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Es ist nicht nötig, sich auf jedes Land, mit dem man als international tätige Fach- und Führungskraft zu tun hat, detailliert vorzubereiten. Dazu fehlen Zeit und Energie. Es ist aber unabdingbar zu wissen, was wir in unserem Handeln wo beachten sollten, um uns kulturadäquat zu benehmen und damit effektiver zu sein. Von zahlreichen Cartoons begleitet gibt das Buch eine erste fundierte Orientierung und verrät, in welche Richtung wir unser Verhalten und unsere professionellen Selbstverständlichkeiten in verschiedenen Regionen der Welt justieren und adaptieren müssen.Als Ratgeber der besonderen Art beantwortet das Buch auch Fragen wie »Woher kommt die kulturelle Vielfalt dieser Welt? Welche Regionen stehen sich näher, welche ferner? Welche Elemente deutscher Professionalität kommen im internationalen Geschäftsleben selbst aufgestellten Fettnäpfen gleich?«. Sylvia Schroll-Machl ordnet die Welt unter kulturellen Gesichtspunkten, charakterisiert kurz und knapp die wichtigsten Regionen und gibt psychologische Tipps. Die leichte Lesbarkeit und die vielfältigen Hinweise machen das Buch zu einer informativen und kurzweiligen Lektüre für alle, die beruflich ins Ausland gehen oder sich für interkulturelle Kompetenzen interessieren.
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Seitenzahl: 297
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Sylvia Schroll-Machl
Beruflich in Babylon
Das interkulturelle Einmaleins weltweit
Mit Cartoons von Jörg Plannerer
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 36 Abbildungen und 3 Tabellen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99720-9
Umschlagabbildung: Jörg Plannerer
© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, 37073 Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.Mwww.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Inhalt
Vorwort von Alexander Thomas
Einführung
Unsere Wahrnehmung ist deutsch geprägt
Historie – ein Leitfaden zum Verständnis von Kulturen
Gebrauchsanweisung für dieses Buch
Deutschland
Deutsche Kulturstandards
Sachorientierung
Wertschätzung von Strukturen und Regeln
Zeitplanung
Regelorientiertes, internalisiertes Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein
Trennung von Privat- und Berufsleben
»Schwacher Kontextbezug« als Kommunikationsstil (»Direktheit«)
Individualismus
Fallbeispiele
Der Schlüsseldienst
U-Bahn-Bau
Nordeuropa
Nordeuropäische Kulturstandards
Gleichheit
Flache Hierarchien
Konfliktscheu
Pragmatismus
Fallbeispiele
Møte, Møte und nochmal Møte (Norwegen)
Die Bekleidungsvorschrift (Irland)
Südeuropa
Südeuropäische Kulturstandards
Polychronie als Zeitmuster
Personbezug
Starker Kontextbezug als Kommunikationsstil
Ungleichheit und Bestimmung
Fallbeispiele
Die monatliche Besprechung (Spanien)
Das Drittgeschäft (Italien)
Beim Kunden (Italien)
Mitteleuropa
Mitteleuropäische Kulturstandards
Personbezug
Abwertung von Strukturen/Improvisationsliebe
Simultanität
Personorientiertes Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein
Diffusion von Lebens- und Persönlichkeitsbereichen
Starker Kontextbezug der Kommunikation
Konfliktvermeidung
Schwankende Selbstsicherheit
Fallbeispiele
Er hat’s doch nicht leicht (Tschechien)
Die Bilanzbesprechung (Polen)
Das Vertriebsgespräch (Tschechien)
Osteuropa
Osteuropäische Kulturstandards
Gruppenbezogenheit
Hierarchieorientierung
Emotionalität
Fallbeispiele
Die Finanzierungsfrage (Ukraine)
Die Auswahl des Geschäftspartners (Russland)
Neue Welt
Kulturstandards der Neuen Welt
Gleichheitsdenken
Pragmatismus
Individualistische Beziehungsgestaltung
»Nice Guy«
Interpersonale Distanzminimierung (»peaches« statt »coconuts«)
Fallbeispiele
Die Schaltanlage (USA)
Fehlerhafte Bauteile (Australien)
Arbeitsaufträge (Kanada)
Lateinamerika
Lateinamerikanische Kulturstandards
Personorientierung
Positives Kommunikationsverhalten
Hierarchieorientierung
Polychrones Zeitverständnis
Fallbeispiele
Die E-Mail (Mexiko)
Fax aus Deutschland (Brasilien)
Umzug (Chile)
Strategien zur Kundengewinnung (Brasilien)
Die Totenwache (Ecuador)
Konfuzianisches Ostasien
Kulturstandards im konfuzianischen Ostasien
Kollektivistische Beziehungsorientierung
Hierarchie als Ordnungs- und Organisationsprinzip
Soziale Harmonie
Gesicht
Indirekte Kommunikation
Regelrelativismus
Fallbeispiele
Kundenwünsche (Japan)
Schweigsame Zuhörer (Japan)
Computertraining (China)
Der Bankkredit (China)
Indien
Indische Kulturstandards
Hierarchie als Organisationsprinzip
Kollektivismus
Emotionalität
Konfliktvermeidung/Indirektheit
Zeit fließt
Fallbeispiele
Die Verkaufsstatistik (Indien)
Arbeitsteilung (Indien)
Südostasien
Fallbeispiel
Das Bauprojekt (Thailand)
Islamische Welt
Kulturstandards in der islamischen Welt
Polychrone Zeitnutzung/Gegenwartsorientierung
»Business is personal«
Starker Kontextbezug der Kommunikation
Hierarchie als Organisationsprinzip
Geschlechtertrennung
Dominanz der Religion
Fallbeispiele
Die Konsultation (arabische Golfstaaten)
Keinen Gewinn gemacht (arabische Golfstaaten)
Zu guter Letzt
Todsünden im internationalen Geschäft
Literatur
Übersichten
Synopse Kulturstandards
Synopse Fallbeispiele
Synopse Bände der Reihe »Handlungskompetenz im Ausland«
Vorwort
Babylon steht für Verwirrung, Orientierungsverlust, Irritationen und genau das kann keiner im Berufsleben gebrauchen. Die zunehmende Internationalisierung und Globalisierung hat allerdings die Gefahr des Orientierungsverlusts und der Verwirrung in der Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern deutlich erhöht. Interkulturelle Handlungskompetenz als unerlässliche Schlüsselqualifikation für gedeihliche Auslandsgeschäfte ist gefordert. Wie aber ist sie zu erreichen? Interkulturelle Trainingsprogramme wie sie seit 2001 für deutsche Manager, Fach- und Führungskräfte zur Vorbereitung auf die berufliche Zusammenarbeit mit Partnern in 38 Ländern entwickelt wurden und an denen die Autorin Sylvia Schroll-Machl ebenfalls beteiligt war, haben sich als brauchbares Handwerkszeug bewährt.
