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Bei diesem Band handelt es sich um eine Interventionsstudie, an der sowohl NeuntklässlerInnen als auch Auszubildende der Hotellerie teilnahmen. Die Studie untersucht das Schreiben im berufsorientierten Kontext empirisch, zentral ist dabei vor allem die Frage, über welche Schreibperformanz SchülerInnen beim Schreiben von Bewerbungsanschreiben und unverlangten Angeboten im Laufe des Schreibprojekts mithilfe des "Self-Regulated Strategy Development"- Ansatzes verfügen. Zur Beantwortung wurden sowohl die Schreibprodukte als auch -prozesse primär erhoben und überwiegend quantitativ ausgewertet.
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Seitenzahl: 381
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Winnie-Karen Giera
Berufsorientierte Schreibkompetenz mithilfe von SRSD fördern
Evaluation eines schulischen Schreibprojekts
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]
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ISBN 978-3-8233-8373-4 (Print)
ISBN 978-3-8233-0205-6 (ePub)
Für meinen wunderbaren Sohn Friedrich
„Text is all around you“ (Dürscheid, 2007:3).
Schreiben – wir schreiben, um unsere Gedanken zu Papier zu bringen und Gedanken durch das Schreiben weiterzuentwickeln.1 Schreiben ist schöpferisch und kreativ sowie emotional gesteuert. Schreiben verbindet Körper, Geist und Seele. Schreiben verbindet den Schreiber mit einem Leser – einem Adressaten oder Adressatenkreis. Die eigene Person beeinflusst den Schreibprozess, lenkt ihn durch die eigene Anstrengung und Motivation. Jeder Mensch schreibt anders und entwickelt einen eigenen Stil. Die ‚Handschrift‘ eines Textschöpfers ist auch auf getipptem Papier durch die Wortwahl und deren Verbindungen zu einzelnen Wortgruppen sowie Sätzen zu erkennen. Schreiben ist somit zunächst einmal immer individuell.
Der Umgang mit Sprache hat generell eine kommunikative und kognitive Funktion (Quasthoff & Heller, 2014:7). Wir schreiben daher auch zu kommunikativen Anlässen in einem sozial-kulturellen ‚Raum‘. Wer schreibt, richtet seinen Text an einen realen oder fiktionalen Empfänger. Schreiben gehört zu unserer Kultur. Schreiben als kulturelle Technik und Schlüsselkompetenz ist eine Fähigkeit, die in der Genese unserer Gesellschaft diverse Funktionen erfüllt. Sofern der Text für andere bestimmt ist, können anhand eines Textes Erkenntnisse vermittelt werden. Diese können auch zu einer Handlung auffordern und praxisstiftend sein. Somit entstehen Texte in sozialen Kontexten (Ehlich, 1994:20). Schreiben ist in unserem Alltag gegenwärtig, ob beim Bewerben, beim Reklamieren einer beschädigten Ware oder beim Ausfüllen von Versicherungsformularen. Schreiben ist Alltagskultur. Unser tägliches sprachliches und berufliches Handeln ist geprägt von Texten, auf mündlicher und auch schriftlicher Ebene. Das Schreiben von und der Umgang mit professionellen Textsorten wie dem Brief ist im späteren (Berufs-)Leben alltäglich, denn auch in diesem Fall ist die Intention, dass der berufliche Anlass eine „soziale Interaktion“ (Heinemann, 2008:114) zwischen Schreiber und Adressaten verlangt. Die damit verbundenen beruflichen Ziele und daraus resultierenden Handlungen sollten als „kommunikative Funktion“ (Heinemann, 2008:115) erfüllt werden. Sowohl der Begriff Alltagskultur als auch der Begriff Schreibkultur sind kritisch zu betrachten, da das Schreiben immer noch von der Macht einer sozial höheren Schicht geprägt ist, die nicht alle Schüler für den sozialen Aufstieg überwinden können (Koch & Pielow, 1984:66).
Der globale Arbeitsmarkt benötigt jedoch Fachkräfte, die über Schreibfähigkeit verfügen (Becker-Mrotzek & Böttcher, 2006:23). Das Europäische Parlament hat daher acht Schlüsselqualifikationen für das lebenslange Lernen formuliert (European Union, 2006: o. S.). Vier dieser Kompetenzen sind für das berufliche Schreiben relevant und damit der Hintergrund dieser Arbeit: Die erste Kompetenz ist die „Kommunikation in der Muttersprache“, sowohl mündlich als auch schriftlich (ebd.), bei der zweiten handelt es sich um die „Digitale Kompetenz“, z.B. das Schreiben am PC. Die dritte ist, das „Lernen zu lernen“ (ebd.), was besonders die Selbstorganisation und eine Vielzahl von Methoden in sich birgt. Als vierte Kompetenz ist, die „Soziale und gesellschaftliche Kompetenz“ (ebd.) aufzuzählen, die für das spätere Berufsleben einen wichtigen Erfolgsfaktor bildet. Nicht nur die EU, sondern auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz OECD) ordnet das Schreiben als relevant ein. Die Schreibkompetenz kann im Berufsleben als „Information-processing skill“ (OECD, 2013:143) neben den Schlüsselqualifikationen wie „Co-operating or collaborating with co-workers“ (ebd.) und „Self-organizing skills“ (ebd.) eingeordnet werden.
Berufliches Schreiben erfordert somit soziale, methodische und fachliche Kompetenzen, die in der Schule vermittelt werden sollten. So werden geschäftliche und halbprivate Briefe nicht nur von einer Person, sondern meist von einem Team erarbeitet. Das kann beim Layout beginnen, Tipps für das Formulieren dieser Briefe sein, das wiederholte Durchlesen, Überarbeitungstipps oder letztendlich auch die Unterschrift der Geschäftsleitung betreffen.
Es kann zunächst festgehalten werden, dass das Schreiben ein basales Werkzeug mit vielfältigen Funktionen ist, die mehr oder weniger ineinandergreifen (Becker-Mrotzek & Böttcher, 2006:16). Schreiben hat somit eine gesellschaftliche, kulturelle Bedeutung und fördert die kognitive Entwicklung, psychische Entlastung sowie Kommunikation miteinander (Fritzsche, 2003:201f.).
Schreiben ist jedoch auch institutionsgeleitet und ermöglicht „[…] die Teilhabe an der ‚schulischen Bildungssprache‘ […]“ (Schründer-Lenzen, 2009:122). Schreibanfänger wagen zunächst den Schritt des Drauflosschreibens. Sie brechen Normen und Konventionen. Erst im Laufe der Schulzeit berücksichtigen sie Rechtschreib- und Grammatikregeln, setzen Punkte und Kommata, erlernen Textsorten und die damit verbundenen Vertextungsmuster. In dieser Phase kann es gelingen, aus Schreibanfängern motivierte Schreiber bis hin zu Schreibexperten zu bilden. Die Aufgabe der Institution Schule ist es, das Schreiben im Unterricht zu etablieren, gerade mit Blick auf Alltagstexte, die zu langfristigen Verträgen wie dem Kaufvertrag oder dem Arbeitsvertrag führen. Daher werden didaktische Konzepte für das Schreiben verlangt, die keinen Schüler zurücklassen, sondern deren Schreibkompetenzen erweitern. Für Schüler mit geringer literaler Bildung ist es zwingend notwendig, „[…] mangelnde Lerngelegenheiten im außerschulischen Umfeld durch institutionelle Förderung zu kompensieren“ (Stanat et al., 2010:202).
Mit zunehmender Schulzeit rückt daher die Schreib- und Textkompetenz in den Fokus fast aller Unterrichtsfächer. Schulerfolg ist mit einer „[…] adäquaten Beherrschung der deutschen Sprache verbunden. Sie ist das Kommunikationsmedium in und mit der Mehrheitsgesellschaft“ (Steinmüller, 2006:322). Somit nimmt die Schreibkompetenz eine wichtige Position für den Schulerfolg ein. Die meisten theoretischen Abschlussprüfungen sind schriftlich, ob die Ausbildungsprüfung der beruflichen Kammern, die Schulabschlussprüfung für den Hauptschul- bzw. Realschulabschluss oder auch das (Fach-)Abitur, selbiges gilt für Aufnahmeprüfungen an der Universität oder in Unternehmen:
„Wer nicht schulsprachlich schreiben kann, ist in allen Fächern – auch bei inhaltlich durchaus richtigen Antworten – in der Bewertung benachteiligt, auch weil der Anteil der schriftlichen Leistungen an der Gesamtbewertung enorm hoch ist“ (Neumann, 2010:14).
