Das Konzertplakat - Franziska König - E-Book

Das Konzertplakat E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Eine Milieustudie oder Realdoku aus dem wahren Leben. Der Leser ist eingeladen, eine Geigerin auf ihrem Lebensweg zu begleiten, und an den Freuden und Dramen zu partizipieren, die den Juni 1998 in einen Roman verwandeln sollen. Das Leben selber führt Regie.

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Meinem lieben Onkel Hartmutzum Geburtstag im Jahre 2023

Inhalt

Montag, 1. Juni Ofenbach

Dienstag, 2. Juni

Mittwoch, 3. Juni

Donnerstag, 4. Juni

Freitag, 5. Juni Ofenbach – Bonn

Samstag, 6. Juni Bad Godesberg (Steinfurt) – Euskirchen

Sonntag, 7. Juni Bad Münstereiffel - Bonn

Montag, 8. Juni Bonn - Köln - Bonn

Dienstag, 9. Juni Bonn - Aurich

Mittwoch, 10. Juni

Donnerstag, 11. Juni

Freitag, 12. Juni

Samstag, 13. Juni

Sonntag, 14. Juni

Montag, 15. Juni

Dienstag, 16. Juni

Mittwoch, 17. Juni

Donnerstag, 18. Juni

Freitag, 19. Juni

Samstag, 20. Juni

Sonntag, 21. Juni Aurich - Gotha

Montag, 22. Juni Gotha - Grebenstein

Dienstag, 23. Juni Grebenstein - Aurich

Mittwoch, 24. Juni

Donnerstag, 25. Juni

Freitag, 26. Juni

Samstag, 27. Juni

Sonntag, 28. Juni

Montag, 29. Juni

Dienstag, 30. Juni

Personenverzeichnis

Franziska (Kika) im Jahre 1998in einem Fotomaton in Wien

Aus dem Leben einer Geigerin

Unser Leben währet 840 Monate und wenn es hoch kommt, so sind’s 960.

Monate, die sich im Nachhinein in schlanke bis vollschlanke Romane verwandeln.

Willst Du mich einen Monat lang begleiten?

Die meisten Vorkömmlingefinden sich im Personenverzeichnisam Ende des Buches

Hier die Familie vorweg:

Opa, Dichter, Denker und Rentner in Österreich (*1909)

Oma Mobbl, Pianistin und Ehefrau des Vorhergehenden (*1910) (Die Großeltern mütterlicherseits)

Oma Ella, Großmutter väterlicherseits in Grebenstein (*1913)

Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in Trossingen Rehlein (Erika), unsere Mutter (*1939) Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)

Lindalein, (*1973) unsere Kusine aus Amerika, die von 1997 bis Anfang 2000 bei uns in Europa lebte

Ein Buch ohne Vorwort.

Du kannst gleich anfangen zu lesen…

Juni 1998

Montag, 1. JuniOfenbach

Vormittags starker Regen.Hernach klarstes, schönstes Sonnenwetterauf tiefblauem Himmel über saftigstem Grün

Von kräftigem Duschregen umgischtet versuchte ich mich zu Tagesbeginn am Briefabbo für meine uneheliche Exschwägerin Gerlind, das am Ersten eines jeden Monats zu verfassen wir vereinbart hatten. Doch wir haben uns auseinandergelebt. Beim Schreiben verfiel ich in einen gestelzten Tonfall, rang nach originellen Formulierungen, versprenkelte billige Witzeleien über das Blatt und sagte doch mit alldem nichts aus.

Die Gerlind ist derzeit solchermaßen in Alltagsverdrüsse verwoben - Kinder, Kochtopf, Krankheiten - , daß man keine gemeinsame Basis mehr hat. Ich konnte ihr nicht einmal schreiben, was mich derzeit bewegt. Weder bin ich verliebt, noch schmerzt dies sonderlich. Man könnte meinen, ich stünde kurz davor, eine langweilige, typische Erwachsene zu werden.

Nach zwei Übstunden auf der Violine widmete ich mich der Frühstückstischgestaltung. Geschlagene dreißig Minuten hat es gedauert, bis endlich die nötige Behaglichkeit einkehrte.

Ming, der zusammen mit unserer Kusine Linda in der Einliegerwohnung über den Großeltern lebt, begrüßte mich sehr herzlich auf der Terrasse.

