Belial 1: Götterkrieg - Julia Dippel - E-Book
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Belial 1: Götterkrieg E-Book

Julia Dippel

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Beschreibung

*** Die Belial-Dilogie kann unabhängig von den Izara-Chroniken gelesen werden.***

Der neue Roman von Izara- und Cassardim-Autorin Julia Dippel 

Die junge Tempeldienerin Cassia weiß genau, wer hinter dem Tod ihrer Freundinnen steckt, aber der skrupellose Dämon Ianus wird in ganz Rom als Gott verehrt und scheint unantastbar. Als dem Mädchen, das immun gegenüber dämonischen Kräften ist, eines Tages in Aussicht gestellt wird, Ianus zu Fall zu bringen, willigt sie ohne zu zögern ein, sich als Sklavin in dessen Palast einschleusen zu lassen. Doch dort bringt ein unerwarteter Gast ihre Pläne durcheinander: Belial, seines Zeichens angehender Teufel und Ianus‘ Erzrivale. Cassias ohnehin riskante Mission droht an seinem unwiderstehlichen Lächeln zu scheitern und wird noch aussichtsloser, als sie plötzlich in einen dämonischen Wettstreit zwischen Bel und Ianus gerät – einem Wettstreit um ihre Seele.

Alle Bände der Belial-Dilogie:

// Belial – Götterkrieg, Aus den Izara-Chroniken

Belial – Seelenfrieden. Aus den Izara-Chroniken //

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Das Buch

Eine Sterbliche will einen Gott zu Fall bringen, doch der Teufel steht ihr im Weg.

Rom, 64 n. Chr.: Cassia will an Ianus, dem Gott allen Ursprungs, Rache üben. Zu viele unschuldige Seelen hat er auf dem Gewissen. Sie lässt sich in dessen Palast einschleusen und gerät in einen dämonischen Wettstreit zwischen Ianus und seinem Erzrivalen Belial, dem Teufel mit dem unwiderstehlichen Lächeln. Die ohnehin schon riskante Mission droht zu scheitern und Cassia merkt: An den Teufel verliert man besser nicht sein Herz.

Hier geht es zur offiziellen IZARA-Website: www.izara.de

Die Autorin

© Rob Perkins

Julia Dippel wurde 1984 in München geboren und arbeitet als freischaffende Regisseurin für Theater und Musiktheater. Um den Zauber des Geschichtenerzählens auch den nächsten Generationen näherzubringen, gibt sie außerdem seit über zehn Jahren Kindern und Jugendlichen Unterricht in dramatischem Gestalten. Ihre Textfassungen, Überarbeitungen und eigenen Stücke kamen bereits mehrfach zur Aufführung.

Julia Dippel auf Instagram: www.instagram.com/julia_dippel_autorin

Der Verlag

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Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

Julia Dippel

Belial – GötterkriegAus den Izara-Chroniken

Für alle, die weder Tod noch Teufel fürchten.

Vorwort der Autorin

Trotz großen Latinums, umfassender Recherchen und intensiver Bemühungen um Authentizität ist es nicht ausgeschlossen, dass mir kleinere Fehler in meiner Darstellung des Alten Roms unterlaufen sind. Experten mögen mir eventuelle Ungenauigkeiten nachsehen. Im Gegensatz dazu ist die eigentliche Handlung meiner Geschichte eine ganz bewusste Mischung aus überlieferten und konstruierten Ereignissen um historische und fiktive Persönlichkeiten. Folglich ist dringend davon abzuraten, BELIAL – GÖTTERKRIEG als wissenschaftliche Quelle heranzuziehen. Darüber hinaus eignet es sich auch nicht zum Verzehr, sollte nicht gebügelt oder in der Mikrowelle getrocknet werden.

CASSIA

Wenn der Tod an die Tür klopft

Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch das kleine Fenster fielen. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl … sonst nichts. Mir wurde die Kehle eng. Man hatte Daphnes Habseligkeiten bereits weggebracht und trotzdem schwebte die Erinnerung an die junge Priesterin noch immer in diesen vier Wänden.

»Glückwunsch!« Lorentin klopfte mir unbeschwert auf die Schulter. »Schaff deine Sachen bis zum Mittag hier rauf, dann können wir die Kammer im Keller endlich wieder als Lager nutzen.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Feingefühl hatte der junge Hexer noch nie besessen, aber jetzt tat er gerade so, als wäre Daphnes Tod ein Glücksfall für alle Beteiligten. Sah er nicht, wie sehr mir das zu schaffen machte?

Nein, seufzte ich innerlich. Er sah es natürlich nicht. Lorentin war nicht der Erste, der an meiner Verschlossenheit scheiterte, und würde auch nicht der Letzte sein. Ich legte keinen besonderen Wert darauf, meine Gefühle mit aller Welt zu teilen – zumal dort draußen unzählige Dämonen nur danach gierten, sie mir zu stehlen.

»Ihr wusstet, was geschehen würde, und habt sie trotzdem zu diesem Monster geschickt …«

Meine Worte klangen zu nüchtern, als dass man den Vorwurf dahinter hätte erkennen können.

Lorentin zuckte mit den Schultern.

»Die Götter bekommen immer, was sie wollen.«

»Die Götter?«, schnaubte ich. »Wieso nennen wir sie nicht bei ihrem richtigen Namen? Sie sind Primus – Dämonen, die sich an unseren Emotionen vergreifen und unsere Seelen verzehren. Was gibt ihnen das Recht dazu? Ihre Macht? Ihre Unsterblichkeit?«

Alarmiert sah Lorentin zur offenen Tür. »Du solltest vorsichtiger sein«, warnte er mich. »Immerhin nennst du den Tempel einer dieser Dämoninnen dein Zuhause.«

Er schien Dankbarkeit von mir zu erwarten, aber damit konnte ich nicht dienen. Ja, die Hohepriesterin hatte mich nach dem Tod meiner Mutter von der Straße aufgelesen. Sie hatte mir Essen, Kleidung und einen Platz zum Schlafen gegeben. Doch das machte diesen Ort noch lange nicht zu meinem Zuhause. Mir war nämlich sehr wohl bewusst, dass Nächstenliebe bei all dem eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Die Hohepriesterin brauchte mich. Deswegen gab sie mir auch Daphnes Zimmer, obwohl ein solcher Raum eigentlich nur einer Priesterin zustand und keiner einfachen Dienerin.

»Ich fürchte mich nicht davor, die Wahrheit zu sagen«, stellte ich klar. »Was soll denn passieren? Wird deine Göttin hier auftauchen und mich bestrafen? Soll sie ruhig! Ich habe eine Menge Fragen an sie. Zum Beispiel, warum es sie einen Dreck schert, dass inzwischen schon sieben ihrer Priesterinnen einen grausamen Tod sterben mussten.«

Mein schärfer werdender Tonfall traf wohl genau ins Schwarze. Der hübsche Hexer nestelte am Gürtel seiner Tunika herum und senkte die Stimme. »Auch die Götter haben ihre Last zu tragen«, antwortete er ausweichend, bevor er schließlich seufzte und mich mit seinen zimtbraunen Augen fixierte. »Es gibt Dinge, die wir ändern können, und Dinge, die wir akzeptieren müssen. Das wusste auch Daphne.« Unvermittelt schob er mich zum Bett und drängte mich dazu, mich zu setzen. »Konzentriere dich auf das, was du ändern kannst«, fuhr Lorentin fort und kippte mich hintenüber, bis mein Kopf auf dem Kissen landete. Sein ausgestreckter Zeigefinger deutete zur Decke. »So hat es Daphne auch gemacht.«

Nur am Rande bekam ich mit, wie er das Zimmer verließ und die Tür ins Schloss zog, denn etwas anderes forderte meine Aufmerksamkeit: Jemand hatte mit Kreide einen Spruch an die Decke geschrieben. Die Buchstaben waren schon verblasst, aber mit einiger Mühe konnte ich sie dennoch lesen.

