»Besser wäre: keine« - Kathrin Röggla - E-Book

»Besser wäre: keine« E-Book

Kathrin Röggla

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Beschreibung

»Das seltsamste Telefonat, das ich in meiner Literaturkarriere wohl führte, begann mit dem Satz: ›Ich stehe mit meinen Studenten gerade in den Baumwollfeldern. Meine Studenten sind müde, hungrig, krank, schmutzig und wollen nur eines: nach Hause.‹« Kathrin Röggla berichtet von einer Reise nach Usbekistan, von Katastrophenhilfe und zynischen Helfern, die meinen: »Besser wäre: keine«. Sie fragt nach dem Zusammenhang zwischen internationalen Hilfsprogrammen und Kapitalismus und danach, wie die Arbeit der Institutionen die Länder und das Leben der Menschen verändern. Der Text entstammt dem gleichnamigen Band ›besser wäre: keine‹, der Essays und Theaterstücke versammelt, die unsere ökonomische und politsche Gegenwart durchleuchten.

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Seitenzahl: 29

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Kathrin Röggla

»besser wäre: keine«

Essay

Fischer e-books

»Besser wäre: keine«

Das seltsamste Telefonat, das ich in meiner Literaturkarriere wohl führte, begann mit dem Satz: »Ich stehe mit meinen Studenten gerade in den Baumwollfeldern. Meine Studenten sind müde, hungrig, krank, schmutzig und wollen nur eines: nach Hause.« Dies rief der Dekan ins Telefon, und es hörte sich an, als käme seine Stimme vom Mars. An eine Lesung sei also nicht zu denken, musste er erst gar nicht mehr hinzusetzen, und so verabschiedete man sich nach einigen Höflichkeitsfloskeln und legte auf. Schon auf der Fahrt nach Samarkand hatte ich erfahren, dass die Zwangsarbeitsdienste, an denen sich Schüler und Studenten beteiligen müssen, bis zu zwei Monate dauern können. Zwei Monate, in denen sie auf den zahllosen Feldern Usbekistans stehen und diese unendlich mühsame Arbeit praktisch unbezahlt machen müssen. Fünfzig Prozent der bebaubaren Fläche des Landes hat jener Baumwollirrsinn im Griff, der nicht nur den Aralsee austrocknen lässt, sondern auch einen unheimlichen Verschleiß an menschlicher Arbeitskraft bedeutet. Es herrscht sozusagen ein staatliches Baumwollgebot, und den genossenschaftsähnlich organisierten Bauern bleibt nichts anderes übrig, als diese anzubauen. »Alle Usbeken hassen die Baumwolle«, würde mir am Schluss des Aufenthaltes ein Weltbankmitarbeiter am Flughafen sagen, jetzt aber stand ich noch ratlos vor dem seltsam neu und, typisch für die Region, zugleich schon verschlissen wirkenden Universitätsgebäude auf einer der leergefegten Straßen Samarkands und fand mich wieder mitten in jener eigentümlichen paranoiden Kommunikationsstille, die mich in diesem Polizeistaat von Anfang an begleitet hatte. Jener typisch usbekischen Stille, die sich aus dem Verhallen von E-Mails, dem vergeblichen Warten auf einen Rückruf und der fehlenden Organisationsbereitschaft zusammensetzt. Eine Stille, die im krassen Gegensatz zu dem kommunikativen Gewusel, der gastfreundlichen Gesprächsbereitschaft von Kirgisistan, wo meine Reise begann, steht. Dort, so erinnerte ich mich plötzlich in Samarkand stehend sehnsuchtsvoll, waren Kontakte rasend schnell zustande gekommen, E-Mails wurden innerhalb eines Tages beantwortet, sogar Handynummern wurden ausgegeben. Ich bewegte mich also auf der leergefegten Straße langsam in Richtung Hotel zurück und dachte mir: Wie komme ich eigentlich hierher? Wieso will ich in so einem Land überhaupt auftreten?

Der Grund dafür ist eine Mischung aus Neugier und Nachahmungstrieb. Nachahmungstrieb? Wen um Himmels willen möchte ich dort nachahmen? Nein, ich kann nicht mehr Annemarie Schwarzenbach sein, ich kann auch nicht Nicolas Bouvier sein oder gar Michel Leiris, reisende bürgerliche Schriftsteller, die ihre feste Identität erst recht aufladen mit den Zufällen und Unfällen der Reise, den Begegnungen, die Fremderfahrung nur auf der Folie von Selbsterfahrung stattfinden lassen, auch wenn sie diese ständig problematisieren. Im Zeitalter von Tourismus und Migration kann ich höchstens ein wenig Hubert Fichte sein, dachte ich mir, das kriege ich vielleicht noch hin, also Reisende als Forscherin zu sein, doch irgendwie erschien mir dieses Programm in der Hitze der Samarkander Straßen plötzlich völlig absurd, ja nahezu verrückt, die ethnographische Zuversicht war wie weggeblasen.

Aber vielleicht, so überlegte ich mir, wäre es hilfreich, erst einmal zurückzugehen zu den Ausgangspunkten meiner Suche. Vielleicht ist nach all den Recherchen, Reisen und Gesprächen möglicherweise der Punkt gekommen, mein Interesse wieder freizulegen, das unter der ganzen Informationsflut der letzten Monate vergraben liegt.

 

Ausschlag gab eigentlich eine Podiumsdiskussion bei den Rauriser Literaturtagen im Jahr 2004