Bei der Fahne - Anonym - E-Book

Bei der Fahne E-Book

Anonym

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Beschreibung

Die Nationale Volksarmee – NVA – war eine Welt für sich, in der die Soldaten selbstredend einen eigenen Jargon pflegten. Im Jahre 1956 per Gesetz aufgestellt, war der Wehrdienst bis kurz nach dem Mauerbau freiwillig. Ab 1962 wurde die Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 26 Jahren eingeführt. Bis zum Ende der DDR und damit auch der NVA dienten über 2,5 Millionen DDR-Bürger in der NVA. Für die einen war es ein ungeliebtes Kapitel in ihrem Leben, für die anderen ein zeitweiliger oder lebenslanger Beruf. Es gab viele Belastungen, aber auch Abenteuerliches. Freundschaften fürs Leben entstanden und Partnerschaften zerbrachen an der Armeezeit. Dieser Band widmet sich der NVA in vielerlei Aspekten. Wie sah der Alltag eines Soldaten in der NVA aus? Welche Besonderheiten hatte ein Grenzsoldat zu beachten? Wie verhielt es sich mit der stets deklarierten Freundschaft zur Sowjetarmee? Was bedeutete es, als Christ oder Pazifist den Dienst als Bausoldat anzutreten? Wie und was empfand eine junge Ehefrau und Mutter, wenn der Partner für 18 lange Monate eingezogen wurde? Und was spielte sich zur Wende in den Kasernen ab? Entstanden ist ein bewegendes Erinnerungsbuch an den Dienst Bei der Fahne!

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Bei der Fahne

Dienen in der NVA

Bild und Heimat

eISBN 978-3-95958-819-5

1. Auflage

© by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

Umschlagabbildungen: picture alliance / ZB / Eberhard Klöppel (Vordergrund u. Hintergrund M.); picture alliance / dpa-ZB / Archiv Berliner Verlag (Hintergrund l.); picture alliance / ZB / ddrbildarchiv.de / Klaus Morgenstern (Hintergrund r.)

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat

Axel-Springer-Str. 52

10969 Berlin

Tel. 030 / 206 109 – 0

www.bild-und-heimat.de

Vorwort

Hans-Georg Löffler – Generalmajor a. D.

Ehrenwache am Ehrenmal im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg (Foto: Archiv jm)

1956 – das Gründungsjahr der NVA

Aus den kaserniert untergebrachten Polizeieinheiten, die polizeitypische Strukturen und Bewaffnung besaßen, wurde ab 1952 die Kasernierte Volkspolizei (KVP) geschaffen, die strukturell und kadermäßig den Vorläufer einer Armee darstellte. Denn die so­wjetische Staatsführung drängte die DDR-Regierung, auf die Aufstellung eigener Streitkräfte unter Anleitung so­wjetischer Militärs hinzuarbeiten. Die äußeren Bedingungen, unter anderem der Kalte Krieg zwischen Ost und West und die laufenden Vorbereitungen zur Aufstellung einer westdeutschen Armee, forcierten diesen Prozess. Nachdem die BRD im Mai 1955 dem Nordatlantikpakt (NATO) beigetreten und am 12. November 1955 die Bundeswehr gegründet worden war, folgte der Beschluss der Volkskammer der DDR vom 18. Januar 1956 zur Bildung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV). Bestätigt wurde weiterhin der Beschluss des Ministerrates über die Einführung der Uniformen, Dienstgradbezeichnungen und der Dienstgradabzeichen der NVA sowie über die Aufstellung der NVA, bestehend aus Land-, Luft- und Seestreitkräften. Generaloberst Willi Stoph wurde zum Minister für Nationale Verteidigung (MfNV) berufen. (Klaus Froh: Chronik der NVA, der Grenztruppen und der Zivilverteidigung der DDR 1956–1990. Berlin: Verlag Dr. Köster, 2010.)

