Belial 2: Seelenfrieden - Julia Dippel - E-Book
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Belial 2: Seelenfrieden E-Book

Julia Dippel

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Beschreibung

*** Die Belial-Dilogie kann unabhängig von den Izara-Chroniken gelesen werden.***

Der neue Roman von Izara- und Cassardim-Autorin Julia Dippel.

Nach 2000 Jahren hat Bel endlich Cassias Seele gefunden. Doch während er noch darum bangt, ob seine große Liebe die Rückkehr verkraftet, droht bereits eine neue Gefahr. In der Schlacht gegen die Hexenkönigin sind etliche Primus aus den Stillen Wassern entkommen – darunter auch Ianus, der einst Cassias Schicksal besiegelt hatte. Nun muss sich die junge Frau aus dem Alten Rom nicht nur der modernen Welt, sondern auch den Dämonen stellen, die Anspruch auf ihre Seele und ihr Herz erheben.

Der finale Band der Belial-Dilogie

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Das Buch

Wenn der Teufel um sein Herz kämpft, schlägt die Stunde seiner Feinde.

Nach 2000 Jahren unermüdlichen Suchens hat Bel endlich Cassias Seele gefunden. Doch während er noch darum bangt, ob seine große Liebe die Rückkehr verkraftet, droht bereits eine neue Gefahr: Bels Erzfeind Ianus ist seinem ewigen Gefängnis entkommen und dürstet nach Rache. Einst hatte er Cassias Schicksal besiegelt, und auch heute würde er alles tun, um sie und Bel zu vernichten. Die junge Frau aus dem Alten Rom muss sich nun nicht nur der modernen Welt, sondern auch den beiden Dämonen stellen, die Anspruch auf ihre Seele und ihr Herz erheben.

Die Autorin

© http://perkins.photo

Julia Dippel wurde 1984 in München geboren und arbeitet als freischaffende Regisseurin für Theater und Musiktheater. Um den Zauber des Geschichtenerzählens auch den nächsten Generationen näherzubringen, gibt sie außerdem seit über zehn Jahren Kindern und Jugendlichen Unterricht in dramatischem Gestalten. Ihre Textfassungen, Überarbeitungen und eigenen Stücke kamen bereits mehrfach zur Aufführung.

Hier geht es zur offiziellen IZARA-Website: www.izara.de

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Julia Dippel

Belial – SeelenfriedenAus den Izara-Chroniken

Für alle, die es wagen, ihren Gefühlen ins Gesicht zu blicken.

Was bisher geschah …

Die verfeindeten Dämonen Ianus und Bel schließen im Jahre 68 nach Chr. eine fünftägige Wette um die Seele einer sterblichen Sklavin ab. Doch keiner der beiden weiß, dass Cassia immun gegen dämonische Kräfte ist und sich nur in den Kaiserpalast hat einschleusen lassen, um dem skrupellosen Ianus das Handwerk zu legen.

Während Bel sich Hals über Kopf in Cassia verliebt, versucht Ianus alles, um seinen Erzrivalen aufzuhalten. Letztlich verflucht er Cassias Seele mit verbotener Blutmagie. Auch Bel zieht alle Register, um die Wette noch zu gewinnen, und lässt sogar einen magischen Dolch schmieden, der Cassia die Seele gewaltsam entreißen würde – in seinen Augen immer noch ein gnädigeres Schicksal, als sie Ianus‘ Zorn überlassen zu müssen. Doch es kommt anders …

In der finalen Schlacht gelingt es der schwer verletzten Cassia, Ianus selbst aufzuhalten, indem sie ihm ihre verfluchte Seele verspricht und den Dämon so handlungsunfähig macht. Bel will seine große Liebe anschließend vor dem Tod retten, doch sind ihm wegen ihrer Immunität die Hände gebunden. Die einzige Option, die ihm bleibt, ist, Cassias Seele kurzzeitig in den magischen Kupferdolch zu sperren, bis ihr Körper geheilt werden kann.

Aus Verzweiflung und Liebe ignoriert Bel Cassias letzten Wunsch, sterben zu dürfen, und ersticht sie mit dem Dolch. Allerdings geht Bels Plan nicht auf, denn Cassias Seele einzusperren, hat auch Ianus vorübergehend vom Blutfluch befreit. Er stiehlt den Dolch und versteckt ihn vor Bel. Selbst nach Ianus‘ Ergreifung und Verurteilung bleibt die Klinge mit Cassias Seele verschwunden.

Eine zweitausend Jahre andauernde Suche beginnt, denn Bel hat die Hoffnung nie aufgegeben, seine Cassia wiederzufinden. Erst als im Kampf gegen die Hexenkönigin Mara der Seelendolch auftaucht und zerstört wird, ist Cassias Seele endlich frei. Allerdings hat die gewaltige Energie hunderter erlöster Seelen auch die Stillen Wasser bersten lassen, das Gefängnis der Primus. Und nicht alle Insassen konnten bislang wieder eingefangen werden.

BELIAL

Rom wurde auch nicht an einem Tag zerstört

Der Vollmond verwandelte den nächtlichen Tiber in einen anmutigen Strom funkelnder Wellen, als wollte er mich mit seiner unsäglichen Romantik verhöhnen.

»Ich hasse diese Stadt«, murmelte ich und zwang meinen Blick in Richtung der Fabrikhalle, zu der uns unsere Spur geführt hatte.

Du wiederholst dich, stellte Ari trocken fest.

