Eine ranzige Ehe - Franziska König - E-Book

Eine ranzige Ehe E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Eine Milieustudie oder Realdoku. Der Leser ist dazu eingeladen, eine Geigerin auf ihrem Lebenswege zu begleiten, und an den Freuden und Dramen zu partizipieren, die den Mai 2003 in eine Symphonie verwandeln sollten. Der Alltag selber diktiert die Handlung.

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Für meine liebe Mama!

Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.

„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ sagt sie.

Drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.

Erzählt werden Geschichten aus dem wahren Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.

Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.

Die meisten Vorkömmlinge finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Buches

Hier die Familie vorweg:

Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in Trossingen Rehlein (Erika), unsere Mutter (*1939) Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)

Ein Buch ohne Vorwort. Sie können gleich anfangen zu lesen…

Inhaltsverzeichnis

Mai 2003

Donnerstag, 1. Mai: Aurich in Ostfriesland

Freitag, 2. Mai

Samstag, 3. Mai

Sonntag, 4. Mai

Montag, 5. Mai

Dienstag, 6. Mai

Mittwoch, 7. Mai

Donnerstag, 8. Mai

Freitag, 9. Mai

Samstag, 10. Mai

Sonntag, 11. Mai

Montag, 12. Mai

Dienstag, 13. Mai

Mittwoch, 14. Mai

Donnerstag, 15. Mai

Freitag, 16. Mai: Aurich – Hopsen

Samstag, 17. Mai: Hopsten – Lingen

Sonntag, 18. Mai: Lingen – Nordhorn

Montag, 19. Mai: Nordhorn – Bad Honnef

Dienstag, 20. Mai: Bad-Honnef – Aurich

Mittwoch, 21. Mai

Donnerstag, 22. Mai

Freitag, 23. Mai

Samstag, 24. Mai

Sonntag, 25. Mai

Montag, 26. Mai

Dienstag, 27. Mai

Mittwoch, 28. Mai

Donnerstag, 29. Mai

Freitag, 30. Mai

Samstag, 31. Mai: Aurich - Bassum – Lemwerder

Personenverzeichnis

Mai 2003

Donnerstag, 1. Mai Aurich in Ostfriesland

Höchst grau bewölkt. Zuweilen starker Duschregen. Gegen Abend Dann wiederum wurde es etwas lieblicher

Wir erhoben uns in Buzens 65. Geburtstag hinein.

Der Herbst des Lebens begann für Buz im Wonnemonat Mai, der den Erwartungen die in ihn gesetzt worden waren jedoch eine lange Nase zu drehen schien, indem er uns in einer Wetterlage empfing, die einem Urlaub der folgenden Art auf einer ostfriesischen Insel zur Ehre gereichte:

In einen Regenmantel gehüllt, von scharfem Winde bepfiffen, grobkörnig eisigen und spitzen Schnieseltropfen bepeitscht, spaziert man auf den Deichen herum, um die kostbarste Zeit des Jahres urlaubsgemäß zu gestalten.

Buz wünscht sich seine Jugend zurück, doch das Alter ist gnadenlos, und lässt sich nicht hinwegwünschen.

Zum Frühstück zeigte sich bereits ein erster Gratulant: Unser treuer Freund Christoph.

Der Christoph hatte Buzen ein bezauberndes Geschenk mitgebracht: Die Partitur eines ganz kurzen Streichquartetts von Beethoven. So kurz wie der „abgeschlossene Roman“ im Stern. Bestehend aus zwei Seiten im Pixibuchformat.

Ein Quartett, das Beethoven - ähnelnd dem Opa mit seinen wunderschönen, wie aus dem Ärmel geschüttelten Gedichten - jemandem ins Gästebuch geschrieben hatte.

Augenblicklich spielten wir es anstelle eines ausgeleierten Geburtstagsliedes vom Blatt, wobei Rehlein endlich mal wieder als Bratscherin gefordert wurde.

Hernach spielten wir dem Jubilatoren auch noch unser Beethoven Trio vor, und dann mußte der Christoph mit seiner kleinen Familie einen Ausflug machen, und empfahl sich, während Rehlein doch soeben die Erdbeertorte auf dem Tisch aufbaute.

Wieder beratschlagten wir herum, wen Buz auf die Kürze wohl noch einladen könne?