„Du hast dich bloß noch nicht gekämmt!“ mäkelte er gutmütig. Er griff sich einen Kamm und bearbeitete mein Haupthaar solchermaßen, daß es bald schon aufgeplustert ausschaute, wie bei einer leicht entrüstbaren reifen Frau. Aber so was findet Ming offenbar schön.

Dann machte Ming mir ein Kompliment über den so fein und künstlerisch gedeckten Frühstückstisch.

„Bald bin ich im Haushalt genauso versiert wie die Tante Lisel!“ sagte ich in zärtlicher Erinnerung an unsere Tante in Blankenfelde, bei der es immer so adrett ausschaut.

„Ganz sicher!“ meinte Ming.

Ming und Linda hatten sich einen duftenden Griesbrei zubereitet und aßen hier unten bei uns. Der Opa schlief, aber die Oma Mobbl saß am Tisch und genoss den Besuch. Wir sprachen über den jüngst verstorbenen Onkel Otto (Opas Bruder), von dem es heißt, er sei so klug gewesen.

Nachdem er zu Grabe getragen worden war und sich jenes Frühjahrsputz-Elend, das nach Beerdigungen häufig beschrieben wird, in der Wohnung ausgebreitet hatte, hatten seine Kinder die Karteikärtchen mit all den Weisheiten aufgesammelt, die, grad wie beim Opa, überall in der Wohnung verstreut waren, und selbige in einen großen Koffer verstaut, der hernach so schwer war, daß man ihn kaum noch anheben konnte.

Und während auf Opas Karteikärtchen Gedichte und Schüttelreime stehen, sind’s beim Onkel Otto hochgeistige physikalische Formeln, die niemand versteht.

Der Opa wäre so gerne nochmals nach Kiel gereist, um seinen kleinen Bruder ein letztes Mal zu sehen – aber er war zu alt für die weite Reise, berichtete Mobbl.

„Und warum bist duuuu nicht hingereist?” wollten wir Kinder wissen. Mobbl bedauert dies auch sehr, doch sie wollte den Opa nicht alleine lassen und den Onkel Otto lieber jung in Erinnerung behalten. Er sei so lustig und so sportlich gewesen. Im Sommer sprangen die Brüder in Spanien und Frankreich gelegentlich von zehn Meter hohen Felsen ins Meer hinab.

Zum Beweis schleppte Mobbl ein paar Fotoalben herbei, denn wenn man den greisen Opa heut durch die Flure schlurfen sieht, fällt es einem schwer zu glauben, wie lebhaft und sportlich er einst im Frühling seines Daseins war, als man das Leben noch als buntes Abenteuer empfand – wie einen frisch geernteten reifen, rotwangigen Apfel, in den man gleich genüßlich hineinbeißen würde.

Am Vormittag probten wir die frisch komponierte Sonate von Herrn Heike.

„Wie schnell mit Ming doch eine halbe Stunde um ist!” dachte ich noch freudig, aber bei Bachs e-moll Sonate fiel mir Mings mäkelige Art auf die Nerven. Er redete wie ein Professor, das Haar türmte sich dünn und plustrig auf seinem Haupt und ich frug mich bang, ob es womöglich bald schütter wird? Die Zeit macht schließlich vor niemandem Halt. Auch nicht vor Ming.

Nachtrag 2023: Ming schreitet noch immer in voller Haarpracht durchs Leben

„Das hat er von der Dorli gelernt!” dachte ich unfroh, als Ming über den Noten brütete.

Die Dorli, eine Wiener Cellistin, hat sich bei uns als unbequem Hinterfragende interessant gemacht. Man setzt sich hinter das Cellopult, säbelt los, bricht bald ab, strahlt engagierte Unzufriedenheit aus und sagt Dinge wie: „Geh, is dös euer Ernst mit dem Däääämbo?” „Ist das euer Ernst mit dem Tempo?”

Später freute ich mich allerdings sehr darüber, daß uns das Schubert Rondo so zündend geriet. Von der schönen Musik angelockt wackelte Mobbl herbei. Auf entzückende Weise legte Mobbl den in die Höh gereckten Zeigefinger an die Lippen, um zu symbolisieren, daß sie nicht stören wolle. Dann setzte sie sich ganz leise auf das rote Clintonsofa und lauschte.