Sie hatte recht, nur konnte ich daran nichts ändern. Meine Aversion beherrschte jeden meiner Gedanken. Zweitausend Jahre lang war ich nahezu allen sich bietenden Gelegenheiten ausgewichen, die »Ewige Stadt« mit meiner Anwesenheit zu beehren. Tatsächlich hatte ich sogar nicht unerhebliche Bemühungen unternommen, das ehemalige Zentrum des Abendlandes in die Bedeutungslosigkeit zu verbannen. Ich hatte das Römische Imperium zerschlagen, den römischen Götterglauben ausgelöscht, die Stadt mit Plagen und Plünderungen überzogen und obendrein auch noch den Vatikan gegründet, damit der Hauptwohnsitz meiner Lieblingsreligion keine römische Postleitzahl mehr führen musste. Aber das Kaff war wie eine Kakerlake, die es immer wieder schaffte, selbst meinen ärgsten Zorn zu überleben. Ein schlafendes Ungetüm, lauernd, darauf wartend, dass sein Meister zurückkehrte.

Ich ertappte mich dabei, wie meine Oberlippe unwillkürlich zu zucken begann. Meine Güte, schlimmer als ein tollwütiger Hund. Was war nur los mit mir? Über Impulsivität konnte man sich streiten, aber für Primitivität gab es keine Entschuldigung. Wenn schon die Beherrschung verlieren, dann mit Stil – und nicht mit gefletschten Zähnen.

Ich rief mich zur Ordnung und versuchte zu verdrängen, dass mir die Zeit davonlief. Vier Monate schon. Vier Monate, die ich meine Freunde belog. Vier Monate, in denen ich nichts erreicht hatte. Vier Monate voller Rückschläge und der Gewissheit, dass er jeden einzelnen Tag genutzt hatte, um seine Macht aufzufüllen und seine Rache zu planen. Ich musste dem Ganzen ein Ende bereiten. Besser heute als morgen. Was auch der einzige Grund war, warum ich mich trotz meines Brioni-Anzugs dazu herabließ, in einem römischen Gebüsch herumzulungern wie ein zweitklassiger Paparazzo.

Besagtes Gebüsch begann in ebendiesem Moment zu schwanken und zu rascheln. Ein schwerfälliger tätowierter Muskelberg kämpfte sich durch den Oleander in unsere Richtung und grinste voller Vorfreude.

»Du bist spät«, murrte ich, »und so unauffällig wie eine Konfettikanone auf einer Beerdigung.«

Ryan zuckte mit den Schultern. »Im Vergleich zu deinem Ego fällt nicht mal eine Konfettikanone auf. Ich sag nur: Montreal.«

Touché.

Unsere Jagd in Kanada vor ein paar Tagen zählte wirklich nicht zu den Sternstunden meiner Besonnenheit und hätte Ryan beinahe das Leben gekostet. Fühlte ich mich deswegen schuldig? Ein bisschen. War das mein Problem? Auf gar keinen Fall. Ryan und seine Sterblichkeit waren auf dieser Mission einfach nur ein Klotz am Bein. Wir veranstalteten hier keine karitative Beschäftigungstherapie für gelangweilte Jäger, die sich mal wieder nützlich fühlen wollten. Hätte Ari nicht darauf bestanden, ihr Schoßhündchen mitzunehmen, wäre er von mir schon längst mit einem Napf Wasser an der nächstbesten Raststätte ausgesetzt worden.

»Also?«, wollte Ryan wissen und ließ seine Fingerknöchel knacken. »Wann gehen wir rein?«

»Noch nicht«, antwortete Ari, ohne die stillgelegte Fabrikhalle aus den Augen zu lassen. Nichts regte sich dort. »Lucian checkt die andere Seite. Sobald er uns das Zeichen gibt …«

Sie stutzte und streckte die Nase in die kühle Nachtluft. Ich roch es auch. Der metallische Gestank von getrocknetem Blut wehte zu uns herüber, gemischt mit dem schwachen Prickeln dämonischer Energie.

Ungestüm schob ich die Oleander-Sträucher zur Seite und rannte los. Er durfte uns nicht noch einmal entwischen!

Bel, warte!, hörte ich Aris Stimme in meinem Kopf. Ich ignorierte sie, ebenso wie den obligatorischen Dialog mit Lucian, der natürlich folgen musste.

Was macht Bel da?

Sich nicht an deinen Plan halten natürlich.

Ich hasse es, wenn er das tut!

Frag mal.

Stopp ihn, bevor er alles ruiniert.

Als ob er auf mich hören würde.

Gerade als ich das verrostete Lagertor aufstoßen wollte, hatte Ari mich eingeholt und ließ mich in ihre ausgestreckte Hand laufen. Es fühlte sich an, als wäre ich gegen eine meterdicke Betonwand geprallt. Respekt. Obwohl es noch gar nicht so lange her war, dass Ari ihre Sterblichkeit zugunsten ihrer dämonischen Wurzeln abgelegt hatte, konnte die frischgebackene Prima schon mit einer ganz brauchbaren Kraft aufwarten.

Du weißt noch, was in Buenos Aires passiert ist?, fauchte sie mich an.

Ja, auch daran erinnerte ich mich nur zu gut. Ein weiterer Punkt auf der Sterbliche-haben-auf-einer-Primusjagd-nichts-verloren-Liste.

Dann lass dein kleines Phalanx-Sozial-Projekt diesmal besser draußen, konterte ich frostig und schob sie beiseite.

Aris Miene verfinsterte sich und versprach mir ein gesalzenes Nachspiel. Es war mir gleichgültig, solange sie mir jetzt nicht in die Quere kam.

Ich trat die Brandschutztür ein. Ein Schwall feuchter Luft schlug mir aus der Dunkelheit entgegen. Die vage Ahnung einer ganz speziellen dämonischen Signatur verkehrte sich in ekelerregende Gewissheit. Alles stank nach geronnenem Blut.

