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Ingrid Beck arbeitet seit mehr als neun Jahren als Stalkingberaterin und ist unter anderem auch bekannt durch ihre vielen Interviews im Fernsehen und Rundfunk. Sie hat Stalking selbst erlebt und weiß, was es bedeutet. Sie kennt die Todesangst, die Nächte, in denen selbst die Stille in den Ohren weh tut. Sie weiß um die Hilflosigkeit, die Ohnmacht - und den Triumph des Täters. Und sie kennt den Preis, den sie dafür bezahlt hat und der sie bis an ihr Lebensende begleiten wird. Ein hoher Preis, den niemals ein anderes Opfer so bezahlen soll. Raus der eigenen, aufgezwungenen Opferrolle und anderen Betroffenen weiterhelfen, das sind ihre beiden Ziele, nachdem das Stalking bei ihr vorbei ist. Ingrid Beck verknüpft ihre eigene Geschichte mit ihrer langjährigen Erfahrung. Wie ticken die Täter? Welches Muster haben Täter und Opfer? Ab wann funktioniert Stalking nicht mehr? Was können Betroffene selbst tun?
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Seitenzahl: 349
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Vorwort
Partnersuche 2.0
Ein Traum wird wahr
Loslassen und Ankommen
Eine folgenschwere Entscheidung
Erste Vorboten?
Das erste Treffen
Ein fataler Neubeginn
Terror und Kontrolle rund um die Uhr
Lieber tot sein
Ausbruchsversuche
Überraschungsbesuch
Auf der Flucht
Es kommt zum Prozess
In ein normales Leben zurück?
Der Weg in die Öffentlichkeit
Diagnose Morbus Crohn - Plötzlich unheilbar krank
Spurensuche – Warum ausgerechnet ich?
Ein Wiedersehen
Theorie und Praxis
Momente des Scheiterns
Die Summe aus allem
Angst, Schuld und Scham
Mama, Papa, Stalker
Erwartungshaltungen
Vermeintliche Opfer und Gangstalking
Die privaten Sicherheitsdienstleister
Licht am Ende des Tunnels?
Persönliches
Ich habe Stalking 2007/2008 selbst erlebt und weiß, was es bedeutet. Mit allem Drum und Dran. Ich kenne die Todesangst, die Nächte, in denen selbst die Stille in den Ohren weh tut, die Machtlosigkeit, die Ohnmacht und den Triumph des Täters. Und ich kenne den Preis, den ich dafür bezahlt habe und der mich bis an mein Lebensende begleiten wird. Ich habe teuer bezahlt. Sehr teuer.
Als ich es „hinter mir“ hatte, gab es für mich nur zwei Ziele. Raus aus der eigenen Opferrolle und anderen Betroffenen weiterhelfen. Ich wollte verstehen, wie es sein konnte, dass ein einzelner Mensch so viel Macht über mich bekommen konnte. Wollte wissen, was ich tun konnte, damit mir so etwas nie wieder passiert. Und ich wollte wissen, was ich tun kann, um anderen Betroffenen zu helfen. Ich wollte wissen, wie die Täter ticken und warum sich bestimmte Konstellationen zwischen Tätern und Opfern wiederholen.
In der Realität bedeutete dies, Berge von Material sichten und aufarbeiten, sowie Schnittmengen und Parallelen herausfinden. Bis heute habe ich mit meinem Team seit 2008 über 400 Stalkingbetroffene begleitet und das bundesweit.
Ich kann mit diesem Buch die Täter nicht besser machen, aber ich kann ihnen ordentlich in die „Suppe spucken“, was ich auch tun werde. Und ich kann ihnen mit Sicherheit ein Teil ihrer Opfer entziehen, wenn ich den Tätern selbst nicht beikommen kann. Denn nur, wenn man um Dinge weiß – wie z.B. Täter und Opfer „ticken“, welches „Strickmuster“ beide Parteien mitbringen, dann wird das Stalking seitens der Betroffenen nicht mehr länger funktionieren. Und genau das ist das Ziel meines Buches. Der Grundstein wurde auf einem meiner unzähligen Vorträge zu dem Thema gelegt. Es war der Augenblick, in dem ich nicht nur die traurigen Zahlen, Daten und Fakten erzählt habe, sondern von meiner eigenen Geschichte, warum ich das „gefundene Fressen“ für meinen Täter war.
In diesem stecken jetzt neun Jahre Erfahrung als Stalkingberaterin und möge es erreichen, dass sich viele Betroffene darin wiedererkennen und es ihnen den Mut schenkt, sich gegen ihren Täter zu wehren und nicht mehr länger auszuhalten.
Das Buch beginnt mit meiner eigenen Geschichte. Sie ist letztlich nur eine von vielen, deckungsgleich mit tausend anderen und ein Paradebeispiel dafür, wie subtil Stalking ablaufen kann und was für eine kranke Welt es ist. Und sie zeigt, was für ein gefundenes Fressen ich für meinen Täter war. Ich war das perfekte Opfer.
Wir schreiben das Jahr 2002. Nach dem dritten Glas habe ich ihn mir schöngetrunken. Eine Mischung zwischen Brad Pitt und Kevin Kostner sitzt mir gegenüber. Und nach dem vierten Glas Wein würde ich sogar Quasi Modo mit einem süffisanten Lächeln bedenken. Und nach dem letzten Glas Wein habe ich nun endlich genug Mut und dränge auf das Ende eines wahrlich unglaublich reizenden abends. Es war wieder mal ein Treffen, dass über das Internet zustande kam. Irgendwie hat es ja auch toll angefangen. Fische-Mann sucht Fische-Frau. Naja, gemeine Zungen könnten jetzt behaupten, zwei Blinde ergeben noch lang keinen Sehenden, aber bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt. Nach etlichen ausgetauschten E-Mails kam nun diese heißersehnte Verabredung. Stundenlanges Stehen vor dem Kleiderschrank und aufbrezeln vor dem Spiegel mit inbegriffen. Heute ist der große Tag. Und vielleicht treffe ich ihn ja heute – meinen Traummann. Vom Mailen her eigentlich der Traummann schlechthin. Sensibel, philosophisch veranlagt, mitfühlend, nicht schlecht aussehend. Also alles, was das Frauenherz begehrt. Und was tue ich? Nachdem ich mich im Internet angeboten habe wie Sauerbier, meine Vorzüge vorgekehrt und meine schlechten Seiten unter den Teppich, beginnt die Zeit des Wartens. Ich durchforste meinen Kleiderschrank, renne noch schnell in die Drogerie, um meinen Teint nicht in Hoch- sondern Seidenglanz zu präsentieren, von allem nicht zu viel und nicht zu wenig. Stunden werden zu Tagen und die verbringe ich in herrlichen Tagträumen, dass mit diesem Treffen mein Single-Dasein ganz sicher und ganz bestimmt sein jähes Ende findet.
