Berg-Karabach - Ramiz Mehdiyev - E-Book

Berg-Karabach E-Book

Ramiz Mehdiyev

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Beschreibung

Im Buch wird die Geschichte der Region Berg-Karabach einschließlich der historischen Wurzeln des armenisch-aserbaidschanischen Berg-Karabach-Konflikts, basierend auf Quellen der Antike, dem Mittelalter und der modernen zeitgenössischen Geschichte, erforscht. Das Buch befasst sich mit den demografischen Veränderungen im Konfliktgebiet, dem bewaffneten Kampf, den aktuellen Verhandlungsprozessen sowie der Haltung der internationalen Organisationen in dieser Situation. Die im Buch dokumentierten historischen Ereignisse, die während des Zerfalls der Sowjetunion eskalierten, belegen, dass Berg-Karabach seit uralten Zeiten ein integraler Bestandteil Aserbaidschans ist. Der Leser macht sich in diesem Buch mit unwiderlegbaren Tatsachen vertraut und lernt Ursachen und Hintergründe verstehen, die zum noch heute bestehenden Problem um Berg-Karabach geführt haben. Das Buch ist für einen breiten Kreis von Lesern, Historikern, Politikwissenschaftlern, Juristen für internationale Beziehungen, Konflikt-Wissenschaftlern, Anthropologen und Soziologen gedacht.

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Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Ramiz Mehdiyev

BERG-KARABACH

Aus den Quellen erforschte Geschichte.

Das Buch von Ramiz Mehdiyev, ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften Aserbaidschans, ist den historischen Gründen des Berg-Karabach-Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan gewidmet. Mit Bezugnahme auf verschiedene historische Quellen des Altertums, der Antike, des Mittelalters und der Zeitgeschichte wurden die Entstehungsursachen des Konflikts geschildert, die territoriale Zugehörigkeit Berg-Karabachs zu den aserbaidschanischen Staaten begründet sowie die Veränderungen in der demografischen Situation, der bewaffnete Kampf um Berg-Karabach, der aktuelle Verhandlungsprozess durch die Vermittlung der Minsk-Gruppe der OSZE, das Verhältnis der internationalen Organisationen zur Situation in dieser Region, das in ihren Resolutionen und Aussagen seinen Ausdruck gefunden hat, gezeigt. Das Buch ermöglicht einem uneingeweihten Leser, den eigentlichen Kern dieses Problems zu verstehen, sich in den Ursachen und Folgen des bewaffneten Konflikts um Berg-Karabach zurechtzufinden; es erleichtert jedem Interessierten, einen objektiven Bezugspunkt in den Themen zu finden, die in der modernen Politikwissenschaft und Geschichte als Berg-Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan bezeichnet werden.

Das Buch ist für einen breiten Kreis von Lesern, Historikern, Politikwissenschaftlern, Juristen für internationale Beziehungen, Konflikt-Wissenschaftlern, Anthropologen und Soziologen gedacht.

Inhalt

Einleitung

Retrospektive der armenischen Ethnogenese­­­­­

Über ein geklärtes Toponym

Anthropologie der Aserbaidschaner

Einheitlichkeit der Gebiete des kaukasischen Albanien und Aserbaidschans

Mythenbildung über die (armenische) Hayastan-Autochthonie im Kaukasus

Migration der Armenier in den Südkaukasus

Die kaukasischen Albaner und die Armenier

Arzach und Karabach

Verlegung des Katholikats und Umsiedlung

Expansion der Großmächte und der armenische Faktor

Aserbaidschanische Khanate zwischen russischem Hammer und iranischem Amboss

Der letzte Karabach-Khan

Eine tragische Ankunft

«Kaukasische Autochthonie» der Armenier

Der neue Südkaukasus

Chronologie der ruhigen Expansion

Die Karabach-Krise: die Spur des Kreml

Was wurde vor der Öffentlichkeit versteckt?

Sumgait als ein ideologisches Instrument

Spitak als Wendepunkt

Schwarzer Januar im Jahr 1990

Karakend-Nachklang in Chodschali

Krieg im «Großen Garten»

Das Problem und das Recht

Der Friedensprozess und seine «scharfen Kanten»

Schlussfolgerungen

Index

Einleitung

Die Geschichte des Südkaukasus widerspiegelt rückblickend die wichtigsten Ereignisse der Weltgeschichte. Wie bekannt ist, haben Rom und Persien, Byzanz und Sassaniden, das arabische Khalifat, das Reich der Safawiden und die osmanische Türkei um den Kaukasus gekämpft. Eine grundlegende Änderung im Schicksal des Kaukasus fand am 14. Mai 1805 nach der Unterzeichnung des Kurekchay-Abkommens statt, nach dem das Khanat Karabach mit seiner ursprünglich aserbaidschanischen Bevölkerung unter die Zuständigkeit des russischen Imperiums kam. Im Jahr 1813 wurde auch das Schicksal von anderen aserbaidschanischen Khanaten besiegelt. Der Gulistan-Friedensvertrag nach dem Ende des ersten russisch-iranischen Krieges bestätigte die Unterordnung von Dagestan, Georgien, Abchasien, der Khanate Bakı, Gnc, Şirvan, Şki, Drbnd, Quba und Talış in das russische Territorium.

In dieser Zeit bildeten in diesen Gebieten die Muslime, vor allem die aserbaidschanischen Türken, die Mehrheit der Bevölkerung, wobei die Zahl der Armenier gering war. Sie erschienen dort erst nach 15 Jahren, das heißt nach dem zweiten russisch-iranischen Krieg in den Jahren 1826–1828.

Der Kaukasus, der aufgrund seiner zentralen Lage auf der interkontinentalen, interzivilisatorischen und interreligiösen Bruchlinie der Solarplexus Eurasiens genannt wird, hat immer eine wichtige Stelle in den geopolitischen Projekten von Machtzentren der Welt eingenommen. Karabach war in einer Weise der Schlüssel zur Region und spielte eine entscheidende Rolle für die Kontrolle über den Kaukasus, insbesondere über seinen Süden.

Der Berg-Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan wird in der wissenschaftlichen Literatur und in den Lehrbüchern breit widerspiegelt. Über ihn wurden viele Studien veröffentlicht, die ganz verschiedene, manchmal diametral entgegengesetzte Standpunkte über die Ursachen des langjährigen bewaffneten Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan reflektieren.

Es ist heute eine unbestreitbare Wahrheit, dass der Konflikt viele Menschenleben gekostet hat und bis jetzt nicht gelöst worden ist. Eine politische Regelung dieses Problems wird in die Länge gezogen, und die ideologische Gegenüberstellung, bei der die entscheidende Rolle die Interpretation der Ursachen und der beobachteten Folgen des zwischenstaatlichen Problems spielt, übt einen bedeutenden Einfluss auf sie aus.