Im Deutschunterricht der Sekundarstufe I schreiben Schüler in erster Linie für den Lehrer. Schreibkonventionen und -normen nehmen mit zunehmender Klassenstufe eine bedeutende Rolle ein. Hinzu kommt der Zeitdruck. Die Anzahl der Deutschstunden ist im Gegensatz zur Grundschule geringer. Schreiben braucht jedoch Zeit: Zeit zum Planen, zum Besprechen, zum Überarbeiten, zum Vorstellen und zum Reflektieren. Der Kompetenzbereich Schreiben umfasst in der Sekundarstufe das Unterrichten von „Schreibhaltungen (narrativ, informativ, argumentativ)“ (Abraham & Frederking, 2017:58) sowie von „Text- und Schreibmustern (erzählen, berichten, beschreiben, erklären, erörtern etc.)“ (ebd.). Anhand von Textbeispielen werden Textmuster vermittelt. Beim Schreiben sollen zum einen die Subprozesse Planen und Überarbeiten und zum anderen Schreibstrategien verknüpft mit schulischen Textmustern vermittelt werden.
Längerfristige Schreibprojekte fördern die aufgezählten Kompetenzbereiche des Schreibens, die Schreibzielsetzung und individuelle Schreibentwicklung (Abraham & Frederking, 2017:70). Die Schreibkompetenz kann somit längerfristig und nachhaltig reifen:
Zur Studien-, Ausbildungs- und Berufsbefähigung trägt dieser Kompetenzbereich Wesentliches bei, indem er die Lernenden mit der Schriftlichkeit vertraut macht und ihnen Textsorten näherbringt, die einerseits zur Kommunikation in Alltag und Beruf (z.B. sachlicher Brief, Protokoll), andererseits zum eigenen Wissenserwerb (z.B. Zusammenfassung, Exzerpt) gebraucht werden (ebd.).
Die Kompetenzbereiche Mit Medien umgehen sowie Schreiben und Lesen sind eng miteinander verknüpft. Das Schreiben am PC fordert und fördert das wiederholte Lesen. Texte in digitalen Medien, wie z.B. SMS, E-Mails, Chats oder Texte in sozialen Netzwerken, sind Teil der Medienvielfalt im Deutschunterricht geworden und aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken (Abraham & Frederking, 2017:64).
Geschrieben wird in fast jedem Fach und die im Fach Deutsch erlernten Kompetenzen können und müssen in anderen Fächern als Transferkompetenz genutzt werden, z.B. in Form der kommunikativen oder der erkenntniserweiternden Funktion (heuristisch-epistemisch). Somit ist der Schreibkompetenzerwerb nicht nur Aufgabe des Deutschunterrichts, auch wenn dieser dort zielgerichtet gefördert wird.
Die Deutschdidaktik als ‚Wiege des Deutschunterrichts‘ ist einem ständigen gesellschaftlichen Wandel ausgesetzt. Das Fach Deutsch war erstmalig 1812 ein Abiturfach (Abraham & Frederking, 2017:53). In den 1970er Jahren folgte die Teilung in Literatur- und Sprachdidaktik. Noch 1984 wurde die Schreibdidaktik als fehlend und „weißer Fleck“ (Koch & Pielow, 1984:1) bezeichnet. Mitunter wurde die Schreibdidaktik kritisiert:
Schreiben kann, wie viele Beispiele zeigen, eine solche produktive, humane, soziale, demokratische, mit einem Wort kulturrevolutionäre Kraft sein – wenn es nur wirklich produktives Schreiben ist und nicht theoretisch und praktisch sogleich wieder in Schemata gepreßt wird, die es herrschenden ökonomischen, politischen, wissenschaftlichen Mächten verfügbar machen (Koch & Pielow, 1984:2).
Das Internet mit seinen Möglichkeiten erweiterte die oben angeführte Zweiteilung um die Mediendidaktik. Fortan wird im Deutschunterricht von „sprachlicher, literarischer und medialer Bildung“ (Abraham & Frederking, 2017:54) gesprochen. Die Innovation der Neuen Medien integrierte nun auch Hörbücher, Filme, PC-Recherche sowie das „Schreiben und Lesen am PC“ in das Fach (KMK, 2004). Heute sind die vier Kompetenzbereiche „Sprechen und Zuhören“ (ebd.), „Schreiben“ (ebd.), „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ (ebd.) sowie „Lesen – mit Texten und Medien umgehen“ (ebd.) für den Mittleren Bildungsabschluss und damit für alle Schüler in Deutschland Gegenstand des Deutschunterrichts. Die Schreibdidaktik ist u.a. mit den Disziplinen Psychologie, Sprachdidaktik sowie Linguistik vernetzt und erfordert sowohl Forschungsnetzwerke als auch Schreibstudien von der Primarstufe bis zum Schreiben am Arbeitsplatz (ebd.). Der dazugehörige Forschungsbereich Writing at Work hat sich erst seit den 1980er Jahren etabliert, und zwar überwiegend im angloamerikanischen Sprachraum (Jakobs, 2005:13).
Die Forschungsrichtung Writing at Work gewinnt mit dem prognostizierten Übergang von der Informationsgesellschaft zur Wissens- und Service- sowie – weiter gefasst – zur Health-Care-Gesellschaft an Bedeutung. Jede der drei Entwicklungstendenzen verlangt von den Berufsausübenden erhebliche kommunikative Fähigkeiten (Jakobs, 2005:15).
Für die Deutschdidaktiker sowie für Wissenschaftler mit dem Untersuchungsfokus auf den Schreibprozess ist einerseits die Erhebung der Schreibkompetenz mit berufsnahen Textsorten am PC und andererseits die Evaluation des Schreibprojekts als Intervention bereichernd, da seitens der Deutschdidaktik authentische Deutschstunden mit ganzen Klassen sowie die Auswertung dieser mithilfe verschiedener Testinstrumente wie Schreibaufgaben, Fragebogen, Tonband- und Videoaufnahmen sowie Aufnahmen des Tastaturschreibens gefordert werden, denn die „[…] empirische Schreibdidaktik im deutschsprachigen Raum ist eine junge Interdisziplin, die sich dem Schreibenlernen und Schreibenlehren widmet“ (Steinhoff et al., 2017:9).
Jede Privatperson setzt sich in ihrem Leben mit Bewerbungsanschreiben im Rahmen einer Bewerbung auseinander. Auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich die Tendenz, dass für einen Arbeitnehmer, im Vergleich zu der Zeit vor 100 Jahren, heute ein erhöhter beruflicher Wechsel ansteht. Der klassische Verlauf, nach der Schule in einem Betrieb eine Ausbildung zu machen, übernommen zu werden und bis zur Rente dort zu arbeiten, ist in der heutigen schnelllebigen Berufswelt längst Vergangenheit. Bewerbungen schreibt fast jeder Bürger des Landes, sie werden von Betrieben schon während des Schülerpraktikums verlangt. Sie sind im Rahmenlehrplan des Faches Deutsch verankert, und dennoch finden sie im deutschdidaktischen Forschungsfeld bisher kaum Beachtung. Das Bewerbungsanschreiben wird mit Eintritt in den beruflichen Werdegang verlangt. Es ist eine Briefform, die einerseits der DIN-Norm 5008 und damit einem hohen Grad an Normierung unterliegt und dennoch nach einem persönlichen Stil und einer genauen Adressatenorientierung verlangt (Grün, 2013) – eine Gratwanderung, die aus textlinguistischer Perspektive ein höchst interessanter Untersuchungsgegenstand ist. Deutschlehrer, Eltern, Berufsberater und Wirtschaftslehrer fragen nicht nur nach Erkenntnissen zu diesem Untersuchungsgegenstand, sondern ebenso nach der Vermittlung: Wie können Bewerbungsanschreiben unterrichtet werden? Dabei stellt sich eine spannende Herausforderung: die Frage der Didaktik und Methodik. Dafür sollte der Deutschlehrer an Schulen zunächst einmal der richtige Ansprechpartner zu solchen Fragen sein. In Deutsch- und Wirtschaftsbüchern finden wir zahlreiche Übungsmöglichkeiten dafür, welche Elemente in ein Bewerbungsanschreiben hineingehören, z.B. werden Musterbriefe abgebildet – doch das reicht nicht aus. Das Verfassen von Bewerbungsanschreiben erfordert eine Kompetenz, die im Laufe der Jahre selbstständig weiterentwickelt werden muss, da sich auch Bewerbungsformate ändern. Wurde früher noch der Beginn einer neuen Arbeit per Handschlag ausgemacht, ist es heutzutage rechtlich verpflichtend, dass Betriebe zumindest das Bewerbungsanschreiben für jeden Bewerber archivieren, falls arbeitsrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden.
