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Das Bergbauunternehmen Minera Yanacocha betreibt seit Anfang der 1990er-Jahre in Cajamarca im Norden Perus die größte Goldmine Südamerikas. Josef Lustenberger untersucht die dadurch verursachten sozialen Konflikte zwischen der lokalen Bevölkerung, dem Bergbauunternehmen und dem peruanischen Staat. Er ordnet die Bergbaukonflikte in den räumlichen und zeitlichen Kontext Perus ein, analysiert die Konfliktparteien und differenziert zwischen den einzelnen Konfliktgegenständen: Arbeit, die Ressourcen Wasser und Land und die damit einhergehenden Entwicklungschancen. Der Autor stellt die einzelnen Konflikte dar und untersucht die Auswirkungen des Bergbaus und der damit einhergehenden Konflikten auf die Entwicklung von Gesellschaft und Politik. Tragen die Bergbaukonflikte zu einer gewünschten gesellschaftlich-politischen Entwicklung bei? Ziele sind etwa Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Menschenrechte, starke Institutionen und die umfassende Partizipation der Bevölkerung.
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Seitenzahl: 836
Veröffentlichungsjahr: 2020
Josef Lustenberger
Koexistenz und Konflikte der lokalen Bevölkerung mit dem Bergbauunternehmen Minera Yanacocha
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ISBN 978-3-534-40012-6
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– Noemí López Chegne für die Vermittlung der Kontakte in Cajamarca.
– für die ausführlichen Gespräche: Ramón Abanto Bernal, Germán Alva García, Marco Arana, Nélida Ayay Chilón, Walter Campos, Alfredo Chávez Alvarez, Pedro David Chilón Chuquimango, Nilton Deza, Segundo Alfredo Mendoza Vasquez, Wilfredo Saavedra Marreros, Milton Sánchez Cubos, Sergio Sánchez Ibañez, Pedro Sánchez, Carlos Scerpella, Reinhard Seifert, Marcos Valdez Cadenillas, Mirtha Vasquez.
– Elena García Chegne für die Begleitung und die unmittelbare Organisation der Interviews in Cajamarca.
– Alonzo und Ester Ramirez López für die Gastfreundschaft in Cajamarca und die wertvollen informellen Gespräche.
– Cecilia Lustenberger für die Transkription der aufgenommenen Interviews.
– Willi und Meli Knecht für den Austausch und die Gastfreundschaft in Ulm.
– Walter Bättig für die Darstellung und Formatierung.
– Carla Sonanini fürs Durchlesen und Korrigieren.
– Prof. Dr. Ueli Mäder für die Betreuung und die guten Ratschläge.
– Prof. Dr. Elísio Macamo für das Korreferat.
– Cecilia, Sophie und Lisa Lustenberger für die Geduld und das Verständnis.
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
1. Einleitung
1.1 Fragen
1.2 Aufbau
2. Forschungsstand
2.1 Literatur
2.1.1 Aktivistinnen und Aktivisten gegen den Bergbau
2.1.2 Auftragsarbeiten von Minera Yanacocha
2.1.3 Akademische Arbeiten ausländischer Fachleute
2.2 Institutionen und Forschungsprojekte
2.3 Kampagnen
2.3.1 Lokal und regional
2.3.2 National
2.3.3 Defensoría del Pueblo: Artikulation sozialer Konflikte
2.3.4 International
2.4 Beurteilung des Forschungsstandes
3. Überlegungen zur Methode
3.1 Theoretische Vorüberlegungen
3.1.1 Anschluss dieser Arbeit
3.1.2 Hypothesen, hypothetische Modelle, Variablen, Indikatoren
3.1.3 Leitfragen für die Interviews
3.2 Primäre Informationsquellen: Interviews
3.3 Primäre Informationsquellen: Berichte und schriftliche Quellen
3.4 Qualitative Inhaltsanalyse
3.5 Konfliktforschung und normative Beurteilung
4 Theoretische Zugänge
4.1 Sozialer Konflikt
4.2 Konflikte fördern Sozialisation, Georg Simmel
4.3 Anomischer Staat, Peter Waldmann
4.4 Eskalationsstufen, Friedrich Glasl
4.5 Konflikttransformation, John Paul Lederach
4.6 Entwicklungspolitisches Hexagon
4.7 Konzept der Zivilgesellschaft
4.8 Dual-track-Theorie: Inseln des vorbildlichen Wirtschaftens
4.9 Aktoren-Dreieck bei Bergbaukonflikten
4.10 Herrschaftsfreier Diskurs, Jürgen Habermas
4.11 Konflikt als Struktureffekt, Ralf Dahrendorf
5 Neoliberalismus und Demokratisierung in Cajamarca
5.1 Jüngere historische Entwicklung Perus
5.2 Politische Strukturen in Peru
5.3 Politische Gliederung: Region – Provinz – Distrikt
5.4 Cajamarca
5.4.1 Ländliche Bevölkerung
5.4.2 Stadt Cajamarca
5.4.3 Soziale Strukturen in Cajamarca
5.5 Wirtschaft und Wohlergehen in Peru und Cajamarca
5.5.1 Wirtschaft in Cajamarca
5.5.2 Bedeutung des Bergbaus in der Wirtschaft Perus
5.6 Fazit
6 Konfliktparteien
6.1 Das Unternehmen Minera Yanacocha
6.1.1 Minería a gran escala in den Anden
6.1.2 Grosse internationale Investitionen
6.1.3 Projekte von Minera Yanacocha
6.1.4 Produktionsprozess von Minera Yanacocha
6.1.5 Nationale Bedeutung von Minera Yanacocha
6.1.6 Soziale und ökologische Verantwortung
6.1.7 Yanacocha als Arbeit- und Auftraggeber
6.2 Staat
6.2.1 Der Nationalstaat als Gesetzgeber
6.2.2 Bergbau-Konzessionen
6.2.3 Staat als Aufsichts- und Kontrollinstanz
6.2.4 Fiskus: Steuern und Abgaben
6.2.5 Canon minero
6.2.6 Nationale Behörde
6.2.7 Gobierno regional
6.2.8 Lokale Behörden
6.3 Lokale Bevölkerung
6.4 Konfliktparteien und ihre Positionen
6.4.1 Grundsätzliche Ablehnung von Bergbau in Cajamarca
6.4.2 Kategorische Befürwortung des Bergbaus in Cajamarca
6.4.3 Bergbau ja aber
6.5 Fazit Konfliktparteien
7 Konfliktgegenstände
7.1 Landerwerb durch Minera Yanacocha
7.2 Wasserquantität – Cajamarca trocknet aus
7.3 Zerstörung von Ökosystemen
7.4 Wasserqualität
7.5 Quecksilber in Choropampa
7.6 „Soziales Chaos“ in Cajamarca
7.7 Fehlende regionale wirtschaftliche Entwicklung
7.8 Nicht erfüllte Versprechen
7.9 Klientelismus und Korruption
7.10 Arroganter Umgang mit der lokalen Bevölkerung
7.11 Konfliktgegenstände – Kategorien
8 Geschichte der Bergbaukonflikte mit Minera Yanacocha
8.1 Unfairer Landkauf, verschmutztes Wasser
8.2 Verschmutztes Wasser im natürlichen Kreislauf
8.3 Unfall in Choropampa
8.4 Cerro Quilish
8.5 Centros Poblados Ingatambo, Negritos, Lagunas, San Cirilo und Yanacanchilla, Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca
8.6 Caserío Quishuar Corral, Distrikt Cajamarca, Provinz Cajamarca
8.7 Comunidad Campesina Combayo, Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca
8.8 Centro poblado Chanta Alta, Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca
8.9 Caserío El Batán, Centro poblado Huambocancha Baja, Distrikt Cajamarca
8.10 Centro poblado La Ramada, Distrikt Cajamarca, Provinz Cajamarca
8.11 Centro poblado Huambocancha Chica, Distrikt Cajamarca, Provinz Cajamarca
8.12 Centro poblado Choropampa, Distrikte San Juan und Magdalena, Provinz Cajamarca
8.13 Caseríos Totoracocha, El Alumbre und Pachachaca, Centro poblado Chanta Alta, Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca
8.14 Projekt Conga; Distrikte Huasmín und Sorochuco – Provinz Celendín, Distrikt La Encañada – Provinz Cajamarca
8.15 Grenzstreit zwischen den Provinzen Celendín und Hualgayoc
8.16 Caserío Llagamarca, Distrikt Baños del Inca, Provinz Cajamarca
8.17 Cajamarca betreffend Río Grande
8.18 Centro poblado El Alumbre, Provinz Cajamarca
8.19 Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca
8.20 Lima
8.21 Caserío Huambocancha Alta, Distrikt Cajamarca, Provinz Cajamarca
8.22 Cerro La Shacsha, Distrikt Baños del Inca, Provinz Cajamarca
8.23 Cajamarca, Distrikt Cajamarca, Provinz Cajamarca
8.24 Stausee Chonta, Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca
9 Bergbau, Konflikte und gesellschaftliche Entwicklung
9.1 Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
9.2 Starke Institutionen
9.2.1 Staatliche Organe
9.2.2 Politische Parteien, Vereine und Verbände
9.2.3 Diskussionsforen
9.3 Partizipation
9.3.1 Konzessionen
9.3.2 Öffentliche Audienzen im Rahmen des Estudio de impacto ambiental (EIA)