Wenn man die Einstellung der Mehrheit von Autoren betrachtet, die die Besonderheiten der Widersprüche zwischen Armenien und Aserbaidschan zu beleuchten versuchen, stellt man unweigerlich Folgendes fest: Entweder haben die Autoren eine vorgefasste Meinung und ziehen voreilig absurde Schlussfolgerungen, oder sie interpretieren die historischen Ereignisse falsch, wobei sie sich nach abstrakten, oberflächlichen und zufälligen Motiven richten. In jedem Fall basieren die Schlussfolgerungen der meisten Historiker und Konflikt-Wissenschaftler auf ausgewählten historischen Angaben und widerspiegeln deswegen nicht das ganze Bild. Aus diesem Grund können viele Untersuchungen nicht für streng wissenschaftlich und objektiv gehalten werden.

In diesem Buch wurden zahlreiche Quellen benutzt. Somit hat der Leser die Möglichkeit, selbst die Schlussfolgerung zu ziehen und sich aufgrund der eigenen Überlegungen eine Meinung zu bilden. Es wurden dabei die armenischen und ausländischen Quellen absichtlich hervorgehoben, um zu zeigen, dass die in den breiten wissenschaftlichen Kreisen existierende Meinung darüber, dass zahlreiche Quellen des Altertums sowie europäische und russische Forscher dieser Region das armenische historische Konzept – das heißt die Berechtigung der territorialen Ansprüche gegen Aserbaidschan –, bestätigen, falsch ist.

Es ist allgemein bekannt, dass beliebige Angaben über einen Konflikt, die von den Vertretern der interessierten Seiten gemacht werden, mitunter von Egozentrik nicht frei sind. Positive Ausnahmen sind nur in den Fällen bekannt, wo die chronologische Reihenfolge der jüngsten Ereignisse unparteiisch ist und von konsequenten Schlussfolgerungen begleitet wird, die sich auf breite und glaubwürdige Beweise stützen. Eine solche Formulierung ermöglicht, die umfassende Konfiguration der kausalen Motivationen zu erstellen, das heißt, sie trägt zur Entstehung des vollständigen Bildes von Voraussetzungen bei, die eine Schlüsselrolle bei der Entstehung der Kollision gespielt haben.

Die Besetzung der aserbaidschanischen Gebiete Berg-Karabachs enthüllt das Problem der Koexistenz von zwei Staaten, Armeniens und Aserbaidschans, die zu verschiedenen Zivilisationen gehören und unter verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen leben. Der Präsident Aserbaidschans, Ilham Aliyev, betont in seinen zahlreichen Reden die riesige sozialwirtschaftliche Kluft zwischen Aserbaidschan und Armenien, die infolge der Isolation Armeniens von regionalen Projekten gebildet wurde. Aserbaidschan plant eine strategische Entwicklung für die kommenden Jahrzehnte, wobei Armenien versucht, sein Existenzproblem zu lösen. Aber sogar diese unbestreitbare Formulierung gibt keinen Grund zu behaupten, dass der zwischen zwei souveränen Staaten ausgebrochene Konflikt ein charakteristischer Akt der Kollision der Zivilisationen bleibt. Das betonen praktisch alle armenischen Wissenschaftler und vertuschen somit die offenkundige Tatsache der Aggression. Bemerkenswert ist, dass diese voreingenommenen Auffassungen von ausländischen Fachleuten und Konflikt-Wissenschaftlern wiederholt werden.

Die Entwicklung einer leidenschaftslosen Einstellung zu einem zwischenstaatlichen Konflikt erfordert von jedem Wissenschaftler eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den ideologischen, ethnischen, psychologischen Kultur- und Zivilisationsaspekten des Problems. Ungeachtet dessen, wie groß und vielfältig das Gesamtpotenzial ist, muss man in der Analyse des Materials peinlich genau sein, streng die Abfolge der Ereignisse beachten und jedes Detail, das die eine oder andere Wendung im historischen Prozess postuliert, sorgfältig analysieren. Nur auf diese Weise kann man das vollständigste Bild über die Vergangenheit und die Zukunft der Konfliktsituation haben. Um den Berg-Karabach-Konflikt ist ein enormer Inhalt von Informationen und Analysen akkumuliert worden, der ein zunehmendes Interesse der Fachleute hervorruft. In den durchgeführten Untersuchungen entspricht quantitatives Maß nicht dem qualitativen Erfassen des vorhandenen Materials. Die Schlussfolgerungen und Aussagen der meisten Wissenschaftler ermöglichen einem unvoreingenommenen Leser leider nicht, das Wesen des Konflikts zu verstehen. Deswegen stoßen hin und wieder die Nichteingeweihten, die sich im riesigen Informationsstrom befinden, auf subjektive oder sogar falsche Urteile und Schlussfolgerungen.

Eine unterschiedliche Herangehensweise an einige Ereignisse der Vergangenheit, offene und versteckte Verfälschung der Geschichte, ein ausgewählter Ansatz zum Verständnis des Prozesses, bringen Verwirrung in die gesamte Situation und führen die so Informierten auf den falschen Weg. Die Beachtung der Logik, die Einhaltung der Regeln der konsequenten Erforschung des Gegenstands, die Suche nach den Antworten auf ausnahmslos alle Fragen scheint die vernünftigste und akzeptabelste Methode bei der Auseinandersetzung mit dem Thema zu sein.

Diese Einstellung, die auf dem Prinzip der Unparteilichkeit basiert, kann einen umfassenden Überblick über die Voraussetzungen des zwischenstaatlichen Konflikts geben und ihn erklären sowie jedem Interessierten helfen, die Drehungen und Wendungen des Problems zu verstehen. Es ist wichtig, bei unzähligen unerforschten Ereignissen und bei den durch sie verursachten Unklarheiten das Tüpfelchen aufs «i» zu setzen, und dabei muss man auf Erfindungsgabe verzichten.

Jede Tatsache, jedes Element, jedes Detail prägt die Evolution eines Themas und folgt einer gewissen Logik. Um das Wesen der Ursprünge, der Ursachen und die heutige Lage des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts zu verstehen, der zum blutigsten im postsowjetischen Raum wurde, ist eine akademische Betrachtungsweise nötig.