Angebote werden auch heute noch überwiegend mündlich getätigt. Ob im Supermarkt oder in einer Bäckerei – das Angebot ist rechtlich gesehen die erste Willenserklärung. Als Verbraucher können wir die zweite Willenserklärung und damit einen Vertragsabschluss abgeben, indem wir an der Kasse einkaufen oder das Geschäft verlassen. Die zunehmende E-Mail-Flut versteckt jedoch Willenserklärungen. Verbraucher klicken aus Versehen auf eine Bestätigungstaste und geben oft eine zweite Willenserklärung ab, ohne dies zu ahnen. Gerade Jugendliche sind für diese Art von Verträgen leichte Opfer und haben nicht selten immense Handyrechnungen. Die Kenntnis, dass es sich um ein unverlangtes Angebot handelt, ist vielen Jugendlichen noch nicht bewusst, da erst auf der Berufsschule der rechtliche Hintergrund von Verträgen Unterrichtsgegenstand ist. An Schulen in der Sekundarstufe I wird dies bisher noch nicht behandelt (Nds. KM 2006a-e). Im späteren Alltag erhalten die Verbraucher nicht nur über das Internet als E-Mail, sondern auch per Post unverlangte Angebote. Hier ist es wichtig, eine curriculare Lücke zu schließen.
Gerade Briefe nach DIN-Norm, vor allem Bewerbungsanschreiben und unverlangte Angebote, werden aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen oft schriftlich verfasst. In der späteren beruflichen Praxis erstellen viele Arbeitnehmer, vor allem in kaufmännischen Berufen im Dienstleistungssektor, unverlangte Angebote, um mehr Kunden für eine Dienstleistung oder ein Produkt zu gewinnen und damit den Umsatz zu steigern. Jeder Unternehmer, egal in welcher Branche, muss sich dieser Schreibherausforderung stellen.
Als Deutschlehrer ist nicht nur die Theorie zu vermitteln, sondern das Schreiben von Briefsorten mit Schülern am PC ab dem achten oder spätestens neunten Schuljahr zu üben. Es wird nach einem Deutschlehrer verlangt, der nicht nur die briefrelevanten Inhalte vermittelt, sondern sich auch mit Textverarbeitungsprogrammen auskennt und nicht nur einen Schüler, sondern eine ganze Klasse unterrichten kann. Neben dem textlinguistischen und computerbasierten Know-how ist eine weitere Lehrqualität gefragt: Es gilt den Schreibprozess im Auge zu behalten. Dieser kann mithilfe des PCs und Beamers für die Schüler visuell unterstützt werden. Des Weiteren sollten den Schülern aufgrund der heterogenen Schülerschaft mehrere Lernzugänge zu diesem Thema zur Verfügung gestellt werden – quasi mit allen Sinnen (Akoun & Pailleau, 2014:40). Aus diesem Grunde ist ein Methodenprofi gefragt, der verschiedene Sozialformen mit Unterrichtsmethoden beherrscht – und dieses auch einsetzen will.
Diese ersten Erläuterungen zeigen, dass der Eintritt in die Ausbildung auch durch das Schreiben relevanter professioneller Textsorten stärker unterstützt werden muss. Dies sollte nicht nur durch die berufsbildenden, sondern auch durch die allgemeinbildenden Schulen vorbereitet werden (Jakobs, 2005, 2008). Aussagen von Auszubildenden in einer Studie zu sprachlich-kommunikativen Anforderungen Auszubildender (Efing, 2010) zeigen die Diskrepanz zwischen allgemeinbildenden Schulen und betrieblicher Ausbildung im Bereich schriftlicher Kommunikation:
Befragt danach, ob und wie gut sie sich durch die allgemeinbildende Schule auf die sprachlichen und kommunikativen Anforderungen der Ausbildung vorbereitet fühlen, war ein durchgängiger Tenor der Antworten, dass Schule ausführlich auf sprachliche Fähigkeiten wie Rechtschreibung und Grammatik(analyse), die für den Beruf als irrelevant empfunden werden, vorbereitet habe, aber nicht (ausreichend) auf kommunikative Fähigkeiten und typische berufliche Textsorten und Sprachhandlungsmuster […] (Efing, 2012:9).
Eine unzureichende Textsorten- und Schreibkompetenz der Schulabgänger kann zudem zur Folge haben, dass die Bewerber nicht ausbildungsreif sind.
Die Zahl der Unternehmen, die mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger als Ausbildungshemmnis sehen, stagniert auf hohem Niveau. Die mangelnde Ausbildungsreife bleibt somit das Ausbildungshemmnis Nr. 1 (Deutscher Industrie- und Handelskammertag, 2012:32).
So klagt die Hälfte der Ausbildungsbetriebe in der IHK über ein unzureichendes schriftliches Ausdrucksvermögen der Auszubildenden (Deutscher Industrie- und Handelskammertag, 2012:33). Doch das Dilemma um Ausbildungsplatznachfrage und -angebot spitzt sich weiter zu: Gerade in der Gastronomie und Hotellerie können freie Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Diese Situation zeigt, dass ein Schüler mit einem Ausbildungswunsch in der Gastronomie/Hotellerie eine breite Auswahl an Ausbildungsstellen hat, sofern dieser ausbildungsreif ist.
Um einer unzureichenden Textsorten- und Schreibkompetenz an einem Beispiel prototypisch erfolgreich zu begegnen, soll das Promotionsvorhaben im Rahmen eines schulischen Schreibprojekts mit Schülern der allgemeinbildenden (n = 77) und berufsbildenden Schule (n = 26) (Schwerpunkt Hotellerie/Gastronomie) durchgeführt werden.
Hintergrund ist der persönliche Erfahrungsschatz der Autorin im Bereich der Hotellerie als ausgebildete Hotelfachfrau, als IHK-Prüferin bei den Zwischen- und Abschlussprüfungen der Hotelfachfrauen und -männer, als selbstständige Beraterin und Betriebswirtin (IHK) in der Hotellerie- und Gastronomiebranche sowie als ausgebildete und verbeamtete Realschullehrerin (M. Ed.) für die Fächer Deutsch, Politik und Wirtschaft. Unterrichtsgegenstand im Fach Deutsch soll das Schreiben von Bewerbungsanschreiben und unverlangten Angeboten sein, um sich exemplarisch dem Schreiben nach DIN-Norm 5008 am Computer zu nähern und Wissen über die Form einer ersten Willenserklärung für Verträge, wie bei Angeboten, zu erlangen. Daher ist diese Promotion mit dem Projekttitel Evaluation eines berufsorientierten Schreibprojekts: Niedersächsische Schülerinnen und Schüler schreiben Bewerbungsanschreiben und Angebote mithilfe von SRSD und Feedbackgesprächen am Lehrstuhl für Deutschdidaktik unter der Betreuung von Frau Prof. Astrid Neumann (Universität Leuphana, Lüneburg) und Herrn Prof. Christian Efing (Bergische Universität, Wuppertal) mit der grundlegenden Fragestellung entstanden: Wie entwickelt sich die Schreibkompetenz bei Schülern von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen mithilfe des SRSD-Ansatzes anhand der Textsorten „Bewerbungsanschreiben“ und „unverlangtes Angebot“ im Laufe eines Schreibprojekts?.2Ziel der Arbeit ist es, für Sekundarstufe-I-Lehrer, Lehramtsanwärter, Deutschstudenten, (Berufsschul-) Lehrer sowie Ausbilder die Stärken und Schwächen eines erprobten und evaluierten Schreibprojekts zu präsentieren. Das Schreibprojekt soll einen ersten Einblick in den Unterricht mit berufsnahen Textsorten geben, die didaktisch aufbereitet sind und einer Handlungsorientierung unterliegen.
Die vorliegende Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt: Nach dieser Einleitung (Kapitel 1) folgen die Theorie und fachwissenschaftlichen Grundlagen (Kapitel 2).