Nun liegt ein weiteres Buch der bekannten Trainerin für die Entwicklung interkultureller Kompetenz im Berufsleben vor, das der Tatsache Rechnung trägt, dass berufliche Auslandseinsätze in zunehmendem Maße in unterschiedlichen Ländern stattfinden und mehr und mehr plurikulturell zusammengesetzte Teams weltweit agieren. Es geht also nicht mehr nur um den beruflichen Einsatz in einzelnen Ländern, sondern in verschiedenen oft sehr unterschiedlichen Nationen oder Ländergruppen wie sie im vorliegenden Buch beispielsweise in Nord-, Süd- und Mitteleuropa, Ost-, Südost- und Zentralasien sowie die Neue Welt und die islamische Welt gegliedert sind.
Auf dem Konzept der Kulturstandards aufbauend, beginnt der Text zunächst mit Deutschland, um beim Leser ein Bewusstsein für seine eigene kulturelle Prägung zu erzeugen. Zu jeder der genannten Kulturregionen werden die beruflich relevanten Kulturstandards genannt und im Detail erläutert. Anschließend folgen aus unterschiedlichen Berufsfeldern authentische Fallbeispiele, die als irritierend erlebt worden sind. Dieses Material stammt aus Befragungen deutscher Manager, Fach- und Führungskräfte im Auslandseinsatz in den genannten Regionen. Die Wirkungen der Kulturstandards in den geschilderten Fallbeispielen werden detailliert beschrieben und erläutert sowie mit Hinweisen auf kulturell adäquates Verhalten verbunden. Selbst komplexe Zusammenhänge sind anschaulich, klar und gut nachvollziehbar geschildert.
Zur Vorbereitung auf Auslandseinsätze in sehr verschiedenartigen Ländern und die Arbeit mit Partnern unterschiedlicher kultureller Prägung sowie zum Verständnis länderübergreifender Wirkungen von Kulturstandards in beruflichen Handlungsfeldern ist das Buch sehr zu empfehlen. Es vermittelt Orientierung und ermöglicht den Aufbau eines fundierten Verständnisses für die Auswirkungen kulturell bedingter Problemstellungen im Arbeitsleben und deren Bearbeitung. Die Lektüre ist anregend und spannend. Sie fördert zudem die Fähigkeit, eigenständig Mittel und Wege, aber auch Konzepte zu entwickeln, kulturell bedingte Problemstellungen produktiv zu meistern.
Alexander Thomas
Einführung
In Zeiten massiv vorangeschrittener Internationalisierung ist das Angebot an interkulturellen Informationen zu einzelnen Ländern relativ groß. Sehr viele Führungskräfte und Mitarbeiter haben jedoch schon lange nicht mehr nur mit einer oder wenigen anderen Kulturen zu tun, sondern sind wahrlich international und multikulturell herausgefordert. Denn die Tochterunternehmen, die Lieferanten und die Kunden sind global verstreut und/oder das eigene Team ist bunt gemischt. Für exakt diese Personengruppen ist dieser Ratgeber geschrieben. Er will dem Orientierung geben in einer multikulturellen Welt, der sie dringend braucht.
Um dieses Ziel erreichen zu können, sind zwei Bedingungen maßgeblich:
1.Braucht es eine Bezugsbasis, von der aus die Welt beschrieben wird und zu der die Ländergruppen in einen Vergleich gesetzt werden.
2.Braucht es ein System, nach dem die für das Geschäftsleben wichtigen Länder gruppiert und geordnet werden können. Dies spinnt einen roten Faden und sorgt für Überblick.
Unsere Wahrnehmung ist deutsch geprägt
Lassen Sie uns mit der Definition der Bezugsbasis beginnen: Sie ist – wie könnte es in Deutschland für Deutsche anders sein – unsere deutsche Kultur. Die Leser sind vermutlich überwiegend Deutsche, das Umfeld, in dem agiert wird, besteht vielfach aus deutschen Firmen, die Forschung und Publikationen, die dem Buch zugrunde liegen, sind deutschsprachig.
So muss das Buch auch ein Kapitel über Deutschland enthalten, um uns einmal in der Nabelschau unsere deutschen Gepflogenheiten bewusst zu machen.
Im Umkehrschluss sagt aber auch die Beschreibung der Fremdkultur genauso viel über uns Deutsche aus wie über die andern, da uns als Deutsche nur das auffallen kann, was jeweils anders ist als unsere deutschen Gewohnheiten. Sprich: Wenn irgendein Merkmal, das wir gerade vergleichen, bei uns Deutschen besonders ausgeprägt ist, also z. B. deutlich stärker als im Rest der Welt, wird uns an jeder Kultur deren entsprechendes, andersartiges Muster auffallen. Das ist beispielsweise mit der Direktheit unseres Kommunikationsstils der Fall. Im Vergleich zu dem, wie wir kommunizieren, erscheinen alle anderen als impliziter – in welcher Variante auch immer. So taucht dann auch das Element »stärkerer Kontextbezug der Kommunikation« prompt in der Beschreibung jeder anderen Kultur auf. Nicht weil die anderen Länder sich so ähneln, sondern weil wir Deutsche hier so extrem sind und quasi die weltweiten Aliens darstellen!
An dieser Stelle deshalb eine Warnung: Wenn Sie das Buch insgesamt oder von vorne bis hinten lesen, werden Ihnen eben solche Wiederholungen auffallen. Diese haben exakt den soeben geschilderten Grund: Wir Deutsche weisen weltweite Extremwerte auf in puncto Sachorientierung, hinsichtlich unserer Struktur- und Organisationsliebe sowie unserer Betonung der Zeitplanung und schließlich was unseren direkten Kommunikationsstil betrifft. Da also in (fast) jeder anderen Region der Welt diesen Mustern (jeweils) andere Verhaltensvarianten gegenüberstehen, liegt es auf der Hand, dass sich viele Hinweise – und das Buch ist ein Ratgeber – ganz ähnlich lesen, obwohl sie sich jeweils auf völlig unterschiedliche Regionen dieser Welt beziehen. Die Hintergründe für die scheinbar so ähnlichen Muster können gänzlich verschieden sein und die Art, sie zu leben, kann ebenfalls divers ausfallen. Im Bild gesprochen: Die Muster stellen den Rhythmus des Tanzes dar (Walzer oder Tango?), die konkrete regionen- oder gar länderspezifische Ausformung die Melodie. Aber für uns Deutsche ist schon sehr viel gewonnen, wenn wir den Rhythmus erkennen und die richtigen Tanzschritte machen. Und die Identifikation des Rhythmus’ zu erleichtern, das ist das Ziel dieses Buchs.
