Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
So sehr die künstliche Intelligenz (KI) selbst für philosophische Fragestellungen geeignet ist, taugt sie wohl nicht so gut für eine meditative Selbstanalyse, um die es in diesem Buch geht. Freuds Diktum 'Sex' (in Anführungszeichen) als Logik zu verstehen, hat auch die Psychoanalyse J. Lacans beherrscht. Er hat sie eine Wissenschaft v o m Subjekt genannt, die wegen ihrer Komplexität auch Probleme machte. Doch in der Gegenüberstellung von KI und Lacans Psychoanalyse lässt sich diese Wissenschaft um meditative Elemente erweitern, so dass man nicht eine künstliche, sondern eine der Liebe (dem 'Sex' in sublimierter Form) unterstelle Intelligenz entwickeln kann, die für eine Selbstanalyse (Selbst-Erfahrung und -Therapie) nicht nur kognitiv von Vorteil ist, sondern auch beglückt. Das entsprechende Verfahren, das der Autor 'Analytische Psychokatharsis' nennt, ist äußert einfach aufgebaut, und kann so aus diesem Buch heraus erlernt werden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Das Umschlagbild der Malerin T. Heydecker hat keinen Titel (o. T.), aber es zeigt Augen, Gesichter, Hände, Blumen und Pflanzen und noch Einiges mehr in gegenseitiger Verschlungenheit, so dass man ihm auch hunderte von Titeln geben könnte. Und so passt es genau zu dem Buch, dem ich fast den Titel der Überschrift des ersten Kapitels gegeben hätte. Doch das schien mir dann doch zu frivol, auch wenn es echt gemeint ist.
1. ‚Sex’ als Logik
2. Parallel-Universum oder: Ich ist ein Anderer
3. S’ist heruntergekommen
4. Die Futuristen
5. Der Mensch als Knoten
6. Signifikanten
7. Das Reale und das Genießen
8. KI, Nanotechnologie und das Vorbewusste
9. Top-Intellektuelle und Traumanalyse
Anhang
Literatur
‚Sex’ als Logik, das klingt sehr nach etwas Widersprüchlichem, und ist es auch. Dennoch verbirgt sich in diesem Ausdruck etwas psychoanalytisch Prinzipielles. Denn seit jeher versucht die Psychoanalyse eine Wissenschaft vom Subjekt zu sein, die nicht nur mit faden sachlichen Bemerkungen daherkommt, sondern mit der von Freud so benannten `Sexualtheorie‘ etwas unter die Haut Gehendes, Vibrierendes und Erotisierendes mit sich führt. Für Freud ist das sexuell Charakteristische nicht biologisch, nicht von Hormonen, auch nicht von Pheromonen, sondern von Phonemen, Lautsprachlichem her bestimmt. Es lautet so ähnlich wie Sex, meint aber Sprachlaute, Bedeutungszeichen, Signifikanten. Freud musste eine ‚sexuierte‘ Sprache verwenden, sonst hätte man ihn nicht gehört. Es geht also um ‚Sex‘ in Anführungszeichen, das metaphorisch gemeint ist, aber real metaphorisch.
Ich kann es gleich an einem Beispiel erklären. Indem der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts seine Vorträge ohne Manuskript, frei und animierend, hielt, und sich – nach zögerlichen Anfängen – schließlich hunderte von Zuhörern in die Säle der École Normale Supérieur‘ de Paris drängten, konnte er den derartigen ‚Sex‘ auch ganz plastisch vermitteln: nämlich dass er der Mann sei, der brillant Intellektuelles über die Psychoanalysevortrug, und das Publikum die Frau, oder die Frauen seien, die sich dem hingaben: ‚Sex’ als Logik sozusagen. Tatsächlich war es so, dass das von Lacan sogenannt ‚weibliche‘ oder besser: feminisierte Publikum (es waren mehr Männer als Frauen zugegen) kaum etwas sagte, auch wenn er dazu aufforderte, ihm Fragen zu stellen.
