draußen tobt die dunkelziffer - Kathrin Röggla - E-Book

draußen tobt die dunkelziffer E-Book

Kathrin Röggla

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Beschreibung

»seien sie still, da schläft unser kreditkartenkind, das träumt jetzt bestimmt. es träumt vom gesunden kapitalismus.« Staatsverschuldung, Privatinsolvenzen, Schuldnerberatung – Kathrin Röggla erzählt vom Kapitalismus, komisch und real, ironisch und unverblümt. Der Text entstammt dem Band ›besser wäre: keine‹, das Essays und Theaterstücken versammelt, die literarisch und politisch, radikal und spielerisch von unserer Gegenwart erzählen.

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Kathrin Röggla

draußen tobt die dunkelziffer

Theater

Fischer e-books

draußen tobt die dunkelziffer

personal:

 

ein regulierer

einige berater

einige angehörige

 

vorstellbar als: arbeitslose, baugewerbemenschen, kreditunfälle, krankenstand, sozialhilfemenschen, selbständigenfrau, bürgschaftsopfer, finanzirrwische, versandhaustanten (kaufrauschtanten), konkursvögel, messies, schuldendynastie

vorstellbar als: spitzenverdiener, weltmarktführer, das verkaufsgenie, herr großanalyst, frau medienmacht, die pro7-menschen, das rtl-getier, das interessierte völkchen (gaffer), inkassopersonal, der gebietsübertreter, der rechtspfleger, der insolvenzverwalter, stromabsteller, sozialfahnder, die kreditkartenkinder, einheizer, einspeiber, einkäufer (die wilde jagd)

 

und:

automatenoma

automatenopa

weltmarktführer

 

das stück funktioniert wie ein außer rand und band geratener wunderwürfel. die szenen stehen in einem zusammenhang. das ganze darf aber durchaus zerlegt, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden, in einem schwung gespielt, unterbrochen, nur in teilen zusammengesetzt, solange nicht versucht wird, eine exemplarische erzählung herzustellen, eine metaerzählung, die alles hübsch in einem pädagogisch-moralischen sinn ordnet. immer wird dabei etwas wegfallen. wie im richtigen leben.

genauso verhält es sich mit den figuren. sie sind nicht eindeutig zugeordnet, schlüpfen in rollen, verschwinden wieder aus ihnen oder verschwinden im spiel. die einzelnen szenen beginnen deswegen ihre zählung immer neu, ziffern sind also nicht den oben aufgelisteten figuren zugeschrieben, sondern dienen der szeneninternen organisation, die freilich auch mal umgestoßen werden kann. eben wie im richtigen leben.

1.der regulierer (der regulierer)

sie also sind die angehörigen, die nicht richtig an die situation angeschlossenen, die sich hier an die situation anschließen lassen wollen, weil sie es nicht kapieren, weil es ihnen einfach nicht in den kopf geht. warum sie nicht gefragt worden sind. sie wollen wissen, wie man so was machen kann. wie man sie einfach außen vor lassen kann, wo sie doch so verwickelt sind.

sie also sind die angehörigen. die, die ihm mit einem taxi hinterherfahren, die seine telefongespräche kontrollieren, die seine kontoauszüge verfolgen, seine jackentaschen ausleeren und sich nummern aus seinem notizbuch rausschreiben oder zuhören, wenn er im nebenzimmer spricht. sie also sind die, die ihm hinterherschleichen. die die nächte durch wachbleiben und horchen, ob die tür geht. ob man schon schritte hören kann. ob er schon dasteht im gang und selber horcht, ob sie noch wachgeblieben sind. 

er wartet kurz.

ich kann sie ja verstehen. zuerst weiß man nicht: spricht man so jemanden an? ja, kann man so jemanden ansprechen, der so seinen abgang betreibt? kann man jemanden auf seinen kontostand ansprechen? macht man denn das? zeigt man auf all das versandhausgut, das schon wieder in der wohnung herumstehen tut? auf all die plastiktüten, die nicht geöffnet sind? nimmt man sich des postbergs an, sieht man sich all die briefumschläge an, die da ungeöffnet in der kiste liegen?