Der theoretische Ansatz, dem auch dieser Ratgeber folgt, ist die Beschreibung sogenannter Kulturstandards. Das sind die in einer Kultur (ob Land oder Region) herrschenden Normen und Maßstäbe zur Ausführung und Beurteilung von Verhaltensweisen. Sie besagen, welches Verhalten als normal und typisch bzw. welches Verhalten abzulehnen ist. Solchermaßen definierte Kulturstandards einer Region bilden die Grundlage für die aufgelisteten Tipps und Hinweise. Damit gehen sie weit über Kniggeregeln hinaus, weil sie versuchen, den Werthaltungen, die hinter dem Verhalten stehen und es steuern, gerecht zu werden und damit empathisch, Respekt erweisend und vertrauensfördernd wirken. Mit anderen Worten: Ob Sie in China Ihre Visitenkarte sitzend, im Kopfstand oder linkshändig überreichen, spielt eine ziemlich untergeordnete Rolle im Vergleich dazu, was Sie anrichten, wenn Sie die herrschende Hierarchie missachten oder konfrontativ kommunizieren.
Historie – ein Leitfaden zum Verständnis von Kulturen
Das System, dem ich für meine Ausführungen folge, leite ich von der Kulturhistorie her. Wie man einen Menschen besser versteht, wenn man seine Biographie kennt und weiß, was ihn im Positiven und im Negativen geprägt hat, so erscheint auch ein Volk hinsichtlich seiner herausstechenden Eigenschaften in einem helleren Licht, wenn man seine Geschichte betrachtet. Kulturstandards haben ihre Wurzeln nämlich in bestimmten geschichtlichen Gegebenheiten und stellen sinnvolle Reaktionen auf sie dar. Weil die Menschen mancher Länder Ähnliches erlebt haben, gleichen sich auch die Kulturen mehr oder weniger, je nachdem wie ähnlich ihre Lebensbedingungen waren. Generell kann man sagen, dass nicht nur geografische Nähe kulturprägend wirkt, sondern auch Weltanschauungen (religiöse oder atheistische) und politische Systeme sowie deren Transfer per Eroberung oder Migration als »ethnisches Sozialkapital« (vgl. House, Hanges, Javidan, Dorfman u. Gupta, 2005).
Demzufolge gliedert sich das Buch innerhalb Europas in ein protestantisches Nordeuropa, ein katholisches Südeuropa, eine orthodoxes Osteuropa und in ein maßgeblich durch Fremdherrschaft von Ländern aus diesen Regionen bestimmtes Mitteleuropa. Im Rahmen der Kolonialgeschichte transferierten die protestantischen Nordeuropäer einen Großteil ihrer Ideologie und ihres Lebensstils nach Nordamerika, Australien und in die weiße Schicht Südafrikas, die katholischen Länder Südeuropas nach Lateinamerika. Diese Regionen stellen »den Westen« dar, der seinerseits letztlich auf dem Römischen Reich und dem Christentum basiert und sich durch das Auseinanderfallen des Römischen Reichs und die nunmehr unterschiedlichen regionalen Entwicklungen ausdifferenzierte.
In Asien haben wir es vor allem mit zwei großen Systemen zu tun: Indien und China. Indien ist geprägt durch eine enorme religiöse, ethnische und gesellschaftliche Vielfalt, China durch Jahrtausende langem Zentralismus und dem (atheistischen) Konfuzianismus. Von beiden Ländern ging enorme Strahlkraft aus, so dass ihr Einfluss auf Südostasien dort für viele bis heute kulturbestimmend ist – als chinesisch- oder indischstämmige Zuwanderer, aber in manchen Gegenden und Schichten auch für Einheimische.
Der Band »Beruflich in Babylon. Das interkulturelle Einmaleins weltweit« ist als ergänzender Band zu der Reihe »Handlungskompetenz im Ausland« konzipiert, die zwischen 2002 und 2015 in 40 Bänden beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen ist.1 Ich verweise nicht nur für detailliertere länderspezifische Informationen auf den jeweiligen Band der Reihe (also z. B. auf »Beruflich in den USA«, Slate u. Schroll-Machl, 2013), übernehme aus ihnen Cartoons und Fallbeispiele, sondern orientiere mich in meinen regionalen Schwerpunkten an jenen Ländern, zu denen überhaupt ein Band vorliegt. Und das ist eben für die Länder der Fall, zu denen Deutschland rege Wirtschaftskontakte unterhält, denn für diese Länder bestand und besteht eine große Nachfrage nach interkulturellem Wissen. Das trifft beispielsweise für die Golfstaaten zu, die maßgeblich islamisch geprägt sind, und denen deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet ist, dessen Essenz mit Einschränkung auch auf islamische Staaten Nordafrikas übertragbar ist. Dagegen ist die Forschungs- und Publikationslage zu den Ländern Afrikas, namentlich der Einheimischen der Region Subsahara, sehr dünn und ich kann an dieser Stelle nur auf die Bände »Beruflich in Südafrika« (Mayer, Boness u. Thomas, 2004) und »Beruflich in Kenia und Tansania« (Mayer, Boness u. Thomas, 2003) hinweisen. Auch Israel (»Beruflich in Israel«, Oberst u. Thomas, 2012) nimmt eine Sonderstellung ein, die es nicht erlaubt, das Land trotz etlicher Parallelen dem Cluster Nordamerika oder gar Europa zuzuordnen.
Oft werden fälschlicherweise innerhalb der deutschsprachigen Länder Kulturunterschiede vernachlässigt oder – meist von Deutschen – gar geleugnet. Österreichern und Schweizern ist dagegen evident, was deutsch ist, aber eben nicht für sie gleichermaßen gilt. So ist Deutschen zu empfehlen, die in Österreich oder der Schweiz zu tun haben, sich der Lektüre der folgenden Bände zu widmen:
Beruflich in Österreich (Thomas u. Lackner, 2013)
Beruflich in der Schweiz (Lechner u. Thomas, 2011)
Und den das Buch lesenden Österreichern und Schweizern ist zu sagen, dass sie sehr wohl (fast) alle Tipps, die sich auf andere Kulturen beziehen, ebenfalls beherzigen dürfen und sollen: lediglich Ihre Startposition kann manchmal eine etwas andere sein, z. B. eine ausgeprägt egalitäre in der Schweiz oder eine etwas impliziter-kommunikative in Österreich.
