Beschissen bis heiter - Ingrid Beck - E-Book

Beschissen bis heiter E-Book

Ingrid Beck

4,9

Beschreibung

Es gibt wahrlich schönere Örtchen als das stille. Seit dem allerdings Herr Morbus Crohn bei mir eingezogen ist, verbringe ich mehr Zeit dort, als mir lieb ist. Wir gehen quasi gemeinsam durch dick und dünn. Wer sich wie ich seinen Alltag mit einem solchen Gesellen teilen muss, findet sich oft auch in heiklen Situationen wieder. Das Leben mit ihm bringt alle Emotionen mit, die man sich so vorstellen kann. Aber von ihm unterkriegen lassen? Von wegen. Nach wie vor gilt für mich: Das Leben ist schön!

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Seitenzahl: 89

Veröffentlichungsjahr: 2017

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„Bevor Du urteilen kannst über mich oder mein Leben, ziehe meine Schuhe an und laufe meinen Weg, durchlaufe die Straßen, Berge und Täler, fühle die Trauer, erlebe den Schmerz und die Freude. Durchlaufe die Jahre, die ich ging, stolpere über jeden Stein, über den ich gestolpert bin, stehe immer wieder auf und gehe genau dieselbe Strecke weiter, genau wie ich es tat. Erst dann kannst Du über mich urteilen." (Verfasser unbekannt)

Inhaltsverzeichnis

Warum dieses Buch?

Darüber spricht man doch nicht

„Man sieht Dir ja gar nichts an!“

Salzburg - Die Nacht der Nächte

Shoppen gehen mit MC

Mensch zweiter Klasse

Schokotorte und saure Gurken

„Sie sind ja ganz schön depressiv“

Schneller leben

Eine tolle Rolle

Ich kann nur zuhause

Bitte nur im Dunkeln

„Oh! Du bist berentet. Das ist ja toll!“

Wie ein flambiertes Eichhörnchen

Welchen Schweinderl geht’s am Schlechtesten?

Total bekn(a)ckt

Auch meine Geschichte

Fressorgien und Co

Der Sensenmann und ich

Abszess mit Überraschung

Machtspielchen

Einfach mal mutig sein

Zahn um Zahn

Liebe mich dann…

„Sag artig Danke“

Last but not least

Warum dieses Buch?

Hilfe!!!! Noch ein Ratgeber oder schlaues Buch über Morbus Crohn???

Nein, nicht wirklich. Also keine Sorge. Ich finde, es gibt genug Ratgeber über diese Erkrankung, genauso wie Lektüre, die einen erschlägt mit schlauen Tipps, in welchem Stadium des Crohns wann man was essen sollte – oder besser eben nicht. Genauso wenig findet sich in ihm eine Abhandlung über neue Therapien oder irgendwelche exotischen Gewürze oder Samen, die so exotisch sind, dass ich mir sie nicht mal merken kann. Warum also dieses Buch? Schlicht und ergreifend: Für ein besseres Miteinander und mehr Verständnis für die Menschen, die mit dieser Erkrankung leben. Rund 300.000 Menschen in Deutschland leiden an Morbus Crohn, weitere knapp 170.000 an Colitis ulcerosa – rechnet man diese Zahlen hoch, kommt man auf knapp 500.000 Menschen, deren Alltag krankheitsbedingt alles andere als normal ist. Unsere Erkrankung sieht man uns nicht und darin liegt oft die Tücke.

Meine Gedanken und Erlebnisse zu dem Thema sind ganz bestimmt genauso „bunt“ wie die Erkrankung selbst. Mal augenzwinkernd, mal ernst, mal lustig - eben einfach alltägliche Situationen von beschissen bis heiter.

Darüber spricht man nicht

Jeder von uns tut es. Jedes Lebewesen tut es. Täglich. Manchmal mehrfach. Andere – so wie ich wiederum - viel zu oft. Und obwohl dem Darm so viel zugesprochen wird – vom Sitz der Seele bis hin zum Einfluss auf unsere komplette Gesundheit: Über ihn spricht man nicht. Warum eigentlich nicht? Immerhin reden wir über sieben Meter Gewebe in uns, und das ist schon eine nicht ganz unbedeutende Hausnummer, finde ich. Bei kleinen Kindern freut man sich wie ein Schneekönig, wenn sie auf dem Töpfchen ihr erstes „großes Geschäft“ machen. Später ist es einfach nur: ein Thema, das eklig ist und über das man nicht spricht.

