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Beute und Conquista E-Book

Vitus Huber

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Beschreibung

Der welthistorische Vorgang der Eroberung Amerikas fasziniert heute noch. Wie er organisiert war und welchen Dynamiken er folgte, wurde aber bislang nicht hinreichend erforscht. Vitus Huber nimmt die Verflechtung politischer und ökonomischer Anreiz- und Belohnungsschemata in den Blick und analysiert, wie Beute und ihre Verteilung die diversen Akteure, Institutionen und Praktiken der "Conquista" beeinflussten und welche Rolle hier das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit spielte. So zeigt diese Studie, wie Beute und Verwaltung, Gewaltökonomien und Staatsbildungsprozesse bei der "Conquista" in verblüffender Weise zusammenhingen. Mehr noch: Diese Zusammenhänge formten nicht nur die Eroberung Amerikas, sondern begründeten zudem ein über 300 Jahre währendes Kolonialreich. https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/

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Vitus Huber

»Beute und Conquista«

Die politische Ökonomie der Eroberung Neuspaniens

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Der welthistorische Vorgang der Eroberung Amerikas fasziniert heute noch. Wie er organisiert war und welchen Dynamiken er folgte, wurde bislang aber nicht hinreichend erforscht. Vitus Hubers Studie bietet eine neue Erklärung für die »Conquista«, indem sie die Verflechtung politischer und ökonomischer Anreiz- und Belohnungsmechanismen in den Blick nimmt. Diese folgten dem Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit, wonach jeder Konquistador entsprechend seinem geleisteten Beitrag aus der Beute belohnt werden sollte. Die Aussicht auf materielle und soziale Besserstellung sowie die spezifischen Formen der Beuteverteilung bestimmten den Prozess der »Conquista« und begründeten ein 300 Jahre währendes Kolonialreich. So zeigt sich in verblüffender Weise, wie bei der Eroberung und Kolonisierung Amerikas Beute und Verwaltung, Gewaltökonomien und Staatsbildungsprozesse zusammenhängen.

Vita

Vitus Huber, Dr. phil., war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität München; derzeit ist er Visiting Fellow an der Harvard University.

Für Anna

Inhalt

Einleitung

1. Verträge, Versprechen und Verteilungsgerechtigkeit. Vereinbarung der Belohnungsansprüche

1.1Genealogie der iberischen Beuteökonomie. Legitimationen, Normen und Praktiken seit der Reconquista

1.1.1Gerechter Krieg und Kriegsfinanzierung

1.1.2Quinto real und die Verrechtlichung von Raub

1.1.3Beutepraktiken in der Reconquista

1.2Kontraktualistische Conquista. Joint Ventures »in unserem Namen und auf Eure Kosten«

1.2.1»Die Teilung der Welt wie eine Orange«. Expansion und Mission

1.2.2Risiko-, Gewinn- und Beuteverteilung in den capitulaciones

1.2.3Velázquez’ Instruktion an Cortés und der Cabildo de Veracruz

1.3Goldgierige Glücksritter? Cortés’ Versprechen an seine Leute

1.3.1Mobilisierungspraktiken I. Ausrufung und Versprechen

1.3.2Mobilisierungspraktiken II. Registrierung und Kontrolle

1.3.3Investitionen

1.3.4Das epistemische Setting der Beuteökonomie

1.4»Indios amigos«. Allianzen und Mobilisierung der Indio-Konquistadoren

1.4.1Prähispanische Gesellschaftsstrukturen und Belohnungskulturen

1.4.2Indigene Allianzen mit den spanischen Konquistadoren

1.5Die Beute im Kopf. Analyse der Quellenlage und Beutebegriffe

2. Die Beute im Griff. Übertragung von Besitzrechten

2.1Kriegsbeute

2.1.1Formen der Beuteakquise

2.1.2Typologie des Beutecharakters

2.1.3Indios als Beute. Repartimiento und encomienda

2.2»Jedem seinen Anteil«. Praktiken der Beuteverteilung

2.2.1Mobile Beute. Gold, Silber, Edelsteine und Gefangene

Beuteverteilung und Kohäsion. Das Beispiel Michoacán/Mexiko-Stadt (1522)

Beuteverteilung und protokapitalistische Investitionen. Das Beispiel Nicaragua/Panama-Stadt (1524–27)

Beuteverteilung und Autorität. Das Beispiel Cajamarca (1533)

Beuteverteilung und demokratische Partizipation. Das Beispiel Cartagena (1534)

Beuteverteilung und individuelle Prämien. Das Beispiel Santa Marta (1536–38)

Idealtypische Beuteverteilung? Eine Synthese

2.2.2Boden des Imperiums. Landverteilung und Bürgerpflichten

2.2.3Encomiendas. Zuteilung ›anvertrauter‹ Indios

2.3Die Conquista ernährt sich selbst. (Mikro-)Dynamiken der Conquista

2.3.1Conquista-Itinerare. Geografische Mobilität der Konquistadoren

2.3.2Conquista-Karrieren. Soziale Mobilität der Konquistadoren

2.3.3Reinvestierte Beute. Mikrokoloniale materielle Dynamik

2.4Staatsbildende Konquistadoren. Von der ermächtigenden Funktion des Steuerzahlens

2.4.1Die königlichen Akteure und kolonialen Institutionen

2.4.2Prozess der Edel- und Buntmetallschmelze

2.4.3Buchhaltung der Beute und Übertragung des quinto real

2.5Schweigen über Beute, sprechen über encomiendas. Zum Diskurs über Beuteverteilung

3. Vom Schwert zur Feder. Sicherung des Status

3.1Gnadenökonomie. Die Genese der informaciones de méritos y servicios

3.1.1Von parte zu merced. Die Verschiebung der Beutehoheit zur Krone

3.1.2Dienst- und Verdienstberichte. Standardisierung eines staatsbildenden Verfahrens

3.1.3Die Tücken der Texte. Textaufbau, Textkorpus und die Konsequenzen für ihre Analyse

3.2»Im Dienste Ihrer Majestät«. Narrative Strategien

3.2.1»A su costa y minsión«. Ostentation der Leistung

3.2.2»Primer conquistador«. Forderung nach Distinktion

3.2.3»Ad perpetuam rei memoriam«. Perpetuierung des Belohnungsanspruchs

Fazit

Danksagung

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Ungedruckte Quellen

Gedruckte Quellen

Literatur

Register

Einleitung

Das Bild aus der Descripción de Tlaxcala des Mestizen Diego Muñoz Camargo zeigt die beiden bekanntesten Generalkapitäne der Conquista: Francisco Pizarro und Hernán Cortés (vgl. Abb. 1). Neben ihnen knien ein Inka und die berühmte Nahua-Übersetzerin Malinche. Um die vier Personen herum liegen Reichtümer der Neuen Welt: Goldbarren und Silbermünzen, diverse Behälter und bestickte Tücher. Über den Köpfen der Generalkapitäne steht: »Cortés offeriert Neuspanien« und »Pizarro offeriert Peru«1. Daraus lässt sich schließen, dass die beiden Konquistadoren dem nicht abgebildeten König Karl V. (1516–56) die Herrschaft über die eroberten Reiche, inklusive der materiellen und personellen Ressourcen ›anbieten‹. Die fiktive Szene stellt dar, wie Cortés und Pizarro ihre Eroberungserfolge dem König als Dienst ostentativ überreichten.2

Es handelt sich insofern um eine typische Darstellung der Conquista, als auf die prominentesten Figuren fokussiert wird, den Indigenen eine untergeordnete Rolle zugeschrieben wird und die materiellen Schätze hervorgehoben werden. Die Darstellung lässt jedoch wichtige Aspekte aus, darunter die selbstständige Handlungsfähigkeit (agency) der Indigenen sowie die zahlreichen weiteren Akteure, Ebenen und Verteilprozesse der Eroberung. Deren Besonderheit gründet unter anderem darin, dass die Konquistadoren sich nicht als reguläre königliche Armee organisierten. Sie waren weder Soldaten noch Söldner mit einem festgelegten Sold, sondern relativ spontan zusammengestellte Gruppen junger Männer, die teils aus dem Kleinadel, hauptsächlich aber aus den mittleren Gesellschaftsschichten stammten.3 Sie unterstellten sich einem Anführer, dem die spanische Krone erlaubt hatte, einen Entdeckungs- und/oder Eroberungszug auszurüsten und durchzuführen. Die nötigen Mittel dazu mussten die Teilnehmer selbst in die Beutegemeinschaft einbringen. Als Belohnung für ihre Leistung, die sich an den beigesteuerten Leuten, Waffen, Tieren oder auch Schiffen und Nahrungsmitteln bemaß, hatten sie Anspruch auf einen Teil aus der Beute. Diesen teilte ihnen der Anführer in einem ersten Schritt unmittelbar zu, wobei der Krone in der Regel ein Fünftel zustand. In einem zweiten, mittelbaren Belohnungsvorgang supplizierten die Konquistadoren bei der Krone um Privilegien, Titel und ›Ehren‹. Aus ihren dazu verfassten ›Dienst- und Verdienstberichten‹ (informaciones de méritos y servicios) sowie aus weiteren Quellen geht hervor, dass sie von der Krone erwarteten, für ihre Leistungen belohnt zu werden.4

Unter diesen Vorzeichen liest sich dieses Bild nicht nur als Demonstration von Diensten qua Beute, sondern auch als Supplikation um mittelbare Belohnungen. Berücksichtigt man den Entstehungskontext der Zeichnung, wird eine Ebene erkennbar, die nicht illustriert ist: Muñoz Camargo widmete diese Beschreibung von Tlaxcala nämlich Philipp II. (1556–98) und überbrachte sie ihm 1585 in einer Gesandtschaft, die beim König um Privilegien für den Stadtstaat Tlaxcala bat.5 Das Bild war somit selbst Teil einer Ostentation von Leistung, die auf königliche Gnadenerweise zielte und sich nur im Rahmen dieser bemerkenswerten gestaffelten Belohnungslogik der spanischen Expansion erklären lässt.