Wie im wirklichen Leben gaben sich diese` Publikums-Frauen‘ nicht gleich der vorgetragenen Logik hin, bzw. psychoanalytisch ausgedrückt: sie rückten mit ihrer Wahrheit nicht heraus, sie gaben ihre Angst nicht her und verblieben im Wartestand. Lacan frotzelte manchmal über seine Zuhörer*innen oder machte süffisante Bemerkungen. Einmal sagte er auch, dass er sich bei seinem Vortragen so lustvoll frei und gehoben wie im ‚Sex’ fühle, obwohl er in der Realität weit entfernt davon war. Aber so verhält es sich eben mit dem ‚Sex’ als Logik‘, denn sowohl die Art, wie auch der Inhalt von Lacans Vorträgen, ging noch ein Stück über die bisher bekannten ähnlichen Versuche eines der Logik unterstellten Sexuellen hinaus, wie sie etwa der Philosoph M. Foucault beschrieben hat.1
Auch Foucault sah im Sex etwas Widersprüchliches, er verstand „unter Sex nicht die Sexualität, sondern den Körper als solchen und seine Lüste, ohne Einengung, Regelung und Strategie“. Seiner Meinung nach müsste man den Sex all seiner Regeln und Formen entkleiden, seine „Kargheit“ und „Hinterhältigkeit“ von ihm nehmen und ihm seine „Selbstpraktiken“ in Eros und Liebe wiedergeben, die in der Antike, in der ‚ars erotica‘ vorgeherrscht haben sollen.2 Für Foucault übt der Sex eine Diktatur der Missverständnisse aus, denn es fehlt selbst das ‚Objekthafte‘, das Bestätigte, Definitive. Man muss „Nein zum König ‚Sex’“ sagen, dozierte er, damit eine freie „Selbstpraxis“ entstehen kann. „Man glaubt, Jahrhunderte lang sei die Sexualität unterdrückt worden und die Macht perfide gewesen, während man doch in Wirklichkeit heute einfach nur in einer Zeit lebt, in der man deswegen so viel vom Sex spricht (Sexualwissenschaften, Psychoanalyse etc.), um auf die lüsternste Weise an der gesellschaftlichen Macht zu partizipieren“.
Foucault konstatiert für die Neuzeit eine obsessive Beschäftigung mit dem Sex, die sich in einer regelrechten „diskursiven Explosion“ ausdrücken würde. Der Sex wurde für das Bürgertum zunehmend zu etwas, „das all seine Sorgen in Anspruch genommen und das er in einer Mischung aus Angst, Neugier, Ergötzen und Fieber kultiviert.“ Sexualität wurde zum innersten Geheimnis des Subjekts, zum „Universalschlüssel, wenn es darum geht zu wissen, wer wir sind“ und dadurch zu einem Gegenstand der Wissenschaft: „Man glaubt, dem Sex seine Wahrheit entreißen zu müssen, . . Er soll uns sagen, was mit uns los ist.“ Weil dies selbst in der klassischen Psychoanalyse nicht so gut gelang, lehnte Foucault sie ab.
Doch Lacan reichten diese Äußerungen nicht. Schon Freud hatte Philosophen und Logiker als sublime, also als verfeinerte und vergeistigte, Hysteriker bezeichnet, weil diese lediglich aus ihrem Ich, bzw. ihrem Selbstbewusstsein heraus stichhaltige Wahrheiten verkünden würden, die zwar großartig und elegant seien, aber nicht wissenschaftlich präzise. Ohne die Einbeziehung des Unbewussten sei eine Wissenschaft vom Subjekt, sei eine Klärung all dessen, was nicht objektivierbar ist, unmöglich. Lacan hob stets die Dreiheit des Imaginären (Bildhaften, Erscheinungs-Wirkenden), Symbolischen (Sprachlichen, Wort-Wirkenden) und des Realen heraus, das nicht Realität, sondern ‚ex-sistierend‘ ist, also ex (von außen her) und ‚sistierend‘ (drängend, beharrend) ist. Es sei „ohne Riss“ und stets als Kern des Ganzen am gleichen Platz wiederkehrend.
