Besatzungskinder - Sonya Winterberg - E-Book

Besatzungskinder E-Book

Sonya Winterberg

4,8

Beschreibung

2015 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Trotz anhaltender Aufarbeitung erfährt ein wichtiges Kapitel der Nachkriegsgeschichte noch immer zu wenig Aufmerksamkeit: das Schicksal der rund 450.000 Besatzungskinder, die nach Kriegsende aus Liebesbeziehungen oder Versorgungspartnerschaften zwischen deutschen Frauen und Besatzungssoldaten oder auch als folge von Vergewaltigungen geboren wurden. Sonya Winterberg legt nun die erste allumfassende Publikation zu diesem Thema vor. Basierend auf Gesprächen mit Zeitzeugen und intensiven Recherchen erläutert sie, wie die Kinder der »Feinde« oftmals ihre Herkunft verschweigen mussten, wie sie diskriminiert, ausgegrenzt und nicht selten misshandelt wurden. Prominente Beispiele wie Fußballtrainer Felix Magath oder Sängerin Marianne Faithfull werden vorgestellt, und auch die Situation der rund 200.000 »Soldatenkinder«, die nach dem Krieg in Österreich geboren wurden, wird durchleuchtet. So entsteht das vielschichtige und detaillierte Porträt einer Generation, deren Schicksal beispielhaft ist für die Nachkriegszeit und den Umgang mit der Vergangenheit.

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Sonya WinterbergBesatzungskinder

Sonya Winterberg

Besatzungskinder

DIE VERGESSENEGENERATION NACH 1945

Inhalt

Vorwort

1. Vater / Mutter / Kind Drei Schicksale der Besatzungszeit

2. Ein Überblick

3. Wege in die Fremde

4. Der tätowierte Mann

5. Das Haus des Todes

6. Keine Lügen mehr!

7. Die Mission ihres Lebens

8. Amerika, du hast es besser?

9. Bremerhaven – ein Vorort von New York

10. Ein Bleistiftkind

11. Zwei prominente Besatzungskinder

12. Ein Urknall der Gefühle

Quellen

Danksagung

To CHERYL, KAREN and SARAH – the strong women of my extended American family.

Die Seele hat Bedürfnisse, und bleiben diese unbefriedigt, so befindet sie sich in einem ähnlichen Zustand wie ein verhungerter und verstümmelter Leib … Die Entwurzelung ist bei weitem die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaft. Wer entwurzelt ist, entwurzelt. Wer verwurzelt ist, entwurzelt nicht. Die Verwurzelung ist vielleicht das wichtigste und meistverkannte Bedürfnis der menschlichen Seele.

SIMONE WEIL

Vorwort

Besatzerkinder. Amikinder. Russenkinder. Soldatenkinder. Nur einige der Namen, mit denen Kinder einer deutschen oder österreichischen Mutter und eines Besatzungssoldaten bedacht wurden. Entstanden waren diese Kinder aus Sehnsucht, Liebe oder Unwissenheit – und im schlimmsten Fall durch eine Vergewaltigung. Fast immer waren die Mütter unverheiratet und standen vor der Wahl, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, was damals in der Regel nicht legal war, oder das Kind zu bekommen. Würden sie es schaffen, das Kind allein durchzubringen? Oder wäre es bei Adoptiveltern besser aufgehoben?

Diejenigen, die sich entschieden, das Kind selbst großzuziehen, sahen sich häufig einem gesellschaftlichen Spießrutenlauf ausgesetzt. Staatliche Hilfen waren verschwindend gering, wenn es überhaupt die Möglichkeit einer Kinderbetreuung gab, mussten arbeitende Mütter diese privat organisieren. Im Mannheimer Waldhof wuchs in den sogenannten Benz-Baracken, in unmittelbarer Nachbarschaft des Automobilunternehmens, der spätere Boxprofi Charly Graf auf. Barackenlager am Rand deutscher Städte waren bis in die siebziger Jahre hinein ein verbreiteter Anblick. Eigentlich wurden sie nach dem Krieg als Notunterkünfte errichtet, doch viele Vertriebene und Ausgebombte blieben Jahrzehnte darin wohnen. Hier erzogen sich die Kinder häufig selbst, während die alleinstehenden Mütter arbeiten gingen. Im Arbeitermilieu gab es nicht selten Versorgungsehen zwischen nahen Verwandten, die dazu dienten, wenigstens den Schein geordneter Verhältnisse zu wahren – auch für die Kinder. Dass der leibliche Vater ein Besatzungssoldat war, erfuhren viele erst spät, manche wohl nie.