Er war hier.

Ohne nachzudenken, stürmte ich ins Innere der Lagerhalle. Mein Instinkt warnte mich. Das war zu einfach, die Spur zu eindeutig. Da traf mich ein grün glühender Feuerball. Er versengte meinen Brioni-Anzug und brannte sich in mein Fleisch. Ich fuhr herum und sah einen panischen Schatten flüchten.

»Der gehört mir!«, rief Ari und setzte dem Hexer nach.

Von mir aus. Mich interessierte nicht, wohin der Hexer lief, sondern woher er gekommen war. Zumal sich der Geruch nach getrocknetem Blut bereits zu verflüchtigen begann.

Schluss mit der Heimlichtuerei. Ich musste aufs Ganze gehen, also entfesselte ich meine Macht und schickte sie in jeden noch so kleinen Winkel der verschachtelten Lagerhalle. Ich durchforstete die hohen Regalwände, Nebenräume und Büros. Den Parkplatz, das Dach und den Keller.

Nichts.

Ein Fluch brannte mir in der Kehle. Wer auch immer hier gewesen war, hatte sich aus dem Staub gemacht.

Aber ich spürte da noch etwas anderes: das schwache Echo einer altbekannten Magie. Oh, bitte nicht …

Wenn das stimmte, hatten wir ein echtes Problem.

Ich folgte dem magischen Echo in den hinteren Teil der Halle. Das vorher noch so romantische Mondlicht floss dort durch die hohen zerbrochenen Fensterfronten. Stahlstreben warfen bedrohliche Schatten auf Boden und Wände. Nur auf einen kleinen Bereich in der Mitte fiel das fahle Licht völlig ungehindert – wie ein Theaterspot. Und darin …

Darin wartete eine Botschaft.

Ich wusste es in dem Moment, als ich das grausige Kunstwerk sah: ein Berg sich türmender Leichen, die in einer glänzenden dunkelroten Lache schwammen. Im Schrecken des Todes gefangene Gesichter, umrahmt von verrenkten Gliedmaßen und dem süßlich fauligen Geruch der Verwesung.

Fassungslos blieb ich stehen. Angst kroch in meine Gedanken und schnürte mir mit kalten Fingern die Kehle zu. Ein ungewohntes Gefühl. Es war nicht der Anblick, der mich so in Unruhe versetzte. Ich hatte schon Schlimmeres gesehen – und durchaus auch Schlimmeres getan. Nein, es war die Bedeutung dieses Blutbads, die ich fürchtete. Eine perfekte Inszenierung. Zu perfekt, um Zufall zu sein. Er hatte sie hier drapiert – für mich. Es war ein Präsent. Seine Art, mir zu sagen, dass er wieder da war. Dass er seine Macht zurückhatte. Dass er Anspruch erhob auf seine Stadt, seine alte Rolle und alles, was ich ihm genommen hatte.

Mehr noch, es war die Ankündigung, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

»Jesus, Maria und Josef!«, hörte ich Ryan hinter mir hauchen. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er kreidebleich war. Einen Augenblick später erklangen schnelle Schritte und Würgegeräusche. Ich verübelte es ihm nicht. Im Gegenteil, ich beneidete ihn darum, dass ein solches Massaker ihn noch derart berühren konnte.

Ich nahm eine flüchtige Bewegung auf den Stahlträgern über mir wahr. Lautlos schwang sich eine dunkle Silhouette herunter und landete zielsicher auf der anderen Seite des Leichenbergs. Lucians Signatur von schweren irischen Sommergewittern mischte sich mit dem bestialischen Gestank. Er warf mir einen missbilligenden Blick zu, bevor er sich neben den verrenkten Körper einer toten Frau kniete, um sie zu untersuchen.

»Das ist neu«, murmelte er grimmig. Die Nahtlosigkeit, mit der er in den Profi-Modus switchte, bewies, dass es wohl noch abgestumpftere Gemüter gab als mich. Natürlich war er es als Brachion gewohnt, durchgeknallten Dämonen hinterherzujagen und sich mit den Hinterlassenschaften ihres Wahnsinns auseinanderzusetzen, aber zumindest eine kleine Schocksekunde hätte seiner Sympathie nicht geschadet.

»Sieht mir nicht nach einer willkürlichen Tat aus.«

»Nein, das tut es nicht«, gab ich ihm recht.

»Und frisch ist das Ganze auch nicht. Die Leichen liegen hier schon mindestens ein paar Tage.«

Auch das war richtig.

»Boah, Leute«, krächzte Ryan und wankte aus der dunklen Ecke, in die er sich übergeben hatte, »eine Warnung wäre nett gewesen.«

Was für eine traumhafte Vorlage für einen zynischen Kommentar, aber ich war nicht in Stimmung. Schweigend stand ich da und sah Lucian dabei zu, wie er das Leichenmikado weiter entwirrte.

»Sie tragen keine Primus-Zeichen«, bemerkte er beiläufig.

»Hä, was?« Ryan war nur undeutlich zu verstehen, weil er sich die Hand vor den Mund hielt, um einem neuen Würgereiz zu entgehen. »Ich mein, diese Stille-Wasser-Mumien haben ja wirklich allesamt einen an der Klatsche, aber bislang schienen sie sich wenigstens logisch zu verhalten. Sie folgen ihrem Hunger, zwingen irgendwelche Menschen, ihnen ihre Seele zu überschreiben, und schlachten sie dann ab. Aber das hier ist eine ganz andere Nummer. Für einen Primus ist das doch … Verschwendung.«

Das letzte Wort kam dem Jäger aus moralischen Gründen nur schwer über die Lippen. Und tatsächlich lag er damit nicht so falsch. Theoretisch wäre es Verschwendung gewesen, so viele Seelen ungenutzt verkommen zu lassen – wenn da nicht noch immer dieses magische Echo gewesen wäre.