Nur mit dieser Dreiheit (symbolisch, imaginär, real) ließe sich alles definitiv einkreisen und auch aus dem ‚Sex‘ (jetzt wieder mit Anführungszeichen) heraus eine Logik entwickeln, die zu Sich als Anderem führt, als unbewusst Anderem. Der/das Andere ist der Ort, in dem sich die Wahrheit einschreibt.3 Denn das Unbewusste – so Lacan – ist die Sprache des Anderen, der nicht der Fremde ist, sondern der/das Andere von einem Selbst, die eigene Andersheit in sprachlicher Vermittlung. Die Sprache allein würde Es, das Freud‘sche Es, das Unbewusste, nicht erreichen. In seinem 24sten Seminar behauptete Lacan nämlich, dass die Sprache (also schwerpunktmäßig das Symbolische), wie sie üblicherweise verwendet wird, misslungen sei. Sie sei „unpassend, um irgendetwas zu sagen“.4 Vor allem nutze man die Sprache mehr zur Verschlüsselung innerer Strebungen, als zur Enthüllung und Klärung, wozu sie eigentlich da sei.5
Ja, Lacan geht noch weiter und konstatiert, dass die Sprache eigentlich wie eine Obszönität daherkomme. Allerdings steckt hinter dieser Aussage ein Wortspiel. Im Französischen klingt obszön wie ‚ab-scene‘, wie ‚andere Szene‘, die Freud auch als das Unbewusste bezeichnet hat. Das Ganze ist also ein bisschen Spielerei, die für die Psychoanalytiker typisch ist, denn sie haben es ständig mit veränderten Worten ihrer Patienten aus Träumen und Versprechern zu tun, deren hintergründige Bedeutungen sie als ‚Sexuiertes‘ deuten müssen, als Sprache des Anderen, der/das den ‚Sex‘ als Logik verkörpert. Trotz allem, ganz unsinnig sind die Behauptungen Lacans nicht. Schließlich waren Wortspiele im Zusammenhang mit dem Unbewussten, das eben bereits bei Freud als ‚Sex‘ in Form einer zu entziffernden Logik galt, therapeutisch gerechtfertigt.
Die Sprache des Unbewussten ist die des nach außen strebenden Verdrängten, die einer verborgenen Andersheit, und so erklärte Lacan an anderer Stelle des gleichen Seminars (XXI), dass es grundsätzlich zwei unterschiedliche Formen des Sprechens einer Sprache gibt: ‚volles Sprechen‘, das einen wirklichen Sinn, einen Wahrheits-Sinn vermittelt, und ‚leeres Sprechen‘, mit dem nur Bedeutungen aneinandergereiht daher geleiert werden. Nur unter Einbeziehung des Unbewussten ist das Sprechen voll. Reale Logik ist nur vom Begehren, vom ‚Sex‘ heraus zu erreichen, weil dann schließt sie das Subjekt mit ein.
Selbst wenn die Marktfrauen untereinander oder die Männer am Stammtisch sich gegenüber wohl nur Bedeutungen und nicht großartige Ausdrücke eines Wahrheits-Sinns austauschen, passiert so etwas auch generell im Alltag der meisten Menschen, nämlich dass sie nicht voll sprechen. Und sogar in der Psychoanalyse, wo es doch so auf das Sprechen ankommt und versucht wird, das Unbewusste einzubeziehen, verhält es sich manchmal nicht viel anders und ist das Sprechen oft leer. Entsprechend seiner oft vorwitzigen und leicht frech-frivolen Art, meinte Lacan auch, dass die Psychoanalyse wohl ein Schwindel sei. „Sie ist vielleicht ein Schwindel, aber nicht irgendeiner, sie ist ein Schwindel, der zutrifft im Hinblick darauf, was ein Signifikant ist, denn der hat das, was man Sinn-Effekte nennt“.
