Blut der Mächte: Ein Ende und ein Anfang - Zara Kent - E-Book

Blut der Mächte: Ein Ende und ein Anfang E-Book

Zara Kent

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Beschreibung

20 Jahre nach dem Krieg der Mächte herrscht vordergründig Frieden in der magischen Welt. Doch Übergriffe von Schattenwesen sind an der Tagesordnung und der Friedensvertrag scheint zu bröckeln – ein Zeichen für Vincent Wanclears Tod? Lucy Hollow bekommt an ihrem 18. Geburtstag eine Kette mit mysteriösem Anhänger geschenkt – und er verändert ihr Leben. Plötzlich scheinen alle mehr zu wissen als sie und niemand will ihr Antworten auf ihre Fragen geben, nicht einmal ihr Bruder Lian. Wird der unnahbare Bellamy ihr helfen? Obwohl sie sich nicht kennen, existiert etwas zwischen ihnen, das sich nicht leugnen lässt.

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

04/2023

 

Blut der Mächte – Ein Ende und ein Anfang

 

© by Zara Kent

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2023 Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Lektorat: Emilia Laforge

Korrektorat: Petra Schütze

Buchsatz: Lena Widmann

Autorenfoto: privat

 

Coverbild › Spiel der Mächte – Erwachen‹

© 2019 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Coverbild ›Wolf Call – Ruf der Bestimmung‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

 

ISBN 978-3-96741-203-1

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

Printed in Germany

 

 

Zara Kent

 

Blut der Mächte

-

Ein Anfang und ein Ende

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Für jeden Suchenden«

Du wirst finden. Gib niemals auf.

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Die Autorin

Hybrid Verlag …

Kapitel 1

 

~Killian Hollow~

 

Man sagt, Legenden werden erschaffen. Aber manche Legenden erschaffen sich selbst. Ich lebe in einer Welt, in der genau das jeden Tag zu spüren ist. Oder die Bürde, die solch ein Name auf Schultern legt, die nicht breit genug wirken und es nicht mal sein wollen.

Auch ich trage für unsere Welt einen großen Namen und mächtige Gaben in mir.

»Hör endlich auf zu träumen, Mann!«, brüllt Fin in meine Richtung und lenkt so meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Du solltest das lassen!«, rufe ich zurück. »Die spaßen nicht rum. Wenn sie verbieten, irgendwo hochzuklettern, dann meinen die das auch so. Und erst recht, wenn es um diesen Turm geht.« Verärgert sehe ich mich kurz um — niemand zu sehen — und dann wieder den Turm hinauf, wo Fin auf halber Höhe an den Fugen der Steine hängt. Seine rötlichen Haare hängen ihm ins verschwitzte Gesicht und die Muskeln an seinen drahtigen Armen treten hervor, als er sich erneut ein Stück höher zieht. Fin will nicht aufgeben, endlich irgendwie in Vincents Turm zu gelangen. Und wenn er es über die Fenster ganz oben versucht.

»Sei keine Spaßbremse!« Während Fin schallend lacht, sehe ich zu Bellamy.

Dieser steht in seiner typischen Pose da — verschränkte Arme, finster, desinteressierter Blick — und wirkt in seiner schwarzen Kleidung trotz seines jugendlichen Aussehens wie ein Lehrmeister für Magie, der genau weiß, dass sein Schüler versagen wird.

Sein Kopf ruckt erst jetzt nach oben, den Turm hinauf, was dafür sorgt, dass sein schwarzes längeres Haar etwas zurückfällt. Seine sonst so blauen Augen wirken dunkel, fast schon schwarz und vor allem unergründlich. »Wenn er nicht aufpasst, fällt er gleich«, bemerkt er trocken und mit einer ruhigen tiefen Stimme, die stets irgendwie rau klingt.

Schon interessant, wie unterschiedlich beide zu diesem Gebäude und seiner Geschichte stehen. So versessen Fin darauf ist, den Schutzbann zu überwinden, scheint es Bellamy mehr als egal zu sein.

So als hätte Bellamy es gewusst, flucht Fin, ein erstickter Laut kommt von oben und kurz darauf sehe ich ihn fallen. Ich hebe die Hand, lasse Magie einströmen, einen einfachen Schutzzauber, der erste, den meine Mutter mir beigebracht hat. Um Fin baut sich ein Schild auf, wie eine Blase, sodass er leichtfüßig auf dem Boden landet.

»Nützlicher Kram, der dir da beigebracht wird«, grummelt Fin mehr, als dass er es sagt und blickt missmutig den Turm hinauf.

»Du könntest dich selbst schützen, wenn du endlich mal die Runen beherrschen würdest«, kommentiert Bellamy. »Und dass, obwohl du im ersten Jahr als Wächter tätig bist. Vielleicht sollte ich mich bei der nächsten Mission besser um einen neuen Partner bemühen.«

Und schon geht’s los. Die Grundsatzdiskussion der beiden, was wohl wichtiger ist: seine eigene Körperkraft oder sich der Runen zu bedienen.

»Dann würde dir aber keiner mehr den Arsch so schön retten«, feixt Fin weiter, wobei man ihm anmerkt, dass er mehr um die Lockerheit bemüht ist als eben noch.

Bellamys Braue hebt sich nur minimal und doch sieht man ihm die Worte schon an, die aus seinem Mund kommen. »Eher ist es anders herum. Würdest du den Scheiß richtig lernen.«

»Wieso sollte ich?« Schnaubend richtet Fin sich den Kragen. »Ich bin als Kämpfer bisher auch ganz gut ohne zurechtgekommen.«

»Wenn wir sie nicht bräuchten, gäbe es sie nicht.«

Die beiden diskutieren darüber schon so lange und es endet immer gleich. Dabei sind die Regeln, wie sie sind. Beide sind 20 und Wächter. Was früher ungewöhnlich war, ist heute Normalität. Eintrittsalter war 21 Jahre, zwei Jahre Grundausbildung als Studs, ein Jahr als Anwärter, in dem man sich intensiv auf das Wächterdasein vorbereiten konnte. Und dabei natürlich seine Fraktion wählen, welche Art Wächter man sein will oder passend ist: Kämpfer, Eidwahrer oder Säuberer.

»Ich kann dir ja zeigen, wie gut ich ohne Runen klarkomme«, höre ich Fin noch sagen, ehe er sich vor Bellamy aufbaut, nur um mit gespieltem Ernst mit den Fäusten zu wackeln. »Ich bin ein Kämpfer und trete dir auch als solcher in deinen hübschen Hintern.«

»Hast du meinen Hintern gerade hübsch genannt?« Bellamys Stimme ist das Einzige, das sich verändert hat, während Fin wie ein aufgezogenes Hampelmännchen vor ihm herumzappelt.

Kämpfer. Ja, Fin gehört eindeutig zu dieser Fraktion. Sie bevorzugen Körperkraft, praktische Magie faktisch Null. Die Eidwahrer nutzen Runenmagie, eigene Fähigkeiten und die Waffen gleichermaßen. Einzig die Säuberer nutzen wirkliche Magie, meist passive als aktive. Denn diejenigen, die eine aktive Fähigkeit haben, wie z.B. ein Feuerleger, gehen oft zu den Eidwahrern.

Fin will alle glauben machen, dass er sich nicht gerne mit den Runen auseinandersetzt. Und genau das schmettert Bellamy ihm nun in seiner oft recht kühlen Art an den Kopf.