9.3.3 Consulta previa
9.3.4 Volksabstimmung
9.3.5 Partizipatorische Elemente der Zusammenarbeit zwischen Minera Yanacocha und der Bevölkerung
9.3.6 Fazit Partizipation
9.4 Zivilgesellschaft
9.4.1 Nichtregierungsorganisationen
9.4.2 Rondas campesinas
9.4.3 Frentes de defensa
9.4.4 Weitere zivilgesellschaftliche Organisationen
9.4.5 Zivilgesellschaftliches Bewusstsein und Verhalten
9.4.6 Fazit Bergbaukonflikte und Zivilgesellschaft
9.5 Dezentraler Staat
9.5.1 Regionale und lokale Institutionen
9.5.2 Kompetenzen der regionalen und lokalen Institutionen
9.5.3 Zonificación Ecológica y Económica und Ordenamiento territorial
9.5.4 Fazit Dezentralisation
9.6 Transparenz – wider Korruption und Klientelismus
9.6.1 Transparenz in Cajamarca
9.6.2 Fazit Bergbaukonflikte und Transparenz
9.7 Entwicklungsorientierte Konfliktkultur
9.7.1 Umgang mit sozialen Konflikten
9.7.2 Erscheinungsformen der Konflikte
9.7.3 Deutung der Bergbaukonflikte
9.7.4 Verhalten im Konflikt: Strategien und Praxis
9.7.5 Politische Gewalt – gewaltfreie Konfliktlösung
9.7.6 Fazit Bergbaukonflikte und Konfliktkultur
9.8 Visionen von Entwicklung
9.8.1 Befürworterinnen und Befürworter des Bergbaus
9.8.2 Kritikerinnen und Kritiker des Bergbaus
9.8.3 Diskrepanz der Visionen
9.8.4 Fazit Visionen und Entwicklungspläne
9.9 Vertrauenswürdige Informationen
9.9.1 Regionales und vertrauenswürdiges Labor
9.9.2 Medien
9.9.3 Staat als Produzent und Vermittler von Informationen
9.9.4 Fazit Bergbaukonflikte und vertrauenswürdige Informationen
9.10 Kohärente Gesellschaft
9.10.1 Ländliche und städtische Bevölkerung
9.10.2 Integration der ländlichen Bevölkerung
9.10.3 Fazit Bergbau, Konflikte und kohärente Gesellschaft
9.11 Bergbaukonflikte als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung?
9.1.1 Schwacher, abwesender oder anomischer Staat?
10 Bergbaukonflikte in Cajamarca – Lehren und Ignoranz
10.1 Lessons learnt
10.2 Ignoranz
10.3 Zwei Erzählungen
11 Schluss: Wirken Bergbaukonflikte vergesellschaftend?
11.1 Bergbaukonflikte als Antrieb der Vergesellschaftung
11.2 Weiterführende Fragen
12 Abkürzungen
13 Glossar: spanischer Begriff – deutsche Erklärung
14 Verzeichnis der Abbildungen, Tabellen, Grafiken, Karten
14.1 Abbildungen
14.2 Tabellen
14.3 Grafiken
14.4 Karten
15 Literatur und Links
15.1 Literatur
15.2 Links
15.3 Dokumentarfilme
16 Anhang
16.1 Akteure Institutionen
16.2 Akteure Personen
16.3 Liste der Variablen
16.4 Definitionen der Variablen
16.4.1 Unabhängige Variablen
16.4.2 Abhängige Variablen
16.4.3 Intervenierende Variablen
16.4.4 Variablen, die Vermittlungsprozesse beschreiben
16.5 Leitfaden für Interviews in Cajamarca
„Perú – país minero“ begrüsst die peruanischen Sociedad Nacional de Minería, Petróleo y Energía (SNMPE) den Besucher auf ihrer Internetseite.1 Bergbau spielte in der Geschichte Perus schon immer eine Rolle. Gold war das explizite Motiv der Spanier für die Conquista im 16. und 17. Jh. Die Silberminen von Potosí im heutigen Bolivien erzählen von der Ausbeutung der Menschen und Rohstoffe Südamerikas durch die europäischen Eroberer.
Im modernen Peru nimmt der Bergbau seit rund zwei Jahrzehnten eine zunehmend wichtige Rolle ein, Persönlichkeiten aus Politik und Ökonomie sehen im modernen industriellen Bergbau den eigentlichen Motor des peruanischen Wirtschaftswachstums. Die Regierung Alberto Fujimoris realisierte in den 1990er Jahren ein Liberalisierungsprogramm, um die katastrophale wirtschaftliche Lage zu überwinden. Die extrahierende Industrie sollte zum Wirtschaftsaufschwung beitragen, indem sie ausländisches Kapital ins Land brachte. Die für ausländische Investoren geradezu idealen Bedingungen machten Peru für kapitalintensive Grossprojekte attraktiv. Die bergbaufreundlichen Reformen in Peru fielen zusammen mit einer global steigenden Nachfrage nach Metallen, auch nach Edelmetallen wie Gold. Schliesslich war es ab den frühen 1990er Jahren technisch möglich, durch Tagbergbau und Lixiviation2 Goldvorkommen mit Gewinn auszubeuten, die früher nicht rentabel abgebaut werden konnten.
1992 begann Minera Yanacocha SA in Cajamarca Gold abzubauen. Yanacocha diente Fujimori als Vorzeigeprojekt: Nach Jahren des Bürgerkriegs, der Hyperinflation und des wirtschaftlichen Niederganges gelang es Peru, ausländisches Kapital ins Land zu holen und damit die grösste Goldmine in Südamerika zu installieren.
Die Installation von Minera Yanacocha hat für die bis dahin beschauliche Kleinstadt und die Landschaft Cajamarca tiefgreifende wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen. Das drückte sich ab Ende der 1990er Jahre zunehmend in sozialen Konflikten aus. Ich bezeichne diese Konflikte in dieser Arbeit als Bergbaukonflikte. Die Region Cajamarca gehört seither zu den konfliktträchtigsten Regionen Perus.
Minera Yanacocha in Cajamarca ist nicht nur ein Beispiel eines der vielen Bergbaukonflikte in Peru, in Südamerika, oder in Entwicklungs- und Schwellenländern allgemein, sondern wegen seiner Dimension und der Installation in den frühen 1990er Jahren zugleich auch ein Modell, das sich in ähnlicher Weise dutzendfach wiederholt hat.
Viele Politikerinnen und Politiker preisen Bergbau im Allgemeinen und die Projekte von Minera Yanacocha im Speziellen als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung Perus. Ökonominnen und Ökonomen jedoch beantworten die Frage kontrovers, ob und inwiefern Bergbau und die Projekte von Minera Yanacocha zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Wirtschaftswissenschaften fokussieren im Falle von Yanacocha einerseits auf den Beitrag des Unternehmens zum nationalen Wirtschaftswachstum Perus und andererseits auf die Auswirkungen des Bergbaus auf die Armut, die in Cajamarca stark verbreitete ist.
Ich frage in dieser Arbeit nach den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen, die der Bergbau und die damit verbundenen Konflikte bewirken. Welche Auswirkungen hat das Unternehmen Minera Yanacocha auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung Cajamarcas? Ich betrachte dabei Indikatoren der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, die Fachleute in Cajamarca und Peru immer wieder als mangelhaft kritisieren. Es sind dies ein faktisch nicht durchgesetzter Rechtsstaat, Verletzung der Menschenrechte, schwache Institutionen, nur formelle Partizipation, eine schwache Zivilgesellschaft, Zentralisierung, Korruption und Klientelismus, das Fehlen einer verankerten Konfliktkultur, fehlende Visionen von Entwicklung, ein Mangel an vertrauenswürdigen Informationen und eine gespaltene Gesellschaft.
Den theoretischen Hintergrund dieser Arbeit bildet die These des Soziologen Georg Simmel, wonach Konflikte eine Form der Vergesellschaftung sind.3 Simmel nimmt Konflikte vor allem als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung wahr. Dieser Befund drückt sich in der öffentlichen Meinung über die Funktion von Konflikten aus – auch in Peru: Konflikte sind eine Chance. Sie fördern die gesellschaftliche Entwicklung. So untersuche ich in dieser Arbeit die Fragen: Tragen die Bergbaukonflikte in Cajamarca tatsächlich zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung bei? Wie tun sie das allenfalls? Welche Wechselwirkungen hat die gesellschaftliche Entwicklung auf die Bergbaukonflikte? Welche Faktoren prägen die Dynamik zwischen Bergbau und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?
Ich vermittle im zweiten Kapitel einen Überblick über den Forschungsstand und die Literatur über Bergbaukonflikte in Peru und Südamerika im Allgemeinen und in Cajamarca im Speziellen. Im dritten Kapitel folgen Überlegungen zu Methoden, die ich in dieser Untersuchung anwende. Im vierten Kapitel bespreche ich die theoretischen Zugänge dieser Arbeit. Ich stelle dabei auch die für diese Arbeit grundlegende These des Soziologen Georg Simmel vor, dass soziale Konflikte als Motor der Vergesellschaftung dienen.
In den folgenden Kapiteln analysiere ich die Bergbaukonflikte in Cajamarca. Im fünften Kapitel geht es um Ort und Zeit, also um den Kontext der Bergbaukonflikte in Cajamarca seit den frühen 1990er Jahren. Im sechsten Kapitel analysiere ich die Konfliktparteien und deren Positionen. Den Ausgang bildet ein dreipoliges Modell der Konfliktparteien bei Bergbaukonflikten: die lokale Bevölkerung, der Staat und das Unternehmen Minera Yanacocha. Im siebten Kapitel differenziere ich die Konfliktgegenstände: Es geht um Ressourcen, allen voran um Wasser und Arbeit. Im achten Kapitel stelle ich die Geschichte der Bergbaukonflikte in Cajamarca dar. Dabei konzentriere ich mich auf diejenigen Konflikte, in die das Unternehmen Minera Yanacocha involviert war oder ist. Minera Yanacocha war über lange Zeit das einzige Unternehmen, das in Cajamarca Bergbau betrieb. Nach der Installation von weiteren Minen durch andere internationale Unternehmen hat Minera Yanacocha den Monopolstatus verloren, bleibt jedoch weiterhin das mit Abstand grösste und einflussreichste Bergbauunternehmen in der Region Cajamarca.
Im neunten Kapitel (Bergbau, Konflikte und Entwicklung in Cajamarca) untersuche ich Auswirkungen des Bergbaus und der Bergbaukonflikte auf die Entwicklung von Gesellschaft und Politik. Ich frage, ob und wie die Bergbaukonflikte in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen die Entwicklung beeinflussen.
Im zehnten Kapitel formuliere ich zwei Erzählungen über Minera Yanacocha, die Bergbaukonflikte und Entwicklung in Cajamarca, die sich weitgehend widersprechend gegenüberstehen. Dabei interessiert mich, wo es zwischen der bergbaufreundlichen und der bergbaufeindlichen Erzählung Gemeinsamkeiten gibt und welche Widersprüche die Wissenschaft und ein aufgeklärter Diskurs klären können. Im elften Kapitel beantworte ich meine leitenden Fragen und ziehe ein abschliessendes Fazit.
Ich benutze eine geschlechter-gerechte Sprache. So brauche ich weitgehend die weiblichen und die männlichen Formen, zum Beispiel „Campesinas und Campesinos“. Das macht den Text gelegentlich etwas schwerfällig.
Der geschlechter-gerechte Sprachgebrauch soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Politik und öffentliches Engagement in Peru weitgehend eine Angelegenheit von Männern ist. Das betrifft insbesondere die ländlichen Provinzen, Distrikte und Gemeinden. Einzelne Frauen ragen jedoch durch ihr Engagement heraus.
Der Begriff „Behörde“ umschreibt sowohl Politikerinnen und Politiker, die durch Volkswahl ein exekutives Amt ausüben, wie die der Exekutive unterstellte Verwaltung. Die Verwaltung verfügt in Peru über weniger bürokratische Kompetenzen und Erfahrungen, da die Verwaltungsangestellten weitgehend mit den ihnen vorgesetzten Politikerinnen und Politikern ihre Funktion übernehmen und bei deren Abgang auch wieder aufgeben müssen.
Die vorliegende Dissertation zur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie legte ich der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel vor. Prof. em. Dr. Ueli Mäder betreute und begutachtete das Promotionsprojekt. Prof. Dr. Elísio Macamo übernahm das Korreferat.