Nun, ein Signifikant ist das Schillernde und gleichzeitig Bezeichnende in den Worten und Sätzen, und von daher erscheint es fraglich, wie man sich tatsächlich mit solch einem Fluidum, so etwas ‚Unpassendem‘, wie der Sprache überhaupt verständigen kann. Um das zu verstehen, gibt es zwei Möglichkeiten. Einerseits die auf die Psychoanalyse bezogene, hinsichtlich der man wissen muss, dass es am Anfang des menschlichen Lebens einen ersten Blick gibt, ein erstes Erscheinungs-Wirkendes, bzw. Imaginäres, indem „der bloße Anblick der vollständigen Form des menschlichen Körpers dem Subjekt eine imaginäre Beherrschung seines Körpers verschafft, die gegenüber der realen Beherrschung verfrüht ist. Das Subjekt greift der Vollendung der psychischen Beherrschung voraus, und diese Antizipation wird ihren Stil jeder späteren Ausübung der wirklichen motorischen Beherrschung aufdrücken. Das ist das ursprüngliche Abenteuer, in dem der Mensch zum ersten Mal die Erfahrung macht, dass er sich sieht, sich reflektiert und sich als anders begreift, als er ist – die wesentliche Dimension des Menschlichen, die sein ganzen Phantasieleben strukturiert“.6
Und das wirkt sich dann eben auch strukturierend mit auf seine Sprache und sein Sprechen aus, wozu ja Lacans Meinung passt, dass die Sprache unpassend sei, um etwas zu sagen. Die Signifikanten, die durch ihre Differenzwirken, sind so sperrig, so widerspenstig, weil sie nicht auf eine Ordnung, sondern speziell aufs Subjekt bezogen sind. Doch andererseits wirft man so etwas Sperriges auch der künstlichen Intelligenz (KI) vor. Deren Akteure haben beim Bau ihrer Sprachprogramme bemerkt, dass sie umgekehrt wie in der Psychoanalyse nicht die Knoten der Signifikanten dechiffrieren, sondern sie einbetten müssen in den riesenhaften typographischen Raum, den das Internet darstellt. Sie reden von ‚Worteinbettungen‘ und ‚Wortvektoren‘, die Syntaktisches und Semantisches immer wieder anders zusammenfügen, so dass ein normaler Satz entsteht.7
Der vom KI-Anderen herkommende Satz ist wohl auch ein Schwindel, und zwar deswegen, weil der KI-Andere nicht der psychoanalytisch Andere des eigenen Unbewussten ist, sondern nur der eines Informatikers. Trotzdem kann man den einen Schwindel gut mit dem anderen vergleichen. Denn die ‚Einbettungen‘ von Bildern oder Worten haben gleichermaßen mit dem ersten Blick, mit dem Erscheinungs-Wirkenden, dem Imaginären zu tun. Man braucht sich nur ein großes Zimmer vorzustellen, es also zu imaginieren, und darin Wortstücke sich nach dem für die KI typischen ‚Ähnlichkeiten‘, ‚statistischen Wahrscheinlichkeiten‘, Bedeutungszusammenhängen, linguistischen Klassifizierungen, etc., verbinden lassen. Diese dann zu Phrasen und Sätzen führenden Bewegungen sind dann die ‚Wortvektoren‘ und betreffen das Gleiche wie die Signifikanten in der Psychoanalyse Lacans, nämlich so etwas wie den ‚Sprachschlüssel‘, wie das Sprachverständnis, wie den Clou der Worte, was ich in meiner von Lacan inspirierten Nomenklatur das Wort-Wirkende heiße. Erscheinungs- und Wort-Wirkendes sind zwei Grundkräfte, Grundformen des Begehrens, das Lacan auch die Aufmerksamkeit nennt.8 Aufmerksamkeit ist eine Neigung, eine Affinität, ein Verlangen zu etwas, und das betrifft eben auch das, was man mit dem Wort Trieb verbindet, der in der Psychoanalyse nicht biologisch ist, sondern ‚Sex‘, Strebung, Begehren.
Wenn die ‚Worteinbettungen‘ der KI auf die ungeheuren sprachlichen Datenmengen im Internet zurückgreifen, verwenden sie dennoch nur ein begrenztes Areal, denn die zwischenmenschlichen Beziehungen werden dort nicht einer kreativen Aufmerksamkeit unterzogen. Die Kombination verschiedener ‚Kontext‘- und ‚Ziel‘-Wörter miteinander umfassen Imaginär- und Symbolisches, aber nicht das Reale der Aufmerksamkeit und des Begehrens. Umgekehrt bei den Signifikanten, die unbewusst zusammen-gefügt sind und somit nicht auf das äußere, bewusste Internet zugreifen, sondern auf die Sprache des Anderen, die Sprache der grundsätzlichen Andersheit, die eben das Unbewusste und dessen Aufmerksamkeit charakterisiert.9 Es handelt sich also um zwei ganz gravierend unterschiedliche Wege, die die Psychoanalyse und die KI hierbei gehen. Die KI kennt kein Unbewusstes, wie ein psychisch Kranker verleugnet sie dies sowohl für das Imaginäre als auch für das Symbolische so wirkmächtige Reale.