Buz hätte so viele Ideen gehabt – mehr als wir Stühle haben.

„Wir könnten „Reise nach Jerusalem“ spielen!“ schlug ich vor, „dann sparen wir uns zumindest einen Stuhl!“

Buzen war es ein Herzensanliegen, den greisen Herrn Schüt zu seinem Kindergeburtstag einzuladen.

Wieder mußte man sich einen anstrengenden Psychologisierungsschwall anhören, als Ming und Rehlein verbal auf Buz eindroschen, und ihn lauernd auf die Frage festnagelten, ob er wohl sehr schüchtern sei? Buz wurde davon aber leicht ärgerlich, und ähnelnd der Hilde, wenn der Omar ihr gelegentlich klar macht, wer „der Herr im Hause“ sei, wurde Rehlein unter dem Schwall ärgerlicher Worte, der sich Buzen entlud, wieder gehorsamer und netter.

Beinah hätte ich dies´ interessante Thema zur Sprache gebracht: Daß die Hilde an Buzens Seite wahrscheinlich höchst nörglerisch geworden wäre. Dann heiratete sie einen Mohren, der ihr unmissverständlich beibrachte, daß die Frau dem Manne untertan ist, so daß sie nun eine gehorsame Ehefrau geworden ist, wie im Buch „Die deutsche Hausfrau“ (aus dem Jahre 1952) empfohlen.

Nun aber galt´s die liebevoll verpackten Geschenke auszupacken. Wir waren alle ganz hibbelig vor Aufregung, und Rehlein kredenzte einen kleinen Cointreau in einem winzigen Silbertässchen.

Buz hing jedoch noch am Telefontropf, da er von seiner Mutter angerufen wurde.

Das liebe dünne Stimmchen sagte: „Ein Glück, daß du nicht in China bist, mein lieber Junge!“

Buz wäre so gern in China, doch dort wütete ein Killervirus, das die Chinesen in Angst und Schrecken versetzte: SARS.

„Vielleicht gelingt´s mir ja, dich damit ein bißchen über die verschobene Reise hinwegzutrösten!“ sagte ich wenig später liebevoll, während ich Buz meine Geschenke überreichte: Die beiden dicken chinesischen Familientragödien, damit er sich wenigstens als Leser ein kleines bißchen in China befände.

Buz vertiefte sich gleich sehr interessiert in die Geschichte vom „Han-Sen“, dem „Chinesen mit dem Kontrabass“, und las uns daraus vor.

Darüber verpassten wir das halbe Europa-Konzert der Berliner Philharmoniker, und als wir es einschalteten, schwelgte Maria João Pires, eine ältere Dame, soeben im Schlußsatz von Mozarts so atemberaubenden Klavierkonzert in A-Dur.

Hernach dirigierte Pierre Boulez Bartòks Orchesterkonzert.

Trotz des Jubiläums und der schönen Musik stak Jubilator Buz leicht auf der B-Seite, und meckerte hinter Rehlein her.

„Daß diese Frau niemals auch nur drei Minuten stillsitzen kann, um sich etwas anzuhören. Immer hat sie etwas Wichtiges zu tun!“ machte Buz sich Luft. „Wüüüüchtiges!“ sagte er gar mit höhnisch gespitzten Lippen, um seine Grämlichkeit darüber in ein noch passenderes Gewand zu drücken.

Ming war die Wiedergabe dieses so grandiosen Meisterwerks durch den gefühlsverhaltenen Pierre zu nüchtern, und dann geriet der süße Ming in einen manischen Kommentierungsrausch, so daß Buz sein Bestreben, dem Meisterwerk zur Abwechslung mal „analytisch“ (statt genießend) zu lauschen, vorerst begrub.

Rehlein und ich spazierten auf der Ostfrieslandpromenade – einem nicht enden wollenden geschmackvoll gefließten schlanken Weg, auf dem es allerlei zu erleben gibt.

Eine Horde Kinder wandte sich vertrauensvoll an Rehlein, dieweil sie im Wald einen bösen schwarzen Mann gesehen hätten, der sie vielleicht ermorden wolle? Rehlein schaute gleich engagiert in das Wäldchen hinein, obwohl wir alle von großem Unbehagen erfasst waren. Doch man sah bloß ein harmloses (?) Liebespaar unter einem Schirm auf einer Bank sitzen.