»Du hast nur Probleme, sie dir zu merken. Das ist es.«

Fins Miene bröckelt endgültig, er hört mit dem Zappeln und gespielten Drohen auf und verengt die Augen. »Wenn ich sie wie Dad auf die Haut ritzen und brennen dürfte, dann müsste –«

»Es ist verboten.« Kurze knappe Antwort, doch der Wanclear löst sich von der Wand und somit seine starre Haltung. Ich seufze, weil ich genau weiß, was Fin sagen wird. Und was dies bei Bellamy normalerweise bewirkt. Fins letztes Argument, jedes Mal.

»Vince hat sie auch nicht gebraucht.«

Dass Bellamy ihm nun nicht an den Hals geht, liegt wohl daran, dass sie Freunde sind. Oder einfach, dass er eine gute Selbstbeherrschung hat. Keine Ahnung wieso Fin dieses Thema jedes Mal ausreizt. Er weiß genau, wie Bellamy zu seinem Vater steht. Fins Verehrung für ihn stößt Bellamy schon immer auf. Und so sind seine Augen noch viel dunkler, als er knurrend vorbringt: »Es ist verboten. Finde dich damit ab und lern endlich die Runen.«

Oh ja, sie sind verboten, weil sie einen Wächter viel zu mächtig werden lassen würden. Sie würden beständig und direkt eine Kraft freisetzen können und vor allem eine stetige Konzentration erfordern. Zumindest ist dies die allgemeine Vermutung. Wirklich eine Erklärung gab es nicht mehr. Es ist mir ganz recht, dass sie verboten sind. Runen auf der Haut, noch so eine Sache, die wohl von Vincent und Mia bei dem großen Kampf zugelassen hatten. Sie änderten überhaupt sehr viel. Nur das junge Eintrittsalter und die verkürzte Ausbildung sind relativ neu.

Tief einatmend blicke ich kurz zum Trainingsplatz, der sich neben den Unterkünften befindet. Der Platz und die längliche Kampfhalle sind verlassen, was um diese Uhrzeit völlig normal ist. Ich erinnere mich an meine erste Zeit hier. Es war die Hölle für meinen Körper.

Auch ich fand das Eintrittsalter zu früh und doch wieder nicht. Gerade jetzt, da die beiden schon Wächter sind und ich nicht. Außenmissionen sind in den ersten beiden Jahren nur bis zur Stadtgrenze erlaubt.

Während die beiden sich ein Blickduell liefern, zieht ein Schmunzeln über meine Lippen und mein Blick schweift grübelnd weiter zur Atriumstür rechts von uns.

Alles in allem war das ein kluger Schachzug. Denn an sich sind es dann vier Jahre Ausbildung. Zwei Jahre direkte und dann weitere zwei als Wächter, in denen man Unterrichtsstunden nachweisen muss. So hat man das Gefühl, starten zu dürfen und wird dennoch geschult. Den Jungspunden wird die Ungeduld genommen.

»Killian, jetzt sag auch mal was dazu!«

Aus meinen Gedanken gerissen starre ich die beiden an. Das Einzige, um mich aus der Situation zu retten, ohne dass ich mich auf eine Seite schlagen muss, ist Ablenkung.

»Seit wann nennst du mich beim vollen Namen? Hast du Fieber? Oder ist das nun neue Mode und ich nenne dich von nun an auch Finlay?«, dabei betone ich das Ende seines Namens; wieso er ihn nicht mag, ist mir schleierhaft. Er klingt besser als mein Name. Finlay Vincent Wilder.

Es wirkt. »Bloß nicht!« Fin boxt mir gegen den Arm, sieht dann zu Bellamy. »Wieso willst du eigentlich keinen Spitznamen?«

Als wäre die Frage mehr als absurd, sieht er ihn mit großen Augen an, dabei rutscht sogar eine Augenbraue in die Höhe. »Was sollte das denn für einen Sinn haben? Außerdem habe ich nichts an meinem Namen auszusetzen.«

Fin packt ihn im Schwitzkasten. »Wir könnten dich den griesgrämigen Bel nennen.«

»Wag es und meine Faust will deiner Nase Gute Nacht sagen«, grummelt Bellamy, während er versucht, Fin abzuschütteln.

»Ach, vielleicht lieber was Zarteres? Der schöne ami, Freund aller Frauen!«, dabei spricht er das Wort ›ami‹ also französisch aus.

Nun hat er es geschafft: Bellamy reagiert endlich. Unsanft landet seine Faust in Fins Magen, kurz darauf rollen sie schon auf dem Boden umher, jeder versucht dem anderen eine zu verpassen.

»Du bist ein dämlicher…«, ächzt Fin, trägt dabei aber ein breites Grinsen, während er Bels Ellenbogen abwehrt.

Wer sie aber kennt, weiß, dass das hier halbherzige Schläge sind. So wütend Fin Bel — jetzt nenn ich ihn wirklich so — auch macht, er würde Fin nie ernsthaft Schaden zufügen. Zumindest nicht beabsichtigt.

»Jungs, solltet ihr nicht längst in euren Zimmern sein?« Die liebliche Stimme von Lexi van Can klingt wie Musik in meinen Ohren. Die Tochter des Leiters kommt lachend auf uns zu. Einige Meter hinter ihr fällt die Tür zu, die zu den Mädchenunterkünften gehört. Nur kurz huscht mein Blick zum Wohngebäude, welches wie ein langes Reihenhaus wirkt, eben mit zwei Eingängen.

Die kurze Distanz zu uns überbrückt sie mit einem so strahlenden Lachen im Gesicht, dass es einen einfach nur mitreißen kann. Die Ähnlichkeit zu ihrem Vater Eric ist unverkennbar — Rastahaar und ein dunkler Hautton, wobei ihrer im Gegensatz zu dem ihres Vaters etwas heller ist, wie Karamell. Trotz dieser Tatsache, dass sie seine Tochter ist, ist sie ein unumstrittenes Mitglied unseres Gespanns.

Lachend breitet sie die Arme aus. »Also wieso die unbedingt die Mädels zusammenstecken mussten, statt das gemischte Wohnheim auf die Jahrgänge aufzuteilen, wird mir immer ein Rätsel bleiben.« Bei uns angekommen, grinst sie noch viel mehr. »Aber hey, so ist es viel spannender, nicht dabei erwischt zu werden.« Ihre dunklen Brauen wippen auf und ab.

Ja die Trennung gefiel keinem. Natürlich ändert das nicht wirklich viel, nur gibt es jetzt keine Beschwerden mehr, denn niemand will noch mehr solcher kindischen Regeln. Also verhalten sich alle etwas gedeckter oder nutzen einen Schallzauber, sofern man diesen beherrscht, also entweder ein Magier oder Hexe ist — so wie ich also.