Gebrauchsanweisung für dieses Buch
Meinem Anspruch, einem weltweit Tätigen essenzielles Basiswissen an die Hand zu geben, will ich nun durch folgende Querlinien gerecht werden:
1.Lesen Sie bitte das Kapitel zu Deutschland. Damit wird deutlich, was wir als Normalität im Geschäftsleben betrachten und so auch von anderen erwarten.
2.Widmen Sie sich nun nach Herzenslust bzw. beruflichem Bedarf der Region/den Regionen Ihres Interesses. Was Sie jetzt beschrieben finden, sind die Dinge, die hier anders sind und somit auch anders zu handhaben sind. Die »Kulturstandards« charakterisieren diese Spezifitäten, die »Hinweise« möchten Ihnen die typischen Fehler und Fettnäpfe vermeiden helfen, die Unvorbereiteten das Leben oft erschweren.
3.Wie bereits erwähnt, werden Sie schnell erkennen, dass das protestantische Nordeuropa und darin Deutschland an mancher Stelle eine seltene bis ganz besondere Entwicklung genommen hat. So müssen dazu in Kontrast stehende Verhaltensmuster gleich an mehreren Stellen beschrieben werden. Das mache ich natürlich jeweils auf die Region bezogen. Aber da Grundlinien dieses Musters auch in anderen Regionen sichtbar sind, erstellte ich einen Überblick, was Sie zusätzlich in einem anderen Kapitel lesen könnten, wenn für Sie eines dieser Muster ganz besonders relevant ist.
4.Die Fallbeispiele sind ebenfalls so ausgewählt, dass sie nicht nur Typisches für die Region wiedergeben, sondern möglichst gut das Spektrum abdecken, an dem wir Deutsche gern auf interkulturelle Probleme stoßen.
So können Ihnen die Übersichten am Ende des Buchs (S. 259 ff.), in denen die für die Regionen charakteristischen Kulturstandards im Vergleich zu den deutschen Kulturstandards sowie die Hauptthemen der Fallbeispiele zusammengestellt sind, wirklich eine Art interkulturelle Einmaleins-Tabelle sein. Denn Sie können ihnen auf einen Blick entnehmen, 1. was die besonderen Eigenarten von uns Deutschen sind, 2. welche Muster diesen in den verschiedenen Kulturregionen entsprechen und 3. wo Sie zusätzlich nachlesen können, möchten Sie eines dieser fremden Muster noch genauer verstehen und sich entsprechende Hinweise holen, selbst wenn sie, wie gesagt, in einem anderen Kapitel in erster Linie auf diese Region bezogen sind.
Die drei Übersichten orientieren sich jeweils an einer Frage:
–Welche Muster entsprechen einander in welcher Region? (Synopse Kulturstandards, S. 260 f.)
–Was ist für uns Deutsche typisch? (Synopse Kulturstandards S. 260 f., Synopse Fallbeispiele, S. 262 f.)
–Welche Beispiele verdeutlichen das? (Synopse Fallbeispiele, S. 262 f.)
–Wo erfahren Sie mehr zu den einzelnen Ländern? (Synopse Bände der Reihe »Handlungskompetenz im Ausland«, S. 264)
Mit Hilfe der drei Übersichten können Sie sich zügig informieren und schnell zu den für Sie wichtigen Punkten im Buch vorstoßen, sollte Ihnen die Zeit für eine vollständige Lektüre des gesamten Bandes fehlen.
Abschließend noch ein Hinweis zu der im Buch verwendeten Schreibweisen: Zur Verbesserung der Lesbarkeit wurde meist die männliche Form gewählt, aber in jedem Fall sind beide Geschlechter gemeint, wenn es keinen anders lautenden Hinweis von mir gibt.
1Eine Aufstellung von sämtlichen Bänden der Reihe befindet sich im Literaturverzeichnis.
Deutschland
Global gesehen ist Deutschland als zum abendländisch-christlichen Kulturkreis gehörig den sogenannten westlichen Ländern zuzuordnen. Der abendländisch-christliche Kulturkreis speist sich zunächst einmal aus zwei Quellen: dem Judentum einerseits und den antiken griechischen Stadtstaaten andererseits. Aus dem Judentum entwickelte sich das Christentum und das Römische Reich trat in vielerlei Hinsicht das griechische Erbe an. Diese beiden Linien vereinigten sich, als das Christentum im Römischen Reich dominante Religion wurde, seine Mission entfalten konnte und die Kirche später sogar Ideen und Strukturen des zerfallenden Römischen Reichs übernahm. Mentalitätsgeschichtlich brachte das unter anderem folgende Phänomene hervor: Rechtsdenken und Gesetzesmoral, Gleichheit als Basis der Gesetze, Sachorientierung, lineare Zeitauffassung, Wertschätzung von Wahrhaftigkeit sowie Individualismus als Betonung des einzelnen Menschen und der Eigenverantwortung. Weiterentwickelt wurden diese Ideen dann in Renaissance, Reformation und Aufklärung. Dieser mentalitätsgeschichtliche Rahmen gilt trotz seiner (aus westlicher Sicht) sehr unterschiedlichen Ausformung in diversen länderspezifischen Varianten im gesamten Westen und bildet das Fundament dafür, dass man hier, wie geschehen, von einem »Kulturkreis« sprechen kann.
Bei dem Versuch, einen kurzen Überblick über die historischen Gründe für die Ausprägung der deutschen Kulturstandards innerhalb des Westens zu finden, sind vor allem folgende Linien in der deutschen Geschichte maßgebend gewesen: 1. Das lange Verharren in der Kleinräumigkeit der Territorialstaaten, in denen sich später der Absolutismus lange halten und das jeweilige Staatsgebilde weitgehend durchdringen konnte, 2. die Lehren des Protestantismus, 3. die mehrfachen existenziellen Erschütterungen z. B. durch Kriege und Epidemien, die viele Generationen von Deutschen heimgesucht haben. Diese Gemengelage ließ uns Deutsche die nun darzustellenden Kulturstandards entwickeln.
Eine genauere Darstellung findet sich in:
Die Deutschen – wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben (Schroll-Machl, 2013a)
Doing Business with Germans. Their Perception, our perception (Schroll-Machl, 2013b)
Deutsche Kulturstandards
Wenn Sie Deutscher sind, sollten Sie sich folgender Kulturstandards bewusst sein, denn diese prägen Ihr eigenes Verhalten maßgeblich.