Theorie und Forschungsstand werden beide nicht getrennt voneinander, sondern integrativ erläutert. Zunächst folgen die genaue Definition und der Forschungsstand zu Schreibkompetenz und ihre Entwicklung (Kapitel 2.1). Die Kapitel Schreibkompetenz vor der beruflichen Ausbildung am Ende der Sekundarstufe I (Kapitel 2.2) sowie Schreibkompetenz in der dualen Ausbildung (Kapitel 2.3) geben Einblicke in die Schreibdidaktik und die curricularen Schreibanforderungen. Die Text(sorten)kompetenz im beruflichen Feld (Kapitel 2.4) wird anschließend ausführlich mit textlinguistischen und didaktischen Bezügen dargestellt. Gerade für die Auswertung der Schülerprodukte ist dieses Kapitel essenziell. Der Schreibprozess (Kapitel 2.5) wird separat zur Schreibkompetenz betrachtet. Absichtlich werden beide Bereiche getrennt voneinander behandelt, auch wenn es Überschneidungen gibt. Dennoch ist die Komplexität beider Konzepte zu groß, um sie nur in einem Kapitel zu erklären. Anschließend wird der SRSD-Ansatz im Kapitel Texte schreiben mithilfe der Methode SRSD (Kapitel 2.6) ausführlich dargelegt. Darauf folgt die Vorstellung der geleisteten Voruntersuchungen (Kapitel 2.7), die gemeinsam mit den anderen Kapiteln unter Zusammenfassung des Forschungsstandes (Kapitel 2.8) gebündelt werden. Daraus ergibt sich die Untersuchungsidee (Kapitel 2.9), die zum Kapitel Fragestellungen und Hypothesen (Kapitel 2.10) führt.
Das dritte Kapitel Forschungsdesign & Methode ist klassisch in Methode (Kapitel 3.1) sowie die Vorstellung der Stichprobe (Kapitel 3.2) und der Testinstrumente (Kapitel 3.3) aufgeteilt. Es folgen daraufhin der Ablauf des Schreibprojekts (Kapitel 3.4) sowie die Trias Datenerhebung (Kapitel 3.5), Datenaufbereitung (Kapitel 3.6) und Datenauswertung (Kapitel 3.7).
Im vierten Kapitel werden die zentralen Ergebnisse aus den Untersuchungsbereichen Affect (Kapitel 4.1), Behavior (Kapitel 4.2), Content Learning (Kapitel 4.3) sowie Metacognition (Kapitel 4.4) präsentiert.
Die Ergebnisse leiten zum letzten Kapitel Diskussion & Konsequenzen des Schreibprojekts (Kapitel 5) über. Für eine bessere Übersicht wird auch dieses Kapitel in Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 5.1), Kritische Reflexion der Studie (Kapitel 5.2) sowie in Ausblick mit Forschungsdesiderata (Kapitel 5.3) und Epilog (Kapitel 5.4) aufgeteilt.
Im folgenden zweiten Kapitel werden der Forschungsstand sowie die fachwissenschaftlichen Grundlagen und die damit verbundenen theoretischen Begriffe eruiert. Neben dem Begriff Schreibkompetenz wird die Schreibentwicklung anhand von Modellen und Forschungsergebnissen erläutert. Danach folgt die Spezifizierung der Schreibkompetenz vor und während der beruflichen Bildung. Die Erläuterung der Textsortenkompetenz im beruflichen Feld soll die berufliche Schreibanforderung näherbringen. Im Anschluss daran wird die Theorie des Schreibprozesses dargelegt, die die Entwicklung mehrerer Modelle miteinbezieht. Anschließend folgen die Präsentation der SRSD-Methode sowie zuvor durchgeführter Untersuchungen. Nachdem der Forschungsstand zusammengefasst ist, leitet die Untersuchungsidee die Fragestellungen und Hypothesen ein.
Eine Kompetenz beinhaltet Fähigkeiten und Fertigkeiten, die eine Person innehat und in bestimmten Situationen zeigen kann, was aber nicht immer als Performanz gesehen wird. Weinert (2001:27) spezifiziert ferner, dass Kompetenzen auch erlernt werden können und die zugrunde liegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten mit motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften verknüpft sind, die in Situationen variabel eingesetzt werden.
Beispiel: Ein Skifahrer wird im Sommer die Fähigkeit des Skifahrens nicht am Strand zeigen können. Es ist eine Kompetenz, die er erlernt hat und in der Situation des Winterurlaubs mit Schnee als Performanz einsetzen kann.
Kompetenz ist somit ein gesichertes Wissen und Können (Thomas, 2007:94). Die Psychologen ordnen diesen Begriff als „Dispositionen“ (Sieland & Rahm, 2007:199) oder „latente Antwortbereitschaften“ (ebd.) ein. Ein gelerntes Verhalten kann folglich im „Verhaltensrepertoire“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:191) vorhanden sein, wird aber erst in der „Verhaltensperformanz“ (ebd.) sichtbar. Ob diese Performanz gezeigt wird, hängt wieder von der intrinsischen Motivation ab. Diese Symbiose wird anhand folgender Definition erklärt:
Eine Person muss motiviert sein, ein Verhalten auszuführen; das heißt, es muss ein Beweggrund zum Handeln vorliegen. Die Motivation wird von der Erwartung bestimmt, durch das Verhalten eine Belohnung zu bekommen. Diese Erwartungen werden durch Erfahrungen gelernt (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:191).
In der Sprachwissenschaft können die folgenden Definitionen festgehalten werden, die einerseits den Kompetenzbegriff und andererseits spezieller die kommunikativen Kompetenzen eingrenzen:
Kompetenzen sind per definitionem als kognitive Prozesse nicht direkt beobachtbar, sondern müssen anhand abgeleiteter Konstrukte untersucht werden. Sie werden dann an der (sprachlichen) Oberfläche in der Performanz sichtbar. Dieses ‚Zeigen‘ der Kompetenz muss in dem oben beschriebenen Rahmen für alle vergleichbar entsprechend initiiert und anhand gemeinsamer, festgelegter Indikatoren ausgewertet werden (Neumann, 2014:58f.).
Vor diesem Hintergrund lässt sich kommunikative Kompetenz als mehrmodulares Konstrukt in Teilkompetenzen untergliedern: in eine Sprachsystemkompetenz (grammatische Kompetenz), eine soziolinguistische Kompeten (Repertoire, Varietäten-, Registerbeherrschung und -bewusstheit, Fähigkeit zum flexiblen Code-Switching), eine pragmatische Kompetenz (zur Zielerreichung), eine Text-/Diskurskompetenz (Textstrukturierungskompetenz) sowie in eine strategische und eine soziale/soziokulturelle Kompetenz (Efing, 2015:21).
Zusammengefasst sind Kompetenzen nicht direkt beobachtbar, sondern erst in ihrer Performanz zu sehen. Unser Schulsystem wiederum beurteilt nicht die Kompetenz, sondern bewertet die Leistungsperformanz, ein Spezifikum der Performanz (von Saldern, 2011:38). Die Schreibkompetenz ist folglich ein latentes Konstrukt, da sie latente Merkmale besitzt, die nicht in Gänze beobachtbar sind (Grabowski, 2017:317). Darauf soll nun genauer eingegangen werden: Um die verborgene Schreibkompetenz zu messen, müssen manifeste Indikatoren gewählt werden: „Die Besonderheit der schreibdidaktischen Erforschung von Textkorpora besteht vor diesem Hintergrund darin, dass nicht einfach nur Texte untersucht werden, sondern Texte als Indikatoren für die Schreibkompetenz eines Individuums“ (Steinhoff, 2017:354) gelten. Schreibaufgaben können Textindikatoren durch die entstandenen Texte vorweisen: „Wie kompetent ein Schreiber oder eine Schreiberin ist, lässt sich am Schreibprozess, aber immer auch am Schreibprodukt erkennen“ (Steinhoff, 2017:352). Schreibkompetenz hängt somit mit der Textproduktion eng zusammen:
Der Begriff Schreibkompetenz fokussiert auf eine effektive, zielgerichtete und adressatenorientierte Textproduktion. Hierfür braucht es neben graphomotorischen und (meta- )kognitiven Prozessen, die den Kern des Schreibens bilden, eine gewisse Schreibmotivation, und Schreiben hat eine soziale Dimension insofern, dass man typischerweise für jemanden schreibt oder – zunehmend – mit jemandem (Philipp, 2015b: 9).