Am Nachmittag kamen unsere Gäste:

Frau Münch und Herr Berke.

Herr Berke brachte Buz eine Hör-CD mit: „Gert Westphal liest Thomas Mann“, und Frau Münch hatte so nett an eine Flasche Schampus gedacht.

Wir gruppierten uns um die leuchtende Erdbeertorte auf dem schön gedeckten Tisch herum, und ich erzählte eine kleine Anekdote aus Buzens Leben, um die Gäste zu unterhalten:

Kurz vor meiner Prüfung im Jahre 1992 hatte ich in einer Villa ein Hauskonzert gegeben. Hernach (Nachmittags gegen vier Uhr) sollte Tee getrunken werden, und die Hausfrau hatte allerliebst den Tisch mit einer weißen Tischdecke und dem feinsten Teegeschirr gedeckt.

Buz war sehr besorgt um meine Saiten auf der Violine, die leicht rosten, und quintenunrein werden könnten. Um dem entgegenzuwirken, sollte man sie nach dem Spiel mit Spiritus abputzen.

Somit frug Buz die Gastgeberin, die soeben den Tee hereintrug: „Hast Du vielleicht ein bißchen Alkohol?“ „Natürlich!“ sagte die höfliche und sehr defensiv agierende Frau ganz erschrocken, und wenig später sah man sie in den Weinkeller hinabsteigen.

Ich sehe es noch heut vor mir:

Die lockige Frisur von hinten, und die Gedanken die unter dieser Frisur gedacht wurden schienen mir eingeblendet, als seien es Untertitel in einem alten Film:

„Ich muß doch wissen, daß Musiker gerne etwas Geistiges trinken!“

Abends feierten wir im „Lüttje Horn“. Uns gegenüber saß unser lieber Freund Hans-Hermann mit der kleinen Eva und ihrem bezaubernden Lächeln.

Freitag, 2. Mai

Bewölkt und unauffällig. Abends regnete es laut los.

(Hier an dieser Stelle sieht man, wie wichtig eine fundierte Kenntnis der Rechtschreibung ist: Es regnete laut los! (So war´s!) Oder aber „es regnete lautlos“ (schön wär´s!)

Laut und duschend

Im Traum schaute ich auf einen großen Marktplatz drauf. Vor dem Caféhaus saßen zwei Gestalten an einem kleinen Tischlein in der Abendsonne, von der sie in glutrotes Tuch eingehüllt schienen. Die eine der beiden Gestalten war der Gevatter Tod.

Ich befand mich in jenem Tage, wo Buz und Ming um siebene nach Trossingen bzw. Ofenbach aufbrechen wollten, und im Geiste sah ich es bereits vor mir, wie sie mich vielleicht an meinem Stammplatz in der Tankstelle erwischen, und völlig konsterniert sind.

Demgemäß beunruhigt saß ich über die Bild-Zeitung gekrümmt, und bei jedem Schellen der Ladenglocke rechnete ich damit, daß Buz oder Ming den Laden beträten.

Man las über den Prozess einer 37-jährigen Dame aus Flensburg, die einen 13-jährigen Jüngling vernascht habe. Dies kam durch eine unverhoffte Schwangerschaft ans Tageslicht.

Ihre 16-jährige Tochter sagte im Prozess aus, daß es bei ihnen daheim furchtbar zuginge: Die Mutter führe sich auf wie eine ganz junge Diskobiene und sei nur an ganz jungen Jünglingen interessiert.

Erst vorgestern habe sie versucht, ihre Mutti zur Vernunft zu bewegen, und beschwor sie mit folgenden leicht despektierlichen Worten:

„Die haben null Interesse daran, mit dir alt zu werden!“

Als ich wieder daheim war, waren Ming und Buz bereits fleißig am packen, doch ich veranstaltete erstmal kein großes Be- oder Entgrüßungszeremonium, wie ich das sonst immer mache, sondern begann unverzüglich Violine zu üben.

Schon oft habe ich – bislang leider vergebens – versucht, ein ganz normaler Mensch zu werden.