Abb. 1: Muñoz Camargo, Descripción de Tlaxcala, 1581–84, UGL, Ms. Hunter 242, f. 248v

1. Verträge, Versprechen und Verteilungsgerechtigkeit. Vereinbarung der Belohnungsansprüche

Bevor sie sich auf den Weg zur aztekischen Metropole Tenochtitlan machten, vereinbarten die Anhänger von Cortés mit diesem in Cempoala folgenden Verteilschlüssel:

Dass Ihrer Gnaden [= Cortés] ein Fünftel von allem gegeben würde, was es auf den erwähnten Raubzügen gäbe, nachdem zuerst das Fünftel, das Ihrer Hoheit [= König] gehört, herausgenommen worden sei. Und dass der Rest unter der ganzen Gemeinschaft an alle gleichermaßen verteilt würde, entsprechend dem, was jeder Einzelne diente und verdiente.85

In diesem Schreiben vom 6. August 1519 wird erstens die für die Legitimierung von Beute zentrale Institution des königlichen Fünften genannt. Sie bildete sich aus präislamischen Beutepraktiken heraus und etablierte sich auch in den Vereinbarungen zwischen der Krone und den Generalkapitänen der Konquistadoren. Zweitens hält das Schreiben den exzeptionellen Fünften für Cortés fest, an dem sich zeigen lässt, wie Kohäsion und Hierarchie einer Konquistadorengruppe durch die Frage der Beutehoheit und der Beuteverteilung bestimmt wurden. Drittens deutet es die Belohnungslogik der Beuteökonomie an, die als leistungsorientierte und erfolgsabhängige Ergebnisbeteiligung funktionierte. Größere Leistungen bedeuteten hier also Anspruch auf einen größeren Beuteanteil.

Für die Conquista und insbesondere für die Eroberung Neuspaniens war die Frage zentral, wie die Verteilung von Gütern geregelt wurde, noch bevor feststand, ob und wenn ja, welche Güter es zu verteilen gab. Daher wird die Belohnungslogik der Beuteökonomie hier als heuristisches Instrument verwendet, um zu untersuchen, wie die Konzepte einer gerechten Verteilung von Beute die individuellen Erwartungen der Konquistadoren und die Kohäsion der Konquistadorengruppen strukturierten, die einem Beutezug prinzipiell vorausgingen. Diese Belohnungslogiken entstammten den Beutepraktiken der Reconquista und wurden durch die Erfahrungen während der Eroberung der Kanarischen Inseln und des karibischen Raumes an die neue Situation sukzessive angepasst.

Dieser erste Teil der Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert, um die institutionelle, praxeologische und diskursive Ebene der Beuteökonomie zum Zeitpunkt vor der Beutenahme zu beleuchten. Im ersten Kapitel (1.1) wird eine Genealogie der Beuteökonomie im Mittelmeerraum von der Antike bis zur Conquista entlang der Forschungsliteratur sowie der edierten Beuteverteilbücher (libros de repartimiento) aus der Reconquista skizziert. Hier lassen sich neben den Verteilpraktiken die Theorien des bellum iustum sowie die Genese des quinto real aufzeigen. Sie waren fundamentale Institutionen der späteren Conquista, weil sie zur Legitimierung des Krieges bzw. der Eroberung und der darin erzielten Beute dienten. Danach (1.2) werden diese Institutionen im Rahmen der Vertragsschließungen der Conquista anhand der capitulaciones und Instruktionen untersucht sowie Cortés’ Ungehorsam gegenüber dem Gouverneur Kubas analysiert. Daran zeigen sich der spezifische Joint-Venture-Charakter zwischen der Krone und den Lizenznehmern (capitulantes) sowie die praktischen Spielräume der Akteure am Spezialfall der Eroberung Mexikos. Hier musste nicht nur das Beutemachen legitimiert werden, sondern die Beute wurde selbst eingesetzt, um das abtrünnige Verhalten Cortés’ zu rechtfertigen. Dadurch lässt sich neben der Legitimationsfrage von Beuteunternehmen auch erkennen, wie die Beute die Konstituierung der Gruppe beeinflusste.

Im daran anschließenden Kapitel (1.3) behandle ich die kontraktualistische Ebene zwischen Anführer und gewöhnlichem Konquistador. Hier wird die Analyse des Einflusses der Beute auf die Binnenstruktur und Konstituierung der Gruppe vertieft. Dies ist deshalb von Interesse, weil die Konquistadoren nicht als Soldaten einen bestimmten Sold für ihre Dienste erhielten, sondern ihnen entsprechend ihrer Beiträge (Waffen, Pferde) ein Anteil aus der Beute zustand. Diese Belohnung folgte der Logik einer leistungsorientierten Ergebnisbeteiligung und war erfolgsabhängig. Vereinbart wurden diese Ansprüche aber nur insofern, als in einer Liste die beigetragenen Leistungen der einzelnen Konquistadoren festgehalten wurden. Weitere Details oder Versprechen wurden bis auf Ausnahmefälle nur mündlich vereinbart. Neben diesen Mobilisierungspraktiken und der Mikrodynamik der Conquista müssen (1.4) die Allianzknüpfungen mit den mesoamerikanischen Konquistadoren berücksichtigt werden. Aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Spanier waren die Allianzen eminent wichtig, und auch hier zeigt sich die Übernahme hergebrachter Vertrags- und Belohnungslogiken in einem interkulturellen Setting.

Schließlich (1.5) werden Quellenlage und Beutebegriffe analysiert. So zeigen sich die Spezifika des Beutediskurses zum Zeitpunkt vor einer Beutenahme.

1.1Genealogie der iberischen Beuteökonomie. Legitimationen, Normen und Praktiken seit der Reconquista

In diesem Kapitel verfolge ich eine doppelte Agenda: Einerseits zeige ich die Genealogie der Beuteökonomie auf, die von der Historiografie – meist ohne ins Detail zu gehen – aufgrund der Tradierung von Praktiken aus der Reconquista für die Conquista als fundamental bezeichnet wird. Dabei werden diese Vorformen des Conquista-Beutekomplexes hier nur insoweit berücksichtigt, als sie diesen Komplex vermutlich beeinflussten und insofern sie für meine Untersuchung relevant sind. Andererseits benenne ich hier bereits methodische Chancen und Probleme, welche die Quellen zur Beuteverteilung in sich bergen. Zuerst spannt die Frage, wie die Conquista gerechtfertigt wurde, den Bogen von der Entstehung des bellum iustum seit der Antike bis zum darauf basierenden spezifischen Instrument des requerimiento.

Der Rahmen eines gerechten Kriegs erlaubte das Plündern, dessen folglich legitime Beute (spolia iusta) nach bestimmten Normen, die hier erläutert werden, zu verteilen war. Eine zentrale Rolle spielte der königliche Fünfte (quinto real), weshalb auch seiner Genese nachgegangen wird. Das ostentative Befolgen der Vorgaben für einen gerechten Krieg und eine gerechte Beuteteilung waren notwendig, um die neuen Besitzansprüche zu legitimieren und dadurch zu sichern. Daran werden Potenzial und Problem der Analyse der Quellen zur Beute in der Reconquista deutlich: Die legitimatorische Funktion der Listen der Beutedistribution führt dazu, dass diese Listen normen- statt praxisnahe Schilderungen des Vorgangs abbilden. Auf diese Herausforderung kann hier aufmerksam gemacht werden; die Kapitel zur Conquista stellen sich ihr. Außerdem lässt sich bereits das für die Beuteökonomie konstitutive Konzept der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) herausarbeiten. Daneben werden die heterogenen und dynamischen militärischen Organisationsformen und ihr ebenso vielfältiger Kontext der Reconquista beleuchtet, um die späteren Konquistadoren terminologisch schärfer zu fassen.

1.1.1Gerechter Krieg und Kriegsfinanzierung

In den militärischen Anordnungen vom 22. Dezember 1520 ermahnte Cortés seine compania in Tlaxcala, bevor sie zum zweiten Mal nach Tenochtitlan zogen, dass das Hauptmotiv ihres Unterfangens die Bekämpfung der Häresie sei. Inwiefern dies seine innerste Überzeugung widerspiegelte, lässt sich kaum eruieren, viel interessanter scheint mir seine Argumentation: Er sagte weiter, dass der Krieg, diente er nicht der Verbreitung des christlichen Glaubens, ungerecht wäre und folglich gewonnene Beute zurückzugeben wäre und die Krone die Dienste der Konquistadoren nicht zu belohnen hätte.86 Cortés verdeutlichte, dass die Frage der gerechten Beute und der Belohnung durch die Krone stark von jener des gerechten Krieges abhing, weil Letztere den Rahmen schuf, der legitime Beute von illegitimem Raubgut und einen belohnungswürdigen Diener von einem zu bestrafenden Räuber unterschied. Beim Raub bestand ein tendenziell höheres Risiko, den Gewinn wieder zu verlieren als bei einer rechtmäßigen Beute. Insofern schien Cortés’ implizites Versprechen auf legitime Beute attraktiver. Denn die Stärke eines Beuteversprechens korreliert nicht nur mit der erwarteten Beutemenge, sondern auch mit der Legitimität des Beutemachens und damit mit der erwarteten Beutesicherheit. Unter welchen Voraussetzungen galt also ein Krieg als gerecht, und inwiefern war es erlaubt, dabei Beute zu nehmen?