Tage vor dem Date werden Pralinen und Schokopudding vom Speiseplan gestrichen, ich kasteie mich mit fettarmen Joghurt und fertigen Schlankheitsdrinks. Schließlich will ich mich ja rundherum adrett präsentieren.
Und was passiert?? Wieder ein Flop. Zu höflich, beim ersten Augenkontakt zu sagen "Nein. Danke.", lasse ich mich in nette Lokale schleppen, im besten Falle - wenn nicht zu geizig - erschleiche ich mir ein Abendessen, ertrage oberflächliches Blabla, der vermeintliche Frosch verwandelt sich auch nach einem - oft auch einem tückisch erschlichenen, aber höflich angehauchten Begrüßungskuss der Gegenseite - immer noch nicht in meinen Traumprinzen. Höflich nicke ich zu dem erlebten (Beziehungs-) Leid meines Gegenübers, lächele zu Anekdoten, die eigentlich zum Gähnen sind und harre tapfer aus. Ich warte auf das Herzklopfen, auf Schmetterlinge im Bauch groß wie Düsenjäger, die ich schon so lange nicht mehr gefühlt habe, auf das Prickeln am und im ganzen Körper, das mich gefangen nimmt und mich nach mehr verlangen lässt. Ich übe mich in Konversation, zeige mich mitfühlend, fraulich, mütterlich, was auch immer gewünscht wird – alles kein Problem. Nach drei Stunden Geplänkel - und einem Nachtisch (dass die drei Tage hungern überflüssig waren, weiß ich auch spätestens jetzt), warte ich darauf, dass mein Gegenüber sein Glas endlich austrinkt, habe dem Kellner verzweifelte Blicke zugeworfen und warte darauf, dass endlich die Rechnung kommt. Denn dann wird es ja noch einmal spannend. Spätestens jetzt zeigt sich das wahre Gesicht meines Gegenübers. Oft wird ja um ein Glas oder ein Minifläschchen Wasser gefeilscht, was das Zeug hält, dass man(n)/frau mehr hatte, aber spätestens jetzt habe ich den Punkt erreicht, an dem ich nur noch raus möchte. Nach Hause - ins Bett mit einer Schachtel Pralinen, am besten bei einem Buch Marke Schmachtfetzen, den Hund im Arm. Was Anderes bleibt mir ja erst mal nicht.
Aber gebe ich auf? Nein. Am nächsten Tag stürze ich wieder zum Computer, öffne meinen Postkasten (es könnte ja sein, dass...), logge mich wieder im Internet ein und preise mich weiter an. Hoffe immer noch auf meinen Prinzen, hinter was auch immer er sich verbergen mag. Noch immer habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er doch irgendwo sein muss, mein Traumprinz. Nur... Wo ist er? Wie viele Frösche muss ich noch küssen, bis ich ihn endlich, endlich finde. Warten bis zur nächsten Krötenwanderung oder einfach weitersurfen, mich zum Narren machend - bis zum nächsten Date.
Naja, immerhin surfen im Internet macht ja schon Spaß, macht schlank (zumindest zeitweise) und könnte mir ja irgendwann den Mann bringen, der in meinen Träumen schon so lange vorhanden ist. Aber ganz offensichtlich scheint es ja bei anderen Leuten immer zu klappen. O.k. auch da nicht ohne "Anlaufschwierigkeiten", wenn man zwei oder drei Jahre Anzeigenschalten im Internet nicht überbewerten möchte, ist das ein durchaus überschaubarer Zeitraum. Und jetzt rede ich nicht von den 52 Wochenenden, die mir das Jahr bringt. An denen ich freiwillig arbeiten gehe, wenn es sein muss, auch ehrenamtlich, nur um diese vermaledeiten Sams- und Sonntage herumzubringen. Von den ersten Frühlingstagen, an denen ich meinen Hund an der Leine an der Havel auf- und abwärts schleife, nur um ihm vielleicht zu begegnen - und dabei dann doch nur auf engumschlungene Pärchen treffe - mal ganz zu schweigen. Und es gab noch nie so viele junge glückliche Familien, die versonnen ihren Kinderwagen vor sich herschieben wie ausgerechnet dann, wenn ich meine Singlefrustwochenendekrise schiebe. Und es glaubt kein Mensch, wie lange so ein Wochenende sein kann. Die ganze Woche freue ich mich eigentlich darauf, sehne den Freitag herbei, damit endlich Wochenende ist - und dann ist es Freitagnachmittag: und der Frust beginnt. Also was tun: ich logge mich im Internet ein und glaube immer noch fest daran, dass unter Hunderttausend eingetragenen Männern derjenige welche dabei sein muss. Das kann ja gar nicht anders sein, denn es wäre alleine schon statistisch ein Ding der Unmöglichkeit, wenn mein Traumprinz da nicht dabei wäre. Und mittlerweile habe ich auch schon ein sehr feines Gespür für die Nieten, das glaube ich zumindest. Oder immerhin für die kleinen, denn mit den großen sitze ich spätestens eine Woche nach der ersten Mail in irgendeinem Berliner Lokal und überlege mir Haare raufend, wie ich aus der Nummer wieder herauskomme. Es ist ja beileibe nicht so, dass Männer sich klar ausdrücken in ihren Mails. Jedenfalls lasse ich von Anzeigen, die beinhalten "Topf sucht Deckel" schon mal die Finger, denn die sind gerade rein zufällig Single geworden und können sich an das Alleinleben so gar nicht gewöhnen. Oder Anzeigen, die vor Aussagekraft nur so strotzen. Ich bin Mann und suche: Eine Frau. Kein Wort mehr. Warum auch? Ich liebe diesen sprühenden Einfallsreichtum der Männer. Und ganz übel finde ich auch Anzeigen, die vor Rechtschreibfehlern nur so wuchern. Nicht, dass ich nun gleich jemanden suche, der Einstein Konkurrenz machen könnte. Niemals. Aber ich erwarte zumindest, dass ein Mann, der per Internet seine große Liebe sucht, der Rechtschreibung einigermaßen Herr ist. Wer mag sich denn schon mit jemandem treffen, der eine Frau sucht mit Eigenschaften: lieb, anbassungsfehig, gudausehend. Man zeige mir bitte die Frau, die mit fliegenden Fingern die Antwort: "Ich, ich, ich..." in die Tasten haut. Bestimmt denkt jetzt der ein oder andere, ich bin anspruchsvoll. Das ist aber weit gefehlt. Denn eigentlich kann es ja wohl nicht so schwer sein, einen Partner zu finden, der sensibel, ein wenig philosophisch, nett und gutaussehend ist. Jemanden, der mich, meine Geschichte - und meinen Hund - liebt, so wie ich bin. Bei dem ich mich nicht verbiegen muss und so sein kann wie ich bin. Dem ein paar Krümel im Bett nach dem sonntäglichen Frühstück im Bett nix ausmachen. Der weiß, wie man eine Waschmaschine bedient, dass auch Mülleimer ab und an geleert werden müssen, weil sie das bis dato nicht von selbst tun und dass Lebensmittelgeschäfte auch Produkte an Männer verkaufen.
