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Roman eines Monats. (Januar 2004) Wieder ein Monat im Leben, aus dem sich mehrere Themen herauskristallisiert haben: - Dorothea, Lehrerein von Beruf, liebt ihren Mann Jürgen bis zum Wahn. Für ihn hat sie einst ihren einjährigen, unehelichen Sohn weggegeben. Doch Jürgen, ebenfalls Lehrer, hat sich in eine 18-jährige Schülerin verliebt. - Herr Schütt, ein feiner alter Herr, findet im hohen Alter nochmals einen wahren Freund. Doch der Freund ist schwer krank. - An einem verschneiten Abend zieht ein übler Abzocker durch die Gassen in Aurich Und warum heißt dieser Roman wie er heißt? Erstens weil der Titel lustig klingt, und zweitens weil Franziska manchmal, ohne es zu wollen, mit dem Schröder-Gefühl Violine spielt: "Bin ich gut, Doris?" (Besonders wenn der Vater lauscht)
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Roman eines Monats
Einschlaflektüre für meinen lieben Onkel Hartmut
Franziska (Kika) im Jahre 2004
mit ihrer geliebten Violine
Aus dem Leben einer Geigerin
Die meisten Vorkömmlinge finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Buches
Hier die Familie vorweg:
Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für
Violine an der Musikhochschule in Trossingen
Rehlein (Erika), unsere Mutter (*1939)
Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)
Julchen, Mings neue Liebe (*1983)
Ein Buch ohne Vorwort.
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Januar 2004
Donnerstag, 1. Januar
Freitag, 2. Januar
Samstag, 3. Januar
Sonntag, 4. Januar
Montag, 5. Januar
Dienstag, 6. Januar
Mittwoch, 7. Januar
Donnerstag, 8. Januar
Freitag, 9. Januar
Samstag, 10. Januar
Sonntag, 11. Januar
Montag, 12. Januar
Dienstag, 13. Januar
Mittwoch, 14. Januar
Donnerstag, 15. Januar
Freitag, 16. Januar
Samstag, 17. Januar
Sonntag, 18. Januar
Montag, 19. Januar
Dienstag, 20. Januar
Mittwoch, 21. Januar
Donnerstag, 22. Januar
Freitag, 23. Januar
Samstag, 24. Januar
Sonntag, 25. Januar
Montag, 26. Januar
Dienstag, 27. Januar
Mittwoch, 28. Januar
Donnerstag, 29. Januar
Freitag, 30. Januar
Samstag, 31. Januar
Personenverzeichnis
Grebenstein - Altenau im Harz
Kalt und ein wenig neblig
Omi Cionczyk stand am Fenster. Sie ist schon alt und immer traurig, wenn jemand geht. Versonnen und an einen ratlosen Emu erinnernd stand sie da, und ihre winkende pergamentene Hand erinnerte an ein welkes Blatt im Winde.
Ich befand mich auf dem Weg zur Familie Wies am Ende der Straße, um mich zu verabschieden, denn das neue Jahr sollte für mich mit einer Harzreise beginnen.
Auf neckische Weise betupfte ich den Klingelknopf, und auf Hessenart bat mich Mutti Wies ohne großes Federlesen in die Stube. Ja, da fackeln die Hessen, ganz im Gegensatz zu den Schwaben, die einen unangemeldeten Gast mit einem irritierten Blick zu empfangen pflegen, nicht lange: Wer kommt ist willkommen, egal wer und wann. Selbst wenn er sich in der Tür geirrt haben sollte, stellt man augenblicklich auf Gastesfröhe um. Was immer man gegen die Hessen sagen kann, von denen sich so manch einer gerne einen trocken-rustikalen Anstrich gibt - hilfsbereit, ja hilfswütig sindse, auch wenn man auf den ersten Blick zu denken geneigt ist: „Schon wieder jemand, der das Herz nicht eben auf der Zunge trägt!“
Gerührt über meine eigenen Gedanken betrat ich die Stube.