Die Lehre des gerechten Kriegs (bellum iustum) umfasste zu Zeiten von Cortés drei Hauptmerkmale: dass der Krieg von einer dazu bevollmächtigten Person – wie einem Fürsten – angeordnet (auctoritas principis) sowie aus einem gerechten Grund (causa iusta) und mit der richtigen Absicht (intentio recta) geführt wurde. Sie entsprang ideengeschichtlich der griechischen Philosophie und dem latinischen Fetialrecht (ius fetiale), in denen Krieg als Gottesgericht gesehen wurde, in dem der Gerechte siegt und die göttliche Ordnung (wieder-)hergestellt bzw. erlittenes Unrecht entgolten (res repetere) wird. Aristoteles verband erstmals die Termini ›Krieg‹ und ›gerecht‹ (dikaios polemos) und im Lateinischen finden sich in Ciceros Schriften erste Äußerungen zum bellum iustum mit Schwerpunkt auf der causa iusta.87 Der Krieg hatte Cicero zufolge dem Gerechtigkeitsprinzip und dem Naturrecht (ius naturae) zu entsprechen, wofür er aus einem gerechten Grund geführt werden musste. Ein auf der naturrechtlichen Selbstverteidigung (defensio) beruhender Grund konnte im bedrohten Wohl und Schutz der Gemeinde (pro salute) oder in der Treueverpflichtung (pro fide) gegenüber Verbündeten, Freunden und Untergebenen liegen. Wenn das Staatswohl (salus) oder Fides-Klientel durch feindliche Angriffe (propulsandorum hostium) oder erlittenes Unrecht (ulciscendi) gefährdet würde, sei Krieg gerechtfertigt.88

In der römischen Kaiserzeit kam der Faktor der auctoritas principis hinzu, da die Macht stärker beim Kaiser konzentriert wurde, der die Kriege anordnen durfte. Während sich die christliche Lehre im römischen Reich zur Staatsreligion (ab 380) entwickelte, beeinflusste nach Laktanz, Eusebius und Ambrosius vor allem Augustinus von Hippo (ca. 354–430) den bellum-iustum-Gedanken, dem dieser die theologisch motivierte intentio recta hinzufügte. Krieg musste mit der Absicht, den Frieden wiederherzustellen, geführt werden und nicht aus Habgier (avaritia) oder Herrschaftssucht (libido dominandi).89 Augustinus vereinbarte die pazifistischen Haltungen der Kirche und des Neuen Testaments mit Krieg, den er gestützt auf römisches Recht und das Alte Testament rechtfertigte, insofern dadurch erlittenes Unrecht vergolten oder Sünden verhindert wurden.90 Der Rechtsgelehrte Gratian († vor 1160) strukturierte Augustinus’ punktuelle Äußerungen und führte ihn mit seinem Decretum (um 1140) in das kanonische Recht ein, wobei er besonders in der Causa 23 des zweiten Teils Fragen zum Krieg behandelte. Ebenfalls Augustinus interpretierend, definierte Thomas von Aquin (ca. 1225–74) in seiner Summa theologiae (1269–72) unter der Quaestio de bello, dass ein gerechter Krieg mit den Vollmachten des Fürsten, einem gerechten Grund und der richtigen Absicht geführt werden müsse. Diese drei ius-ad-bellum-Punkte kristallisierten sich zu den Hauptmerkmalen der bellum-iustum-Lehre, die – ergänzt durch aus dem kanonischen Recht und Ritterkodizes stammende ius-in-bello-Vorgaben – in der Debatte um die Legitimität der Conquista im 16. Jahrhundert herangezogen wurden.91

Von den bellum-iustum-Theoretikern ist besonders Thomas von Aquins Standpunkt zum Beutemachen festzuhalten, weil er den Konnex zwischen der Gerechtigkeit des Krieges und jener der Beute verdeutlicht. Thomas sah die Beutenahme nur dann als legitim an, wenn sie in einem gerechten Krieg und mit der richtigen Absicht geschah. Wurde hingegen um der Beute statt der Gerechtigkeit willen gekämpft, entsprach die Beutenahme einem Raub:92

In Bezug auf die Beute muss man unterscheiden. Wenn jene, welche bei ihren Feinden Beute machen, einen gerechten Krieg führen, so wird das, was sie im Kriege mit Gewalt erwerben, ihr Eigentum. Das hat dann auch nicht die Bewandtnis des Raubes, weshalb sie auch zur Wiedererstattung nicht verpflichtet sind. Dennoch können auch die, welche einen gerechten Krieg führen, bei der Wegnahme der Beute durch Begierde aus falscher Absicht sündigen, wenn sie nämlich nicht der Gerechtigkeit wegen, sondern hauptsächlich der Beute wegen kämpfen; denn Augustinus sagt: ›Um der Beute willen kämpfen, ist Sünde.‹ Wenn aber die Beutemacher einen ungerechten Krieg führen, begehen sie Raub und sind zur Rückerstattung verpflichtet.93

Damit nannte Thomas das zentrale Argument, die Raub- und Eroberungszüge zu legitimieren: denn ohne Legitimation ›sündigten‹ die Räuber und riskierten ihr Raubgut zu verlieren, statt ihre Beute zu sichern und weitere Belohnungen zu erhalten.

Dies erinnert an die eingangs erwähnten Bedenken Cortés’. Doch schon davor war die Conquista, ausgehend vom ausbeuterischen Umgang der Akteure vor Ort hin zum ganzen Unterfangen, per se in Erklärungsnot geraten: Entsprach das Vorgehen der Konquistadoren einem gerechten Krieg? Mit welchem Recht eroberte die spanische Krone Amerika? Durften die Indios de facto versklavt werden? In Antonio de Montesinos Adventspredigt von 1511 kulminierte die Kritik der Dominikanermönche auf Hispaniola (heute Haiti/Dominikanische Republik). Sie stellte die Legitimität der spanischen Herrschaft über die Indios infrage, weil diese von den Encomenderos misshandelt und deshalb sterben würden.94

Die Krone rief ein Beratergremium ein, das Wege finden sollte, um den Herrschaftsanspruch über die Neue Welt – der an die Pflicht geknüpft war, ihre Bewohner zu evangelisieren – zu festigen und gegen die geäußerte Kritik zu sichern. Aus dieser Junta de Burgos entstanden erstens die am 27. Dezember 1512 und 28. Juli 1513 erlassenen Gesetze (Leyes de Burgos), die Mittel zur effizienteren Indoktrinierung der Indios und einen humaneren Umgang mit ihnen proklamierten. Die Indios sollten nicht mehr wie Beutegut verteilt (repartimiento de indios) und ausgebeutet werden, sondern den Spaniern zur Indoktrinierung, wofür die Indios mit Fronarbeit und Abgaben bezahlen mussten, »anvertraut« (encomendar = anvertrauen) werden. Dazu sollten sie näher bei den Spaniern angesiedelt werden – eine Politik, die aufgrund ihrer verheerenden Folgen für die indigene Bevölkerung bald wieder geändert wurde. Zweitens hatten der Experte in kanonischem Recht, Fray Matías de Paz, und der Jurist, Juan López de Palacios Rubios, als Mitglieder der Junta de Burgos Empfehlungen verfasst, wovon ein Teil des Gutachtens des Letzteren zum offiziellen Dokument namens Requerimiento geformt wurde. Dessen Inhalt sollten die Konquistadoren fortan den zu erobernden Indios vortragen, bevor sie diese, notfalls gewaltsam, unterjochten. Weil das Requerimiento ein spezifisches Rechtfertigungsinstrument der Conquista darstellt, lohnt es sich, kurz darauf einzugehen.95

Das Requerimiento diente als selbstreferenzielles Legitimationsprozedere. Es sollte die Indios über die Existenz des christlichen Gottes als einzig wahren Gott in Kenntnis setzen sowie vor die Option stellen, sich der christlichen Religion und der spanischen Krone friedlich zu unterwerfen oder bekriegt und gewaltsam unterjocht zu werden. Unterwarfen sich die Indios friedlich, sicherte ihnen die Krone ›Ausnahmen und Privilegien‹ zu, wie das Recht auf Eigentum, Landbesitz, eigene politische Führung und Jurisprudenz.96 Wenn sich die Indios hingegen widersetzten, waren die Spanier berechtigt, sie zu bekriegen, zu versklaven und zur Tributzahlung zu zwingen, während die Schuld für das Leid und die Toten die Indios trugen.97 Inwiefern das Requerimiento im Feld angewendet wurde, ist schwer zu sagen, weil die Hinweise darauf primär aus Chroniken oder normativen Quellen stammen.98 Cortés zum Beispiel befahl in einer Instruktion an seinen Cousin Francisco Cortés, dass dieser in der Expedition an die Küste Colimas, bevor er eine Siedlung angreife, versuchen solle, sie friedlich zu unterwerfen. Dazu gab er ihm eine »memoria« mit, die seinen Anweisungen zufolge die Funktion des Requerimientos erfüllte. Ob und wenn ja, wie es eingesetzt wurde, ist unbekannt.99

Inhaltlich stützte sich dieses Ultimatum auf das von Papst Innozenz IV. (1243–54) postulierte Recht zur Mission und stärker noch auf das Deuteronomium des Alten Testaments, demzufolge dem Feind vor einem kriegerischen Angriff ebenfalls die Option der friedlichen Unterwerfung mit anschließender Tributpflicht unterbreitet werden sollte. Verwehrte er sich dagegen, sollte die feindliche Stadt bekriegt, alle Männer darin getötet sowie die Frauen, die Kinder, das Vieh und die Beute unter den Angreifern aufgeteilt werden.100 Die generelle Praxis, vor Beginn eines Krieges dem Feind mittels eines Boten – im Mittelalter Herold genannt – formell eine Kriegserklärung zu verkünden, war verbreitet.101

Das Requerimiento glich inhaltlich und vor allem formal dem islamischen Ritual, Nichtmuslime vor einer kriegerischen Unterjochung kraft eines Dschihad zur friedlichen Unterwerfung ›einzuladen‹ (da’ā). Terminologisch zeigt sich diese Nähe bereits in der spanischen Übersetzung von da’ā mit requerir (lat. requirere), also auffordern oder hinweisen.102 Ab dem Ende des 9. Jahrhunderts dominierte die sunnitische Mālikī-Schule auf der iberischen Halbinsel, deren Begründer, Mālik ibn Anas († 796), für einen besonders ritualbezogenen Beginn des Dschihad und einen besonders liberalen Umgang mit den Gefangenen stand. Davon zeugt die Schrift Bidayāt al-Mujtahid des andalusischen Mālikī-Gelehrten des 12. Jahrhunderts, Ibn Rushd alias Averroes (1126–98), der zufolge ein Gesandter (rasūl) dem Feind (harīb) den Islam als neue Religion verkünden und ihn zu dessen Anerkennung als superiore Religion einladen bzw. auffordern sollte.103 Es genügte jedoch, sich dem Islam zu unterwerfen, ohne sogleich seinen Glauben anzunehmen, da der Glaube dem Koran zufolge nicht erzwungen werden konnte.104 Wer sich ohne zu konvertieren unterwarf, stand als dhimmī (auch ahl al-dhimma = geschützte Leute) im ›Schutz‹ (jimma) der muslimischen Herrscher, denen er eine jährliche Steuer, die Dschizya (ğizya), zahlen musste.105