Und wenn er kochen kann, meine kreative Seite gut akzeptieren kann, dann wäre das einfach perfekt. Gut, ich gebe zu, wenn ich am kreativen Arbeiten bin, kann ich die Kartoffeln auf dem Herd auch schon mal vergessen. Aber dafür gibt es die Alarmanlage Hund: denn spätestens, wenn sich die erste schwarze Kruste am Boden bildet und sich die erste kleine Rauchwolke aus dem Topf arbeitet, wird meine Hundedame aktiv. Da ist sie wirklich verlässlich und was Schlimmes ist auch noch nie passiert! Ehrlich. Aber ich finde, es gibt wirklich Schlimmeres als das. Manchmal jedenfalls wird man aus den Internet-Anzeigen der Männer ja auch nicht so richtig schlau und ich frage mich, was für eine Frau suchen die Männer eigentlich. Ein Hausmütterchen ist ihnen zu bieder, aber die Schlappen und die Pulle Bier abends vor dem Fernseher ist schon o.k.! Eine selbständige Frau wollen sie? Klar, aber auch nur so lange, bis sie live und in Farbe erleben, wie die Frau ganz alleine und ohne den Notruf betätigen zu müssen, ein Bild samt zugehörigen Nagel in bzw. an die Wand kriegt. Da beginnt die persönliche männliche Krise. Und wenn Frau auch noch online ihre Bankgeschäfte erledigt, ohne mit der Wimper zu zucken und beim (wahrscheinlich ersten und letzten) gemeinsamen Ausflug, das Auto ohne Probleme beim ersten Anlauf einparkt, ist die Krise perfekt. Gekrönt von der Tatsache, dass Frau vielleicht noch einen guten Job hat und ihren Alltag durchaus alleine meistern kann. Und das war es dann auch mit der Selbständigkeit. Es würde das Durchforsten der Anzeigen um so vieles erleichtern, wenn die suchenden Männer ihre Aussage: sie sollte selbständig sein, mal etwas genauer definieren würden. Bezieht sich das lediglich auf das Ein- und Ausatmen oder darf es auch ein wenig mehr sein? Immerhin habe ich auch in den Anzeigen schon kleine, aber feine Unterschiede bemerkt, denn einige Herren der Schöpfung schreiben ja schon: keine ONS. Ich mag an dieser Stelle gar nicht zugeben, wie lange ich gebraucht habe, um herauszufinden, was ein ONS ist. Meine Recherchen im Internet haben ergeben, dass es sich dabei um einen One-Night-Stand handelt. Das sind auch so kurze Momente, in denen ich denke, dass ich irgendwie etwas verpasst haben muss. Übersetzt für mich und die Welt bedeutet ONS also diese Kurz- bzw. Eine-Nacht-Nummer, bei der dann wahrscheinlich nichts als ein schaler Geschmack übrigbleibt. Internet-Anzeigen und Ehrlichkeit sind ja auch noch mal so eine Sache für sich. Das wohl übelste ist meiner Freundin Marie passiert. Sie hatte auf Svens Anzeige geschrieben. Und es entwickelte sich ein reger E-Mail-Austausch. Bis zu dem Tag, an dem Treffen stattfinden sollte. Sie wurde versetzt. Aber einmal ist kein Mal und so wurde ein zweites und auch ein drittes Treffen ausgemacht. Nach jedem versetzten Treffen, bei dem sie alleine dastand und wartete und wartete, folgten sowohl schriftlich als auch telefonisch Wellen der Entschuldigungen. Bis das berühmte Maß voll war. Denn er outete sich als Rollstuhlfahrer. Da hatte Marie dann die Nase voll. Nicht, weil er im Rollstuhl saß, sondern weil er nicht von Anfang an ehrlich war. Sie hätte überhaupt kein Problem damit gehabt, sich mit einem Mann zu treffen und vielleicht auch mehr, der im Rollstuhl sitzt. Aber sie hätte es gerne gewusst – und zwar von Anfang an. Sie kam sich einfach nur belogen vor und das zarte Pflänzchen Vertrauen wurde so gleich mit der Wurzel ausgerupft und zerstört. Aber ich lerne auch, dass es im Internet das Schlagwort und den Begriff schlechthin gibt, nämlich "beziehungsunfähig".
Wenn man einigen Anzeigen Glauben schenken möchte, so scheinen manche Männer geradezu schon Jahre auf der Suche nach ihrer Prinzessin zu sein. Dann trifft man sich mit ihnen und spürt, hoppla, da könnte ein wenig mehr draus werden (was sowieso schon Seltenheitswert hat). Nach dem ersten Date werden die Telefonnummern ausgetauscht (noch seltener) und es macht sich in einem ein kleiner Hoffnungsschimmer breit. Dann erreicht man denjenigen telefonisch erst einmal nicht mehr, aber spätestens seit dem Zeitalter der SMS traut man sich dann nach zwei oder drei Tagen doch, eine kleine, zarte, vorsichtige SMS auf den Weg zu ihm zu schicken. Und dann? Erst mal nichts, dann immer noch nichts und mit viel Glück hat man ihn dann doch noch mal an der Strippe und just in den letzten Tagen habt der dann herausgefunden, dass er eigentlich beziehungsunfähig ist. Ich bin ja eigentlich ganz nett, eine tolle Frau, aber doch mehr der Kumpel-Typ und dass mit der Ex eigentlich doch alles viel besser war als es mit uns je sein könnte.
