechtsaktivistin Kayle Hill auf Twitter das Hashtag #AbleismTellsMe, welches – zu ihrem Erstaunen – insbesondere in Deutschland bombastisch einschlug. Ich würde sogar sagen, dass es ein kleiner ›MeToo‹-Moment für behinderte Menschen in Deutschland war, denn zum ersten Mal wurde nach der Social-Media-Aktion mehrfach in den Medien über Ableismus berichtet. Behinderte Menschen nutzen dieses Hashtag auch heute noch, insbesondere in Deutschland, um diskriminierende Erfahrungen zu teilen. Entstanden ist der Begriff ›Ableismus‹ in den 80er-Jahren der US-amerikanischen Behindertenrechtsbewegung. Ableismus beschreibt, wie Sexismus und Rassismus, ein System von Praktiken, Institutionen, Glaubensbildern und Werten bildet sowie soziale Beziehungen in ein geschlossenes Weltbild einfasst . Ableismus ist ein System, das die einen Menschen, welche zur sogenannten ›Norm‹ gehören, einschließt und andere ausschließt und zu den unsichtbaren ›Anderen‹ erklärt. Ableismus leitet sich von dem englischen Wort ›able‹ ab, welches ›fähig‹ bedeutet. Fähigkeiten, die als essenziell angesehen werden, werden gezielt hervorgehoben und gleichzeitig wird bewertet, wie Fähigkeiten aussehen müssen, um als ›nichtbehindert‹ kategorisiert zu werden. Dies ist ein Teilaspekt von Ableismus.

Eine allgemeingültige Definition, was Ableismus umfasst und was nicht, gibt es weder unter Behindertenrechtsaktivist*innen noch in der Wissenschaft. Die Forschung über Ableismus steckt größtenteils noch in den Kinderschuhen. Im deutschsprachigen Raum gibt es kaum Literatur, die Ableismus umfassend beschreibt. Ich möchte aber den 2020 erschienenen Essay Ableismus der Literaturwissenschaftlerin und Behindertenrechtsaktivistin Tanja Kollodzieyski hervorheben. Ihr Essay steht für repräsentative Literatur von behinderten Menschen. Innerhalb der Community wird der Essay sehr geschätzt, erreichte aber bisher nicht den Mainstream.

Ich definiere Ableismus als: ein geschlossenes System von Denk- und Verhaltensweisen, das sich in verschiedenen Formen innerhalb der Gesellschaft und Institutionen äußert. Nichtbehinderte sind in diesem System privilegiert. Das heißt, sie haben gegenüber behinderten Menschen gesellschaftliche und strukturelle Vorteile, die behinderte Menschen unterdrücken. Nichtbehinderte haben die Deutungshoheit über das Leben und die Eigenschaften, die sie behinderten Menschen zuschreiben. Diese können sowohl positiv als auch negativ besetzt sein, folgen aber stets Stereotypen. Mittel der Zuschreibungen sind beispielsweise Sprache, Gesetze, Gegenstände jeglicher Art und soziale Beziehungen. Im Mittelpunkt der Deutungen steht die Bewertung von Menschen und deren Körpern nach Leistungsfähigkeit, festgelegt von der nichtbehinderten Dominanzgesellschaft. Damit betrifft Ableismus aber auch direkt die Lebenswelt nichtbehinderter Menschen.

Er steht zwar bereits im Duden, jedoch ist der Begriff Ableismus noch so unbekannt, dass selbst MS-Word den Begriff noch rot markiert. Als Vorschläge für alternative Wörter wird u.a. ›Albinismus‹ vorgeschlagen, ironischerweise selbst ein ableistischer Begriff. Meistens wird Ableismus im deutschsprachigen Raum mit ›Behindertenfeindlichkeit‹ gleichgesetzt, was allerdings nur einen Teil von Ableismus darstellt, da nicht jedes herabsetzende und diskriminierende Verhalten gegen behinderte Menschen unbedingt mit körperlicher Gewalt, Hassverbrechen und Aggressionen zu tun hat. Tanja Kollodzieyskis Beschreibung trifft es sehr gut:

»Es geht darum, wie nicht-behinderte Menschen das Leben von Menschen mit Behinderung bewerten; welche Bilder und Stereotypen sie im Kopf haben, wenn sie an behinderte Menschen denken. Diese Bilder müssen nicht notwendigerweise aktiv geformt werden, viel eher nehmen diese passiv Gestalt an durch Unwissenheit, subjektive Erfahrungen oder Falschinformationen in den Medien. Gerade diese passiv erzeugten Bilder sind ein großes Problem, weil kaum über sie nachgedacht wird. Die Folge davon ist, dass sie nicht hinterfragt, sondern als Tatsachen betrachtet werden.«[4]