NE OBLITA SIS, QUOMODO PRO QUAMDIU.

Trotz der sommerlichen Temperaturen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Es war, als würde mir Daphne eine Nachricht aus der Unterwelt schicken. Ein paar ehrfürchtige Augenblicke verstrichen, bevor ich kapierte, dass diese Botschaft nicht mir galt. Niemand hätte voraussehen können, dass ausgerechnet ich in diesem Zimmer untergebracht werden würde. Daphne musste die Worte für sich geschrieben haben – an einen Ort, an dem sie sie jeden Tag beim Aufwachen und Einschlafen lesen konnte.

Vergiss nicht, dass das ›Wie‹ wichtiger ist als das ›Wie lang‹.

Ich lächelte. Offenbar hatte meine Freundin einen ganz eigenen Weg gefunden, mit ihrer Sterblichkeit umzugehen.

Meine Freundin …

Im Grunde genommen hatte ich Daphne nicht gut genug gekannt, um sie so zu nennen. Trotzdem war sie für mich das gewesen, was einer Freundin am nächsten kam. Sie hatte sich von meiner Unnahbarkeit nicht abschrecken lassen und mich immer nett behandelt, obwohl ich nicht – wie alle anderen hier im Tempel – über Hexenkräfte verfügte.

Ich stemmte mich aus den Kissen hoch und versuchte, mit der unablässigen Wut klarzukommen, die von innen an meinen Mauern kratzte. Eigentlich schützte ich durch diese mentale Abwehr meine Gefühle vor anderen, doch manchmal – wie jetzt – schützte ich auch mich vor meinen Gefühlen. Ohne sie kam ich mir nackt vor, ohne sie wäre ich längst an der himmelschreienden Ungerechtigkeit verzweifelt.

Warum hatte Daphne sterben müssen? Wieso hatte sie diese Einladung angenommen und war nicht einfach geflohen? Aus Loyalität? Pflichtgefühl? Überzeugung? Egal, wie oft und wie lange ich darüber nachdachte, ich konnte es nicht verstehen. Meine Gedanken kreisten, befeuerten meinen Zorn und kehrten wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück: Dämonen, Primus, Götter, wie auch immer sie sich nannten – sie waren schuld an allem, was in meinem Leben schieflief.

Ich gehörte ganz sicher nicht zu den militanten Primus-Gegnern. Jede Daseinsform hatte ihre Berechtigung. Es ging mir nur tierisch auf die Nerven, dass diese Unsterblichen glaubten, alles beherrschen zu dürfen.

Plötzlich riss mich ein hohes Sirren aus meiner Grübelei. Eine Wolke grüner Funken schoss zum Fenster herein und attackierte mich. Knisternd zerplatzte die Magie auf meiner Haut. Es tat nicht mehr weh als ein paar Insektenstiche, trotzdem sprang ich fluchend auf. Ich hatte die Zeit vergessen und sollte längst im Tempel sein. Panisch raste ich aus dem Zimmer, stolperte die Treppe hinunter und lief hinaus in die Gärten. Hinter dem Heiligtum zauberte die untergehende Sonne ein wunderschönes Farbenspiel auf den Himmel. Wie so oft wünschte ich mir, innehalten und das Abendrot genießen zu können, doch ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Eine Aufgabe, die ich – trotz allem, was geschehen war – sehr ernst nahm. Zum einen wollte ich mir auf gar keinen Fall Unzuverlässigkeit nachsagen lassen. Das konnte ich mit meinem Stolz nicht vereinbaren. Zum anderen besaß ich genug Pragmatismus, um meinen Platz im Tempel nicht unnötig gefährden zu wollen. Roms Straßen waren nämlich kein sehr gnädiger Ort für alleinstehende junge Mädchen. Es kam ohnehin einem Wunder gleich, dass ich es damals irgendwie geschafft hatte zu überleben, ohne mich für Essen prostituieren zu müssen.

Ein schiefes Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Das Schicksal hatte wirklich Humor bewiesen, mich ausgerechnet hierher zu führen. Der Venus-Tempel mochte kein Freudenhaus im eigentlichen Sinne sein, aber streng genommen blieb das Gewerbe dasselbe: Gegen eine angemessene Opfergabe konnte man gemeinsam mit den Priestern und Priesterinnen der Liebesgöttin huldigen.

An der kleinen Seitentür des Tempels angekommen, schob ich hastig den Riegel zur Seite und tauchte in eine altbekannte Flut von Sinneseindrücken ein: Dunkelheit, Öllampen, Ruß, Weihrauch und die zarte Melodie einer Lyra. Als sich meine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, unterdrückte ich einen Fluch. Die Tore waren bereits geöffnet und die Besucher eingelassen worden. Normalerweise hatte ich zu diesem Zeitpunkt nichts mehr hier unten zu suchen. So unauffällig ich konnte, flitzte ich an der Wand entlang zur anderen Seite der Haupthalle. Schon nach wenigen Schritten fühlte ich mich benebelt und leicht euphorisch. Mist! Das war die Magie der Hohepriesterin. Die weißhaarige Lucusta sorgte mit ihren allabendlichen Bannsprüchen für eine angenehme Stimmung unter den Besuchern. Bedienstete und Priesterinnen waren davon ausgenommen, da sie selbst allesamt Hexen waren – alle außer mir. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als mich behutsam durch das Labyrinth aus Säulen und Vorhängen zu manövrieren, ohne über irgendwelche Paare zu stolpern, die sich bereits gefunden hatten oder noch finden würden. Mein Ziel war eine vergoldete Delfinskulptur. Dahinter führte eine Leiter in das mächtige Kuppeldach. Hastig erklomm ich sie und stellte mit Erleichterung fest, dass sich meine Sinne mit jeder Sprosse ein wenig mehr klärten. Lucustas Zauber wirkte hier oben nicht. Vorsichtig balancierte ich eine schmale Galerie entlang, umrundete einige Statuen und erreichte schließlich meinen Arbeitsplatz: eine unscheinbare Nische neben Amors rechtem Marmor-Zeh. Sie bot eine perfekte Sicht auf die große Halle und alle Besucher, die sich ein wenig Liebe erkaufen wollten.

Heute waren es eine Handvoll Prätorianer, einige Händler, Handwerker und mindestens fünf Gesichter, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Nichts Ungewöhnliches, wenn man bedachte, dass der Tempel an einer viel genutzten Straße am Stadtrand stand. Trotzdem kontrollierte ich jeden einzelnen Besucher nach dämonischen Auffälligkeiten. Das war es nämlich, weswegen Lucusta mich brauchte. Als eine der mächtigsten Hexen Roms mochte sie es mit Dämonen aufnehmen können. Sie vermochte es sogar, sie aus dem Tempel oder ihren Hüllen zu verbannen, doch ihr Geist war nicht gefeit gegen die Manipulationen und Illusionen, mit denen Primus die Menschheit schon seit Jahrtausenden täuschten. Aber ich war es. Ich sah die Dinge, wie sie waren und nicht, wie die Dämonen sie erscheinen ließen. Meine Fähigkeiten machten mich zu einer seltenen Anomalie und zum perfekten Wachhund für Lucusta.

Mir sollte es recht sein, denn zu etwas anderem konnte ich mein zweifelhaftes Talent ohnehin nicht gebrauchen. Menschen glaubten mir nicht, wenn ich sie vor den falschen Göttern warnte, die sie anbeteten. Und ebendiese falschen Götter konnten ziemlich ekelhaft werden, wenn man ihnen die Tour vermasselte. Eine Lektion, die ich fast nicht überlebt hätte – denn zur Verteidigung eignete sich meine Gabe nicht.