Sachorientierung
In jeder Interaktion zwischen Personen spielen zwei Ebenen eine Rolle: die Beziehungs- und die Sachebene. Deutschland ist weltweit die im Berufsleben am wenigsten »humanorientierte« Kultur (vgl. House et al., 2005) oder anders gesagt: die sachlichste. Für Deutsche ist es besonders charakteristisch, sich im Berufsleben vorwiegend als zielorientierte, ihrer Sache verpflichtete Funktionsträger zu definieren und auch ihre Geschäftspartner so wahrzunehmen. Für Deutsche sind die Sachebene, um die es geht, die Rollen und die Fachkompetenz der Beteiligten ausschlaggebend. Die Motivation zum gemeinsamen Tun entspringt der Sachlage, eventuell den Sachzwängen, seien sie finanzieller oder technischer Art. In geschäftlichen Besprechungen »kommt man zur Sache« und »bleibt bei der Sache«. Ein »sachliches« Verhalten, das heißt die weitgehende Kontrolle von Emotionen, ist es, was Deutsche als professionell schätzen: Man zeigt sich zielorientiert und argumentiert mit Fakten. Wenn man sich kennt oder gar mag, ist das ein angenehmer Nebeneffekt, doch nicht primär relevant. Die Sache ist der Dreh- und Angelpunkt des Tuns und bestimmt auch den Kommunikationsstil. Etwaige persönliche Empfindlichkeiten sind da schon mal hintan zu stellen; sogar etwaige Rangbeziehungen der Gesprächspartner, wie etwa Vorgesetzter und Mitarbeiter, können zugunsten der Diskussion der Sache in den Hintergrund treten und es kann wie unter Gleichgestellten diskutiert werden.
Aber nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in der Alltagskommunikation des öffentlichen Raums genießen in Deutschland Sachthemen Priorität vor persönlichen Angelegenheiten und der Schilderung persönlicher Lebensumstände.
Wenn Sie als Deutscher nun interkulturell kompetent und erfolgreich agieren wollen, sollten Sie somit Folgendes bedenken:
–Seien Sie sich bewusst, dass es genau diese deutsche Sachorientierung ist, die oft unsympathisch wirkt und Stereotype wie Kälte, Unnahbarkeit, Arroganz, ja oft sogar den der Aggressivität nährt.
–Es ist überall darauf zu achten, dass die Beziehungsebene gepflegt und ausgebaut wird und zwar bewusst und viel mehr, als das jeweils in Deutschland üblich wäre. Reisen und persönliche Begegnungen sind deshalb unabdingbar und durch nichts zu ersetzen! Und vor Ort geht es nicht nur darum, mit Kunden und Kollegen essen zu gehen oder außerhalb der Arbeitszeit etwas zu unternehmen. Noch wichtiger ist, darauf zu achten, wie das gesagt wird, was im Laufe der Zusammenarbeit eben gesprochen wird. Die Menschen in anderen Kulturen sind empfindsamer (»mimosenhafter«) und schneller gekränkt und wollen über eine angenehme Arbeitsatmosphäre motiviert werden.
–Ergänzen Sie Ihre Sachorientierung um Elemente des Gegenpols: Personorientierung. Zeigen Sie sich als Mensch, als Persönlichkeit, gehen Sie auf diesbezügliche Themen ein und interessieren Sie sich auch umgekehrt für Ihren Partner auf dieser Ebene. Dabei sind Partner aus weniger sachorientierten Kulturen sehr wohl an guten Arbeitsergebnissen interessiert, nur sehen sie keine Möglichkeit, bei gestörten oder kaum existenten sozialen Beziehungen ein gutes Resultat zu erreichen.
–Ohne Zugang zu den Menschen hilft oft alle Sachlichkeit nicht. Bemühen Sie sich, zu Beginn einer Kooperation eine Beziehungsebene herzustellen und die Sachebene weniger energisch zu verfolgen. Schaffen Sie dazu Foren für persönliche Begegnungen. Nur wenn man sich kennenlernt, kann eine gewisse Vertrautheit entstehen, die in personorientierteren Kulturen die beste Basis für eine Zusammenarbeit ist. Das Gefühl, in guten Händen zu sein, stellt sich nicht beim Anhören langer Listen von Produkt- oder Firmenvorzügen oder mit detaillierten Informationen ein, sondern beim Small Talk oder bei gemeinsamen Aktivitäten. Und vergessen Sie bei bestehenden persönlichen Beziehungen nicht die Kontaktpflege!
–Wenn die anderen sich für Sie interessieren und Sie beispielsweise über Ihr persönliches Leben ausfragen, oder wenn andere offensichtlich persönliche Informationen über Sie an Kollegen weitergegeben haben, dann vermuten Sie hier nicht eine Aufdringlichkeit und eine Art Geheimdienst, sondern sehen Sie das als Zeichen von Wertschätzung und als Zeichen guter Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.
–Investieren Sie in die Beziehung zu denen, mit denen Sie regelmäßig zu tun haben (im wörtlichen Sinn durch ein entsprechend ausgestattetes Reisekostenbudget, im übertragenen Sinn durch Aufgeschlossenheit und Kontaktbereitschaft). Nehmen Sie sich Zeit für die Beziehungspflege und zwar nicht nur nach Dienstschluss, sondern immer: im Small Talk zwischendurch, aber vor allem auch mit einer freundlichen, geduldigen Art der Formulierung ihrer sachlichen Anliegen.
–Bemühen Sie sich um die Herstellung eines echten Kontakts, wie er zu Ihnen und Ihren Kollegen passt; suchen Sie nach dem, was Ihnen Brücke zum anderen sein kann. Wenn Sie nichts finden, ist es besser, neutral zu bleiben als aufgesetzt freundlich zu erscheinen.
–Im Idealfall sollte es Ihnen möglich sein, für (sachliche) Probleme eine persönliche (individuelle, situativ angepasste) Lösung zu suchen, die erkennbar die Bedürfnisse der nicht-deutschen Kollegen und Mitarbeiter einbezieht und deren Leistungen wertschätzt. Dann erscheinen Sie als jemand, der sein Gegenüber ernst nimmt und nicht nur stur seine Ziele verfolgt.