Die Schreibkompetenz ist somit der empirische Zusammenhang zwischen Textprodukt und Textproduktionsprozess (Philipp, 2015b: 33). So ist das auch beim Schreiben. Textsorten wie die Einladung, die im beruflichen Alltag weniger zum Tragen kommen, werden in der Schule oder im Elternhaus erlernt. Dennoch kann diese Kompetenz in der Situation einer Geburtstagsfeierplanung eingesetzt werden.
Die Deutschdidaktik berücksichtigt in den Bildungsstandards (KMK, 2004, 2005) neben der Förderung der Schreibkompetenz auch die Schreibentwicklung der Schüler. Diese wird wie folgt definiert:
Der Begriff Schreibentwicklung fasst die Entwicklung der Schreibfähigkeit als einen kontinuierlichen Prozess ,nach dem Erwerb‘ grundlegender Fähigkeiten in den ersten Schuljahren, welche für das Erstlesen und das Erstschreiben ausschlaggebend sind. Er umfasst die Prozesse und Entwicklungen, welche für das weiterführende Schreiben konstitutiv sind (Bachmann, 2002:59).
Ein bis heute grundlegendes Modell für die Schreibentwicklung ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980; siehe Abb. 1).
Schreibentwicklungsmodell (Bereiter, 1980: 85)
Bereiters Modell zeigt, dass die Schreibentwicklung nach dem Ende der Schulzeit nicht abgeschlossen ist. Dieses Schreibentwicklungsmodell sollte daher nicht linear aufgefasst werden, sondern fokussiert diverse Parameter wie den Prozess, das Produkt oder den Leser und setzt sie zu kognitiven Entwicklungsschreibphasen in Beziehung. Diese Orientierung initiiert diverse Schreibmodi – wie das assoziative, performative, kommunikative oder das epistemische Schreiben. Dabei werden verschiedene kognitive Aufgaben gelöst:
In der kognitiv orientierten Lern- und Gedächtnisforschung stehen statt einfacher Zusammenhänge zwischen Reizen und Reaktionen – wie im Behaviorismus – komplexe Konzepte wie Wahrnehmung, Problemlösen, Entscheidungsverhalten und Informationsverarbeitung im Mittelpunkt (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:145).
Dieses Zitat kann das Modell von Bereiter in Bezug auf die kognitiven Aufgaben erklären. So kann beispielsweise der Schreiber seine Leserschaft fokussieren, dabei werden sozial-kognitive Aufgaben erfüllt, die ein kommunikativ orientiertes Schreiben hervorbringen. Bereiters Modell ist immer wieder eine Vorlage für die Schreibforschung, wie auch Fix (2000) sie aufgegriffen hat:
Fix (2000:316) bestätigt in seiner Studie, dass bei einer freien Schreibaufgabe die Schüler „epistemische Schreibfunktionen nutzen, ohne kommunikatives Schreiben zu praktizieren“. „Die einzelnen Komponenten sind prinzipiell auf allen Erwerbsstufen möglich, aber eben auf verschiedenen Niveaus“ (ebd.).
Somit ist Schreibkompetenz auch eine Form der Problemlösekompetenz, denn medial verfasste Texte beziehen sich je nach Kommunikationsrahmen auf eine Situation, ein Problem, das gelöst werden soll. In diesem Zusammenhang muss der Adressat angemessen angesprochen werden (Antos, 2008:241). Schreiben erfordert daher vielerlei Kompetenzen, wie u.a. die Textproduktion und das damit einhergehende Formulieren (Antos, 2008:242). Der schulische Schreibprozess beginnt dabei mit einer Aufgabe. Schreibaufgaben indizieren den Beginn eines Schreibprozesses. Sie steuern den Schreibvorgang durch eine geforderte Funktion, die erfüllt werden muss, Adressaten und das Problem sind erkennbar, Weltwissen und sprachliches Wissen sind angeeignet, der Text sollte im sozialen Kontext entstehen und die Wirkung auf Leser überprüft werden, z.B. mithilfe von Schreibkonferenzen (Bachmann, 2014:47). Bei Revisionen wird auf die Aufgabenstellung zurückgeblickt. Sie ist Dreh- und Angelpunkt aller Überarbeitungsschritte.
Die Aufgabendefinition bildet die Basis aller Revisionen. Der Autor muss die Schreibaufgabe innerhalb seines Wissenshorizonts (long term memory) und unter Einbezug des Aufgabenumfeldes (task environment) für sich interpretieren und daraus ein Schreibziel ermitteln, das während der Revisionsprozesse die Rolle des Monitors übernimmt. Ohne ein definiertes Schreibziel fehlt den Überarbeitungen eine klare Linie, es kann dadurch zu Textverschlechterungen kommen (Fix, 2000:29).
Dieses Zitat unterstreicht, dass die Aufgabenstellung für das Schreiben immens wichtig ist. Je konkreter die Aufgabenstellung, desto eher kann der Schreiber auf diese zurückgreifen und sich daran orientieren. Schreibaufgaben erfüllen jedoch auch noch eine andere Funktion – die Schreibmotivation kann durch sie gelenkt werden. Gerade situierte Aufgabenstellungen, die es in der beruflichen Bildung durch die Arbeit mit Lernfeldern längst gibt, führen den Schreiber in eine bestimmte Situation, in die er sich hineindenken muss. In diesem Zusammenhang führte einst Bachmann den Begriff „Aufgaben mit Profil“ in die Schreibdidaktik ein:
Unter ‚Aufgaben mit Profil‘ werden Schreibaufgaben verstanden, die das Schreiben als soziale Praxis in einen möglichst ‚authentischen‘ Kontext sozialer Interaktion einbetten, indem das Schreiben einen für die Schüler/innen erkennbaren Sinn bekommt und – auf Produktebene – in plausibler Art und Weise auf textuelle Qualitäten hin befragt und beurteilt werden kann (Bachmann, 2014:46).
Er untersuchte für das Bereiter-Modell Indikatoren für die Schreibentwicklung. Mit seinem siebenwöchigen Projekt „Aufgaben mit Profil“ ließ er Schüler (n = 78) aus dem vierten, achten und zehnten Jahrgang sechs instruktive Texte, wie z.B. Zimmerbeschreibung, Spielablauf oder Faltaufgabe verfassen. „Die Texte der Stichprobe wurden daraufhin untersucht, ob bzw. in welchem Ma[ß]e das Auftreten kohärenzstiftender Elemente und der Einsatz von Kohäsionsmitteln in den Texten Indikatoren für Schreibentwicklung sein können“ (Bachmann, 2002:15; [geändert von W.-K. G.]). Seine Stichprobe mit 12 Probanden und 36 Texten zeigt, dass die Häufigkeit eingesetzter kohärenzstiftender Elemente kein Indikator für die „Ausdifferenzierung der sozialen Kognition und der Schreibfähigkeit“ ist (Bachmann, 2002:158). Allerdings sei ein Fehlen oder ein lapidares Auftreten dieser Elemente vor allem im vierten Jahrgang zu beobachten. Dies zeige aus Bachmanns Sicht eher den Beginn einer sozialen Kognition an. Wenn jedoch diese Elemente verwendet werden, dann eher aufgrund von Normorientierung, Konventionen sowie Textmuster und weniger aufgrund von Adressatenorientierung, da die Schüler vorwiegend noch in der Phase des normorientierten Schreibens sind, wie aus Bereiters Modell hervorgeht. Im zehnten Jahrgang zeigen die Schüler einen eher geringen Einsatz dieser Elemente. Dies ist mit der Annahme verbunden, dass Zehntklässler im Gegensatz zu jüngeren Schreibern kritischer seien. Die Verteilung der Kategorien Anleiten, Positionen, Differenzieren und Verweisen sind laut Bachmann zuverlässige Indikatoren für die Schreibentwicklung. In allen drei Altersgruppen bestätige sich, dass das Positionieren „voraussetzungsreicher“ als das Anleiten ist. Das Differenzieren sei der schwächste Indikator. Der Autor zeigt, wie auch schon Fix, dass es keine lineare Schreibentwicklung zu einem Texttyp oder Textmuster gibt:
Entwickelte Schreibfähigkeit kommt nach Bereiter/Scardamalia in einer grundlegenden anderen Strategie der Textproduktion zum Ausdruck. Wissen wird nicht einfach abgerufen und ohne weitere Bearbeitungsprozesse weitergegeben. Es wird im Prozess des Schreibens transformiert (knowledge transforming). Diese Transformation des Wissens setzt mindestens zweierlei voraus: (a) eine Aufgabenrepräsentation, welche die Bedürfnisse des Lesers antizipiert, und (b) die Definition von Zielen, die mit dem Text im jeweiligen Handlungskontext erreicht werden sollen […] (Bachmann, 2002:44).