Ich komme im Weitern noch ausführlich auf all diese Begriffe zurück. Aber bereits von dem bisher Gesagten her erscheint es gewiss nicht einfach, ein Buch zu schreiben, wie ich es hier tue, das ein selbstanalytisches Verfahren, eine Methode der Selbst-Praxis vermitteln und kein Schwindel sein soll. Denn ich komme zu einem ‚vollen Sprechen‘ zwar nicht dadurch, dass ich so außergewöhnlich Umfassendes von mir gebe, sondern Andere, reale Andere, einbeziehe, die es sozusagen durch ihre Praxis vollenden, zu der ich lediglich die Anleitung liefere. Ich tue dies nicht deswegen, weil die Psychoanalyse – vor allem diejenige, die Lacan als ‚klassisch‘ und ‚herkömmlich‘ abqualifiziert – ein Schwindel sei, sondern weil die Psychoanalyse trotz der Erneuerung, Erweiterung und Verbesserung, die Lacan gebracht hat, immer noch sehr theorielastig und umständlich ist.
Andererseits ist auch die Entwicklung der KI diesbezüglich noch nicht sehr weit gelungen. Ihre Intelligenz ist eine rein mechanistische, kalt berechnende Erkenntnisform, während die Psychoanalyse und das von mir entwickelte selbstanalytische Verfahren sich auf eine Intelligenz stützt, die der innigen Zuwendung und Empathie unterstellt ist. Dass die Liebe, das hochsublimierte und vergeistigte Begehren (dem ‚Sex‘ in Anführungszeichen) als Erkenntniskategorie gilt, habe ich von dem Paläoanthropologen T. Appleton übernommen, der sagte, dass Liebe eine „kognitive Erkenntnismöglichkeit“ sei, wenn es darum geht, etwas zu erforschen, das dem Wissenschaftler auf anderen Wegen nicht mehr zugänglich ist.10
Wie der Frühmensch, z. B. der Neandertaler gedacht, gefühlt und gesprochen hat, ist nur sehr schwer wissenschaftlich objekthaft zu erfassen. Die Knochenfunde allein geben zu wenig Anhalt. Auch Lacan drückte es so aus: „Oft kann man nur beweisen, dass etwas existiert, indem man liebt“, und indem Appleton seine Neandertaler liebte, sie ihn faszinierten und nicht mehr losließen, konnte er sich tief in sie hinein fühlen und denken. Indem er zusätzlich noch moderne paläoanthropologische Elemente in seine Betrachtung mit hineinnahm, konnte er gut begründete Aussagen über das Leben dieser Frühmenschen machen. Warum also nicht mit dieser der innigen Zuwendung unterstellten Intelligenz voranschreiten, anstatt mit der einer nur stur und gewaltsam versachlichten Form, auf die sich die Technokraten stützen.
Was die Theorielastigkeit der Psychoanalyse angeht, trifft dies sogar auf die von Lacan bewirkte Erneuerung besonders zu. Es gab kaum einen Hörer seiner Seminare, der nicht gesagt hätte, dass er von den vorgetragenen Inhalten nichts verstanden hat. Aber Lacan meinte stets, das sei gerade gut, alles zu verstehen sei gar nicht möglich, wichtiger sei es zu bemerken, dass an seinen Aussagen etwas dran ist. Denn so bliebe man wach, während man sich beim ‚Ver-Stehen‘ nur in eine gute Position bringen wolle, nur richtig dazu ‚Stehen‘ wolle, ohne in die Sache einzudringen. Mit anderen Worten, man konnte Lacan schon folgen, musste eben manches noch nachlesen oder gleich mehrmals studieren. Nur so konnte der ‚Sex’ seiner Vorträge an der École Supérieur Logik werden. Ich werde noch schildern, warum dies dennoch nie bis zur Perfektion gelingen konnte.
Nun will ich – trotz allem – diesen einen Schritt weiter gehen und also eine Selbstanalyse, Selbstpraxis propagieren, die ich Analytische Psychokatharsis genannt habe, zu deren Darstellung ich aber nicht zu viel und nicht zu komplizierten Text verwenden möchte. Auch wenn der ‚Sex‘ als Logik nicht so leicht gelingen wird, obwohl dies notwendig wäre, wenn es sich um eine Wissenschaft vom Subjekt handeln soll, kann ich gesicherte Ergebnisse aus dem Bereich des unbewusst Seelischen bringen. Wie gesagt sind diesbezüglich Andere für mich notwendig, andere Subjekte, die der KI völlig egal sind, denn sie stülpt diesen einfach ein linguistisches Universalkonzept über. Das Internet ist für sie der ‚Heilige Geist‘, den sie zum Sprechen bringt.