Der ohnehin etwas dunkle Raum mit den vielen Hirschgeweihen an der Wand, wurde von einem üppigst geschmückten Weihnachtsbaum dominiert. Geschmückt in Gold und Silber, und darunter stand eine riesengroße Flasche Jägermeister, die ein Vermögen gekostet haben muss. Ein Scherzgeschenk für den Jägermeister Herrn Wies.
Frau Wies, Omas ehemalige Helferin, ist eine äußerst plaudersame Dame. Kaum ist man da, zündet sie sich auch schon eine Zigarette an, und egal, in welcher Tätigkeit sie zuvor gesteckt haben mag, schaltet sie augenblicklich von Kopf bis Fuß auf Gemütlichkeit um.
An ihrem Geburtstag, so erzählte Frau Wies, habe bloß ich und die Tante Uta angerufen. Der Onkel Eberhard, der ansonsten immer so treu ist, hatte es vergessen. Da habe sie schon ein wenig schlucken müssen. Er rief dann allerdings an Weihnachten aus Frankreich an, und war sehr lieb.
Früher, als Frau Wies noch ein kleines Kind war, pflegte ihre Mutti über die Geburtstagsgeschenke zu sagen: „Das ist jetzt für Geburtstag und Weihnachten zusammen!“ da zwischen diesen beiden Festen damals wie heute nur wenige Tage lagen.
Frau Wies pflegt hochinteressante Psychologate über gemeinsame Bekannte von sich zu geben; oftmals mit fauchigem Beiklang in der Stimme, und ich lausche ihr solcherart gebannt, als ertöne eine nie gehörte Symphonie. „Das muss ich nachher ins Tagebuch schreiben“, nehme ich mir vor, und halte mein Gedächtnis mit beiden Händen fest, auf daß ihm nichts entweiche. Doch wenn ich das Gemerkte dann niederschreibe, schmilzt die Substanz rasch zusammen, und man muss sich eingestehen, dass es lediglich der fauchige Beiklang war, der den Lauschenden derart elektrisiert hat. Auch hier gilt: „Der Ton macht die Musik!“
Auf die Reise freute ich mich sehr, da die Straßen wie leer gefegt waren. Nach einer Stunde saß ich im Rasthof Seesen, aß Penne Arrabiata, und stellte mir vor, es sei eine kostbare Gabe von der Armenspeisung.
Die Memorien von Boris Becker, obzwar von berufenen Lippen als seichte Lektüre verunglimpft, bannten mich. Erstens, weil Ming sie mir so nett geschenkt hat, und zweitens, weil mir der Boris so vertraut ist, wie Ming oder der Friedel. Er fühlt sich an, wie ein Vetter ersten Grades. Mir mit diesem Buch geht es da ein wenig so, wie einst Rehlein mit ihrer Bach Sonate, bei der sie immer das Gefühl hatte, Bach hätte dieses Werk einzig und allein nur für sie geschrieben. Und ich hatte nun das Gefühl, der Boris habe seine Memorien nur für mich geschrieben, weil es den Anderen leider nicht vergönnt ist, etwas anderes als seichte Lektüre darin zu erkennen.
Eine ganz entzückende asiatische Bedienerin, die sich für das neue Jahr vielleicht vorgenommen hatte, ihren Job mit vollem Herzen auszuüben, sagte so freundlich zu allen Kunden „Gute Leise!“
Die Reise dauerte mit einem kurzen Herumgesuche in Altenau auf die Sekunde genau zwei Stunden. Bald schon fand ich das leblos wirkende Hotel „Zur alten Aue“; ein plumpes Gebäude mit Milchglasscheiben, und als ich dem Auto entstieg, war es draußen leider arscheskalt.
Ein Rezeptionsfräulein stimmte mich feinfühlig darauf ein, daß das Zimmer leider hässlich sei.
Zunächst aber besuchte ich das hauseigene Lokal in seinem Hirschgeweihambiente. Es gab ein Angebot zum Jubelpreis: Ein Kännchen Kaffee und einen Apfelkuchen mit Sahne, doch das Einzige, das mir daran gefiel, war die wirklich schön glänzende Sahne. Der Kuchen war kühlschrankskalt, und der Kaffee schmeckte einzigartig scheußlich.