ja, immer wieder haben sie sich überlegt, wie lange ihre verwandte schon im zeitungsstapel steckt. ob man sie ansprechen kann auf die sammlung an plastikbesteck, auf die eingeschrumpelten luftballons, auf die müllberge vor dem bett, auf die abgelaufenen medikamente im bad. aber nein, sie rempeln ihre verwandte nicht an, sie nehmen nicht ihren ganzen kram und schmeißen ihn zum fenster raus. nur überlegen tun sie es schon. ja, sie denken darüber nach, was sich da machen lässt mit den ungedeckten schecks, mit der kreditkarte, die schon wieder in ihrer geldtasche steckt. sie haben sich gedanken gemacht. immer wieder haben sie die kontoauszüge geprüft, immer wieder haben sie sich gesagt, und vielleicht sagen sie das auch jetzt: meine güte, er war eben arbeitslos. oder: mein bruder hat eben kein lehrstellenangebot. oder: sie ist eben körperlich krank, meine frau. sie sagen sich: da hat es eine scheidung gegeben bei meiner freundin. oder: mein mann hat geschäftlich eben kein glück. jetzt wo er selbständig ist, das nennt man doch risiko. geschäftsrisiko, da ist man doch heute froh, wenn man das haben kann, das wollen doch alle. das sagen sie sich und knabbern dabei auf ihren fingernägeln herum.

ja, überlegen tun sie schon, was sich da machen lässt, das sehe ich ihnen an, sie überlegen genau, wie fängt man so was an. dass man das ein für alle mal unterbinden kann, das verhalten zumindest mindern, herunterschalten diesen geldknall, in dem er sich versteckt.

damit es wenigstens nicht so auffällt.

damit man es nicht so sehr entdeckt.

damit es nicht so aneckt.

er wartet kurz.

sie also sind die angehörigen, die an die situation nicht richtig angeschlossenen, die, die sich an die situation hier anschließen lassen wollen, doch es klappt nicht recht, nicht wahr? sie verstehen nicht. und ich verstehe auch nicht. ich habe gedacht, sie würden ihre angehörigenautomatik für einen moment mal unterbrechen, ich habe gedacht, sie wären hin und wieder mal außer betrieb, zumindest so lange, wie ich mit ihnen hier rede, aber das können sie wohl nicht. sie müssen immer dranbleiben an ihm, sie können von ihm nicht lassen, sie müssen klebenbleiben. sie sind ja lebendig begraben unter ihrer unterstützerwut, aus der sie keiner befreien tut.

ich verstehe ja, sie wollen die kontrolle bewahren, die ihm so fehlt. sie denken: vielleicht können sie noch rechtzeitig reagieren, wenn er das schon nicht kann. aber im prinzip reagieren SIE nicht. hier reagiert niemand. hier bringen sich nur alle um den verstand.

ich verstehe, es gibt sie nur als angehörige, sie haben ansonsten keine daseinsform, können keinen anderen aggregatzustand, auch jetzt nicht, wo es brenzlig wird.

er setzt noch mal an.

sie also sind die angehörigen. ich muss sagen: ich habe sie mir ein wenig anders vorgestellt, wenn sie jetzt so vor mir stehen, muss ich sagen, das steht ihnen gar nicht gut. wenn sie jetzt so vor mir stehen und alle verwandtschaftsgrade in ihrem gesicht zusammensammeln und über bord werfen wollen.

ich verstehe, dass sie sich nicht erschießen lassen wollen für das, was ihr angehöriger tut. ich verstehe, sie wollen nicht zeitzeuge ihres eigenen kollapses sein, doch dafür ist es wohl zu spät. sie sagen, sie steigen nicht in das dauerhafte niedrigeinkommen ein, das man für sie bereitgestellt hat, sie steigen jetzt vielmehr aus, sie kommen hierher, sie möchten ihre finanzen wieder im griff haben. doch in ihre finanzen lässt man sie nicht herein. sie sagen, sie wollen sich nicht erschießen lassen für das, was ihr angehöriger tut, dabei sie sind schon längst erschossen, nur haben sie es bisher noch nicht bemerkt.

2.anwesenheit

1

hat er wieder telefondienst?

2

er macht die anwesenheit.

1

er macht die anwesenheit?

kurzes schweigen.

2

also ich mache das nicht gerne.

1

was?

2

einen anruf nach dem anderen entgegenzunehmen. dauernd hängt einer in der leitung, und du sitzt da, kannst nur entgegennehmen, die ganze zeit nichts als entgegennehmen.

3.es gibt sie (wettkampf)

1

es gibt sie, die kreditunfälle, die gibt es:

2

krankheit, arbeitslosigkeit, scheidung.

1

es gibt sie, die kreditunfälle –

2

einer kommt selten allein!

1

und es gibt sie, die alleinerziehenden mütter. d.h. die drei alleinerziehenden mütter, d.h. die mütter von drei söhnen, die längst erwachsen sind.

2

die drei mütter von drei söhnen, die nicht mehr studieren, die in anderen städten wohnen. die drei mütter, die nicht mehr wissen, was ihre söhne eigentlich treiben, aber sie trotzdem mitfinanzieren, d.h. deren schulden mitfinanzieren. die mütter von drei söhnen, die nicht klarkommen, die immer wieder nicht klarkommen.