»Es gibt mehr als einen Weg, einem Menschen die Seele zu rauben«, murmelte ich.

Lucian richtete sich auf. Seine grünen Augen fixierten mich. Erst fragend, dann schockiert, dann voller Sorge. Das war er, der Moment, den ich eigentlich hatte vermeiden wollen. Er wusste es. Lucian erinnerte sich.

»Mehr als einen Weg?«, wiederholte Ryan konsterniert. »Aber –«

Ein lautes Rumsen unterbrach den Jäger. Eine Tür schwang auf und Ari marschierte in die Fabrikhalle.

»Ich hab euch was mitgebracht!«, rief sie triumphierend. In ihrem stahlharten Griff baumelte der Hexer, der mich vorhin angegriffen hatte. Sein Gesicht war von Pickeln überzogen und über seiner Oberlippe spross gerade mal ein leichter Flaum. Der Junge konnte keinen Tag älter als neunzehn sein und stank dennoch schon von oben bis unten nach einem ganz speziellen Dämon. Er war ein Gezeichneter.

Mit einem Mal hatte meine Wut ein greifbares Ziel und all mein Frust entlud sich. Schneller als Ari es hätte verhindern können, schnappte ich mir den Burschen an der Kehle und rammte ihn rückwärts gegen die nächstbeste Wand.

»Wo ist er?«, knurrte ich.

»B-b-bitte!«, stammelte er. »Ich werde nichts sagen!«

Obwohl seine Mauern stabil genug waren, um all seine Emotionen zu verbergen, troff dem Jungen die Angst nur so aus jeder Pore. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Ich packte noch ein wenig fester zu.

»Oh doch, du wirst mir sagen, wo er sich herumtreibt und was er plant, sonst –«

»Jetzt entspann dich mal, Bel!«, herrschte Ari mich an. Gleichzeitig fragte sie Lucian in Gedanken: Von wem zum Henker redet er überhaupt?

Das willst du gar nicht wissen, Kleines. Seine Antwort schloss Lucian mit einem mitleidigen Seufzen und brachte meinen Geduldsfaden damit endgültig zum Reißen. Gott, war ich es leid, den beiden in ihrer unerträglichen Harmonie zuhören zu müssen. Genauso wie ich die Nase voll davon hatte, zweitausend Jahre immer einen Schritt hinterher zu sein. Damit war nun ein für alle Mal Schluss. In meiner Wut stieß ich Ari zur Seite und konzentrierte meine ganze Macht auf die mentale Abwehr des Hexers. Wenn er mir die Informationen nicht freiwillig geben wollte, würde ich sie mir eben aus seinen Erinnerungen holen.

»WO IST ER?«, brüllte ich, während der Hexer vor Schmerz aufjaulte.

»Bitte tun Sie mir nichts! Ich hab doch alles getan, was Sie wollten. Ich hab es genau nach Ihren Vorgaben arrangiert und –«

»Wovon sprichst du?«

Ein spöttisches Lächeln erschien auf dem Gesicht des Jungen. Plötzlich erfüllte ein magisches Sirren die Luft, und der Körper unter meinen Händen begann, unkontrolliert zu zucken.

»Hör auf, Bel!«, rief Ari. »Wenn du ihn umbringst, werden wir nie erfahren –«

»Mea est ultio«, zischte der Junge gerade so laut, dass nur ich ihn hören konnte. Ein Ruck ging durch sein Rückgrat, gefolgt von einer Reihe mir nur allzu bekannter Geräusche. Brechende Knochen. Dutzende davon. Ein heiseres Keuchen war das Letzte, was der Hexer von sich gab, bevor er leblos zusammensackte.

Entgeistert starrte ich den toten Körper in meinen Händen an. Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis mir klar wurde, dass auch das kein Zufall gewesen sein konnte. Der Junge sollte sterben. Hier. Während ich ihn verhörte.

»Na, ganz toll gemacht, Mister Ich-bin-so-großartig-dass-mir-niemand-das-Wasser-reichen-kann«, maulte Ryan. »Wir hätten wirklich ein paar Infos gebrauchen können.«

Ich ließ den Hexer fallen und wirbelte herum. Meine Wut tobte noch immer in mir und brauchte ein Ventil. Und wenn sich dieser vorlaute Jäger schon so bereitwillig anbot … dann bitte.

»Achte auf deine Worte, Mensch. Sonst sorge ich beim nächsten Mal dafür, dass du daran erstickst.«

Ich schleuderte meine Macht in Ryans Richtung, um ihm eine Lektion in Sachen Demut zu erteilen, doch ich kam nicht weit. Meine Energie prallte an einer unsichtbaren Barriere ab, die nach einem Sonnenaufgang im Frühling roch. Die dazugehörige Prima mit honigblondem Pferdeschwanz und pechschwarzen Augen schob sich zwischen mich und mein neues Opfer. In Aris Händen glühten Klingen. Aziam. Die einzige Waffe, die Unsterbliche töten konnte.

