Beziehungsweise Sex - Dirk Ludigs - E-Book

Beziehungsweise Sex E-Book

Dirk Ludigs

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Beschreibung

Sex ist nicht alles, aber ohne Sex ist alles nichts. In seinem Bestseller ›Ran an den Mann!‹ enthüllte Ludigs mit Charme und Witz, was Männer wirklich wollen - schließlich sind Schwule die besten Ratgeber, denn sie lieben Männer und sind selbst welche. Hier nun verrät Ludigs, wie Sex in einer Beziehung spannend bleiben kann und wie sich unsere Sehnsucht nach Sicherheit mit der Lust am Abenteuer verbinden lässt. Lustvoll plädiert er für eine Neubewertung des Verhältnisses von Sex, Liebe und Partnerschaft, gibt handfeste Tipps und zeigt so enttäuschten Singles und vertrauten Paaren ungeahnte Möglichkeiten auf. »Handreichungen« in der Edition diá: Dirk Ludigs Ran an den Mann! Sextipps für Frauen ISBN 9783860345528 Christian Graeff Vokabeln der Lust Ein Wörterbuch ISBN 9783860345511 Sibylle von den Steinen Let's talk about Sex - and Aging Geschichten und Erfahrungen von Menschen in der Mitte ihres Lebens ISBN 9783860345542

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Dirk LudigsBeziehungsweise Sex

Tipps für Paare

Edition diá

Über dieses Buch

Sex ist nicht alles, aber ohne Sex ist alles nichts. In seinem Bestseller ›Ran an den Mann!‹ enthüllte Ludigs mit Charme und Witz, was Männer wirklich wollen – schließlich sind Schwule die besten Ratgeber, denn sie lieben Männer und sind selbst welche. Hier nun verrät Ludigs, wie Sex in einer Beziehung spannend bleiben kann und wie sich unsere Sehnsucht nach Sicherheit mit der Lust am Abenteuer verbinden lässt. Lustvoll plädiert er für eine Neubewertung des Verhältnisses von Sex, Liebe und Partnerschaft, gibt handfeste Tipps und zeigt so enttäuschten Singles und vertrauten Paaren ungeahnte Möglichkeiten auf.

»Wenn Dirk Ludigs über Sex schreibt, hat man das Gefühl, dass er eigentlich über Sex spricht.« (Abendzeitung)

Der Autor

Dirk Ludigs, geboren 1965, arbeitet als Journalist für verschiedene TV-Formate und das Reisemagazin ›Merian‹. Zuvor war er Nachrichtenleiter des schwulen Senders TIMM und Chefredakteur anderer Magazine (›Front‹, ›Du & Ich‹). Der Absolvent der Henri-Nannen-Schule arbeitete viele Jahre als Redakteur bei der Fernsehsendung ›liebe sünde‹. Er veranstaltete Sexpartys, unter anderem im Berliner KitKatClub. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in San Francisco lebt er heute wieder in Deutschland.

Inhalt

VorwortEinführung: Vermurkst und vermarktet

Eins und eins macht zweiDer Liebe auf der SpurMänner am Rande des NervenzusammenbruchsDamenwahl

Leidenschaft: Aufzucht und PflegeComing-out für PaareDie Kunst der AbwechslungO Solo Mio

Treue und UntreueUnsere liebste LügeDritte im Bunde (und mehr)Ohne den anderen

Ausblick: Ehrlich währt am längsten

Zehn Regeln für eine ehrliche Beziehung

DankBuchempfehlungen

Impressum

Vorwort

Sex als Thema habe nicht ich mir, er hat sich mich ausgesucht. Als offen schwuler Reporter beim Sender Freies Berlin landete alles, was meine Kolleginnen für mit dem Sex verbundene Themen hielten – bis auf die Berliner Lokalpolitik fast alles –, automatisch auf meinem Schreibtisch, bis ich zu protestieren begann.

Nach einer zwei Jahre andauernden Flucht nach Hamburg auf die dortige Henri-Nannen-Journalistenschule war es zunächst mehr der Jobmangel in Berlin als die Überzeugung, die mich zu Matthias Frings und seiner Mannschaft bei ›liebe sünde‹ führte. Eher zögernd nahm ich das Angebot an, mich auch während der Arbeitszeit um Geschlechtliches zu kümmern. Das klingt kokett, aber wenn das Leben nur noch aus Sex besteht, sehnt man sich selbst nach der Berliner Lokalpolitik. Mit einem sexualisierten Leben in den Schwulengettos und allem, was damit zusammenhängt, »geschlagen« (das fällt jetzt eindeutig nicht in den Rahmen der Diskriminierung von Schwulen, sondern ist »hausgemacht«), träumte ich eigentlich von einer journalistischen Karriere im Politischen.