1www.snmpe.org.pe, letztmals konsultiert am 03.11.2012. Der Verband unterhält auch einen Blog mit dem Titel www.perupaisminero.org, letztmals konsultiert am 03.11.2012.
2 Ich brauche in dieser Arbeit den im Spanischen üblichen Begriff Lixiviation, auch wenn der aus dem Lateinischen stammende Begriff kein offizielles deutsches Fremdwort ist. Lixiviation kann auf Deutsch mit Auslaugung, auf Englisch mit Leaching oder Heap leaching übersetzt werden. Ich erkläre das Verfahren der Lixiviation im Unterkapitel 8.1.4.
3 Vgl. das Kapitel 4.2 Konflikte fördern Sozialisation, Georg Simmel
In diesem Kapitel gebe ich einen Überblick über Literatur, Forschung und Forschungsstand zu Bergbau und Bergbaukonflikten in Cajamarca und Peru. In einem ersten Unterkapitel stelle ich die wichtigste Literatur zum Thema vor. Es folgt zweitens eine Darstellung der Institutionen und Forschungsprojekte, die sich mit Bergbaukonflikten in Cajamarca und Peru beschäftigen. Drittens stelle ich Institutionen vor, die Literatur im weitesten Sinne produzieren, um die peruanische oder internationale Öffentlichkeit aufzuklären und gegen oder für den Bergbau zu gewinnen. Die Defensoría del Pueblo wird ausführlicher vorgestellt; sie ist die einzige Institution, die soziale Konflikte aus weitgehend neutraler Perspektive beobachtet, artikuliert und Berichte veröffentlicht. Schliesslich beurteile ich die Forschungsaktivitäten und den Forschungsstand.
Literatur und Forschungsprojekte zu den Bergbaukonflikten in Cajamarca, die wissenschaftliche Kriterien erfüllen, sind spärlich. Dieser Befund hat drei Gründe: Erstens gibt es in Peru nur wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Bergbaukonflikten beschäftigen. Zweitens entsprechen die Forschungen an vielen peruanischen Universitäten nicht einem wissenschaftlichen Niveau.4 Drittens sind viele Arbeiten, die sich mit Bergbaukonflikten befassen, Auftragsarbeiten einer Konfliktpartei. Auch wenn die Autorinnen und Autoren formale Kriterien einer wissenschaftlichen Arbeit einhalten, ist die Grenze zwischen Wissenschaft und Propaganda schwierig zu ziehen.
Trotz der geschilderten Schwierigkeit ist es unumgänglich, auf Literatur zurückzugreifen, die nicht allen wissenschaftlichen Kriterien genügt. Nur so lassen sich wichtig Fakten für eine rekonstruierende Untersuchung gewinnen. Darüber hinaus ist diese Literatur eines der Instrumente, mit dem die Konfliktparteien die Konflikte führen. Das Gutachten zur Umweltverträglichkeitsprüfung des Projekts Conga dient als Beispiel: Die Regierung Perus gab drei international anerkannten Wissenschaftlern den Auftrag, ein Gutachten über den EIA des Projektes Conga zu verfassen. Zur gleichen Zeit liessen die Regierung der Region Cajamarca und bergbaukritische Organisationen ein alternatives Gutachten durch einen ausgewiesen bergbaukritischen Wissenschaftler aus den USA erstellen.5
Verschiedene Autorinnen und Autoren haben seit 2002 Arbeiten über die Bergbaukonflikte in Cajamarca publiziert. Die Arbeiten verfolgen unterschiedliche Ziele. Oft gibt es keine klaren Grenzen zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement, Auftragsarbeiten des Unternehmens und wissenschaftlichen Arbeiten. Dies äussert sich auch am Umstand, dass manche Arbeiten nur als „graue Literatur“ verfügbar sind, also als Dateien im Format pdf von einer Homepage heruntergeladen werden können. Allerdings sind auch die meisten gedruckten Arbeiten über das Internet erreichbar, was die Auseinandersetzung mit den Konflikten in Cajamarca sowohl für lokale wie für nationale und ausländische Forscher erleichtert.
Die öffentlichen Bibliotheken in Cajamarca und die Bibliothek der Nationalen Universität Cajamarca, auch die der soziologischen Abteilung, verfügen über keine umfassenden Sammlungen der Literatur über Bergbaukonflikte in ihrer eigenen Region Cajamarca. Die Pontificia Universidad Católica del Perú in Lima6, eine der führenden privaten Universitäten des Landes, verfügt über die umfassendste Sammlung von Literatur über Bergbaukonflikte in Cajamarca.
Im Folgenden kategorisiere ich die wichtigsten Arbeiten zu den Bergbaukonflikten in Cajamarca und stelle sie chronologisch aufsteigend vor. Im Unterkapitel 2.1.1 stelle ich Literatur von Aktivistinnen und Aktivisten gegen den Bergbau vor, im Unterkapitel 2.1.2 Auftragsarbeiten von Minera Yanacocha und im Unterkapitel 2.1.3 akademische Arbeiten.
Mehrere Aktivistinnen und Aktivisten gegen Minera Yanacocha haben umfassende Arbeiten über die Bergbaukonflikte in Cajamarca geschrieben. Die Autorinnen und Autoren sind ausschliesslich Akademikerinnen und Akademiker, die Arbeit über Bergbaukonflikte bewegt sich in den meisten Fällen jedoch nicht streng im Rahmen ihrer akademischen Disziplin.
– Deza Arroyo, Nilton (2002): Oro, cianuro y otras crónicas ambientales. En buscada de una minería ambientalmente responsable. Nilton Deza ist Biologe und Professor an der Universidad Nacional de Cajamarca. Zur Zeit der Veröffentlichung des Buches war er Präsident von Ecovida, eines Vereins von bergbaukritischen Akademikerinnen und Akademikern der Universidad Nacional de Cajamarca. Die Dozenten der regionalen staatlichen Universität gründeten Ecovida mit dem Ziel, die Bevölkerung bezüglich Umwelt zu bilden, Organisationen in Umweltthemen zu beraten und die Qualität der Umwelt in Cajamarca zu beobachten. Das Buch befasst sich kritisch und ablehnend mit Minera Yanacocha. Deza kritisiert wegen der ökologischen Auswirkungen vor allem das Lixiviations-Verfahren mit Einsatz von Zyanid.
– Arana Zegarra, Marco (2002): Resolución de Conflictos Medioambientales en la Microcuenca del Río Porcón, Cajamarca 1993–2002. Marco Arana war katholischer Priester, heute unterrichtet er Soziologie an der Universidad Nacional de Cajamarca. M. Arana ist Aktivist der ersten Stunde und war Gründer des Grupo de Formación e Intervención para el Desarrollo Sostenible (GRUFIDES). 1993 schickte der Bischof von Cajamarca den jungen Priester in die Gemeinde Porcón. Campesinas und Campesinos baten ihn um Unterstützung und Vermittlung im Umgang mit Yanacocha. Die Arbeit ist seine Abschlussarbeit, um an der Pontificia Universidad Católica del Perú in Lima den Mastertitel in Soziologie zu erhalten. Arana beschreibt und analysiert die Bergbaukonflikte zwischen Minera Yanacocha und der lokalen ländlichen Bevölkerung nach der Installation des Unternehmens bis zum Jahr 2002. Er unterscheidet zwei Konfliktursachen: Erstens kaufte Minera Yanacocha den Campesinas und Campesinos Land ab, um den Tagbergbau zu betreiben. Das Unternehmen bezahlte den Campesinas und Campesinos Landpreise, die in keinem Verhältnis zum späteren Gewinn durch den Goldbergbau standen. Zweitens verschmutzte der Bergbau von Minera Yanacocha das Wasser. Arana schreibt über Konflikte, an denen er weitgehend als Berater und Fürsprecher der Campesinas und Campesinos beteiligt war.
– Salas Rodríguez, Iván (2005): Quilish Hora Cero. Iván Salas ist Soziologe, politischer Berater und Kolumnist. Während der Proteste gegen die Ausbeutung des Berges Quilish 2004 war er Vizepräsident der Frente Único en Defensa de la Vida, del Medio Ambiente y de los Intereses de Cajamarca. Quilish Hora Cero stellt die Auseinandersetzungen zwischen Minera Yanacocha, staatlichen Akteuren und der Bevölkerung von Cajamarca um den Berg Quilish aus der Perspektive eines zivilgesellschaftlichen Aktivisten dar.
– De Echave, José et al. (2009): Minería y conflicto social, ist eine Sammlung von Aufsätzen führender peruanischer Forscher. Die Autoren stellen im ersten Teil des Buches sechs Bergbaukonflikte in Peru dar und analysieren diese im zweiten Teil; im dritten Teil denkt De Echave über Regulierung und die Rolle des Staates nach.
– Castillo, Marlene/Torres, Fidel (2012): Proyecto Conga. Riesgo de Desastre en una Sociedad Agraria Competitiva. Marlene Castillo und Fidel Torres forschten im institutionellen Rahmen des Grupo de Formación e Intervención para el Desarrollo Sostenible (GRUFIDES); die katalanische Agentur für Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierte die Arbeit. Castillo und Torres betten das Projekt Conga in den ökologischen, ökonomischen und sozialen Kontext ein und identifizieren die Risiken des Projektes.
– De Echave, José/Diez, Alejandro (2013): Más allá de Conga, behandelt die Konflikte um das Projekt Conga. Die Autoren analysieren das Projekt Conga als emblematisch für die zahlreichen Bergbaukonflikte Perus. Einerseits sind die Konflikte um Conga das Produkt der in den zwei vorhergehenden Jahrzehnten gemachten Erfahrungen mit Konflikten zwischen Minera Yanacocha, dem Staat und der Gesellschaft in Cajamarca. Andererseits gehört das Projekt Conga durch seine herausragende Dimension von 4,8 Milliarden US-Dollar Investitionen zu den grössten Bergbauprojekten Perus und Südamerikas.
Zwei Auftragsarbeiten von Minera Yanacocha befassen sich mit den Beziehungen des Unternehmens zur einheimischen Bevölkerung und zum Staat und damit mit den sozialen Konflikten.
– Elizalde, Bernarda et al. (2009): Reseña de las Relaciones de Newmont con la Comunidad. Mina de Yanacocha, Perú. Der Bericht ist der Cajamarca betreffende Teil einer umfassenden Studie über die Beziehung des US-amerikanischen Unternehmens Newmont, dem 80% von Minera Yanacocha gehören, zur lokalen Bevölkerung. Newmont gab die Studie in Auftrag und finanzierte sie.