Von mir selbst kann ich sagen, dass ich durch das Internet meine Erdkunde-Kenntnisse innerhalb Deutschlands erheblich erweitern konnte. Und ich habe doch keine Kosten und Mühen gescheut, mich auf den Weg zu dem vermeintlichen Prinzen zu machen. Immerhin wohne ich ja in Berlin. Aber da ich ja auch angegeben habe, nicht ortsgebunden zu sein: was soll´s. Das erste Mal, dass ich mich mit einem Mann, der weiter weg lebte, getroffen habe, war in der Nähe von Frankfurt. Auch nicht unbedingt der nächste Weg, aber ich hatte das Gefühl, es könnte sich lohnen. So richtig. Rüdiger hatte einen naturverbundenen Beruf, zwei Hunde und liebte seinen Job wirklich. Das finde ich beim Internet-Kennenlernen ja besonders spannend. Wenn man sich per Mail versteht, kommt ja der große Moment, wo man dann schon mal die Telefonnummer austauscht. Und mit welchem Herzklopfen geht man an die Sache ran. Es ist schon erstaunlich und verblüfft mich immer wieder. Für mich persönlich ist es der schiere Albtraum, wenn man sich dazu durchgerungen hat, endlich mal anzurufen, und dann kein Gespräch in die Gänge zu kriegen. Wo ich genau in dem Moment, wo sich der andere am Telefon meldet, schon genau weiß: Vergiss es!!! Und das ganz schnell. Aber immerhin würge ich dann noch ein paar Sätze heraus. Wenn der andere dann einen "von der Stimme her schon mal ganz nett findet", habe ich ein kleines Problem. Denn wie das Gespräch beenden? Bei mir hat sich die Nummer bewährt: „Du, es hat gerade an der Tür geklingelt. Überraschender Besuch, ich muss jetzt Schluss machen. Ich melde mich dann noch mal.“ Blöd ist nur, dass ich ziemlich lange gebraucht habe, um bei der Telekom die Anzeige meiner Rufnummer unterdrücken zu lassen. Aber dafür erweist sich dann die Anschaffung eines Anrufbeantworters als sehr hilfreich.
Ich bin halt jemand, der total viel auf die Stimme als solche gibt und dazu stehe ich auch. Wenn sich ein Mann beim ersten Telefonat sympathisch anhört und auch ein nettes Gespräch folgt, kann es in der Regel ja nur besser werden. Ich kann Pieps-Stimmen bei Männern nun mal überhaupt nicht leiden. Und auch Männer, die dann immer nur "Hmmh" sagen oder überhaupt nichts von mir wissen wollen, nichts fragen, sind mir ein Gräuel. Aber nun zurück zu meinem Naturburschen. Nach unseren ersten Telefonaten ist klar, dass wir uns schon eine Menge zu sagen haben. Also beschließen wir, dass wir gegenseitig Fotos austauschen wollen, damit jeder weiß, mit wem er es zumindest erst mal rein optisch zu tun hat. Was wir dann auch tun. Damit geht es in die nächste Adrenalinspiegelkrise. Ich schicke mein Bild per E-Mail total früh morgens - vor der Arbeit versteht sich - und mache mir den ganzen Arbeitstag über das Leben nicht gerade leichter. Wie wird seine Antwort sein? Gefalle ich ihm? Oder bin ich so überhaupt nicht sein Typ? Nachmittags öffne ich mit zitternden Fingern meinen E-Mail Postkasten und sehe, dass er geschrieben hat. Das wird jetzt seine Antwort sein. Definitiv. Ich bekomme Herzklopfen, als ich seine Nachricht anklicke und dann öffne: Du gefällst mir, buche doch bitte eine Fahrkarte. Ich freue mich ohne Ende. Endlich mal eine klare Ansage, kein Wischiwaschi oder schnödes Blabla oder - gar keine Antwort mehr. Es werden aufregende Tage bei Rüdiger, denn immerhin ist Frankfurt oder der Ort in der Nähe Frankfurts nicht gerade um die Ecke von Berlin. Aber – Gott segne das Internet - ist ja das Buchen einer Fahrkarte bei der Deutschen Bahn keine große Aktion mehr und online schnell erledigt.
Als der große Tag unmittelbar vor der Tür steht, bekomme ich in der Nacht davon kein Auge mehr zu. Wie wird er sein? Sieht er in Wirklichkeit so aus wie auf dem Bild? Ist er ehrlich und hat mir wirklich Bilder von sich geschickt und nicht welche von seinem besten Freund? Groß und schlank erwies sich in Wirklichkeit auch schon mal als klein und dick. Was soll ich sagen? Als ich auf dem Endbahnhof auf ihn warte, habe ich weiche Knie und wünschte mir entweder, er kommt innerhalb der nächsten 3 Sekunden (dann habe ich den ersten Augen- und Sichtkontakt hinter mir) oder innerhalb der nächsten 3 Stunden (was mir noch 2 Stunden und 59 Minuten die Möglichkeit gibt, mich meinen Tagträumen hinzugeben). Als er mich dann abholt, steht fest: er hat nicht gelogen und er sieht wirklich so aus wie auf den Bildern, die er mir geschickt hat.
Dann sitze ich endlich bei ihm im Auto und wir fahren zu ihm nach Hause. Noch heute muss ich meinen damaligen Mut bewundern. Denn ich bin ein absolutes Landei und normalerweise eine, die nicht mal eben so schnell zu einem fremden Mann fährt. Um ehrlich zu sein: ich würde mich nicht einmal von meiner Arbeitsstelle zu meinem Wohnort mitnehmen lassen, wenn ich denjenigen nicht gut kenne.
Aber ich steige tatsächlich zu jemandem ins Auto, den ich gerade erst kurze Zeit vom Mailen her kenne und dessen Stimme ich ein paar Stunden gehört habe. Wunderbar. Und sich sollte ja auch bei ihm übernachten. Aber da war auch das Internet eine Gnade, denn bei ihm im Ort gäbe es notfalls auch einen kleinen Gasthof. Rüdiger wohnt in einem kleinen Ort, naja, eher ein Dorf - und irgendwie ist es doch ein ganz schön blödes Gefühl, in einem Ort zu sein, den man nicht einmal aussprechen kann, geschweige denn genau weiß, wo er auf der Landkarte zu finden ist. Und dann eine Wohnung zu betreten, die einem fremden Mann gehört, lässt doch gerade ernsthafte Zweifel in mir aufkeimen, ob das alles so richtig ist. Aber ich tue es trotzdem. Und wir klären auch sehr schnell, wo wer schläft. Das finde ich schon ziemlich wichtig, denn ich möchte nicht mit jemandem gleich in der ersten Nacht das Bett teilen. Und schon gar nicht in der Phase, in der wir uns erst einmal ja nur beschnuppern möchten. Jedenfalls ist er mir nicht unsympathisch. O.k., er haut mich nicht vielleicht gleich aus den Schuhen, aber das muss ja auch nicht sein. Er hat jedenfalls etwas, das ich nicht unattraktiv finde.