Ich boxte mir das Kissen zurecht, das ich vor ein paar Wochen hinaufgeschmuggelt hatte, und zog die Beine im Schneidersitz zusammen. Es gefiel mir, den Tempel durch meine Anwesenheit ein wenig sicherer zu machen, auch wenn mir dieser Kult ein Rätsel blieb. An Lucustas Stelle und mit ihrer Macht hätte ich mich gegen die Dämonen aufgelehnt. Ich würde sie weder Götter nennen noch Tempel zu ihren Ehren bauen. Und schon gar nicht würde ich einem von ihnen meine Seele versprechen. Was hatten die Priesterinnen von dieser Selbstaufopferung? Was hatte Daphne davon gehabt? Wenn das ›Wie‹ wichtiger war als das ›Wie lang‹, warum gingen diese Hexen den Weg des geringsten Widerstands und kuschten vor den Dämonen? Warum schickte Lucusta ihre Mädchen immer wieder schutzlos zu Gelagen außerhalb des Tempels? Ganz besonders in den Kaiserpalast, wo sie doch wusste, wer dort residierte. Die Bürger mochten Kaiser Nero fürchten, aber jene, die die Wahrheit kannten, fürchteten den Dämon an dessen Seite: Ianus.

Oh, wie hatte ich diesen Namen zu hassen gelernt – einen Namen, der immer dann fiel, wenn der Tod seine Klauen wetzte. Dieser Dämon hatte sich in Rom eingenistet wie ein Parasit. Er besaß so viele Gesichter, dass sein Einfluss von der dreckigsten Taverne bis in den Senat reichte, und kaum ein Römer wusste, wie er aussah. Man verehrte ihn als Gott des Anfangs und des Endes, aber sie hatten keine Ahnung, was für ein mordlüsternes Monster sie da anbeteten.

Plötzlich tat sich etwas in der großen Halle unter mir. Gedämpftes Gemurmel. Empörung. Ein Mann betrat die Stufen zum Zentrum des Heiligtums. Niemand außer der Hohepriesterin hatte dort Zutritt. Zielstrebig, aber ohne jede Eile, hielt er auf Lucusta zu. Meine Instinkte schlugen Alarm. Mit einer solchen Selbstverständlichkeit bewegten sich nur wenige Sterbliche – Primus dagegen taten es alle. Ich packte den kleinen Meißel, der hier als Notfallplan deponiert war. Sollte dieser Kerl tatsächlich ein Dämon sein und auch nur das geringste Anzeichen böswilliger Absichten zeigen, würde ich das Siegel an der Wand hinter mir vervollständigen und ihn verbannen – ganz so wie Lucusta es mir gezeigt hatte.

Der schwarze Umhang des Mannes umspielte seine sicheren Schritte. Er trug weder Harnisch noch Waffen. Sein Bart war sauber gestutzt und die kastanienbraunen Haare im Nacken zusammengebunden. Das entsprach nicht der römischen Mode, schien den Mann jedoch nicht weiter zu kümmern. Lucusta trat ihm entgegen. Ich konnte nicht hören, was die beiden sprachen, aber die Hohepriesterin wirkte alles andere als erfreut. Meine Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt. Irgendetwas sagte mir, dass dieser Fremde Ärger bedeutete. Vielleicht war er nur ein Hexer, auf den Lucustas Magie nicht wirkte – vielleicht aber auch mehr. Sein Auftreten besaß jedenfalls etwas Schicksalhaftes. Und seine goldbraunen Augen … sahen mich plötzlich direkt an.

Ich erstarrte. Das war unmöglich. Niemand wusste, dass ich hier oben saß. Die Hohepriesterin selbst hatte einen Tarnzauber über diesen Platz gelegt.

Die Lippen des Mannes bewegten sich. Lucusta antwortete mit einem Kopfschütteln und rief zwei Priesterinnen heran. Die Mädchen bemühten sich, das Interesse des Fremden zu wecken, doch er ignorierte sie und hob den Arm in meine Richtung. Mein Herz begann zu rasen. Ich packte den Meißel fester und wartete auf Lucustas Befehl. Oder darauf, dass dieser seltsame Kerl sich als Dämon entpuppte. Irgendetwas …

Die Hohepriesterin wurde zornig. Grünes Feuer sammelte sich um ihre Hände. Spätestens jetzt hätte jeder normale Mensch die Flucht ergriffen – nur nicht der goldäugige Fremde. Er reagierte weder schockiert noch wich er zurück. Zwei Atemzüge. Drei Atemzüge. Dann sagte er etwas. Ein Wort. Nur ein einziges Wort, aber Lucusta erbleichte so schlagartig, als würde sie dem Tod höchstpersönlich gegenüberstehen. Ihr Hexenfeuer erstarb.

WAS geschah hier gerade?

Langsam drehte sie sich zu mir um. Ihre erfahrenen Gesichtszüge schienen plötzlich die einer zerbrechlichen Greisin zu sein. Sie hob eine Hand und winkte mich zu sich.

Nein! Nein, nein, nein. Lucusta hatte es mir versprochen! Sie hatte mir versprochen, dass sie mich niemals gegen meinen Willen zu so etwas zwingen würde. Dieser Mann musste ein Dämon sein, der sie manipulierte. Aber wieso erkannte ich es dann nicht? Waren meine Fähigkeiten kaputt?

Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Ich drehte mich zu dem Siegel an der Wand um und setzte den Meißel an.

»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.«

Ich erschrak so heftig, dass ich beinahe aus meiner Nische in die Tiefe gefallen wäre. Neben mir stand jemand auf der Galerie. Ein Mann mit dunklen Locken und grünen Augen. Seine Gestalt war durchscheinend, seine Umrisse verschwommen. Eindeutig ein Dämon, der eine Illusion über sich gelegt hatte. Meine Gedanken überschlugen sich. An Flucht war nicht zu denken, da er mir den Weg zur Leiter versperrte. Ganz abgesehen davon hätte er mich in kürzester Zeit eingeholt. Das Siegel! Nur ein kleines Symbol fehlte noch. Ich hob meine Hand, doch bevor das Metall des Meißels die Wand berührte, wurde ich gepackt. Ich spürte eine Macht nach meinem Verstand greifen, die nach Regen, Sonne und einer wilden See roch. Sie befahl mir zu schlafen. Vergeblich. Mein Geist war immun gegen derartige Angriffe. Ich nutzte das Überraschungsmoment und schlug, kratzte und trat, um mich von seinem Griff zu befreien. Mir war klar, dass ich keine Chance hatte, aber ich musste auch nur so lange durchhalten, bis Lucusta mir zu Hilfe kam. Ich hörte den Dämon fluchen. Ein Arm schlang sich um meinen Hals und schnürte mir die Luft ab. Durchhalten! Ich rechnete jeden Moment damit, dass mich grünes Feuer befreite. Schwärze kroch in mein Sichtfeld. Alles verschwamm. Das Letzte, was ich sah, war Lucusta, die tatenlos beobachtete, wie ich das Bewusstsein verlor.

Ich konnte nicht lange ohnmächtig gewesen sein. Das wusste ich, auch ohne meine Augen zu öffnen. Noch immer hingen Weihrauch und Musik in der Luft – nur etwas dezenter. Kombiniert mit den weichen Kissen, die ich unter meinem Gesicht spürte, bedeutete das wohl, dass ich mich in einer der vielen Liebeskammern an den Längsseiten des großen Saals befand. Wilde Panik flammte in mir auf. Ich drängte sie mit eiserner Hand zurück und verstärkte die Mauern um meinen Geist. Ich durfte auf gar keinen Fall riskieren, dass meine Abwehr zu bröckeln begann.

»Du bist wirklich gut darin, deine Gefühle abzuschirmen«, sagte eine unbekannte Männerstimme.