Doch Sex ist politisch. Matthias Frings wusste das. Und ich hatte das in meiner Zeit in der Schwulenbewegung gelernt. Unter Frings’ Regie wurde ›liebe sünde‹ zu einer der einfluss- und erfolgreichen Sendungen des Privatfernsehens. Ohne ihn dann zu einem Einfallstor für die breite Fernsehvermarktung des Geschlechtlichen.

Aus den USA, wohin es mich der Liebe wegen 1996 zog, war das allerdings zu ertragen, ich musste es ja nicht mit ansehen. So habe ich fünf Jahre lang drei Kostbarkeiten aus Kalifornien via Bildschirm nach Deutschland eingeführt: Palmen, Sonne und Silikonbrüste. Das verkaufte sich wie Eternitplatten im Saarland, eine Goldgrube!

Mit ›Ran an den Mann‹ schrieb ich während dieser Zeit obendrein einen Sexratgeber für Frauen, der versuchte einen anderen Ton einzuführen. Die Reaktionen darauf haben mich ermutigt nachzulegen. Aber es sollte kein ›Ränner an die Männer‹ werden, nicht mehr vom Gleichen, jetzt noch neuer! Denn Stillstand ist Rückschritt, und also galt es die Frage zu beantworten: Wie jetzt weiter, nachdem der Kerl, den ich immer wollte, auch mich will.

›Beziehungsweise Sex‹ ist der Versuch, einige der Ungereimtheiten zu entlarven, mit denen Männer wie Frauen sich durchs Partnerleben schlagen müssen, Zusammenhänge zwischen Sexualität und Beziehung begreifbar zu machen – und daraus ein paar Vorschläge abzuleiten, wie sich heutzutage eine erfüllte Sexualität leben und dennoch eine zufriedene Lebenspartnerschaft pflegen lässt. Ich behaupte, ein bisschen was können sich Heterosexuelle da durchaus von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften abgucken. Schließlich waren Schwule und Lesben schon sehr früh in ihrem Leben gezwungen die beiden Fragen zu beantworten, die zu den Gretchenfragen der meisten Beziehungen von heute geworden sind: Wie halte ich es mit meiner Rolle als Mann oder Frau? Und: Wie gehe ich mit meiner Sexualität und der meines Partners um? Fast alle Beziehungsratgeber, die ich kenne, drücken sich davor, ehrlich – und das heißt realistisch – mit Sexualität umzugehen. Fast alle Sexratgeber, die ich kenne, drücken sich ebenso schamlos um die Beziehungsfrage.

›Beziehungsweise Sex‹ besteht aus drei Teilen. Im ersten ziehe ich eine Zwischenbilanz des Geschlechterverhältnisses und versuche ein paar Löcher in die Nebelbänke, die unsere klare Sicht auf Sex, Liebe und Beziehung versperren, zu blasen. Im zweiten schlage ich Ihnen ein Coming-out in Ihrer Beziehung vor und gebe Tipps, wie Sie möglichst lange den Spaß am Sex zu zweit erhalten können. Im dritten geht es um die leidige Frage, was Sie tun können, wenn die Lust erlischt; wie Sie mit der Treuefrage umgehen und wie Sie, wenn Sie es denn wollen, miteinander leben und sich dennoch erfüllten Sex – auch mit anderen – zugestehen können. Eingerahmt werden die drei Teile von einer Einführung und einem Ausblick, beide für all jene gedacht, die zu den Geschichten und Ratschlägen Theorie und Hintergrund brauchen. Sie können jederzeit dort anfangen, wo Ihr Interesse am größten ist, denn jeder Teil ist auch ohne die übrigen Kapitel verständlich, gleichzeitig bauen aber alle Abschnitte aufeinander auf. Wer ganz schnell wissen will, worum es mir geht, dem seien die zehn Regeln am Ende des Buches ans Herz gelegt.

Mein erklärtes Ziel ist es, Sie näher an den Punkt zu bringen, an dem Ihre Beziehung und Ihr Sexleben in Einklang miteinander stehen, an dem sich beides leben lässt.