Wir machen einen langen Spaziergang mit seinen beiden Hunden und reden und reden. Als er abends dann zuhause kocht, komme ich mir allerdings ziemlich überflüssig vor, denn er hat auch alleine alles gut im Griff. Ich brauche mich nur noch an den gedeckten Tisch zu setzen. Und gut kochen kann er, das steht außer Frage. Aber es ist dennoch ein komisches Gefühl, das nach dem Essen aufkommt. Wir sitzen auf seiner Couch wie ein altes Ehepaar und schauen uns im Fernsehen einen Film an. Obwohl wir uns total gut verstehen, passiert auf den körperlichen Ebene nicht viel und um bei der Wahrheit zu bleiben, gar nichts. Keine Anwandlungen von Händchenhalten wollen oder den anderen mal berühren. Das ist irgendwie kein gutes Zeichen. Und plötzlich, weiß der Himmel wie, schlägt seine Bandscheibe zu. Rüdiger schreit kurz auf und ist somit so gut wie bewegungsunfähig. Offensichtlich hat er eine blöde Bewegung gemacht – wie auch immer, Rüdiger kann sich kaum noch rühren und liegt auf dem Sofa wie angeschossen. Noch blödere Situation, denn damit ist das Spiel wer schläft wo, wieder neu eröffnet. Also, damit kann er unmöglich auf dem Sofa schlafen. Mieser Trick oder Wahrheit? Wir einigen uns auf das Teilen des großen Doppelbettes und denken uns eine große Glasscheibe dazwischen. Was auch ganz gut funktioniert. Zumindest beinahe. Denn er startet schon den zarten und gleichzeitig mutigen Versuch des Händchenhaltens im Bett. Aber damit kann ich nicht: nicht so. Wenn sich keiner seiner eigenen Gefühle so richtig im Klaren ist, sollte man solche Dinge lieber unterlassen. Naja, lange Rede gar kein Sinn: der Samstag und Sonntag gestaltet sich ruhig. Sehr ruhig. Zu ruhig.
Rüdiger liegt nach wie vor auf der Couch und schont seine Bandscheiben und ich sitze auf dem Sessel mit einem seiner Hunde auf dem Schoß. Dem Hund gefällt es übrigens prächtig. Ich denke, er hat niemals zuvor und auch niemals mehr nach meinem Besuch so viele Streicheleinheiten am Stück erhalten. Und als es Zeit für meine Rückfahrt nach Berlin ist, schafft er es immerhin noch, mich mit letzter Kraft zum Bahnhof zu bringen. Beim Verabschieden ist immer noch nicht klar, was wer fühlt. Klarheit bringt dann die Mail, die mich am nächsten Tag erwartet. Naja, ganz nett, und so weiter, aber irgendwie doch nicht so ganz das richtige. Also wieder einen Schuss in den Ofen. Und das wird auch das erste und letzte Mal gewesen sein, dass ich mich von Berlin aus an irgendeinen irdischen Ort unserer Republik schaffen werde.
Da fällt mir meine Freundin Marie ein. Wir kämpfen uns manchmal durchs Internet, als wären wir bei den Olympischen Spielen - und bleiben auch nach den ersten Enttäuschungen irgendwie immer noch eisern am Ball. Mittlerweile bin ich auch sehr vorsichtig, was die Größen- und Gewichtsverhältnisse der inserierenden Männerwelt angeht. Marie zum Beispiel durchforstete – auch wieder mal - die Anzeigen der Single-Männer und fand auch schlußendlich eine, die sie sehr ansprach. Es dauerte nicht lange, und schon war wieder reger Mailaustausch angesagt. Und: das erste Treffen ließ auch nicht lange auf sich warten. Strategisch gesehen veränderten wir im Laufe der Zeit unsere Taktik der Treffpunkte für das erste Date. Es mussten einfach neutralere Orte her. Wobei Marie es leichter hat als ich, denn sie verfügt über ein Auto - ich nicht. Aber gut. Marie hatte sich letzten Freitagabend mit Rolf verabredet. Und es hörte sich alles ganz toll an. Fürs erste zumindest. Rolf war pünktlich, was ja auch nicht immer gegeben ist, hatte aber dafür nur ein anders Problem: er kam aus seinem Golf gar nicht heraus, denn er steckte in ihm fest wie ein Korken in der Flasche. Dabei hatte er gar keine Gewichtsprobleme angegeben, im Gegenteil, er hatte doch gerade 20 kg abgenommen. Das hatte er jedenfalls in einer der Nachrichten an Marie geschrieben. Und nun kann man ihm nicht einmal Unehrlichkeit vorwerfen, der Fehler lag eher im Detail, denn über das Ausgangsgewicht hatte er einfach nur nichts geschrieben. Dieses Treffen hatte sich also auch relativ zügig als Flop erwiesen. Rolf hatte sich über mehrere Minuten redlich gemüht, seinem Golf zu entkommen, aber letztlich hatte er keine Chance, ihm zu entfleuchen. Nicht, dass ich unbedingt auf das Äußere achte, ich achte auch schon auf die inneren Werte. Aber wie soll man die inneren Werte kennenlernen, wenn schon die äußeren in einem 85-er Golf feststecken? Warum kann die Männerwelt nicht einfach ehrlich ein? Weder für Marie noch für mich wären ein paar Kilos zu viel ein Problem. Und auch ein paar mehr wären kein Ausschlusskriterium. Aber wäre es nicht ein viel besserer Start, gleich zu Beginn ehrlich zu sein?