1

das sind die schwierigsten: die mütter, die ihre söhne mitfinanzieren oder etwas an ihren söhnen mitfinanzieren, wovon sie eigentlich keine ahnung haben, was das sein könnte, aber es trotzdem nicht lassen können, ihre söhne in irgendetwas zu unterstützen, nur damit die nicht auf der straße stehen –

sie schweigen kurz.

2

es gibt den ehemaligen starfotografen, ja, den gibt es. nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen serienschauspieler oder mit dem ehemaligen musikproduzenten oder musiker. es gibt den ehemaligen starfotografen, der sich dem postberg gegenübersieht und dahinter nicht mehr auftauchen kann.

1

der überhaupt nicht mehr auftauchen kann. der in seinen postalischen verhältnissen baden geht.

2

d.h., er fasst da nichts an. er macht keinen einzigen brief mehr auf.

1

es gibt den starfotografen und den postberg, und beide sind sie ein merkwürdiges paar.

sie halten inne.

1

und es gibt die oma, die neben ihrer spardose steht.

2

ja, die oma, die neben ihrer spardose steht.

1

und es gibt den enkel, der neben der oma mit der spardose steht. der sieht sie kurz an und sagt: »kannst du mal dem herrn 100 euro geben?«

2

und es gibt den kumpel, der neben dem enkel mit der spardose steht und sagt: »sag mal deiner oma, dass sie dem herrn 100 euro geben soll!«

1

und die freundin des kumpels, die wiederum neben diesem steht: »sag mal deinem kumpel, er soll seine oma fragen, ob sie dem herrn nicht 100 euro geben kann.«

2

oder auch die schwester der freundin des kumpels, die wiederum der ins ohr flüstert: »sag mal …«

1

wie leise sie spricht, man hört direkt die sozialhilfefamilie, wie sie sich durch die elektrik des hauses frisst.

2

o gott, die sozialhilfefamilie, wie sie sich langsam durch die elektrik des hauses frisst!

4.lange leitung

1

und immer hängt einer in der leitung.

2

ja, immer hängt einer in der leitung.

1

ganz mal davon abgesehen, wer alles mit in der leitung hängt!

2

aber er spricht mit allen.

1 sagt nichts.

2

er spricht mit allen.

5.es gibt sie

1

es gibt so gratishandys. so handys, die du zum nulltarif bekommst, wenn du einen vertrag abschließt. und es gibt so jugendliche, die holen sich eines nach dem anderen ab. – während sie noch mit ihrem kumpel telefonieren, schließen sie schon den nächsten vertrag ab. das machen sie so lange, bis sie nicht mehr wissen, welcher vertrag zu welchem handy passt, bis sie nicht mehr wissen, »wie viele handys habe ich jetzt gehabt?«, bis sie um die 20 verträge haben.

es gibt fälle von kaufrausch, ja, auch die gibt es. das sind frauen mittleren alters, zu denen sich jeweils ein kaufrausch gesellt, weil es sonst niemand anderer tut. da wird schon mal die unterschrift des ehemannes gefälscht, da wird schon mal das geld der kollegin geliehen, da wird schon mal die tochter gefragt: »sag mal, kannst du mir das bestellen?« da stecken schon mal die nachbarinnen die köpfe zusammen: ob sich da was verselbstständigt hat?

es gibt aber auch den obst- und gemüsehändler, dessen kunden nicht zahlen. es gibt den maurermeister, dessen auftraggeber nicht zahlen. und es gibt den architekten, der kein geld gesehen hat im letzten jahr. und den fuhrunternehmer. und den zulieferer. all die subunternehmer!

2

ja, wer alles kein geld gesehen hat in letzter zeit, das summiert sich schon.

1

denn es gibt nicht nur den architekten, der nicht bezahlt wird, es gibt auch den schwarzarbeiter, der nicht bezahlt wird, und den schwarzarbeitenden architekten auch, es gibt den rechtsanwalt, der keine aufträge kriegt. es gibt den arzt, dessen praxis sich nicht amortisiert.

2

und den jugendlichen, der hat noch nie einen job anvisiert!

2 überlegt kurz.

2

und es gibt die sozialhilfefamilie, die plötzlich 4000 euro schulden hat, 4000 euro schulden beim stromanbieter, und man hat sie gefragt: »ja, was macht ihr denn da?« und sie haben gesagt, sie wüssten es nicht. sie hätten keine geräte, »wir benutzen nichts!«, hat der vater gesagt, und trotzdem waren sie da, die