Wieder stellte ich mir vor, der 98-jährige Opa Gerhard säße dabei und würde, wie einst die Oma Mobbl, die sich dem Alter nicht hingegeben hat, wie selbstverständlich immer alles mitmachen, da er es sich - im Gnadenalter steckend - in seiner Narrenfreiheit gemütlich gemacht hat.
„Schmeckt´s, Opa Gerhard?“ frug ich ins Leere hinein.
„Biddö??“
Ich wiederholte die Frage, und gab mir die Antwort gleich selber: „Ich habe bis jetzt nur bessere Apfelküchen gegessen!“ (Etwas krächzelig im Klang, mit der Stimme eines 98-Jährigen ge-sprochen)
Schließlich begab ich mich zur Kirche und freundete mich mit Pastor Calla, zirka 39 bis 41 Jahre jung, auch gleich an, indem wir beide sehr nett und höflich zueinander waren. Ich, weil´s mir leicht peinlich war, er könne vielleicht denken, ich sei spitz aufs Geld, (meine Sekretärin, Frau Münch, hatte fünfzig €uro extra ausgehandelt) und er, weil es ihm vielleicht peinlich ist, ich könne denken er sei scharf aufs Geld, weil er auf die bescheidene Aushandlung so knickrig und zurückhaltend reagiert habe. Frau Münch hatte auf den Zettel geschrieben, daß der Pastor zwar nett, aber letztendlich doch eher unverbindlich sei, so daß ich mich beim lesen dieser Worte ein bißchen einsam gefühlt hatte.
Na, diese trübe Charakterisierung konnte ich nun nicht feststellen, und die Pastorengattin Silke (zirke 38 Jahre alt), die ich wenig später kennenlernte, fand ich sogar ganz besonders nett. Eine genmanipulierte Frau Menzel (Onkel Hambums Schwiegerklavierlehrerin, wenn man so will). Genmanipuliert, indem sie nämlich nett ist, während Frau Menzel selber sich in der Rolle der ultra-trockenen Frau zu gefallen scheint.
Frau Calla aber bereitete uns gleich einen Tee zu, und servierte hierzu unglaublich viele Kekse, auch wenn es leider Dosenkekse waren. (Dänische Butterkekse)
Der Gemeinderaum, wo all dies serviert wurde, lag im zweiten Stock und wirkte etwas kahl und ungepflegt. Auf dem Tisch lag eine Gitarre, auf der gelegentlich gar die Pfarrgattin Frau Calla herumzupft, dieweil sie nämlich Kindergottesdienste zu gestalten pflegt, um für Fromme von morgen zu sorgen. (Ein kleiner Reim)
Dann begann´s.
Erstmals konzertierte ich mit meiner neuen Frisur. Die schöne Kirche mit dem großen leuchtenden Weihnachtsbaum war ganz gut besucht: Zirka 60 Hörfreudige hatten sich herbeibemüht, und manchmal schwatzte ein Kleinkind laut.
Theoretisch hätte Pfarrer Henze kommen können, dieweil der geschiedene und somit einsame Geistliche doch vielleicht ohnehin eine neue Frau sucht? Und eine Frau, die sich auch noch auf das Violinspiel versteht, wäre doch nun wirklich ein Traum!
Die Schmach, geschieden zu sein, lastet auf einer Pfarrseele unerhört schwer.
Er hätte sagen können: „Frau König, darf ich Sie in „unsere“ gemütliche Stammpizzeria entführen?“ Ich hätte mich mit ihm, der mit seinen abstehenden Restvegetationen auf einer seidenmatten Glatze, der Hornbrille und dem umständlichen Wesen, für Ming als Bruder wohl etwas „gewöhnungsbedürftig“ wirken würde, anfreunden können, doch der Geistliche kam nicht.