Eine typische Frage an einen unvorbereiteten Leser zum Berg-Karabach-Konflikt könnte sein: Inwieweit entspricht diese internationale Auseinandersetzung Samuel Huntingtons Theorie über den Kampf der Kulturen? Viele armenische und ausländische Autoren behaupten kategorisch, dass die Existenz von zwei souveränen Formationen entlang der Bruchlinie, welche christliche und muslimische Gebiete trennt, zwangsläufig dazu führt, dass zwei benachbarte Zivilisationen sich gedrängt fühlen, Faustkämpfe nach dem Prinzip «Wand gegen Wand» zu führen. Genau aus diesem Grund betrachten einige Autoren den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt als nichts anderes als eine ausgeprägt ideologische und kulturelle und nicht als eine sozialwirtschaftliche, staatliche und politische Krise. Zweifellos sind Differenzen zwischen ethnischen Gruppierungen fundamentaler als solche zwischen politisch und ideologisch unterschiedlichen Systemen. Es ist auch wahr, dass die Religion in den meisten Fällen die Menschen trennt, weil diese Gemeinschaft viel stärker ist, als ihre ethnische Zugehörigkeit. Wenn man diese Postulate bedingungslos akzeptieren würde, wäre es sinnvoll zu fragen, warum beispielsweise das christliche Georgien als strategischer Partner Aserbaidschans agiert und kooperiert und warum der muslimische Iran aktiv in Armenien investiert.

Der Kampf der Kulturen von Huntington weist auf die drohende Gefahr der Rückkehr der Menschheit zu den Ursprüngen der Geschichte hin, wonach der Kampf der Kulturen zum dominierenden Faktor der Weltpolitik wird. Aber die Hauptidee dieser Konzeption hat keine logische Verbindung mit dem armenisch-aserbaidschanischen Konflikt, weil den Kern dieses Problems der Faktor der negativen Komplementarität der armenischen Identität bildet. Die Armenier zeigen offen Intoleranz gegenüber anderen ethnischen Gruppen, vor allem gegenüber den Türken. Und die Ursprünge dieser Intoleranz sind in der tiefen Vergangenheit verwurzelt. Es gibt keinen Grund zu behaupten, die Ursache der Kollision von Interessen Armeniens und Aserbaidschans wäre der zivilisatorische oder religiöse Faktor. Die konfessionelle Identität von zwei Titularnationen hat mit dem Streitgegenstand, der eine stark ausgeprägte territoriale Konnotation hat, nichts zu tun.

Im Zusammenhang mit dieser Konfrontation wäre es besser, auf das geistige Erbe von Francis Fukuyama zu verweisen, der behauptete, dass nach dem Untergang des Kommunismus die politische Ruhe an den Grenzen von Osteuropa von intolerantem und aggressivem Nationalismus massiv gestört würde. Die ostentative Demokratie der politischen Leitung Armeniens maskiert ihre wahren Absichten und setzt in der Praxis einen extrem chauvinistischen Kurs durch. Bemerkenswert ist die Dominanz dieser Richtung sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik. Armenien ist heutzutage eines von den wenigen monoethnischen Ländern, wo die Titularnation eine Mehrheit bildet, die im Wesentlichen ein logisches Ergebnis der ethnischen «Säuberung» ist, die seit der Zeit der Sowjetunion systematisch umgesetzt wird.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die Leitung der UdSSR, das Programm für die Rückführung der Armenier in die sogenannte «historische Heimat» zu verwirklichen. Die Einwohner Sowjetarmeniens von nicht armenischer Nationalität, unter denen die autochthonen Aserbaidschaner die Mehrheit bildeten, sowie auch die Russen (Molokanen), Kurden-Yeziden, Georgier und andere wurden absichtlich unter dem Vorwand der Befreiung des Lebensraums für die Rückkehrer aus der Republik vertrieben. Viele Repatrianten waren die Nachkommen von Armeniern, die nach dem Zweiten Weltkrieg Ostanatolien verlassen hatten. Sie hatten an sich mit dem Gebiet Sowjetarmeniens nichts zu tun, das heißt, sie waren keine Eingeborenen aus den Gebieten innerhalb der ehemaligen UdSSR.

Die ungeheure Auswanderung der aserbaidschanischen Bevölkerung aus der Heimat, die Neufestlegung der administrativen Grenzen innerhalb der UdSSR, die nicht endenden ethnischen «Säuberungen», die mit der gewaltsamen Ausweisung der Aserbaidschaner aus Karabach von Ende der 80er- bis Anfang der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts besiegelt wurde, haben einen Grundstein in den Bogen der Instabilität im Kaukasus gelegt.

Das Hervorheben der religiösen Implikation des Karabach-Konflikts, mit welchem die armenischen Historiker und Ideologen spekulieren, hat zum Ziel, die Sympathien der westlichen und sogar der ganzen christlichen Welt zu gewinnen und damit auch materielle Vorteile zu haben. Und das ultimative Ziel oder die oberste Priorität ist die endgültige Aneignung der besetzten aserbaidschanischen Gebiete, die von engagierten Experten den Status «umstritten» bekommen haben.

Mehrere Generationen der armenischen Elite werden nach Prinzipien des extremen Nationalismus erzogen, wobei den Eckstein dessen die Obsession bildet, die «verlorenen Gebiete» unter Anwendung aller Kampfmethoden zurückzugewinnen. Für die Umsetzung der unverhohlenen aggressiven Pläne benützen diese ideologischen Konzepte das erfundene Postulat über die sogenannte «schwach ausgeprägte Selbstidentifizierung der Aserbaidschaner» und über die Fragwürdigkeit ihres historischen Rechts auf diejenigen Gebiete, innerhalb deren sie lebten und heute noch leben.

Historisch gesehen besaßen die Aserbaidschaner viel länger als ihre Nachbarn einen zentralisierten Staat, worauf die zahlreichen Quellen hinweisen. Im Jahr 1918, als das System der Weltordnung von einer radikalen Neuformatierung betroffen wurde, wurde die Aserbaidschanische Demokratische Republik (ADR) zur Rechtsnachfolgerin der früheren nationalen Bildungen und zum ersten demokratischen laizistischen Staat im muslimischen Orient. Der Säkularismus der neuen Staaten verletzte nicht die religiösen Gefühle der Bevölkerung. Die Zugehörigkeit der Bevölkerung der jungen Republik zur muslimischen Religion beeinflusste nicht das politische System des Landes. Von den ersten Tagen an hatte die ADR das Ziel, ein volles nationales und staatliches Modell aufzubauen. Im repräsentativen Parlament der ADR waren alle ethnischen und sozialen Gruppen und politischen Parteien vertreten. Die Rechtsnachfolgerin der ersten Republik, die moderne Aserbaidschanische Republik, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR ihre Unabhängigkeit wiederhergestellt hat, änderte diese Tradition nicht. Der säkulare Staat gewährleistet die Toleranz innerhalb und außerhalb der nationalen Grenzen, zeigt keine Aggression gegenüber den anderen Staaten, Religionen und Kulturen. Das moderne Aserbaidschan widerspiegelt einen nationalen Staat, dessen Grundstein vom Nationalen Anführer Heydar Aliyev gelegt worden ist.