Und bei mir gab es vor wenigen Tagen auch noch die Anzeige von Mike, der vermeintlichen "Rosine" unter 147.232 eingetragenen Männern. Ein Landwirt, aber das störte mich nicht. Im Gegenteil. Meine große Illusion, irgendwann wieder auf dem Land zu leben, mich in einen bestehenden Betrieb mit einbringen zu können, rückte damit wieder in greifbare Nähe. Da ich jemand bin, der gerne und gut mit anpacken kann, wo liegt also das Problem? Kurz und gut: Mailkontakt nett, Telefonstimme sehr nett und dann das Bild!!:
Ich persönlich lege gar nicht so wahnsinnig viel Wert auf einen Adonis-Körper oder ausgeprägte männliche Eitelkeit bezüglich Haarschnitt oder Kleidung. Aber das hat mich wirklich erschreckt. Das erste Bild war Klein-Mikey in seinem Minitrachtenanzug mit keckem Hütchen samt Feder auf einem Lammfell vor dem Bild eines röhrenden Hirsches. Ich ahnte schon furchtbares, als ich das nächste Bild anklickte, um es zu vergrößern. Mike heute: in einer Küche, in der die Zeit stehengeblieben ist, mit einer Plastiktischdecke und vielen Pullen Bier drauf, daneben ein paar kleine Schnapsgläschen und einige Freunde und/oder Nachbarn mit schon etwas gläsernen Augen. Und das lag nicht an der Qualität der Aufnahme. Denn diese Augen bekommt man nicht mal mit einer Kamera hin, die schon mehr Jahre auf dem Buckel hat als Methusalem persönlich. Da ich grundsätzlich erst einmal positiv denke und eigentlich an jedem Menschen etwas Hübsches oder Schönes finden kann, starrte ich das Bild an, als ob es ein neuer Versuch von Selbsthypnose werden sollte. So leid es mir auch tut - auch nach minutenlangem Starren auf den Bildschirm mit den Fotos. Nichts. Nicht die kleinste, allerkleinste Gefühlsregung. Halt! Doch: eine.... NEIN!!!! Noch völlig entsetzt, wie man sich als Mann so präsentieren kann und gleichzeitig so eine erotische Stimme haben, habe ich mich die ersten Momente tatsächlich und allen Ernstes gefragt, ob er mich veräppeln wollte. Oder mir gar die Bilder seines Vaters oder gar Großvaters geschickt hat. Vielleicht als Test oder so.
Aber er war es, denn als er anrief, um mich zu fragen, ob denn seine Bilder angekommen seien, konnte ich schlecht „Nein“ sagen. Oder fragen: „O.k. und jetzt sag mir bitte, wer ist das jetzt wirklich auf den Bildern.“ Meine Eltern haben mir ja beigebracht, nicht zu lügen. Was ja an sich nichts Verwerfliches ist, aber zum echten Problem werden kann, denn ich bin eine so ehrliche Haut, dass mich selbst kleinste Notlügen schon an meinem Selbst zweifeln lassen. Wie komme ich jetzt bloß aus dieser Nummer raus...? Was mir innerhalb von 6,5 Sekunden fehlte, war der Geistesblitz schlechthin, der aber definitiv ausblieb. Und ich merkte schnell, dass mir bei dieser Ausweich-und-Herausmanövrier-Nummer kein Mensch auf dieser Welt helfen wird. Also, eins war klar: Ehrlichkeit würde hier nur unnötig Schaden anrichten, denn wie bringt man jemandem bei, dass man ihn äußerlich nicht nur nicht anziehend, sondern eher das Gegenteil findet. Aber wenn ich die Wahrheit verschweigen würde, spreche ich ja schließlich keine Lüge aus, oder? Trotz dem Desaster möchte ich dennoch mein virtuelles Gegenüber nicht verletzen. Auch er wird genau die Frau finden, die zu ihm passt. Leider bin ich es sicher nicht. Also entscheide ich mich für die Verschweig-Version und laviere mich dann aus der Nummer heraus, in dem ich plötzliche Unpässlichkeit angebe - was aufgrund der dämlichen Situation tatsächlich nicht einmal geschummelt ist - was dann das Telefongespräch doch recht schnell beendet. Einfach eine blöde Situation. Ich hätte schwören können, der Typ muss - zumindest der Stimme nach - der Megaknaller sein. Die nächsten Tage hatte dann mein Anrufbeantworter einen recht anstrengenden Job und erfüllte treu und brav seine Pflicht und Schuldigkeit. Immerhin war das Ding schweineteuer gewesen!! Ich gebe zu, damit bekleckere ich mich nicht gerade mit Ruhm, aber Not macht eben erfinderisch.
Und in den nächsten Tagen werden auch meine Internet-Besuche - zumindest vorübergehend - ziemlich eingeschränkt. Verbunden mit den Gedanken, wie mir so etwas das nächste Mal vielleicht erspart bleiben könnte. Haut man schon bei der ersten Mail raus: O.k. Deine vier oder fünf Zeilen lesen sich ja ganz nett, aber bevor uns der Gedanke des Telefonnummern Austauschens kommt, schick erst mal ein Bild? Oder möchte man lieber wieder die Überraschungsnummer? Keine Ahnung. Und gerade als ich so nachdenke, stolpere ich rein zufällig über eine supernette Anzeige.
Michael ist Ende 40, sieht nicht so wahnsinnig gut aus, aber kommt auf seinen Fotos total sympathisch rüber. Er hat ein kleines Therapiezentrum, interessiert sich für Meditation und ist spirituell auf der Bewusstseinsleiter schon ganz schön nach oben geklettert. Also: kurz eine kleine Mail schicken - und warten. Ich hole mir in der Zwischenzeit was zu Trinken und zu Knabbern. Wenige Minuten später: Obwohl in meinem Steckbrief mein Geburtsdatum steht, wollte er es wenige Minuten noch mal ganz genau haben. Versehen mit Geburtsort und Geburtsstunde. Das ist ja nun eine meiner leichtesten Übungen. Weitere 10 Minuten später: Sie haben Post!!! Von Michael. Super. Schnelles Kerlchen!!! Also, er hat schnell in seinem Astrologie-Programm nachgesehen, und laut diesem Programm passen wir beide überhaupt nicht zusammen.
Obwohl ihn als Mann meine Anzeige total anspricht und er schon neugierig. Aber die Sterne würden leider dagegen sprechen und außer einen kurzen sexuellen Beziehung wäre nichts von uns zu erwarten. Man(n) erlebt mich normalerweise äußerst selten sprachlos, aber in diesem Moment starre ich lediglich auf diese reizenden Zeilen und mir fällt nichts mehr, aber auch gar nichts mehr dazu ein. Als sich die ersten Gedanken wieder bemerkbar machen, gab es außer sämtlichen Schimpfwörtern noch nicht so viel, dass sich außerdem in meinem Gehirn breitmacht. Nach wenigen Minuten bekomme ich allerdings eine Scheißwut auf diesen Typen. Haben die eigentlich alle einen Knall? Der würde glatt den Kontakt zur möglichen Traumfrau von vornherein abwürgen, nur weil "die Sterne überhaupt nicht zusammenpassen". Der nimmt wahrscheinlich irgendein weibliches Wesen, nur weil die das Glück hat, zur passenden Zeit und am passenden Ort geboren worden zu sein. Völlig egal, wie sie aussieht und wie sie sonst so ist, Hauptsache, das Horoskop passt. Furchtbar. Ich weiß nicht, was das Leben aus manchen Männern macht und ich wünsche ja keinem etwas Böses, aber bei Michael denke ich mir schon, dass er astrologisch auch gerne mal auf die Nase fallen könnte. Naja, auch Sterne könnten ja vielleicht mal lügen, oder? Also, war mein Traum innerhalb von wenigen Minuten wieder mal geplatzt. Und das ganz klar. Ohne viel Blabla und immerhin klarer Ansage.