Bachmann plädiert zum Schluss für den Einsatz von Peergroup-Gesprächen über Textmuster, damit Textmusterwissen als Teil der Schreibkompetenz aufgebaut werden kann. Schreibkonferenzen sollten von Lehrern nicht als zeitraubend empfunden werden, sondern geben den Schülern die Möglichkeit, ihre Texte realen Lesern vorzustellen, über Texte zu sprechen und von ihnen zu lernen. „Damit Sprache aber erworben und entwickelt werden kann, müssen ihre Mittel, Strukturen, Formen und Muster verinnerlicht, mit je individuellem Vorwissen verknüpft und in dieses integriert werden“ (Bachmann, 2002:85). In diesem Kontext prägte Feilke den Begriff der Textprozeduren:
Literale Prozeduren sind Textroutinen. Sie sind funktional bezogen auf rekurrente kommunikative Aufgaben; literal sind diese Routinen, soweit sie typisch oder […] sogar spezifisch für eine Kommunikation mittels schriftlicher Texte sind (Feilke, 2010:4).
Textprozeduren sind sozial schematisierte Handlungszüge in Texten, die als Werkzeuge des Schreibens in den kulturell etablierten Praktiken des Umgangs mit Texten angeeignet werden (Feilke, 2014:15).
Der Begriff leitet sich lernpsychologisch vom „prozeduralen Lernen“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:219) ab: „Beim prozeduralen Lernen werden kognitive oder motorische Fertigkeiten durch Übung schrittweise erworben, indem bewusste Prozesse allmählich durch unbewusste Prozesse ersetzt werden“ (ebd.). In Bezug auf die profilierten Schreibaufgaben stellt er fest: „In diesem Fall verweisen Aufgabenschemata auf Textprozeduren als in der Kompetenz verfügbare Handlungsschemata, die für das Schreiben textliche Lösungsalternativen bereitstellen“ (Feilke, 2014:17). Somit sei die Aufgabe selbst (task) nicht nur auf der Kontrollebene anzusiedeln, sondern auch als Ressource anzuerkennen, denn „kompetente Schreiberinnen und Schreiber verfügen über textprozedurale Handlungsschemata, denen sie differenzierte Inventarien textueller Gliederungsmuster, syntaktischer Konstruktionen und lexikalischer Kollokationen zuordnen können“ (Feilke, 2014:19f.). Daher stehen in der Deutschdidaktik auch Textprozeduren im Interesse der Forschung. Dabei wird das routinierte Vorgehen beim Schreiben mit dem Begriff Schreibstrategie von Feilke gleichgesetzt (Feilke, 2014:20). Textprozeduren beziehen sich jedoch auf den Text selbst:
Geht es um ein Bewerbungsschreiben, ist sogar die normative Vorgabe von Mustervorlagen legitim, weil damit Sozialchancen verbunden sind; die Konventionen sind dann Spielregeln, die den Schreibenden als Kenner der Regeln und damit potentiellen Mitspieler ausweisen (Fix, 2000:329).
Fix plädiert ausdrücklich für die Nutzung von musterhaften Textbausteinen und Mustertexten (Fix, 2000:339), die im professionellen Kontext üblich sind und die Textprozedur unterstützen (Wergen & Wörner, 2005). Es ist an dieser Stelle genauer auf das deklarative und implizite Lernen einzugehen (siehe Abb. 2), um die Relevanz von Mustern in Form von Textbausteinen und Texten zu verstehen. Die Abbildung 2 visualisiert daher die Lernprozesse und -ergebnisse.
Lernprozesse (Winkel/Petermann & Petermann, 2006: 229)
Textmusterwissen und Textsortennormen können als deklaratives Wissen (‚knowing that‘) eingeordnet werden, denn dies zählt zum Welt- oder Sachwissen. „Prozedurales Lernen bezieht sich auf den Erwerb motorischer und kognitiver Fertigkeiten“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:16). Implizites Lernen passiert unbewusst und ist Teil des Lernprozesses (ebd.). An der Abbildung 2 fällt auf, dass durch die Übung und Prozeduralisierung, Strategien sowohl implizit als auch deklarativ gelernt werden können. Für den Unterricht bedeutet dies, dass das Regellernen auch implizit durch die Unterrichtssituation geschieht. Das Textmusterwissen allein zeichnet jedoch keinen erfolgreichen Schreiber aus (Fix, 2000:333). Junge Schreiber verfassen Texte eher „just-in-time“ und im „flow“, sie schreiben linear, Satz für Satz, und kommen schwer von dieser Strategie ab (Ortner, 2013:69f.). Schreibstrategien sind daher relevante Parameter der Schreibkompetenz und Lösungshilfen für die Aufgabenstellung, wie Nitz (2010) in seiner Studie verdeutlicht:
Nitz’ (2010:123f.) Studie über die Fähigkeit, dass Dritt- und Viertklässler Texte in Schreibkonferenzen überarbeiten können, zeigt: Schon Viertklässler machen deutlich, dass sie nicht jede Hilfe zur Textverbesserung annehmen. Der ‚Autor‘ wählt selbst. Eine Schreibkonferenz hilft, Texte zu überarbeiten, auch hinsichtlich der Kohärenz. Nicht alle Schwierigkeiten können jedoch beseitigt werden. Das kann auch nicht allein durch die Anregung der Lehrperson entstehen, vielmehr ist es eine höchst emotionale Angelegenheit, ob ein Rat angenommen wird oder nicht. Das Wer und Wie sind dabei mitentscheidend: „Die Berater zeigen sich in den Schreibkonferenzen als äußerst kritische Leser und verhelfen den Texten durch intensive Diskussionen über bestimmte Textstellen in vielen Fällen zu mehr Kohärenz“ (Nitz, 2010:124). „Die ‚Autoren‘ setzen sich meist sehr intensiv für die Qualität ihrer Texte ein, auf die sie offensichtlich stolz sind und die sie zu einem zufriedenstellenden Ende bringen wollen“ (Nitz, 2010:125). Kohärenzprobleme konnten schon gelöst werden, auch wenn Fix (2000) interessanterweise Schreibkonferenzen in seiner Studie als weniger erfolgreich für den Schreiberfolg bewertet. Dennoch ist die Vermittlung von Musterwissen als Teil einer Strategie anerkannt:
Da Musterwissen auch als Schreibstrategie genutzt werden kann, kann es zugleich ein Handlungswissen (‚knowing how‘) sein, das entweder bewusst zur Bewältigung der Problemsituation eingesetzt wird (Problemlösewissen) oder bereits automatisiert ist (prozedurales Wissen). Versteht man Text im Fall des kommunikativen Schreibens als Makro-Sprechakte, wird dieses Wissen als Illokutionswissen mit dem Ziel angewandt, für einen Adressaten funktional angemessen zu schreiben. Im traditionellen Aufsatzunterricht ist die deklarative Komponente dieses Vorwissens überbewertet worden (Fix, 2000:332).
Fest steht, dass die Schreibkompetenz auf verschiedenen Wegen gefördert und gelenkt werden kann. Die Aufgabenstellung und die Schreibstrategie sind wichtige Einflussfaktoren für die Schreibkompetenz. Diese Erkenntnis hat in die Rahmenlehrpläne für das Schreiben im Fach Deutsch Einzug gehalten. Die Herausforderung dabei ist, mit einer leistungsheterogenen Klasse Schreiben zu unterrichten. Gerade an Grundschulen, Oberschulen, Gesamtschulen, Sekundarschulen etc. wurden von den Regelstandards hin zugunsten von mindestens drei Kompetenzniveaus inhaltliche, prozessuale und soziale Kompetenzziele formuliert. Dabei sei außer Acht gelassen, dass auch für die Schüler mit einem Integrationsstatus noch weitere Kompetenzniveaus formuliert wurden. Somit können Deutschlehrer in ihren Deutschklassen eine heterogene und inklusive Schülerschaft unterrichten, die sich nicht selten Aufgaben für vier Kompetenzniveaus (Mindest-, Regel-, Expertenstandard sowie mindestens ein Niveau für die Integrationsschüler) stellen müssen.
