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Wer sich mit Herrn Morbus Crohn das Leben teilen muss, gerät öfter in peinliche, skurrile, lustige und auch traurige Situationen als ihm lieb ist. Mein Untermieter versucht doch immer wieder, mich kleinzukriegen - da ist er aber trotz seines zehnten Geburtstages bei mir an der falschen Adresse. Und so geht es beschissen bis heiter einfach weiter.
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Seitenzahl: 72
Veröffentlichungsjahr: 2021
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„Bevor Du urteilen kannst über mich oder mein Leben, ziehe meine Schuhe an und laufe meinen Weg, durchlaufe die Straßen, Berge und Täler, fühle die Trauer, erlebe den Schmerz und die Freude. Durchlaufe die Jahre, die ich ging, stolpere über jeden Stein, über den ich gestolpert bin, stehe immer wieder auf und gehe genau dieselbe Strecke weiter, genau wie ich es tat. Erst dann kannst Du über mich urteilen." (Verfasser unbekannt)
Beschissen bis heiter geht es weiter
Back to the roots
Lagerkoller
Und wieder mal „all inclusive“
Mein unsichtbarer Begleiter
Auch Ratschläge sind Schläge
Jeder Tag ist ein neuer Tag
Mein Schneckenhaus
Sei gut zu Dir selbst
Wie ist ein Schub?
Heute so, morgen so
Bahn frei!!!
Meine persönliche Bilanz
Kopf oder Crohn
Glücksmomente
Zähne to go
Schwarz, weiß und grau
Dann wollen wir mal wieder
Kommunikationsprobleme
„Warum bittest Du nicht um Hilfe?“
Entgegen aller Vorhersagen
Die Pandemie bricht mir das Genick
8. Juni 2021
In der „Klapse“
Die Büchse der Pandora
Läuse und Flöhe
Mein „neues“ Leben
Wunschliste
Einfach nur Danke
Wer mit Herrn Morbus Crohn als Untermieter leben muss, erlebt immer wieder Situationen, die andere nur schwer oder überhaupt nicht nachvollziehen können. Manche davon sind durchaus heikel und im Nachhinein lustig, manche machen nachdenklich oder traurig. Manche sind so peinlich, dass man sich sofort atomisieren möchte und nie wieder darüber reden möchte. So geht es mir zumindest. Über manches spricht man, über vieles nicht. Manchmal wünsche ich mir, Herr Crohn wäre eine sichtbare Krankheit. Eine, die andere sehen können. Vielleicht würde mir diese Tatsache das Leben mit ihm manchmal etwas einfacher machen. Es würde mir vielleicht viele Fragen ersparen, mich vor verbalen Verletzungen, die in gut gemeinte Ratschläge verpackt sind, schützen und so mancher Diskussion würde der Nährboden entzogen, weil „gut“ auszusehen (wer auch immer das festlegt), heißt nicht, dass es einem auch gut geht. Aber das Leben ist schließlich kein Wunschkonzert und so heißt es für mich beschissen bis heiter geht es weiter in Koexistenz mit Herrn Crohn.
Ich liebe bei kleinen Kindern den gepamperten Po. Sie sehen so niedlich darin aus, weil sie in dem Alter meist noch total unbeholfen sind und gerade dabei sind, die Welt zu entdecken. Wenn sie noch im Krabbelalter sind, ist der kleine gewindelte Po meist neugierig in die Luft gestreckt. Wenn sie im Winter dick eingemummelt sind, sehen sie mit Windel aus wie kleine Zwetschgenmännchen.