Im Unterschied zu Aserbaidschan, das eine stark ausgeprägte Form des nationalstaatlichen Aufbaus repräsentiert, stellt das politische System Armeniens eine klassische Idiokratie dar. Die Grundlage für ihre Legitimität bilden – um das mit der Sprache der Klassiker auszudrücken – Ansprüche auf die Umsetzung eines utopischen Zukunftsprojekts. Das Subjekt der Macht ist hier nicht das Volk und schon gar nicht irgendwelche sozialen Gruppen, sondern die Kaste, der Orden der Gesinnungsgenossen, eine Gruppe von Ideologen, die eine Utopie formuliert und zeigt, wie man Richtung Ziel geht, nämlich ein «Großarmenien» wiederherzustellen.

Das laufende Projekt, das die nicht traditionellen Zeichen der Identität zeigt, widerspiegelt moralische Gesetze und Regeln, die sich nicht aus dem armenisch-gregorianischen Erbe, sondern aus den Legenden und Mythen aus heidnischen Zeiten ergeben. Das geistige Erbe der vorchristlichen Zeiten ist im Bewusstsein der Armenier stark verwurzelt und hat einen stark geprägten Ausdruck auf das Denken der politischen Elite gelegt. Dieses Phänomen hebt sie aus der Reihe von Trägern der gemeinsamen christlichen Identität hervor. Aber auch das ist nicht das signifikanteste Merkmal bei der Umsetzung ihrer utopischen Ideologie.

Das ausgewählte politische Modell entspricht nicht den Erwartungen der Modernität und der Bevölkerung Armeniens im Allgemeinen, und zwar nicht nur aus dem Grund, dass es in seinem Wesen und seiner Definition nicht aktuell ist. Abgesehen davon, dass es von sozialen Realitäten weit entfernt ist, gewährleistet es auch keine Solidarität der Macht und des Volkes. Das logische Ergebnis war der demografische Rückgang des Landes. Nach Angaben der UNO und des Gesundheitsministeriums Armeniens verringerte sich die Geburtenzahl im Jahr 2013 im Vergleich zum Jahr 1988 um mehr als die Hälfte. Es wurden im Jahr 1988 in Armenien bei einer Bevölkerungszahl von 3,4 Millionen Menschen 87 000 Kinder1, im Jahr 2013 nur 41 906 geboren. Demgemäß kann man eine Schlussfolgerung über das Maß des Rückgangs der Bevölkerung Armeniens ziehen.

Die armenischen Eliten, die im Griff der Umsetzung des utopischen Projekts für Großarmenien befangen sind, stützen sich nicht auf die Mehrheit von sozialen Gruppen, nicht auf eine demokratische Einrichtung, sondern auf die kleinste Gemeinschaft, welche die Machthebel und die Ressourcenbasis gepachtet hat und sich von der Aufgabe drückt, die Einheit der Nation und ihre Interessen zu sichern.

Es ist kein Wunder, dass das Wichtigste für die Machtelite im heutigen Armenien die stete Bewegung in Richtung Großarmenien ist. Wenn man sie stoppt, stellt sich heraus, dass die Dynamik auf der idiokratischen Trägheit und nicht auf der Grundlage der Umsetzung der soziokulturellen Ziele und auf den Bedürfnissen der ethnischen Gruppen basiert.

Typisch ist, dass viele moderne Wissenschaftler darauf hinweisen, dass der politisch aktive und chauvinistisch eingestellte Teil des armenischen Volkes sich von dem geistigen Erbe der Kirche abgewendet und das neue Heidentum aktiviert hat, wobei dieser Teil an die früheren Urformen des nationalen Bewusstseins appelliert. Diese Tendenz erkennt man deutlich auch bei der Bildung der politischen Ideologie der modernen Elite des armenischen Volkes.

Die Abwendung von den traditionellen evangelischen Schriften führt zu solch seltsamen, wenn nicht unheimlichen Umwandlungen der Mentalität, dass die armenischen Ideologen einstimmig die Unverträglichkeit der beiden benachbarten Völker ausposaunen. Und dabei kennt die Geschichte Zeiten, in denen die Aserbaidschaner und Armenier zusammenlebten und gemeinsame Werte teilten.

Der radikale Umschwung in den Köpfen der armenischen Elite geschah am Übergang vom 19. in das 20. Jahrhundert, als die Oberschichten der sogenannten Militäraristokratie von Armeniern, die einst dem Osmanischen Reich treu waren, vorhatten, «die vor vielen Jahrhunderten verlorene Staatlichkeit» mit Waffengewalt zurückzuerobern. Genau in dieser Zeit entstand die neue Version der religiös-mystischen Idee eines «Großarmeniens», welche die Phantasie vieler Vertreter der nationalen Intelligenz beflügelte. Dabei wurde die metaphysische Grundlage der nationalen Identität verdrängt oder einfach gelöscht.

Die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges, während dessen die oberen Schichten der armenischen Offiziere unter dem Einfluss von extrem chauvinistischen und separatistischen Kräften die Schlächterei zwischen Nationen und Religionen in noch nie dagewesenem Umfang (im Jahr 1915) provozierten, waren unerfreulich für die Armenier. Die Abschiebung von illoyalen ethnischen Gruppen aus Ostanatolien löschte den Traum über die nationale Staatlichkeit aus, aber nur für kurze Zeit. Die Armenier haben dennoch die Staatlichkeit auf aserbaidschanischen Gebieten bekommen, aber das passierte schon in der UdSSR. Das bewegte sie jedoch nicht dazu, auf den gewalttätigen Widerstand zu verzichten, der sich danach zu einem geheimen terroristischen Krieg – zuerst gegen die zaristischen Statthalter, Persönlichkeiten öffentlichen Lebens von aserbaidschanischer Abstammung, türkische Diplomaten, Politiker und Staatsmänner der UdSSR und schließlich gegen das unabhängige Aserbaidschan – ausweitete.