Mit dem Befehl Nr. 1/1956 des MfNV wurde die Stärke der NVA auf 120 000 Mann festgelegt, davon 90 000 Mann in den Landstreitkräften. Aber schon am 28. Juni 1956 entschied der Ministerrat, die Personalstärke der NVA auf 90 000 Mann zu begrenzen, das Prinzip der Freiwilligkeit, das sich in der KVP bewährt hatte, beizubehalten und auf die Anschaffung von U-Booten und Bombenflugzeugen zu verzichten.

Die so­wjetische Militärführung orientierte darauf, dass die NVA von Beginn an ein Teil der östlichen Militärkoalition als Reaktion auf die NATO sein sollte. Innerhalb dieser Koalition und unter der Führung und im Zusammenwirken mit der Gruppe der So­wjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) sollte die NVA Aufgaben zur Landesverteidigung erfüllen, die sich aus ihrer strategischen Lage an der Schnittstelle zur NATO ergeben würden. Die dafür notwendige operative Planung erfolgte bis 1989 im Oberkommando der GSSD in Wünsdorf, nach Vorgaben des Generalstabes der so­wjetischen Streitkräfte und unter Wahrung strengster Geheimhaltung. Administrativ wurde das Territorium der DDR in zwei Militärbezirke eingeteilt, im Norden war es der Militärbezirk V, mit dem Stabssitz in Neubrandenburg, und ab der Linie Wernigerode, Jüterbog und Eisenhüttenstadt war es der Militärbezirk III, mit dem Stabssitz in Leipzig.

Neue Uniformen und neue Tradition

Es ist bemerkenswert, dass sich die Partei- und Staatsführung der DDR dazu entschloss, die Uniformen der NVA, anders als bei der Bundeswehr, deutlich den historischen deutschen Militäruniformen anzupassen. Der Erkenntnisweg bis zu dieser Entscheidung verlief jedoch sehr kontrovers. Waren die Uniformen der Kasernierten Volkspolizei allzu deutlich an so­wjetische Vorbilder angelehnt, tauchten nun wieder Bilder von deutschen Soldaten in steingrauen Uniformen und sogenannten Knobelbechern als Schuhwerk oder Offizieren in Stiefelhosen auf. Die Einführung der Uniformen erfolgte auf der Grundlage des Befehls Nr. 1/1956 des MfNV vom 10. Februar 1956. Darin heißt es: »Anstelle der khakifarbenen Uniformen der KVP wird die steingraue Uniform für die Land- und Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und die blauweiße Uniform für die Seestreitkräfte eingeführt.«Bedeutsam ist auch, dass die militärische Anrede festgeschrieben wurde, und zwar galt nun die Anrede »Genosse«mit Nennung des Dienstgrades, zum Beispiel»Genosse Leutnant«,eigentlich eine in Parteien übliche Anrede. Erst ab Januar 1990 wurde im Zuge der Militärreform wieder die Anrede »Herr« bzw. »Frau Leutnant«eingeführt.

Es war also augenscheinlich, die Uniformen der NVA sahen den Wehrmachtsuniformen ähnlich und schon bald war die Rede von den »roten Preußen«.Vor der Erarbeitung des Befehls Nr. 1/1956 hatten zwar viele höhere SED-Funktionäre weiterhin für eine khakifarbene Uniform plädiert, da sie wohl niemanden in Moskau verärgern wollten. Aber die so­wjetische Militärführung argumentierte zu Recht dagegen, dass eine deutsche Militärtradition existierte, die nicht nur reaktionär war: erinnert sei an die deutschen Truppen, die 1813/14 im Befreiungskrieg gemeinsam mit der russischen Armee die Streitkräfte Napoleons besiegten oder an die vielen tausend Soldaten und Offiziere im Nationalkomitee Freies Deutschland während des Zweiten Weltkriegs. An deren Erscheinungsbild solle man sich anlehnen. Die Haltung der so­wjetischen Militärs war lobenswert und es sei bemerkt, dass die russischen Streitkräfte bis in die Gegenwart ihre Traditionen, ob Liedgut, Marschmusik, Uniformen oder Rituale, aus der zaristischen und so­wjetischen Flotte und Armee bewahren.