Neben der Anwendung aus dem Kompetenzstufenmodell empfiehlt es sich, für die jeweilige Schreibaufgabe ad hoc Kriterien der Analyse bereitzustellen und diese dann auf die Kompetenzbeschreibungen zurück zu beziehen […] (Eichler, 2017:151).
Einige Studienseminare, z.B. in Verden (Niedersachsen), bereiten sehr präzise auf die Formulierung der Kompetenzniveaus und auch deren Evaluierung während des Referendariats vor dem Zweiten Staatsexamen vor. Dafür wird die Kompetenzformulierung von Kessler und Ziener (2004) hinzugezogen, die in Abbildung 3 dargestellt wird. Kessler und Ziener haben für alle Fächer vier Anforderungsbereiche für die Kompetenzformulierung mit Bezug auf die Bildungsstandards herausgearbeitet: Die Kategorie I „Wahrnehmen, Wissen und Verstehen“ (Kessler & Ziener, 2004:1) wird dem kognitiven Bereich, Kategorie II „Sprechen und Auskunft geben“ (ebd.) dem kommunikativen Bereich, Kategorie III „Erarbeiten und Gestalten“ (ebd.) dem methodisch-kreativen Bereich und Kategorie IV „Planen und Zusammenarbeiten“ (ebd.) dem personalen und sozialen Bereich zugeordnet.
Kompetenzraster nach Kessler & Ziener (2004, eigene Darstellung)
Beide Mitautoren der Baden-Württembergischen Bildungsstandards haben für diese Kategorieeinteilung die Bildungsstandards untersucht und alle Operatoren (auch Prädikate genannt) in diese vier Kategorien eingeteilt (ebd.). Anschließend erfolgt für jeden Kompetenzbereich eine dreistufige Niveaueinteilung, wobei Anforderungsbereich A das niedrigste Niveau und C das höchste Niveau ist (ebd.; Ziener & Kessler, 2012:29). Es ist der Einteilung nach dem Mindeststandard, Regelstandard und Expertenstandard ähnlich. Das Ziel des Modells besteht darin, Schüler kompetenzorientiert, kooperativ und selbstorganisiert lernen zu lassen (Giera, 2014:5f.). Bezugnehmend auf dieses fächerübergreifende Kompetenzraster wurde in Deutschland am Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (kurz: IQB) ein Kompetenzstufenmodell für den Bereich Schreiben entwickelt (Böhme et al., 2017:57ff.). Grundlage dafür waren der Mittlere Schulabschluss in der Sekundarstufe I sowie die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für das Unterrichtsfach Deutsch des Jahres 2004.
Die Idee der Stufen ging aus den Kompetenzstufenmodellen der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer hervor. Die Normierung erfolgte durch eine Stichprobe im Jahre 2011 mit 2.996 Schülern aus dem neunten und zehnten Jahrgang mit zwölf entwickelten Schreibaufgaben. Für jede Aufgabe, die in 20 Minuten bearbeitet wurde, liegen 500 Schülertexte vor. Die Texte wurden zunächst auf einer holistischen fünfstufigen Globalskala bewertet. Anschließend erfolgte eine Schätzung der Aufgabenschwierigkeiten, wobei auch die Hintergrundvariablen wie das Alter berücksichtigt wurden. Somit entstanden Grenzwerte für die einzelnen Stufen und letztendlich fünf gleich breite Stufen. Diese einzelnen Stufen wurden genauer beschrieben und als Niveaus gekennzeichnet – von Mindeststandard verfehlt über Mindeststandard, Regelstandard, Regelstandard plus bis hin zum Optimalstandard. Für die argumentativen Texte wurden diese Standards als Kompetenzstufen genau beschrieben und bepunktet. Als Ergebnis konnte festgehalten werden: „Etwa ein Viertel der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler mit dem Ziel MSA oder höher erreicht allerdings noch nicht die in den Bildungsstandards der KMK formulierten Erwartungen (Regelstandard)“ (Böhme et al., 2017:69).
Es gibt eine weitere hervorzuhebende Studie, die die Schreibkompetenzentwicklung der Schüler empirisch untersucht hat, jedoch nicht im Querschnitt, sondern im Längsschnitt: Um die Textsortenkompetenz in der Schreibgenese von Schülern zu testen, untersuchten Augst, Disselhoff, Heinrich, Pohl sowie Völzing (2007) in einer Langzeitstudie Grundschüler mit den Textmustern Erzählung, Bericht, Instruktion, Beschreibung und Argumentation über mehrere Jahre. Die Frage der Textsortenentwicklung stand mit 39 Schülern und 585 Schülertexten im Fokus dieser Untersuchung, da Bereiters Schreibentwicklungsmodell bis dato nicht empirisch überprüft wurde. Jeder Schüler schrieb 15 Texte jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren: eine Erzählung nach einem Bildimpuls, einen Bericht über das Weihnachtsfest, eine Instruktion zum Lieblingssport, eine Beschreibung des Klassenraums sowie eine Argumentation mit einem Vorschlag. Im Laufe der Jahre war zu beobachten, dass die Grundschüler längere und komplexere Texte schrieben. Die Vielfältigkeit der Satzstrukturen nahmen zu. Am Ende der vierten Klasse gelingt das Erzählen am besten. Im Mittelfeld bleiben das Beschreiben und das Argumentieren sowie zum Schluss das Berichten:
Auf jeden Fall ist es für die Kinder wichtig, die Arbeit am Text als etwas Natürliches und Selbstverständliches zu erleben, das dem schriftsprachlichen Prozess eigen ist. […] Deshalb kann das Gespräch der Kinder über Texte (oder sogar eine Schreibkonferenz) sehr förderlich sein; dies auch aus einem ontogenetischen Grund: die Kinder werden auf ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe das ‚Schreibkind‘ erfahrungsnäher (kindgemäß) befragen und anregen, als es ein Lehrer vielleicht angesichts des normativen Musters kann (Augst et al., 2007:359f.).
Das Forscherteam hält fest, dass alle Textsorten in der Grundschule für die Entwicklung der Schreibkompetenz gefragt sind. Dabei ist auffällig, dass ein erkanntes Strukturmerkmal in einer Textsorte auf eine andere Textsorte übertragbar ist (Augst et al., 2007:358). „Einen Text mit einer bestimmten Textqualität zu produzieren ist folglich Resultat, d.h. Ausdruck, der je individuellen Schreibkompetenz von Schreibenden“ (Schmitt & Knopp, 2017:239).
Dieser Exkurs zeigt, dass Schüler einer Klassenstufe auf verschiedenen Niveaus schreibkompetent sind und die Kompetenzraster mit diversen Stufenbeschreibungen immer mehr Vorrang für die Planung des Schreibunterrichts haben müssen. Eine Lernausgangslage ist unbedingt erforderlich. Den Studienergebnissen war zu entnehmen, dass die Schreibkompetenz je nach Textsorte unterschiedlich ausfallen kann. Um Schreibkompetenz in den Klassen zu messen und zu fördern, müssten pro Textsorte mehrere Aufgaben gestellt und getestet werden (Böhme et al., 2017:70ff.). Die dadurch entstandenen Schreibprodukte sind Indikatoren der Schreibkompetenz. Des Weiteren sind der Schreiber, der Schreibprozess, die Schreibprozedur und der potenzielle Leser Parameter einer ganzheitlichen Schreibkompetenzmessung und -förderung. Diese Komplexität zeigt sich in einer Zusammenfassung von Feilke (2017:158), welche schreibdidaktische Impulse subsumiert, die für die Lehrer und Schreibforscher relevant sind. Grundlage Feilkes „Parameter schreibdidaktischer Konzepte“ (Feilke, 2017:158) ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980), jedoch wurden die Ebenen Prozess, Leser und Produkt um die Ebenen „Prozedur“ (ebd.) und „Schreiber“ (ebd.) ergänzt (Feilke, 2017:157). Die Anzahl der Schreibebenen lässt erkennen, wie komplex die Parameter der Schreibkompetenzentwicklung in der Schreibdidaktik sind. Allein die Kombination der Ziele, Aufgabentypen, Aufgabenmodi und der schreibdidaktischen Konzeptionen verlangt eine immense Forschungsarbeit, aber auch die Schaffung eines Freiraums vieler Unterrichtsstunden im Fach Deutsch.