Die Unzufriedenheit über die eigene Position ermutigte sie zu neuen Ausbrüchen von Nationalismus und Aggression gegenüber den Aserbaidschanern. Und das ungeachtet dessen, dass im Jahr 1918 die Aserbaidschanische Demokratische Republik der neugebildeten Armenischen Republik entgegengekommen war, indem sie ihr einen Teil ihrer eigenen Gebiete und als Hauptstadt die alte aserbaidschanische Stadt Irewan (Jerewan) überlassen hat. Es war nicht genug. Nach der Sowjetisierung des Südkaukasus warfen die Armenier die Frage über irgendwelche Zugehörigkeit Karabachs und Nachitschewans zu ihnen auf, welche von jeher aserbaidschanische Gebiete waren. Und wieder floss das Blut von Tausenden von Menschen, und die nach der Meinung der armenischen Chauvinisten umstrittenen Gebiete blieben bei den legitimen Erben der zwei Gebiete – bei den Aserbaidschanern. Daran erinnerte auch der Präsident Aserbaidschans mehrmals und sagte, dass auf den «alten aserbaidschanischen Gebieten bereits einmal ein aserbaidschanischer Staat errichtet wurde, nämlich das heutige Armenien. Das sind unsere Gebiete, das Land unserer Vorfahren. Irewan Khanat, Zangezur – alle diese Ortsnamen sind aserbaidschanische Toponyme».2

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR griffen Truppen von lokal rekrutierten armenischen Staatsangehörigen, Separatisten und mit ihnen verbündete internationale Terroristen sowie Militärtruppen armenischer Nationalität mit regulären Truppen der GUS-Staaten die nicht zahlreichen und schwach organisierten Gruppen der aserbaidschanischen Militärkräfte an und bestimmten somit von vornherein den Ausgang der militärischen Kampagne. Aktive Militärhandlungen im Berg-Karabach in den Jahren 1991 bis 1994 wurden zu einem eklatanten Eingriff gegen das junge Land, das auf eine radikale Wendung der Ereignisse nicht vorbereitet war und sich in einem Zustand der akuten sozialen und politischen Krise befand. Aber der Sieg in der ersten Phase der bewaffneten Auseinandersetzung, der mit der finanziellen, organisatorischen und militärtechnischen Hilfe der Außenkräfte und mit unmittelbarer Teilnahme der Republik Armenien gewonnen wurde, war teuer für alle diejenigen, die revanchistische Separatisten und Söldner unterstützt haben.

Weder die Republik Armenien selbst noch andere Staaten der Welt haben die selbst proklamierte «Republik Berg-Karabach» als eine souveräne Einheit anerkannt. Die Weltgemeinschaft verurteilte Armenien als Aggressor und forderte es mittels vier Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates sowie auch mit Resolutionen der UNO-Vollversammlung und seitens der Parlamentarischen Versammlung des Europarates auf, seine Militärkräfte aus der Konfliktzone zurückzuziehen.

Gleichzeitig wurde das Land, das die Expansion gegen Aserbaidschan ausgelöst hat, selbst zur Geisel der aggressiven Politik. 20 Jahre nach dem Ende der aktiven Phase des bewaffneten Konflikts erlebten Armenien und damit auch das besetzte Berg-Karabach eine tiefe soziale und wirtschaftliche Krise. Als Ergebnis befinden sich beide Einheiten – eine anerkannte und eine nicht anerkannte – in hoffnungsloser Stagnation und sind gezwungen, am Hungertuch zu nagen. Sie hoffen nach wie vor auf die Hilfe der Diaspora, Geldüberweisungen von Gastarbeitern in Höhe von vielen Milliarden und die Hilfe der internationalen Finanzinstitute und Sponsorstaaten.

Armenien siecht dahin, das Militärregime Karabachs hält die Menschen weiterhin unter den Bedingungen der Kriegszeit, und die Diaspora sammelt in der ganzen Welt die Mittel für die Unterstützung der Marionettenregierung der Zwergrepublik. Für die Armenier in der ganzen Welt wurde Berg-Karabach, das stolz als Arzach gepriesen wird, zum Symbol für Widerstandsfähigkeit, heilige Ergebenheit und Opferbereitschaft. Aber wenn man von den ideologischen Komponenten des Problems abstrahiert, stellt es sich in Wirklichkeit als völlig absurd heraus. Das Land, das den Konflikt mit Aserbaidschan provoziert hat, kommt kaum über die Runden und verliert dabei das Potenzial der nationalen Souveränität. Und das alles geschieht dann, wenn «der Traum» wahr geworden ist. Der Pyrrhussieg kostet die armenische Gesellschaft viel. Sie bezahlte für alles, unter anderem auch mit Blut. Die umgesetzte Idee artete in eine harte Realität aus.

Nun ist das Schicksal der armenischen Gesellschaft eine schmerzhafte psychologische Niederlage. Das besetzte Karabach kann Armenien und die Armenier nicht ernähren und verhindert aufgrund des unvollendeten Kriegs mit Aserbaidschan auch die Pläne für ein Leben in Wohlstand.

Das seit Jahrhunderten praktizierte System der obligatorischen Zahlungen (jizya) funktioniert noch, und es sichert die Erhaltung der nationalen und religiösen Einheit sogar während des Zusammenbruchs des Staatsorganismus von der Urmutter-Heimat – Armenien. Zugleich fristet das «befreite Karabach», das schon eine lange Zeit die Rolle eines konsolidierenden Wertes für das armenische Volk und die Diaspora spielt, ein elendes Leben.

Bei solch einer unglaublich lächerlichen Situation ist es naiv, mit der Entwicklung einer gemeinsamen Position zwischen den drei Polen der Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE zu rechnen, die auf das Recht des Vorrangs der eigenen Position und auf das letzte Wort bestehen. Und als Ergebnis ist vor dem Hintergrund des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts eine antagonistische Schicht zwischen den Armeniern sichtlich gewachsen, die die Lösung der zwischenstaatlichen Streitigkeiten aufgrund eines internen Streits erschwert.

Jetzt ist das politische Selbstbewusstsein des armenischen Volkes von der deklarierten Konsolidierung weit entfernt. Der Appell des politisch aktiven und extremistisch eingestellten Teils des Volkes an die Ideologie des Neuheidentums zeugt eindeutig von der hohen psychologischen Aggressivität des politischen Establishments, für welches die Destruktivität charakteristisch ist. Das determinierte Objekt der Aggression für diese Kraft sind die Turkvölker. Die exaltierte Abneigung gegen die Feinde, in der Person der modernen Aserbaidschaner und Turkvölker, kann neue Erschütterungen, solche wie die Chodschali-Tragödie, die Wiederaufnahme des Karabach-Kriegs und die Erweiterung von Kriegs- und Gewaltgebieten verursachen.

Aufgrund des Lebens auf Kosten von anderen wurde die Elite der früheren Sowjetrepublik zur Geisel der ausländischen Diaspora, die die selbstverständlichen Staatsinteressen, deren Grundlage der Aufbau der armenischen Staatlichkeit bildet, nach wie vor unterdrückt. Dieser Umstand erklärt die eigenartige Metamorphose, die Armenien als ein von einem externen Faktor abhängiges, völlig nichtautarkes Land zeigt. Das Spektrum des politischen Einflusses von Jerewan verengt sich deutlich, und es wird zu einem Werkzeug in den Händen des ausländischen Establishments.