»Und ihr hier? Was treibt ihr so spät noch?« Mit einem mahnenden Blick sieht sie von einem zum anderen. »Eigentlich sollte ich meinem Vater Bescheid sagen.« Aus ihren Augen spricht das genaue Gegenteil. Auch wenn ich es weiß, huscht mein Blick zum orangeroten Firmament über uns. Die Sonne ist untergegangen, aber es ist Sommer, da verleitet es, die Elf-Uhr-Zimmer-Regel außer Acht zu lassen. Dabei sind wir mehr als alt genug. Gut, nach dem Gesetz wären wir erst mit 21 wirklich volljährig, aber nach dem Menschlichen. Ausnahmslos jeder sieht das hier anders, denn sobald man zur Uni geht, fühlt man sich erwachsen. Wenn man meine Mutter hört, so soll dies einfach nur ein geregeltes, friedvolles ›Miteinanderleben‹ fördern. Dabei müsste sie doch genau wissen, wie es ist, hier zu leben. Schließlich hat sie selbst lange hier gewohnt, bevor sie ging.

Fin hebt Lexi hoch und wirft sie über die Schulter.

»Na das wollen wir aber mal sehen!«

Lachend stürmt er mit ihr Richtung See; ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Das ist so typisch für ihn. Ich stoße Bellamy mit der Schulter an. Mit einem genervten Schnauben richtet er sein von der Rauferei verrutschtes T-Shirt und verdeckt damit seinen durchtrainierten Oberkörper.

»Komm mit. Wird lustig.«

»Ja, bis wir erwischt werden, wie immer.« Wieder brummt er, folgt mir aber.

Wir sind nicht die Einzigen, die noch über das Gelände schleichen. Spätestens als wir den Weg neben dem Atrium entlang bis zu der Cafeteria zurückgelegt haben, hören wir Kichern im Schatten dieser. Vor uns die Stufen, die zum gläsernen Eingang hochführen und rechts von uns dringen sie ganz deutlich zu uns. Ein kurzer Blick zurück lässt mich erkennen, dass auch so manch anderer zwischen den Bäumen, die in gewissem Abstand die schmale Wiese zwischen Unterkünften und Cafeteria säumen, herumschleicht. Die beiden und wohl auch die anderen wollen eher eindeutigeren Aktivitäten nachgehen als wir. Bellamy schenkt den Geräuschen jedoch keinerlei Beachtung. Sein Blick ist starr auf Fin gerichtet, der Lexi noch immer über der Schulter trägt, die wild mit den Beinen strampelt, aber lacht.

Dieser Blick entgeht mir nicht.

Ach, ist da jemand eifersüchtig? Neugierig beobachte ich ihn.

Vielleicht gibt es ja einen Grund, wieso er keine Freundin hat, zumal keine feste. Schon immer habe ich mich gefragt, woran das liegen könnte. Immerhin sieht er gut aus …

Aber offensichtlich wird dieser Grund gerade von einem Kerl, der ebenso gut aussieht, dabei aber um einiges offener ist, auf der Schulter getragen Wieder mustere ich ihn, frage mich, ob er jemals sein Vila-Blut genutzt hat, um zu beeinflussen. Vila, die bildschönen Wesen, die mit ihrer Gabe jeden um den Finger wickeln können. Sicher, Vince war auch nur zur Hälfte eine Vila. Aber er war auch noch so viel anderes. Was davon schlummert in Bellamy?

»Wieso beobachtest du mich so genau?« Er wirft mir einen Seitenblick zu.

»Wann willst du es ihr denn sagen?«

»Was will ich wem sagen?«

»Lexi, und dass du auf sie stehst.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Okay. Alles klar.«

Dabei belasse ich es, denn ich weiß, sobald man ihn in die Enge treibt, wird er grantiger denn je und zieht sich erst recht zurück. Er ist schon manchmal echt merkwürdig. Aber ich mag ihn, wir mögen ihn alle. Liegt vielleicht daran, dass wir uns eben schon von klein auf kennen, quasi zusammen aufgewachsen sind und unsere Kindheit mehr hier verbracht haben als sonst wo, wenn unsere Eltern sich hier zu Besprechungen trafen und nicht wussten, wohin mit uns Kids. Deswegen sind wir wahrscheinlich auch die Besten unseres Jahrgangs, zumindest was Lexi und mich betrifft. Denn Bellamy und Fin sind schließlich schon Wächter.

Mein Handy unterbricht die Stille, sofort rast ein Kribbeln wie eine elektrische Ladung meine Wirbelsäule vom Nacken bis zum Rücken hinab. Nicht nur ich erkenne den speziellen Piepton, auch Bellamy tut es und wirft mir einen Seitenblick zu. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und lösche die SMS, die ich erhalten habe, ungelesen, den Stein in meinem Magen ignorierend. Diesen Teil meines Lebens schließe ich nun schon eine ganze Weile aus.

»Willst du sie nicht einmal mehr lesen?«

Meine einzige Reaktion sind die Kiefer, die sich nun zusammenpressen und mein Schritt, der sich etwas beschleunigt; ich will ihm nicht antworten. Da er sich meinem Schritt ohne Mühe anpasst, kommen wir zügig am See an, lassen uns am Ufer nieder und sehen dabei zu, wie Fin Lexi in den See schmeißt.

»Sie wird nicht lockerlassen. Erst recht nicht diese Woche.«

»Du weißt davon?«, frage ich nun überrascht.

»Das sie Geburtstag hat? Sicher, ich vergesse so etwas nicht. Vor allem, da du immer dann sehr schweigsam wirst. Letztes Jahr warst du sogar für Stunden verschwunden.«

Er sagt es, als würde er übers Wetter reden, wie es seine Art ist. Aber wieder lasse ich es unkommentiert, versinke in meinen Gedanken, sehe in die funkelnden Sterne, die allmählich am dunklen Nachthimmel erscheinen. Es wirkt alles so friedlich …

Je mehr ich von dieser Welt nun lerne — auch wenn ich vorher von ihr wusste — desto weniger konnte ich sie ansehen. Diese Gemeinschaft, in die ich hineingeboren wurde, ist so voller Gefahren. Diese Gefahren waren schon immer da, doch nun weiß ich davon. Es hat sich alles verändert. Ich bin nun ein Teil von hier, dieser Uni, dieser Welt. Sie, eine Quoti, Nicht-Magische zu sehen, … das durfte ich nicht mehr. Besonders nicht, als ich die Wahrheit erfuhr. Ihr dann noch in die Augen zu sehen und ihr nicht die Wahrheit sagen zu dürfen, bricht mir das Herz. Nichts würde ich sehnlicher wollen, denn es würde alles andere enorm erleichtern. Aber mir wurde es verboten. Wer weiß, wozu es gut ist. Ich halte mich von ihr fern, das ist das Beste.

»Du beobachtest sie, hab ich recht?«

Das hat er, aber weder bestätige noch widerlege ich es. Alles, was ich tue, ist, mich ins Gras zu legen und weiter in die Sterne zu starren, um mich von ihrer Unendlichkeit einnehmen zu lassen. Ablenkung von dem, was seit dem Piepton in mir rumort. Aber Bellamy gibt keine Ruhe.

»Wenn du sie ausschließt, warum tust du das dann noch?«

Ist er einfach nur so aufmerksam oder hat er auch eine Gabe, Dinge zu sehen wie seine Mutter? Vielleicht ist es auch nur Intuition.

Ja … warum kann ich nicht von ihr lassen …?

Wasser tropft auf mich, als Lexi sich über mich beugt.

»Na ihr seid mir ja zwei Trauerklöße. Sitzt hier und schaut finster drein.«

Fin lässt sich neben Bellamy nieder, Lexi neben mir.