Der Normbürger hebt die Hand zum Gruße, lächelt kurz und betritt federnden Schrittes, die Nase in die nahe Zukunft gerichtet das nächste Kapitel seines Lebens. Buz & Ming sind in dieser Hinsicht absolute Normbürger, auch wenn der Abschied je nach Launengrad zuweilen auch sehr herzlich werden kann. Mir aber schnürt ein Abschied jedesmal das Herz ab. Ich kann an überhaupt nichts anderes mehr denken und werde von irrealen Reueschüben, mich nicht herzlich genug verabschiedet zu haben und dem beklemmenden Gefühl, man würde sich nie wiedersehen gemartert.

Dem kann nur durch Arbeit entgegengewirkt werden, dachte ich kurz entschlossen.

Und dann erlitt ich einen leichten Schock: Es sah nämlich ganz so aus, als hätte Buz grußfrei das Haus verlassen.

Vor Enttäuschung und Fassungslosigkeit verspielte ich mich ganz oft. Durchs Fenster sah ich, wie der nunmehr 65-jährige Buz in seinen BMW mit dem Kennzeichen AUR - WK38 stieg. Ich riss das Fenster auf – indes zu spät, und das Auto rollte zügig hinweg.

Schmerzlich berührt übte ich weiter, und versuchte, meinen Kummer durch plättende Gedanken abzuschütteln.

Gottlob war es bloß so, daß Buz kurz zur Bank gefahren war, um sich die Taschen mit Gold zu füllen.

Sogar zu einem gemeinsamen Teetrunk langte es noch. Doch Mings Händi war verschwunden, so daß uns die Teestunde durch hektisches Herumgesuche leicht verdorben wurde.

Kurz vor dem Abschied löste Ming eine große Logorrhö in mir aus. Ich erzählte ihm von Veronikas Kollegen in Brasilien, der seiner Mutter am Telefon nie sagen möchte, wie lange er zu bleiben gedenkt, da er ihre Abschiedszeremonielle nicht ertragen kann.

Buz, vom Vorgeschmack der Freiheit getragen, sagte etwas Dahingehendes, daß Rehlein doch mitkommen solle?! Unfaßbar wär´s jetzt natürlich gewesen, wenn Rehlein ganz spontan mitgefahren wäre, und Buz seine so überaus spontan veranlagte Ehefrau, die noch im Morgenrock stak, mit nach Süddeutschland genommen hätte?

Nun waren Rehlein & ich wieder unter uns.

Zum Frühstück schauten wir einen empörenden Fall mit Richter Hans-Joachim Schleifenbaum. Unsere Empörung galt ganz und gar der Bundesbahn, und dem dümmlichen 37-jährigen Beamten, der seinen Arbeitgeber verteidigen sollte, und ausschaute wie Ottens unehelicher Schwiegersohn.

Eine Dame klagte, daß sie auf einer Reise so schrecklich aufs Klosett pressierte, und der Kontrollator ihr keine Klokabine aufschloss.

Der Beamte meinte lapidar, daß es für einen gesunden Menschen durchaus zumutbar wäre, mal zwei ein viertel Stunden auf seinen Klogang zu verzichten. Doch der Richter sah das nicht so, und die Dame bekam 500 € Schmerzensgeld zugesprochen.

Da war sie froh, und wir freuten uns mit ihr.

Rehlein radelte in die Stadt, und ich als Bürodame freute mich so unbändig auf Rehlein vor, weil ich es immer so schön finde, wenn Rehlein liebevoll „Kikalein!“ ruft.

Mittags gab´s bei uns so ein wunderschönes Picknickessen: Kartoffeln, Oliven, Käsereste und Hering.

Am Nachmittag stand ich Violine übend am Fenster: Der (neue) Liebhaber von der Ina trat in Erscheinung, und ich riss das Fenster auf.

„..kann ich doch nicht wissen, ey!“ hörte man die Ina, dafür daß die Beziehung noch so frisch war, überraschend sauertöpfisch aufjodeln.

Im Zentralcafé bediente heute ein neuer Herr mit einem Pferdeschwanz.

„Spielen Sie Violine?“ frug er mich höflich, dieweil ich heut in der Zeitung gekommen bin, und darüber hinaus unten im Zentralcafé-Eingang in Form eines Plakats an der Wand klebe.