Eine neue deutsche Armee, eine Volksarmee, wurde aufgebaut. Auf welche Traditionen sollte sie sich stützen? Schließlich würden diese auch die geistige Verfasstheit der Truppe bestimmen. Die Traditionen der NVA spiegelten sich in ihren militärischen Zeremoniellen, Ritualen und ihrem Brauchtum wider. Sie waren Ausdruck des Geschichtsbewusstseins und des Selbstverständnisses der Soldaten. Die jährlich durchgeführten Paraden, der wöchentliche Große Wachaufzug am Mahnmal Unter den Linden in Berlin und der bei besonderen Gelegenheiten stattfindende Große Zapfenstreich, um nur die wichtigsten zu nennen, sind vielen Menschen im In- und Ausland, darunter vielen Angehörigen der NATO-Streitkräfte, noch heute in guter Erinnerung. (Mehr dazu in: Hans-Georg Löffler/Bernd Biedermann/Wolfgang Kerner: Paraden und Rituale der NVA. 1956-1990. Berlin: edition berolina, 2014.)

Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft

Zur Sicherung einer ständig hohen Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft galt es, das Niveau der politischen, militärischen und technischen Ausbildung in den Teilstreitkräften sowie an den Lehreinrichtungen der NVA ständig zu verbessern. Das war notwendig, weil die Streitkräfte der NATO kontinuierlich den Grad ihrer Militarisierung erhöhten.

Die anspruchsvollen Aufgaben zur Intensivierung der Ausbildung, schon ab Beginn des Bestehens der NVA, waren nur möglich mit einem solide ausgebildeten und motivierten Offiziers- und Unteroffizierskorps. Während sich das Offizierskorps der Bundeswehr nach 1955 vor allem aus Angehörigen der traditionellen Eliten der Reichswehr und der Wehrmacht zusammensetzte, entstand in der DDR in wenigen Jahren ein Offizierskorps neuen Typus.

Das war nur machbar mit großer fachlicher und logistischer Unterstützung durch die so­wjetische Militärführung, sicherlich nicht uneigennützig. Bereits ab 1949 konnten Offiziere der Volkspolizei und ab 1952 Offiziere der KVP zum Kommandeur eines Truppenteils in Ausbildungszentren weit hinter Moskau und unter sehr einfachen Lebensbedingungen ausgebildet werden – jedoch unter strengster Geheimhaltung. Von 1956 bis 1990 konnten Offiziere aller Waffengattungen, Spezialtruppen und Dienste zu einem Studium an einer militärischen Lehreinrichtung in der Sowjetunion delegiert werden. Im Buch Militärs der DDR im Auslandsstudium (Bernd Biedermann/Hans-Georg Löffler: Militärs der DDR im Auslandsstudium. Erlebnisberichte – Dokumente – Fakten. Friedland: Steffen Verlag, 2012.) wird hervorgehoben, dass von 1949 bis 1953 circa sechshundertfünfzig Angehörige der Volkspolizei/KVP in der Sowjetunion an einem Qualifizierungslehrgang teilnahmen. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Ausbildung im Widerspruch zu den Beschlüssen von Potsdam zur Demilitarisierung Deutschlands erfolgte. Die so­wjetische Führung erachtete sie jedoch angesichts des sich verschärfenden Kalten Krieges für notwendig, denn es bestand ein hoher Bedarf an Offizieren, die befähigt waren, in höheren Stabsdienststellungen bzw. zur Führung von Verbänden und Truppenteilen eingesetzt zu werden.

Nach der Gründung der NVA und deren Einordnung in den Bestand der Vereinten Streitkräfte der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) sowie wegen der kontinuierlichen Zuführung moderner Führungs- und Waffensysteme aus so­wjetischer, sogenannter vaterländischer,Produktion, schien es notwendig, die Anzahl der Offiziere zu erhöhen, die an Lehreinrichtungen der Sowjetarmee ausgebildet werden. Die qualifizierte und anspruchsvolle Ausbildung von Generalen und Offizieren der NVA an Lehreinrichtungen der Sowjetarmee hat wesentlich dazu beigetragen, dass die NVA in all den Jahren ihres Bestehens eine verteidigungsbereite und akzeptierte Streitkraft im Bestand der Vereinten Streitkräfte der WVO war.