Tributzahlungen gegen Schutzversprechen sind ein bekanntes Phänomen: Die offerierte käufliche Autonomie wurde auch den almaja (arab. Gemeinde; tributpflichtige Juden oder Muslime) unter christlicher Dominanz auf der iberischen Halbinsel zugestanden.106 Die Kastilier zogen eine solche Kopfsteuer – genannt parias oder tributo – unter Ferdinand I. (1037–65) von den Muslimen für ihren ›Schutz‹ und ihre Duldung ein.107 Diese Praxis etablierte sich, nachdem die Kastilier mit Toledo 1085 die erste größere islamische Stadt erobert hatten und Alfons VI. die Nichtchristen auf Empfehlung des Mozarabers Sesnando Davides gleichermaßen besteuerte wie zuvor die Muslimen die Christen. Diese Kopfsteuer fand noch bis in die Conquista Anwendung.108

Hinsichtlich der Funktion des Requerimiento wurde in der Forschung erstaunlicherweise trotz der Bezugnahme zum Alten Testament ein Aspekt ignoriert. Meiner Ansicht nach erfüllte das Requerimiento neben der legitimierenden noch eine disziplinierende Funktion: Indem die Konquistadoren vor einem Angriff an Gott und seine Verbindung zu ihnen sowie an den metaphysischen Sinn ihres Unterfangens erinnert wurden, konnten ihre Kampfmoral, Einheit und Disziplin gesteigert werden.109 Der gängigeren – und weniger spekulativen – These zufolge diente das Requerimiento im Sinne von Michail Bachtins autoritativem Diskurs dazu, die Eroberungspraxis der spanischen Krone mit deren Rechtsverständnis zu vereinbaren.110 Die Performanz des Requerimiento zwang den Indios eine hierarchisch unterlegene Rolle auf, in der sie entweder die Superiorität der Kirche und der Krone anerkennen konnten oder, indem sie sich dem verweigerten bzw. schlicht nicht nachkamen, unbewusst die Rechtsgrundlage für eine kriegerische Unterjochung im Sinne des bellum iustum als Krieg gegen Heiden und Barbaren schufen.111

Das Requerimiento folgte der Legitimationsideologie der Universalherrschaft, nach welcher der Papst als vicarius Christi Gottes Willen auf Erden ausführte und dadurch der spanischen Krone die Neue Welt zur Missionierung zuzuteilen befugt war.112 Dieses vom dominum universale des Papstes abgeleitete Missionsrecht interpretierten Krone und Konquistadoren als Herrschaftsrecht, das aber von Geistlichen und Gelehrten – besonders vom ›Vater des Völkerrechts‹ Francisco de Vitoria († 1546) – zunehmend kritisiert wurde.113 In seinen Vorlesungen (Relectiones) von 1528 bis 1539 befand Vitoria, dass weder der Kaiser noch der Papst ›Herr der Welt‹ (dominus mundi) seien und das Recht des Papstes in weltlichen Angelegenheiten nicht ausreiche, um Provinzen, Städte oder Landgüter zu verschenken. Die bis dahin als legitim angesehenen Rechtstitel kraft Erstentdeckung und Besitznahme beschränkten sich in Vitorias ›völker-‹ und naturrechtlichem Verständnis (ius gentium und ius naturae) auf herrenlose Gebiete. Sie konnten deshalb in der Neuen Welt – besonders seit der Kenntnis über das Aztekenreich ab 1520 – nicht gelten, weil er den Indios ein Eigentumsrecht über ihr Land zusprach.114 Hingegen definierte er zwei rechtmäßige Titel, bei deren Verletzung die Spanier gegen die ›Barbaren‹ Krieg führen durften: erstens beim Verstoß gegen das ius peregrinandi, dem Recht eines jeden Menschen, sich frei in der Welt zu bewegen und Handel zu treiben. Zweitens wenn die Spanier daran gehindert würden, zu predigen. Weiter sah er beispielsweise zur Verteidigung von Alliierten, Beseitigung von Tyrannen oder Verhinderung von frevelhaften Riten wie Menschenopfer die Bedingungen eines bellum iustum kasuistisch gegeben.115

Die Frage des gerechten Kriegs blieb im Elitendiskurs über die Rechtmäßigkeit der Conquista und über den damit verbundenen Herrschaftsanspruch der Krone während des gesamten 16. Jahrhunderts virulent.116 Die Kritik der Gelehrten, die seit dem Siglo de Oro als Schule von Salamanca117 bezeichnet wurden, schlug sich hinsichtlich der Kolonialverwaltung mit einem Verbot der Encomiendas in den Leyes Nuevas von 1542/43 nieder. Das Verbot scheiterte jedoch an den Interessen der lokalen Akteure – insbesondere der Encomenderos. Darauf disputierte in der Junta de Valladolid von 1550–51 Juan Ginés de Sepúlveda († 1573), der die Gewalt gegen die »barbarischen Indianer« verteidigte, mit dem Ex-Encomendero und bekehrten Dominikaner Bartolomé de las Casas († 1566), der die Vernunftbegabung der Indios zu beweisen versuchte und Krieg zur Verbreitung des Christentums verurteilte.118

Mit der Religion rechtfertigten noch im Hochmittelalter iberische Chronisten119, christliche Päpste und jüdische sowie muslimische Rechtsgelehrte Kriegszüge.120 Papst Gregor VII. (1073–85) war bemüht, sich gegenüber den Königen und dem Kaiser als höchste kirchliche Autorität zu behaupten, milites Christi im Sinne von Soldaten als päpstliche Truppen zu engagieren und Gewalt zu legitimieren.121 Letzteres war konstitutiv für die Kreuzzüge, denn damit gottesfürchtige Ritter das Töten von Nichtchristen als verdienstvoll statt als sündhaft erachteten, musste das Fünfte Gebot (»Du sollst nicht töten«) insofern relativiert werden, als zur Verteidigung oder Vergeltung des Christentums in einem gerechten Krieg getötet werden durfte.122 Sein Nachfolger Urban II. (1088–99) rief bekanntermaßen 1095 in Clermont den lateinischen Westen dazu auf, den christlichen ›Brüdern‹ in Byzanz militärisch gegen die Muslime zu Hilfe zu eilen und Jerusalem zu ›befreien‹. Die später Kreuzzüge genannten Unternehmungen, die sich daraufhin zu bilden begannen, wurden von Anfang an als Reaktionen auf muslimische Aggression und somit als legitime Verteidigung und Vergeltung des Christentums dargestellt.123

Die für die Kreuzzüge spezifischen Anreize für die Beteiligten lagen in der versprochenen spirituellen Belohnung.124 Als kriegerische Pilgerfahrt (peregrinatio) angepriesen, stellte Urban II. den Teilnehmern die Vergebung ihrer gebeichteten Sünden (remissio peccatorum) in Aussicht125, was ähnlich wie im islamischen Dschihad bald simplifiziert als Garantie des himmlischen Heils bzw. des Märtyrertums interpretiert wurde.126 Zum potenziellen Ablass fügte Papst Eugen III. (1145–53) für den zweiten Kreuzzug weitere Privilegien hinzu: Er versprach in der Bulle Quantum praedecessores von 1145/46, dass Besitz, Eigentum, Frau und Kinder der Teilnehmer von der Kirche geschützt würden, darüber keine Gerichtsprozesse geführt werden dürften, sie von Zinszahlungen befreit wären und schließlich, dass sie ihr Land und ihre Güter zur Finanzierung ihres Unterhalts verpachten durften.127 Damit sollte die Mobilisierung von Kreuzfahrern gefördert werden.

Neben Ruhm und Seelenheil sollten die Ritter, die das Kreuz nahmen, vom Feldzug initiierenden König oder Fürsten materiell entlohnt werden. Die Mittel dazu stammten aus den Kassen der Kirchen, Fürsten und Ritterorden sowie aus Sondersteuern (wie Kreuzzugszehnt) oder den Eigenmitteln der Kreuzfahrer, aber besonders wegen der mangelhaften Logistik des Nachschubs auch aus den Erträgen von Plünderungen, Beutenahmen und Lösegeldzahlungen für Gefangene.128 Nach der 1309 fertiggestellten Chronik von Jean de Joinville sicherte Ludwig IX. den Rittern, die ihn nach Palästina begleiteten, für den Dienst während eines Jahres einen fixen Lohn zu, der je zur Hälfte am Anfang des Unternehmens und nach einem halben Jahr an den jeweiligen Ritter und dessen Gefolgschaft ausbezahlt werden sollte. Die Teilnehmer erhielten demnach ihren festgelegten materiellen Lohn idealerweise bereits im Voraus. Weiter wurde Joinville zufolge vereinbart, ob die Ritter am Hof speisen durften, ob sie zusätzliche Geschenke erhielten und ob die Überfahrt der Pferde übernommen wurde; verlustig gegangene Pferde garantierte der König stets zu kompensieren.129 Im Kampf verlorene Waffen und Tiere wurden auch in den muslimischen und christlich-iberischen Kriegszügen sowie später in der Conquista aus der Beute ersetzt.130

Über den vereinbarten Lohn hinausgehende Einnahmen – beispielsweise aus Plünderungen und Beute – erachteten die Kirchengelehrten bezüglich der Kreuzritter als Sünde und Raub, was in der Praxis aber oft ignoriert wurde.131 Bereits Augustinus hatte in Berufung auf Johannes den Täufer verlangt, dass sich die Krieger mit ihrem Lohn begnügten und vom verbreiteten Beutemachen abließen.132 Da die Kreuzzüge aus Sicht der Christen den Prinzipien eines gerechten Kriegs entsprachen, erachteten sie es als legitim, bei Gelegenheit zu plündern und Beute zu machen und daraus die Beteiligten wie vereinbart zu bezahlen.133 Im Unterschied zu den Raubzügen auf der iberischen Halbinsel und später in der ›Neuen Welt‹ erhielten die Teilnehmer der Kreuzzüge ihren materiellen Lohn bereits im Voraus bezahlt, wodurch der Beute als Anreiz ein kleinerer Stellenwert in der Kriegsökonomie zufiel. Trotzdem verschafften sich besonders die Anführer und Ritterorden zusätzliche Beuteanteile, Ländereien und Herrschaftstitel.134

Die seit der Antike bekannte Praxis, für Waffendienst einen bestimmten materiellen Lohn zu beziehen, verbreitete sich durch die mittelalterlichen Söldner, die stets für den Kriegsherrn kämpften, der sie bezahlte – ungeachtet seiner religiöser Überzeugung. Auf der iberischen Halbinsel generierte die Fragmentierung des Kalifats von Córdoba im 11. Jahrhundert in die sieben konkurrierenden ta’ifa-Reiche einen Markt für söldnerartige Krieger – wofür Rodrigo Díaz de Vivar alias el Cid das berühmteste Beispiel ist.135 Auf die Beutepraktiken im Rahmen der Konflikte und Koexistenz von Juden, Christen und Muslimen auf der iberischen Halbinsel gehe ich noch ein, zu ihrem besseren Verständnis vorerst kurz zur Frage des gerechten Kriegs im Islam.