– Die Asociación los Andes de Cajamarca (ALAC), die ausschliesslich von Minera Yanacocha finanzierte und kontrollierte Entwicklungsagentur in Cajamarca, veröffentlichte die 10 Bände umfassenden und von verschiedenen Autorinnen und Autoren geschriebenen Contribuciones para una visión del desarrollo de Cajamarca (2006). Ziel der Arbeiten ist, den wirtschaftlichen und sozialen Zustand der Region Cajamarca zu analysieren und Visionen für eine nachhaltige Entwicklung zu entwerfen. Die Autorinnen und Autoren beurteilen den Bergbau als gegeben und durchwegs positiv. Die Contribuciones para una visión del desarrollo de Cajamarca beschäftigen sich nicht primär mit Bergbaukonflikten, sie sind jedoch ein Versuch, dem Bergbau eine positive Rolle bei der Entwicklung der Region zuzusprechen.
Forscherinnen und Forscher und Studierende aus Nordamerika und Europa haben sich mit den Bergbaukonflikten in Cajamarca beschäftigt.
– Anthony Bebbington ist Geographieprofessor an der Clark University in Worcester7, Grossbritannien. Er befasst sich mit extraktiver Industrie und den damit verbundenen sozialen Konflikten und Entwicklungen, seit rund zehn Jahren auch mit den Bergbaukonflikten in Cajamarca. Bebbington hat die Resultate seiner Forschung bezüglich Bergbaukonflikte in Cajamarca veröffentlicht in zahlreichen Aufsätzen und Beiträgen in Werken, die Bergbaukonflikte in den Anden oder in ganz Südamerika behandeln. Anthony Bebbington (Hrsg.) (2013): Industrias extractivas, conflicto social y dinámicas institucionales en la región andina, Lima (Instituto de Estudios Peruanos) ist ein Überblick über die grossen Bergbaukonflikte in den Anden. In verschiedenen Beiträgen weist Bebbington nach, dass der Widerstand gegen den Bergbau ähnlich wie die Bergbauunternehmen einer Globalisierung unterliegt und von dieser profitiert.
– Schabus, Esther-Schirin (2013): Die Entwicklung des Bergbaukonflikts im peruanischen Departement Cajamarca. Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation in der Konfliktlösung ist eine Diplomarbeit an der Universität Wien. Schabus untersucht die Partizipation der lokalen Bevölkerung in den Bergbaukonflikten um das Projekt Conga. Sie identifiziert in ihrer Arbeit Aspekte der Partizipation, die für die Konfliktlösung förderlich oder hinderlich sind.
Wenige Institutionen und Forschungsprojekte beschäftigen sich mit Bergbaukonflikten. Die folgenden Institutionen leisteten für die Bergbaukonflikte in Cajamarca wichtige Forschungsbeiträge und Berichte.
Das Instituto de Estudios Peruanos (IEP)8 gibt die Reihe „Minería y Sociedad“ heraus. Bergbaukonflikte sind in verschiedenen Programmen und Forschungsprojekten des IEP das zentrale Thema. Das IEP ist eine private Institution in Lima, mit dem Ziel, sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung zu fördern und die Resultate zu verbreiten.
Die Defensoría del Pueblo beobachtet Konflikte in Peru. Sie veröffentlicht wöchentlich und monatlich Berichte zu Konflikten im Land, so auch zu den Bergbaukonflikten in Cajamarca. Weiter veröffentlichte sie einen Bericht über den Unfall in Choropampa: Defensoría del Pueblo (2001): Informe Defensorial N.° 62. El caso del derrame de mercurio que afectó a las localidades de San Sebastián de Choropampa.
Die School of Environment, Education and Development der Universität Manchester führt seit ca. 2005 unter der Direktion von Professor Anthony Bebbington das Forschungsprogramm „Conflicts over the countryside: Civil society and the political ecology of rural development in the Andean region“ durch.9 Bebbington und seine Forschergruppe beschäftigen sich vor allem mit den sozialen Bewegungen und den Nichtregierungsorganisationen, die durch die Bergbaukonflikte entstanden sind. Die Forscherinnen und Forscher beschreiben und analysieren verschiedene Bergbaukonflikte in den Anden Ecuadors, Perus und Boliviens; dadurch können sie die Konflikte vergleichen.
Verschiedene Institutionen machen der Öffentlichkeit die Folgen des Bergbaus und der Bergbaukonflikte bewusst und informieren. In der Regel sind diese Institutionen nicht der neutralen Berichterstattung verpflichtet, sondern sie betreiben Propaganda für oder gegen Bergbau.
Ich unterscheide zwischen verschiedenen geografischen Ebenen: lokal und regional in Unterkapitel 2.3.1, national in Unterkapitel 2.3.2 und international in Unterkapitel 2.3.4. Auf nationaler Ebene stelle ich in Unterkapitel 2.3.3 die Defensoría del Pueblo ausführlicher dar. Diese Institution nimmt soziale Konflikte in Peru wahr, ordnet sie ein und macht sie bekannt. Die monatlichen Berichte der Defensoría del Pueblo dienten mir als Grundlage, um die Geschichte der Bergbaukonflikte in Cajamarca zu rekonstruieren.
GRUFIDES und Ecovida sind zwei lokale Organisationen, die beide als soziale Bewegungen und als Reaktion auf zunehmende Unzufriedenheit mit den Folgen des Bergbaus von Minera Yanacocha entstanden. Ich beschreibe und analysiere beide Organisationen vertiefter im Kapitel 8.3 Lokale Bevölkerung.
In fast allen Konflikten sind Medien wichtige Akteure.10 Sie tragen zur Entwicklung des Konfliktes bei, indem sie die Reklamationen und die Antworten verbreiten. Die Öffentlichkeit wird im Hinblick auf mögliche Lösungen orientiert. Manchmal, wie weitgehend bei den Bergbaukonflikten in Cajamarca, nehmen die Medien Stellung für die eine oder andere Partei und tragen so dazu bei, den Konflikt zu intensivieren. Die lokalen Zeitungen von Cajamarca sind:
a) Panorama Cajamarquino11. Das über Internet zugängliche Archiv geht zurück bis zum 6. Juli 2009.
b) El Mercurio, Cajamarca12: Die Zeitung verfügt über ein ca. 3 Monate zurück reichendes Archiv.
c) El Clarin, Cajamarca. Die Zeitung verfügt über keinen Internetauftritt und kein über das Internet zugängliches Archiv.
Minera Yanacocha betreibt seit 2004 eine aktive Informations- und Propagandapolitik. In Cajamarca steht der Öffentlichkeit ein Informationsbüro mit Ausstellung und Mediothek offen. Das Unternehmen veröffentlicht jährlich Berichte zur sozialen und ökologischen Verantwortung. Das Unternehmen bietet einmal wöchentlich eine ganztägige Exkursion zu den Minen an.
Soziale Konflikte sind in Peru auf nationaler Ebene ein allgegenwärtiges Thema – so auch die Bergbaukonflikte in Cajamarca. An dieser Stelle nenne ich verschiedene Akteure der Bewusstmachung von Bergbaukonflikten und bespreche einen ausführlich: die Defensoría del Pueblo. Die Defensoría del Pueblo ist im Gegensatz zu anderen Institutionen nicht Konfliktpartei, sondern neutrale und manchmal allparteiliche Organisation.
Ursprünglich lokale und regionale Gruppen und Bewegungen haben sich in nationalen und teilweise internationalen Dachorganisationen zusammengeschlossen. Für die Bergbaukonflikte in Cajamarca wichtig sind vor allem der Red muqui, die Fundación Ecuménica para el Desarrollo y la Paz (FEDEPAZ), das Centro Peruano de Estudios Sociales (CEPES), der Grupo Propuesta Ciudadana, die CooperAcción, Acción Solidaria para el Desarrollo und die nationale Organisation der Rondas campesinas.
Der Verband der extrahierenden Unternehmen, die Sociedad Nacional de Minería, Petróleo y Energía (SNMPE)13 setzt sich auf nationaler Ebene für den Bergbau und die Bergbauunternehmen ein. Ein aufwändiger Internetauftritt ergänzt verschiedene Zeitschriften, Berichte und andere Publikationen. Der Grupo Norte ist ein Zusammenschluss von Bergbauunternehmen im nördlichen Peru.
Red Muqui ist ein Netzwerk aus nationalen und lokalen Institutionen.14 Die rund zwei Dutzend Institutionen und Organisationen, die dem Red Muqui angehören, sind weitgehend lokal oder regional verankert. Eine dieser Organisationen ist geografisch in Cajamarca einzuordnen und eng mit den Konflikten um Yanacocha verbunden: GRUFIDES, die Grupo de Formación e Intervención para el Desarrollo Sostenible. Die Ziele des Red Muqui sind die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und die Ausdehnung und Verteidigung der Menschenrechte in den vom Bergbau betroffenen Regionen. Das geschieht auf verschiedenen Ebenen.
Erstens soll der Red Muqui die Institutionalisierung und nachhaltige Wirkung seiner Mitglieder stärken. Es sind dies vor allem die Kompetenzen, Konflikte zu analysieren und Vorschläge zur Lösung zu formulieren.
Zweitens schlägt der Red Muqui institutionelle und gesetzliche Reformen vor, um Bergbau- und Umweltpolitik zu verbessern. Der Red Muqui verteidigt in den vom Bergbau betroffenen Gebieten die Menschenrechte der Bevölkerung.
Drittens nimmt der Red Muqui Einfluss auf die öffentliche Meinung, die Unternehmen und den Staat. Der Staat und die Unternehmen sollen Menschenrechte respektieren und soziale und ökologische Normen und Standards einhalten.
Viertens stärkt der Red Muqui die zivilgesellschaftlichen Akteure und ihre Organisationen.
Der Red Muqui agiert in verschiedenen Bereichen: Er unterstützt die Forschung in den die Ziele betreffenden Bereichen. Er formuliert Vorschläge, die die Politik und Gesetzgebung bezüglich Bergbau betreffen. Er entwirft Kommunikationsstrategien zur Verbreitung der ausgearbeiteten Vorschläge. In bedeutenden Fällen berät und unterstützt er lokale Organisationen. Er bringt Vorschläge bezüglich Politik und Gesetzgebung sowie bedeutende Fälle in die öffentliche politische Diskussion ein. Er beobachtet die für den Bergbau relevante Politik und Verwaltung sowie das Verhalten der Unternehmen. Schliesslich unterstützt er Gemeinden in ihrer Kommunikation mit den Unternehmen und beobachtet, ob Verträge zwischen Gemeinden und Bergbauunternehmen eingehalten werden. Von September 2004 bis September 2009 gab Red Muqui in der Regel alle zwei Monate das elektronische Boletín Red Muqui heraus.
Die Defensoría del Pueblo wurde mit dem Artikel 162 der Verfassung von 1993 geschaffen und 1996 konstituiert.15 Sie ist ein autonomes Organ mit der Aufgabe, die durch Verfassung garantierten Rechte und die Menschenrechte zu verteidigen und die staatliche Verwaltung auf die Erfüllung ihrer Pflichten und Dienstleistungen den Bürgern gegenüber zu überwachen.