Großer Wachaufzug an der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin, im Hintergrund das Kronprinzenpalais gegenüber der Neuen Wache (Foto: Archiv jm)

Im Verlauf der Manöver »Waffenbrüderschaft-70« und »Waffenbrüderschaft-80« sowie weiterer gemeinsamer Truppen- und Flottenübungen hat die NVA in aller Öffentlichkeit ihr Können und ihre Fähigkeit zur Verteidigung unserer Heimat bewiesen. Eine Voraussetzung dafür war, dass an der Akademie des Generalstabes in Moskau insgesamt zweihundertdreiundachtzig Generale und Offiziere der NVA ein zweijähriges Studium absolvierten. Auch an den fünfzehn Militärakademien der so­wjetischen Teilstreitkräfte beendeten dreitausendzweihundertsiebenunddreißig NVA-Offiziere ein drei- bis fünfjähriges Studium erfolgreich. Hinzu kam, dass eintausendeinhundertdreiundvierzig Offiziere und Offiziersschüler zu einem Studium an so­wjetische Offiziershochschulen delegiert wurden. Alle diese Absolventen beherrschten die Kommandosprache Russisch. Ergänzt wurde die Heran- und Ausbildung von Generalen und Offizieren der NVA an der Militärakademie »Friedrich Engels« in Dresden sowie an den Offiziershochschulen der Teilstreitkräfte. Das Unteroffizierskorps der NVA erhielt seine Qualifikation an den Militärtechnischen Schulen sowie an den Unteroffiziersschulen/Ausbildungszentren der Land-, Luft- und Seestreitkräfte.

Hohe Gefechtsbereitschaft und andere Probleme

Ständige Gefechtsbereitschaft bedeutete, dass stets fünfundachtzig Prozent des Personalbestandes präsent sein musste. Für eine Mot.-Schützenkompanie von hundert Mann hieß das, dass nur fünfzehn der Unteroffiziere und Soldaten im Urlaub bzw. im Ausgang sein durften. Die übrigen fünfundachtzig mussten im Kompaniebereich verbleiben oder die begrenzten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung in der Kaserne zum Beispiel eines Mot.-Schützenregiments (circa zweitausend Mann) nutzen. Die Folge waren Regelverstöße gegen verordnete militärische Disziplin und Ordnung, zum Beispiel unerlaubtes Entfernen, Beschaffung alkoholischer Getränke, Mobbing gegen Soldaten jüngerer Diensthalbjahre und Lustlosigkeit. Leider konnte in den Jahren des Bestehens der NVA der Bedarf an Wohnungen für die Berufssoldaten nicht gedeckt werden. Dies und andere Erscheinungen hatten folglich einen negativen Einfluss auf die Wehrmoral.

Das Engagement der Wehrpflichtigen, Unteroffiziere, Offiziere und Zivilbeschäftigten wurde auch beeinträchtigt durch eine Vielzahl von Verboten, Einschränkungen und Regularien, die bald nicht mehr zeitgemäß waren. Das betraf nicht nur die 85-Prozent-Präsenz für die Truppe, sondern auch Festlegungen in der Bekleidungs-, Innendienst- oder Ausgangs-/Urlaubsvorschrift. Trotz der kritischen Stimmungs- und Meinungsmeldungen aus der Truppe waren keine Bemühungen im MfNV erkennbar, notwendige Korrekturen bzw. Reformen einzuleiten.

Oberst Löffler bei einer Parade (Foto: Archiv Uli Jeschke)