D. L.

EinführungVermurkst und vermarktet

Sex, Liebe, Partnerschaft und die Krise der Heterosexualität

Lieber schwul und lebensfrohals frustriert und heteroKlospruch in einer Berliner Bar

Oversexed and Underloved

Die Welt weiß von Wichtigerem als Sex. Essen, Trinken, Kindern ein glückliches Zuhause schenken beispielsweise. Armut bekämpfen. Unser Klima retten.

Nun gut, das war ein Versuch. Realistischerweise ist Sex zwar nicht alles, doch ohne ihn alles nichts. Das ist nicht nur naturgegeben, an diesem Eindruck wird von interessierten Kreisen auch schwer gearbeitet. Denn Sex ist ein Wirtschaftsfaktor. Seit mehr als dreißig Jahren kommt unser Sexleben, meist unser gestörtes, nicht mehr aus den Schlagzeilen. ›Spiegel‹, ›Max‹ und Konsorten titeln »Titten«, wann immer die Auflage zu sinken droht. Kein TV-Magazin ohne bewegtes Fleisch, und wenn es sich nicht von alleine bewegt, bewegt sich zumindest die Kamera. Wir werden schon hingucken. Selbst dass Sex ein Thema ist, ist den Medien bereits meldenswert. Dann stehen die Alten vorm Zeitungsladen, lesen, verdrehen die Augen und sagen: »Die Welt weiß wahrlich von Wichtigerem!« Und denken an Clark Gable, Marilyn Monroe und Vico Torriani. Und die Jüngeren gehen rein und lesen den ganzen Artikel zweimal.

Er wird uns klarmachen, wie übersättigt wir sind; dass wir es nicht mehr hören können; dass Singles mit viel Aufwand wenig Sex haben und Paare ohne viel Aufwand gar keinen; dass Seitensprünge eine Lösung sind, aber Probleme mit sich bringen. Denn wer will schon »fremdgehen«? »To cheat« sagen die Amerikaner wie die Deutschen noch heute dazu: »betrügen«. Klingt eher nach Lösungsmittel als nach Lösung.

Dann doch lieber »Gabi allein zu Haus«. Immer mehr Menschen behalten es sich auch in ihrer Beziehung vor, den eigenen Fantasien hinterherzuonanieren. Wahrscheinlich ist Selbstbefriedigung ohnehin die gängigste Sexpraktik überhaupt. Denn eines lässt sich schwerlich ändern oder bestreiten: Die Beziehung zu sich selbst ist eine lebenslange, und »Masturbation Sex mit jemandem, den du liebst« – der Satz stammt von Woody Allen. Wer nicht einmal sich selbst liebt, und auch das scheinen immer mehr zu werden, lässt die Hände im Schoß ruhen.

Die wirklich neue universale Lustseuche unserer Tage ist eine grassierende Sexmüdigkeit, glaubt man dem reichlich vorhandenen Zahlenmaterial. Allerdings war der Mensch auch noch nie so gut und intensiv untersucht. Und bei der historischen Einordnung gilt es immer zu berücksichtigen, dass von dem, was wir hinterlassen, auf das geschlossen wird, was wir taten. So wird die Geschichte dennoch angesichts der Flut an einschlägigen Veröffentlichungen zum Thema von unserer als einer recht lustbestimmten Epoche sprechen. Aber Geschichtsschreibung und Leben sind zwei verschiedene Paar Stiefel. John Gagnon kommt am Ende einer Studie über das Sexualverhalten der US-Amerikaner Mitte der neunziger Jahre zu dem Schluss, große Teile der Hetero-Welt seien sexuell »sehr inaktiv«, Studien in Frankreich und England von 1993 und 1994 unterstreichen das, und der deutsche Sexualforscher Gunter Schmidt berichtet von einem dramatischen Anstieg der Zahl von Frauen und Männern, die wegen Sexmüdigkeit das Therapiegespräch suchen: In den zehn Jahren von 1984 bis 1994 stieg unter den Sextherapie-Suchenden der Anteil der »lustlosen« Frauen von zehn auf sechzig Prozent, bei Männern immerhin von fünf auf fünfzehn Prozent.

Die Zahlen beziehen sich auf Heterosexuelle. Schwule und Lesben scheinen von dieser Seuche ausnahmsweise einmal nicht betroffen zu sein, ein Hinweis darauf, dass die Krise etwas mit dem Verhältnis der Geschlechter zu tun haben muss. Ein Verhältnis, das in den letzten vierzig Jahren einigen Prüfungen ausgesetzt war – das Gepäck der letzten Jahrtausende wiegt allerdings auch schwer. Vermuten lässt sich, dass in erster Linie ein paar Erwartungen zu hochgesteckt sind. Die Erwartung zum Beispiel, dass in einer Zeit, in der das Verhältnis von Männern und Frauen sich mehr denn je im Umbruch befindet, ausgerechnet der Sex funktionieren soll.