Im Koran wurde denjenigen Gläubigen, die angegriffen wurden, erlaubt, ihre Glaubensgemeinschaft zu verteidigen.136 Weiter durfte ein Dschihad initiiert werden, wenn es jemand ablehnte, sich dem Islam oder einem muslimischen Souverän zu unterwerfen.137 Im Unterschied zu den Konzepten des gerechten Kriegs und des heiligen Kriegs, in denen eine causa iusta zum Krieg nur bei einem Angriff auf den Souverän, Staat oder die Bevölkerung bzw. auf Gott, Kirche oder Christen bestand, sah der Koran in der Zurückweisung des Islams einen weiteren Kriegsgrund. Im Islam galten daher die Verbreitung des muslimischen Glaubens und die Etablierung einer islamischen Herrschaft neben der Verteidigung der Muslime und unter ihrem Schutz Stehender (dhimmīs) auch als intentiones rectae. Der gerechte sowie der heilige Krieg durften hingegen nur geführt werden, um den Staat, Alliierte oder die Gesellschaft bzw. das Gelobte Land, die Kirche oder die Christen zu verteidigen oder um erlittenes Unrecht zu vergelten. Bezüglich des dritten Hauptmerkmals eines legitimen Kriegs stimmten die Konzepte überein: Alle Kriege mussten von der Autorität – dem Fürsten, König oder Kaiser; dem Papst oder religiösen Oberhaupt; dem Kalifen, Sultan oder Imam – angeordnet werden.138

1.1.2Quinto real und die Verrechtlichung von Raub

Nachdem geklärt wurde, wie die Römer, Christen und Muslime ihre Kriege und Eroberungen moralisch und juristisch legitimierten, interessiert mich nun die Frage, wie die Beutenahme und besonders ihre Verteilung geregelt und gerechtfertigt wurden. Die kodifizierten Rechtssätze referieren seit dem Frühmittelalter im iberischen Raum etablierte Beutepraktiken und sie versuchten, neue zu implementieren. Gleichzeitig stellten sie ein Herrschaftsinstrument dar, mit dem die Befehlsgewalt des Herrschers untermauert und die Beutezüge legitimiert werden konnten. Zum Beispiel wenn ein Anführer demonstrativ ihre Vorgaben zur Beuteteilung befolgte. Sie bieten daher eine normative Folie der Beuteteilung und ihre Analyse verdeutlicht das für die Beuteökonomie konstitutive Konzept einer gerechten Verteilung.

Im Frühmittelalter dominierte ein Rechtspluralismus die iberische Halbinsel, auf der Al-Andalus von der sunnitischen Mālikī-Schule geprägt war und sich die christlichen Königreiche durch lokale Privilegien (fueros municipales oder cartas pueblas genannt) unterschieden. Besonders in den christlichen Grenzgebieten (frontera) konnten die fueros Steuererlasse für Bürger beinhalten, die Pferd und Waffen besaßen und dem König für einen Anteil aus der Beute ein bis drei Monate militärisch dienten.139 Die fueros beschrieben oft die lokalen Schlüssel zur Beuteverteilung, deren Umsetzung jedoch von den Machtsphären (señorial vs. realengo) und den Akteuren vor Ort abhing.140 Ab dem 13. Jahrhundert versuchten die christlich-iberischen Könige für ihre Reiche einheitlich geltende Rechte festzuschreiben und ihre eigenen gegenüber jenen der Feudalherren zu stärken. In Kastilien brachte dies unter Ferdinand III. den Fuero juzgo von 1241 und unter seinem Sohn Alfons X. die Siete Partidas von 1256–65 hervor.141 Ersterer enthielt das übersetzte westgotische Liber iudiciorum von 654, während die Partidas stärker Gewohnheitsrechte zusammenfassten, die von römischen, kanonischen, feudalen, maritimen und muslimischen Rechtspraktiken geprägt waren.142 Aufgenommen in die Leyes de Toro von 1505 blieben die Partidas für das kastilische Recht maßgebend, was sich trotz der kasuistischen Implementierung in Spanisch-Amerika auf die Conquista und Kolonialverwaltung auswirkte, besonders nachdem Karl V. 1519 bis 1523 die spanisch-amerikanischen Gebiete sukzessive in den kastilischen Rechtsraum integrierte.143 Für die Beuteverteilung verwies Karl V. neben Brauch und Gewohnheit (uso y costumbre) auf die Siete Partidas als normative Grundlage, weshalb sie hier prominenter behandelt werden.144

Aus den Partidas stellte besonders der königliche Fünfte (quinto real), der dem König auf Beute, Prisen und Bodenschätze zugesprochen wurde, einen in den Quellen zur Beuteverteilung in der Reconquista und Conquista zentralen Aspekt dar. Der Quinto Real hatte eine für die Beutezüge legitimierende und zum Herrscher hin Macht zentralisierende Funktion und ging vermutlich aus präislamischen (ğāhilīya) arabischen Beutepraktiken hervor.145 Warum aber gerade ein Fünftel, während auch ein Zwölftel, Zehntel, Viertel oder Drittel Anwendung fanden?146 Geht man der arabischen Spur nach, zeigt sich, dass es der Koran gestattete, im Dschihad Beute zu nehmen.147 Die islamischen Schriften unterschieden die Beute je nachdem, ob sie im Kampf (ghanīma) oder kampflos (fai’) gemacht wurde. In beiden Fällen konnte sie sowohl mobile Güter wie auch immobile bis hin zu Sklaven beinhalten, wobei das eroberte Land sowie die fai’-Beute komplett Allah bzw. dem islamischen Staat zufielen. Die ghanīma-Beute hingegen durfte nach definitivem Sieg und Abgabe eines Fünftels für Allah bzw. den religiösen oder politischen Machthaber (amīr) – bei den Schiiten einem Imam, bei den Sunniten einem Kalifen oder Sultan – unter den Kriegern aufgeteilt werden, um deren Dienste individuell zu kompensieren. Hierbei stand allen Mudschaheddin unabhängig von ihrem Rang ein äquivalenter Anteil zu, wovon jenen ohne Pferd einer auszuhändigen war und den berittenen Kriegern zwei bzw. der hanafitischen Rechtsschule zufolge drei.148

Als auszeichnende Belohnung konnte der Amir einzelnen Kriegern einen vorher versprochenen Bonus (anfāl) oder die Habseligkeiten des von ihnen getöteten Feinds (salb) zusätzlich zum Beuteanteil geben.149 Weiter wurde manchmal die fai’-Beute, über die stets der Herrscher bestimmte, den Kriegern als Stipendium (›aṭā‹) zugeteilt.150 So blieb die Verteilungsarithmetik ein Stück weit flexibel und es konnten herausragende Dienste oder Personen prämiert werden, was die Autorität des Anführers stärkte. Auch Futter und Nahrungsmittel sollten demjenigen gehören, der sie erbeutet hatte und nicht unter allen Beteiligten verteilt werden.151 Nichtmuslimische Alliierte wurden meist mit einem – wenn auch kleineren – Anteil der Beute entlohnt, während am Krieg partizipierende Frauen, Kinder und Sklaven keinen Anspruch darauf hatten, sondern für ihren Einsatz ein Geschenk (radkh) erhalten sollten.152

Dem Imam oder Sultan bzw. Kalifen stand ein Fünftel (khums) der ghanīma-Beute zu. Die Genese dieses Anspruchs wurde von der Historiografie bisher nur vage gefasst, vermutlich weil das Konzept des khums von den diversen islamischen Exegeten unterschiedlich begründet und ausgelegt wurde. Einerseits war khums eine Art Gewinnsteuer, aus der neben Allah bzw. Moscheen etc. die Armen, Waisen und ›Reisenden‹/Krieger unterstützt werden sollten.153 Sie war bei den Schiiten auf Einnahmen aus Einkommen, Vermögen, mineralischen Bodenschätzen, Perlen und Edelsteinen, Schätzen, Landkauf eines dhimmīs von einem Muslim sowie auf Beute zu erheben.154 Sie geht den schiitischen Überlieferungen (ḥadīth) zufolge auf ’Abd al-Muṭṭalib b. Hāshim, den Großvater des Propheten Mohammed zurück, der angeblich im wiederentdeckten Zamzam-Brunnen in Mekka einen Schatz der Ismailiten fand und Allah dafür ein Fünftel schenkte. Fortan sei es zum Brauch in der Familie des Propheten geworden, ein Fünftel von allem Gewonnenen – auch aus der Beute – an Allah bzw. den islamischen Staat zu entrichten. Dieser Brauch habe über den Koran und die Hadithe Eingang in die islamische Jurisprudenz (fiqh) gefunden.155

Eine andere Erzählweise argumentierte genau umgekehrt: Statt unter generelle Gewinne die Beute miteinzubeziehen, entsprangen die Gewinnbesteuerungen den Gewohnheiten der Beuteteilung. Diese Interpretation sieht khums als das Fünftel der Beute, das dem Anführer – neben seinem Anteil als Krieger und einem Beutestück seiner Wahl (safw al-māl) – jeweils zustand. Diese Praxis habe ihren Ursprung in präislamischen arabischen Stammesbräuchen und habe sich auf die erwähnten weiteren Gewinnarten ausgeweitet, wobei bei den Sunniten al-khums über die Beute hinaus nur noch Bodenschätze (rikaz) miteinschloss.156 Dieses zweite Narrativ argumentiert profaner und überzeugt mehr, wenn es auch offen lässt, warum dem Anführer mehr als seinen Begleitern zustand und weshalb gerade ein Fünftel und nicht ein anderer Anteil.