–Beachten Sie in anderen Kulturen auch die informelle Ebene! Die offizielle/formelle ist – provokant gesagt – oft die Ebene der »Show für die Machthaber«. Aber alles, was man wirklich meint und was tatsächlich wichtig ist, bespricht man informell. Suchen Sie nach solchen Situationen z. B. beim Essen, in der Kaffeepause, wenn man sich auf dem Gang trifft, bei zufälligen Begegnungen außerhalb der Firma etc. Einladungen sind in vielen Kulturen das Ritual zur Pflege dieser informellen Beziehungen. Achtung bei offiziellen Meetings, Telekonferenzen, Videokonferenzen! Sie repräsentieren die formelle Ebene. Vieles kann hier daher nicht besprochen werden, manches wird abgenickt, anderes wird später nachgeschoben etc. Achtung auch bei Berichten: sie sind oft schöngefärbt!
Wertschätzung von Strukturen und Regeln
In Deutschland gibt es unzählige Regeln, Vorschriften, Verordnungen und Gesetze. Ihre Vielzahl sowie ihre enge und starre Auslegung, ihre strikte Einhaltung und die rigide Zurechtweisung oder Bestrafung bei Regelverletzungen sind im Vergleich zu anderen Kulturen, in denen selbstverständlich ebenfalls Regeln das Zusammenleben organisieren, bei uns das Besondere. Es bestehen implizite Regeln des Umgangs miteinander (z. B. Termine für vieles), Vorschriften für den Alltag (z. B. Mülltrennung), Verordnungen für das öffentliche Leben (z. B. Straßenverkehr), Normen und Prozesse im beruflichen Leben. All diese Regelungen werden angewandt und wenig hinterfragt. Ihre Einhaltung wird für selbstverständlich erachtet und ihre Verletzungen werden geahndet, mitunter sogar von völlig unbeteiligten Personen.
Deutsche lieben also Strukturen. Dahinter steckt das Bedürfnis nach einer klaren und zuverlässigen Orientierung, nach Kontrolle über eine Situation, nach Risikominimierung und prophylaktischer Ausschaltung von Störungen und Fehlerquellen.
Für das soziale Leben heißt das, dass damit das Ideal der Gleichbehandlung verfolgt wird. Regeln und Gesetze gelten nämlich für alle gleichermaßen, Ausnahmen werden eher selten gemacht, da Deutsche mit »gleichen Normen für alle« auch Gerechtigkeit assoziieren. Zur Regelung des formellen Umgangs miteinander benutzen Deutsche oft Verträge; sie erlauben es, sich bei unvorhergesehenen Ereignissen auf eine gemeinsame Basis zu berufen. Personunabhängige Strukturen, Grundsätze und Regeln bestimmen das Unternehmensgeschehen.
Mit der zunehmenden Bedeutung von IT-Prozessen in Unternehmen erfasst die deutsche Organisationsliebe zunehmend alle Bereiche. Prozesse oder Systeme dominieren das gesamte Geschäftsleben und definieren die Art und Weise der Kooperation bis ins Kleinste und quasi unentrinnbar. In Kombination mit der deutschen Sachorientierung scheint dabei manchmal sogar das Ideal zu herrschen, Kooperation komplett anonym und unpersönlich zu organisieren.
In ihrer Begeisterung für Organisation und Planung lieben Deutsche Matrixstrukturen. Macht, Entscheidungsbefugnis und Kompetenz sind durch eine weitgehende Dezentralisation und Delegation auf viele Personen verteilt. Denn so wollen wir alle möglichen wichtigen Aspekte in der Kooperation zwischen den verschiedenen Bereichen und Aufgaben in einem Unternehmen besonders effektiv miteinander verzahnen. Dazu wird viel Zuständigkeit relativ weit nach unten delegiert, und die ebenfalls definierten Prozesse sowie das regelorientierte Pflichtgefühl (vgl. folgenden Kulturstandard) stellen sicher, dass die Arbeit hier auch getan wird.
Doch Organisation hemmt Spontaneität und Flexibilität und dies ist dann auch die Kehrseite der deutschen Wertschätzung von Strukturen und Regeln.
Wenn Sie interkulturell kompetent und erfolgreich agieren wollen, sollten Sie somit Folgendes bedenken:
–Gehen Sie auf keinen Fall davon aus, dass die Systeme, Prozesse, Wünsche, Anliegen, Forderungen, die Sie erklären, einleuchtend sind. Wahrscheinlich sind sie es gegenüber Menschen aus Kulturen mit einer eher lockeren Einstellung zu Strukturen aller Art zunächst einmal nicht.
–Überlegen Sie sich bei der Erfüllung Ihrer Aufgabe, wo Sie Spielräume haben: Was muss unbedingt sein? Wo können Sie für sich selbst kleine Abstriche machen, um dem internationalen Partner entgegenzukommen? Anders formuliert: Konzentrieren Sie sich auf das Prinzip einer Regelung, aber verfolgen Sie nicht jedes Detail. Sonst wirken Sie autoritär und lösen unweigerlich Widerstand aus. Gut ist die Strategie, etwas als Vorschlag zu bezeichnen und zu diskutieren, mit eigenen Erfahrungen und der eigenen Einstellung zu argumentieren und überzeugend wirkt paradoxerweise oft gar das Eingeständnis eigener Zweifel an manchen Vorgaben, denn jetzt sind Sie in den Augen des anderen ein glaubwürdiger Mensch, kein sturer Missionar.
–Argumentieren Sie nicht mit der Norm an sich, sondern mit der eigenen Erfahrung, mit eigenen Beobachtungen in ähnlichen Fällen und mit der persönlichen Einstellung zur Norm (selbst wenn diese an manchen Stellen eine skeptische ist). Das gilt dann als realistisch und nicht als abgehoben idealistisch.
–Erklären Sie Ihre Struktur! Erläutern Sie Hintergründe, Kontext, Zielsetzung, also weswegen Sie was wie wollen oder brauchen. Nur dann haben Ihre Anliegen eine Chance, begriffen und eingehalten zu werden, ohne dies erscheinen sie als reiner oder sogar autoritärer Willkürakt.
–Wenn Sie klar und deutlich machen, wann Ihre Struktur abgeändert werden kann und wann weshalb nicht, dann ist die Einhaltung einer notwendigen Norm anderen viel leichter möglich, weil sie Sie damit nicht nur als stur, sondern auch als durchdacht erleben.
–Entwickeln Sie mit Ihren Partnern die Strukturen gemeinsam, übertragen Sie nicht einfach vorhandene auf eine neue Kooperation. Ihr Partner kennt seine eigene Situation sicher besser als Sie. Nur so können Sie zu einer Struktur kommen, die die Interessen Ihres Partners und Ihre eigenen abdeckt. – Und Sie wirken nicht ignorant und autoritär, was sonst leider schnell unterstellt wird.