Das Sofa haben wir „Clintonsofa” genannt, weil wir uns damals, als es frisch gekauft in der Wohnung stand, vorgestellt haben, wie sich Bill und Hillary Clinton am Ende eines langen anstrengenden Tages darauf niederlassen, um den Tag getreu dem Spruch „Die Ehe ist ein langes Gespräch” würdig ausklingen zu lassen. („Einen Penny für deine Gedanken, Bill!”)

Nachdem das Rondo verklungen war, spielte Ming Teile aus den Goldbergvariationen.

„Donnerwetter!” sagte ich am Schluß, obwohl man sich keinen unpassenderen Ausruf hinter dies verhauchende Klanggebilde vorstellen kann.

Zur Mittagsstund haben Ming und Linda gekocht. Es gab ein sehr persönlich gewürztes Gemüseratatouille. Aber als die schöne Speise serviert wurde, war der Opa weg. Dies sei typisch für die drei Söhne der Esslinger-Oma, erfuhren wir von Mobbln, „wenn zum Mittagessen getrommelt wurde, so waren sie weg.” Zwanghaft begibt sich der Opa alle Tage zur Mittagsstund auf das Nachbargrundstück, um zu schaun, ob jemand da sei. Von unserer Haustür aus sah ich ihn mit dem Stock und seiner Meeresungeheuer-Brille auf der Nas durch das hohe Gras waten.

‚Der Opa, der hört eh nichts!’, dachte ich beim rufen, doch der Opa hob den Kopf und hatte mich sehr wohl gehört. Und doch wurde ich ein bißchen traurig, weil man am Opa sieht, wie die Jahre unaufhaltsam und unwiederbringlich vorbeigezogen sind.

Zum Mittagsessen lief der Televisor, und allgemein wartete man auf das Familienoberhaupt.

Da ich den Tag so rasterhaft begonnen hatte, bildete ich mir ein, ich müsse ihn ebenso rasterhaft und zeitkarpend fortführen. Und so retirierte ich mich schon bald wieder zum üben.

Draußen wurde das Wetter glasklar und wunderschön. Linda und Ming saßen im Garten und Ming las aus einem Englischlehrbuch vor.

Nach dem Joggen fühlte ich mich erschöpft, und verharrte minutenlang zusammengesunken auf der kleinen Bank neben der Eingangstüre. Doch nach einer Weile unternahmen Linda, Ming und ich einen kleinen Spaziergang: Spazierweg Nummero drei.

Unterwegs begegneten wir den drei kleinen Wirtstöchtern, die sich unserer Karawane anschlossen und um uns herumhüpften. .

„Fällt dir was an mir auf?” frug die kleine Martina.

„Eine neue Frisur!” sagte Ming.

Wir scherzten darüber, daß die kleine Martina für uns eine Märchengestalt sei: „Es war einmal ein Mann, der hatte drei Töchter.”

Unlängst habe der Bruder des Gastwirts, der Onkel der Mädchen, Selbstmord begangen. Er trank zuviel, war verschuldet und litt an Depressionen. Ming und Linda waren ihm schon mal begegnet. Er grölte Ming an, und Ming verstand erst beim vierten Anlauf, mit was er da begrölt wurde. Mit anderen Worten verknautsche er somit grämlich fragend das Gesicht und trichterte das Ohr, so wie der Opa zuweilen?

„Fesche Waderln hoat’s!” Fesche Waderln hat sie spielte der damals noch Unverstorbene auf Mings vermeintliche Eroberung, die Linda, an.

Über diesen gestrauchelten Menschen hinweg modulierten wir zur Tante Uta hinüber, deren Leben leider auch so leer ist, obwohl sie vier Kinder hat. Zu wenig Interessen und zu wenig Energie. Möglicherweise auf ein lang zurückliegendes Unglück in der Liebe fußend.

Wir liefen weiter und sprachen über Gerlind und Fritz, die Ming so an Rehlein und Buz in ihren Anfängen erinnern, da sie einfach auf gut Glück und ins Blaue hinein Kinder gemacht haben - ohne Basis für die Zukunft.

Der Fritz sei heut aus dem Militärdienst entlassen worden. Unlängst hat Ming ihn bei einem Probe-spiel für das Europäische Kammerorchester am Klavier begleitet. Doch in der h-moll Bourée von Bach sei der junge Papi leider vorzeitig ausgestiegen. „Ach ne!” habe er vor Schreck halblaut vor sich hingemurmelt.