Na toll, der Dämon hatte offensichtlich mitbekommen, dass ich wach war. Ich blinzelte und gab mich benommen. Je mehr man mich und meinen Zustand unterschätzte, desto größere Chancen hatte ich zu entkommen. Durch meine Wimpern hindurch entdeckte ich eine dunkle Gestalt, die auf einem Stuhl saß. Zurückgelehnt. Entspannt. Lauernd. Es war der goldäugige Dämon. Aus der Ferne hatte ich sein Naturell noch hinterfragt, doch jetzt war jeder Zweifel wie weggefegt. Seine gesamte Erscheinung umgab eine kaum wahrnehmbare vibrierende Aura, die ich so nie zuvor erlebt hatte. Dieses Wesen war alt und mächtig – und hatte schon mit seinem bloßen Auftauchen mein Leben auf den Kopf gestellt. Nicht auszumalen, was geschehen würde, wenn ich nicht schnellstens hier rauskam. Nicht nur aus diesem Zimmer, sondern aus dem Tempel. Lucusta hatte mich verraten. Ich konnte ihr nicht länger vertrauen.

»Ich möchte lediglich mit dir reden«, fuhr der Dämon fort.

Bestimmt! Genau wie Ianus lediglich mit Daphne hatte reden wollen. Ich sah mich unauffällig um. Fünf Schritte bis zur Tür. Kein guter Fluchtweg, zumal er direkt an dem Dämon vorbeiführte. Dann blieb nur das Fenster hinter mir. Mit etwas Glück konnte ich ihn in den Gärten abhängen. Also gut. Im Schneckentempo richtete ich mich auf. Zur Ablenkung fasste ich mir an den Kopf und täuschte einen Schwindelanfall vor. Ein kleines Stöhnen. Und dann, als meine Füße den Boden berührten, sprang ich auf und … blieb wie angewurzelt stehen.

Der Dämon mit den dunklen Locken lehnte am Fensterbrett und grinste mich wissend an. Am liebsten hätte ich laut geflucht über meine Dummheit. Sie waren zu zweit. Wie hatte ich das vergessen können?!

»Setz dich!«, befahl der gelockte Primus fast freundlich. Er wirkte jünger als sein bärtiger Kamerad, wobei das bei Dämonen, die ihre Hülle frei wählen konnten, nichts zu bedeuten hatte. »Wie Thanatos schon sagte, wir wollen lediglich reden.«

Thanatos?!

Oh, verdammt.

Der Gott-des-Todes-Thanatos?! Mit offenem Mund drehte ich mich zu dem goldäugigen Dämon um. Ich saß wirklich in der Klemme. Nicht nur ein bisschen, sondern richtig!

Ganz offensichtlich sah man mir mein Entsetzen an, denn Thanatos lächelte selbstgefällig. Sofort rief ich meine Mimik zur Ordnung. Genau deshalb hatte ich mir meine stets so stoische Miene angeeignet. Meine Gedanken und meine Gefühle waren das Einzige, was wirklich mir gehörte, worüber ich Macht hatte. Und das sollte auch so bleiben.

»Was hast du Lucusta angetan?«, presste ich hervor. Nun, da ich wusste, wer nach mir verlangt hatte, machte ich mir Sorgen. Der Gott des Todes war nicht dafür bekannt, besonders nachsichtig zu sein.

»Deiner Hohepriesterin geht es gut«, lautete die knappe Antwort, bevor er mich mit einer gönnerhaften Geste einlud, wieder auf dem Bett Platz zu nehmen.

Ich blieb stehen und funkelte ihn mit aller Verachtung an, die ich aufbringen konnte. »Glaubt Lucusta das auch selbst oder habt ihr ihr diesen Gedanken eingepflanzt?«

Der Blick, der mich nun traf, erschütterte mich bis ins Mark. Er war Jahrhunderte alt, vielleicht sogar Jahrtausende, und die Warnung darin gab mir kompromisslos zu verstehen, dass Thanatos seinen Titel nicht bloß aus Eitelkeit trug.

»Ich habe der Hohepriesterin mein Wort gegeben, dass wir dir kein Leid zufügen werden«, teilte er mir unterkühlt mit. »Und jetzt setz dich!«

Für ein paar Augenblicke spielte ich mit dem Gedanken, seine Anweisung zu ignorieren. Ich hatte so mein Problem mit Befehlen. Andererseits … was blieb mir für eine Wahl? Ich schluckte meinen Trotz runter und ließ mich auf der Bettkante nieder. »Du willst reden? Dann rede!«

Meine Gehorsamkeit schien den unheimlichen Gott des Todes zumindest so weit zufriedenzustellen, dass er meinen beißenden Tonfall überhörte. Er lehnte sich zurück und musterte mich aus seinen goldenen Augen.

»Du weißt, wer ich bin?«

»Dein Ruf eilt dir voraus«, erwiderte ich mit einem Schulterzucken. Tatsächlich kannte jeder in Rom den Namen Thanatos – obwohl die Schauergeschichten über ihn eigentlich aus Griechenland stammten. Angeblich fürchteten sich sogar die Götter selbst vor seinem Zorn. »Das Problem ist nur, dass die Realität hinter den Mythen oft enttäuschend ist. Vermutlich bist du wohl nur ein weiterer Dämon mit Götterkomplex, der sich im Licht seiner Morde sonnt.«

Noch während ich sprach, fragte ich mich, ob meine Direktheit so klug war. Falls er Lucusta wirklich meine Unversehrtheit garantiert hatte, war er an sein Wort gebunden. Falls nicht … nun ja, dann würde ich zumindest erhobenen Hauptes und mit der Wahrheit auf den Lippen sterben.

Ein leises Lachen ertönte hinter mir. Der gelockte Dämon am Fenster schien sich bestens über mich zu amüsieren. Auch auf Thanatos’ Gesicht machte sich ein unheilvolles Grinsen breit.

»Wir sind Brachion«, fuhr er unbeirrt fort. »Weißt du, was das bedeutet?«

Ich schüttelte den Kopf. Zu gerne hätte ich ihm eine schlagfertige Antwort um die Ohren gehauen, aber das seltsame Verhalten der beiden beunruhigte mich zutiefst. Normalerweise waren Dämonen zwar gefährlich, doch in ihrem Hochmut auch berechenbar. Normalerweise …

»Brachion jagen jene Primus, die gegen unsere Gesetze verstoßen«, klärte Thanatos mich auf. »Und wenn der Hohe Rat ein Todesurteil verhängt, vollstrecken wir es.«

Ich runzelte die Stirn. Das würde seinen Ruf erklären, aber … »Man kann Dämonen nicht töten.«

»Wir schon.« In seinen goldenen Augen blitzte etwas auf, das all meine Instinkte in Alarmbereitschaft versetzte. Ich glaubte ihm. Und das machte mir mehr Angst, als jede Lüge es gekonnt hätte.

»Du fragst dich sicher, was das alles mit dir zu tun hat.«

»Ist mir in den Sinn gekommen«, murmelte ich.

Der Gott des Todes kniff die Augen zusammen. »Hast du schon einmal von einem Primus mit dem Namen Ianus gehört?«

Abscheu flutete mich. Meine Hände hätten sich am liebsten in die Polster verkrallt, während mir eine ganze Reihe Schimpfworte auf der Zunge lagen – aber ich unterdrückte den Impuls und blieb stattdessen regungslos sitzen. Offensichtlich zu regungslos für einen geübten Beobachter …

Thanatos nickte bedächtig. »Ich sehe, du kennst ihn.« Ohne weiter auf mich einzugehen, legte er die Fingerspitzen aneinander und schlug einen sachlichen Ton an. »Ianus sammelt gerne Seelen. Er bevorzugt jene, die bereits anderen Primus versprochen sind. Du kannst dir sicher vorstellen, dass das viele von uns sehr verärgert.«

»Dass dabei unschuldige Menschen getötet werden, ist wohl eher zweitrangig?«, platzte es aus mir heraus.