»Die haben sich gesucht und gefunden«, meint Fin, zieht sein T-Shirt aus und wringt es aus, sodass das Wasser neben seinen ausgestreckten Beinen ins Gras fließt und eine Pfütze bildet. Lexi trägt nur ein Top und eine kurze Short, was natürlich nun alles an ihr klebt. Was sie drunter trägt, kann ich nun auch bewundern, denn sie zieht ungeniert ihr Top aus, wringt es ebenfalls aus und zieht es sich wieder an. Der kurze Blick auf den roséfarbenen BH zeigt deutlich, wie gut er zu ihrem Hautton passt. Lexi weiß eben immer, was sie anziehen muss, um zu wirken.

Bellamy sieht angestrengt auf den See hinaus, zu den kleinen Lichtern, die auf der Insel tanzen. Die Insel inmitten des Sees ist nicht sehr groß, aber sie dient vielen Liebespaaren als Rückzugsort. Die Lichter sind oft erzeugte Kugeln, die einfach schweben. Da dort vereinzelt welche zu sehen sind, haben sich wieder einige eingefunden.

Dass Lexi so offen mit ihrem Körper und Sexualität umgeht, liegt wohl an ihrem Blut, denn soweit ich weiß, fließt Incubus-Blut in Erics Adern und somit auch in ihren. Sicher hat auch noch Erics relativ lockere Erziehung viel Einfluss in diese Richtung gehabt.

»Hast du nicht auch Lust zu schwimmen, Lian?«, fragt mich Lexi und legt ihre Hand auf meinen Arm.

»Nein.« Ich stehe auf und entziehe mich ihr und ihren Pheromonen, die sie ab und an unbewusst versprüht. »Ich werde auf mein Zimmer schlafen gehen. Nacht, Leute.«

Bevor sie mich aufhalten können, eile ich den Weg zurück. Ich stürme die Stufen nach oben, reiße die Tür auf und stehe im Gemeinschaftraum der Jungenunterkunft. Einige lümmeln sich auf der Couch vor dem großen Flachbildfernseher und sehen sich eine Wiederholung des letzten Football-Spiels an. Sie grüßen mich, bevor ich durch den Gemeinschaftsraum hindurch in den Gang laufe, der zu den Zimmern führt. Meins liegt hinten links, dass ich momentan glücklicherweise für mich allein habe. Die meisten bewohnen ein Zimmer zu zweit, doch ich habe noch keinen Mitbewohner. Wird sich sicherlich bald ändern, wenn die neuen Studs eintreffen. Gerade passt es mir ganz gut, aber an sich habe ich keine Probleme damit, einen Mitbewohner zu haben. Es macht sicher Laune irgendwann.

Der Raum ist zweckmäßig eingerichtet, zwei Betten, ein Nachtschrank für jeden und in der Mitte ein Schreibtisch. Jeder verfügt über einen eigenen Kleiderschrank und außerdem befinden sich Schubladen unter dem Bett. Zwischen Schrank und Tür ist auf meiner Seite noch ein Bücherregal eingequetscht. Ich war es leid, immer in die Bibliothek zu gehen.

Ich werfe mich auf das Bett mit dunkelblauer Bettwäsche aus Satin. Meine Mutter hat es bei ihrem letzten Besuch drüber gezaubert. Sie fand es hier zu farb- und glanzlos. Außerdem hat sie das Bild eines Mannes auf den Schreibtisch gestellt. Die Liebe ihres Lebens, wie meine Mutter es gerne sagt und mein Vater Mike Turner — ein Mensch. Braunhaarig wie ich, blaue Augen, die ich nicht vererbt bekommen habe. Meine grünen Augen habe ich unbestritten von meiner Mutter.

Mein Handy piepst erneut, wieder mit dem gleichen eindeutigen Ton. Ein Vogelpfeifen. Gekonnt versuche ich es zu ignorieren, krame das Handy heraus und deponiere es auf dem Nachtschrank, ehe ich aufstehe und mich ausziehe. Das Fenster geöffnet, um Luft reinzulassen, lege ich mich nur in Short ins Bett. Wieder ertönt das Pfeifen meines Handys, ich starre auf dieses kleine Licht, das lästig wie eine Kakerlake an der Seite blinkt. Für einen Moment starre ich einfach auf das Blinken, nehme es nun doch in die Hand und lasse mich wieder rücklings aufs Bett fallen.

Da ich die erste SMS nicht gelesen habe, kann ich nur vermuten, dass es sich um die Einladung zu ihrem Geburtstag gehandelt hat. Nun fragt sie nochmal nach, ob ich denn dann überhaupt für so etwas ›frei‹ bekäme, um Erlaubnis bitten müsste. Die Nächste sagt mir, dass sie mir noch genau sagen wird, wo sie nun endgültig feiern wird, wahrscheinlich würde es ein Club inmitten von New York sein.

Kaum, dass ich es weglege, kommt die Nächste. Was ist heute nur mit ihr los?

<Na ja, auf jeden Fall wünsche ich dir eine gute Nacht. Hab dich lieb xxx>

Seufzend lege ich es weg, verschränke die Arme hinter meinem Kopf und starre zur Decke, an der ich sowieso kaum etwas erkennen kann. Mein Zimmer liegt am rückwärtigen Teil des Wohnhauses, was zum offenen Platz mit Blick zum Atrium, dem Standbild davor und die Sicht bis zur Allee hin ausgerichtet ist. Wenn ich mich anstrenge, kann ich sogar das Tor sehen. Was ich definitiv von hier aus erkennen kann, ist die Trainingshalle und das dazugehörige Trainingsgelände. Das mir gegenüberliegende Zimmer hat nur einen Blick auf die Außenmauer und den Weg hinter unserem Wohngebäude. Zwischen unserem Gebäude und Mauer ist noch ein kleiner Weg, auf dem die Müll- und Wäschetonnen aufgestellt sind. Da wir die linke Seite des Gebäudes sind, befindet sich rechts neben uns der Mädchenteil, der an eine Wiese mit Bäumen angrenzt. Dahinter liegt die Cafeteria. An meine Außenwand grenzt also eigentlich nichts. Von hier aus ist es ein kurzer Weg bis zum Trainingsplatz. Unser Gemeinschaftsraum liegt also an dem der Mädchen. Das ganze Gebäude kann wie Spiegel gesehen werden.

Während ich so darüber nachdenke, was ich dort wohl alles zu hören bekäme, von Mädchengetratsche bis sicher Gespräche über Jungs, dazwischen vermutlich Lachen und Kichern, dämmere ich langsam in den Schlaf.

 

Der Tag ihres Geburtstags nähert sich, die SMS häufen sich und trotzdem weigere ich mich, zu antworten. Noch ein Tag …

Gerade schneide ich mir ein Stück vom Steak ab, als das Handy, das auf dem Tisch neben meinem Wasserglas liegt, einen hellen Pfeifton von sich gibt. Neue Nachricht.

Kurz schließe ich die Augen, knalle das Besteck hin und wische über den Bildschirm, um sie mir anzusehen. Ihre Wut springt mich aus jeder Zeile an.

<Ehrlich? Du willst jetzt nicht mal mehr zu meinem Geburtstag ins Shadow kommen?>

Mit aufgerissenen Augen starre ich die Zeilen an. Es dauert einige Sekunden, bis eine Reaktion und Gefühl in mir wach wird.