Folglich beeinflussen mehrere Faktoren die Schreibkompetenz und damit verbunden die Textqualität und können somit als Prädiktor wirken, wie die folgende Definition und die dazugehörige Abbildung 4 verdeutlichen und meines Erachtens gut zusammenfassen, da sowohl die grundlegenden Schreibmodelle als auch die dazugehörigen Prädiktoren in Beziehung gesetzt werden. Die Bereiche Volition, Motivation und Metakognition verknüpfen sich mit der Schreibmotivation und Selbstregulation, die für diese Arbeit tragend sind:
Schreibkompetenz ist, wie die dargelegten Ergebnisse zeigen, ein (höchst) komplexes Konstrukt, welches sich aus zahlreichen, ensembleartig zusammenwirkenden Teilfähigkeiten aus verschiedenen Fähigkeitsbereichen zusammensetzt (konstitutioneller, kognitiv-fähigkeitsbezogener, motivational-volitionaler und metakognitiver sowie spezifisch sprachbezogener Bereich) (Schmitt & Knopp, 2017:248).
Übersicht der Kandidaten für Prädiktoren (Schmitt & Knopp, 2017: 241)
Noch wird die Schreibkompetenz vorrangig im Unterrichtsfach Deutsch vermittelt. Norwegen zeigt jedoch, dass die Basiskompetenz Schreiben in allen Fächern curricular verankert sein sollte: „Every teacher, regardless of subject, is now responsible for the teaching of writing“ (Berge et al., 2016:180). Dafür entwickelten die Skandinavier das theoriebasierte Schreibmodell „The Wheel of Writing“ in zwei Varianten (Berge et al., 2016). Alle Ringe sind gegeneinander verschiebbar (siehe Abb. 5 und 6).
Wheel of Writing I (Berge et al., 2016: 180)
Die Abbildung 5 wird wie folgt gelesen: Der äußere Ring konzentriert sich auf die sechs Schreib- bzw. Sprachhandlungen to interact, to reflect, to describe, to explore, to imagine und to convince. Der mittlere Ring fokussiert sechs Schreibzwecke: Persuasion oder Knowledge development sind nur zwei Beispiele. Das Rad wird wiederum durch die semiotische Vermittlung zusammengehalten. Es ist kulturellen und situativen Kontexten ausgesetzt und wird von diesen beeinflusst. In der folgenden Abbildung 6 des Wheel of Writing sind der äußere und innere Ring gleich, der mittlere Ring hingegen fokussiert vier tools and resources for writing.
Wheel of Writing II (Berge et al., 2016: 182)
Modalities beinhaltet einerseits die Buchstaben, aber auch die Abbildungen, Piktogramme, Tabellen und Bilder. Text structure meint die lokalen und globalen Kohäsionsmittel. Writing tools schließt die Schreibmedien ein, ob Stift oder PC sowie weitere. Vocabulary and grammar bezieht sich einerseits auf den Wortschatz und andererseits auf die Grammatik. Darin enthalten ist auch die Syntax, welche in der Schriftsprache komplexer ist als im mündlichen Gebrauch.
Zusammengefasst setzt das Wheel of Writing zunächst beim Schreiber selbst an. Dieser zielt auf eine Schreibhandlung ab, was gleichzeitig auch mit dem Schreibziel gleichgesetzt werden könnte. Für die Erreichung dieses Schreibziels stehen ihm verschiedene personale, sprachliche und mediale Ressourcen zur Verfügung, die er nutzt, um durch das Schreiben einen Schreibzweck nicht nur für sich, sondern auch im Leseinteresse eines Adressatenkreises zu erfüllen.
Für dieses Kapitel kann festgehalten werden, dass Kompetenzen ein gesichertes Wissen und Können in problembehafteten Situationen bedeuten. Sie sind entweder als Zielvorstellung oder als Operationalisierung funktional einzuordnen. Bezogen auf die Schreibkompetenz knüpfen sie an die Schreibaufgaben und die damit verbundenen Schreibanlässe an, wie durch die Aufgaben mit Profil und dem Wheel of Writing präsentiert wurde. Die Prädiktoren von Schmitt und Knopp heben jedoch hervor, dass die Schreibkompetenz durch weitere Indikatoren wie das Arbeitsgedächtnis, die Lesefähigkeit, die Perspektivübernahme, die Schreibmotivation, die Selbstregulation, die Schreibflüssigkeit, das Textmusterwissen, den Wortschatz sowie durch die Kohärenzherstellung u.a. beeinflusst wird. Bereiters Modell verdeutlicht, dass die Schreibentwicklung diverse Phasen durchläuft, die eine grobe Orientierung bieten, jedoch muss der Schüler mit seiner Schreibgenese und seinem prozeduralen sowie deklarativen Schreibwissen allein betrachtet werden. Gerade nach der Schule entwickeln die ehemaligen Schüler eine „Ich-Entfaltung“ (Koch & Pielow, 1984:82): Aus Schreibfrust kann Schreiblust werden, die für die Genese der Schreibkompetenz ein Motivationsfaktor ist. Soll die Schreibkompetenz unterstützt werden, zeigt Feilke in seiner Aufstellung, dass diese durch verschiedene Aufgabentypen, Arbeitsmodi und Schreibziele gefördert werden kann. Die Definitionen von Efing und Neumann zeigen zwar Definitionen zum Begriff Kompetenz, jedoch ist der Terminus Schreibkompetenz sehr komplex, wie dieses Unterkapitel verdeutlicht. Daher sollen die zwei folgenden Unterkapitel die Schreibkompetenz vor und während der beruflichen Ausbildung vertieft behandeln und auch zeigen, was die Schreibdidaktik für den Unterricht empfiehlt, was in Kapitel 2.1 nur angerissen werden konnte.
„Wer nicht schulsprachlich schreiben kann, ist in allen Fächern – auch bei inhaltlich durchaus richtigen Antworten – in der Bewertung benachteiligt, auch weil der Anteil der schriftlichen Leistungen an der Gesamtbewertung enorm hoch ist“ (Neumann, 2010:14).
Schulerfolg ist mit einer „[…] adäquaten Beherrschung der deutschen Sprache verbunden. Sie ist das Kommunikationsmedium in und mit der Mehrheitsgesellschaft“ (Steinmüller, 2006:322). Schreiben wie auch Lesen und Rechnen sind basale Anforderungen und Kompetenzen, die institutsgebunden und für die sogenannte Ausbildungsreife unumgänglich sind (Neumann, 2010:13). Für den Schulabschluss jeglicher Schulform sind diese Kompetenzen die Eintrittskarte in die Sekundarstufe II und damit auch für viele Schüler in die berufliche Ausbildung. Sowohl die Schreibkompetenz als auch die Textsortenkompetenz (siehe Kapitel 2.4) sind laut Bundesagentur für Arbeit Einstellungsvoraussetzungen, die zum Merkmal (Recht-)Schreiben folgende Kriterien verlangt (Bundesagentur für Arbeit, 2009:22, siehe Abb. 7):
Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife (Bundesagentur für Arbeit, 2009:22)
Die genannten Kriterien werden im Deutschunterricht auf Basis der Rahmenlehrpläne von der ersten Klassenstufe an bis zum Verlassen der Institution Schule gelehrt. Das Unterrichtsfach Deutsch vermittelt hierfür vier Grundkompetenzen in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss. Dabei ist die Kompetenz Schreiben eine der vier und stellt eine Basisqualifikation dar (KMK, 2004:8):
Die Schülerinnen und Schüler kennen die vielfältigen Möglichkeiten des Schreibens als Mittel der Kommunikation, der Darstellung und der Reflektion und verfassen selbst adressatengerechte Texte (KMK, 2004:8).
Die Handlungszentrierung beim Schreiben und eine prozessorientierte Deutschdidaktik im Teilbereich Schreiben werden des Weiteren von der Kultusministerkonferenz gefordert: „über Schreibfertigkeiten verfügen“ (KMK, 2004:11), „richtig schreiben“ (ebd.), „einen Schreibprozess eigenverantwortlich gestalten“ (KMK, 2004:12), „Texte schreiben“ (ebd.) und „Texte überarbeiten“ (KMK, 2004:13). An dieser Stelle wird unverkennbar deutlich, dass der Schreibprozess und nicht das Schreibprodukt allein Unterrichtsgegenstand im Deutschunterricht ist (Becker-Mrotzek & Böttcher, 2006:24f.).
Das Kerncurriculum für das Fach Deutsch