»Nein, das ist es nicht, denn auch das verstößt gegen unsere Gesetze«, korrigierte mich Thanatos. »Aber Ianus besitzt ein gewisses Talent dafür, keine Beweise für seine Verbrechen zu hinterlassen.«

»Sind sieben tote Priesterinnen nicht Beweis genug?«

»Man hat weder ihre Leichen noch ihre Seelen gefunden«, mischte sich nun der Dämon am Fenster ein. »Um einen mächtigen und angesehenen Primus wie Ianus zu Fall zu bringen, brauchen wir mehr als eine bloße Anschuldigung.«

Thanatos lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne und sah mich eindringlich an. »Glaub mir, Lucian und ich würden ihn zu gerne brennen lassen, aber dafür benötigen wir deine Hilfe.«

Ich riss die Augen auf. »Meine Hilfe?!«

»Es gibt einen Raum in seinen Gemächern, zu dem nur Ianus Zugang hat. Dort bewahrt er die gestohlenen Seelen auf, die Beweis genug wären, um ihn zu überführen. Nur kann kein Primus, keine Hexe und kein Mensch die Schutzzauber durchbrechen.«

Langsam verstand ich, worauf das hinauslaufen würde. Sie konnten sich ihren Beweis nicht selbst holen, also brauchten sie jemanden wie mich. Jemanden, der immun war gegen dämonische Kräfte.

»Ihr wollt, dass ich in den Kaiserpalast einbreche?«

»Niemand bricht unbemerkt in den Kaiserpalast ein«, verbesserte Thanatos mich spöttisch. »Nein, wir werden dich als Sklavin an Ianus verkaufen, damit du Zugang zu seinen privaten Gemächern erhältst. Dann stiehlst du eine der Phiolen, in denen er die Seelen aufbewahrt, und bringst sie uns. Den Rest erledigen wir.«

Ich blinzelte ein paar Mal, bevor die Bedeutung seiner Worte vollständig bei mir angekommen war. »Ihr wollt mich Ianus als Sklavin verkaufen?!«

Die beiden waren entweder vollkommen skrupellos oder vollkommen wahnsinnig. Mehr fiel mir zu diesem Plan nicht ein. Ich hatte es jahrelang trotz Verzweiflung und Entbehrung geschafft, nicht in der Sklaverei zu enden, und jetzt wollten mich zwei Dämonen dazu überreden, all meine Mühen freiwillig zunichtezumachen?

»Sobald wir Ianus zur Strecke gebracht haben, bekommst du selbstverständlich deine Freiheit zurück«, versuchte mich der gelockte Dämon zu beruhigen, der offenbar Lucian hieß.

»Ihr meint, falls ihr die Wahrheit sagt und falls ich diese Selbstmordmission überlebe.«

»Es ist nicht ungefährlich«, räumte Thanatos mit einer Gleichgültigkeit ein, die nur von einem Unsterblichen stammen konnte. Unvermittelt erhob er sich. Seine einschüchternde Statur füllte den Raum mit gespenstischen Schatten. »Wir geben dir einen Tag Bedenkzeit.«

»Und wenn ich mich weigere?«, fragte ich hastig, bevor er die Tür erreicht hatte.

Thanatos blieb stehen, drehte sich aber nicht noch einmal um. »Dann wirst du mit dem Blut der Unschuldigen leben müssen, das auch an deinen Händen klebt.«

Damit erklärte der Gott des Todes unsere Unterhaltung für beendet und verließ das Zimmer. Ich schüttelte fassungslos den Kopf, als plötzlich Lucian in mein Sichtfeld trat. Im Vergleich zu Thanatos war er weit weniger einschüchternd, obwohl auch ihn eine Aura von Gefahr und Macht umgab. Außerdem musste ich eingestehen, dass er durchaus attraktiv war, wenn er mich nicht gerade attackierte. Geschmeidig ging er vor mir in die Hocke und strich sich die dunklen Locken aus der Stirn.

»Manches Wagnis ist es wert, sein Leben zu riskieren«, meinte er und sah mich so aufrichtig an, dass mir flau im Magen wurde. Ich hätte ihm gerne misstraut oder ihn der Lüge bezichtigt, aber er hatte recht. Mit dieser Erkenntnis machte sich eine unbändige Angst in mir breit.

Lucian griff nach meiner Hand und lächelte mich an. »Überlege nicht, ob du genug Mut hast, Ianus entgegenzutreten. Überlege, ob du die Reue ertragen könntest, es nicht getan zu haben.«

Und plötzlich verstand ich es. Plötzlich verstand ich, was Daphnes Botschaft wirklich bedeutete.

Das ›Wie‹ war wichtiger als das ›Wie lang‹ …

BELIAL

Alle Wege führen nach …

Ich hasste Rom. Nicht, weil es eng, laut und so vollgestopft mit Arroganz war, dass selbst ich hier nicht weiter auffiel. Nein, ich hasste es, weil es schlicht keinerlei Herausforderung bot. Die Stadt quoll über vor Emotionen. Kaum hatte ich einen Fuß aus dem Portal gesetzt, war meine Macht bis zum Anschlag aufgefüllt. Bewunderung, Neid, Hass, Gier – von allem etwas, ohne dass ich mich auch nur im Mindesten hätte anstrengen müssen. Als würde man einen Wolf in einem Kuhstall einsperren.

Natürlich war ich nicht so naiv zu glauben, dass mein Ruf irgendetwas damit zu tun haben könnte. Ich hatte der Hauptstadt des Imperiums schon zu lange keinen Besuch mehr abgestattet und die Sterblichen vergaßen schnell. Es war eher meine aktuelle Hülle, die mir derart viel Aufmerksamkeit bescherte. Sie hatte früher einmal dem Sohn eines Wikingerfürsten gehört. Dementsprechend reichten mir die meisten Römer höchstens bis zur Nasenspitze, während mein helles Haar unter all den Südländern wie eine Fackel in der Nacht wirkte. Noch mehr Blicke hätte ich nur auf mich ziehen können, wenn ich nackt durch die Straßen getanzt wäre.

Ein winziges Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Unter anderen Umständen hätte ich ein solches Tänzchen sogar in Erwägung gezogen, nur um den eingebildeten Römern ein wenig Empörung zu entlocken. Im Moment konnte ich mir derartige Vergnügungen jedoch nicht leisten.

»Fünf Denare und keine Sesterze mehr«, fauchte Grimhild und verschränkte die Arme vor ihrer üppigen Brust. Der Primus, durch dessen illegales Portal wir nach Rom gekommen waren, reagierte völlig perplex. Es kam offensichtlich nicht alle Tage vor, dass er so zurechtgewiesen wurde – schon gar nicht von einer kleinen Sterblichen in Männerkleidung.

»Nimm sie oder lass es!« Grims Befehlston hätte jedem Centurio zur Ehre gereicht. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass die dralle Germanin ihren Stamm im Krieg gegen die Römer angeführt und dabei alles verloren hatte. Auch ihre Kinder.

Ehrlich gesagt gab es Momente, in denen sogar ich es vermied, mich mit ihr anzulegen – und das, obwohl sie mir Treue geschworen hatte und mein Zeichen im Nacken trug.

Der Primus starrte die rothaarige Furie mit offenem Mund an. Dann nahm er zögerlich die fünf Silbermünzen entgegen und verschwand in der Garküche, die als Tarnung für sein Portal diente. Fluchend schloss Grim zu mir auf.

»Wenn das mal nicht das idiotischste und hirnverbrannteste Vorhaben ist, zu dem du mich je mitgeschleppt hast!«

»Das bezweifle ich«, widersprach ich ihr und trat aus den belebten Arkadengängen hinaus auf die noch belebtere Straße. Tatsächlich fiel mir spontan eine Handvoll Unternehmungen ein, die sehr viel riskanter und undurchdachter gewesen waren als ein Besuch bei Ianus. »Abgesehen davon hast du mir doch geraten, herzukommen.«

»Ich habe nicht gesagt, dass du deinem Langzeit-Rivalen artig deine Aufwartung machen sollst. Ich dachte eher an etwas mit viel Gewalt, Blut und Zerstörung.«

»Nichts an meiner Aufwartung wird artig werden«, ließ ich sie wissen. Meine Geduld war eine Tugend – zumal sich Vergeltung am besten anfühlte, wenn der Gegner sie nicht erwartete. Dafür würde ich sogar eine gewisse Erniedrigung in Kauf nehmen – zur Not auch den ganzen Sommer lang.