Beziehung zurechtgelogen – erfolglos

Die jüdisch-christliche Tradition hat unsere Sexualität über mindestens zwei Jahrtausende mehr oder weniger erfolglos in das Zwangskorsett der von Männern geführten, monogamen Ehe einzusperren versucht. Diese »Leitmoral« erlebt seit dem späten 19. Jahrhundert, den Anfängen der Frauenbefreiung, einen schleichenden Zerfallsprozess. In den sechziger Jahren hat diese Entwicklung enorm an Tempo gewonnen und wird heute von immer weniger Menschen noch ernsthaft bekämpft. Motor war und ist die Selbstbefreiung der Frauen, der quälend langsame, aber unaufhaltsame Niedergang des Patriarchats in der westlichen Welt. Zugegeben, was die Unaufhaltsamkeit angeht, so ist darüber noch nicht endgültig entschieden, aber weit wesentlicher ist: Mit dieser ständig voranschreitenden Neuordnung des Verhältnisses der Geschlechter müssten wir eigentlich auch unsere Ideen über den Zusammenhang von Ehe und Partnerschaft einerseits und romantischer Liebe und sexuellen Wünschen andererseits neu definieren. In diesen Bereichen aber, so scheint mir, herrscht weithin tote Hose.

Ehre, wem Ehre gebührt. Es ist das Verdienst des Hamburger Psychotherapeuten Michael Mary, in seinem Buch ›Fünf Lügen, die Liebe betreffend‹ endlich auch den Heterosexuellen klargemacht zu haben, was viele Homosexuelle schon lange wussten, hauptsächlich weil sie ihre Sexualität zwangsläufig und lange genug nur außerhalb legitimierter Beziehungen leben durften, nicht weil sie so viel schlauer oder weniger romantisch wären als Heterosexuelle: Eine erfüllte Sexualität ist in einer Partnerschaft nicht das Maß der Liebe. Was immer Sexualität und Beziehung miteinander zu tun haben: Das eine ist nicht Voraussetzung für die Erfülltheit des anderen.

Die Idee der Einheit von Sex, Liebe und Lebenspartnerschaft entstammt vielmehr den Hirnen von interessierten Männern (und gerade die Frauen glauben daran, super), die sich allein dadurch qualifiziert glaubten, dass sie praktisch nichts mit dem Thema zu tun hatten, etwa Kirchenfürsten. Sie wird bis heute wiederholt von Politikern, Psychologen, Therapeuten, Filmregisseuren und Schlagertextern, hauptsächlich zur Mehrung und Festigung ihrer Macht oder ihres Reichtums. Die gängige Idee, erfüllter Sex sei ausschließlich in der festen, heterosexuellen Zweierkiste möglich, und ihre Schwester »Wenn es mit dem Sex nicht klappt, ist mit der Beziehung etwas nicht in Ordnung« werden trotz aller Vermarktung des Sexuellen bis heute als Mittel benutzt, direkten Einfluss und Kontrolle auszuüben. Warum sonst behaupten all die Männer in den schlecht sitzenden Anzügen, die »Homosexuellen-Ehe« sei das Ende der abendländischen Kultur, während sie zu »Vergewaltigung in der Ehe« gleichzeitig vielsagend schweigen? Eben: Es geht um Macht, und zwar um ihre.

Kunst- und Medienmacher wiederum verdienen daran, die romantische Lüge in unseren Köpfen zu zementieren; Psychologen und Therapeuten machen Umsatz mit den eingebildeten Kranken, die gesund genug sind, mit der Lüge nicht leben zu können.

Tatsache ist: Viele langjährige Partnerschaften funktionieren hervorragend, ohne dass die Partner noch miteinander schlafen; außerhalb fester Beziehungen hat Sex schon immer einen großen Reiz gehabt. Umgekehrt zerbrechen viele monogame, sexuell treue Liebesbeziehungen unsinnigerweise daran, dass die Lust nachlässt und das Treueversprechen zur Sollbruchstelle wird, obwohl die Beziehung ansonsten noch Potenzial birgt.