Um diese Aufgaben zu erfüllen kann die Defensoría del Pueblo auf Bitten eines Bürgers oder aus eigener Initiative unabhängige Nachforschungen betreiben. Dazu beobachten die Mitarbeiter der Defensoría del Pueblo das Geschehen in Peru, um Verletzungen von Menschenrechten und politischen Rechten festzustellen. In den Departementen und Provinzen unterhält die Defensoría del Pueblo Büros, in denen Repräsentantinnen und Repräsentanten des Defensor del Pueblo für einen bestimmten Raum zuständig sind. Dazu gibt es Verantwortliche für bestimmte Konfliktarten, die jeweils einer Einheit zugeteilt sind.
Eine wichtige Rolle im Umgang mit sozialen Konflikten spielt das Comité de Seguimiento e Intervención en Conflictos Sociales y Políticos.16 Der Defensor del Pueblo, der nationale Ombudsmann, berief die Arbeitsgruppe 2005 ein und präsidiert sie bis heute. Die Arbeitsgruppe besteht aus einer Analysegruppe (Comité de análisis) und einer ausführenden technischen Koordination (Órgano de coordinación técnica). Die Analysegruppe bespricht wöchentlich die gesammelten Informationen und formuliert Vorschläge, ob und wie die Defensoría del Pueblo interveniert. Die technische Koordination sammelt Informationen über soziale Konflikte, fertigt Berichte an, schlägt Aktionen der Defensoría del Pueblo vor, erarbeitet Methoden der präventiven Supervision, organisiert Trainingsprogramme für Konfliktbeteiligte etc.
Das Komitee reagiert auf zwei Ebenen auf Konflikte. Es versucht, in akuten und gewaltsamen Konflikten deeskalierend zu intervenieren, den Konflikt zu verwalten und den Dialog zwischen den Parteien wieder in Gang zu bringen. In anderen Fällen, oft nach gewaltsamen Auseinandersetzungen, arbeitet das Komitee Vorschläge aus, die darauf abzielen, die dem Konflikt zugrundeliegenden Ursachen zu ändern.
Die Defensoría del Pueblo beobachtet soziale Konflikte und interveniert auf unterschiedliche Weise: Vermittlung, Supervision als Prävention, Formulierung von allgemeinen Vorschlägen und Konflikt-Berichte.17
a) Vermittlung. Die Bevölkerung von Peru nimmt die Defensoría del Pueblo vor allem als eine Institution wahr, wo Individuen und Gruppen sich beschweren können und wo ihnen zugehört wird. Darüber hinaus sucht die Defensoría del Pueblo aktiv nach Lösungen in Konflikten. Die Defensoría del Pueblo definiert verschiedene Möglichkeiten der Vermittlung.
Die Defensoría del Pueblo bietet gute Dienste an, um den Fortgang eines Dialoges zu ermöglichen. Sie beteiligt sich an Runden Tischen (Mesas de diálogo). Die Mesas de diálogo sind Verhandlungen, an denen Vertreterinnen und Vertreter der Konfliktparteien teilnehmen. Die Defensoría del Pueblo kann zusammen mit anderen Institutionen eine Mesa de diálogo einberufen, sie kann die Organisation eines Runden Tisches also erleichtern18 oder als unabhängige Organisation, die die Menschen- und Bürgerrechte verteidigt, teilnehmen. Gelegentlich sind Vertreterinnen und Vertreter der Defensoría del Pueblo bei Comisiones de alto nivel beobachtend beteiligt. Hier verhandeln nationale Politikerinnen und Politiker oder deren Vertreterinnen und Vertreter direkt mit Betroffenen. Schliesslich führt die Defensoría del Pueblo Mediationen im engeren Sinne durch, das heisst durch einen Mediator geführte Verhandlungen nach einem definierten Phasenmodell.19 Die Defensoría del Pueblo ist sich der anspruchsvollen, in manchen Fällen nicht erfüllbaren Aufgabe bewusst, die sie als Mediator übernimmt. Sie ist einerseits Fürsprecherin und Verteidigerin der Partei, die die Verletzung grundlegender Rechte anklagt, andererseits sollte sie in dieser Rolle eine neutrale, allparteiliche Funktion übernehmen.
b) Supervision als Prävention. Die Defensoría del Pueblo beobachtet Situationen und Strukturen, die zu Konflikten führen können, sowie aktive und latente Konflikte. Diese meist präventiven Supervisionen erlauben, die Qualität der staatlichen Verwaltung und Politik zu kontrollieren. Die Defensoría beobachtet die Praxis dabei vor dem Hintergrund der normativen Vorgaben. Die präventive Supervision ist eine proaktive Massnahme, um Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten zu verhindern.
Die präventive Supervision umfasst verschiedene konkrete Massnahmen. Die Defensoría del Pueblo hilft, für das Verständnis und die Lösung von Konflikten relevante Informationen zu beschaffen. Dazu kann sie selber bei den zuständigen Behörden Auskunft verlangen oder verschafft Peruanerinnen und Peruanern den Zugang zu diesen Informationen. Sie kann unangemeldet Behörden besuchen, verlangen, dass diese Dokumente offenlegen, und öffentliche Dienstleistungen der Staatsangestellten beobachten. Sie kann Akteure eines Konfliktes befragen: Vertreterinnen und Vertreter der Defensoría besuchen den Akteur oder laden ihn ins lo-kale Büro der Defensoría del Pueblo ein. Die Defensoría kann so ein gemeinsames Treffen der Akteure organisieren, um ihnen Gelegenheit zu bieten, sich gegenseitig die Meinungen und Wahrnehmung des Konfliktes mitzuteilen.
Weitere Massnahmen der präventiven Supervision von Konflikten sind die Organisation und Durchführung von akademischen Workshops, in denen Expertinnen und Experten referieren und diskutieren und interessierte Akteure zuhören können. In Frühwarnungen (Alertas tempranas) weist die Defensoría del Pueblo Behörden und manchmal die Öffentlichkeit auf Entwicklungen hin, die wahrscheinlich zu Konflikten führen.
c) Formulierung von allgemeinen Vorschlägen. Viele Konflikte, mit denen sich die Defensoría del Pueblo beschäftigt, äussern sich auf lokaler Ebene, hängen jedoch stark mit gesetzlichen Rahmenbedingungen oder der politischen Praxis der Zentralregierung zusammen. Bei solchen Konflikten kann die Defensoría del Pueblo politische Akteure und interessierte Institutionen zum Dialog und gemeinsamen Nachdenken zusammenrufen. Aufgrund der so entstandenen systematischen und interdisziplinären Analyse macht die Defensoría Reformvorschläge oder ermutigt die zuständigen Behörden, angemessene Massnahmen zu treffen.
d) Konflikt-Berichte. Seit Mai 2004 veröffentlicht die Defensoría del Pueblo regelmässig monatliche Berichte über soziale Konflikte in Peru.20 Die Repräsentantinnen und Repräsentanten der Defensoría del Pueblo in den Büros in allen Departementen Perus verfolgen und analysieren permanent konfliktträchtige Situationen innerhalb ihres Territoriums. Jedes Büro ist daher informiert über sich ankündigende Konflikte, die sich in unterschiedlichen Formen ausdrücken: andauernde Demonstrationen mit bestimmten Forderungen; Klagen, die Peruanerinnen oder Peruaner in den Büros der Defensoría del Pueblo oder in anderen öffentlichen Institutionen21 deponieren; durch Medien veröffentlichte Äusserungen; durch Medien getragene Kampagnen, die Behörden zum Rücktritt auffordern.
Die Hinweise auf Konflikte kommen über unterschiedliche Kanäle zu den lokalen Vertreterinnen und Vertretern der Defensoría del Pueblo. Sie hören und lesen die lokalen und nationalen Medien, analysieren die im eigenen Büro vorgebrachten Klagen, bereisen die einzelnen Provinzen der Regionen und führen Gespräche mit politischen Autoritäten und Vertreterinnen und Vertretern von Organisationen. Erkennen Mitarbeitende der Defensoría soziale Konflikte, so analysieren sie den Fall genauer und entwerfen mögliche Interventionen der Defensoría del Pueblo.
Ende Monat schreibt jedes Büro der Defensoría del Pueblo einen Bericht über die beobachteten Konflikte im betreffenden Departement. Dieser Bericht wird nach folgenden Aspekten gegliedert: – Lokalisation, – primäre Akteure, – sekundäre Akteure: Gruppen oder Personen, die die primären Akteure unterstützen, – Motive, die die Akteure bei Ausbruch des Konfliktes vorbringen, – Vorgeschichte, – Beschreibung der Aktivitäten inklusive Interventionen der Defensoría del Pueblo, – aktueller Stand des Konfliktes.
Die regionalen Büros schicken ihre Berichte an die zentralen Büros der Defensoría del Pueblo in Lima, wo das Oficina de Promoción y Coordinación Territorial daraus einen nationalen Bericht erstellt. Die Mitarbeiter der Zentrale sehen die Berichte aus den Departementen durch. Für den nationalen Bericht übernehmen sie nur diejenigen Vorfälle, in denen die primären Akteure Gewalt angewendet haben. Das heisst, mindestens eines der folgenden Merkmale trifft zu: Die primären Akteure verletzten das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit oder auf Gesundheit; sie zerstörten öffentliches oder privates Eigentum; sie schränkten die Bewegungsfreiheit längerfristig ein (meist Blockaden von Strassen); die primären Akteure hinderten die Behörden, ihre Funktion auszuüben; sie verhinderten öffentliche Dienstleistungen.
Die Mitarbeiter des Oficina de Promoción y Coordinación Territorial vergleichen wenn möglich die Berichte aus den Departementen mit der Medienberichterstattung und mit Berichten von involvierten Institutionen und Gruppen. Falls Unklarheiten bestehen, verlangt die Oficina de Promoción y Coordinación Territorial vom lokalen Büro der Defensoría del Pueblo weitere Abklärungen und Informationen. Neben der erzählenden Darstellung kategorisieren die Angestellten die Berichte aus den Departementen und werten die Vorfälle statistisch aus.
Der Defensor del Pueblo bewilligt den monatlichen Bericht über soziale Konflikte. Anschliessend verbreiten die Mitarbeitenden den Bericht elektronisch und veröffentlichen ihn auf der Web-Seite der Defensoría del Pueblo.22
Das zentrale Büro der Defensoría del Pueblo wertet die Daten über soziale Konflikte des vorhergehenden Monats statistisch aus. Die Mitarbeiter der Oficina de Promoción y Coordinación Territorial geben die Anzahl der registrierten Fälle an, sie unterscheiden zwischen aktiven und latenten Konflikten und der Anzahl der neu registrierten und der gelösten Konflikte. Weiter ordnen sie die Konflikte den unten erwähnten Kategorien zu, zählen sie auf nationaler und regionaler Ebene zusammen und stellen sie anteilsmässig dar. Diese Statistik gibt einen Überblick, wie Konflikte und die verschiedenen Konfliktarten geografisch verteilt sind.23
Die Defensoría del Pueblo unterscheidet in den monatlichen nationalen Berichten soziale Konflikte nach thematischen und geografischen Kriterien und nach dem Status latent, aktiv oder gelöst.