Das Shadow? Ist sie wahnsinnig?Das kann sie nicht machen!

Ich habe schon die Worte <Nicht dort! Such dir> eingetippt, als ich sie wieder lösche.

Wieso sollte sie auf mich hören? Erst melde ich mich nicht, dann mache ich ihr Vorschriften, wo sie zu feiern hat.

Eilig esse ich den letzten Rest des Abendessens auf, in diesem Fall die letzten Stücke Steak, noch zwei Gabeln vom Salat und kippe das Wasser hinterher.

»Schlechte Nachrichten?«, fragt Lexi, die vor mir sitzt und deren Anwesenheit ich während der Nachricht völlig verdrängt habe; Fin und Bellamys Plätze sind leer.

»Sag mal«, weiche ich ihrer Frage aus, »weißt du, wo diese Mission von Fin und Bellamy stattfindet, welcher Stadtteil der City?«

Wenn sie meinen Ablenkungsversuch bemerkt, lässt sie es sich nicht anmerken. »Soweit ich weiß auf der Fifth Avenue, Ecke Tenth Avenue, irgendein Vampirproblem bei der Kirche.«

Das Tablett in der Hand erhebe ich mich auch schon. »Diese neogotische Kirche?«

»Ja sicher. Eine andere kenne ich dort nicht.«

Sie sieht mir irritiert nach, hält mich aber nicht auf. Auch sie hat sich wie die anderen an mein Schweigen und meine Alleingänge gewöhnt. Doch heute sieht die Sache anders aus. Denn ich brauche Bellamy. Bellamy und seine wirkliche Gabe.

 

Da es mir zu lange dauert, in die Stadt zu laufen und das stehende Portal nicht infrage kommt, gibt es nur noch eine Möglichkeit für mich. Mein Weg führt mich zum Torwächter Sam und dem, was hinter seinem Häuschen abgedeckt steht. Er ist schon wesentlich älter als alle hier. Dennoch halten sich die Falten in Grenzen und das Grau seiner Haare sieht eher edel als alt aus. Dennoch muss er diesen Job schon sehr lange machen, daher kennt er alle Wegschleichmethoden und ihm entgeht niemand.

Deswegen bleibt mir keine Wahl, als Bellamys Motorrad und eine Ausrede zu benutzen.

»N’abend Sam«, grüße ich ihn. »Kannst du mir die Schlüssel für das Motorrad geben? Ich muss Bellamy was in die Stadt bringen, was er für die Mission braucht.«

Sam sitzt in seinem Häuschen und hebt nun misstrauisch eine Augenbraue, mustert meinen Aufzug und erkennt natürlich sehr schnell, dass ich nichts bei mir trage. Ihm ist klar, dass ich zu keiner Mission gehe, schließlich wurden schon längst alle am Morgen bei den Besprechungen der Wächter von Eric und Collin verteilt.

»Und wieso benutzt du dann nicht einfach ein Portal?«

Weil es zu auffällig wäre und man genau nachvollziehen könnte, wo ich hin bin.

Dies denke ich nur, sagen tue ich natürlich etwas anderes. »Weil ich ein wenig frische Luft schnuppern will. Es ist gerade mal neun und bis zehn bin ich sicher wieder da.« Ich versuche, eine Leidensmiene aufzusetzen. »Okay Sam, es gibt keine Mission. Aber ich muss hier mal raus. Das Fahren wird mir guttun, einfach ein wenig spazieren fahren.«

Gerade beginne ich, Bellamy um seine Gabe zu beneiden, da nickt Sam und zwinkert mir zu, kramt in seiner Schublade nach dem Schlüssel und reicht ihn mir.

»Hab sie heute sogar neu geölt.«

»Danke Sam.« Ich strahle die gute Seele der Uni an. Und dies meine ich ehrlich, nicht nur, weil er mich gehen lässt, nein, sondern weil er sich wirklich um die Maschine kümmert. Stolz blitzt in den Augen des alten Wächters auf, als er die aufgechoppte Triumph — Boneville um die Ecke schiebt. »Ist sie nicht ein Prachtstück? Vince hat sie geliebt …« Nur kurz huscht ein Schatten durch seine Augen, ehe er mir lächelnd den Schlüssel reicht.

»Danke.«

Noch einmal wirft Sam der Maschine einen Blick zu, ehe er mich damit alleine lässt und in seinem Häuschen verschwindet, damit er mir das Tor öffnen kann.

Auch ich betrachte sie kurz, weiß um die stumme Bedeutung der Maschine für Bellamy und Fin. Schließlich gehörte sie Vincent.

Nur wir drei dürfen sie anfassen.

Mich auf den Sitz schwingend erwacht sie unter mir knatternd zum Leben.

Die Fahrt tut mir auf der einen Seite verdammt gut, wischt aber meine Sorgen nicht weg. Selbst der Fahrtwind, den ich sonst genieße, kann mir nicht helfen. Der Himmel färbt sich in den schönsten Farben, alle Orangetöne — es ist mir gleich. Die Nachricht hat mich zu sehr in Alarmbereitschaft versetzt, als dass ich den Abend und den Sonnenuntergang genießen könnte.

Zwar ist der Verkehr um diese Zeit nicht so heftig, wie am Tag, dennoch brauche ich eine kleine Ewigkeit, bis ich um die Ecke von dem Eingang der Kirche halte. Das Motorrad stelle ich an die darum herumführende Steinmauer ab und sehe an dieser hoch. Auch wenn ich eher Magie benutze, körperlich kann ich es dennoch gut mit Bel und Fin aufnehmen. Daher ist es für mich ein Leichtes, an der Mauer hochzuklettern, darüber zu steigen und auf der anderen Seite hinunter zu springen.

Dieser seitliche Abschnitt des Gartens liegt dunkel und ruhig vor mir, doch der süßliche Geruch von Vampiren hängt in der Luft. Was wollten sie hier? Sie haben ihren Platz auf der anderen Seite des Parks. Der Garten ist über und über mit diversen Engelsstatuen bestückt, in den verschiedensten Stellungen und Materialien. Während ich an einem Marmorengel vorbeilaufe, der ein Schwert in Richtung des Himmels hält, muss ich schmunzeln. Denn diese Darstellung ist das, was wohl am nächsten auf einen Engel zutrifft. Ich löse den Blick, als ich Stimmen aus dem hinteren Teil vernehme. Zu laut, als würden sie sich Gedanken darüber machen, dass sie jemand hören könnte.

Schnell verberge ich mich beim nächsten Engel, der auf einem Sockel steht. Seine Flügel sind so gebogen, dass man sich gut darin verstecken kann. Collins sollte mich hier nicht sehen. Schließlich bin ich Anwärter und kein Wächter.

Bellamy und Fin kommen vorbei, zwei weitere Wächter begleiten sie, die schon wesentlich mehr Jahre auf dem Rücken haben: Brian, ein Magier und Säuberer, und Collins, ein Kämpfer.

»Ich kümmere mich um den Priester«, sagt Brian und geht in Richtung Kirchentür.

»Gut, ich sehe mich noch einmal um. Ihr beide geht zurück zur Uni«, befiehlt Collins.

Fin schnaubt unwillig.

Collins verengt die Augen. »Keine Widerworte, Fin. Du kennst die Regeln.«

»Ja, ist schon gut«, brummt er, stößt Bellamy an, der ihm über den Weg Richtung Ausgang folgt, Collins bleibt zurück und betritt die Kirche durch den Eingang, in den Brian verschwunden ist.