Abends peitschte ein hageliger Regen auf, so daß man´s kaum glauben mochte, daß man vor wenigen Tagen noch einfach so auf der Friedhofsbank sitzen konnte.

Samstag, 3. Mai

Zuerst barsch und stürmisch. Abends hellgelber Sonnenschein

Draußen peitschte ein so unglaublicher Regensturm, und wenn man aus dem Fenster blickte, so wirkten Büsche und Bäume unerhört aktiv. Ich selber bewegte mich leider sehr langsam und behäbig.

Zum Frühstück schauten wir höchst gebannt einen schwedischen Kinderfilm an:

Zwei Kinder, Morton und Annika, wurden als Ferienkinder beim Sargmacher abgestellt, und der Sargmacher heiratete im Laufe des Filmes eine einsame Lehrerin, die sich an ihrem Geburtstag im Stadthotel betrunken hatte, um den Kummer über ihre Einsamkeit zu ertränken.

Der kleine Morton - zirka 7 bis 8 Jahre alt - schrieb jeden Tag einen langen Brief an seine verstorbene Mutter, die mit 27 Jahren starb.

„Gruß und Kuß! Dein Morton“ schrieb er so nett am Schluß, und dann verlobte er sich, ungeachtet seiner Jugend, mit der gleichaltrigen Annika.

In Rehleins Augen blitzten Tränen der Rührung.

Nachdem ich eine Stunde lang geübt hatte, schaute ich mir wieder eine Sendung an:

„Studierende der Musikhochschule Lübeck musizieren“, und auch wenn es sich nur um Buggiwuggi Musik handelte, so wehte mich doch eine berührende Hochschulnostalgie an.

Zum Mittagessen - es gab Kartoffeln und rote Beete, von der die Kartoffeln ganz rotgefärbt ausschauten - gönnten wir uns wieder einen Fall von Richter Guido Neumann:

Eine gepflegte 44-Jährige in einem champagnerfarbenen Hosenanzug erinnerte uns an das böse Uschilein. Sie hatte für 4000€ einen Privatdetektiv angestellt, der herausfinden sollte, ob ihr Mann fremd geht oder nicht?

Dann zeigte ihr der Privatdetektiv ein Foto von seiner eigenen Freundin, damit das Uschilein endlich Ruhe gibt. Und seine eigene (Ex-)freundin ist keine Geringere gewesen als jene, die wir bereits von einem anderen beklemmenden Fall her kannten. Eine ganz herbe, vergrätzte Blondine, die aus irgendeinem Grunde eine magische Ausstrahlung auf die Männer hat.

Doch im wahren Leben schauen die Herren wohl kaum noch auf Ü40erinnen?

Zum Tee verstanden Rehlein & ich uns geradezu beglückend fantastisch. Ich erzählte, wie ich vorhin beim Radeln den Bildschirmschoner so nett bewunken habe, und sich eine ungeahnte tiefe Herzlichkeit zwischen uns ausgebreitet hat, die sogar in beiden Seiten noch kurz nachwaberte, bevor man wieder vom alltäglichen Einerlei verschlungen wurde.

Dann erzählte ich, wie Frau Großmann eine Ausstellung mit ihren Schmuckstücken gemacht habe. Aber außer Mühe und Unkosten sprang nichts dabei heraus!

Am Abend fand mein Konzert in Holtrop statt.

Doch schon am Nachmittag übte ich gewissenhaft in der Kirche. Manchmal spielte ich sinnlich enthemmt, während Rehlein dabei saß, und „die Glücksformel“ studierte. Ein Buch, das derzeit in aller Munde ist, und wenn alle es gelesen und das Gelesene verinnerlicht haben, so wird das Land von einer Woge puren Glücks erfasst, die das ganze Unglück das zuvor an der Tagesordnung war, hinwegschwemmt.

Obwohl das Wetter am Vormittag noch so ungestüm war, leuchtete die Sonne jetzt warm auf die roten Backsteinquadrate im Kircheninneren.

Im Konzert:

Rehlein, mit einer an Joseph Haydn erinnernden Frisur, hatte auf der Empore Platz genommen, um dem Geschehen aus der Ferne beizuwohnen – bzw. zu prüfen, ob mein Violinspiel wohl die nötige Tragkraft hat.

In der ersten Reihe saß ein so überaus interessiertes Ehepaar.