Aus diesem Grund verschwimmen die Konturen der friedlichen Lösung des Karabach-Konflikts. Und vor diesem Hintergrund wächst die Stärke Aserbaidschans fortschreitend, und Armenien erleidet sichtlich eine psychologische Niederlage. Die Balance der militärischen und politischen Konfrontation fällt auch zugunsten Aserbaidschans aus, dessen wirtschaftliche Komponenten zu einem entscheidenden Faktor im dauernden Konflikt geworden sind.

Das armenische Volk aber ist durch die soziale und wirtschaftliche Stagnation demoralisiert, die jedes Jahr immer schmerzlicher die Vitalität von einfachen Bürgern trifft. Diejenigen, die begabt sind, verlassen Armenien in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Und die Gedanken über Karabach (Arzach) als das gelobte Land, werden zu einer sinnlosen Abstraktion.

Armenien provozierte bei der Teilnahme der Diaspora den Konflikt um Berg-Karabach, wobei es an die Spitze die Reinkarnation der Legende über die Wiederherstellung «Großarmeniens» stellte und in eine politische Falle geriet.

In den aktuellen Gegebenheiten ist eines offensichtlich: Die Trennungslinie, die nach der Unterzeichnung der Vereinbarung über einen vorübergehenden Waffenstillstand zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 1994 festgelegt wurde, wird von Aserbaidschan als eine neue zwischenstaatliche Grenze nie anerkannt. Dies wird das starke Aserbaidschan nicht zulassen. Deswegen muss Armenien in seinem eigenen Interesse auf die ursprünglichen Positionen zurückkehren und einem Kompromissansatz zustimmen. Andernfalls wird das Pendel in eine radikale Richtung schwingen, und der Störer der Ruhe in der Region wird zum Frieden gezwungen.

1 United Nations Population Fund, Final Country Program Document for Armenia, DP/FPA/ CPD/ARM/2, P. 2

2 Ilham Aliyev auf der Einweihungszeremonie eines Wohnviertels für Binnenvertriebene in Geranboy (http://ru.president.az/articles/1565)

Fünfte Sitzung der Leiter des diplomatischen Dienstes Aserbaidschans (Die Zeitung «Bakinskiy Rabochiy», N 120, 8. Juli 2014.

Retrospektive der armenischen Ethnogenese­

Die Behandlung der im Titel des Buches gestellten Frage erfordert einen kurzen Exkurs in die armenische Ethnogenese und in die Geschichte ihrer Erscheinung im Kaukasus.

Moderne Armenier, die das mythische Gebiet Hajastan als ihre Heimat betrachten, sind die Nachkommen des Volkes, das einst im geografischen Raum Armenien, das sich in Kleinasien befindet, lebte. Die Ethnologen, Historiker, die das Problem der Ethnogenese von Armeniern behandelten, kommen zu einem begründeten Schluss, dass sie (die Armenier, Anm.) ein Konglomerat von Muschken-Stämmen und anderen kleinen Nationen sind, die von den Kimmerern verstoßen wurden und anschließend Zuflucht im Gebiet Kleinasien am Oberlauf des Zweistromlands, das von Griechen Mesopotamien genannt wird, fanden. Die Entstehung des armenischen Volkes im heutigen Lebensraum im Südkaukasus war das Ergebnis der historischen Ereignisse, die durch den Kampf der Weltmächte um die Vorherrschaft im Nahen Osten, in Kleinasien und im Kaukasus verursacht wurden.

Nach einer der möglichen Versionen sprach der Muschken-Stamm – das sind die Vorfahren von Hayen oder den heutigen Armeniern – einen Dialekt, der aufgrund der Mischung von Sprachen der lokalen Völker entstand: Akkaden, Hethiter, Luvians, Urartu, Aissors, Meder, Perser, Griechen, Parther, Turken u.a. Somit sind laut dieser Betrachtungsweise die Muschken die Vorfahren der Hayen und nicht die Armenier, wie man sie nennt, und sie hatten nie ihren eigenen Staat in dieser Region. Die benachbarten Völker nannten die ins Kleinasien umgesiedelten und in ihrem geografischen Bereich Armenien sesshaft gewordenen Vorfahren von heutigen Armeniern «armi» oder «ermeni». Aber die Armenier selbst haben bis zum heutigen Tag die Selbstbezeichnung Hay aufrechterhalten. Sie nennen ihren Siedlungsbereich in Kleinasien nicht anders als Hajastan. Dann gründeten dieselben Hayen, die in den letzten 200 Jahren aus Persien, der Türkei und den anderen benachbarten Staaten in den Kaukasus umgesiedelt wurden, im 20. Jahrhundert ihren eigenen Staat und nannten ihn Hajastani Anrapetutün, obwohl die anderen Völker ihn nach der festen Tradition Republik Armenien nennen.

Anscheinend ist es nichts Besonderes, dass das armenische Volk (die Hayen) im Laufe von vielen Jahrhunderten aus dem Balkan nach Kleinasien und von dort in den Kaukasus migrierte – waren doch viele Völker gezwungen, aufgrund verschiedener Umstände und Gründe in neue Wohnbereiche zu siedeln. Aber im heutigen Armenien inspiriert die ideologisierte Geschichtswissenschaft die Armenier, dass sie als Volk seit Zeiten des Propheten Noah immer im Kaukasus, in Kleinasien und im Nahen Osten lebten. Die veränderte Geschichte, die die Migration leugnet, war die primäre Ursache des Konflikts mit den benachbarten Völkern. Infolge der Fälschung der historischen Vergangenheit erhebt die Republik Armenien heute territoriale Ansprüche gegenüber den benachbarten Staaten – der Türkei, dem Aserbaidschan, Georgien und teilweise dem Iran.

Wissenschaftler und Armenologen schreiben leidenschaftlich an der Geschichte des armenischen Volkes, das heißt an der Geschichte der ethnischen Gruppe und nicht die Geschichte des Landes, des geografischen Wohnbereichs von Armeniern-Hayen. Diese Tatsache wird von den Historikern Hadschar Verdiyeva und Rauf Husseynzade festgestellt. Sie behaupten, dass – im Unterschied zu den anderen Wissenschaftlern, die beispielsweise die Geschichte von Georgien bzw. des Gebiets erforschen, wo die Vorfahren von Georgiern lebten – ihre armenischen Kollegen in den historischen Fußstapfen ihres eigenen Volkes treten. Nebenbei gesagt, schreiben auch die Aserbaidschanologen die Geschichte Aserbaidschans, das heißt des Gebiets, wo ihre Vorfahren lebten.3

In der heutigen Historiografie sind sich die meisten Forscher des alten Orients einig, dass die ursprüngliche Heimat von Hayen oder Muschken auf dem Balkan war (Südosteuropa). Eine Koryphäe der Armenologie, H. Adonz, schrieb: «Im achten Jahrhundert v. Chr. erschienen in Thrakien, auf dem Balkan, die Kimmerer, eines der Seevölker, wie es in den alten ägyptischen Aufzeichnungen definiert wurde. Kimmerer, die mit den Vorfahren der Armenier Kontakt aufnahmen, nahmen sie dann mit in den Osten – nach Kleinasien.»4