Eine dritte und die ersten beiden verknüpfende Interpretation vermutet, dass arabische Krieger, die in der römischen Armee gedient hatten, den Brauch, dem Anführer ein Viertel der Beute zuzugestehen und den Rest unter den Mitstreitern zu teilen, in die arabische Kultur tradierten. Mohammed habe nach einer Eingebung den Anteil auf ein Fünftel gesenkt, worauf sich der khums etabliert habe.157 Diese Erklärung wirkt wie ein apologetischer Versuch, den Ursprung des königlichen Fünften in der lateinischen statt in der arabischen Welt zu verorten. Immerhin besteht in der Historiografie Konsens darüber, dass die muslimische Expansion auf die iberische Halbinsel diesen Brauch einführte.158

Für den Alten Orient sowie die Griechen und Römer der Antike gibt es je unterschiedliche Beuteverteilschlüssel, wobei sich folgende Konstanten erkennen lassen: Ein Teil ging an den Herrscher oder an das Gemeinwesen – bei den Römern gingen zum Beispiel die feindlichen Immobilien in das Gemeindeland (ager publicus) über und die Staatsschätze sowie Schiffe standen dem Herrscher zu. Ein weiterer Teil – meistens die mobilen Güter des Feindes – erhielt der Befehlshaber, der daraus oft die Krieger belohnte, denen daneben eigene Beute zustand. Und ein letzter Teil – bei den Griechen soll es ein Zehntel gewesen sein – wurde den Göttern als Weihgabe erbracht.159 In der christlich-iberischen Beutearithmetik fehlt eine solche Opfergabe, stattdessen steht dem König ein Fünftel von allem zu. Der genaue Ursprung des königlichen Fünften bleibt also offen, seine Begründung hingegen ist in den Siete Partidas klar formuliert.

Die Verfasser der Partidas nannten generell die Ehre (honra) und konkret fünf weitere Gründe, weshalb dem König ein Fünftel von allen Erträgen aus Kriegen oder Beutezügen abzugeben war: Der Quinto Real manifestierte 1) die Anerkennung der Herrschaft (señorío) des Königs, 2) die dazugehörige natürliche Schuld des Vasallen gegenüber dem König, 3) die Dankbarkeit für die gute Behandlung, 4) den Tribut für Schutz und 5) die Hilfe für Heidenmissionen.160 Warum es gerade ein Fünftel war, ließen auch die Partidas offen. Den Anspruch darauf erachteten sie als exklusives Recht des Königs.161 Insofern waren die Partidas einerseits Ausdruck einer disziplinierenden Herrschaftspraxis, um die feudalen Mächte (señoríos) gegenüber der Krone einzuschränken, und gleichzeitig boten sie eine normative Folie der Beuteverteilung. Indem dieser Folie Rechnung getragen wurde oder zumindest nach außen – besonders gegenüber dem König – dieser Anschein plausibel kommuniziert wurde, konnten Beutezüge und die Teilungen ihrer Beute als legitim dargestellt werden.

Das Streben nach Gewinnen bzw. im Kriegsfall Beute wurde in den Siete Partidas als dem menschlichen Naturell inhärent angesehen – eine bemerkenswert frühe protosoziologische Einschätzung des Menschen als eigennütziges und gewinnorientiertes Wesen. Die gerecht distribuierte Beute würde den Empfängern demnach ›die größte Freude‹ bereiten und innerhalb der Gruppe deeskalierend wirken.162 Den Anspruch des Einzelnen auf Belohnung aus der Beute erachteten die Partidas aus fünf Gründen als berechtigt:

Erstens weil sie Einsatz leisteten, um die Beute zu gewinnen. Zweitens weil sie dadurch Treue [zum König] bewiesen. Und drittens weil sie die Beute zu verteidigen wussten.163 [… Und weiter] zum einen für die [durch das Unterfangen entstandenen] Kosten. Zum anderen weil sie sich dafür sehr großen Gefahren und Strapazen aussetzen.164

Dies ist deshalb relevant, weil, wie noch zu zeigen sein wird, in den späteren Dienst- und Verdienstberichten aus Spanisch-Amerika genau diese Topoi bedient wurden, um den Anspruch des Einzelnen zu begründen.

Um also die Beute den Partidas zufolge gerecht zu teilen, mussten zu Beginn alle ›Sachen‹ (cosas) zu einem ›Haufen‹ (montón) zusammengetragen werden, die während der Beutezüge die Beutewächter (guardas) zu tragen und bewachen hatten. Dann war es an den cuadrilleros165, die sich gemerkt haben sollten, wer was erbeutet hatte, die Beute folgendermaßen zu distribuieren:

erhielt grundsätzlich der König seine Rechte (sus derechos), also meistens seinen Fünften und potenziell weitere Abgaben.166

wurden die Kriegskosten beglichen – in der Praxis ging in diesem Moment ein Großteil der Beute an den Anführer, da dieser Schiffe, Verpflegung oder Waffen und Pferde für seine Leute bereitgestellt hatte. Zudem wurden die Betroffenen für materielle Kriegsschäden (enchas oder enmiendas) entschädigt.167

wurden die Kronbeamten sowie die Wächter (escuchas), Späher (atalayes) und ›Spione‹ (barruntes) aufgrund ihrer Sonderfunktionen entlohnt sowie die ›Versprechen, die Gott gemacht worden sind‹ bezahlt. Den Rest der Beute, wenn die cuadrilleros diese nicht direkt verteilten, hatten sie zu versteigern, wobei die Schreiber die Preise notierten und Zahlungsbelege ausstellten.168

wurde die Summe unter der Gruppe (hueste, compaña oder cabalgada) je nach Anrecht verteilt: »han de dar a cada vno su parte segund lo conuiene«169.

Idealtypischerweise sollte man also »jedem seinen Anteil entsprechend den [zum Beutezug] mitgebrachten Waffen, Männern und Tieren geben«170.

Diese beigetragene Leistung sollte von zwei Personen im Vorfeld registriert werden, wobei die Männer einzeln ›mit dem Auge gesehen‹ worden sein mussten und unter einer hochgehaltenen Lanze zwischen zwei Männern oder durch eine bestimmte Tür zu gehen hatten.171 Die dabei notierten Waffen etc. sollten zu Belohnungsansprüchen nach den detaillierten Tarifen der Partidas berechtigen: Wer mit einem Pferd, einer Lanze und einem Schwert oder als Armbrustschütze antrat, dem stand ein ›Reiteranteil‹ (cauallería) zu. Für weitere Waffen und Ausrüstungen kamen zusätzliche ganze cauallerías hinzu oder halbe für kleinere Rüstungsteile und Pferde oder Lasttiere. Die Männer ohne Pferd hatten nur auf eine halbe cauallería – auch peonía genannt (peón = Krieger zu Fuß) – Anspruch.172 Demnach sollten diejenigen mit einem Pferd grundsätzlich doppelt so viel – und je nach Waffen noch mehr – bekommen wie diejenigen zu Fuß.173 Dahinter verbirgt sich gleichzeitig eine soziale Hierarchie, denn dem Stand des gemeinen Volks wurde das Reiten vorenthalten. Zusätzliche Anteile und Sonderauszeichnungen (galardones) sowie Strafen bei Fehlverhalten konnten diese kollektiven Ansprüche individuell anpassen und berücksichtigen.174 Der galardón – in den libros de repartimiento auch milloria oder melloria genannt – sollte Anreize für herausragende Leistungen schaffen – ähnlich dem Most-Valuable-Player-Award für den wertvollsten Spieler im Teamsport oder den Gehaltsboni in der heutigen Arbeitswelt. In der Conquista hieß dieses Privileg mejora oder mejoría (Verbesserung) und bestand entweder aus Edelmetall oder versklavten Indigenen. Zudem durfte sich der Anführer grundsätzlich als erstes das schönste Schmuckstück (joya = Juwel) auswählen.175

Der idealtypische Verteilprozess (partición) bei Alfons X. folgte – abgesehen von den Klauseln, die der Krone und dem Adel Verdienste für ihren Stand anrechneten – im Grunde einer meritokratischen Logik, welche die einzelnen Beteiligten nach (Kriegs-)Leistung belohnte. Ähnlich dem Prinzip der in der Einleitung erläuterten Verteilungsgerechtigkeit sollte das gemeine Gut – in diesem Fall die Beute – nicht zu absoluten gleichen Anteilen, sondern pro rata entsprechend der Dienste jedes Einzelnen verteilt werden. Die cabalgadores konnten sich relational zur Gruppe ausrechnen, wie viel ihnen von der Beute zustehen würde. Weiter konnten sie wissen, dass erstens ihr Anteil proportional gesteigert würde, je größer die Beute insgesamt ausfiel und dass Sonderleistungen zusätzlich belohnt würden.176 Knapp gesagt hieß das: Je mehr jemand zur Beutenahme beitrug, desto mehr stand ihm zu, und je größer die Beute insgesamt ausfiel, desto größer würden die einzelnen Anteile. Mit der eingangs herangezogenen geometrischen Metapher ausgedrückt: je größer der Kuchen, desto größer die jeweiligen Stücke. In dieser Distributionslogik liegt der konstitutive Kern der Beuteökonomie, die für die Mobilisierung und Belohnung der Konquistadoren der Neuen Welt – wie noch gezeigt wird – signifikant war.

Die meritokratische Grundformel schloss die sozialen Hierarchien dennoch mit ein: In der Regel brachte ein armer Bauer kaum Waffen geschweige denn Pferde in das Unternehmen ein, weil er sie gar nicht besitzen durfte. Folglich stand ihm auch weniger aus der Beute zu. Zudem ließ sich der Verteilschlüssel in kasuistischer Manier anpassen, je nach den Umständen, unter denen die Beute gemacht wurde (An-/Abwesenheit des Königs, Kampfform, zu Land oder zur See) und je nach Charakter der Beute.177 Weitere situative Unterschiede entstanden, wenn die Beute bzw. Prise auf dem Meer gemacht wurde, wo der König entsprechend seiner Investitionen zur Bereitstellung und Ausrüstung der Schiffe mehr oder weniger erhielt.178

Im Vergleich zu Beuteunterfangen an Land bedingten jene auf See mindestens ein Schiff, was eine bestimmte Investitionspotenz voraussetzte, aus welcher der Investor oder der Kreis von Investoren entsprechende Gewinnansprüche erhoben. Die Partidas sprachen dem Admiral (almirante) ein Siebtel zu, während sich die Anteile der weiteren Ausrüster und Beteiligten wie bei der Beuteverteilung zu Land nach deren Einsatz richten sollte.179 Auf der iberischen Halbinsel flossen verschiedene maritime Kulturen wie die baskische und portugiesische Hochseefischerei im Atlantik oder der aragonische und katalanische mediterrane Fischfang und Seehandel zusammen. Dabei vermittelten die maritimen Gesetzeskodizes wie die Rôles d’Oléron seit der Mitte des 12. Jahrhunderts im Atlantik oder dem Llibre del consolat de mar, das in verschiedenen Auflagen seit dem frühen 14. Jahrhundert erschien, maritime Normen.180 Aus Platzgründen kann ich hier nur die Punkte wiedergeben, welche die Vereinbarungen und Konzeption einer gerechten ›Beuteverteilung‹ betreffen.