Die unverhohlene Drohung meiner Freundin wirkte wie eine Eisdusche. Und der tiefe Kratzer auf ihrer blutverschmierten Stirn holte mich endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück. War ich das gewesen? Hatte ich wirklich dermaßen die Kontrolle verloren, dass ich sie verletzt hatte? Die Wunde verheilte zwar in diesen Augenblicken, trotzdem hätte mir so etwas nicht passieren dürfen. Und dass Ari sich gezwungen sah, ihre Brachion-Klingen gegen mich zu ziehen, sprach Bände. Ein Wunder, dass Lucian mich nicht schon bereits aufgespießt hatte. So wie ich ihn kannte, stand er ohnehin längst hinter mir und zielte auf mein Herz.

Ich versuchte, meine Macht zurückzuziehen. Dumm nur, dass es mir nicht so recht gelingen wollte, während ich noch um meine Beherrschung rang. Offenbar war mein Innenleben in einem weitaus desolateren Zustand, als ich es mir jemals eingestanden hätte. Tja, da musste wohl meine Standardlösung herhalten: Ich setzte eine möglichst souveräne Miene auf und tat so, als wäre alles Absicht gewesen.

»Mal wieder Lust, mich zu erdolchen, Ari? Du vermisst wohl das befriedigende Gefühl, einen meiner Anzüge zu ruinieren?«

»Spar dir die Sprüche, Bel!«, blaffte meine Freundin. Sie ließ das Feuer in ihren Klingen ersterben und sah mich todernst an. »Erstens ist dein Anzug bereits ruiniert – was du sicherlich inzwischen behoben hättest, wenn du nicht gerade vollkommen neben der Spur wärst. Zweitens«, fuhr sie fort und deutete mit angeekelter Miene auf meine linke Körperhälfte, »bring das bitte in Ordnung, das sieht wirklich widerlich aus.«

Perplex blickte ich an mir herunter und stellte fest, dass der Feuerball des Hexers in der Tat einen immensen Schaden an meiner Kleidung und meiner Hülle angerichtet hatte. Genau genommen waren Haut, Fleisch und Stoff so weit miteinander verschmort, dass stellenweise sogar die Knochen durchschimmerten. Nichts, was ich nicht innerhalb eines Wimpernschlags hätte reparieren können, und doch das erste Mal seit etlichen Jahrhunderten, dass ich schlicht vergessen hatte, mich zu heilen …

»Und drittens …« Nun kam Ari auf mich zu und baute sich mit einer Selbstverständlichkeit vor mir auf, als wäre ich nicht der Teufel, dem sie gerade mal bis zum Kinn reichte. »Du wirst mir jetzt sofort sagen, warum du dich in letzter Zeit aufführst wie ein tollwütiges Frettchen auf Steroiden, oder ich schwöre dir, ich werde dich entweder zu einem Therapeuten schleppen oder deine Essenz so lange anbrutzeln, bis du wieder klar denken kannst!«

Meine Mundwinkel zuckten unwillkürlich und die Last auf meinen Schultern fühlte sich mit einem Mal leichter an. Ich wusste schon, warum ich Ari mochte. Und ganz abgesehen davon, dass ich Maßregelungen verabscheute, war das seit Langem das Netteste, was jemand für mich getan hatte.

Ich atmete tief durch und legte zum Zeichen meines guten Willens eine Illusion über meine verbrannte Körperhälfte. Gott sei Dank gehorchte mir meine Macht diesmal. Ich war so erleichtert, dass ich für einen Augenblick die Vorstellung zuließ, Ari um Hilfe zu bitten. Für jemanden wie mich ein absurder Gedanke. Und doch …

»Erstens«, entgegnete ich ihr, indem ich ihren Tonfall kopierte. »Ich habe dem Hexer kein Haar gekrümmt. Das war ein Suizid-Zauber. Zweitens: Ein tollwütiges Frettchen auf Steroiden?! Wirklich? Dir ist kein geschmackvollerer Vergleich eingefallen?« Ari presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, hob ich beschwichtigend die Hände. »Und drittens: Ja, es gibt einen Grund für mein Verhalten. Und ja, ich habe euch möglicherweise einen Teil der Wahrheit vorenthalten, aber ich hatte meine Gründe.«

»Da bin ich mal gespannt«, ertönte es hinter meinem Rücken. Wie erwartet trat Lucian in mein Blickfeld und steckte seinen Aziam weg – natürlich nicht, ohne mir einen eisigen Blick zuzuwerfen. Anschließend kniete er sich neben den toten Hexer und begutachtete dessen Nacken. Dort schimmerte im fahlen Licht des Mondes ein altbekanntes Symbol: Linien, die etwas abstrahiert zwei in entgegengesetzte Richtungen blickende Gesichter bildeten.

Der Brachion fluchte.

Ich schwieg.

Ari rollte mit den Augen.

Sie konnte es nicht leiden, nicht eingeweiht zu sein.

»Klärt mich bitte mal wer auf?« Obwohl sie den Plural benutzte, funkelte sie ausschließlich mich grimmig an. »Wem gehört dieses Symbol?«

Lucian und ich antworteten unisono: »Ianus.«

»Aha. Und wer ist dieser Ianus?«

»Die lange oder die kurze Version?«, erkundigte sich ihr Gefährte, während er aufstand und sich seine unerträglich poetischen Locken aus der Stirn strich.

»Bitte die Kurze!«, stöhnte ich. Mir fehlten sowohl die Zeit als auch die Nerven dafür, mein halbes Leben Revue passieren zu lassen.

Als Ari zustimmend nickte, zuckte Lucian mit den Schultern und meinte: »Ianus war Bels Erzrivale, bevor er von Thanatos und mir wegen seiner Verbrechen in die Stillen Wasser befördert wurde. Rom war seine Stadt – zumindest, bis Bel sie vor zweitausend Jahren abgefackelt hat – und das Stehlen von Seelen gehörte zu seinen Spezialitäten, natürlich neben blutrünstigen Morden wie diesen hier.«

Aris Mund klappte auf. Sie blickte fassungslos zwischen mir und ihrem Gefährten hin und her, während hinter ihr ein völlig perplexes Jägergesicht auftauchte. Ryan hatte sich bislang vorsorglich zurückgehalten, doch nun konnte er sich nicht länger bremsen.