An diesem Abend vergeht mir jedenfalls die Lust auf jegliche Surferei im Internet – und zwar gründlich. Ab sofort können mich doch alle mal kreuzweise, die sich da tummeln. Wozu brauche ich überhaupt einen Mann? Ich komme prima und bestens auch alleine klar. Ich kann machen, was ich will. Wenn ich abends müde von der Arbeit komme, das soll es ja auch mal geben, kann ich mich mit meiner Hundedame auf Sofa lümmeln, im Schlabberlook Gassi gehen. In Notzeiten und bei Kälte schaffe ich es sogar, mir den Jogginganzug über den Pyjama zu ziehen und mit Schuhen, bei dem sogar einem Penner die Tränen kommen würden, mit ihr loszuziehen. Stört ja keinen, weil nämlich keiner da ist.
Zumindest an solchen Abenden gehe ich hochzufrieden ins Bett, bepackt mit Pralinen, einem vor Schmalz triefenden Roman, einem Glas Sekt und einem höchstgradig anlehnungsbedürftigem Hund, der mich wenigstens versteht ohne dusselige Fragen zu stellen. Leider hält dieses hochzufriedene Gefühl nur bis zum nächsten Aufstehen und Alleine-frühstücken und allerhöchstens bis zum nächsten Freitagnachmittag. Glücklicherweise hält mich massiver telefonischer Kontakt zu Marie einigermaßen aufrecht. Ihr geht es halt auch nicht viel besser. Sie hat ihren "Suchradius" allerdings auch eingeschränkt und sucht nur noch nach Männern, die sich in etwa in Wohnortnähe aufhalten.
Meine Güte, manchmal frage ich mich wirklich, wo soll ich noch jemanden kennenlernen? An die "Wir-haben-uns-im-Supermarktkennengelernt-Nummer" glaube ich schon lange nicht mehr, denn so oft bin ich schon einkaufen gegangen und ich bin nicht ein einziges Mal angesprochen worden. Höchstens von älteren Damen, ob ich ihnen vielleicht mal den Zucker oben aus dem Regal reichen könnte. Und ich habe auch noch keinen Mann im Supermarkt angesprochen. In Filmen und Büchern sind es aber ja auch schließlich auch die Frauen, die angesprochen werden. Und ich möchte bitte erobert werden. Entdeckt, wie eine Blume inmitten einer Wüste aus Kakteen. Ich gebe zu: meine 1,80 m Körpergröße erwecken schließlich auch nicht unbedingt den Eindruck, eines kleinen, zierlichen, höchstens Kleidergröße 38 tragenden, hilflosen Geschöpfs, dem man(n) unbedingt unter die Arme greifen muss. Was wären meine Sonntage, ohne Romanverfilmungen, die mich in Welten entführen, in denen es noch richtige Männer gibt, in denen schicksalsgeplagte Seelen sich finden, der Glaube an die einzige und ewige Liebe so reich belohnt wird. Und das alles noch in landschaftlichen Kulissen, die malerischer und idyllischer gar nicht sein könnte. Und was meine Sonntage ohne meinen Fernseher wären, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Glücklicherweise habe ich ja einen.
Montags ist immer "Marie-Tag". Da ja meistens am Wochenende die berüchtigten Treffen mit unseren Internet-Probanden stattfinden, ist jede von uns immer auf den Erlebnisbericht der anderen gespannt. Und man glaubt einfach nicht, was es alles gibt, manchmal kann man es gar nicht glauben, selbst wenn man es wollte. Die Männer schaffen es einfach immer wieder, uns zu verblüffen und uns sprachlos zu machen. Aber all diese derben Erfahrungen konnten weder Marie noch mich dauerhaft davon abhalten, unser Glück doch noch im Internet zu finden. Im Gegensatz zu Marie bin ich immer noch der Meinung, ich muss meine Stadtflucht in Angriff nehmen und meinen Radius über mehrere hundert Kilometer Deutschlands aufrechterhalten. Ich habe einmal in Norddeutschland Urlaub gemacht und fand auch diese Ecke ganz reizend. Wie ich übrigens auch Süddeutschland ganz reizend finde und überhaupt alles, was viel Grün hat und nicht in der Stadt liegt... Aber dazu später mehr. Jedenfalls und glücklicherweise gibt es im Internet ja auch Seiten, die sich nur mit der Herzblattsuche für Landwirten beschäftigen.
In einer Anzeige finde ich die Idylle samt passendem Partner schlechthin. Ich sauge die Zeilen auf wie ein ausgetrockneter Schwamm und sehe mich schon in Bayerns Bergen Kühe melken und mich vor meinem inneren Auge in blaukarierter Bettwäsche schlafen in Federbetten dick wie die der Prinzessin auf der Erbse. Man wirft sich in diese alten Federbetten und hat das Gefühl, auf Wolken zu liegen.
Und er hat so wahnsinnig viel in seiner Anzeige geschrieben. Ich schmelze dahin, er kann nur mich meinen…. Der letzte Satz bricht mit allerdings das Genick und holt mich innerhalb von Sekunden auf den Boden der Tatsachen zurück: ich suche.... einen Partner, der sich zu seinem anderssein bekennt und das mit mir leben möchte. Scheiße, scheiße, scheiße! Er ist schwul, schwul, schwul! Das gibt es alles doch gar nicht mehr. In diesem Moment platzen neben meinen Tagträumen auch gleich meine imaginären dicken Federkissen und ich verfluchte alle schwulen Männer. Zumindest die, die als Tierarzt in Bayern leben und all das zu bieten haben, was ich mir von einem Mann so vorstelle. Mistkerl bayerischer!!! Nicht, dass ich was gegen schwule Männer habe. Im Gegenteil. Ich kenne viele schwule Männer und sogar ein schwules Pärchen. Man kann mit ihnen toll von Frau zu Frau reden, wenn man herausgefunden hat, wer die Frau ist. Sie schleifen einen mit zum Shoppen, versuchen herauszufinden, welcher Typ Frau man eigentlich ist und leben an uns das aus, was sie selbst im Alltag verstecken müssen. Und sie sind grundehrlich. Wenn man sich in Klamotten stürzt, die einem schon so lange in der Nase liegen, nachdem man sich wochenlang am Schaufenster die Nase plattgedrückt hat - gibt es nichts Peinlicheres als in diesen Klamotten im Laden zu stehen und hinter sich ein hysterisches lautes "Ooooohhh nein Kindchen, mein Engelchen, also das geht gar nicht. Du siehst furchtbar aus, Schätzchen. Komm, zieh das schnell wieder aus, wir finden was anderes für dich." Kurzes Wange- und Händchentätscheln und schon fühlt man sich wie Aschenbrödel beim Asche kehren. Mit einem so roten Kopf, dass man locker als Hydrant durchgehen könnte.