Anders als Sex war Liebe lange Jahrhunderte nicht einmal notwendige Bedingung in Partnerschaftsangelegenheiten. Vor zweihundertfünfzig Jahren hätte eine Liebesheirat genauso viel Neid wie Verwunderung und Stirnrunzeln ausgelöst. Noch unsere Großmütter waren überzeugt, dass der Heirat die Liebe nicht vorwegmarschieren muss: »Die kommt dann schon!«, pflegten sie zu sagen – und manchmal kam sie, manchmal auch nicht. Erst als die Ehe keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr war, konnte die Liebesheirat zum neuen Ideal werden. Leider hält die romantische Liebe der in gesellschaftliche Form gegossenen Verbindung, der Heirat, meist nicht lange stand.

Für Schwule galt das romantische Liebesideal ohnehin nie, denn unser Sex und unsere Beziehungen waren verpönt. Folglich standen viele Schwule und Lesben der Liebeslüge auch nach der schrittweisen Selbstbefreiung kritisch gegenüber. Erst seit den neunziger Jahren breitet sie sich langsam auch unter uns aus, vor allem unter der jüngeren Generation von Schwulen und Lesben. Das haben wir der größeren Sichtbarkeit von Homosexuellen in den Massenmedien zu verdanken, vor allem im Fernsehen, in dessen Soap Operas mittlerweile auch homosexuelle Paare in der Liebeslüge glücklich werden »dürfen«. Dann gibt es noch ein paar fehlgeleitete Lobbyisten, die glauben, dass jeder Schwachsinn, so er denn an Heterosexuellen verübt wird, in gleichem Maße auch Homosexuellen angetan werden müsse – und das für deren Befreiung halten. Wird das Ergebnis Schwule und Lesben glücklicher machen? Ich wage das zu bezweifeln.

Am 30. August 2001, also einen Monat nach Einführung der sogenannten Homo-Ehe, waren mein jetziger Gatte Anthony und ich das dreizehnte Paar im schwulenschwangeren Berliner Bezirk Kreuzberg, das sich lebenspartnerte. Dreizehn Paare nach vierzig Jahren Hochzeitsstau bei geschätzten fünfzigtausend Homosexuellen im Bezirk! Ich würde sagen: Diese Reform ist ein Rohrkrepierer! (Nicht für mich.) Unter den Heiratswilligen in skandinavischen Ländern und den Niederlanden liegt der Anteil der Homosexuellen mit 0,5 bis 1,5 Prozent deutlich unter ihrem Bevölkerungsanteil von fünf bis sieben Prozent. Bei überproportional vielen dieser »Ehewünsche« geht es in erster Linie um das Aufenthaltsrecht für den ausländischen Partner (wie eben auch bei mir). So überraschend das für viele sein mag: Die Homo-Ehe scheint den Betroffenen im Großen und Ganzen so wichtig zu sein wie schwarz-bunt gefleckte Schonbezüge für den Rücksitz ihres Autos. Sind Schwule und Lesben also ein undankbares oder beziehungsunfähiges Pack?

Undankbar – darüber lässt sich streiten. Beziehungsunfähig – nein! Die jämmerlichen Eheschließungszahlen sagen überhaupt nichts darüber aus, dass Schwule und Lesben keine Beziehungen eingehen, aber vielleicht, dass sie der Liebeslüge nicht in dem Umfang auf den Leim gehen wie ihre über Jahrhunderte konditionierten Hetero-Kollegen. Die Zahlen sagen im Übrigen auch nicht, dass Schwule und Lesben keine soziale Absicherung für ihre Verhältnisse bräuchten wie jeder andere auch; nur den Überbau einer überholten Moral, den brauchen sie offenbar weniger häufig. Wenn Homosexuelle sich dennoch für die Ehe entscheiden, die dann aber natürlich, den halbseidenen Moralaposteln in Deutschland sei Dank, nicht einmal so heißen darf, dann liegt es vor allem daran, dass ihnen keine besseren, auf ihre Lebensrealität zugeschnittenen Angebote gemacht werden, wie eben den Heterosexuellen auch nicht. Neben der Ehe von der Stange könnte man sich ja auch flexiblere Modelle vorstellen, die sich zwei Menschen nach ihren persönlichen Bedürfnissen maßschneidern, je nachdem, ob sie vorhaben, sich ein ganzes Leben zu binden oder erst mal nur eine Weile, ob sie voneinander erben, miteinander Kinder kriegen, gemeinsam wohnen wollen – oder nicht. Wäre das deutsche Unternehmensrecht so simpel gestrickt wie unsere Eheparagrafen, wären wir schon lange alle pleite.