In jenen Jahren entstand in Westdeutschland auch ein ganzer Wirtschaftszweig durch Heime für ledige Mütter, in denen die leitenden Ärzte gleich doppelt kassierten: Mieten und Betreuungskosten der werdenden Mütter, denen eine gute medizinische Betreuung versprochen wurde, und die Vermittlungsgebühren der Adoptionsbewerber, die das Neugeborene häufig noch am selben Tag mitnehmen konnten.

Am Anfang steht immer die Suche. Die Kinder von einst sind heute beinahe auf dem ganzen Globus verstreut. Während der größte Teil in Deutschland, Ost wie West, und Österreich geblieben ist, wurden nicht wenige ins Ausland adoptiert. Im Rahmen der Recherchen zu diesem Buch sprach ich mit Besatzungskindern in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Dänemark, den USA und Südamerika. Die meisten von ihnen fassten irgendwann in ihrem Leben den Entschluss, nach wenigstens einem Elternteil zu suchen: entweder dem Vater, der Besatzungssoldat gewesen war, oder beiden Elternteilen, wenn die Mutter das Kind zur Adoption freigegeben hatte. Es liegt in der Natur des Menschen, über seine Herkunft Bescheid wissen zu wollen. Trotzdem war und ist vielen die Suche erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter möglich. Zu groß ist häufig die Furcht vor der Ablehnung durch die leiblichen Verwandten, aber auch vor dem Vorwurf der Undankbarkeit durch die Adoptivfamilie.

Über eine Gruppe der Besatzungskinder, die sogenannten Brown Babies, die Kinder afroamerikanischer Gis, ist inzwischen etwas mehr bekannt, nicht zuletzt durch den gleichnamigen Film von Regina Griffin. Wenig feinfühlig waren die deutschen Bezeichnungen für diese Kinder, die damals alltäglicher Sprachgebrauch waren: Negermischling. Halbblut. Bastard. Die Brown Babies waren bis in die siebziger Jahre, also lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die unerwünschten Kinder einer Gesellschaft, die erst langsam begann Gastarbeiter zu integrieren, in den Ferien nach Italien zu fahren oder Pizza dem deutschen Sonntagsbraten vorzuziehen.

Bis heute ist in Deutschland kaum bekannt, dass sehr viele dieser afrodeutschen Kinder durch Paare aus den USA und Dänemark adoptiert wurden. Dass diese Vorgänge kaum staatlichen Kontrollen unterlagen, ermöglichte es Eltern, die unter normalen Umständen niemals für eine Adoption in Frage gekommen wären, die ungewollten Kinder zu sich zu nehmen. Die Mehrheit der von mir recherchierten Biographien verlief unglücklich. Dem besonders dramatischen Schicksal von Besatzungskindern, die bis heute in Dänemark leben, ist ein wesentlicher Teil dieses Buches gewidmet. Manche von ihnen haben nach wie vor keine Geburtsurkunde und wissen nicht, wer ihre leibliche Mutter oder ihr leiblicher Vater ist. In diesem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle meinen dänischen Kolleginnen Amalie Linde, Amalie Kønigsfeldt und Matilde Hørmand-Pallesen danken, die 2013 das äußerst verdienstvolle Buch Børneimporten (dt. Kinderimport) zu diesem Thema geschrieben haben und mir nicht nur Einblicke in ihre eigenen Recherchen gewährt, sondern auch Interviewpartner vermittelt haben.

Je nachdem, welchen Begriff der Besatzung man anwendet, endete diese mit der Gründung von BRD und DDR 1949 oder dem Deutschlandvertrag von 1955. Tatsächlich blieben Soldaten der ehemaligen Besatzungsmächte jedoch weitaus länger in Deutschland stationiert, weshalb ich mich in diesem Buch auf die Zeit von 1945 bis 1975 konzentrieren werde. Auch nach 1975 gab es noch Kinder von deutschen Frauen und hier stationierten Soldaten. Ein Zeitzeuge, den ich im Buch nicht berücksichtigen konnte, wurde beispielsweise 1982 in Mannheim geboren. Doch bereits ab Anfang der siebziger Jahre nahm die Zahl dieser Babys deutlich ab, während gleichzeitig die gesellschaftliche Akzeptanz von Kindern mit Migrationshintergrund und alleinerziehenden Müttern stieg.