Heute spielte ich ausgezeichnet: Bachs a-moll Sonate, Ysayes vierte, und schließlich Bachs d-moll Partita. Dann war´s vorbei und mehrere Leute sprachen mich an: Frau Calla war so begeistert von mir, doch die anderen schienen zum Teil etwas unbeholfen, da man allgemein gar nicht weiß, was man zu einem sogenannten E-Musiker überhaupt sagen soll? Einige wollten wissen, ob mir nicht kalt war, eine andere Frau wunderte sich, daß ich ohne Schulterstütze spiele, und ein ernster Herr mit grauem Maulkorbbart, der sich beeindruckt zeigte, konnte sich leider nicht gescheit mitteilen und sagte etwas solcherart, daß Bach „schwere Kost“ sei. Dies sagte er jedoch, ohne es so zu meinen. Es sollte lediglich besagen, daß die meisten Bewohner sich vor einer solch erdrückenden Kultur gerne ducken.
„Wie kommen Sie in so ein Nest?“ erkundigte er sich mit dem interessierten Ausdruck eines Arztes, der einen neuen Patienten nach seinen Beschwerden befrägt, und ich scherzte: „Wie sprechen Sie von diesem Ort?“ und „Wie kommen Sie darauf, daß Bach schwere Kost sein soll? Ist das ein Zitat? Nichts lag dem großen Genius ferner, als „schwere Kost“ zu schreiben!“
Frau Calla fand mich so begeisternd, daß es sie vielleicht gereut hat, ein eventuelles Übernachtungsgesuch von Frau Münch abgeschmettert zu haben?
Ich fuhr durch die leicht gefrorene Dunkelheit zum Hotel. Pfarrer Calla hatte die Kollekte einfach halbiert und statt der vereinbarten 200€ 130€ auf den spärlichen Halbierungsrest draufgepeppt. Durch große herzliche Jovialitesse versuchte er diese kleine Kürzung zu übertünchen.
Leider gab´s am Hotel keinen Parkplatz, so daß ich mein Auto in eine offene Garage hineinstellte. Und dann gab´s in der beißenden Neujahrskälte nicht einmal eine Klingel! So suchte ich das warm beleuchtete Lokal daneben auf und freute mich sehr, weil´s dort nämlich richtig schön kuschelig warm war.
Dort verspeiste ich eine Käseplatte, doch ein bißchen zu früh hatte ich mich doch gefreut, denn es hieß, mein Hotel befände sich in einem Nachbarsdorf. Der Herbergsvati fuhr vor mir her, um mir den Weg zu weisen.
Jetzt wohne ich in einem Zimmer, wo man von der Straße aus, direkt hereinschauen kann. Man blickt auf ein Fräulein drauf, daß im Schein der Lampe leicht gekrümmt in sein Tagebuch schreibt.
Ich versuchte fröhlich zu sein, und tatsächlich fühlte ich mich manchmal viel fröher an als früher. Das Hotelzimmer schien mir preiswert und gemütlich. Nur der silberne 60er Jahre Fernseher funktionierte leider nicht mehr. Die Fenster, so nah an der eiskristallig gefrorenen schlanken Straße, das Doppelbett kuschelig, und das Wunderbare war, daß ich mich in diesem Zimmer, wo hinzu ein wohlgeheiztes Badezimmer auf mich wartete - eine Wohltat, wenn man aus der Kälte kam - überhaupt nicht einsam fühle.
Altenau - Wildemann - Aurich
Verhaucht, blass und sehr kalt.
Allerdings leuchtete die untergehende Sonne nach Art eines güldenen Dotters, so daß ich beim Autofahren ständig den Kopf dorthin biegen musste, um nichts von diesem Zauber zu verpassen
Am Morgen freute ich mich sehr auf das Frühstück vor, und es wurde auch richtig schön, da der holzvertäfelte rustikale Raum noch immer weihnachtlich geschmückt war. Sogar ein nagelneues Motorrad, um das herum die ganzen noch unausgepackten Geschenke verstreut waren, konnte man bestaunen.