Hat ein neuer Erdenbürger das Licht der Welt erblickt, wird jeder Windelinhalt – und sei er auch noch so klein - seitens der Eltern (manchmal auch unter Hinzuziehung der bereits erfahrenen Großeltern) peinlichst genau studiert. Es gibt Diskussionen über Farbe, Geruch, Beschaffenheit und was weiß ich noch alles. Passt alles – allgemeines Aufatmen. Irgendwann wird alles still, leise (aus der Nummer bin ich raus) und möglichst heimlich auf dem stillen Örtchen erledigt. Ich finde, es wird einfach Zeit, doch einmal darüber zu reden, wie es so ist, wenn eben nichts mehr passt.

„Man sieht Dir ja gar nichts an“

Viel besser als jedes Vorwort: Ich bin sauer. Und zwar mehr als nur sauer. Mal wieder der Spruch. Dieses Mal von einer Bekannten. Tausend Mal gehört, tausend Mal darüber aufgeregt, tausend Mal darüber traurig gewesen. Sie weiß, dass ich gerade in der Klinik war, weil ich wieder einen Schub hatte und mich noch mehr tot als lebendig fühle. Ihr gegenüberstehend fühle ich mich wie vor einem Scanner, als ihre Augen mich von oben bis unten mustern. Und dann kommt er. Der Satz, den ich so hasse. „Ach, man sieht Dir ja gar nichts an.“ (Ich liebe ihre hochgezogene Augenbraue. Aber immer nur die linke).

Ingrid, bleib ruhig – ich bete es wie ein Mantra. Meine Antwort – mit einem gequälten Lächeln: „Du, alles gut. Passt schon alles.“ Träges Lächeln meinerseits. Kurz Bussi links, Bussi rechts und wir gehen wieder unserer Wege. Zumindest für heute. Innerlich koche ich. Es ist immer dasselbe. Meine unausgesprochene Antwort:

Auf das „“Ach, man sieht Dir ja gar nichts an“, kann ich Dir nur eins sagen: Nein, man sieht mir meine Erkrankung nicht an. Ich trage keinen Gips und keinen Verband, habe keinen Ausschlag oder sonst etwas, das man sehen könnte.

Und nein, ich kann viele Dinge, die ich vor meiner Erkrankung getan habe, nicht mehr tun. Das bedeutet aber nicht, dass mein Leben schlechter oder weniger wert ist, es ist einfach nur anders geworden. Es ist ein Leben mit vielen Einschränkungen, aber vielleicht bin ich reicher als viele andere, weil meine Prioritäten im Leben anders geworden sind und ich intensiver lebe.

Während Du spontan auf Partys gehen kannst oder Dich mit Freunden triffst, kann es mir im Gegensatz zu Dir passieren, dass ich kurzfristig und manchmal nur wenige Minuten vorher absagen muss. Auch wenn ich mich darauf wie irre freue: Ja, es kann sein, dass kurz vorher bei Freunden das Telefon klingelt und ich sage: Nein, heute kann ich doch nicht kommen. Weil es mich vor Schmerzen zu zerreißen droht und ich das Haus nicht verlassen kann. Oder ich nicht vom Klo herunterkomme.

Und es gibt noch mehr Sprüche, die ich mir in Endlosschleife anhören kann. Nämlich: Wenn ich im Schub schnell sehr dünn werde, wird mir Magersucht unterstellt. „Ohhh Gott, was bist Du dünn geworden!“

Wenn ich Cortison nehmen muss, um überleben zu können und innerhalb von Wochen viele Kilos mehr mit mir herumschleppen muss, heißt es: Ich fresse zu viel.

Ich trage unzählige Narben am Körper, die man auf den ersten Blick niemals sehen wird, weil sie nicht an meinen Armen oder in meinem Gesicht sind und irgendwann habe ich aufgehört, sie zu zählen.

Und nein, meine Erkrankung ist auch nicht ansteckend, sondern sie ist eine Autoimmunerkrankung, in der sich mein Immunsystem selbst bekämpft. Und noch mal nein, sie ist auch nicht heilbar.

Nur weil man sie nicht sieht, heißt es nicht, dass ich gesund bin. Meine Erkrankung hat so viele Gesichter, wie der Kalender Tage. Und nur weil ich nicht jammere, bedeutet es nicht, dass es mir gut geht.

Und während Du spontan mal ein Wochenende weiter wegfahren kannst oder Deinen Urlaub irgendwo im Ausland planst, muss ich abwägen, wo ich hinfahre, achte darauf, dass eine Klinik in der Nähe ist, dass ich genügend Medikamente dabeihabe und für den Fall gewappnet bin, wenn ich viel zu schnell Flüssigkeit verliere, weil ich gerade im Schub bin oder sich einer anbahnt.