Die Rôles d’Oléron wiesen noch einen stärkeren, im Fischfang üblichen genossenschaftlichen Ansatz avant la lettre auf, während beim Llibre del consolat de mar das Mitspracherecht der Schiffsleute gegenüber dem Kapitän abnahm.181 Ihr Anstellungsverhältnis zwischen Schiffer und Schiffsmann wurde dem Llibre zufolge mit einem Handschlag (donada palmada) beschlossen, womit es als ebenso rechtsgültig galt wie eine schriftliche Beglaubigung. Im Schiffsbuch (cartolari) notierte ein Schreiber lediglich den Anteil, der jedem Schiffsmann zustand. Vom Spätmittelalter bis ins 17. Jahrhundert hieß die häufigste von drei Grundtypen der Anstellungsform ad partem, wonach der Schiffsmann für einen Anteil aus dem potenziellen Gewinn der Expedition arbeitete.182 Schiffsexpeditionen, die auf Beute bzw. Prise zielten, kreuzten zu Zeiten der Katholischen Könige besonders durchs Alborán-Meer, wo Christen wie auch Muslime gegenseitig Fischerboote oder Küstendörfer überfielen, sie plünderten oder Gefangene nahmen, um sie zu versklaven und zu verkaufen. Ihre Strukturen glichen jenen der Beutezüge zu Land (cabalgadas), außer dass die Pferde durch Schiffe ersetzt waren.183 In den Erkundungs- und Eroberungsexpeditionen in Spanisch-Amerika kamen Schiffe zwar oft unumgänglich zum Einsatz, doch finden sich in den Dokumenten der Beuteverteilungen keine speziellen Ansprüche von Seeleuten. In der Regel wurden sie zu einem fixen Lohn angeheuert und deshalb von der Beuteteilung ausgeschlossen. Die meisten Seeleute der ersten elf Schiffe von Cortés’ Expedition nach Mexiko hatten kaum eine andere Wahl, als sich an Land als gemeine Beteiligte in den Konquistadorenzug zu integrieren.184

Um der in den Siete Partidas propagierten Arithmetik der Beuteverteilung Autorität zu verschaffen, hüllten sie die Verfasser in den Mantel alter Zeiten. Damals hätten die weisen Krieger diesen Schlüssel festgelegt, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten.185 Zu behaupten, dass diese weisen Krieger Muslime gewesen sein müssten, wäre spekulativ. Gleichwohl fällt auf, dass diese Verteilungsarithmetik jener aus dem Koran weitgehend entspricht. Außerdem stimmten weitere Aspekte zum Umgang mit der Beute mit den muslimischen Anweisungen überein.186 Neben dem Fünftel aus der Beute erhielt sich in der iberischen Welt auch das Konzept des Unterbodens (subsuelo bzw. sobsolo), wonach Bodenschätze nicht – wie etwa in England – dem Besitzer des Grundstücks gehörten. Wertvolle Mineralien wurden wie in der islamischen Rechtsprechung als Geschenke Gottes an die Gemeinschaft erachtet, wovon ein Fünftel an die Glaubensgemeinschaft bzw. den König abzutreten war.187 So gaben die sunnitischen Mauren, Almoraviden und Almohaden während der sukzessiven Niederlagen zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert neben der Macht zahlreiche Bräuche und Praktiken an die expandierenden christlichen Königreiche weiter.188 Im Ordenamiento de Alcalá von 1348 wurde der Unterboden als unveräußerliches Eigentum der kastilischen Krone (regalias) und seine Bodenschätze als Gut der Allgemeinheit schriftlich fixiert. Später sollte dieses Gesetz in den Amerikas ebenso angewandt werden, wodurch dieser Anspruch auf die Neue Welt ausgeweitet wurde.189

Die Abgabe von 20 Prozent auf Beute und Bodenschätze an die kastilische Krone etablierte sich nach anfänglich variierenden Forderungen auch in Spanisch-Amerika.190 Die Rolle des königlichen Fünften wird hier deshalb so hervorgehoben, weil der Quinto Real dazu diente, dass die Krone einen Eroberungs- oder Beutezug sanktionierte und ihn dadurch von einem illegitimen Raubzug unterschied.191 Dies war insofern eine Win-win-Situation für die Krone und den Anführer, als beide neben dem materiellen Anteil aus der Beute ihre Machtposition konsolidieren konnten. Der im Gegenzug zum entrichteten Fünften legitimierte Anführer und Beutezug brachten auch den restlichen Beteiligten den Vorteil, dass sie legal agierten.

1.1.3Beutepraktiken in der Reconquista

Um die Beutepraktiken der Conquista zu erklären, wird in der Historiografie auf die Tradierung der Gewohnheiten und Bräuche aus der Reconquista verwiesen. Die erwähnte Fragmentierung des Kalifats im 11. Jahrhundert in die ta’ifa-Reiche dynamisierte die vielfältigen temporären politischen Allianzen, die mithin christlich-muslimische Bündnisse generierten, die dem pauschalen Reconquista-Narrativ und seinem monolithischen muslimisch-christlichen Grenzgebiet (frontera) widersprechen.192 Die kleinteiligeren Allianzen boten multiple Optionen für Plünderungs- und Eroberungszüge, die ebenfalls weit heterogener waren als oft anerkannt.193 Aufgrund des begrenzten Platzes beschränke ich die Quellenanalyse auf zehn Beuteverteilungsbücher (libros de repartimiento) von Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts und beschreibe in einem zweiten Schritt die verschiedenen militärischen Organisationsformen anhand von Sekundärliteratur.194 Dadurch wird erkennbar, wie und womit die unterschiedlichen Kriegertypen für ihren Einsatz belohnt wurden und wie sie dies vereinbarten. Anhand der terminologischen Genese der compañía, wie die späteren Konquistadorenzüge genannt wurden, wird schließlich ihr unternehmerischer Kern der grundsätzlich egalitären Ergebnisbeteiligung deutlich – was insgesamt die Basis meiner Definition von Beuteökonomie ausmacht.

Schon die berberischen und arabischen Streitkräfte von Tariq ibn Ziyad und Musa ibn Nusayr, die 711 und 712 die iberische Halbinsel von den Westgoten sukzessive eroberten, transformierten sich bald zu territorial angesiedelten Milizen. Das hing damit zusammen, dass sie für ihren Kampfeinsatz mit einem Stück des eroberten Landes belohnt wurden und es fortan verteidigten. Dieses Phänomen wiederholte sich während der sogenannten Rückeroberung (722–1492) durch die Christen.195 Die bereits erwähnten libros de repartimiento dokumentierten diese Verteilprozesse, in denen unterschiedlich detailliert festgehalten wurde, an wen welches Grundstück und welche Ländereien gingen. Beispielsweise dem libro de repartimiento de Almería zufolge befugten die Katholischen Könige am 25. März 1491 Diego de Vargas, als repartidor Almería zu verteilen.196 Dies umfasste primär die immobile Beute, also Ackerland, Gärten und Gebäude der Stadt, die im Winter 1489/90 kapituliert und danach nochmals gegen die Christen rebelliert hatte. Vargas und zwei Landvermesser (medidores) mussten sich dazu vor Ort mit den Besitzverhältnissen aus der muslimischen Zeit vertraut machen, weil die Parzellen nach den alten Grenzen vergeben wurden.197 Die erste Distribution und Neubesiedlung erstreckte sich über rund zwei Jahre, danach erhielten geduldete Muslime (mudéjares) aufgrund des Überangebots leer gebliebene Grundstücke, die sie vier Jahre bewohnen und bewirtschaften durften. Dann wurden diese Parzellen zusammen mit den in dieser Zeit durch Tod oder Wegzug frei gewordenen erneut unter den Christen verteilt, womit das Repartimiento 1498 abgeschlossen wurde.198

Die Krone schrieb dem Repartidor zwar vor, welche sozialen oder militärischen Gruppen er wie umfangreich berücksichtigen sollte, doch ließ sie die nötigen Spielräume in situ offen.199 Wer genau entschied, wer was bekam, bleibt ungewiss, weil es offiziell der Repartidor war; mit Hilfe der erwähnten cuadrilleros, welche die Ansprüche der Einzelnen registriert haben mussten.200 In der Praxis spielten wohl mithin die sozialen Hierarchien und Loyalitäten eine Rolle. Qualität und Quantität der Parzellen hingen zudem von Angebot und Nachfrage ab, also der Gegebenheit des Ortes im Verhältnis zur Anzahl Siedlungswilliger.201 Dasselbe Prinzip galt während der Conquista.