Grim schnaubte. »Das will ich hoffen. Schließlich arbeite ich nicht Tag und Nacht an deinem Ruf, damit dieser Schweinehund alles zunichtemacht. Wenn du Malta nicht zurü– hey, du Schwachkopf, mach gefälligst die Augen auf!« Sie bedachte den Händler, der sie angerempelt hatte, mit einer eindeutigen Geste. Der Mann lief vor Zorn knallrot an und schien die Beleidigung nicht auf sich beruhen lassen zu wollen.

Seufzend griff ich nach seinem Verstand. Vergiss die kleine wütende Frau!

Der Händler zog verwirrt die Brauen zusammen, bevor er sich umdrehte und seines Weges ging. Gutes Stichwort. Ich packte Grim am Arm und schob sie weiter die Straße hinauf.

»Es wäre besser, wenn du dein Temperament in Ianus’ Gegenwart ein bisschen zügelst«, warnte ich sie. Vorsichtshalber kontrollierte ich noch mal den Schutzschild, mit dem ich unser Gespräch vor ungebetenen Lauschern abschirmte. »Wir können uns keine Komplikationen erlauben.«

»Das sagst du mir?!« Sie riss sich los. »Deinem Temperament haben wir diesen Bockmist doch überhaupt erst zu verdanken! Du hast Ianus vor der ganzen Liga bloßgestellt.«

»Weil er ein opportunistischer Intrigant ist, der zeit seines Lebens gegen unsere Gesetze verstößt und damit durchkommt.«

»Seit wann legst du Wert auf Gesetzestreue?«, brummte Grim. »Dich ärgert nur, dass Ianus den Sitz im Rat bekommen hat, den du zuvor abgelehnt hast.«

Das saß. Weil es der Wahrheit entsprach. Unglücklicherweise verfügte Grim über eine hervorragende Beobachtungsgabe und darüber hinaus auch noch den Mut, mir ins Gesicht zu sagen, was sie dachte. Zwei Eigenschaften, die mich in Kombination bereits des Öfteren zur Weißglut gebracht hatten. Wäre sie nicht die fähigste Hexenmeisterin unter meinen Gezeichneten, hätte ich es mir zweimal überlegt, sie nach Rom mitzunehmen. Nicht, dass ich ihre Offenheit nicht hin und wieder zu schätzen wusste, aber aktuell war mein Nervenkostüm auch so schon strapaziert genug.

»Politik passt nicht zu mir«, stellte ich abweisend fest und hoffte, dass Grim die versteckte Warnung aus meinem Tonfall heraushören würde. Ich war nicht in der Stimmung für ihre Vorhaltungen. Wir hatten den Vorplatz des Circus ohnehin fast erreicht und würden bald in Sichtweite des Kaiserpalastes sein. Zeit, um sich auf andere Dinge zu konzentrieren.

Die kleine Germanin scherte plötzlich aus, umrundete leichtfüßig einen Eselskarren und landete rückwärtsgehend vor mir – damit ich ihrem strengen Blick nicht länger ausweichen konnte. »Neid passt genauso wenig zu dir!«

Drohend kniff ich die Augen zusammen. »Du weißt, dass mir die ehrgeizigen Karrieren anderer herzlich egal sind, solange sie mir nicht ans Bein pissen.«

»Hast du Ianus nicht zuerst ans Bein gepisst, als du ihn aus Ägypten verdrängt hast?«

»Das ist ewig her!«, knurrte ich. »Dafür hat er meinen Handel mit dem Schah von Persien ruiniert.«

»Und was war in Japan?«, bohrte sie weiter. »Als du die Gegenstücke seiner Prisma-Portale im Ozean versenkt hast?«

Bei Patria und allen Ältesten! Ich hätte dieser Frau nie erlauben dürfen, in meiner Bibliothek zu stöbern.

»Das war eine noch viel zu gnädige Strafe dafür, dass Ianus mir sieben meiner Gezeichneten gestohlen hat.«

Plötzlich blieb Grim so unerwartet stehen, dass ich fast in sie und ihren vorwurfsvoll ausgestreckten Zeigefinger hineingerannt wäre.

»Du hast mit seiner Frau geschlafen!«

Ich stöhnte auf. War ja klar, dass sie auch diese abgedroschene Geschichte ausgraben musste. »Es war nicht seine Frau, sondern nur seine Konkubine. Abgesehen davon ist sie förmlich über mich hergefallen. Dass Ianus ganz offensichtlich nicht Manns genug für sie war, kann man ja wohl kaum mir anlasten.«

»Natürlich«, spottete Grim. »Ein Menschenmädchen hat den großen Belial zur Unzucht gezwungen und gegen seinen Willen gefügig gemacht.«

Die Abfälligkeit in ihrer Stimme kratzte an meiner Selbstbeherrschung. Also beugte ich mich zu ihr und bedachte sie mit einem warnenden Blick. »Spar dir deinen Sarkasmus.«

Unglücklicherweise gehörte Grim zu den wenigen Menschen, die sich von mir nicht so leicht einschüchtern ließen.

»Er hat das Mädchen dafür hinrichten lassen.«

»Es reicht!« Ich besaß ein hervorragendes Gedächtnis und musste ganz bestimmt nicht an die Konsequenzen meines Handelns erinnert werden. Schon gar nicht von einer Hexe.

Grim schüttelte angewidert den Kopf. »Ihr habt die Macht von Göttern und benehmt euch wie Kinder. Wenn ich –«

»Ich habe gesagt, ES REICHT!«

Der Mund der Germanin klappte zu, als meine Macht sie wie ein Blitzschlag traf und daran erinnerte, wem sie gegenüberstand. Sie lebte, weil ich sie gerettet hatte. Sie konnte auf Rache an den Römern hoffen, weil ich sie ihr in Aussicht stellte. Sie durfte offen reden, weil ich es ihr erlaubte. Aber es gab einen großen Unterschied zwischen Ehrlichkeit und Respektlosigkeit. Letzteres würde ich nicht dulden! Weder von ihr noch von irgendeinem Primus.

»Ianus hat mir Malta weggenommen. Was auch immer davor war, damit ist er zu weit gegangen! Mir ist scheißegal, ob jedes neue Ratsmitglied sich einen Wohnsitz wählen darf. Mir ist auch scheißegal, ob es sein gutes Recht war, mich zu enteignen. ICH WILL MEINE INSEL ZURÜCK!«

Grim schluckte schwer und krächzte: »Worauf warten … wir dann noch? Holen … wir uns … was dir gehört!«

Das klang schon besser. Langsam zog ich meine Macht zurück und gestattete ihr, wieder die Kontrolle über ihren Körper zu übernehmen. Anschließend richtete ich meinen Blick auf den Palastkomplex, der inzwischen vor uns lag. Irgendwas dort drinnen musste für Ianus von enormem Wert sein. Das bewiesen allein die vielen Schutzzauber, die über dem Gebäude lagen. Und ganz gleich, ob ich seinen Marionettenkaiser entführen oder die komplette Hauptstadt in Geiselhaft nehmen musste, ich würde das finden, was ihm so viel bedeutete, und mir damit Malta wiederbeschaffen.

Den letzten Teil des Weges brachten wir schweigend hinter uns. Am Palast angekommen, erspürte ich Hiros Gegenwart. Mein wortkarger Freund und selbst ernannter Leibwächter hatte darauf bestanden, noch vor meiner Ankunft die Lage zu erkunden. Jetzt erwartete er uns unter drei imposanten Pinien und begrüßte mich mit einer Verbeugung. »Kaiser Nero hat Rom vor ein paar Tagen verlassen und Ianus die Amtsgeschäfte übertragen. Ansonsten scheint alles seinen gewohnten Gang zu gehen.«

Ich nickte. Der junge Primus war angenehmerweise das genaue Gegenteil von Grim. Aus Gründen, die irgendetwas mit seiner Familienehre zu tun hatten, folgte er mir wie ein stummer Schatten und stellte meine Entscheidungen nie infrage – es sei denn, er sah meine Sicherheit gefährdet. Das war gelinde gesagt … überflüssig, aber ich hatte den Jungen inzwischen ins Herz geschlossen.