Die von Mary angeführten vier weiteren Lügen leiten sich alle aus dieser einen ab, der romantischen Liebeslüge. So wichtig war sie ihm, für so zementiert in unseren Köpfen hält er sie, dass er ihrer Entlarvung ein Drittel seines Buches widmet. Zu Recht unterscheidet er zwischen Sexual- und Lebenspartnern; zu Recht beschreibt er die Mittelchen, die Journalisten und Paartherapeuten zur Wiederbelebung des Sextriebs in Beziehungen verkaufen, als das, was sie sind: Quatsch! Keine Lösung für ein (auch herbeigeredetes) Problem! Doch mit der Entlarvung der Liebeslüge alleine ist noch keinem geholfen. Denn die Wahrheit schmerzt, und wie sieht die aus?

Die Vielzahl der Lebensentwürfe unserer Tage, von Enthaltsamkeit über serielle Monogamie bis zum berühmt-berüchtigten Swingertum, schon als Lösung zu verkaufen klingt zwar ungeheuer mutig und vorwärtsgewandt. All diese Entwürfe aber sind nicht neu und haben doch unserem grundsätzlichen Gefühl, dass das Ausleben unserer Gefühle schwierig ist, nicht abgeholfen. Anscheinend taugen sie nicht wirklich dazu, das geschlossene Gebäude der alten Moral befriedigend zu ersetzen. Schlimmer noch: Wer, wie Mary, als Antwort auf das normale Abkühlen der Leidenschaft in Langzeitbeziehungen unter anderem den diskreten Seitensprung empfiehlt, muss sich damit abfinden, dass seine Erkenntnisse von den Journalisten, etwa denen des ›Spiegel‹, in ihr Gegenteil umgedeutet werden. Dort liest man dann, zwar sei der Wunschtraum, tiefes Gefühl auf Dauer mit wildem Sex zu verbinden, eine Illusion – richtig! Doch dann heißt es weiter: »Allerdings könne die erschlaffte Lust auf den Partner wiederbelebt werden, zum Beispiel durch diskrete Seitensprünge«: Die Illusion ist also laut ›Spiegel‹ gar keine, ein bisschen Unmoral und die Moral ist gerettet.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Gerade weil sich die sexuelle Spannung in langen Beziehungen nicht künstlich wiederbeleben lässt, die Liebeslüge aber die erste Basis – und der letzte Prüfstein – der allermeisten Beziehungen geworden ist, darum brechen unsere Partnerschaften so leicht auseinander. Wenn uns an langfristigen Beziehungen gelegen ist, und das ist es uns augenscheinlich, sonst würden wir ihr Zerbrechen nicht als Problem betrachten, dann wäre es nicht ganz dumm, sie neu und anders zu definieren. Und das Verhältnis zwischen unserer Lust aufs Lüsterne und unserer Sehnsucht nach Zweisamkeit obendrein.

Zwischen Befreiung und Gewalt

Zwei gegensätzliche Entwicklungen haben die Diskussion um Sexualität in den letzten dreißig Jahren geprägt. Da ist zum einen die sexuelle Liberalisierung der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, gerne auch »sexuelle Revolution« genannt. Es folgte die Zeit der Frauen- und Schwulenbefreiung, des Wegfalls vieler Tabus und Verbote, die Hoch-Zeit von Partnertausch und Promiskuität, die Geburtsstunde der modernen Pornoindustrie. »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!« war der Schlachtruf aus den Kommunen jener sexfreudigen Tage, in denen die Partner angeblich reichlich waren und Geschlechtskrankheiten besiegt schienen; eine kurze Periode, die der amerikanische Sex-Journalist Jack Boulware die »goldene Ära der Heterosexualität« nannte.