Thema
Die Defensoría del Pueblo unterschied ursprünglich fünf verschiedene Konfliktthemen und Konfliktbereiche24: Umweltkonflikte, Konflikte im Zusammenhang mit dem Coca-Anbau, Konflikte betreffend der regionalen und lokalen Regierungen und Verwaltungen, Konflikte durch politische Gewalt. Diese Typologie veränderte und erweiterte sie in späteren Berichten. Heute führt sie folgende Konflikttypen auf: sozioökologisch, Vorfälle der lokalen Regierungen, Grenzstreitigkeiten, Vorfälle der nationalen Regierung, Kommunale Vorfälle, andere Vorfälle, Arbeitskonflikte, illegaler Anbau von Coca, Wahlen.25
Konflikte im Zusammenhang mit dem Bergbau erschienen zuerst unter Umweltkonflikten (conflictos ambientales), später unter sozioökologischen Konflikten (conflictos socioambientales). Die Defensoría del Pueblo charakterisiert diese als Auseinandersetzungen zwischen ungleichen Akteuren, in denen es um die Modalitäten geht, wie natürliche Ressourcen verbraucht oder verwaltet werden, um den Zugang zu diesen Ressourcen und um den Umgang mit Verschmutzungen, die durch die Gewinnung dieser Ressourcen entstehen.
Tipo
N.° casos
%
TOTAL
208
100,0%
Socioambiental
145
69,7%
Asuntos de gobierno local
22
10,6%
Demarcación territorial
1.2
5,8%
Asuntos de gobierno nacional
9
4,3%
Comunal
9
4,3%
Asuntos de gobierno regional
4
1,9%
Otros asuntos
4
1,9%
Laboral
3
1,4%
Cultivo ilegal de coca
-
0,0%
Electoral
-
0,0%
Tabelle 1: Absolute und relative Anzahl der aktiven Konflikte nach Typen, Februar 201626
Grafik 1: Typen von Konflikten, Dezember 201027
Grafik 2: Typen von Konflikten, Februar 201628
Grafik 3: Umweltkonflikte nach Bereichen differenziert, Februar 201629
Im Februar 2016 registrierte die Defensoría del Pueblo 142 aktive Konflikte.30 Davon waren 111 Fälle Umweltkonflikte, das entspricht 78,2%. Das unterstreicht die zunehmende Bedeutung der Umweltkonflikte, und wenn wir diese differenzierter betrachten, der Bergbaukonflikte. Bergbaukonflikte machen mit 63,1% den weitaus grössten Teil der Umweltkonflikte aus. Die Erdöl- und Erdgasförderung dagegen nimmt einen Anteil von 12,6% der Umweltkonflikte ein.31
Geographie
Die Defensoría del Pueblo erfasst Konflikte nach Departementen. Sie unterscheidet innerhalb eines Departementes örtlich zwischen Provinzen und schliesslich einzelnen Ortschaften.
Karte 1: Unterschiedliche soziale Konflikte in den Departementen, Dezember 201032
Status
Die Defensoría del Pueblo unterscheidet schliesslich zwischen aktiven (conflictos activos), gelösten (conflictos resueltos) und latenten Konflikten (conflictos latentes).
Wenige Nichtregierungsorganisationen in industrialisierten Ländern haben die Bergbaukonflikte in Cajamarca thematisiert und bekannt gemacht. Die publizierten Medien wie Broschüren, Internetseiten, Ausstellungen, Filme etc. sind in der Regel aufwändig und informativ gemacht. Die Position ist klar: Nichtregierungsorganisationen in Nordamerika oder Europa beurteilen den Bergbau von Minera Yanacocha kritisch bis ablehnend.
Kirchliche Gruppen, Partnerschaften mit Gemeinden und Organisationen in der Region Cajamarca und die Infostelle Peru gründeten 2003 die Kampagne Bergwerk Peru.33 Die Kampagne Bergwerk Peru will die Auswirkungen des Bergbaus auf Mensch und Umwelt in Peru in die bundesdeutsche und europäische Öffentlichkeit tragen.34 Dazu unterhält die Gruppe eine informative und gepflegte Internetseite, stellt interessierten Kreisen eine Ausstellung zum Thema zur Verfügung und veröffentlichte 2004 eine Broschüre zur Informationskampagne „Bergwerk Peru: Reichtum geht – Armut bleibt“.35
Oxfam Amerika finanziert seit der Jahrhundertwende kritische Studien zum Bergbau von Minera Yanacocha und unterstützt definierte Projekte von GRUFIDES. Zudem beobachtet Oxfam Amerika die Bergbaukonflikte in Cajamarca und informiert auf ihrer Internetseite.36
Bergbaukonflikte in Cajamarca sind seit rund 15 Jahren Gegenstand der Konfliktforschung. Die verfügbaren Informationen und Erkenntnisse zu den Bergbaukonflikten in Cajamarca zeichnen sich dadurch aus, dass die Autorinnen und Autoren sie weitgehend mit dem Ziel veröffentlichten, den Bergbau, wie ihn Minera Yanacocha betreibt, zu unterstützen oder abzulehnen.
Die Forschung reiht sich weitgehend in zwei Erzählungen ein, die nur wenige gemeinsame Elemente haben: einerseits die Erzählung der Bergbaubefürworterinnen und -befürworter, andererseits diejenige der Bergbaugegnerinnen und -gegner. Im zehnten Kapitel (Zwei Erzählungen) formuliere ich diese zwei sich weitgehend widersprechenden Erzählungen über Minera Yanacocha in Cajamarca und die Bergbaukonflikte.
Es wäre für die Entwicklung in Cajamarca wichtig, dass sich Konfliktforscherinnen und Konfliktforscher auf einige Gemeinsamkeiten einigen. Zwischen bergbaukritischer und bergbaufreundlicher Forschung gibt es kaum Anschlüsse.
Die Defensoría del Pueblo spielt eine wichtige Rolle für die Artikulation und nationale Bewusstmachung der Bergbaukonflikte in Cajamarca. Dabei nimmt sie eine betont neutrale Haltung ein, im Gegensatz zu anderen Organisationen betreibt sie keine Kampagnen. Die monatlichen Berichte zu den sozialen Konflikten im Land bilden die Grundlage der Geschichte der Bergbaukonflikte in Cajamarca zwischen Minera Yanacocha und dem Nationalstaat einerseits und der lokalen Bevölkerung andererseits.
4 Die Kriterien, aufgrund derer ich zu dieser Sicht gelange, sind: Forschungsinteresse und -frage klar dargelegt, Forschungsstand aufgezeigt, Überlegungen zur Methode, argumentativer Aufbau, eigenständige Schlussfolgerung, Nachweis der benutzten Literatur.
5 Moran (2012)
6www.pucp.edu.pe → Biblioteca, letztmals konsultiert am 29.12.2016
7www.clarku.edu, letztmals konsultiert am 29.12.2016. Auf der Internetseite der Clark University wird Anthony Bebbington vorgestellt, zu finden ist auch eine umfassende Publikationsliste.
8http://iep.org.pe, letztmals konsultiert am 29.12.2016
9 Vgl. www.seed.manchester.ac.uk/andes, letztmals konsultiert am 28.03.2016
10 Vgl. Defensoría del Pueblo (2005a), S. 21/22
11www.panoramacajamarquino.com, letztmals konsultiert am 29.12.2016
12www.mercuriocajamarca.com, letztmals konsultiert am 29.12.2016
13www.snmpe.org.pe, letztmals konsultiert am 29.07.2016
14 Vgl. die Webseite der Organisation: www.muqui.org, letztmals konsultiert am 28.07.2016
15 Vgl. Defensoría del Pueblo (2005a), S. 9‒12
16 Vgl. Defensoría del Pueblo (2005a), S. 19‒23. Hier werden auch die normativen Grundlagen des Komitees dargestellt.
17 Vgl. Defensoría del Pueblo (2005a), S. 23‒31. Im Unterkapitel 8.7 Comunidad Campesina Combayo, Distrikt La Encañada, Provinz Cajamarca kommt die Rolle der DP, vor allem deren regionaler Vertreterinnen und Vertreter gut zum Ausdruck.
18 Sie nimmt hier die Rolle eines Fazilitators ein.
19 Vgl. den Anhang in: Defensoría del Pueblo (2005a), S. 121‒126
20 Vgl. Defensoría del Pueblo (2005a), S. 27‒31
21 Nationale Polizei, Justiz, Ministerio Público, Contraloría General de la República
22www.defensoria.gob.pe/temas.php?des=3, letztmals konsultiert am 04.04.2016. Die DP gestaltet und reorganisiert ihren Internetauftritt in kurzen zeitlichen Abständen neu.
23 DP: Reporte N.° 83 vom 31. Dezember 2010, letztmals konsultiert am 09.02.2011 auf: www.defensoria.gob.pe/conflictos-sociales/home.php
24 Vgl. Defensoría del Pueblo (2005a), S. 20/21
25 Vgl. DP: Reporte N.° 144 vom 29. Februar 2016: socioambiental, asuntos de gobierno local, demarcación territorial, asuntos de gobierno nacional, comunal, otros asuntos, laboral, cultivo ilegal de coca, electoral
26 Vgl. DP: Reporte N.° 144 vom Februar 2016, S. 20
27 Vgl. DP: Reporte N.° 83 vom Dezember 2010
28 DP: Reporte N.° 144 vom Februar 2016, S. 19
29 DP: Reporte N.° 144 vom Februar 2016, S. 23
30 Vgl. DP: Reporte N.° 144 vom Februar 2016, S. 19
31 Vgl. DP: Reporte N.° 144 vom Februar 2016, S. 24
32 DP: Reporte N.° 82 vom Dezember 2010
33 In der Bergwerk Peru (2004) sind aufgeführt: Caritas International, Diözese Mainz, FIAN Deutschland e.V., Informationsstelle Peru e.V., Kolping International, Misereor, Kirchliche Peru-Partnerschaftsgruppen, Pidecafe, Städtepartnerschaft Treptow-Köpenick-Cajamarca, Volkshochschule Ulm.
34www.kampagne-bergwerk-peru.de, letztmals konsultiert am 05.04.2016
35 Als pdf-Datei verfügbar auf der Web-Seite
36www.oxfamamerica.org, letztmals konsultiert am 17.07.2016
Ich habe in meinem Vorgehen versucht, methodologischen37 Grundsätzen sozialwissenschaftlichen Arbeitens gerecht zu werden.
Ich stelle in einem ersten Unterkapitel theoretische Vorüberlegungen an, was eine sozialwissenschaftliche Theorie auszeichnet. Ich zeige auf, wo meine Untersuchung anschliesst. Ich bespreche die Hypothesen, hypothetische Modelle, Variablen und Indikatoren und entwickle daraus die Leitfragen für die Expertinnen- und Experteninterviews.