Herodot, «Vater der Geschichtsschreibung», wies darauf hin, dass die Armenier die Nachkommen von Phrygiern sind.5 Der russische Kaukasus-Forscher des 19. Jahrhunderts, Schopen, war ebenso der Meinung, dass «die Armenier Zugewanderte sind. Das sind die Nachkommen von Phrygiern und Ioniern, die ins nordanatolische Bergtal umgesiedelt waren».6

Der bekannte Armenologe M. Abegyan schrieb: «Es wird angenommen, dass die Vorfahren der Armenier (Hayen) lange vor unserer Zeitrechnung in Europa, in der Nähe der Vorfahren der Griechen und Phrygier, lebten. Von dort sind sie nach Kleinasien umgesiedelt. In den Zeiten von Herodot im fünften Jahrhundert v. Chr. erinnerte man sich noch gut daran, dass die Armenier in ihr Land aus dem Westen gekommen sind.»7

Der russische Wissenschaftler I.M. Dyakonov hat mit der Verwendung der Sprachanalyse der alten armenischen Sprache überzeugend bewiesen, dass diese Sprache zur indogermanischen Sprachfamilie gehört. Dyakonov schreibt: «Der sprachliche Vorfahre der alten armenischen Sprache, die protoarmenische Sprache, könne nur eine indogermanische Sprache sein, die weder mit den hurro-urartäischen Sprachen, noch mit Huttisch oder den modernen kaukasischen Sprachen (den abchaso-adygeischen, kartwelischen, nachisch-dagestanischen Sprachen), noch dem Semitischen verwandt ist (…). Protoarmenische Sprache gehörte weder dem anatolischen, noch indoiranischen, noch – um ein Beispiel zu nennen – dem slawischen Sprachzweig der indogermanischen Sprachen an. Wenn man die alte armenische Sprache mit der rekonstruierten alten indogermanischen Sprache vergleicht, so unterscheiden sich die phonetischen Änderungen, die für die armenische Sprache typisch sind, von den Änderungen in allen diesen Sprachzweigen, es gibt ebenso wesentliche Unterschiede in der Wortwahl des Grundwortschatzes (…). Da die alte armenische Sprache mit den Sprachen der Ureinwohner des armenischen Hochlands – Hurriter, Urartäer – nicht verwandt ist, ist es klar, dass sie von außen hineingetragen wurde.»8 Somit wird eines der wichtigsten Postulate der mythologisierten armenischen Geschichte widerlegt, nämlich dass die armenische Sprache mit der alten urartäischen Sprache verwandt sei, die im Gebiet um den Vansee in Kleinasien gesprochen wurde.

Solcher Meinung ist auch der Armenologe G.A. Kapanzyan: «Die Lage des Landes Hayasa-azzi muss man, vor allem, im Raum zwischen den Oberläufen der Flüsse Euphrat (Kara-su), Tschoroch und Araks festlegen.»9

Auch die sogenannte periodische oder armenische Krankheit ist ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die armenische Ethnie im Kaukasus nicht autochthon ist. «Die Krankheit tritt vor allem bei den Vertretern von Volksgruppen auf, deren Vorfahren im Mittelmeerraum lebten, besonders bei Armeniern, Juden (…) Arabern.» 10

Die Formen dieser Krankheit sind Bauchfellentzündung (die Schmerzen im Bauch sind die häufigsten Symptome dieser Pathologie), vaskuläre Form, Gelenkschmerzen, meningiale und gemischte Form. Ätiologischer Faktor sind die Mutationen im 16. und 19. Chromosom, und die Krankheit selbst verursacht Anhedonie, Nierenversagen, Laktoseintoleranz. Weder die Georgier, noch die Aserbaidschaner, noch dagestanische oder andere kaukasische Völker sind von dieser seltenen Krankheit betroffen. Sie tritt vor allem bei Bewohnern der Mittelmeerregion auf.

Der geografische Name des Ortes, wohin das Schicksal die Hay-Stämme verschlagen hat, wurde die Grundlage ihrer Selbstbezeichnung als Armenier. So wurden sie in der Folge von allen benachbarten Völkern und Imperien genannt, die ihre Blicke auf Kleinasien gerichtet haben.

Einen riesigen Einfluss auf die armenische Kultur haben die autochthonen Völker Kleinasiens und des Irans ausgeübt: Die Griechen, Syrer, Perser. Laut Abegyan «haben die Armenier viel von den Syrern gelernt. Die syrische Sprache hatte auch einen Einfluss auf die armenische Sprache, wenngleich auch dieser Einfluss nicht so groß war, wie der des Persischen. Die armenische Sprachkultur enthält eine beträchtliche Anzahl von syrischen Wörtern, die seit alten Zeiten schon armenisiert worden sind»11.

Iranischer Einfluss zeigt sich am deutlichsten im Eigennamen: «Vor allem bemerkbar ist in der armenischen Sprache eine Menge von bereits endgültig armenisierten persischen Wörtern (…). Sie betreffen verschiedene Bereiche des Lebens und der Kultur, und zwar die Kriegskunst, den Alltag, die Klassen und das soziale Leben, das Handwerk, den Handel, die Religion, die Pflanzenwelt usw.»12 Es genügt, auf die Landkarte einen Blick zu werfen und die Namen der Städte Armeniens zu sehen, deren Endungen stark ausgeprägt persisch sind. Wie der oben erwähnte Abegyan bemerkt: «Der größte Teil der Namen von armenischen Gottheiten ist iranischer Abstammung. Aramaza, Vaagn, Michr, Tir. Die Armenier haben ebenso von Persern viele Glaubenssätze übernommen (…). Dieser Einfluss existiert bis heute im Aberglauben unseres Volkes.13 So charakterisierte, beispielsweise, der Geograf Strabon die übernommenen Bräuche der Armenier folgenderweise: «Aufgrund der Ähnlichkeiten ihrer Länder sind die Sitten und Bräuche der Midier großenteils gleich wie die der Armenier. Midier sind aber die Stammväter der Sitten von Armeniern und noch früher von Persern.» 14

Der Wissenschaftler K.N. Yuzbaschyan erwähnt auch den Einfluss der griechischen Sprache: «Im Literaturbereich kann man zwar nicht die Gleichheit, aber die absolute Kommensurabilität des griechischen und syrischen Einflusses behaupten. Die griechische Sprache hat einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Lexik der Syntax der armenischen Literatursprache.»15

Wenn man den Mythos verwirft, nach welchem das armenische Alphabet von Mesrop Maschtoz im Auftrag der Armenischen Kirche eingeführt wurde, und stattdessen seine Spuren der Entstehung verfolgt, so muss man die wissenschaftlichen Abhandlungen von G. Sevak und D.A. Olderogge betrachten. Sie haben bewiesen, dass die armenische Sprache dem äthiopischen Schreibsystem ähnlich ist und das Alphabet eine südsemitische Herkunft hat.16

Die armenische wissenschaftliche Elite bevorzugt, bei Angaben aus der Zeit der Antike und sogar noch früher, auf geografische Landkarten als ursprüngliche Quellen zu verweisen, weil das ermöglicht, die armenische Geschichte frei zu mythologisieren und jede Möglichkeit der wissenschaftlichen Diskussion mit möglichen Opponenten zu nivellieren.