–Machen Sie sich klar, dass eine Matrixorganisation in den meisten Ländern dieser Welt auf größte Schwierigkeiten stößt, weil dort das Organisationsprinzip »Hierarchie« heißt (personifiziert durch die jeweiligen Chefs) statt (abstrakte, unpersönliche) Planung. Sie laufen Gefahr, Ihr Gegenüber geradezu zu beleidigen sowie Ihre Mitarbeiter zum Misserfolg zu verdammen, wenn Sie nicht zuerst rangadäquat von Chef zu Chef und dann erst top-down kommunizieren, sondern gleich die laut Matrix Zuständigen »an die Front schicken«.
Zeitplanung
Die soeben beschriebene Haltung der Wertschätzung von Strukturen und Regeln hat einen starken Einfluss auf den Umgang mit Zeit. In Deutschland werden Termine genau geplant und es wird erwartet, dass zeitliche Vorgaben eingehalten werden. Pünktlichkeit und Termintreue sind keineswegs nur eine Frage der Höflichkeit, sondern zeitliche Zuverlässigkeit ist für den Aufbau von Vertrauen und ein positives Image, in dem man als verlässlich, interessiert und professionell erscheint, unabdingbar.
Deutsche haben zudem die Vorstellung, dass es optimal wäre, das Leben auf eine konsekutive Art organisieren zu können, in der man sich 1. über eine anstehende Handlung Gedanken machen und sie planen kann, 2. diese Planung dann ohne Unterbrechungen und Störungen umsetzen kann, um 3. schließlich sein Ziel zu erreichen. Kommt es zu Störungen, dann wird eher nicht spontan gehandelt, sondern der Zeitplan revidiert (und die Verspätung sozusagen mit einem Ersatzplan organisiert).
Deutsche sind beruflich wie privat verplant. Deshalb lässt ein voller Terminkalender auch für spontane, kurzfristige Begegnungen, Gespräche oder Besuche keinen Spielraum, und deshalb muss man in Deutschland für (fast) alles einen Termin vereinbaren.
Wenn Sie interkulturell kompetent und erfolgreich agieren wollen, sollten Sie somit Folgendes bedenken:
–Erwarten Sie von Menschen aus anderen Kulturen keine sklavische Pünktlichkeit. Sie planen oft schlicht weniger präzise und definieren Dringlichkeit oft weniger als Bemühen um Termintreue an sich, sondern deutlicher person- und situationsabhängig (Wer möchte was?).
–Bauen Sie sicherheitshalber von vornherein Zeitpuffer ein (die Sie aber für sich behalten!).
–Wenn Sie etwas unbedingt benötigen, befleißigen sie sich des Instruments des Follow-ups (Nachverfolgens) und verdeutlichen Sie dabei Dringlichkeit und Wichtigkeit Ihres Anliegens, indem sie die Zwänge, in denen Sie stecken, offenlegen. Das Wort »Zeitpunkt« ist in viele Sprachen gar nicht zu übersetzen, ein Symptom dafür, dass es nicht nachvollziehbar ist, dass Termine einen derartigen Druck darstellen können.
–Seien Sie sich dessen bewusst, dass der Ausspruch »Ich habe keine Zeit« für Menschen aus vielen Kulturen eine schallende Ohrfeige ist, die sie sich überhaupt nicht erklären können.
Regelorientiertes, internalisiertes Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein
Dass die Strukturen, Prozesse und Zeitpläne Realität werden, hat eine zentrale Voraussetzung, die der Inhalt dieses Kulturstandards ist: Alle Beteiligten haben verlässlich zu sein. Eine Sache ist organisiert und jetzt wird von allen erwartet, dass sie sich exakt an ihre Zuständigkeit halten und ihre Aufgabe erfüllen. Nur in diesem Zusammenspiel aller funktioniert das System. Das bedeutet, dass alle den im jeweiligen Kontext vorhandenen Regeln, Systemen, Strukturen Folge leisten. Es ist somit notwendig:
–sich im beruflichen Feld an Kompetenzen und Rollen zu halten;
–Absprachen, Vereinbarungen, Zusagen und Versprechen einzuhalten;
–Entscheidungen umzusetzen;
–Vorgaben exakt zu erfüllen;
–zeitliche Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu zeigen;
–den eigenen Handlungsspielraum als Verantwortungsspielraum wahrzunehmen;
–proaktiv die nötige Initiative zu ergreifen und bei Fragen und Problemen von sich aus auf andere zuzugehen, die davon betroffen sind – seien das Kollegen, Kunden, Chefs (Stichwort: Bringschuld).
Geschieht das, gilt jemand als zuverlässig, korrekt, gewissenhaft und er ist ein geschätzter Mitarbeiter oder Kollege, und er verdient Vertrauen.
Anders gesagt: Deutsche haben eine starke Identifikation mit der eigenen beruflichen Tätigkeit. Sie nehmen ihre Arbeit, ihre Rolle, ihre Aufgabe und ihre damit verbundene Verantwortung sehr ernst. Sie möchten das, was sie machen, gut machen und sind konzentriert bei der Sache. Verlässlichkeit wird somit nicht vorrangig dadurch erreicht, dass es Instanzen gibt, die von außen kontrollieren, sondern dass jeder an seinem Platz von sich aus das tut, was von ihm erwartet wird. »Deutsche machen vieles ohne ersichtlichen Zwang«, sagen nicht-deutsche Beobachter. Der deutsche Handelnde hat nämlich gar nicht mehr das Gefühl, dass er Erwartungen anderer erfüllt, weil es ihm selbstverständlich ist, das zu tun. Er hat sich im Prozess der Planung, der Strukturierung oder als er die Stelle antrat, mit den Aufgaben bereits identifiziert. Das ist mit Internalisierung gemeint: Per Einsicht in die Notwendigkeit bzw. Optimalität bestimmter Regeln oder Verfahrensweisen kontrolliert sich ein Individuum weitgehend selbst. Es hält sich dabei entweder an vorgegebene Normen oder an selbst erstellte Pläne. Diese Selbststeuerung erlebt eine Person von innen gesehen weithin als persönliche Autonomie und Selbstbestimmung. Man wird gewissermaßen zum Überzeugungstäter, da man die Entscheidungen und Regeln als sinnhaft empfindet.