»Heilige Scheiße, der Große Brand von Rom warst DU?!«

Keine zehn Worte gesprochen und schon ging er mir auf die Nerven. Ich nahm den Jäger ins Visier, aber Lucian kam mir zuvor.

»Die Liste der von Bel provozierten Einträge in menschlichen Geschichtsbüchern ist noch viel länger. Allerdings hat er sich in jener Nacht selbst übertroffen. Ianus hatte ihm Malta genommen und Bel ihm im Gegenzug Rom, seine Macht, seinen Ruf und seine Freiheit.«

Das war so nicht ganz richtig. Ich hatte Rom nicht aus Kalkül abgebrannt, sondern schlicht die Kontrolle verloren. Abgesehen davon hatte Ianus mir mehr genommen als Malta. Sehr viel mehr.

»Wunderbar!« Ari warf ihre Arme in die Luft. »Wir haben also einen frei laufenden Psychopathen, der vermutlich noch verrückter ist als früher und zu allem Überfluss auch noch eine Stinkwut auf dich und Lucian hat! Habe ich was vergessen?«

Das war eindeutig eine rhetorische Frage, und dennoch kam ich nicht umhin, sie auf die Offensichtlichkeiten hinzuweisen, die ihrem Resümee fehlten.

»Ianus scheint bereits wieder im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein. Andernfalls wäre er wohl kaum das Risiko eingegangen, mir diese Botschaft zu hinterlassen.«

Ari stieß entnervt die Luft aus. »Super. Noch was?«

»Und er hat jetzt schon wieder Gezeichnete«, meldete sich Ryan eifrig zu Wort, als wäre das Ganze ein Quiz.

»Mehr als das«, korrigierte ich den Jäger. »Es braucht eine Menge magischer Gefäße und mächtiger Hexen, um die Seelen so vieler Menschen zu rauben und zu konservieren. Es würde mich nicht wundern, wenn auch einige Hexenmeister unter seinen neuen Anhängern wären.«

»Er befehligt also auch noch eine halbe Armee?« Aris ohnehin schon zynischer Tonfall wurde so trocken wie die Sahara.

Lucian schnalzte mit der Zunge. »Eine Armee, die offensichtlich bereit ist, für ihn in den Tod zu gehen.«

Damit kippte die Stimmung und Aris Sarkasmus verwandelte sich in ehrliche Wut. Sie kniff die Augen zusammen und spießte mich mit ihrem Blick förmlich auf.

»Diese ganze Jagd nach den entflohenen Stille-Wasser-Sträflingen war eine Farce, weil es dir in Wahrheit nur um Ianus ging. Und statt uns um Hilfe zu bitten, hast du uns benutzt!«

Ihr Vorwurf verhallte in der verlassenen Fabrik, während sich in mir Widerstand regte. Ja, mein Verhalten war vielleicht nicht ganz einwandfrei gewesen, aber ich ließ mich nicht gern hinterfragen. Schon gar nicht von jemandem, dem die Kenntnis entscheidender Details fehlte.

»Möglich, dass ich deinen Moralvorstellungen nicht genüge, aber eines sollten wir hier mal festhalten«, konterte ich frostig. »Ich muss euch nicht in alles einweihen. Ihr seid Brachion und ich bin Mitglied des Hohen Rats. Es ist mein Recht, euch zu benutzen, wann und wie ich es für richtig halte.«

»Wow!« Aris Gesichtsausdruck wechselte von Empörung zu Enttäuschung und schließlich zurück zu Wut. Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte auf den Ausgang zu.

»Weißt du was, Bel?«, rief sie mir über die Schulter nach. »Viel Spaß mit Ianus. Wir sind raus.«

Lucian zögerte keine Sekunde. Er folgte ihr wortlos, ebenso wie Ryan, der mich zuvor jedoch noch mit einem Kopfschütteln bedachte.

»Ganz schön schäbig dafür, dass Morrison alles für dich tun würde.«

Diesmal verspürte ich keinen Drang, ihn erwürgen zu wollen. Vielmehr fühlte ich mich tatsächlich … schäbig.

»Ari, warte!«

Sie war bereits außer Sichtweite, doch noch hörte ich ihre Schritte. Sie wurden nicht langsamer. Unaufhaltsam ließen sie mich allein – mit einem Berg Leichen, mit Ianus und meinem Gefühlschaos.

Ari! Es tut mir leid!

Wieder keine Antwort.

Bitte, ich … brauche deine Hilfe.

Die Verzweiflung in meiner Stimme war mir genauso unangenehm wie die Schwäche, die ich gerade zur Schau stellte. Aber es musste sein. Ich hatte Fehler gemacht, zu viele Fehler, und dabei stets größte Gleichgültigkeit vorgegaukelt. Ari war die Einzige, die sich davon nie hatte blenden lassen. Sie war diejenige, die mir nach zweitausend Jahren die Hoffnung zurückgegeben hatte. Ohne ihre Hilfe würde ich zweifelsohne den Boden unter den Füßen verlieren. Und das konnte ich mir beim besten Willen nicht leisten. Nicht jetzt, wo ich doch jeden Funken meiner Energie brauchte, um mich nicht in den Wahnsinn treiben zu lassen von dem, was auf dem Spiel stand.

Ein Hauch von Aris Macht strich durch meine Gedanken, gefolgt von einem resignierten Seufzen.