Während Dein erster Blick im Restaurant auf die Speisekarte fällt, sucht meiner zuerst die Schilder mit dem Aufdruck „WC“.

An schlechten Tagen bin ich auf Hilfe angewiesen, weil ich dann einige Dinge nicht mehr selbst erledigen kann. Aber das ist nicht an allen Tagen so.

Während Du drei Tode stirbst, wenn Du mal einen Magen-Darm-Virus hast, weil Du für wenige Tage ständig auf Toilette musst, dann lass Dir gesagt sein: Das ist mein tägliches Leben. Mein Alltag. Damit lebe ich seit Jahren.

Ja und ich bin das, was man umgangssprachlich „schwerbehindert“ nennt. Weil ich weitab von dem Leben liege, was eigentlich für Menschen in meinem Alter als „normal“ gilt.

Aber ich sag Dir was: Ich liebe mein Leben trotzdem. Trotz aller Einschränkungen!

Ich habe gelernt, jeden Tag zu achten, mit ihm sorgsam umzugehen, weil ich nicht weiß, wie viele gute Tage ich dieses Mal haben werde. Ich mache heute viele andere Dinge, die mir Freude machen und begegne Menschen, die Du niemals kennenlernen wirst.

Ich habe Gott sei Dank Menschen mit Herz, Hirn und Verstand, die mich nehmen, so wie ich bin. Ich bin chronisch krank, aber nicht dämlich. Gegen meine Erkrankung gibt es Medikamente, die nicht heilen können, aber die Symptome lindern. Aber es gibt leider keine Medikamente, die für mehr Verständnis sorgen.

Salzburg – Die Nacht der Nächte

Als die Einladung für eine Talksendung in Salzburg kommt, in der ich zu Gast sein soll, freue ich mich wie ein kleines Kind. Mein erster Gedanke: Boah, wie cool ist das denn?! Sofort werden Kindheitserinnerungen wach. Im damals berühmten Café Winkler mit meinen Eltern heiße Schokolade trinken und durch Berge von Schlagsahne wühlen. Durch die kleinen Gassen stromern. Mein zweiter Gedanke: Ingrid, Du hast ein Problem. Definitiv. Herzlich willkommen in der Realität. Peng!

Salzburg ist nicht um die Ecke und hin und zurück an einem Tag nicht zu schaffen. Aber Fakt ist auch: Ich werde diese Einladung annehmen, egal wie. Im Gegensatz zu gesunden Menschen denke ich keine Sekunde an das Hotel oder das leckere regionale Essen, das mich dort erwarten könnte.

Tief in meinem Inneren streiten sich gerade mehrere Parteien. Die eine: Du machst den Dreh, egal, was auch immer kommen mag. Die andere Partei: Hey, Du weißt schon, dass der Schuss nach hinten losgehen kann, oder? Wie oft warst Du in den letzten Jahren innerhalb von Stunden im Krankenhaus? (Übrigens der Moment, in dem man dieser Partei einfach eine scheuern möchte). Wann gewöhnst Du Dich endlich dran, dass Du einfach nicht mehr normal und so wie früher leben kannst? Und von Deiner Erkrankung mal abgesehen - wie oft hattest Du schon Situationen, die für Dich heikel waren? Menschen Dir zu nahe gekommen sind, Deine persönliche Grenze überschritten haben? Wie oft gerade so mit einem blauen Auge davongekommen? O.k. O.K. - Ich habe es ja verstanden!!!!

Alleine zu fahren scheidet damit aus. Und zwar zu einhundert Prozent. Aber auch in dieser Situation lässt mich der liebe Gott nicht alleine. Er schickt mir jemanden, der über sich selbst sagt: Ich komme mit - als Mädchen für alles. (Welch understatement). Im wirklichen Leben ist er Polizist. Und Sanitäter. Wie sehr und wie schnell ich ihn brauchen würde, kann in dem Augenblick, als wir Richtung Salzburg aufbrechen niemand ahnen. Er ist meine Sicherheit in mehrfacher Hinsicht und mein doppelter Boden. Wir witzeln auf der Hinfahrt nach Salzburg über die Situation - keiner denkt auch nur eine Sekunde daran, wie schnell sich unser Geplänkel von der Theorie in die Praxis umsetzen sollte.

In Salzburg regnet es erst einmal junge Hunde vom Himmel. Nichts zu sehen von den Bergen. Da uns der Hunger plagt und das erste Lokal uns mit der Aussage überrascht, die Küche ist schon zu (14.00 Uhr), hilft uns das Festzelt im Ort weiter.