Aber sie haben immerhin jegliches Verständnis für jede Art emotionaler Regung. Ich habe nie wieder so herrliche Eifersuchtsszenen erlebt wie zu diesen Zeiten.
Ach, es ist irgendwie echt total schwer geworden, das Singledasein zu beenden. Laut neuester Statistiken gibt es so viele Singles wie noch nie, aber ich frage mich: Wo stecken sie, die netten Single-Männer. Nicht davon abzuhalten, meine Erdkundekenntnisse auch in Zukunft zu erweitern, lerne ich eines Tages beim Surfen Lars kennen. Ich machte keinen Hehl daraus, wie gerne ich wieder durch matschige Erde und duftende Felder stromern möchte und der Anfang war auch gar nicht so schlecht. Wir mailen hin und her und dann telefonierten wir eines Abends miteinander. Aber: wieder ein Schuss in den Ofen. Ich hörte mir sage und schreibe mehrere Stunden sein Problem an, ein passendes Auto für sich zu finden, nachdem das alte demnächst in die ewigen Jagdgründe eingehen wird. O.k. ich finde, so ein Problem sollte in einer Partnerschaft durchaus gemeinsam erläutert werden, aber für ein erstes Telefongespräch finde ich es echt daneben. Immerhin erfahre ich außerdem noch, dass er bzw. seine Eltern den einzigen Betrieb in Norddeutschland betreiben, der den Kühen den Luxus von Wasserbetten bietet. Und die auch noch beheizt. Nicht, dass ich diesen Einsatz nicht zu würdigen weiß. Wäre ich Kuh, würde ich ein warmes Wasserbett auch dem kalten und harten Stallboden vorziehen, aber es geht um das Prinzip. Aber da ich immer noch denke, beim ersten Telefonat redet man ja oft eine Menge Schwachsinn, weil man eigentlich gar nicht so richtig weiß, über was man reden soll, wird es beim zweiten bestimmt besser.
Aber weit gefehlt, als es beim zweiten, dritten und vierten auch nur um Autos geht, ziehe ich es vor, mich auch da auf galante Weise aus der nichtexistenten und auch nie stattfindenden sprichwörtlichen Affäre zu ziehen. Bewährt hat sich da doch immer wieder die "Alte-Jugendliebe-Methode", die es tatsächlich gab und als Notanker immer wieder mal herhalten muss. Und wer versteht nicht die überschwemmenden Emotionen einer alten Liebe, wenn man sich nach so vielen Jahren plötzlich und unerwartet trifft. Und so weiter und so weiter. Die meisten freuen sich rein höflichkeitshalber sehr für mich mit und können gut verstehen, dass es in so einer Situation überhaupt keinen Sinn mehr macht, sich mit einer Internet-Bekanntschaft weiter einzulassen.
Wenige Wochen später verlege ich mein Einsatzgebiet wieder mal von Norden nach Süden, genauer gesagt nach Franken. Eigentlich ist meine Antwort auf Peters Anzeige von vornherein nur pure Neugier auf einen interessanten Menschen. Mir ist von Anfang klar, dass ein Typ wie Peter mit 1000prozentiger Sicherheit auf kleine, zierliche Frauchen stehen würde und nicht auf eine 1,80 m Frau, die dunkelhaarig ist und sich mit Kleidergröße 42/44 begnügen muss. Nein, falsch ausgedrückt. Wie ein Hungerharken möchte ich schließlich auch nicht herumlaufen. Ich stehe zu meinen Pfunden. Wirklich!!!! Auch wenn es mir die Männerwelt nicht immer einfach macht. Jedenfalls bin ich von seinem Mut, mir gleich bei der zweiten Mail erotische Fotos von ihm anzuhängen mehr als überrascht. Das hatte ich auch noch nicht. O.k. er sieht nicht schlecht aus, aber irgendwie schwappt auch ein schaler Geschmack mit der Mail rüber. Was ist das denn für ein Typ, der sich da halbnackt um seine Küchenzeile gewickelt und drapiert hat? Der sich in schwarz-weiß Fotos beinahe hemmungslos zeigt. Und das diese Bilder einer Frau schickt, mit der er gerade mal ein paar Mails ausgetauscht hat.
Irgendwie finde ich das abstoßend und bin doch gleichzeitig neugierig auf den Menschen dahinter. Und damit beginnt ein reger Telefonkontakt. Peter lag über ein Jahr im Krankenhaus und hatte eine schwere OP hinter sich. Die Fotos bedeuten für ihn sowohl ein neues Leben als auch das Anfreunden und Auseinandersetzen mit einer Narbe, die sich über seinen kompletten Oberkörper zieht. Wir telefonieren oft und lange miteinander, obwohl - oder vielleicht gerade, weil wir füreinander überhaupt nicht in Frage kommen, können wir toll miteinander reden. Fakt ist: ich habe einen spannenden Menschen kennengelernt, mit dem ich mich ganz viel austausche, aber ein potentieller Partner ist immer noch nicht in Sicht. Das Internet ruft – und ich antworte. Es grenzt manchmal wirklich an die berüchtigte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Nur habe ich leider das Gefühl, die Stecknadel wird immer kleiner und der Heuhaufen galaktisch groß. Aber ich will nicht aufgeben. Immer noch will ich den kleinen Funken Hoffnung, den Traumprinzen doch noch endlich zu finden, nicht begraben.
Aber ich muss auch zugeben: es machen sich so langsam erste Selbstzweifel breit und das nicht zu knapp. Ich nehme mich selbst optisch mehr als kritisch auseinander. Vielleicht habe ich zu große Füße, einen zu kleinen Busen, bin zu groß, zu dick und was weiß ich noch.