Nun ist dies keine zu verachtende Leistung, aber gerade diese Fertig-Lösungen, dieses Online-Gestammel von Milliarden Technologie-Höriger, wie sie früher von den religiösen Performern repräsentiert wurden, hoffe ich doch überwinden zu können. Freilich habe ich gegen die KI-Technokraten und ihre kalte, materialistische Auffassung mit meinem humanwissenschaftlichen Verfahren der Analytischen Psychokatharsis nur eine geringe Chance. Ich setze hier also besonders auf die Praxis, denn das von mir entwickelte Verfahren ist in seiner praktischen Anwendung einfach zu erlernen. Will man es aber auch begreifen und der wissenschaftlichen Begründung folgen, kommt man nicht drum herum, den folgenden Text zumindest soweit zu lesen, bis man von der Methode ausreichend überzeugt ist. Einfach erlernen ist so wie ‚Sex’, ausreichend überzeugt sein sowie Logik.
Ich bin zur Beschreibung dieses Verfahren auch dadurch gekommen, dass ich gelesen habe, ein Parallel-Universum–so es überhaupt eines gibt oder geben kann–würde nur 10-31 cm von uns entfernt sein. Das ist ein so irrer niedrigerAbstand, dass das Parallel-Universumpraktisch mit uns identisch ist. Es ist in unserer Hand, im Auge, im Herzen, einfach überall und doch woanders. Auch das klingt wieder sehr nach dem Anderen, der man selbst ist, auch wenn es hier nur durch die zwar nicht bewiesene, aber hochgradig zu vermutende Anwesenheit von Dunkler Materie und Dunkler Energie in unserem Universum bestätigt sein würde. Zweimal Dunkles, doch soweit muss man im Eros gar nicht gehen. Denn es ist nicht ganz unplausibel, dass zum Unbewussten der Begriff einer universellen Parallelwelt passt.
Es ist innerlich so nah, dass ich mir dachte, warum kann man nicht unmittelbar mit ihm als einem Anderen in uns selbst in Kontakt kommen, und dadurch alles über sich und die Welt erfahren, und muss nicht über etliche Jahre hin, mehrmals wöchentlich zu einem Psychoanalytiker gehen, der einem zwar mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ zuhört, wie Freud sagte, aber nichts erklären und überhaupt nicht viel reden soll. Er soll den Patienten eher mit stoischem Schweigen behandeln, sich auch Träume und Peinlichkeiten erzählen lassen, woraus sich jedoch erst nach Jahren Wahrheiten als endgültige Deutungen eruieren lassen. Nun wusste ich, das auch mit meditativen Methoden Wahrheiten aus dem Unbewussten herausholbar sind, insbesondere, weil sie den Einzelnen einbeziehen, und so kam ich zur Entwicklung der Analytischen Psychokatharsis, in der Psychoanalyse und Meditation verbunden werden.
Lacan hat die Sprachwissenschaft ins psychoanalytische Vorgehen eingebracht, und mit dieser Hilfe lässt sich das Unbewusste besser zum Reden bringen, wenn man es mit etwas ‚Sprachlich-Kristallinem‘ – so Lacans Ausdruck für die Struktur des Unbewussten – mit etwas Erscheinungs-Wirkendem, Blick- und Schaulüsternem – könnte man auch sagen – konfrontiert. So etwas kann man jedoch auch für die Meditation nutzen, wo man bekanntlich formelartige Sprüche verwendet, die wie solche ‚sprachlich-kristallinen‘ Elemente aufgebaut sind und seelisch stärkend wirken, aber nur mythisch, mystisch verfasst sind. In der Selbstpraxis der Analytischen Psychokatharsis lässt sich der/das Andere in äußerst formaler Form darstellen und so das ‚Sprachlich-Kristalline‘ wissenschaftlich erfahren. In einigen Kapiteln werde ich dies genauer beschreiben und nochmals im Anhang auch von der praktischen Seite her erklären und auch den Bezug zur KI und Meditation aufzeigen.