Wir sprachen davon, daß das Leben für den Opa nun auch langweilig geworden sei. Er schreibt keine Briefe mehr und bekommt auch keine. Seine Interessen lassen nach. So oft im Leben hat der Opa jemandem einen überraschenden und wunderschönen Brief geschrieben, doch obwohl bekannt war, daß der Opa es liebte, aussagekräftige Briefe zu bekommen, ist außer Rehlein und uns Kindern nie jemand auf die Idee gekommen, den Opa mal mit einem Brief zu erfreuen.

Einen konversatorischen Hakenschlag ausführend erzählte ich, wie die Erfahrung gelehrt habe, daß Geiger die Frauen nicht glücklich machen, wie die beiden Filme mit Liz Taylor und Maria Schell beweisen: Liz Taylor liebte Paul Bronte, doch Paul Bronte mußte immer nur üben. Vor seinem Debut bedung er sich gar aus, drei Wochen lang nichts von der Liz zu hören, um 18 Stunden am Tag zu üben. Und Maria Schell wiederum liebte einen Geiger, der ihre Schwester geheiratet hatte. Sie selber heiratete einen anderen Herrn und zog mit ihm nach Indonesien. Doch dort fühlte sie sich immer nur saft-, kraftlos und unglücklich und lag den ganzen Tag nur auf dem Bett herum. Aus einem Augenwinkel rannen salzige Tränen in die Kissen, die dem fernen Violinvirtuosen geweiht waren, der von alldem nichts ahnte.

Abends gönnten wir uns eine Knoblauchbrotzeit.

Mitten in das gemütliche Beisammensitzen hinein tönte in Mings Ashram das Telefon auf: Die hübsche Colette war’s, mit der Ming vor etwa fünf Jahren eine kleine Sommerromanze verbunden hat. Ich spitzte die Ohren und lauschte dem Telefonat wie ein Luchs: Das Gespräch klang zwar munter und jugendlich und dennoch mußte man konstatieren, daß sich unter der Oberfläche des freundlichen Wortabtausches doch nur ein schmaler Talk verbarg: Ming berichtete, daß er sein Abitur nachhole und hernach vielleicht noch etwas Anderes zu studieren plane, und daß es „interessant” sei.

Später probten wir noch ein wenig am Werk von Herrn Heike herum. Wieder saß die interessierte Oma Mobbl auf dem roten Sofa, doch das Werk gefiel ihr - zumindest auf den ersten Horch - nicht so. Ich hingegen finde es nicht schlecht.

Der Opa kam auch herbei und plauderte mit der Linda über „Die Sprache in der wir leben” (ein Buch, das der Opa derzeit verfasst). Ming bekam ein wenig Angst, der Opa könne die ganze Nacht dort hocken bleiben, da er dazu tendiere, die Nacht zum Tage zu machen. Ob ich ihn wohl hinablotsen könne?

„Opa, wir müssen noch ein wenig chinesisch lernen!” sagte ich, „sonst wird das nichts mehr!”

„Hää??”

Doch dann folgte er mir artig die Stiegen hinab.

Zu guter Letzt rief noch der süße Buz an und schäkerte so entzückend mit dem Lindalein.

Ob sie wohl all seine guten Lehren beherzige? Dies frägt er auch mich immer.

Dienstag, 2. Juni

Meist wunderschön sonnig.Nur ganz zuweilen war der Sonnenscheinkurz ein wenig hinweggeblendet

Als mich der Wecker in den Alltag hineinrupfte, war ich im Traum grad eine Straße hinabgehüpft, um in einem der zahlreichen neueröffneten Musikgeschäfte unserer Stadt Einkehr zu halten. (Einem schicken Laden, der sich auf Akkordeone und Keybords spezialisiert hatte)

Ich erhob mich frohgemut in einen herrlichen Sommermorgen hinein.

Normalerweise beginne ich den Tag damit, eine ganze Stunde lang Briefe zu schreiben, aber heut schippte ich meine ehrenamtlichen Tätigkeiten axel*gleich vor mir her: Die Briefabbos an Gerlind, Margarethe und Simone, so daß sich all dies zu einer Lawine zusammenzuballen drohte, die mich erschlagen wollte.