So, jetzt habe ich laut meiner Geburtsurkunde vor Kurzem das halbe Jahrhundert gesprengt, bin aus dem Krabbelalter schon lange draußen und mein Hinterteil ist weder süß noch niedlich, wenn Mr. Crohn so zuschlägt, dass ich Windeln tragen muss. Ich habe einige Zeit in der Pflege gearbeitet und bei erwachsenen Menschen Windeln gewechselt. Das war, bevor Mr. Crohn bei mir eingezogen ist. Und ich dachte mir damals, ja, wenn ich mal alt bin, dann wird mich das vielleicht auch erwarten. Es ist ein komisches Gefühl, Windeln bei einem fremden erwachsenen Menschen zu wechseln und etwas ganz anderes, als bei einem kleinen Kind. Man berührt den Intimbereich eines fremden Menschen und mir war immer wichtig, die Würde dieses Menschen zu achten und zu wahren. Ich habe manchmal daran gedacht, wie es wohl sein wird, wenn ich selbst einmal alt bin und auf dieses Hilfsmittel angewiesen sein werde. Zu keinem Zeitpunkt habe ich damals daran gedacht, dass dieser schneller kommen könnte, als mir lieb ist. Und ich hätte auch nie gedacht, wie viele Kämpfe es mit mir selbst bedeuten würde. Kurz und gut: Mr. Crohn hat zugeschlagen. Aber richtig. Was bedeutet: Das Haus bzw. meine Wohnung ohne „doppelten Boden“ – im wahrsten Sinne des Wortes – zu verlassen ist ein Unding. Und ich kann aber auch nicht mehr tagelang in Einzelhaft sitzen. Ich werde zumindest mal schnell Einkaufen sausen müssen und mal zum Arzt.. Manches kann ich an liebe Freunde und Bekannte abgeben, die mir das Notwendige oder Gewünschte kaufen und dann vorbeibringen - aber leider nicht alles. Schade eigentlich. Ich schleiche um die Windeleinlagen in meinem Badschrank herum wie die Katze um den heißen Brei. Weiß, saugfähig – und leider sehr dick – liegen sie vor mir. Und es ist ja nicht so, dass ich keine Auswahl hätte. Ich habe Höschenwindeln und dicke und große Windeleinlagen. Ich zupfe an einer Einlage und lege sie wieder auf den Stapel zurück. Und mache schnell die Schranktür zu. Eigentlich muss ich ja gar nicht raus. Der Arzttermin ist eine Routinesache, die ich auch ein paar Tage verschieben kann. Also schnell anrufen und einen neuen Termin ausmachen. Ich seufze auf. Der Kelch ist erst mal an mir vorbeigegangen. Für heute. Aber andererseits: Ich möchte auch mal raus. Einfach vor die Tür und ein paar Schritte gehen. Es muss nicht weit sein, aber einfach mal frische Luft schnappen. Wieder schleiche ich zum Badschrank und öffne die Tür. Meine Güte, was ist schon dabei? Ich versuche, mir selbst Mut zu machen. Mann! Es ist eine Menge dabei. Ich kann meine Körperfunktionen gerade nicht kontrollieren, werde aussehen, als hätte ich einen Arsch wie ein Brauereigaul. Tür schnell wieder zu. Ich könnte es ja erst mal mit einer Einlage versuchen. Nur mal so. Zuhause. Da sieht es ja keiner. Ich suche eine alte und große Unterhose heraus. Meine Güte, das ist echt noch die XXL-Ausgabe von meiner Cortison-Zeit. Puh. Aber gut. Sei´s drum. Jeans aus und XXL-Slip an. Mit Einlage. Erst mal. Jeans wieder an – ich merke, dass sich der Reißverschluss schwerer schließen lässt, so ein Ding braucht offensichtlich doch eine Menge Platz. Ich stelle mich seitlich vor den Spiegel: Wow! Man könnte meinen, ich hätte ein Jahresabo im Sportstudio absolviert. Die Wölbung, die das Ding hinterlässt erinnert ganz leicht – aber wirklich nur ganz leicht – an einen Knackarsch. Ein paar Sekunden später: Vergiss die Nummer mit dem Knackarsch. Jeder wird sehen, dass das eine Windeleinlage ist und rein anatomisch ist an den Stellen ein Muskelaufbau sowieso nicht möglich. Also suche ich im Schrank nach langen Oberteilen. Sehr langen. Also eigentlich schon fast Minikleidern. Lose müssen sie über die Jeans fallen. Gefühlt probiere ich mindestens 100 Oberteile an – in der Realität nur 5, denn mehr habe ich gar nicht. O.k. Eins davon geht. Als ich die ersten Schritte mit dem Ding in der Hose mache, erinnere ich bestimmt an einen Reiter, der zu lange auf dem Pferd gesessen hat und jetzt erst einmal mit O-Beinen staksige Schritte macht. Es ist ungewohnt. Ungewohnt und peinlich. Weil ich weiß, was ich wirklich in der Hose trage. Und ich weiß, dass ich nicht zu lange auf einem Pferd gesessen habe, sondern diese Aktion Mr. Crohn zu verdanken habe. Es dauert echt, bis ich das Gefühl habe, wieder halbwegs normal zu laufen. Und es dauert, bis ich mich damit vor die Tür wage. Gefühlt stiert mir jeder, der hinter mir geht, auf den Arsch und denkt: „Hihihi, die Alte trägt eine Einlage.“ Tatsächlich ist es überhaupt nicht so. Aber ich muss das echt üben. Das wieder rausgehen mit gepampertem Hintern. Und unberechenbar wie Mr. Crohn nun mal so ist, schlägt er nach diesem Aufwand nicht zu. Und ich weiß noch nicht so richtig, wie lange es dauert, bis ich das Gefühl der Peinlichkeit besiegt habe und sage: Hey, das komische Teil schenkt mir die Freiheit, die ich oft so sehr vermisse.