In dieser Arbeit wende ich verschiedene Methoden an, als primäre Informationsquellen dienten mir einerseits die Expertinnen und Experten, die ich im Sommer 2011 interviewte, andererseits verschiedene schriftliche Berichte und andere Textgattungen. Im zweiten Unterkapitel bespreche ich Expertinnen- und Experteninterviews als zentrale Methoden der Datenerhebung, im dritten Unterkapitel schriftliche Informationsquellen. Die Expertinnen- und Experteninterviews wertete ich mit der qualitativen Inhaltsanalyse aus, ich bespreche dieses Vorgehen im vierten Unterkapitel.
Schliesslich folgen in einem fünften Unterkapitel Überlegungen zu normativer Beurteilung in Konfliktforschung.
Die theoretischen Vorüberlegungen dienen vor allem dazu, den Wissenstand, meine Forschungsfrage(n) und methodischen Zugänge zu verorten und zu verbinden. Sie unterstützen auch die Anschlussfähigkeit meiner Forschungsarbeit.
Zuerst nähere ich mich den Begriffen Theorie und theoretisch an. Theorie kommt aus dem griechischen „theōreĩn“, was mit „zuschauen“ übersetzt werden kann. Eine Theorie ist ein „System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen od. Erscheinungen u. der ihnen zugrunde liegenden Gesetzmässigkeiten“, und die „Lehre von den allgemeinen Begriffen, Gesetzen, Prinzipien eines bestimmten Bereichs.“38 Eine Theorie erklärt und verallgemeinert, sie unterscheidet sich damit von der blossen Beschreibung eines Phänomens.
Was zeichnet eine sozialwissenschaftliche Theorie aus? Was für wissenschaftliche Theorien allgemein zutrifft, gilt für sozialwissenschaftliche Theorien speziell: Es gibt keine allgemein anerkannte Theorie sozialwissenschaftlicher Theorien. Es lassen sich zumindest unterschiedliche Arten von Theorien unterscheiden.39 Die folgende Einteilung richtet sich aufsteigend nach dem Abstraktionsgrad der verwendeten Begriffe.
Beobachtungen und Darstellungen empirischer Regelmässigkeiten bewegen sich auf einem wenig abstrakten Niveau. Eine auch nur teilweise theoretische Erklärung, warum die Regelmässigkeit beobachtet wird, fehlt.
Ad-hoc-Theorien erlauben zeitlich und räumlich eingegrenzte Aussagen. Daraus ableitbare Erkenntnisse allgemeiner Art sind nicht möglich.
Theorien mittlerer Reichweite versuchen, soziales Verhalten in vergleichbaren Umständen zu fassen.
Theorien höherer Komplexität haben den Anspruch, soziales Verhalten möglichst allgemein zu erklären.
Je höher der Abstraktionsgrad, desto schwieriger ist die empirische Überprüfung der Hypothesen durch empirische Sozialforschung.
Meine Überlegungen zur Methode und den zugrunde gelegten Theorien sollen einerseits Transparenz über mein Vorgehen schaffen, andererseits die Arbeit anschlussfähig machen, zum einen an den Wissensstand, zum anderen an künftig folgende Auseinandersetzungen mit sozialen Konflikten in Südamerika.40
Meiner Untersuchung liegt die Theorie höherer Komplexität von Georg Simmel zugrunde. Diese heisst in einem Satz ausgedrückt: Konflikte sind eine Form der Vergesellschaftung.41 Simmel hat seine Soziologie anfangs der 20. Jh. entwickelt und veröffentlicht. Zahlreiche Konflikttheoretikerinnen und -theoretiker haben Simmels Konflikttheorie aufgenommen und weiterentwickelt. Simmels Konflikttheorie ist die Mutter vieler moderner Konflikttheorien. Darüber hinaus hat die positiv gewertete Funktion von Konflikten auch über den Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften hinaus stark gewirkt. Über hundert Jahre nach der Publikation von Simmels „Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung“ 1908 scheint es Allgemeingut zu sein, dass Konflikte eine Chance für Entwicklung sind und wir Konflikte deshalb positiv deuten sollen.
Die Öffentlichkeit nimmt die Bergbaukonflikte in Cajamarca seit den späten 1990er Jahre wahr, zuerst nur lokal in den direkt vom Bergbau betroffenen Gemeinden, dann bald regional und national. Der Unfall in Choropampa 2001 und die Auseinandersetzungen um den Cerro Quilish 2004 machten die Konflikte schliesslich auch international bekannt. Aktivistinnen und Aktivisten gegen den Bergbau von Minera Yanacocha und später auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler veröffentlichen Darstellungen und bald auch Analysen des Konfliktes. Es handelt sich dabei weitgehend um Beobachtungen und Darstellungen empirischer Regelmässigkeiten und Adhoc-Theorien.
Neben den schriftlichen Darstellungen und Analysen hat sich in Cajamarca ein umfassendes Expertenwissen zu Bergbaukonflikten entwickelt. Träger sind die Aktivistinnen und Aktivisten gegen den Bergbau, vom Bergbau betroffene Campesinas und Campesinos, Politikerinnen und Politiker und Staatsangestellte auf verschiedenen Ebenen des Staates und die Angestellten von Minera Yanacocha, die sich professionell mit den sozialen Konflikten und Entwicklung auseinandersetzen.
In dieser Untersuchung schliesse ich sowohl am schriftlich verfügbaren Wissen wie am Expertenwissen der an den Bergbaukonflikten beteiligten Personen an.
In dieser Arbeit versuche ich, Mechanismen zwischen Bergbaukonflikten einerseits und der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung andererseits zu identifizieren und soweit wie möglich zu verstehen. Es geht also um eine mechanismenorientierte Annäherung.42 Ich lege im Folgenden dar, wie ich die Begriffe Hypothesen, hypothetische Modelle, Variablen und Indikatoren verwende.
Hypothesen haben in einem mechanismenorientierten Erklärungsversuch eine andere Funktion als bei relationsorientierten Erklärungsstrategien, bei denen die Forscherin oder der Forscher das Vorwissen in Form statistisch zu überprüfender Hypothesen über Zusammenhänge zwischen Variablen formuliert. Der mechanismenorientierte Erklärungsversuch will Hypothesen weder prüfen, noch widerlegen oder bestätigen. Hypothesen haben in der mechanismenorientierten Erklärungsstrategie die Funktion, die empirische Erhebung und die Auswertung anzuleiten, indem sie das Erkenntnisinteresse genauer formulieren. Ausserdem drückt die Forscherin oder der Forscher durch Hypothesen die Vorannahmen aus, die einen Einfluss auf die Erhebung und Auswertung haben.
Die Hypothesen sollen der komplexen sozialen Realität gerecht werden. Deshalb stelle ich die Mechanismen der Bergbaukonflikte in Cajamarca auf die gesellschaftlich-politische Entwicklung in einem hypothetischen Modell dar. Dieses zeigt meine Annahmen über Ausprägungen der Variablen und über Mechanismen, die zwischen den Variablen spielen. Auf praktischer Ebene gibt das hypothetische Modell Hinweise auf die Art von Informationen, die ich in der Erhebung durch Expertinnen- und Experteninterviews und in der Auswertung durch die qualitative Inhaltsanalyse suche.
Wie detailliert sozialwissenschaftlich Forschende ein hypothetisches Modell entwerfen, hängt damit zusammen, wie weit sie das vorhandene Wissen und die greifbaren Theorien für die Forschungsfrage nutzbar machen (können).
Für die Forschungsfrage nützliche Theorien beinhalten komplexe Variablen, die die Forschenden als Suchraster einsetzen können – auch wenn der Begriff Variable meist nicht benutzt wird.43 Der Bezug auf Variablen erinnert an quantitative Sozialforschung, in einer qualitativen Untersuchung mag es auf den ersten Blick befremdend wirken, mit Variablen zu arbeiten. In relationsorientierten Erklärungsstrategien setzt die Forscherin oder der Forscher Variablen eindimensional und in einer quantifizierbaren Skala ein. Für die mechanismenorientierte Erklärungsstrategie gilt es, dieses enge Variablenkonzept zu überwinden. Mechanismenorientierte Forschende können Variablen in einem allgemeineren Verständnis definieren als „Konstrukte, die veränderliche Aspekte der sozialen Realität beschreiben.“44 Im Gegensatz zu Variablen in relationsorientierten Erklärungsstrategien können Variablen in mechanismenorientierten Erklärungsstrategien mehrere Dimensionen haben. Die Dimensionen ihrerseits können unterschiedlich skaliert sein; die Merkmalsausprägungen sind in der Regel nominalskaliert, also ausschliesslich mit Worten beschreibbar.45
Die mechanismenorientierte Erklärungsstrategie lässt also auch komplexe Variablen zu, die nicht in eindimensionale Indikatoren aufgelöst werden können. Um Kausalmechanismen zu erklären, genügt es jedoch nicht, die Ausprägungen dieser komplexen Variablen zu erheben. Das hypothetische Modell muss zusätzlich Vermutungen über soziale Prozesse aufnehmen, die die Wechselwirkung zwischen den Variablen beschreiben, also Annahmen über Kausalmechanismen.
Jochen Gläser und Grit Laudel unterscheiden für das hypothetische Modell einer mechanismenorientierten Untersuchung unterschiedliche Arten von Variablen. Die Forschungsfrage gibt die Rolle vor, die die Variablen einnehmen. Die Art einer Variablen ergibt sich also nicht aus der Natur der Sache, sondern aus dem Zweck der Untersuchung. Variablen können also folgende Rollen spielen: a) Unabhängige Variablen sind interessant als Ursache, sie spielen in diesem Sinne eine aktive Rolle. b) Bei den abhängigen Variablen dagegen interessiert uns, wodurch sie beeinflusst werden; ihre Wirkung ist nicht wichtig, sie sind also passiv. c) Intervenierende Variablen beeinflussen die vermittelnde Handlung, deren Kausalmechanismus im Zentrum des Interesses steht, und über diese eine oder mehrere abhängige Variablen. d) Vermittelnde Variablen schliesslich beschreiben Vermittlungsprozesse.
Grafik 4: Typen von Untersuchungsvariablen
Forschende definieren Variablen so genau wie möglich. Die Definition legt fest, welche Phänomene die Variable in der sozialen Realität beschreibt. Darüber hinaus soll die Definition erlauben, diese bestimmten Phänomene von anderen zu unterscheiden. Da die Variablen der mechanismenorientierten Erklärungsstrategie wie besprochen mehrdimensional sind, muss die Forscherin oder der Forscher mindestens zwei Dimensionen festlegen: die Zeitdimension und eine oder mehrere Sachdimensionen. Die Zeitdimension beschreibt den Zeitpunkt oder den Zeitraum, in dem die beschriebene Merkmalsausprägung vorkommt.