Es ist wohl möglich, dass kritische Hinweise der jüngeren Generation in der oberen politischen und militärischen Führung nicht mehr richtig eingeordnet werden konnten. Die Ereignisse ab dem Sommer 1989, die Fluchtbewegung gen Westen oder die Verschlechterung der Lebensbedingungen in der DDR sowie die begonnenen politischen Umbrüche in den Staaten der Warschauer Vertragsorganisation erzwangen Korrekturen. Förderlich war, dass sehr befähigte Militärs der jüngeren Generation, wie Admiral Theodor Hoffmann oder Generalleutnant Manfred Grätz, zum Minister für Nationale Verteidigung bzw. Chef des Hauptstabes berufen wurden. Die Kommission »Militärreform« wurde einberufen, sie begann die Lage in der NVA zu beurteilen und erste Maßnahmen zur Verbesserung der Dienst- und Lebensbedingungen der Armeeangehörigen einzuleiten. Es war zu spät. Trotzdem erwies sich die Nationale Volksarmee bis zum Schluss ihres Namens würdig. In der chaotischen Zeit zwischen 1989 und dem 3. Oktober 1990 ließ sie sich nicht gegen das Volk der DDR instrumentalisieren.

Der in der Truppe sehr geschätzte Generaloberst a. D. Joachim Goldbach urteilte in einem Interview der Zeitung Neues Deutschland am 10. August 1993: »Es gab im Offizierskorps zu einzelnen Problemen widersprüchliche Auffassungen zur Armeeführung. Zum Beispiel zur Maßgabe, jederzeit fünfundachtzig Prozent der Truppen in Gefechtsbereitschaft zu haben. Das war tatsächlich ein ausgemachter Unfug und lag einfach daran, dass die Armeeführung das Verhältnis zur Sowjetunion und zu deren höheren Militärführung immer völlig tabu hielt. Man war der Meinung, dass Geschlossenheit Vertrauen fördert. Und es waren Bestrebungen dabei, im sozialistischen Lager als Musterschüler zu gelten. Diese schizophrene Situation führte vor allem in den 1980er Jahren dazu, dass ein Teil des Offizierskorps recht kritisch war. Die Kritik ging nicht dahin, das System beseitigen zu wollen, sondern orientierte auf Reformen in der Armee und in der DDR.«

Im Januar 1990 begann eine rasante Entwicklung, die die Angliederung der DDR an die BRD forcierte und somit zur Auflösung der NVA beitrug. Die Volkskammerwahlen am 18. März 1990 bescherten der konservativen Allianz für Deutschland den Wahlsieg. Mit tatkräftiger westdeutscher Unterstützung. Unsere Waffenbrüder im Oberkommando der Westgruppe der Sowjetarmee in Wünsdorf begannen sich westwärts zu orientieren.

Es ist wohl einmalig, dass die höchste militärische Behörde eines Staates das Wort Abrüstung im Namen trägt. In der DDR wurde es möglich. Mit Unterstützung vieler Berater aus westlichen Landen erhielt das Ministerium in Strausberg die aufschlussreiche Bezeichnung »Ministerium für Abrüstung und Verteidigung«und ein Pastor übernahm die Führung der NVA. Das war eine gezielte Demütigung, weitere folgten.

Das Ende der Nationalen Volksarmee

Am 25. September 1990 um vierzehn Uhr wurde der Große Wachaufzug der NVA vor der Neuen Wache in Berlin letztmalig durchgeführt. Es war der Abschied der Nationalen Volksarmee aus der Öffentlichkeit. Dazu stand einen Tag später in der Berliner Zeitung: »… unter gedämpftem Trommelwirbel und getragenen Posaunenklängen hob ein Hauptmann der NVA um vierzehn Uhr dreißig im Blitzlichtfeuer von Fotografen aus aller Welt die schwarz-rot-goldene Truppenfahne. Der Parademarsch fand statt wie seit dem 1. Mai 1962, als dort zum ersten Mal eine Ehrenwache aufzog … Eine Zeremonie ging zu Ende, ja, auch ein winziges Stück DDR-Geschichte.«

Dass die NVA am 2. Oktober 1990 um vierundzwanzig Uhr offiziell aufhörte zu existieren, wurde bereits am Anfang erwähnt. Dass sie untergegangen ist, hatte keine armeeinternen Ursachen. Die Krise, die die ganze DDR und auch die anderen Länder des Warschauer Vertrages erfasst hatte, wurde zur Krise der NVA. Der Untergang der NVA war nicht würdevoll, die Führung der Bundeswehr wollte kein Übergabe-/Übernahmezeremoniell. Und der neue Staat zeigte keine Dankbarkeit gegenüber jenen, die den friedlichen Übergang in diesen neuen Staat, die nun größer gewordene BRD, ermöglicht haben.