Wie mache ich mich ihm nur bemerkbar? Kaum gedacht, hält Bellamy inne und blickt in meine Richtung. Er hat eine bemerkenswerte Intuition, fast schon beängstigend gut.

»Geh schon mal vor, Fin. Ich muss nochmal zu Collins.«

Fin dreht sich zu ihm um und grinst breit. »Ich warte im Daniel’s auf dich.«

Das Daniel´s ist Fins Lieblingskneipe. Sobald er die Gelegenheit hat, in der Stadt zu sein, ist es seine Tradition, dort hinzugehen.

Bellamy winkt ab und kommt direkt auf mich zu. Kaum hat er die Statue umrundet und ist nah genug, zischt er: »Bist du verrückt? Wenn Collins dich erwischt, bekommst du ernsthafte Probleme.«

»Ach was, er erwischt mich nicht.« Leichtfüßig springe ich vom Sockel der Statue. »Und wenn, kannst du ihn ja davon überzeugen, mich nicht gesehen zu haben.«

Bellamy verengt die Augen. »Du weißt genau, dass ich so etwas nicht mache.«

Gemeinsam verlassen wir das Kirchengelände auf dem gleichen Weg, den ich gekommen bin.

»Aber zumindest könntest du ihn dazu überreden, es nicht zu verraten und mir keine Strafe zu geben.«

Bellamy blickt mich grimmig an. Ich sollte mich beeilen, zu sagen, was ich will, bevor er schlechte Laune bekommt. Für mein Vorhaben wäre das sicherlich kontraproduktiv. »Warum ich hier bin …« An der Mauer angekommen, hieve ich mich hoch, er tut es mir nach, ohne zu fragen. »Du müsstest mir helfen, ein wenig Überzeugungsarbeit bei ihr zu leisten.« Statt abzuspringen, bleiben wir kurz sitzen, sehen uns um, zumindest tue ich das, Bellamy mustert mich nur. Ich suche nach den richtigen Worten. Doch will es mir nicht gelingen. »Sie will im Shadow feiern. Das kann ich nicht zulassen.« Weil die Unruhe dieser Tatsache mich wieder im Griff hat und ich eigentlich keine Zeit mehr vertrödeln will, springe ich ab, er landet neben mir.

»Der bekannteste Ort, an dem Schattenwesen feiern.« Er nickt wissend. »Sie hat wirklich ein Talent, sich in dumme Situationen zu bringen.«

»Genau deswegen müssen wir zu ihr und sie davon abbringen.«

»Mit ›wir‹ meinst du mich.« Seine Augen werden von der Straßenlampe angestrahlt und leuchten trotzdem mehr dunkelblau als schwarz, wie es um diese Tages- oder eher Nachtzeit üblicher wäre.

»Ich bitte dich, Bel.« Kaum rutscht mir der neue Spitzname heraus, verengen sich seine Augen, deswegen schiebe ich direkt nach: »Ich kann niemand anderen darum bitten. Du bist einer meiner besten Freunde.«

»Und der Einzige, der andere beeinflussen kann« Er presst die Kiefer aufeinander und blickt starr die Straße hinunter.

Ich weiß, wie ungern er dies tut, aber ich kann wirklich niemand anderen bitten. Denn Bellamys Gabe, andere Menschen in ihren Entscheidungen zu beeinflussen, könnte mir oder eher ihr den Arsch retten. Aber er hasst es. Deswegen bedeutet es mir viel, als er sich auf den hinteren Platz seines Motorrads setzt und mir damit zeigt, dass ich fahren soll. Vermutlich auch nur, da ich den Weg kenne. Er würde das nicht tun, wenn er mein Ansinnen gänzlich ablehnen würde.

 

Wir erreichen ein Mehrfamilienhaus, eins, wie es Tausende in New York gibt. Es ist ein altes Backsteinhaus, von außen sieht es schon recht heruntergekommen aus. Unsere Wohnung im obersten Stockwerk zeugt von ihrer Magie, denn so neu und modern sie ist, wurde das niemals von dem Hauseigentümer erneuert. Und das Gute wie auch das Schlechte an diesen Häusern sind die Feuerleitern. Sie sind praktisch bei einem Brand — aber auch für Einbrecher.

In unserem Fall sind sie mehr als praktisch. Wir erklimmen sie bis ganz nach oben. Da es Sommer ist, sind die Fenster offen — noch so etwas, was im Normalfall unvorsichtig wäre. Aber meine Mutter hat Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Denn dank eines Zaubers können ungebetene Gäste nicht eindringen. Dass ich hier trotz unseres Streites willkommen bin, ist mir bewusst. Ohne Alarm auszulösen, kann ich einsteigen und finde mich mitten im dunklen Flur wieder. Auch Bellamy kann die Wohnung ohne Probleme betreten. — Er scheint willkommen zu sein.

Ich bedeute ihm, leise zu sein, indem ich mir den Finger auf die Lippen lege, was er mit einem genervten Augenrollen quittiert. Unnötig, ihn daran zu erinnern. Schließlich ist er nicht scharf drauf, von einer mächtigen Hexe wie meiner Mutter durch das Haus hinausgefegt zu werden und sich irgendwelche zusätzlichen Körperteile wachsen zu lassen, weil sie einen Fluch hinterherschickt.

Da ich hier aufgewachsen bin, weiß ich genau, welche Bodendiele knarzt und weiche ihnen aus; Bellamy folgt meinen Schritten. Vom Flur gehen die Schlafzimmer ab, drei an der Zahl, alle rechts vom Eingang gelegen, der geradeaus vor uns liegt. Links befindet sich ein riesiges Bad, das natürlich magisch entstanden ist. Durch die andere Tür kann meine Mutter in ihre eigene Welt verschwinden, wenn sie dies braucht, einfach ein Ort für sie. Dorthin können nur Eingeladene folgen, es ist der gleiche Zauber, der die Wohnung schützt. Doch für diesen Eingang benötigt man wiederum eine Extra-Einladung. Meine Mutter wollte immer einen Schutzort, falls was passieren sollte. Früher habe ich über sie gelacht. Heute sehe ich das anders.

Bei der vorderen Tür, die dem Eingang am nächsten liegt, bleibe ich stehen und lausche mit dem Ohr am Holz. Ich nicke Bellamy zu und ergreife die Klinke.

Für einen Moment verharre ich, starre nur auf meine Hand hinab. Sie ist dahinter. Ich habe sie … eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, mein Blut rauscht so laut, dass ich kaum mehr etwas anderes höre.

Bellamy stupst mich an und deutet zur Eingangstür. Draußen im Flur sind deutlich Schritte zu hören. An sich wäre dies nichts Beunruhigendes. Dennoch sehen wir beide uns alarmiert an — immer auf alles gefasst sein, eine alte Regel. Doch die Schritte gehen an der Tür vorüber, in die gegenüberliegende Wohnung.