Wenn Sie interkulturell kompetent und erfolgreich agieren wollen, sollten Sie freilich Folgendes bedenken:
–Gewöhnen Sie sich an, in anderen Kulturen für jede Vorgabe deren Hintergründe und die Zusammenhänge, in denen sie steht und zu sehen ist, ausgiebig zu erläutern. Sonst wird eine Norm leicht als willkürlich (gar als Schikane?) betrachtet und natürlich nicht eingehalten. Es reicht also nicht, das Wie eines Prozesses zu erklären, sondern entscheidend ist auch das Warum.
–Der Schlüssel zur Motivation von Menschen aus vielen anderen Kulturen liegt sehr oft im persönlichen Bereich. Sie machen Dinge vielfach nicht in erster Linie wegen einer sachlichen Notwendigkeit, sondern für eine konkrete Person (z. B. den Chef, den Kollegen). Suchen Sie also hier nach motivierenden Ansätzen! Der Verweis auf einen Plan oder eine Struktur hilft oft gar nicht und wirkt lediglich autoritär.
–Wo immer es um die Erstellung von Strukturen und Plänen geht, ist es natürlich am besten, die Beteiligten in die Planung miteinzubeziehen und die Vorhaben gemeinsam voranzutreiben. Lassen Sie Diskussionen über den Sinn einer von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahme zu. Fragen Sie, was man wie machen könnte und geben Sie Raum für Initiativen. Setzen Sie von anderen eingebrachte Ideen auch um und diskutieren Sie nicht nur zum Schein. Gestehen Sie unter Umständen zwei Wege zur Lösung zu, um die Prozesse zu prüfen.
Trennung von Privat- und Berufsleben
Deutsche nehmen eine strikte Trennung der verschiedenen Bereiche ihres Lebens vor. Sie differenzieren ihr Verhalten sowohl deutlich danach, in welcher Sphäre sie mit einer anderen Person zu tun haben als auch danach, wie nahe sie einer anderen Person stehen.
Berufstätige Deutsche unterscheiden klar zwischen ihrem Berufsleben und ihrem Privatleben:
–Deutsche arbeiten während der Arbeit und »leben« in ihrer Freizeit, das heißt nach Feierabend, am Wochenende, im Urlaub. Am Arbeitsplatz hat die Arbeit Vorrang und alles andere tritt an die zweite Stelle. Im Privatleben nehmen Beziehungen, Familie, Freunde, persönliche Neigungen und Interessen die ganze Person in Anspruch.
–Im Beruf ist man sachorientiert, privat beziehungsorientiert gegenüber der Familie und Freunden.
–Im Beruf ist man zielstrebig, privat will und muss man (auch) entspannen.
–Im Beruf widmet man sich den jeweiligen Sachinhalten mit großem Aufgabenbezug, im Privatleben frönt man unter Umständen ganz anderen Neigungen (z. B. als Hobby) und schafft seinem Gemüt Ausgleich. Manchmal scheint es, als hätte man es mit zwei verschiedenen Menschen zu tun – im äußeren Erscheinungsbild, im Verhalten, in der Stimmung.
–Kontakte des Berufslebens werden im Privatleben nur unter bestimmten Bedingungen (vgl. Distanzdifferenzierung) fortgesetzt. Mitteilungen aus dem Privatleben erfolgen im Berufsleben ausgewählt, dosiert und eher spärlich.
–Die Verfügungsmacht eines Vorgesetzten beschränkt sich auf die Arbeitszeit, Eingriffe in Privatangelegenheiten würde sich ein Mitarbeiter verbieten; eine über den Arbeitsvertrag hinausgehende Fürsorgepflicht des Unternehmens besteht nicht und wird auch nicht erwartet.
Mit der Trennung von Berufs- und Privatleben hängen die folgenden drei Unterscheidungen eng zusammen:
Rolle – Persönlichkeit:
Deutsche definieren die Rollen, die zu bestimmten Positionen gehören, klar. Professionalität bedeutet, man weiß um seine Rolle in allen Facetten – bis hin zu Kleinigkeiten. Und man hält diese Rolle auch ein. Die Person, die hinter der Rolle steht, ist häufig in vielerlei Hinsicht schillernder. Doch sie kann und wird nur einen Teil ihrer Persönlichkeit in ihrer Rolle ausleben.
Emotionalität – Rationalität:
Deutsche bemühen sich, ihre Gefühle und die objektiven Fakten auseinanderzuhalten. Rationalität ist somit der Persönlichkeitsbereich, der beruflich aktiviert wird und die Basis für die Sachorientierung darstellt. Emotionalität ist dagegen im Privatleben dominanter.
Formelle – informelle Ebene:
Die normale Arbeit findet auf der formellen Ebene und in offiziellen Kanälen statt, also in Besprechungen, laut Protokollen, gemäß der Prozesse. Die informelle Ebene (Teeküche, Bekanntschaften, Vieraugengespräche etc.) kann die formelle Ebene ergänzen, darf sie aber nicht ersetzen.
Das »Zwiebelmodell«:
Als durchgängiges Muster kann für Deutsche gesagt werden, dass sich der Kontakt von Verschlossenheit, Distanziertheit und formalem Verhalten allmählich zum Vertrauten hin bewegt, und dass die anfängliche Dominanz von Sachgesprächen und Rationalität zunehmend größerer Emotionalität, Herzlichkeit und Personorientierung weicht.
Die Annäherung erfolgt Schritt für Schritt in Stufen:
1.neutrales, rollenkonformes Verhalten zu Beginn (gegenüber Fremden, Bekannten, Kollegen);
2.schrittweises Sichnäherkommen mit zunehmender emotionaler Öffnung (gegenüber individuell gewählten Freunden);
3.Freundlichkeit bis Herzlichkeit, volle Zugänglichkeit zum Persönlichkeitskern, wechselseitige Verpflichtung (gegenüber der Familie und besten Freunden).
Wenn Sie interkulturell kompetent und erfolgreich agieren wollen, sollten Sie somit Folgendes bedenken:
–Persönliches und Emotionales wirkt in vielen Kulturen sympathisch, glaubwürdig und daher überzeugender. In diesem Sinne ist weniger rein sachlich zu sein und ausschließlich als Fachexperte aufzutreten, professional zielführender. Argumentieren Sie also persönlicher, d. h. unter Bezug auf Ihre persönliche Einstellung, auf die Bedeutung und die Konsequenzen, die etwas für Sie hat.
–Seien Sie etwas weniger distanziert, etwas lockerer, persönlicher. Ihre Rolle perfekt auszufüllen beeindruckt nur, wenn Sie sie mit einer persönlichen Note versehen. Das kann eine menschliche Geste, eine lockere Bemerkung oder etwas Humor sein – je nachdem, was zu Ihnen passt.
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