Anfang der achtziger Jahre drehte sich der Wind, zunächst in den USA, dann auch in Europa. Zu dem positiven Bild von Sexualität trat ein neues – es löste das alte nicht ab, sondern entwickelte sich parallel zu ihm –, und das jenseits der Entdeckung von Aids, die das Ihre dazu beitrug: Die Debatte um sexuelle Gewalt kam auf. Vor allem Feministinnen brachten die Diskussion ins Rollen, weil sie merkten, dass die sexuell befreiten Männer sie weiterhin als Objekte betrachteten. »Wer zweimal mit derselben pennt« war ein Macho-Spruch, nur hatten Uschi Obermeier und die anderen Frauen der Kommune I das nicht so verstanden. Vergewaltigung in der Ehe, sexueller Missbrauch von Kindern, Frauen als Sexualobjekte in den Medien, der Werbung und der Pornografie, das waren und sind die Themen dieser neuen Diskussion. Zum Leitbild der positiven Sexualität trat die alles in allem auch nicht taufrische Erkenntnis, dass Sexualität ebenso eine dunkle Seite hat. Weil aber dieser Widerspruch erst einmal unauflöslich bleibt, solange Männer Frauen (und Kindern) sexuell Gewalt antun, wurde er mithilfe eines neuen Verhaltenskodex zugekleistert: Zur in Amerika erfundenen Political Correctness gesellt sich ihre Schwester, die Sexual Correctness. Nicht die Rückkehr in die Verbotswelt der Fünfziger war ihr Ziel, nicht die Wiedererrichtung von Tabus, sondern die Zähmung der als gefährlich und gewalttätig betrachteten Aspekte menschlicher Sexualität, ihre Handhabbarkeit. Galt in den sechziger Jahren zum Beispiel der Sadomasochismus noch als sexuelle Perversion, so wurde er in den Achtzigern regelrecht schick, sofern die Beteiligten versichern konnten, sie ließen sich aus freien Stücken darauf ein. Sendungen wie ›liebe sünde‹ verkauften die neue Verhandelbarkeit des Sexuellen einem Millionenpublikum: »Hallo, ich heiße Helga, bin Kindergärtnerin und lasse mich abends gerne von meinem Mann ans Bett fesseln und auspeitschen.« Das war okay: ausgehandelte Sexpraktik unter gleichwertigen Partnern. Es war ungeschriebenes Gesetz bei ›liebe sünde‹, Interviewpartner stets mit vollem Gesicht, ohne Maske oder verstellte Stimme aufzunehmen – nichts Schmutziges, Drohendes sollte Sexualität anhaften, sondern die Aura des Vereinbarten, Gezähmten, Kontrollierbaren. Das letzte Tabuthema in unserer Redaktion blieb Pädophilie, denn dort schien uns die Gleichwertigkeit der Partner unmöglich. Es ist bis heute unsere letzte »Perversion« alten Schlages, das letzte Sex-Tabu unserer Gesellschaft geblieben – neben dem ewigen Geheimnis, was Gabi eigentlich an ihrem Schäferhund so toll findet.

Während also in den neunziger Jahren einerseits menschliches Fleisch gnadenlos wie nie zuvor zu Markte getragen wurde, brannte bald überall die Luft, wo es nach Ungleichwertigkeit der Partner roch: Eine Sexuelle-Missbrauchs-Hysterie schwappte durch die Büros und Kindergärten der gesamten westlichen Welt. Das Ergebnis: Reichte in den zwanziger Jahren noch ein nacktes Knie aus, um »ungezügelte« sexuelle Wallungen hervorzurufen, so haben wir heute einen Grad der Gewöhnung erreicht und wird von uns ein Grad an Beherrschung verlangt, dass uns selbst die Nackten im Münchner Englischen Garten kaltlassen. Schon fast gilt vom Erotischen erotisiert zu werden als menschliche Schwäche. Je mehr Sex zum Marken- und Billigartikel wird, enttabuisiert und damit entmystifiziert, umso langweiliger wird uns, mehr noch: Umso mehr gehört es zum guten Ton, davon gelangweilt zu sein. Das Ergebnis: tote Hose. Schlimmer noch, hinter der Verhandelbarkeit lauern ja bereits die neuen Verbote. Verboten ist das Unverhandelte, Unausgesprochene – und Unverhandelbare und damit alles Dunkle, Spannende, Betörende, Verzaubernde, Drängende – die Begierde, die Verführung – am Ende die Lust selbst. Doch so, wie sich Freiheit nicht einsperren lässt, so lässt Sexualität sich nicht zähmen. Wer sie »zivilisieren« möchte, bringt sie um. Das genau ist das traurige Ergebnis der Verhandlungsmoral der Neunziger. Und was kommt jetzt?