Hernach räumte ich mein Zimmer besenrein, obwohl ich doch mit dem Gedanken gespielt hatte, eine mehrtägige Kur im Harz einlegen. Ich hatte meinen kleinen neuen Wohnort liebgewonnen. Mein Auto, das ich jetzt bepackte, war leider so eng eingeparkt worden - sowohl von rechts, als auch von links, daß ich vor der Ausparkung einen großen Bammel verspürte, zumal man rückwärts den Berg hinauffahren mußte.
Zunächst fuhr ich nach Wildemann, und zwei Kilometer zuvor rang ich von einem Geröllparkplatz aus Hilda und Martin1 an. Mein E-Notizbuch arbeitete kältebedingt nur noch sehr langsam, so daß ich fast gar nicht hätte anrufen können.
„Hallihallo?“ sagte die Hilda multipel, da sie mich nicht hörte. Dann hörte sie mich aber doch.
Die Hilda, eine nicht mehr ganz junge Dame („Er hat unbewusst die Mutter geheiratet!“) ist von frischem und unkompliziertem Wesen. Ja, man sei auf mich eingestimmt und freue sich bereits sehr auf den Besuch.
Ich parkte am „Wilden Mann“.
„Wer falsch parkt, den holt der wilde Mann!“ stand da furchteinflößend auf einem Schild zu lesen, und ich stellte mit vor, wie die Mitarbeiter der Stadt über diesen lustigen Scherz gelacht haben!
Freudig, bang und frierend lief ich geschwind zur Villa der jungen Leute. Einem leicht heruntergekommenen Haus mit dem Namen „Villa Kunterbunt“. Henning, der 32-jährige Sohn von der Hilda hat einst die lustigen bunten Buchstaben vor dem Hause angebracht, und Mutti Hilda fand diese Idee köstlich. Eine ganz steile Treppe führte hinan, und oben begrüßte ich die Dame des Hauses mit einer Umarmung und bewunderte die Wohnung, wo es - grad wie bei uns Königs - so viel zu sehen gab. Auf einem Konzertplakat sah man den weißhaarigen Günther Borchert, den Exmann von der Hilda, seines Zeichen Jazzpianist von Beruf, der sogar schon mal in China konzertiert hat, so daß sein Name, mit chinesischen Buchstaben geschrieben, auf einem Plakat zu lesen war. (Gön tör Boa ha tö)
Der Martin hatte sich kurz unter die Dusche verzupft, und als er wieder hervortrat, begrüßte er mich so unglaublich herzlich und erfreut.
Zum Tee holte ich extra Rehleins Gutsles herbei, damit die jungen Leute (ich schreibe einfach „die jungen Leute“ obwohl die doch älter sind als ich! Führt da am Ende gar die Tante Irma meinen Stift?) eine Freude haben. Die Hilda ist äußerst lebhaft und erzählt viel, und der Martin ist ganz ruhig und still, doch er lacht fröhlich zu den Scherzen, die man in die angenehme Stille, die von ihm ausgeht, hineinzündet. Ein Buch von Lermontov, ein Weihnachtsgeschenk, und ich fand, daß der früh verstorbene Dichter auf dem Bilde genau ausschaute wie Martins Bruder Frank, über den wir soeben sprachen. Direkt unterhalten über den Frank kann man sich allerdings nicht; man ist auf Vermutungen angewiesen, da man ihn nie sieht, und nur ein gerahmtes Foto in der Stube von der Tante Irma erinnert daran, daß es ihn überhaupt gibt.
Sogar unsere Virtuosen-CD hat die Tante Irma den jungen Leuten zu Weihnachten geschenkt, doch noch war die Folie nicht abgezupft worden. Jungfräulich ungenutzt lag die schöne CD auf dem Gabentisch. Nicht genug damit: Die jungen Leute wussten noch nicht einmal, ob sie die schon haben!