*Axel: Ein Schüler Buzens, der alles vor sich herzuschippen pflegt.

Stattdessen übte ich bereits vor sieben Uhr auf der Violine und nahm hernach ein Frühstück mit Mobbln ein.

Mobbl bestürmt einen auf interessierte Weise mit Fragen, die keinen großen Beantwortungsschwung aufwirbeln: „Hat dein Papa viele Schüler?”

Einmal gab ich gar eine Antwort nach Mobblns Gusto:

Mobbl: „Gute?”

Ich: „Ja, aber nicht so gut wie ich!”

Gut dem Dinge – denn etwas anderes will Mobbl überhaupt nicht hören.

Später besuchte ich Ming und Linda im Ashram zu einem zweiten Frühstück. Ming briet ein schaumig aufgeschlagenes Gänseei, das ihm die Eheleute Binder geschenkt hatten, und wie ich Ming so mit der Pfanne hantieren sah, hat’s mich so an ein Foto erinnert, worauf man den Onkel Rainer mit seiner Frau Sharyn im Duett in der Küche arbeiten sieht. Ich dachte an die Briefe vom Rainer: „Wir würzen die Speisen mit Gewürzen aus dem eigenen Garten!” Und so ist’s bei uns ja auch.

Ich fühlte mich durch die Anwesenheit der jungen Leute höchst inspiriert und redete wie ein Wasserfall. Von Hildes Mohren hatten wir’s, und davon, ob Buz wohl glücklich sei?

„Buz ist fuchsteufelswild gegen den rabenschwarzen Rivalen!” wußte ich. Und somit ist Buz ungefähr so glücklich, wie Ming es wäre, wenn sich die Linda in Wien mit einem Japaner liiert hätte und nur noch über Sumokämpfe spricht, psychologisierte ich plastisch, da mir nicht nach Schönrednerei zumute war.

Wir probten die Kreutzersonate von Beethoven und ich fand, Ming spielte sein Solo nach meinen einleitenden Akkorden einfach sagenhaft.

„Beethoven hat die Akkorde mit Fleiß solchermaßen plaziert, daß sie dem Normgeiger Hürde und Bürde sind. Umso erquicklicher das Einsetzen des Pianos!” rief ich in Begeisterung über eine neue Erkenntnis aus. Ein linderndes Klangquell - geeignet, den durch ungelenkes Bemühen des Geigers verursachten Schürfwunden in den Ohren, heilend entgegenzuwirken.

Mittags hatte Ming so einen erschreckten Ausdruck im Gesicht, als er davon sprach, daß Mobbl ausgehen wolle. Aber er habe keine Lust auszugehen.

Mobbln fiel die Decke auf den Kopf. So hatte sie sich den Lebensabend ganz gewiss nicht vorgestellt: Erst um 13 Uhr bequemte sich der Herr Gemahl aus dem Bett und verlangte nach einem Frühstück. Eine Sache kann Mobbl einfach nicht ertragen: Faulheit! Mobbl servierte dem Opa zwar ein Frühstück, machte jedoch eine ganz lange und versteinerte Miene dazu, und wenn sie etwas sagte, so trieften die Worte vor Sarkasmus.

Frei von der Leber weg erzählte ich, daß der Rainer uns vielleicht bald mal besucht, wenn er sich demnächst scheiden lässt. Jetzt ist er Pensionär, und 24 Stunden lang die Sharyn zu ertragen schafft er einfach nicht mehr.

Plastisch berichtete ich Opa und Mobbln, wie sich der Rainer plötzlich gar nicht mehr fürs Geld interessiert, weil in seinen Körper ein neuer Mieter eingezogen ist.

Als ich grad am Rumrechnen war, wie lang die Bilderstrecke wohl geworden wäre, wenn der Opa während seiner Ehe alle fünf Tage ein Foto von Mobbln geschossen hätte, ist überraschend der Dr. Bogath zu Besuch gekommen. Bestürzt bemerkte ich, daß dem Doktor ein Zweier in der Lächelzone abgängig ist.

Der Doktor kam zum heiteren Blutdruckmessen. Opas Blutdruck war ganz leicht erhöht - Mobblns eine Spur zu niedrig.