Überliefert ist uns lediglich das Resultat der Landzuteilung: Der Schreiber, Juan de Quevedo, hielt in dem Libro de repartimiento de Jerez de la Frontera differenziert fest, an wen welche Parzelle ging und wie sie beschaffen war. So kennen wir den ›Beruf‹ oder die militärische Funktion und die Namen des jeweiligen Empfängers und jene der enteigneten muslimischen Besitzer sowie die Arten und Anzahl der Gebäude und landwirtschaftlichen Kulturen (Oliven, Weinreben, Obst und Gemüse).202 Die Anteile (suertes) verhielten sich zwar inkonsequent, aber grundsätzlich im Rahmen des islamischen und alfonsschen Postulates von 2:1 oder 3:1 für den Berittenen gegenüber demjenigen zu Fuß.203 Das erwähnte Instrument der Sonderauszeichnung (galardón oder milloría), die zum Beispiel im Libro de repartimiento de Murcia für die caballeros mayores explizit als Grund für weitere Parzellenzuteilungen angegeben wurde, schuf einen gewissen Spielraum.204

Die Krone knüpfte Bürgerpflichten an das zugeteilte Grundstück, denen die Empfängerinnen und Empfänger – denn es nahmen stellvertretend für ihre abwesenden Männer viele Frauen die Anteile entgegen – nachzukommen hatten. Weil die eroberten Gebiete langfristig besiedelt werden sollten, mussten innerhalb von drei Monaten alle Ehemänner ihre Familien zu sich holen und alle Alleinstehenden heiraten. Zudem hatten alle Männer entsprechend ihrem Stand und ihrer Tätigkeit offensive und defensive Waffen zu besitzen, um die Siedlungen milizmäßig zu beschützen.205

Wie erwähnt halten diese libros de repartimiento primär die immobile Beute fest und gehen aus Eroberungszügen hervor. Wenn es den christlichen Königen günstiger schien, enteigneten sie die muslimischen Bewohner nicht, sondern zwangen ihnen lediglich die parias – einen schutzgeldartigen Tribut – auf.206 Für den Eroberer vor Ort wäre aber das unmittelbare Beutenehmen einträglicher, was die im Folgenden behandelte terminologische Differenziertheit zu diesem Phänomen erahnen lässt.207

Zur Zeit der Reconquista überwogen in den inneriberischen Grenzgebieten (frontera), an der Berberküste (Maghreb) und auf den Kanaren militärische Taktiken, die mit kleinen und sehr mobilen Einheiten (compañas) durchgeführt wurden. Die fonsado (kleiner Kampftrupp), cabalgada (Reitertrupp, Ausritt), algarada (Raubzug zu Pferd) oder correría bzw. corredura (Raubzug) genannten Operationen lassen sich begrifflich kaum scharf trennen.208 Obwohl zum Beispiel cabalgada etymologisch auf Raubzüge der Reitertrupps deuten lässt, konnte sie cabalgadores zu Fuß miteinschließen.209 Im Unterschied zu den auf Eroberung oder Unterjochung ausgerichteten Belagerungstaktiken bezweckten diese Operationen, den Feind zu schädigen und ihm »etwas« zu nehmen – »tomar algo del adversario«210 –, vorzugsweise Menschen, Vieh und mobile Güter. Dafür drangen die Beutezüge schnell und den Feind überraschend – deshalb oft nachts – in dessen Territorium ein, nahmen Bewohner gefangen, trieben das Vieh davon und raubten die Ernte oder andere Waren. Danach eilten sie zurück in ihre Dörfer oder zu ihrer größeren Gewaltgemeinschaft (hueste), die oft durch diese Raubzüge alimentiert wurde. Oder sie zogen weiter, weil sich diese Taktik zu einem kollektiven Modus Vivendi in der Frontera entwickelte.211

Die Raubzüge konnten aus den größeren Gewaltgemeinschaften entweder vom König (hueste realenga), von Feudalherren (hueste señorial), ab dem 12. Jahrhundert von Bischöfen und Ritterorden, von den lokalen Räten (hueste concejil) oder freiwillig von Partikularen (encobierta), die durch Sonderrechte (fueros municipales, cartas pueblas etc.) der Städte genehmigt und begünstigt wurden, initiiert werden.212 In diesen hybriden Gruppierungen bestanden meistens starke Abhängigkeiten: Die Feudalherren konnten ihre Gefolgschaft (mesnada) und der König seine königlichen Truppen oder sonstige Empfänger von Zuwendungen (soldadas, acostamientos, préstamos, prestimonios, quitaciones oder honores) mobilisieren.213 Dem Fuero viejo de Castilla zufolge mussten die Hidalgos, die einen Sold (soldada) erhielten, dafür jährlich drei Monate in der hueste ihrer Herren dienen.214

Die Raubzüge offerierten aber durch die Beute neben Ruhm und Ehre eine individuelle leistungsorientierte Belohnung. In dieser Hinsicht glichen die mittelalterlichen Gewaltgruppen (hueste, cabalgada etc.) den Konquistadorenzügen in Spanisch-Amerika. Sie deswegen gleichzusetzen oder die Konquistadorengruppe hueste zu nennen, wäre bestenfalls unscharf, im Grunde aber schlicht falsch. Zwar glichen sich die Praktiken der Mobilisierung und der Beuteteilung, doch weder bestand in den amerikanischen Unternehmen eine Dienstpflicht noch bildet der Terminus hueste einen Quellenbegriff zur Conquista Neuspaniens.215 Die Konquistadorengruppen bildeten sich weitgehend freiwillig und ihre Individuen sprachen von den anderen Konquistadoren als Spaniern (españoles), Christen (cristianos) oder compañeros.

Signifikanterweise bezeichneten sie sich selten selbst als Gruppe, sondern definierten sich meist als Individuum – entweder in Bezug zu ihrem Anführer (»ich ging mit Cortés zur Eroberung von Honduras«) oder zu den anderen Individuen (»ich war einer der ersten Konquistadoren«).216 Aufgrund dieses terminologischen Vakuums half sich die Historiografie bisher mehrheitlich mit anachronistischen Begriffen: entweder mit mittelalterlichen wie hueste und compaña, womit eine Kontinuität der Reconquista zur Conquista bemüht wurde.217 Oder mit solchen aus dem frühneuzeitlichen Militärjargon aus den Kriegen in Europa wie Armee (ejército) und Kompanie. Während Erstere mit einer feudalen oder (kreuz-)ritterlichen Dienstmentalität aufgeladen sind, verzerren Letztere das Bild als professionelle und entsprechend organisierte und besoldete Einheit von Soldaten.

Da der Begriff der compañía zentral, aber in der Forschung erst ungenügend etabliert ist, möchte ich ihn kurz erläutern. Eine compañía bezeichnet Covarrubias zufolge dreierlei: erstens eine gleichberechtigte Beziehung oder Freundschaft, worin der eine compañero den anderen als ein ›anderes Ich‹ sehe. Diese Gleichheit, die von ›compar‹ (= eine Sache, die einer anderen gleich ist) stamme, findet sich zudem in den zwei weiteren Bedeutungen dieses Begriffs: Eine compañía stand für ein gemeinsames Unternehmen zweier oder mehrerer Personen, wobei Risiko und Gewinn entsprechend den Investitionen geteilt wurden. Diese mittelalterliche Vertragsform italienischen Ursprungs, die heute noch im Terminus der Handelskompanie steckt, funktionierte also nach Ergebnisbeteiligung.218 Weil auch die Konquistadoren oft untereinander compañías schlossen und dadurch zu wirtschaftsrechtlichen compañeros wurden, bedarf es stets einer wachsamen Lektüre, um sie von der politisch-ökonomischen compañeros-Beziehung zu unterscheiden, in der sich die Konquistadoren hinsichtlich der Beute befanden. Schließlich bezeichnete die compañía bei Covarrubias eine Gruppe von Soldaten unter einem Anführer. Für die Conquista wurde der Begriff zwar verwendet, aber er schrieb den Konquistadorenzügen eine verfrühte Strukturiertheit und Professionalität der militärischen Kompanie zu.219 In den Quellen zur Conquista taucht die militärische Semantik dennoch auf, weil die Konquistadoren dazu tendierten, ihre Aggregationen retrospektiv als strukturierte militärische Einheiten zu stilisieren. Die narrative Strategie muss deshalb besonders berücksichtigt werden. Die kontraktualistisch-unternehmerische Semantik zeigte sich, wenn zwei Konquistadoren oder Encomenderos einen Vertrag schlossen, um gemeinsam beispielsweise in die Bewirtschaftung einer Mine oder in eine Schweinezucht zu investieren.220

Im Phänomen der Konquistadorengruppen finden sich alle drei semantischen Gehalte wieder: die egalitäre, die ökonomisch-kontraktualistische sowie die militärische. Der temporäre Zusammenschluss von Konquistadoren verfolgte das gemeinsame Ziel der Beutenahme oder Eroberung, war militärischer Natur und entlohnte alle Beteiligten gleichermaßen – also nach dem Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit entsprechend ihrem Beitrag.221 Daher benutze ich den ambiguen Quellenbegriff in seiner historisierten Schreibweise Compania als analytischen Begriff, um das terminologische Vakuum zwischen compaña und compañía zu füllen und gleichzeitig das Spezifikum der Konquistadorengruppe zu markieren.222

Dieser kurze Abriss der Genese des bellum-iustum-Gedankens und der verschiedenen Gewaltökonomien im europäischen sowie mediterranen Raum hat Folgendes verdeutlicht: Erstens, zu Beginn der Conquista galt ein Krieg in der christlichen Welt als legitim, wenn er den thomistischen Prinzipien des bellum iustum folgte. Demnach musste er von der dazu befugten Autorität angeordnet und aus einem gerechten Grund sowie mit der richtigen Absicht geführt werden. Um diese Kriterien zu erfüllen, konzipierten die Spanier um 1513 das Requerimiento. Während des Mittelalters kämpften an mehreren Fronten Christen gegen Nichtchristen, wobei Gebiete der ›Ungläubigen‹ (ger, Käfir, Heide) erobert wurden, was im Falle der Kreuzzüge und der Reconquista apologetisch als Rückeroberung propagiert wurde und die ideologische Basis für die Conquista schuf.223 In den religiösen und politischen Kriegen bildete sich neben dem Rittertum das Söldnerwesen heraus. Beide leisteten Kriegsdienste gegen Zahlung eines festgelegten materiellen Betrags bzw. Solds. Während hier Plünderungen und Beute trotz Disziplinierungsversuchen eine zusätzliche Einnahmequelle darstellten, waren sie in den iberischen frontera-Konflikten oft das Ziel und Hauptfinanzierungsmittel der militärischen Aktionen.

Die Beutedistribution folgte dem Prinzip der ergebnisbeteiligten Belohnung entsprechend der in das Raub-Unternehmen eingebrachten Leistung. Weil aber sozial Bessergestellte oft mehr Mittel – zum Beispiel ein Pferd – besaßen, korrelierte die Beuteverteilung mit dem Konzept der Verteilungsgerechtigkeit, das den sozialen Status mitberücksichtigte. Diese Beuteökonomie war konstitutiv für die iberischen Gewaltgemeinschaften sowie für die Eroberung und Unterjochung der muslimischen Territorien. Vermutlich basierend auf präislamischen arabischen Bräuchen entwickelte sich auf der iberischen Halbinsel die Institution des königlichen Fünften, mit dessen ostentativer Übertragung an den König die Raubzüge legitimiert wurden.