Was hat Ianus gegen dich in der Hand?

Trotz ihres versöhnlichen Tonfalls brachte Ari es wieder einmal auf den Punkt.

Mehr, als ich in Worte fassen kann, erwiderte ich zähneknirschend.

Tja, dann haben wir ein Problem. Weil ich dir nicht helfen kann und werde, solange du mir nicht die ganze Wahrheit erzählst.

Die ganze Wahrheit? So viele Erinnerungen spukten in meinem Kopf umher und dennoch war ich mir nicht sicher, ob ich mich nach all der Zeit an die ganze Wahrheit würde erinnern können … oder erinnern wollen.

Ich atmete tief durch.

Also gut. Aber nur du und Lucian.

Noch lieber wäre mir gewesen, auch den Brachion außen vor zu lassen, doch das hätte keinen Zweck gehabt. Ari würde ihrem Gefährten niemals etwas verheimlichen – nicht einmal für mich.

Ganz wie du willst, antwortete Ari, während ich spürte, dass ihre Energie stärker wurde. Sie kam zurück.

Nicht hier. Ich denke, es ist einfacher, wenn ich es euch zeige.

CASSIA

Von Sinnen

Tap.

Es reichte, daran zu denken. Schon spannten sich Sehnen, Muskeln zogen sich zusammen und mein großer Zeh hob sich. Ein zweiter Gedanke und er fiel zurück auf den kühlen Steinboden.

Tap.

Ich fühlte meinen eigenen Atem an den Armen. Ich fühlte, wie sich meine Haare darin wiegten, wie sie mir über die Schultern und die Knie strichen und dort meine Haut kribbeln ließen. Ich fühlte meinen Hintern, der Schmerzsignale an mein Hirn sendete, weil er den harten Fußboden in der kalten Ecke nicht mochte. So unwirklich.

Tap.

Mein Herz schlug, das Blut pulsierte in meinen Adern und während sich meine Lungen mit Luft füllten, weitete sich mein Brustkorb. Allein diese kleine Bewegung machte mir das Denken unmöglich, denn der Stoff, der meine Haut berührte, löste ein Feuerwerk in meinen Nervenbahnen aus.

Tap.

Ich erinnerte mich daran, wie es war, einen Körper zu besitzen, ich hatte nur nicht mehr gewusst, dass es so intensiv sein konnte.

Tap.

 Aber solange ich mich auf meinen Zeh konzentrierte, schaffte ich es, mich nicht zu verlieren.

Tap.

Das Geräusch, das ich damit erzeugte, vermochte die endlose Stille nicht zu füllen. Keine Schreie. Keine Hilferufe. Keine Stimmen, die mich anflehten, sie zu befreien.

Ich wusste nicht, was geschehen war. Die anderen hatten sich vor Aufregung überschlagen und mich zurückgedrängt. Mir war es gleichgültig gewesen, weil ich keine Kraft mehr gehabt hatte, um mich zu behaupten. Nicht gegen die vielen Neuen, die immer so stark und ungestüm forderten, was ohnehin unmöglich war. Doch als uns dann diese unglaubliche Energie geflutet hatte, war mir sofort klar gewesen, dass sich etwas verändern würde. Ich hatte Hoffnung geschöpft. Und meine Hoffnung hatte sich erfüllt. Das Ewige Rot war zersprungen wie Glas. Dunkelheit hatte sich wie eine Decke über uns gelegt. Wir waren frei gewesen. Erlöst. Glücklich. Ich hatte die Seelen der anderen gesehen, wie sie wie Sterne erstrahlt waren, und ein Friede war über mich gekommen, schöner als jede Erinnerung, die ich mir bewahrt hatte. Und gerade als meine Seele diesen Frieden in sich aufnehmen wollte, hatte mich etwas zurückgerissen. Fort aus der Dunkelheit, hinein ins Licht. Ich wurde durch eine Welt voller Schmerzen geschleudert und war schließlich hier aufgewacht.

Es war, wie er es mir versprochen hatte. Es würde nie enden. Nie wieder. Nie wieder würde ich frei sein, nie wieder Ruhe finden, nie Erlösung, nie Frieden.

Etwas rann meine Wange hinunter. Warm. Feucht. Es waren Tränen. Schon wieder. Diesmal würde ich nicht den Fehler machen, meine Hände von den Augen zu nehmen, um sie abzuwischen. Das Blut, das durch meine geschlossenen Lider floss, färbte meine Sicht in der Farbe meines Gefängnisses. Rot.

Die Augen zu öffnen, kam jedoch genauso wenig infrage. Dafür war ich noch nicht bereit. Ganz am Anfang hatte ich es einmal gewagt. Das Licht war kaum zu ertragen gewesen. Es hatte all die Farben leuchten lassen, dass meine Sinne förmlich explodiert waren. Ich war gefallen. Jemand hatte mich auffangen wollen, aber die Berührung hatte alles noch viel schlimmer gemacht. Eine gebrechliche Stimme war bemüht gewesen, mich zu beruhigen, doch die Worte hatten es nicht geschafft, das Rauschen in meinen Ohren zu durchdringen. Ich war geflohen. In eine Ecke. Und dort saß ich noch immer, die Hände fest auf die Augen gepresst.

Ich wusste nur, dass ich mich in einem weißen Raum befand. Und vage konnte ich mich an Blumen erinnern. Vielleicht glaubte ich das aber auch nur, weil da dieser süßliche schwere Duft war, den ich mit jedem Atemzug in meine Lungen presste.