Die Linda mußte zur Arbeit. Ming erbot sich, sie kurzerhand nach Wiener Neustadt auf den Bahnhof zu fahren, und Mobbl und ich fuhren mit. In meinem engen Jeanskleid fühlte ich mich ein wenig als pubertäres Pummelchen. Ming am Steuer mit dem Zwicker auf der Nas hatte eine Aktenkofferausstrahlung wie ein echter 33-jähriger, der er ja strenggenommen auch ist. (Bloß für mich halt nicht, da Ming für mich wohl ein Leben lang der kleine Waldbauernbub bleiben wird).

Ich sprach ziemlich gut österreichisch, obwohl ich gegenwärtig kaum Kontakt zur Bevölkerung habe. Aber das Österreichische liegt in den Lüften.

„Ouchtaouchzg!” achtundachtzig rief ich einmal aus, um Opas Alter zu verdeutlichen, und Mobbl ein wenig milder zu stimmen, damit sie dem Herrn Gemahl seine Faulheit nicht mehr so krumm nimmt.

„Ach was! Ich bin auch alt!” sagte Mobbl unwirsch.

Nachdem wir das Lindalein abgeladen hatten, besuchten wir gemeinsam ein Caféhaus in dessen Vorraum sich eine große, bunte Eistheke befand. Ich kaufte mir ein cremiges, wc-frischfarbenes „Bubblegum”-Eis, weil’s mir ansonsten keine Ruhe gelassen hätte, wie dies wohl schmecke. Ming verzehrte eine Cremeschnitte und schaute mich etwas fassungslos an, daß ich dererlei Unfug bestelle.

Ming wollte wissen, ob ich noch irgendwelche Weiterbildungsambitionen hätte. „Nein”, sagte ich wahrheitsgemäß. „Ich mache mir gerne meine eigenen Gedanken und studiere die Menschen.”

Abends joggte ich durch den Wald. Ich fühlte mich sehr erschöpft und dachte gar: ‚Ich halt’s nicht aus!’ Zwiefach joggte mir der süßeste Ming aus einer anderen Richtung entgegen und ich bekam jedesmal einen Kuß auf den Mund. Ming hat sportliche Schwarzwälder Beine, die aber vielleicht im Alter hager werden?

Später saß ich dann am Brunnen auf Mings Studierbank und schrieb ins Tagebuch.

Als wir den zweiten Satz von der Kreutzersonate übten, sagte ich auch für mich selber überraschend -es war, als hätten sich meine Lippen selbstständlig gemacht - : „Könntest du das etwas poetischer spielen?” weil ich plötzlich - genau wie die Dorli -fand, daß Mings einzigartige Poesie, zumindest zeitweise, der leicht grämlichen Weltanschauung beim Rückblick auf sein bisheriges Leben zum Opfer fallen könnte.

Abends fuhren wir nach Klein Wolkersdorf, um die Linda abzuholen. Wir mußten sehr lange auf dem sonnigen Bahnsteig herumwarten, und ich hätte Ming so gerne darauf angesprochen, warum er so unjugendlich geworden sei und seine Anwesenheit derzeit gar nichts Beflügelndes mehr habe.

„Bist du eigentlich glücklich?” frug ich.

„Ja”, sagte Ming eine Spur zu hastig, als daß sich dieser freudige Ausruf hätte angemessen in den Kontext betten können.

Lindaleins Zug hat man schon lang nach Art einer Leuchtraupe in der Ferne blitzen sehen, und als die bezaubernde Linda schließlich an Land stieg, war die Stimmung wieder im Lot, weil die Linda so viel Jugendfrische aus der Weltstadt Wien mitzubringen pflegt.

Wieder liefen wir zu unserer Holzbank auf dem Spazierweg Nummero drei, von der man so schön nach Ofenbach hinabschauen kann. Dort kommt fast immer eine interessante Unterhaltung auf.

„Erzähl uns eine Fritzi-Geschichte!” bat ich Ming, da an dieser Stelle immer die Rede auf den Fritzi geschwenkt wird. Drum heißt die Bank auch Fritzibank.

„Oder eine Herwig-Geschichte!”

Es wurde jedoch zunächst eine Dr. Bogath-Geschichte ausgebreitet: Der Doktor sei beim letzten Besuch eigenartig gewesen. Als Ming ihn frug, wie es ihm gehe, habe er geantwortet: „Warum fragen Sie das?” Es ginge ihm schlecht, weil die Patienten nicht auf seine Therapievorschläge eingehen.