Ich habe zu diesem Thema bereits in meinem Buch ‚Verinnerlicht Euch!‘ Stellung genommen. Ich schrieb: Geht nach innen und nicht nur nach außen! Warum nicht bei sich selbst anfangen? Hat es nicht schon genug Kampf und Kriegsgeschrei gegen andere gegeben? Warum nicht den inneren Schrei, den der Seele nach Befreiung, hören? Nach dem die 68er Bewegung schon nachgelassen hatte, meinte der Linksrevoluzzer Stéphane Hessel, er müsse den jungen Leuten noch nach der Jahrtausendwende etwas Ähnliches, nämlich ein ‚Empört Euch‘! zurufen: klagt alles und alle an, wenn es Euch schlecht geht. Macht kaputt, was euch kaputt macht.
Dieser Aufschrei hat sich inzwischen scheinbar überholt, seitdem man sich in den sozialen Medien bis zur Erschöpfung bewegungslos empören kann.11 Später hat der Journalist und Autor U. Wickert diesen mahnenden und appellativen Tenor mit einem ‚Identifiziert Euch‘ zu krönen versucht.12 Aber auch dieser Aufschrei war nicht erfolgreich, obwohl er ja nicht mehr so drastisch in die Kerbe einer Bewegung gegen andere schlug, sondern in eine zu sich selbst. Eine gegen trostlose Gleichmacherei und Ideologie. Aber die gleichmachende, identifizierende Anpassung findet ja wiederum nur vor dem Hintergrund eines Nicht-Angepasst-Seins statt, eines, wie von Freud erwähnt, noch rohen, primären Zustandes der Triebkräfte. Man kann noch so gut angepasst sein, meinte er, die elementaren Kräfte brechen immer wieder mal durch, egal ob mittels niederer oder höherer Lüste.
Der Text dieses Buches ist nicht in mahnender, sondern lediglich in essayistischer Form verfasst, mittels der von psychoanalytischen, meditativen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Bereichen berichtet wird. Das Hauptgewicht liegt auf der Praxis, die als eine auf das Subjekt bezogene Wissenschaft gelten soll, und so wird sie nicht ohne Theorie auskommen, sonst wird die Sache mystisch, magisch. So brillant intellektuell wie Lacan in seinen Seminaren vorgegangen ist, wird es zwar nicht werden, egal ob dies jetzt besser oder schlechter ist, aber zu verstehen ist es leichter.
Und vor allem: das Begehren, der ‚Sex‘ als Logik, wird so direkt verständlich, denn was sollte eine exakte Logik sein? „Das Einzige, was in der Geschichte (der Logik) als erstaunlich hervortritt, ist der Eindruck der Gleichförmigkeit in der Zustimmung, der diese sogenannten aristotelischen Formeln bis hin zu Kant begegnet sind, denn Kant bewahrte die Illusion, dieses Gebäude der Logik sei unangreifbar“.13 Das scheint selbstverständlich zu sein, aber für eine nicht nur dem Bewussten, sondern auch dem Unbewussten unterstellte Logik, einer Logik des Subjekts, stellt sich diese Frage nicht. Bei den Psychoanalytikern entscheidet das Begehren, was logisch ist und was nicht. Bei der KI entscheidet es der Programmierer. In der Analytischen Psychokatharsis geht es jedoch hauptsächlich um das Wesen des Subjekts, wozu das Entscheidende beim Einzelnen selbst liegt, bei ihm als Anderem.
Das Meditieren der nicht mehr mystisch, sondern nach wissenschaftlichen Kriterien geschriebenen Formulierungen der Analytischen Psychokatharsis (sprachlichkristallin aufgebaut haben sie dennoch keinen Sinn, und provozieren so das Unbewusste) führt nämlich zu einem sich vom originär unbewussten Begehren her entfaltenden und erkenntnisfördernden ‚Selbstgespräch‘ oder anders gesagt: zu einem Gespräch zu sich als Anderem. So etwas ist nichts Ungewöhnliches, ich zitiere diesbezüglich immer gerne den Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger P. Handke, der erzählte, dass er oft ‚unwillkürliche Selbstgespräche‘ führe. Dabei komme es zu plötzlichen, aus dem Unbewussten auftauchenden Worten, Phrasen und Sätzen. Es handelt sich dabei nicht um die bewussten, oberflächlichen, alltäglichen Selbstgespräche, die keine Tiefenerkenntnisse liefern, aber ablenkende Wirkung haben.