In einem der wichtigsten und bis heute erhalten gebliebenen Keilschrifttext, der auf Befehl des Zaren Darius I. (522–486 v. Chr.) geschnitzt wurde – in der sogenannten Behistun-Inschrift –, wird unter den 23 besiegten Völkern und Ländern auch Armenien erwähnt. Armenische Historiker weisen oft auf dieses historische Dokument hin, um ihre Ansprüche auf die Gebiete der benachbarten Staaten zu rechtfertigen.

Es wird dabei aber vergessen, dass Armenien und Hayen verschiedene Definitionen sind. Hayen, die ins Gebiet Armeniens umgesiedelt waren, beanspruchen die Autochthonie und die Identifizierung dieser zwei Definitionen. Das in der Behistun-Inschrift erwähnte Armenien ist die Bezeichnung eines Ortes, wo Dutzende von Stämmen gewohnt haben könnten.

In einem Anfall der Selbsttäuschung erlagen die Wissenschaftler Armeniens der Versuchung, ihre eigene Geschichte mit der Geschichte anderer Nationen zu überlagern. Sie idealisieren ihre eigene Vergangenheit und projizieren die fremde Geschichte auf ihre eigene.

3 Verdiyeva Ch., Guseyn-zade R.: «Rodoslovnaya» armyan i ix migraziya na Kavkaz («Stammbaum» von Armeniern und ihre Migration in den Kaukasus). Baku, 2003, S.4.

4 N.Adonz: Armeniya («Armenien») / Novij enziklopedičeskij slovar’ Brokgauza-Efrona (Das neue enzyklopädische Wörterbuch von Brockhausa und Efron). SPb. 1912, Band. 3., S. 960; M.Abegyan: Istoriya drevnearmyanskoy literatury (Die Geschichte der alten armenischen Literatur) Jerewan, 1975. S. 12-14.

5 Herodot: Istoriya (Geschichte). 9 Bücher. Buch 7. Absatz 73., M., 1972.

6 I. Schopen: Noviye zametki na drevnyuyu istoriyu Kavkaza i ego obitateley (Neue Hinweise auf die alte Geschichte des Kaukasus und seine Bewohner) , 1896, S. 26.

7 M.Abegyan: Istoriya drevnearmyanskoy literaturi (Geschichte der alten armenischen Literatur), Jerewan, 1975, S. 12

8 M. Dyakonov : Predystoriya armyanskogo naroda (Die Vorgeschichte des armenischen Volkes), Jerewan, 1968, S. 202-203

9 G.A. Kapancjan: Hayasa-kolibel’ armyan. Etnogenez armjan i ich načalnaja istorija (Hayasa – Wiege der Armenier. Ethnogenese der Armenier und ihre ursprüngliche Geschichte), Jerewan, 1947, S. 240, 242.

10 V.V. Petrovskij: Bolšaja medicinskaja enciklopedija (Die große Enzyklopädie der Medizin), Band 19., M., 1982, S. 67.

11 M. Abegyan: Istoriya drevnearmyanskoy literaturi (Geschichte der alten armenischen Literatur), S. 14.

12 Ebd. S. 13-14

13 M. Abegyan: Istoriya drevnearmyanskoy literaturi (Geschichte der alten armenischen Literatur), S. 14.

14 Strabon: Geografija (Geografie), V 17 knigax. Kniga 11. (Buch 11) Reprintnoe vosproizvedenie teksta izdaniya 1964 g. M., 1994, S. 525

15 K.N. Juzbašjan: Armjanskie gosudarstva epochi Bagratidov i Vizantija 19-21 vekov (Armenische Staaten der Bagratiden-Dynastie und Byzanz vom 19. bis 21. Jhdt.), M., 1988, S. 5, 36.

16 Olderogge D.A.: Iz istorii armjano-efiopskich svjazej (alfavit Maštoca) /Drevnij Vostok. Sbornik. K 70-letiju akademika M.A. Korostovzeva. M., 1975, S. 201. – Aus der Geschichte armenischäthiopischer Beziehungen (das Alphabet von Maschtoz) / Der alte Orient, Hrsg. zum 70. Jahrestag von Akademiemitglied M.A. Korostovzev.

Über ein geklärtes Toponym

Die Etymologie des Namens des modernen Aserbaidschans ist das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung. Auf dem Gebiet des heutigen Aserbaidschan existierten einige Staatenbildungen, wobei Manna (zehntes bis siebtes Jahrhundert v. Chr.) als die früheste davon gilt. Im zehnten Jahrhundert v. Chr. wurde Manna vom immer stärker werdenden Media erobert. Das Gebiet Aserbaidschans existierte vor dem Angriff des Alexander von Makedonien als das Kleine Media. In der Zeit des Niedergangs der Achämeniden-Dynastie gründete der letzte Satrap der Region, Atropat, seinen eigenen Staat, der später von einigen Wissenschaftlern als Media Atropatene bezeichnet wurde.17

Aber die neuen Untersuchungen in diesem Bereich zeigten die Schwäche des Arguments über die Verbindung zwischen den Namen «Aserbaidschan» und «Aturpatakan», das auf einer ziemlich wackeligen Behauptung Strabons basiert, dieser Name stamme vom «Kriegsherrn Atropat». Der Grund dafür ist, dass sich in den Behauptungen von Strabon (erstes Jahrhundert v. Chr. bis erstes Jahrhundert n. Chr.) einige Ungenauigkeiten fanden. Den Forschern waren diese beim Übersetzen und bei späteren Hinweisen auf sein Werk unter dem Titel «Geografie» nicht bewusst.

So schrieb Strabon beispielsweise falsch darüber, dass die kaukasischen Albaner keine geprägten Münzen haben, dass sie die Zahlen über 100 nicht kennen und nur Warenaustausch betreiben.18 Aber die archäologischen Funde der aserbaidschanischen Wissenschaftler haben bewiesen, dass geprägte Münzen im Kaukasischen Albanien bereits am Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. im Umlauf waren.19