Das scheint ja wirklich ein Geschenk, das ankommt! dachte ich mir. Laut sagte ich jedoch, daß sie das dann doch wohl weiterschenken könnten, und fand den Gedanken lustig, daß unsere CD vielleicht als ungenutztes Weihnachtsgeschenk die Runde macht, wie der Gedichtband eines älteren Herrn.
Mittags aßen wir im „Wilden Mann“.
Wir nahmen an einem kleinen Tischlein im Wintergarten Platz, doch das Essen, das wir uns bestellt hatten, schmeckte leider langweilig. Tiefkühlgemüse mit einer klebrigen Pulverkäse-Soße. Und doch hatte man sich auf der Menükarte schamlos damit gebrüstet: „Herzhafter Gemüseauflauf.“ Na, wenigstens waren die beiden anderen zufrieden: Der Martin aß bescheiden eine kleine Forelle, und die Hilda zwei Spiegeleier. Alle naslang frug uns das Servierfräulein, ob´s wohl in Ordnung sei, und ob wir vielleicht noch etwas wünschten?
Draußen tänzelten ganz kleine Schneeflöckchen und die Hilda sagte mal so süß über ihr Alter: „Manchmal finde ich es doof, daß ich schon so alt bin!“ Der Henning, ihr einziger Sohn - Anästhesist in Clausthal-Zellerfeld - hatte sich mit ihrer Freundin Sabine liiert, und die Sabine hat doch bereits einen zwölfjährigen Sohn!
Die Hilda bereut es schrecklich, daß sie nur ein Kind hat, doch ihr Mann wollte einfach kein weiteres mehr. Jetzt möchte sie wenigstens ein Enkelkind, doch die Sabine ist doch viel zu alt! (51!)
Schließlich verabschiedete ich mich und fuhr heim nach Aurich.
Bald schon gönnte ich mir eine Rast im Rasthof Allertal, doch der nicht unsympathische Rasthof war so entsetzlich überlaufen. Ich geriet in einen sich zum Häusl zwängenden Menschenstrom und zwei Frauen sagten sich ein paar Geistlosigkeiten: „Ich wollte hier vorbei!“ „Andere wollen auch vorbei!“ Ich schaute auf die zuendegepullert habenden und somit wieder herbeiquellenden Leute, und malte mir aus, es wären die Nämlichen, mit denen man sich nach einer Heiratsannonce verabredet hat, und die einem nun erstmals in Natura entgegentreten. Doch alle Leute sahen leider hässlich aus, so daß man im Ernstfall erstmal einen Schrecken bekäme.
Die zweite Rast legte ich bei Dunkelheit im Rasthof Hasbruch ein. Das Raststätteninnere wurde mit den Nachrichten beschallt: Derzeit lebt man in Terrorangst, da es beständig Hinweise von der Sicherheitspolizei gibt, welches Gelände man wohl besonders bewachen solle. Doch es geschieht gar nichts. Ein Politiker schob sogar einem anderen den schwarzen Peter zu, indem er ihn beschuldigte, geschwätzig und wichtigtuerisch agiert zu haben, und der Beschuldigte fand diese Beschuldigung ungeheuerlich! Viele Terrorwarnungen sind irrtümlich entstanden, weil Passagiere auf der Passagierliste oft ähnliche Namen tragen wie die Terroristen auf der Fahndungsliste.
„Ein Kind geriet ins Visier!“ sagte die Sprecherin. „Jetzt sagt sie so was Lustiges, und trägt´s in bürokratisch-steifem Tonfall vor!“ dachte ich noch.
In bibbriger Kälte traf ich zuhause ein.
Herr Berke - unser wahrer Freund - hatte so nett die Heizungen angestellt, und sogar das Willkommenslicht eingeschaltet.
1Mein Großvetter und seine Frau
Zart, angenehm, weißwölkig und klar
Sagenhaft in Buzens Bett genächtigt. Im Traum erzählte ich dem Franz, Buzens treuestem Jünger und unserem „heiligen Petrus“, daß ich viel lieber Konzerte mit Klavierbegleitung gäbe. Den Franz versetzten diese Worte einer Dame in eine leicht lippenschürzelige und stirnrunzlerische Stimmungslage. Er erzählte, daß er einst ein Duo-Konzert, und einmal eines mit Orchesterbegleitung gehört habe, und jedesmal sei er enttäuscht worden. Ich wurde nicht schlau draus, ob er wohl meine Konzerte meint?