In gleicher Weise hat auch der Heilige Augustinus Selbstgespräche geführt, die nicht bewusste, schlichte, profane Unterhaltungen waren, sondern durch meditative Übungen angeregte, und genauso wie bei Handke, plötzlich aus dem Inneren auftretende Äußerungen vermittelten.14 Augustinus schreibt, dass er nicht wisse, ob „der Redende körperlich oder unsterblich sei, aber was er denke sei wahr und wissbar“. Er sei nicht Gott, bilde aber dennoch den Bezugspunkt seiner Bemerkungen. Es geht auf jeden Fall um mehr als nur um ein Denken, eine Vorstellung, eine Überzeugung oder intuitive Gewissheit. Doch war es bei Augustinus sicherlich mehr als die alltäglichen Gespräche mit den Mitmenschen.
Zuletzt ein Hinweis auf das Werkzeug, das die Psychoanalyse benutzt und das auch für das Verständnis der Analytischen Psychokatharsis wichtig ist. Freud ging von den ursprünglichen Kräften des Eros-Lebens- und des Todes-Triebs aus. Diese Einteilung hat sich nicht so bewährt, weshalb Lacan die beiden Grundtriebe Erscheinungs-Wirkendes, bzw. Schautrieb und Wort-Wirkendes,, bzw. Sprechtrieb nannte. Er bezeichnete sie auch als ein ‚Sich Sehen und ein sich Hören Machen‘, was ich manchmal noch weiter zu einem Es Strahlt und Es Spricht verkürze.
Es sind Grundvorgänge des Begehrens, das in ersten Fall den Blick und im zweiten die Stimme zum ‚Objekt‘ haben. Psychoanalytiker verwenden noch andere, vor allem sogenannte ‚zonale‘ Trieb-Objekte wie z. B. den Oraltrieb und das für das Kleinkind wichtige orale Objekt, die Mutterbrust. Das Kind nimmt die Brust der Mutter immer wieder als einen Teil von sich selbst wahr, und diese Wahrnehmung konzentriert sich auf die Zone seiner Mundöffnung. Es muss von diesem zonalen Trieb-‚Objekt‘ entwöhnt werden, während der zu krasse Gourmet noch etwas am Oralen hängen geblieben ist. Und so – in ähnlicher Weise also – übertönen manche Menschen alles mit ihrer Stimme, weil sie sie für universal halten und sie in andere damit eindringen wollen. Und der von zu vielen Blicken gebannte Mensch wiederum ist psychisch krank. Er versteht es nicht anderen in die Augen zu schauen und vermeidet den Blick meist gleich ganz.
1 Foucault, M., Short Cuts, Das Abendland und die Wahrheit des Sexes (2001)
2 Foucault, M., Short Cuts, Verlag Zweitausendeins (2001)
3 Lacan, J., Séminaire XVII, Starferla free, S. 125
4 Lacan, J., Seminar XXIV, Vortag vom 8. 3. und 18. 4. 1977, aus Lacan entziffern.de
5 Lacan, J., Seminar XXI, Staferla, Vortrag vom 20. 12. 1973
6 Lacan, J., Séminaire I, Vortrag vom 24. 2. 1954, S. 93
7 Krauss, P., Künstliche Intelligenz und Hirnforschung, Springer Verlag (2023) S. 165-166
8 Lacan, J., Seminar II, Walter Verlag (1980) S. 409
9 Für Lacan ist das Unbewusste die Sprache des Anderen, im Französischen l’Autre, was der/die/das Andere sein kann. L’Autre ist nicht der Fremde, sondern stets Differentes, Anderes.
10 Appleton, T., Warum verschwanden die Neandertaler? Heyne (1999) S. 30
11 Hessel, S., Empört Euch, Ullstein (2011)
12 Wickert, U., Identifiziert euch! Piper Verlag (2019)
13 Lacan, J., Seminar IX, Lacan-entziffern.de, Vortrag vom 17. 1. 1962
14 Aurelius Augustinus, Selbstgespräche, Tusculum (1989)