Vorwärts in die Vergangenheit

Weit entfernt vom Lebbaren und wirklich Wünschenswerten sehnen sich immer mehr Menschen nach den festen und strikten Regeln der Vergangenheit, die sie sich als gute alte Zeiten zurechtschönen. Die neue Sehnsucht nach der Beziehungsidylle bricht einer alten Romantik Bahn. Im Oktober 2000 erhob der ›Spiegel‹ »Die neue Zweisamkeit« zum Titelthema. Was die Redakteure in Wahrheit beschrieben, ist eine ziemlich alte Zweisamkeit, die bürgerliche »Kleinfamilie mit Kindern, Hund und Kanarienvogel« romantisch neu verklärt. Nicht wenige Teenager sind, angewidert von der Übersexualisierung ihrer Umwelt und dem partnerschaftlichen Versagen ihrer Eltern, dabei, in ihren Köpfen den Rückzug in die Wertewelt der fünfziger Jahre anzutreten. Die Hälfte aller Jugendlichen zwischen fünfzehn und vierundzwanzig Jahren gaben in einer Umfrage des ›Stern‹ etwa zur gleichen Zeit an, heiraten und zusammenleben zu wollen. Rechnet man jene mit dazu, die auch schon vor der Hochzeit an ein Zusammenleben denken, schnellt die Zahl auf fast drei Viertel. Die andere Realität aber: Mehr als die Hälfte aller Haushalte in Berlin sind Single-Haushalte, nicht wenige davon junge Menschen. Auch wenn dies sicher ein Großstadtphänomen ist, so ist die Tendenz überall im Land steigend. Anspruch und Wirklichkeit?

Und natürlich: Ganz in Weiß und kirchlich zu heiraten ist wieder angesagt, hier und in den USA, wo Magazine wie ›Bride‹ (Die Braut) alle Auflagenrekorde brechen und nicht selten mehrere Tausend Seiten dick sind, die meisten davon Anzeigen. Sang Gitte noch in den siebziger Jahren: »So schön kann doch kein Mann sein, dass ich ihm lange nachwein’«, so jodeln die volkstümlichen Musikanten von heute: »Ich bau dir ein Haus aus Sonnenschein, da lass ich keinen andern rein«. Madonna hat längst ihr Sado-Maso-Outfit in die Ecke geschmissen; Treue steht in der jungen Generation so hoch im Kurs wie seit dreißig Jahren nicht. Trennen sich unsere Traumpaare, Boris und Babs Becker, Tom Cruise und Nicole Kidman, dann bricht uns eine Welt zusammen.

Eine Scheinwelt wohlgemerkt. Die Wiederauferstehung der Treue findet nämlich nur in den Köpfen statt. Wächst die Lust auf einen neuen Partner, dann wird sich halt flugs getrennt, selten anständig, meistens brutal. Serielle Monogamie, Treue ohne Dauer, das ist die Wirklichkeit. Und die Lustlosigkeit vieler Teenager von heute ist keine wirkliche Rückbesinnung auf die Keuschheitszwänge früherer Generationen, sondern eine natürliche Antwort auf die Sex- und Beziehungstragödien ihrer Eltern, die Entzauberung der Sexualität im Allgemeinen und Aids im Besonderen. Dabei ist serielle Monogamie gar nicht mal ungefährlich. Wer jedes halbe Jahr eine neue romantische Liebe erlebt, hatte nach zehn Jahren auch schon mit zwanzig Leuten (leider nicht selten ungeschützten) Sex, Seitensprünge nicht mitgerechnet.

Von der Verhandlungsmoral demoralisiert, stapfen die Jungen tapfer der Liebeslüge entgegen. Mit Verzicht hat das nichts zu tun, gerade der aber war von ihren Großeltern gefordert. In zehn Jahren werden die Teenager von heute in zehn Beziehungen zehnmal treu gewesen sein – und wahrscheinlich gerade Single auf der Suche nach der großen Liebe. Oder wer glaubt wirklich, dass eine Generation, die das Leben als eine Abfolge von Konsumhandlungen kennengelernt hat und in einer Welt groß wurde, »in der die Produkte Schlange stehen nach ihren Käufern«, ausgerechnet in ihren Beziehungen anders lebt als konsumistisch? Das haben ihre älteren Brüder und Schwestern ja auch nicht geschafft.

Was tun?

Ist also alles bitter? Vermurkst und vermarktet? Oder gibt es einen Silberstreif am Horizont?

Mehr als einen.

• Erstens können wir, nach sexueller Revolution der sechziger und siebziger und sexueller Gewaltdebatte der achtziger und neunziger Jahre heute zumindest einen Wesenszug des Sexuellen anerkennen: seine Ambivalenz. Sexualität ist weder nur triebhaft, dunkel, gewalttätig noch allein an sich schon positiv, rein, nett und harmlos, ein steter Quell der Freude, wenn wir es nur oft genug tun. Sexualität hat beide Seiten, sie bedingen einander in einer Art paradoxer Gleichzeitigkeit. Gewusst haben wir das auch schon vorher.