Dann wandelte ich in meinem schönen chinesischen Konzertkleid (dunkelpurpurn) und einem warmen Mantel drüber durch hohen Schnee zu einem prächtigen Konzertsaalgebäude (erinnernd an das so elegant verglaste Lincoln-Center in New York), um mir ein Konzert des Ostfriesischen Kammerorchesters anzuhören. Doch da eilte mir Buz hinterher und erklärte atemlos, daß mein Konzert heut - und nicht, wie er vorhin irrtümlich gemeint hatte - morgen sei. Das Publikum säße schon da! Schnell! Ich solle mich sputen.
Da tönte der Wecker.
Derzeit geht es mir gut und schlecht in einem: Gut, weil es hier gemütlich ist, und unser Heim durch den Anbau sagenhaft an Aura gewonnen hat, und schlecht, weil ich Angst habe, alt, dick und hässlich zu werden, ohne daß es irgendeine Möglichkeit gäbe, dem entgegenzuwirken; und mein Energiepegel zudem, bedingt durch den menschlichen Auramangel, drastisch in die Tiefe gesunken ist. Mein Auratank scheint leer. Man möchte ganz viel bewegen, und schafft gar nichts.
Auf der Treppe liegt derzeit ganz viel Post, die ich noch nicht einmal angeknabbert habe. Beispielsweise Weihnachtspost von Leuten, die einen nicht sooo interessieren. Von Bekannten, die Jahr für Jahr wörtlich genau den selben Unsinn zusammenschreiben („wir faulenzten am Pool“), während jene, die man nun von Jahr zu Jahr weniger liebt, ganz typischerweise...ach, man mag die Sätze schon gar nicht mehr zuende schreiben. Rührend fand ich allerdings, daß mir Frau Max aus Goslar einfach so ein Brieflein geschrieben hat. Frau Max ist schon so alt, daß man gar nicht weiß, ob es sich noch lohnt, einen Brief an sie zu beginnen, doch nun hatte die knochige alte Dame mit der grauen Türmungsfrisur das Fädchen zu unserer Freundschaft ganz selbstverständlich in die Hand genommen, und ich bin auch froh, daß heut im Rahmen eines wirren und nicht sehr zielstrebigen Ausloseverfahrens sogar ein sehr netter Brief an sie zuende geschrieben wurde. Ich schrieb, daß ich schon längst geantwortet hätte, wenn ich nicht von der Ungewissheit gepeinigt worden wäre, ob ich lieber „Du“ oder „Sie“ schreiben solle. Frau Max ist, wie ich weiß, in dieser Hinsicht äußerst lose und unkompliziert. Sie duzt sich mit allen, und findet die förmlich-steife Siezerei einfach lächerlich. Wir sind doch alle Nachfahren von Adam und Eva! Nach höflichem Beginn schwenkte somit auch ich dann mitten im Briefgeschehen zum Du über.
Meine Fernsehstunde konnte ich dann nicht sehr genießen. Genaugenommen schaue ich immer nur eine Kaffeetassenlänge kurz. Am liebsten schaue ich mir „Fälle aus dem Leben“ in SAT1 an.
Grad so wie in Taiwan tragen fast alle Kinder, die heutzutage geboren werden, einen amerikanischen Namen. Eine 23-jährige Variante von der Tante Christa (vom Onkel Dölein), verheiratet mit einem Mann, der bereits ein Jahr lang auf Montage in Griechenland war, wurde zum dritten Male Mutter: Sällivän (Sullivan); und ihre beiden Töchter heißen Kimberly und Elaine.