»Das Schicksal der NVA dürfte in der Geschichte einmalig sein und vor allem bleiben. Noch nie zuvor ist eine komplette Armee von heute auf morgen aufgelöst worden, finden sich nach nur wenigen Jahren, die seit der staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands vergangen sind, so wenig Spuren einer zuvor gut ausgerüsteten, ausgebildeten und motivierten Streitmacht.«(Volker Koop: Abgewickelt. Auf den Spuren der Nationalen Volksarmee. Bonn, Bouvier Verlag, 1995.) Doch die NVA ist nicht vergessen. Der Verband zur Pflege der Traditionen der NVA und Grenztruppen der DDR e.V., viele andere Traditionsvereine, zum Beispiel der Fallschirmjäger-Traditionsverband Ost e.V., und Freundeskreise an den ehemaligen NVA-Standorten sowie NVA-Privatmuseen bemühen sich intensiv, die Erinnerung an die NVA zu bewahren.

Alltag in der Kaserne

(Foto: Archiv jm)

(Foto: Archiv jm)

Der erste Tag – Ankunft bei der Truppe

Uli Jeschke

Vereidigung in Dresden (Foto: Archiv jm)

Nun war ich Soldat. Am gestrigen Montag, den 4. November 1974, war ich angekommen in der Kaserne, die für die nächsten Wochen mein Lebensort sein sollte. Im Gegensatz zu den meisten meiner zukünftigen »Genossen«, so lautete die offizielle Anrede bei der NVA, war ich nicht mit einem sogenannten Sammeltransport per Reichsbahn angerollt. Die Einberufungskarte galt dabei als Fahrkarte, und Eisenbahner oder NVA-Soldaten nahmen die »Zukünftigen« an einem in der Nähe des Wohnorts gelegenen Bahnhof in Empfang und platzierten sie in den Abteilen. Oft gestaltete sich die Fahrt als mittlere Sauforgie, schnell noch so viel Alkohol als möglich, bevor die alkoholarme Zeit begann, war die Devise der frisch Eingezogenen. Am Zielbahnhof waren dann gehörig viele der zukünftigen NVA-Angehörigen betrunken, und die Offiziere und Unteroffiziere, die sie in Empfang nahmen, hatten nicht selten große Mühe, den wüsten Haufen einigermaßen geschlossen in die Kaserne zu bringen.

Seit Einführung der Wehrpflicht wurden jeweils im Frühjahr und im Herbst junge Männer zur NVA eingezogen. Der Einberufungsbescheid sorgte bei den meisten nicht unbedingt für Freude. Man musste sich für längere Zeit von liebgewordenen Gewohnheiten, seinem häuslichen Umfeld, manche von der Freundin oder Frau trennen, um sich fortan mit anderen jungen Leuten Gemeinschaftsunterkünfte zu teilen und den Befehlen von Vorgesetzten unbedingt zu folgen. Nicht unbedingt die Lieblingsbeschäftigung von Jungs zwischen achtzehn und sechsundzwanzig Jahren. Außerdem schwante einem einiges, was Sport und körperliche Ertüchtigung angeht. Auch über das Essen bei der Truppe hatte man nicht viel Gutes gehört. Dazu kam aber Neugier auf neue Leute und die Technik, mit der man es zu tun bekommen würde.

Jedenfalls stand ich erst einmal allein mit meiner fast leeren Reisetasche vorm Tor. Ich hatte nur ein bisschen Unterwäsche, Socken, Hygieneartikel und ein paar Bücher eingepackt. Mit der Einberufung hatte man einen Merkzettel erhalten, was mitzubringen sei. Alles andere bekam man vom »VEB Landesverteidigung«. Selbst die Unterwäsche stellte die Armee, lange weiße Unterhosen und langärmlige weiße Unterhemden. Was der »VEB Gleichschritt«, noch so ein ironisches Synonym für die NVA, weiterhin für uns bereithielt, sollte ich ein paar Stunden später erfahren.