Noch einmal ein- und ausatmend drücke ich die Klinke hinunter und betrete das Zimmer, das ich noch viel länger nicht gesehen habe als die Wohnung selbst. Es ist ein typisches Mädchenzimmer. Wahrscheinlich hat sie es seit ihrer frühen Teenagerzeit kaum mehr verändert. Ein Schreibtisch mit dazu passendem Stuhl, modern und aus hellem Holz, befindet sich rechts von mir, daneben ein kleines Regal mit Büchern und Magazinen, die davor auf dem Boden liegen. Und obwohl sie sich nicht so extrem schminkt wie andere Mädels in ihrem Alter, befindet sich links von mir ein Schminktisch, daneben ein überdimensionaler Schrank, ebenfalls aus hellem Holz, aber mit Postern von Elvis beklebt. In der Ecke steht eine Anlage für CDs und sogar altmodisch mit Schallplatten. Sie stand schon immer auf diese alte Musik aus den 50ern.

Aber all das fesselt mich nicht so wie der Anblick direkt gegenüber der Tür. Dort liegt sie auf dem Bett unter dem weit geöffneten Fenster; der Vorhang weht leicht im Zug, der durch die geöffnete Tür entstanden ist. Bellamy schließt sie und tritt ans Bett heran. Wie versteinert sehe auf sie hinab, habe ich das Gefühl kotzen zu müssen, gleichzeitig würde ich sie am liebsten wecken und umarmen.

Friedlich liegt Lucy da in einem kurzen Top und Slip, nur halb verdeckt von einer leichten Sommerdecke. Ihr rotbraunes Haar liegt um ihren Kopf herum auf dem Kissen ausgebreitet, noch feucht — sicher hat sie vor dem Schlafengehen geduscht. Ihr Gesicht ist mir zugewandt, ihre Grübchen, ihre geraden Wangenknochen, ihre vollen Lippen, so dunkel und verführerisch — meine Beine wollen nachgeben, daher drehe ich mich um, sehe zum Schminktisch. Nun erstarre ich erneut, denn am Spiegelrand eingeklemmt hängt ein Bild von uns zwei, ein Sommerurlaub vor zwei Jahren. Badesachen an, hinter uns direkt das weite Meer, sie schlingt die Arme um meine Mitte, meiner liegt um ihre Schulter. Ich erinnere mich an den salzigen Duft, darunter ihr Apfel … und die Wärme ihrer Haut. Der letzte Urlaub, bevor meine Magie endgültig ausgebrochen war. Erst wollte meine Mutter mich direkt zur Uni bringen, doch ich wollte das eine Jahr noch mit ihr haben …

»Lian, wo soll ich sie denn hinschicken?«, flüstert Bellamy und reißt mich aus meiner Erstarrung und den Erinnerungen.

»Es gibt Dutzende Bars und Clubs in New York … Wieso muss sie ausgerechnet dorthin gehen …«, murmle ich, dabei bin ich mir bewusst, dass es keine Antwort auf seine Frage ist. Daher füge ich schnell hinzu: »Such dir einen aus.«

Sein grimmiger Blick zeugt nicht von Begeisterung, als er neben dem Bett auf den Boden sinkt, eine Hand auf ihre Stirn legt und angestrengt die Augen schließt.

»Ich hab das bisher nur bei wachen Menschen gemacht, die mir dabei in die Augen sehen. Ich garantiere für nichts.«

»Ja … schon gut. Mach es einfach«, zische ich, deute dabei ungeduldig auf Lucy und Bellamys Hand, die sich nun auf ihre Stirn legt.

Die Augen geschlossen wirkt er wie versteinert. Seine ganze Ausstrahlung wirkt angestrengt und dennoch faszinierend. Nur an der Schläfe glaube ich zu erkennen, dass es dort pocht.

Mir kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor, als er die Hand von ihrer Stirn nimmt und seufzend aufsteht. Da er leicht schwankt, fasse ich ihn kurz am Ellenbogen und gebe ihm Halt. Dankend nickt er, bevor ich ihn wieder loslasse.

Er weist mit dem Kopf zur Tür und öffnet diese leise. Mein Blick wandert noch einmal zurück zu ihr, meiner Schwester. Jedes Mal, wenn ich gehe, fühle ich mich zerrissen. Wir waren uns einmal so nah und nun wirkt sie ferner denn je, obwohl ich … ihr näher sein könnte, wüsste sie nur … die Wahrheit. Mein Herz ist ein dunkler Fleck in meiner Brust, etwas zerrt an mir. Und was das ist, weiß ich. Dennoch habe ich keine Wahl. Ich muss gehen, sie darf nicht einmal wissen, dass ich hier war. Niemals.

 

Kapitel 2

 

~Lucy Hollow~

 

Ruckartig schrecke ich aus dem Traum auf. Irgendetwas Lautes hat mich geweckt. Das Knattern einer Maschine verklingt in der nächsten Straße und versinkt im üblichen Lärm der nächsten Buslinie, die einige Meter von unserem Haus hält.

»Nervtötende Motorradjunkies. Um diese Zeit könnten sie eine ruhigere Maschine fahren«, grummle ich und lege mich wieder ab.

Super, nun, da ich wach bin, spüre ich die Hitze des Sommers. Wie kann man sie auch nicht spüren, wenn mein Shirt an mir pappt und meine Haare im Nacken langsam kleben? Sicher kann ich nicht wieder einschlafen, dabei bin ich so früh ins Bett gegangen, damit ich morgen den Marathon von Geburtstagsterminen gut überstehe.

Ich krame mein Handy unter dem Kopfkissen hervor. Es verhöhnt mich: keine SMS, kein Anruf. Wütend stopfe ich es wieder unter mein Kissen und verschränke die Arme vor der Brust.

Es ist unglaublich, wie er mich seit Monaten ignoriert. Seit er in dieser blöden Uni ist, immer mehr. Keine Nachrichten oder Anrufe. Gesehen haben wir uns sowieso nicht mehr. Das letzte Mal hörte ich nur, dass er da war, als ich von der Schule kam. Er war mit Mom in der Küche und sie hatten sich lautstark gestritten. Es waren Worte gefallen wie »Lüge«, »alt genug« und »wie konntest du nur«. Sie verstummten, kaum dass sie mich im Türbogen zur Küche sahen. Nicht mal da blickte er mich an — er stürmte einfach an mir vorbei, ohne ein Wort, und verließ fluchtartig die Wohnung.

Natürlich hielt meine Mom es nicht für nötig, mich über den Streitinhalt zu informieren oder warum er eigentlich hier aufgetaucht gewesen war. Doch was ich sah, waren die Tränen in ihren Augen und der Schmerz. Daher ließ ich sie mich in die Arme ziehen, fest drücken und für Minuten nur festhalten. Danach versuchte sie, auf normalen Alltag zu machen, dass Gespräch — den Streit — erwähnte sie nie mehr. Und seitdem ignoriert er jeden meiner Anrufversuche und jede SMS … Erneut nehme ich mein Handy — es ist halb zwölf. Ob er schon schläft? Sicher, denn soweit ich mich an die Erzählungen meiner Mom erinnere, muss man dort sehr früh aufstehen. Der Tag beginnt mit Frühsport, dann Frühstück und anschließend geht es zum Unterricht.

Obwohl es warm ist, rolle ich mich ein, ziehe die Sommerdecke über meine Schultern und starre auf das Display meines Handys, auch wenn das Licht in den Augen schmerzt. Mein Finger öffnet wie automatisch die Galerie. Tränen schießen in meine Augen, kaum dass ich sein Bild sehe.