Ich radelte zum Supermarkt, und beim Radeln fühlte ich mein welkes Hüftblatt. Auch wenn es (noch) nicht weh tat, so spürte man doch die beginnende Abnutzung, so daß davon auszugehen ist, daß ich spätestens in zwanzig Jahren eine neue Hüfte brauche.
Nachtrag 2025: Hab noch immer meine alte....
In den Gängen des Supermarkts dachte ich, daß es sich eigentlich so anfühlt, als hätte ich bereits eine neue Hüfte. Ich fühlte mich nämlich wie nach einer zu 98% gelungenen Operation. („Es fühlt sich fast so an wie früher!“)
Meine brave Schülerin Alexandra hatte ihr Kommen angekündigt, und ich nahm mir vor, den Unterricht ganz schön und kunstvoll zu gestalten. Um 15 Uhr kam sie wie alle Tage mit ihrer etwa 41-jährigen Mutti. Ich hatte mir so nett ausgedacht, daß ich Alexandras lebensfroher Mutti hier derweil eine einzigartige Caféhausatmosphäre bieten könnte, auch wenn man sagen muss, daß man ein Caféhaus, das seine Gäste mit schülerhaftem Violinspiel beschallen lässt, ersteinmal kennenlernen möchte. Doch die lebensfrohe Frau wollte sich in der schönen Dämmerstunde lieber shoppoholisch betätigen.
Heute stand Prokofieffs völkerverbindende Solosonate auf dem Programm. Diesmal vertrat ich eine These von Daniel Barenboim: Daß man Musik und Technik nicht trennen sollte, und wählte einen pädagogischen Weg, der mir vielleicht gut läge? Phrase um Phrase zu polieren. Doch einmal fiel mir meine Neigung auf, mitten in einen pädagogischen Satz - und dies, noch bevor die pädagogische Grundbotschaft gefallen war - einen Hasenhaken zu schlagen, indem ich einfach eine ganz andere pädagogische Idee an einen Seitenzweig hänge, der sich einfach so gebildet hat. Erschüttert von dieser unschönen Erkenntnis zwang ich mich nun, einen Gedanken zuende zu formulieren.
Anhand der ersten drei Akkorde, die leider je etwas staksig und schülerhaft ausfielen, bemühte ich Gleichnisse aus dem Tennisspiel: Rückhand voll durch! Der Unterricht war nett, und doch war möglicherweise von meiner Seite her zu viel Geschwafel dabei?
Im vergangenen Jahr schaffte es die damals 14-jährige Alexandra als Blockflötistin bis zum Bundeswettbewerb bei Jugend Musiziert. Doch diesmal möchte sich die Familie das Wettbewerbsgeschehen nur von außen anhören, zumal die Alexandra jetzt einen Platz im frisch gegründeten Ostfriesischen Symphonie Orchester hat. Am nächsten Sonntag soll dort den ganzen Tag lang geprobt werden!
Ich durfte Rehleins E-Mails lesen:
Der Onkel Andi schrieb so bezaubernd, daß sie heuer zum erstenmal ohne Enkel und nur mit Hund gefeiert haben. Es sei weniger anstrengend, aber dafür nicht ganz so schön gewesen, denn leuchtende Hundeaugen ersetzen keine leuchtenden Kinderaugen, und man konnte das Anderle förmlich vor sich sehen, wie er diesen lustigen Satz freudig formuliert hat.
Auch die Familie Nemecs aus Lingen hatten sich an mich erinnert. In freudiger Erwartung öffnete ich das Kuvert, doch leider handelte es sich nur um simple Neujahrswünsche. Und dennoch begann ich am Abend hochkonzentriert einen Brief an die Nemecs zu schreiben. Ohne Ziel und Plan schrieb ich drauf los. Zum Spaß - denn man könnte die Zeilen ja jederzeit ein wenig abändern - schrieb ich im Stile einer Seniorin vom alten Schlage: „Lara wird ja nun bald eine junge Dame, nach der sich die ersten Herren umdrehen, und niemand weiß, wie sich all dies auf ihr Violinspiel auswirken wird.“ ‹– (im Grunde dummes Zeug!)