»Dann«, meinte ich und nahm das Palasttor ins Visier, »werden wir den gewohnten Gang mal ein bisschen aufmischen.«

Die Prätorianer, die das Tor bewachten, schien unser Auftauchen sichtlich zu irritieren: Ein glatt rasierter Nordmann in römischer Kleidung, eine finster dreinblickende Rothaarige in Hosen und ein Asiate im schwarzen Kimono. Um unnötigen Trubel zu vermeiden, löschte ich die Erinnerung an uns aus ihrem Gedächtnis. Diese menschlichen Soldaten standen hier ohnehin nur rum, um den Schein zu wahren. In Wirklichkeit wurde das Gebäude durch Magie geschützt. Eine Macht, die unangenehm nach kaltem Rauch und getrocknetem Blut roch. Ianus’ Macht. Meine Miene verfinsterte sich. Ich hatte schon fast vergessen, wie sehr ich diesen Geruch verabscheute.

Durch einen schattigen Korridor gelangten wir in ein Atrium, das eines Kaisers würdig war. Dunkelrote Säulen trugen mehrere Stockwerke, deren Mosaikgalerien in allen Farben schillerten. In der Mitte lag ein quadratisches Becken mit klarem Wasser, aus dem sich vier kunstvoll gearbeitete Statuen erhoben. Man mochte ja von den Römern halten, was man wollte, aber den schmalen Grat zwischen Prunk und Protz beherrschten sie meisterlich.

Ein aufgeregter Haussklave kam uns entgegengerannt.

»Ich grüße dich, verehrter Belial.« Der ältere Mann war in eine edle Tunika gekleidet und unterschied sich nur durch den eisernen Ring um seinen Hals von der römischen Oberschicht, die hier lebte. »Ich habe gerade erst von deiner Ankunft erfahren. Hoffentlich war deine Anreise … nicht zu mühsam. Ianus hatte dir freigestellt, seine Portale zu nutzen … also dachte ich –«

»Seine Portale?«, unterbrach ich den Sklaven. »Dein Herr verwaltet das Portalsystem nur im Namen des Hohen Rates. Nichts davon ist sein Eigentum, ganz gleich, wie oft er sich Gott der Türen und Durchgänge nennt.«

Tatsächlich wäre es einfacher gewesen, eines der offiziellen Portale zu nutzen. Allerdings hatte ich es letztlich reizvoller gefunden, etwas an Ianus’ Stolz zu kratzen. Sollte er sich ruhig den Kopf darüber zerbrechen, wie ich so schnell nach Rom kommen konnte – ohne sein geliebtes und streng überwachtes Portalsystem.

»Natürlich. Vergebung«, stammelte der Sklave und verbeugte sich tief. Ich ließ es dabei bewenden.

»Dann bring mich jetzt zu deinem Herrn!«

»Er ist beschäftigt.«

Frostig hob ich eine Augenbraue. Es war eigentlich schon Beleidigung genug, von einem Sklaven empfangen zu werden. Mich persönlich störte es nicht, doch ich wusste, wie herabwürdigend das in den hiesigen Kreisen empfunden wurde. Dass Ianus nun sogar zu beschäftigt für die Gnade einer Audienz war, grenzte an öffentliche Demütigung. Auch der Haussklave wusste das und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

»Der Herr wies mich an, dir alle Annehmlichkeiten zukommen zu lassen, während du wartest.«

Ich atmete tief durch, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Je wütender ich wurde, umso mehr würde ich meinem Gastgeber in die Karten spielen.

»Es liegt nicht in meiner Absicht, auf deinen Herrn zu warten«, informierte ich den Sklaven kühl.

Er riss die Augen auf. »Vergebung?«

»Bring mich zu Ianus! Egal, wo er sich gerade rumtreibt.«

»Wenn das dein Wunsch ist«, meinte der Sklave hastig und bat mich mit einer unterwürfigen Geste, ihm zu folgen.

Jetzt war ich wirklich verblüfft.

Zu einfach, hörte ich Hiros warnende Stimme in meinem Kopf.

Ist mir bewusst, gab ich zurück und machte mich daran, dem Sklaven hinterherzutrotten. In was für eine Falle auch immer ich gerade getappt war, jetzt musste ich es wohl ausbaden.

Wir wurden durch mehrere Hallen und weitere Atrien geführt, bis wir schließlich an einem großen Tor ankamen, das von zwei monströsen Statuen flankiert wurde. Sie besaßen je zwei Gesichter, die allesamt Ianus’ Lieblingshülle auffallend ähnlich sahen.

»Ein Hoch auf die Eitelkeit«, murmelte ich mit einem Kopfschütteln.

Hinter mir schnaubte Grim. Hast du nicht für den Koloss von Rhodos Modell gestanden?

Ich warf ihr einen strengen Blick zu. Ja, auch ich ließ meiner Eitelkeit manchmal freien Lauf. Aber im Gegensatz zu Ianus besaß ich wenigstens Stil. Der Koloss im Hafen von Rhodos war ein elegantes Abbild kraftvoller Männlichkeit gewesen. Definitiv etwas anderes als diese Geschmacksverirrung. Eher würde die von mir erdachte Hölle zufrieren, bevor ich mich mit geschürzten Lippen schmachtend gen Himmel blickend verewigen lassen würde. In doppelter Ausführung.

»Wohin?«, fragte Hiro, während wir die fensterlose Kammer hinter dem Tor betraten. Nur ein Primus war in der Lage, das Portal zu aktivieren, dementsprechend konnte der menschliche Haussklave uns ab hier nicht mehr weiterhelfen.

»In die Höhlen«, lautete die zögerliche Antwort. Drei schlichte Worte, die sich anfühlten wie die erwartete Falle, die eben über mir zuschnappte. Dieser Bastard! Wenn ich einen Ort in Rom noch mehr verabscheute als den Rest der Stadt, dann waren es die Höhlen. Ianus wusste das. Genau wie er wusste, dass ich niemals im Palast auf ihn gewartet hätte.

Falls du Ianus seinen Sklaven nicht gut durchgebraten zurückgeben willst, solltest du dich entspannen, ertönte Grims Stimme in meinem Kopf. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Luft in der Portalkammer unter meiner Wut knisterte. Verdammt! Ich musste mich wirklich am Riemen reißen! Wenn das so weiterging, würde das hier in einem Desaster enden und ich konnte Malta für immer vergessen.

Mit einem Nicken gab ich Grim Bescheid, dass ich verstanden hatte, und brachte meine Macht unter Kontrolle. Währenddessen ließ Hiro das Tor zum Palast verschwinden und eine metallbeschlagene Holztür erscheinen. Eine Tür, hinter der mir noch nie etwas Gutes widerfahren war. Als Ianus’ Sklave sie öffnete, grenzte die Pracht des Palastes mit einem Mal an eine gänzlich andere Welt. Eine dreckige Welt, dunkel und überfüllt – in optischer wie moralischer Hinsicht. Ein paar verirrte Sonnenstrahlen fielen durch Löcher in den Felswänden. Sie schafften es kaum durch den dichten Qualm, der sich unter der Höhlendecke gesammelt hatte. Deshalb brannten überall Öllampen und Feuer, die ihrerseits die Luft nur noch stickiger machten. In dieser verrußten Atmosphäre priesen Kaufleute lauthals ihre Waren an, während rastlose Kunden versuchten, die besten Angebote abzugreifen: Sklaven – genauer gesagt Menschen, Hexen, Gezeichnete und deren Seelen. Die Höhlen waren ein Sklavenmarkt für dämonische Bedürfnisse. Angekettete Hexen wurden hier wie Tiere ausgestellt. Manche von ihnen waren halb nackt und voller Schmutz, andere herausgeputzt wie Puppen. Es wurde gefeilscht, begutachtet, gestritten und aussortiert, während über dem widerwärtigen Treiben ein beinahe unerträgliches Potpourri aus dämonischer Energie lag. Ich war schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr hier gewesen und wusste auch genau warum.