Wieso tut er mir so etwas an? Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und bisher dachte ich, dass ich ihm ebenso viel bedeute. Zumindest so, dass er sich bei mir melden und sich nichts an unserer Beziehung ändern würde, nur weil er magische Talente hat und ich nicht.

Wieder macht sich in mir dieser glühende Hass breit, der auf seine Gaben, Fähigkeiten oder wie auch immer sie das nennen. Er kratzt wie Klauen vom Magen meinen Hals hinauf. Natürlich weiß ich einiges über diese Welt, die mir verschlossen bleiben wird, weil ich nichts Magisches in mir habe. Zumindest ist bisher nichts aufgetreten und da ich gleich 18 werde, sollte es langsam passieren. Doch nichts …

Nur, wieso nehmen sie mir Lian weg … mein Kil … so habe ich ihn als Kind immer genannt. So wie er mich immer Lu nannte … Was würde ich drum geben, wenn er meinen Namen noch einmal sagen würde. Ich vermisse den warmen Klang seiner Stimme.

Ich presse das Handy an meine Brust, lasse meinen Tränen freien Lauf. Und wieder ist das letzte, woran ich denke, bevor ich einschlafe: Lian. Sein Bild begleitet mich bis in meine Träume hinein.

 

Unaufhörliches Brummen und Piepen meines Handys weckt mich. Kurz flammt in mir die Hoffnung auf, dass es Lian sein könnte. Zwar sind es einige SMS und verpasste Anrufe, aber nichts davon ist von ihm.

Alle sind vertreten, mit denen ich näheren Kontakt habe oder die ich Freunde schimpfe, allen voran eine meiner besten: Tara Simons. Natürlich hat sie ganz ihrer Art entsprechend nicht vergessen, ein Selfie zu schicken, auf der sie eine Torte in der Hand hält, auf der mein Name prangt. Sicher werde ich sie noch essen müssen. Wobei dies meiner Figur nicht zuträglich ist, denn ich habe anscheinend keine so tollen Gene wie Tara abbekommen. Sie kann essen, was sie will und wird immer in ihre teuren Designer-Jeans passen, die so eng sind, dass man sich fragt, warum sie überhaupt eine trägt. Eine kurze Short und ein T-Shirt aus dem Schrank gekramt, muss ich feststellen, dass meine Figur das Eis gestern gut verkraftet hat. Und während ich mich nun vor meinen Schminkspiegel setze und hineinsehe, kann ich Tara nur wieder bewundern. Sie ist eine Schönheit wie aus dem Katalog, blonde lange Haare und blaue Augen. Ich hingegen mit meinem rot-braunen Haar, das sich nicht entscheiden konnte, rot oder braun zu sein … Und dann noch meinen Genfehler in den Augen, man nennt ihn Iris-Heterochromie, damit bezeichnet man die Verschiedenheit beider Regenbogenhäute der Iriden durch Störung der Pigmentierung. Was sich extrem kompliziert anhört, ist einfach ausgedrückt, nur die Tatsache, dass ich zwei verschiedene Farben habe, das rechte ist blau und das linke lediglich an einer Stelle blau, aber ansonsten braun. Selbst meine Augen konnten sich nicht entscheiden, was sie werden wollten. Erst meine Haare, dann meine Augen … und was kommt als Nächstes? Werd ich irgendeine komische magische Anwandlung bekommen, weil die Magie sich nicht entscheiden kann, bei mir oder in mir zu sein oder nicht?

Schnaubend kämme ich mir das Haar durch. Die leichten Locken zu bändigen ist mehr als schwierig. Hätte ich sie besser abends getrocknet. Daher versuche ich es mit einem Zopf, den ich dann wieder öffne, weil ich einfach nicht zufrieden damit bin. Trotzdem binde ich mir das Haargummi um mein Handgelenk, falls die Hitze mich doch zu einem Zopf zwingt.

Etwas Eyeliner, Lidschatten und Mascara, das dürfte für den Tag ausreichen. Für heute Abend werde ich mich richtig in Schale werfen.

Eigentlich würde ich dem überschwänglichen Mutterknuddeln aus dem Weg gehen, doch Mom würde es mir nie verzeihen, wenn ich mich raus schleichen würde. Trotzdem will ich mich so schnell es geht loseisen, daher hänge ich mir schon einmal meine Tasche über die Schulter. Ich habe sie zu meinem 16. Geburtstag von Lian geschenkt bekommen und seitdem ist es meine Lieblingstasche. Sie ist praktisch und groß genug für allerlei Mädchenkram. Man könnte sie liebevoll ›Quadratisch, praktisch, gut‹ bezeichnen wie die Schokoladenwerbung. Nur, dass sie türkis ist und verteilt Buttons auf dem Jeansstoff trägt.

Kaum, dass ich die Küche betrete, erkenne ich nur noch rote Haare und nehme den vertrauten Duft von Flieder wahr, während sich Arme um mich legen. Nicht, dass ich unsere Küche sehen müsste, sie ist einfach eingerichtet, aber modern: Schränke aus hellem Holz, Edelstahlherd und ein Backofen in Hüfthöhe, alles schön aneinander angepasst. Ein Tisch für vier Personen, ebenfalls aus hellem Holz und passenden Stühlen dazu.

»Alles Gute zum Geburtstag, meine Kleine.«

Die grünen Augen meiner Mom funkeln mit dem Smaragd ihrer Kette um die Wette, als sie mein Gesicht in ihre Hände nimmt und mir einen Kuss auf die Stirn gibt.

»Eigentlich bin ich nicht mehr so klein«, gebe ich kleinlaut zurück, kann aber meine rosigen Wangen förmlich glühen spüren.

»Für mich wirst du immer das kleine Bündel bleiben, das ich herbrachte.«

Ich stutze, was sie bemerkt und für einen Moment glaube ich, etwas Schuldbewusstes in ihren Augen zu sehen.

»Wie meinst du das?«

»Na, als ich mit dir aus dem Krankenhaus kam. Was hast du denn gedacht?« Ihre Stimme ist viel zu hoch und zu fröhlich.

Wieso verhält sie sich jedes Jahr an meinem Geburtstag so krampfig? Und wieso kommt es mir so vor, als wird es von Jahr zu Jahr schlimmer, je älter ich werde?

»Schau, was ich ganz ohne Magie zubereitet habe«, sagt sie fröhlich und läuft zum Tisch, auf dem Teller mit Dutzenden davon thronen, daneben Obst und Sirupflaschen.

»Du hast die Pfannkuchen gemacht?« Der kurze Funke Hoffnung, der in mir aufgekeimt ist, erstirbt im selben Augenblick wieder und zerfällt zu Asche.

»Na, wer denn sonst?«

»Ja … wer sonst …«

Ich starre auf Lians leeren Platz am Tisch, kein Gedeck. Früher hat er sie mir zum Geburtstag gemacht … oder wenn er was ausgefressen hatte und ich ihn decken sollte.

»Setz dich.« Natürlich übergeht sie das Thema ›fehlender Lian‹ wie immer.

»Ähm, tut mir leid, Mom, aber ich bin mit Tara verabredet. Sie hat mir wieder eine ihrer scheußlichen Kuchen gebacken.« Ich gebe mir alle Mühe, so viel übertriebene Abneigung hineinzulegen, wie ich kann, dabei ist es nicht mal gelogen.

---ENDE DER LESEPROBE---