Auch Reinhard B., ein sympathischer Cellist war aus Delmenhorst herbeigereist, und hernach so unerhört begeistert, daß er mich mehrfach busselte und umarmte.

Der hochbetagte Herr Schütt hatte sich ebenfalls herbemüht, und ließ mir eine tief empfundene Umarmung angedeihen.

Heut hätte ich meine Dauerdiät tatsächlich beenden dürfen, da Frau Grootmann, eine Verehrerin von mir, spontan ausgerufen hatte, daß ich schlank geworden sei. Und so plauderte ich mit Herrn und Frau Grootmann verbindend über´s Schlankwerden.

Sonntag, 4. Mai

Sonnig. Zuerst elendend, dann wunderschön

Am Morgen dachte ich über Prinzessin Märtha-Louise nach, über die gestern ein kleiner Beitrag im Fernsehen gebracht wurde.

Ich dachte darüber nach, daß sie dieses seltsame Leben das sie da führt, eigentlich nur als Prinzessin führen kann, denn eine normale Frau in ihrem Alter könnte sich so etwas schlichtweg nicht erlauben. (Sich als Märchenprinzessin vermieten zu lassen!)

Oder doch?

In meinem heutigen Traum hatte sie zudem noch eine CD mit Schlagergesängen besungen, und genau diese CD hatte ich mir aus einem Supermarkt gemopst, und in einem Zimmer von meinem Nachbarn, einem Herrn, der prinzipiell nie die Türe abschloss, versteckt. Beim Üben sah ich immer genau, wann der Nachbar das Haus verließ, und kaum war er weg, so eilte ich hinüber, holte die CD aus ihrem Versteck hervor, und lauschte daran herum.

Am Morgen frug Rehlein anteilnehmend, wie ich wohl geschlafen habe?

„Sagenhaft!“ sagte ich, und machte um meinen Schlaf somit ein ähnliches Wortgebräu wie ansonsten über Rehleins Speisen.

Da freute sich Rehlein, daß ich nicht in eine postkonzertale Deprimanz versunken bin.

Zum Frühstück stellte ich mir vor, wie Rehlein mal ganz alt ist: 96 Jahre, und wir noch immer jeden Tag „Hallo Deutschland“ und „Streit um III“ anschauen? Und immer noch bitte ich Rehlein höflich um Erlaubnis, da es mir leicht peinlich ist, das bißchen Zeit, das mir bis dahin auf Erden noch verbleibt, mit dererlei zu veruntreuen.

„Wollen wir Hallo Deutschland schauen, Püréelein?“

„Biddöh??“

„Oder ist dir das zu blöd?“ frage ich meine greise Mutti dann.

Wir erfuhren, daß der Effe (ein bedeutender Fußballspieler) ein Buch geschrieben hat, mit dem er nun Millionen zu machen gedenkt. Er und seine maskuline Freundin, Frau Strunz, machten sogar Schleichwerbung für das in pöbeligstem Gossenjargon niedergeschriebene Opus mit Passagen wie diesen hier: „Ich mußte mich ordentlich über die Kloschüssel abhängen um tüchtig zu kotzen!“

Ich als Tochter fühlte mich Rehlein so sehr verbunden, daß mich bei dererlei Geschichten stellvertretend für Rehlein ein Graus vor der modernen Zeit beweht.

Einmal sah man Königin Beatrix mit ihrer Betonfrisur Stellung zu unerhörten Vorwürfen ihrer Nichte beziehen, und ihre Nasenlöcher sahen zu den in verhaltener Empörung gewälzten Worte geradezu viereckig gebläht aus, da die Königin womöglich log? Sie log ihrem Volk mitten ins Gesicht, und fühlte sich äußerst unwohl dabei.

Der Hof habe eine systematische Kampagne gegen den Ehemann der Nichte geführt, und sei somit verantwortlich für das Scheitern seines Unternehmens. Doch andererseits heißt´s ja auch, die Königin habe so viel Geld, daß sie den ganzen Marktplatz mit Silberlingen pflastern könne, wenn sie nur wollte.

Mittags wurden mehrere Töpfe mit köstlichen Speisen aufgetragen: Beispielsweise gelbem Reis mit Mango und Büffelmozzarella, oder rote Beete mit Avocado.