Wartet auf mich. Es wird nicht lange dauern, wies ich Hiro an. Und hab ein Auge auf Grim!

Meine Gezeichnete hatte ihr Temperament nicht immer unter Kontrolle und im Moment sah sie so aus, als wollte sie den ganzen Markt in einem Feuerball aufgehen lassen. Ich hätte es ihr nicht verübelt.

Hiro nickte. Er würde meine Anweisung ausführen. Also tauchte ich in das abstoßende Gemenge ein und kämpfte mich zum hinteren Teil der Höhlen durch. Ich wusste, wo ich Ianus finden würde. Nur ein Händler bot die Art von exklusiver Ware, die seinem Geschmack entsprach: Drusus Septimus. Seine Auktionen fanden in einem abgesperrten Bereich des Marktes statt, zu dem nur ausgewählte Primus Zugang hatten. Jene, die genug Macht besaßen, um die Schutzsiegel zu überwinden, oder jene mit genug Geld, um sich den Eintritt zu erkaufen. Letzteres hatte ich nicht nötig. Ich spazierte ungehindert an den Siegeln vorbei und landete in einem mit Liegen und Kissen gefüllten Zuschauerraum. Jede Tunika, jede Toga, jedes Kleid und jede Stola, die hier getragen wurde, bestand aus den teuersten Stoffen, die Rom zu bieten hatte. Überall hochgetürmte Frisuren, glitzernder Schmuck und auf den Gesichtern die dazu passende Blasiertheit. Ja, das hier war definitiv die Art von Gesellschaft, die Ianus bevorzugte.

Auf einer Bühne aus alten Schiffsplanken stand ein angeketteter Hexer, der von einem wuchtigen Glatzkopf beworben wurde. Die mit Borten überfrachtete Tunika des Sklavenhändlers war sichtlich zu eng für seinen ausladenden Körperbau. Drusus, wie er leibt und lebt. Da die Interessenten aufgeregt durcheinanderriefen und die Gebote stiegen, grinste er von einem Ohr zum anderen. Er gehörte zu Ianus’ ältesten Gezeichneten und verdiente sich mit seinem Geschäft eine goldene Nase. Genau wie sein Meister, der selbstverständlich einen ordentlichen Anteil einstrich.

Und dann sah ich ihn. Ianus. Der aufgeblasene Gockel saß natürlich in der ersten Reihe. Er trug seit Jahrhunderten dieselbe menschliche Hülle, aber selbst wenn nicht, hätte ich seine ekelhaft stinkende Essenz überall wiedererkannt. Seinetwegen wünschte ich mir manchmal, Primus wären nicht unsterblich, nur damit ich ihn umbringen konnte. Langsam. Genüsslich. Qualvoll.

»Belial!« Ianus’ schneidende Stimme riss mich aus meiner Gewaltfantasie. Er hatte mich entdeckt und winkte mich zu sich wie einen alten Freund – oder einen Hund. Beides inakzeptabel.

Tja, damit waren die Spiele wohl eröffnet. Ich setzte eine möglichst gleichgültige Miene auf und schlenderte auf meinen Erzfeind und sein widerliches Grinsen zu.

»Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen!«, log er mir mitten ins Gesicht. »Hat es dir im Palast nicht gefallen, dass du mich ausgerechnet hier aufsuchst?«

Gerade wollte ich ihm den süffisanten Kommentar zurück in seinen großkotzigen Hals stopfen, da sprang er auf und rief: »6.500 Sesterzen!«

Oh bitte … Ianus war so durchschaubar. Natürlich musste er mich abwürgen, um mir sein Desinteresse zu demonstrieren.

»Willst du nicht mitbieten, Bel?«, erkundigte er sich, ohne seine dunklen Augen von der Auktion abzuwenden. Dann schlug er sich plötzlich mit der Hand gegen die Stirn. »Ach, richtig! Ich hätte fast vergessen, dass so was ja unter deiner Würde ist.«

»Würde kann ein sehr aufschlussreiches Konzept sein«, gab ich unterkühlt zurück. »Solltest du auch mal probieren.«

Ianus’ Brauen schoben sich verärgert zusammen. »Bist du nur gekommen, um mich zu beleidigen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Solange du mir keinen anderen Grund für deine Einladung nennst, muss ich mir meine Zeit ja irgendwie versüßen.«

Langsam breitete sich ein spöttisches Lächeln auf Ianus’ Lippen aus. Er setzte sich wieder und deutete auf den Platz neben sich.

»Mach es dir bequem, nimm dir etwas zu trinken und fühle dich ganz wie zu Hause. Rom ist nicht Malta, aber es wird dir gefallen.«

Ich biss mir auf die Zunge. Wenn er so weitermachte, würde mein Besuch sehr viel schneller enden als erwartet. Und zwar mit meiner Faust in seinem Gesicht.

»Wo wir gerade beim Thema sind …«, presste ich hervor und setzte mich. »Gib mir meine Insel zurück, oder ich –«

»7.000 Sesterzen!«

Der dicke Händler auf der Bühne warf die Hände in die Luft. »Verkauft für 7.000 Sesterzen an den ehrenvollen Ianus!«

Applaus brandete auf und mein Gastgeber schien gleich doppelt zufrieden mit sich. »Verzeih, ich habe dich unterbrochen. Was wolltest du sagen?«

Sein abfälliges Grinsen verwandelte sein Gesicht in eine markige Landschaft. Ich hasste dieses Grinsen. Ach was. Ich hasste dieses Gesicht. Tatsächlich hatte ich nie verstanden, warum er an seinem Körper so einen Narren gefressen hatte. Die Hülle wirkte weder jung noch alt, weder kräftig noch schmächtig, weder attraktiv noch abschreckend. Alles daran war kantig und sehnig und von zu vielen Jahren gezeichnet.

»Nichts von Bedeutung«, gab ich übertrieben freundlich zurück. »Ich wollte dich nur vor der grausamen Vergeltung warnen, die auf dich wartet, wenn du mir meine Insel nicht zurückgibst. Das Übliche, du weißt schon.«

»Verstehe«, sagte Ianus großmütig. »Dann sollte ich dich im Gegenzug davon in Kenntnis setzen, dass mir deine Warnungen herzlich egal sind. Tatsächlich hätte ich sogar liebend gerne auf deine Gesellschaft verzichtet, allerdings scheint dem Hohen Rat daran gelegen zu sein, dass wir unsere Differenzen beilegen. Sie begrüßen es nicht unbedingt, dass sich zwei so hochrangige Mitglieder der Liga gegenseitig bekriegen. Aus diesem Grund haben sie von mir verlangt, dich für eine Weile nach Rom einzuladen. Offensichtlich hegen sie die Hoffnung, wir könnten uns vielleicht doch noch anfreunden.«

Das war so absurd, dass mir ein Lachen entwich. »Der Rat hat dich gezwungen, mich einzuladen? Dann richte ihnen bitte Folgendes aus: Wir werden niemals Freunde. Aber falls du Malta freigibst, könnten wir über einen Waffenstillstand nachdenken.«

»Ich glaube, du missverstehst mich«, meinte Ianus harsch. »Ich werde nicht mit dir handeln, dich nicht hofieren oder dir entgegenkommen. Malta gehört rechtmäßig mir. Also werde ich lediglich deine Gegenwart ertragen, um den Rat anschließend von deiner Uneinsichtigkeit zu unterrichten.«

Unsere Blicke verkeilten sich ineinander. Die Fronten waren geklärt und keiner von uns beiden hatte vor, auch nur ein Stück nachzugeben. Das würde wohl ein langer Sommer werden.