Meine Tränen hatten meine Lippen erreicht und ein salziger Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Im selben Moment öffnete sich eine Tür und Schritte ertönten. Ein warmer Luftzug liebkoste meine Haut. Ich erschauerte unwillkürlich, während ein neuer würziger Geruch hereinwehte. Die unterschiedlichen Signale versetzten mein Gehirn in Panik. Mein Herz begann schneller zu pochen und meine Muskeln spannten sich unwillkürlich an.

Bleib ruhig, sagte ich mir.

Es war nicht das erste Mal, dass der Mann mit der gebrechlichen Stimme zurückkehrte. Und noch nie hatte er einen zweiten Versuch unternommen, mich anzufassen. Wie immer brachte er lediglich etwas herein, das er mit einem leisen Scheppern neben mir abstellte, woraufhin er mir mit ein paar Worten erzählte, was er gekocht hatte, und anschließend wieder verschwand.

Diesmal schien er unzufrieden zu sein.

»Du musst was essen, Kind«, murmelte er. »Dein Körper braucht Nahrung. Wie willst du denn sonst zu Kräften kommen?«

Eine Antwort erwartete er nicht. Stattdessen schlurfte er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.

Essen …

… um zu Kräften zu kommen? Um herauszufinden, wo ich war? Um zu fliehen? Wozu? Außerdem versetzte mich allein die Vorstellung in Panik, etwas in meinen Mund zu stecken, zu kauen und zu schlucken. Ich war doch schon überfordert damit, überhaupt am Leben zu sein.

Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich wieder auf meinen großen Zeh. Ein Gedanke, Sehnen spannten sich, Muskeln zogen sich zusammen und er hob sich. Ein zweiter Gedanke und er fiel zurück auf den kühlen Steinboden.

Tap.

Tap.

Tap.

BELIAL

Eine Leiche im Keller

»Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen«, verkündete Ari, während wir durch mein privates Verlies marschierten. »Man sollte unter seinem Wohnzimmer einen Partykeller haben und keinen hauseigenen Kerker.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung«, entgegnete ich trocken. »Die Frage ist nur, wie man Party definiert.«

Hinter mir stieß Lucian ein missbilligendes Geräusch aus.

Du hättest einen Deal aushandeln sollen, Kleines. Unsere Hilfe gegen eine Auszeit von seinen selbstgefälligen Sprüchen.

Ari grinste. Das kann ich ihm doch nicht antun.Das käme ja einem Schweigegelübde gleich.

Widerwillig unterdrückte ich den Impuls, die beiden an ein Mindestmaß von Höflichkeit zu erinnern. Sie wussten nur zu genau, dass ich ihre Gespräche hören konnte, und machten sich einen Spaß daraus, mich zu provozieren. Die Genugtuung, damit Erfolg zu haben, gönnte ich ihnen nicht. Also setzte ich eine gelangweilte Miene auf und meinte: »Selbstgefälligkeit hat viele Gesichter, junger Ankou.«

Mit einem kleinen mentalen Wink aktivierte ich einen der vielen Bannsprüche, die in den Mauern meines Zuhauses verwoben waren, und unterband so jede weitere mentale Kommunikation. Anschließend genoss ich die Verwirrung meiner Gäste und die erlösende Ruhe in meinem Kopf.

»Spielverderber«, murmelte Ari, als sie endlich herausgefunden hatte, was nicht stimmte.

Dem konnte ich nicht widersprechen. Auch meine Nachsicht und mein Humor kannten Grenzen. Besonders dann, wenn ich den Gang betrat, der an einer schlichten weißen Tür endete.

»Ach du meine Güte«, hauchte Ari. Offenbar spürten sie und Lucian schon von Weitem die Schutzzauber, die auf diesem Raum lagen.

»Hoffentlich ist das nur gegen Einbruch gedacht«, meinte Lucian angespannt, »und nicht gegen einen Ausbruch.«

Ich sah, wie seine Hand instinktiv zu seinem Aziam zuckte, und seufzte. »Du wirst deine Waffe hier drinnen nicht brauchen, Brachion.«

Ohne ein weiteres Wort öffnete ich die Tür und schritt voran in einen kargen dunklen Raum. Ich wusste selbst nicht mehr genau, warum ich ihn vor all den Jahren hatte bauen lassen. Vielleicht, um mir ein bisschen Abstand zu verschaffen. Vielleicht, weil ich glaubte, nicht das Recht zu haben, in ihrer Nähe zu sein.

Ich wartete, bis Ari und Lucian eingetreten waren, und schloss die Tür mit einem beiläufigen Gedanken. Ein zweiter Gedanke setzte einen schweren Vorhang in Bewegung. Abgesehen von ihm gab es hier drinnen nichts. Nicht einmal einen Stuhl. Dieser Raum diente nicht der Bequemlichkeit. Er diente dazu, dem eigenen Versagen ins Gesicht zu sehen.

Hinter dem Vorhang kam eine große Glasscheibe zum Vorschein, durch die man ein helles Zimmer mit Bücherregalen, Bildern und etlichen blauen Blumen betrachten konnte. Im Zentrum des Zimmers stand ein Steinsockel, den man kaum noch als solchen erkennen konnte. Er war dicht umwachsen von magischen Ranken. Sie strahlten fortwährend ein schwaches, aber beständiges Glühen aus, obwohl der zugrunde liegende Zauber bereits vor einigen Tagen gebrochen worden war.

»Für eine Zelle in deinem Kerker ist das ziemlich einladend«, befand Ari und trat näher an die Scheibe. Sie brauchte eine Weile, um die kleine Gestalt zu entdecken, die sich in der hintersten Ecke zwischen einem Schrank und einer Topfpflanze verkrochen hatte.

Ende der Leseprobe