Forscherinnen und Forscher müssen sich vor Erhebung und Auswertung überlegen, wie empirische Informationen über die Merkmalsausprägungen beschaffen sein mögen, um die Variablen für die empirische Untersuchung nutzbar zu machen. Sie müssen deshalb Indikatoren suchen, die für die Expertinnen- und Experteninterviews gezielte Fragen erlauben und in der qualitativen Inhaltsanalyse erkennen lassen, dass ein empirisches Phänomen eine Merkmalsausprägung einer Variablen ausdrückt. Die Untersuchungsvariablen müssen einerseits abstrakt genug sein, um die Vielfalt an empirischen Phänomenen zu erfassen – anderseits müssen sie so konkret sein, dass sie die Suche nach relevanter empirischer Information anleiten können.
Die theoretischen Vorüberlegungen sollten Variablen also nach dem folgenden Muster beschreiben: Name der Variable, Definition, Indikatoren, Zeitdimension, Sachdimension(en). Wie weit und genau die theoretischen Vorüberlegungen zu einem gut strukturierten Modell mit klar definierten Variablen führen, ist vom Stand der relevanten Theorien abhängig. Theorien über den Zusammenhang zwischen zentralstaatlichen Entscheiden und Korruption bezüglich der Bergbaukonflikte in Cajamarca fehlen zum Beispiel gänzlich, Kritiker des Bergbaus verweisen jedoch stets auf Korruption, die mit staatlichen Entscheiden verbunden ist. Wo ich nicht auf eine spezifische Theorie zurückgreifen kann, ist es sinnvoll, die Variablen mit allgemeinen handlungstheoretischen Überlegungen in Dimensionen zu gliedern.46 Das erlaubt ohne weiteres Vorwissen folgende Strukturierung: a) Akteure, b) Handlungsbedingungen und c) Handlungen.
Das Ergebnis der theoretischen Vorüberlegungen besteht im günstigen Fall „aus im Kontext einer Theorie definierten, in Dimensionen strukturierte Variablen, Vermutungen über die Kausalmechanismen, die Zusammenhänge zwischen diesen Variablen vermitteln, und Überlegungen zu Indikatoren, die Ausprägungen der Variablen anzeigen.“47
Ich konnte diesen hohen Anspruch in den Vorüberlegungen zu dieser Untersuchung nur teilweise erfüllen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zu verschiedenen Variablen keine Ad-hoc-Theorien oder Theorien mittlerer Reichweite48 existieren. Ich musste die Variablen also mit allgemeinen handlungstheoretischen Überlegungen gliedern.
Grafik 5: Hypothetisches Modell
Die Leitfragen dienen als Verbindungsglied zwischen den theoretischen Vorüberlegungen und der qualitativen Erhebungsmethode, im Falle dieser Untersuchung den Expertinnen- und Experteninterviews und ergänzenden schriftlichen Dokumenten.49 Die Leitfragen sind auf das Wissen gerichtet, das ich durch die Erhebung beschaffen muss, um die Forschungsfrage zu beantworten.
Ich entwickelte gemäss den theoretischen Vorüberlegungen und der Forschungsfrage folgende Leitfragen:
Peru, Entwicklung, Demokratisierung
1. Welche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen sind für die peruanische Gesellschaft wichtig?
2. Welche Merkmale zeichnen Cajamarca als Stadt, Provinz und Departement aus?
Bergbau und Bergbaukonflikte in Cajamarca
3. Wie und unter welchen Umständen hat sich Minera Yanacocha in Cajamarca entwickelt?
4. Wie verlief die Konfliktgeschichte zwischen Minera Yanacocha, Staat und Bevölkerung?
5. Was ist Gegenstand der Konflikte bezüglich Bergbau in Cajamarca?
6. Wie verlaufen einzelne unterscheidbare Konflikte bezüglich Bergbau in Cajamarca?
7. Wie wird der Bergbau reguliert?
Akteure in Bergbaukonflikten
8. Welche Akteure sind zu differenzieren?
9. Welche Binnendifferenzierungen innerhalb der Gruppen von Akteuren sind möglich?
10. Wie sind die einzelnen Akteure organisiert?
11. Welche Kontakte pflegen die Akteure auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene? Welche Wirkung haben diese Kontakte?
Diese Leitfragen stellte ich zu einem Leitfaden für die Expertinnen- und Experteninterviews in Cajamarca zusammen. Der Leitfaden sollte so offen formuliert sein, dass ich ihn sowohl für Bergbaugegnerinnen und -gegner wie Bergbaubefürworterinnen und -befürworter und Akademikerinnen und Akademikern wie wenig formal Gebildete einsetzen konnte.
Im Juli und August 2011 interviewte ich in Cajamarca Personen, die in den Bergbaukonflikten eine wichtige Rolle spielen. Ich gestaltete die Gespräche nach dem vorgängig formulierten Leitfaden; es handelte sich also um Leitfadeninterviews.50 Ich konnte mit insgesamt 18 Personen formelle Interviews gemäss meinem Leitfaden führen. Davon waren fünf Befürworterinnen und Befürworter und 13 Kritiker des Bergbaus.
Die ersten Kontakte sowohl zu Kritikern wie Befürworterinnen und Befürwortern kamen über Frau Dr. Noemí López Chegne zustande. Noemí López Chegne ist Dozentin an der Universidad Nacional und Musikerin, ist in Cajamarca aufgewachsen, hat dort studiert und eine akademische Karriere gemacht. Noemí López Chegne ist sowohl akademisch wie gesellschaftlich gut vernetzt. Weitere Kontakte kamen über die geführten Gespräche zustande.
Elena García López organisierte Termine und Reisen und begleitete mich zu den Gesprächen. Sie erledigte zahlreiche Telefonanrufe und sprach resolut persönlich vor, wenn es angebracht war. Elena war mir eine grosse Hilfe, mich im sozialen Geflecht Cajamarcas zurechtzufinden.
Ich führte die Gespräche in Cajamarca und Celendín in unterschiedlichen Lokalitäten durch. Die Interviews dauerten zwischen einer und drei Stunden. Wenn die Interviewpartnerinnen oder -partner einverstanden waren, zeichnete ich die Gespräche auf. Ein Bergbaubefürworter und ein Bergbaukritiker lehnten eine Tonaufnahme ab. Wir führten die Interviews ausschliesslich auf Spanisch.
Meine Frau Cecilia transkribierte die Tonaufnahmen später – eine zeitaufwändige und akustisch wie sprachlich anspruchsvolle Arbeit.
Ich anonymisierte die transkribierten Interviews und wertete sie auch anonym aus. Ich vereinbarte mit den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, dass ich ihre Namen nenne, ihre Aussagen aber anonym weiter verwende. Für die ausführlichen Gespräche danke ich: Ramón Abanto Bernal, Germán Alva García, Marco Arana, Nélida Ayay Chilón, Walter Campos, Alfredo Chávez Alvarez, Pedro David Chilón Chuquimango, Nilton Deza, Segundo Alfredo Mendoza Vasquez, Wilfredo Saavedra Marreros, Milton Sánchez Cubos, Sergio Sánchez Ibañez, Pedro Sánchez, Carlos Scerpella, Reinhard Seifert, Marcos Valdez Cadenillas, Mirtha Vasquez.
Ich habe für die Recherche schriftliche Quellen verschiedener Herkunft gelesen und ausgewertet. In diesem Unterkapitel bespreche ich die wichtigsten dieser Quellen.
Die Berichte der Defensoría del Pueblo (DP) bilden die Grundlage für die Geschichte der Konflikte zwischen Minera Yanacocha, staatlichen Stellen und der lokalen Bevölkerung.51 Die Defensoría del Pueblo veröffentlicht diverse periodische Berichte zu sozialen Konflikten in Peru. Zeitweise veröffentlichte die DP tägliche oder wöchentliche Berichte, seit 2004 regelmässig und ohne Unterbruch einen monatlichen Bericht. Dazu kommt der jährliche Bericht zuhanden des Parlaments und Sonderberichte zu besonderen Aspekten sozialer Konflikte in Peru. Die Berichte sind – technische Probleme vorbehalten – über die Internetseite der Institution zugänglich.52
Um die Konflikte zwischen Minera Yanacocha und der Bevölkerung von Cajamarca zu rekonstruieren, wertete ich die monatlichen Berichte aus. Der erste Bericht erschien im Mai 2004; er umfasst knappe 11 Seiten, die nur spärliche Angaben zu den registrierten Vorfällen enthalten. Die Defensoría del Pueblo hat die Berichte im Verlaufe der letzten zwölf Jahre stark erweitert, dazu hat sie die Berichte mit statistischen Angaben und konfliktsoziologischen Kategorisierungen ergänzt. Der monatliche Bericht vom Februar 2016 umfasst 121 Seiten, die neben den Berichten über die verschiedenen sozialen Konflikte diverse Statistiken und Grafiken enthalten.
Die Defensoría del Pueblo registriert soziale Konflikte und informiert die Öffentlichkeit. Die über Internet verbreitete Information soll eine Warnung an Politik und Verwaltung, an beteiligte Firmen, an zivilgesellschaftliche Organisationen, an die Medien und an die Gesellschaft allgemein sein. Das Ziel ist, die Konflikte innerhalb des gesetzlichen Rahmens und im Dialog anzugehen; Eskalation in Gewalt soll vermieden werden.
In den monatlichen Berichten werden die Beiträge von den 28 regionalen Büros und den 10 thematischen Modulen der Defensoría del Pueblo zusammengestellt. Die regionalen Büros der Defensoría del Pueblo garantieren unmittelbaren Zugang zu relevanten Informationen, was in einem Land wie Peru ein wichtiges Kriterium für Glaubwürdigkeit ist. Die Informationen stammen aus verschiedenen Quellen, die wichtigste ist die Nachfrage bei den Akteuren der betreffenden Konflikte.
Zur Ergänzung habe ich die Berichte des Observatorio de Conflictos Mineros in Peru gelesen. Seit Dezember 2007 gibt der Observatorio de Conflictos Mineros en el Perú halbjährlich einen Bericht über Bergbaukonflikte im Lande heraus. Die Berichte sind über die Internetseite der Organisation CooperAcción verfügbar.53 Der Observatorio de Conflictos Mineros en el Perú ist ein Medium der Nichtregierungsorganisationen CooperAcción, FEDEPAZ und GRUFIDES. Der Observatorio de Conflictos Mineros en el Perú ist Teil des Lateinamerika umfassenden Observatorio de Conflictos Mineros de América Latina (OCMAL), der über 40 Organisationen in Lateinamerika umfasst, die sich kritisch oder ablehnend mit dem Bergbau auseinandersetzen. Die lokalen oder nationalen bergbaukritischen Organisationen gründeten den kontinentalen Observatorio de Conflictos Mineros de América Latina im Jahre 2006.54