Aber auch wenn die Besatzungszeit spätestens mit der deutschen Wiedervereinigung endgültig zu einem Ende kam: Das Schicksal der Besatzungskinder ist ein lebenslanges. Nichts kann die verlorenen Jahre, die Trennung von den leiblichen Eltern, Halbgeschwistern und Großeltern wieder gut machen. Lissen Schougaard, Jahrgang 1965, die heute in Dänemark lebt, bringt es auf den Punkt: »Egal wie gut ich mein persönliches Schicksal aufgearbeitet habe, es bleibt da ein unüberwindbares Vakuum.« Dieses Vakuum führt für manche in die Depression, andere fühlen sich dysfunktional in ihren Beziehungen: Sie haben Angst vor Nähe, persönlicher Enttäuschung und wählen ein Leben ohne Partner und ohne Kinder, weil sie fürchten, selbst keine guten Lebensgefährten oder Eltern sein zu können.

Besatzungskinder sind eine konkrete und die vielleicht dauerhafteste Folge eines Krieges. Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich 2015 zum siebzigsten Mal. Das Kriegsende war der Beginn einer neuen Zeit für Europa und für die vielen jungen Frauen, die in den folgenden Jahren Kinder bekommen sollten. Dieses Buch möchte helfen, die Geschichten der Besatzungskinder einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Kapitel 1

Vater / Mutter / Kind Drei Schicksale der Besatzungszeit

LOUIS

Es sind die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, als der 24-jährige Sanitäter und Medizinstudent Louis Kolokoff aus New York mit seiner Infanterieeinheit Hitlerdeutschland erreicht. Das Land liegt bereits in Trümmern, und wo immer die Amerikaner einmarschieren, werden sie häufig schon sehnsüchtig erwartet. Eigentlich gilt der Befehl, dass die Soldaten nur sehr eingeschränkt mit der Bevölkerung Kontakt haben dürfen. Doch immer wieder kommt es zum freundlichen Austausch der GIs mit den hübschen German Frauleins. Auch die jungen Frauen sind froh, dass die schlimmen Kriegsjahre vorbei sind und mit den Befreiern wieder adrett aussehende Männer auftauchen, die ihnen den Kopf verdrehen – denn viele deutsche Männer sind im Krieg gefallen, in Gefangenschaft geraten oder gelten als vermisst. Und noch etwas haben die Amerikaner im Gepäck: für ein Küsschen oder ein bisschen mehr gibt es für die Fräulein Zigaretten, Schokolade, Kaugummi oder Nylonstrümpfe.

Als die Amerikaner im April 1945 im thüringischen Sonneberg einmarschieren, lernt Louis die etwa gleichaltrige Lilli Bibernell kennen. Er spricht kein Deutsch und sie kein Englisch, aber in ihrer Verliebtheit kommen sie auch ohne viele Worte aus. Lilli stammt aus Breslau und scheint sich allein durchzuschlagen. Wo ihre Familie ist, was sie in Thüringen macht und wie ihre Lebensplanung aussieht, ist für Louis zu diesem Zeitpunkt nicht wichtig.

Die junge Frau hat es ihm angetan, und wäre nicht immer noch Krieg, wäre sie eindeutig seine Traumfrau. Ist es tatsächlich nur Liebe? Die Sehnsucht nach einer heilen Welt? Oder macht sich Lilli Hoffnung auf eine Zukunft in den USA mit dem schmucken Soldaten, den sie liebevoll Lu nennt? Auf jeden Fall ist es den beiden jungen Leuten Ernst, ernster, als es die US-Armee zu diesem Zeitpunkt eigentlich zulässt. Es bleibt nicht bei einer Liebesnacht, und noch bevor Louis’ Einheit weiterzieht, ist Lilli schwanger. Louis bleibt nur ein Bild von seiner feschen Braut, öffentlich darf er die Liaison nicht machen. Und auch Lilli hat ein Foto vom Vater ihres Kindes sowie eine Postfachadresse der amerikanischen Streitkräfte, an die sie mit großer Hingabe Briefe auf Deutsch schreibt und die ein Kamerad für Louis übersetzt. Anfang 1946 kommt Sohn Peter zur Welt. Da ist Louis schon wieder einige Monate zurück in den USA. Gern würde er bei Lilli und dem Kind sein, doch für einen amerikanischen Medizinstudenten ist eine Reise nach Europa zu dieser Zeit ebenso unerschwinglich, wie es aussichtslos ist, die junge Frau mit dem Sohn in die USA zu holen. So bleiben ihm nur ein paar Bilder, die er ein Leben lang in seiner Brieftasche bei sich tragen wird.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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