Behinderung wurde als Phänomen schon immer interpretiert und bewertet. Tatsächlich entsteht erst durch gesellschaftliche und kulturelle Bewertung, die Behinderung im Gegensatz zu Nichtbehinderung als die Norm abgrenzt, überhaupt erst der Unterschied zwischen Menschen mit verschiedenen Körpern. Diese Prozesse bleiben für die Menschen unsichtbar. Unsere Kultur ist so sehr an Ableismus gewöhnt, dass diese Prozesse für uns, auch behinderte Menschen selbst, unsichtbar bleiben und wir ableistische Strukturen daher oft als ›naturgegeben‹ akzeptieren, weil wir eine andere Welt gar nicht kennen. So sind beispielsweise Treppen ableistisch und gleichzeitig ein Symbol der Macht, das sich historisch durch alle Weltkulturen zieht. Treppenstufen verwehren gehbehinderten Menschen den Zutritt und kennzeichnen, welche Menschen über ihnen stehen und Einfluss haben, wer ein Gebäude betreten kann oder nicht. Nicht umsonst sind daher insbesondere vor politischen Gebäuden und Schlössern Unmengen an Treppenstufen angebracht. Barrierefreies Bauen ist bei der Planungsarbeit von Architekt*innen sowie in deren Studium nach wie vor kein Standard. Genauso wenig ist es die Auseinandersetzung mit dem Universal Design[5] und die Fortbildung in ebendiesem. So wird die Norm ›Treppen bauen und gezielt ausschließen‹ bewusst oder unbewusst fortgesetzt. Der Architekt und Berater für Barrierefreiheit Martin Schienbein leistet hier als Verbündeter wichtige Pionierarbeit in Deutschland. Auch der Normgesellschaft der Nichtbehinderten fällt nicht auf, wie ausschließend Treppen sind, vielmehr sind sie sogar noch ein Fitness-Tipp. Wer den Aufzug nutzt, gilt als faul. Diese Annahme diskriminiert zusätzlich noch Menschen mit einer unsichtbaren Gehbehinderung z.B. durch einen Herzfehler, Gelenkverschleiß oder das Fatigue-Syndrom[6]. Nichtbehinderte fordern von Menschen mit einer unsichtbaren Behinderung oftmals zu beweisen, dass sie überhaupt eine Behinderung haben, und ignorieren ihre Bedarfe.

Da die Lebenswelt aller behinderten Menschen durch ihre verschiedenen Behinderungen unterschiedlich ist, und ich nur die Lebenswelt einer Kleinwüchsigen und Gehbehinderten kenne, ist mir bewusst, dass ich mich gegenüber behinderten Menschen mit anderen Lebenswelten möglicherweise ebenso ableistisch verhalte. Der US-amerikanische Wissenschaftler für Kommunikation und Sprache Tom L. Humphries beschrieb in einem unveröffentlichten Artikel den Begriff ›Audismus‹ als einen Weg, den spezifischen Ableismus gegen taube Menschen zu beschreiben. Nach Humphries zeigt sich Audismus

»…in der Form, wie Menschen ständig die Intelligenz und den Erfolg tauber Menschen auf Basis der Sprache der hörenden Kultur beurteilen.«[7]

Ich selbst spreche nicht die Deutsche Gebärdensprache (DGS), habe mir aber in Gesprächen und Interviews mit gehörlosen Menschen einige Erfahrungen angehört, die ich in meiner Arbeit weitergebe. Hörenden Menschen ist meist nicht klar, dass Lautsprachen und Gebärdensprachen jeweils eine eigene Grammatik und einen eigenen Wortschatz besitzen. Somit ist die Schriftsprache für taube Menschen ebenso eine Fremdsprache wie für Hörende bspw. Englisch. Dementsprechend müssen sich taube Menschen dieses Sprachprinzip wie eine Fremdsprache aneignen. In den 1990er-Jahren wurde das Konzept von Audismus in der Arbeit Mask of Benevolence: Disabling the Deaf Community (1992) des US-amerikanischen Psychologen und Sprachforschers Harlan L. Lane als ein Prinzip der Dominanz der Hörenden gegenüber der Gehörlosen-Community beschrieben. Es entstand die Idee des institutionellen Audismus, welcher die Fähigkeit zu hören bevorzugt. Entgegen der Vorstellungen hörender Menschen, lernen taube Kinder an Gehörlosenschulen nicht die Deutsche Gebärdensprache (DGS), sondern werden gezwungen, die Lautsprache zu erlernen. Viele Lehrkräfte sprechen nicht einmal DGS, wie mir mehrfach taube Menschen in Interviews erzählten. Taube Menschen zu zwingen, die Lautsprache zu lernen, ist Gewalt und beraubt sie ihrer eigenen Sprachkultur und Identität.

Nicht normal? – Ableismus macht behinderte Menschen zu den ›Anderen‹

›Die Norm‹ und die ›Anderen‹ gehören zum Standardrepertoire der Forschung in der Soziologie, welche laut Duden als Wissenschaft die »Lehre vom Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft, von den Erscheinungsformen, Entwicklungen und Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlichen Lebens« abbildet. Der Soziologe Erving Goffman legte mit seinem Werk Stigma – Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität im Jahr 1963 soziologische Grundzüge und Beobachtungen über den Umgang der ›Normalen‹ mit den ›Anderen‹, den Menschen mit Behinderung, dar. Allerdings nutzt Goffman selbst auch ableistische Wörter wie ›Handicap‹[8]