Spiel der Mächte - Zara Kent - E-Book

Spiel der Mächte E-Book

Zara Kent

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Beschreibung

Nach Mias Weggang stürzt sich Vince in blutige Kämpfe gegen Dämonen, um seine Wut und den Schmerz zu ersticken. Seine Freunde versuchen erfolglos, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Nur Mia kann ihn retten. Als diese aber auftaucht, ist sie nicht mehr die Person, die gegangen ist, nicht die Mia, die er liebt. Sie steht völlig unter Michaels Einfluss und weiß kaum mehr etwas über Vince und ihre gemeinsame Zeit. Der Kampf um Mias Erinnerung und Seele beginnt - und um ihr Herz. Währenddessen beschäftigen Vince auch mysteriöse Angriffe der Schattenwesen. Als neuer Großmeister des Rates muss er nicht nur um die Liebe seines Lebens kämpfen, sondern auch für die Welt und seine Freunde.

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

06/2021

 

Spiel der Mächte - Seraphin

 

© by Zara Kent

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

Umschlaggestaltung: © Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Lektorat: Paul Lung

Korrektorat: Birgit van Troyen

Buchsatz: Paul Lung

Autorenfoto: privat

Coverbild ›Woodtalker‹ © 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Halbwesen‹ © 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Zwei Welten‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Modellfoto © Fotograf Exxpression Homburg

Coverbild ›Myzel‹ © 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Spiel der Mächte - Erwachen‹

© 2019 Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

 

ISBN 978-3-96741-105-8

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

Zara Kent

 

 

Spiel der Mächte

 

Seraphin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

 

 

 

Für Paul.

Weil du mein Werk schon genauso liebst wie ich. Und weil du diesen Band mit passenden Worten zusammengefasst hast:

»Er ist eine arme Sau. Du bist der Teufel.«

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Danksagung und Nachwort

DIE AUTORIN

Hybrid Verlag …

Kapitel 1

 

~Vincent~

 

Minuten.

Stunden.

Tage.

Wochen.

Monate.

Ohne Atmen.

Ohne Herzschlag.

Ohne Mia.

Keiner der Engel ist seither auf einer Ratssitzung aufgetaucht. Sie überlassen uns den Unruhen, den Kämpfen. Anfangs bin ich selbst dort nicht aufgetaucht. Ich bin nirgendwo aufgetaucht. Ich tat nichts anderes, als zu trainieren und zu töten. Ich gehe jeden Tag über die Mauer und stürze mich in Kämpfe. Die Wut und die Magie erfüllen mich von Tag zu Tag mehr. Der Rausch betäubt alles Übrige. Finsternis.

Die Bilder jenes Tages dringen in mich ein …

Ich kauerte am Boden, als Eric mich irgendwann an der Schulter berührte. Ich stieß seine Hand weg. Als er es wieder versuchte, gab ich ein tiefes Grollen von mir und stand auf, ging, ohne ihn anzusehen.

Ich gebe ihm die Schuld, dass sie fort ist. Ich gebe Michael die Schuld, ich gebe sogar ihr die Schuld. Doch die größte Schuld gebe ich mir. Wenn ich ihr eher gesagt hätte, was diese Verbindungen machen können … Denn sie sind doch ähnlich wie bei Eric und mir … Ja, vielleicht wäre sie dann nicht gegangen. Wenn ich ihr versichert hätte, dass ich es verstehe, ich weiß, dass sie mich liebt … dass ich sie liebe …

Nein, ich gebe eigentlich Michael die meiste Schuld.

Dieses heuchlerische Flattervieh von Engel.

Beim Hinuntergehen überprüfe ich, ob meine Handschuhe richtig sitzen und mein Dolch nicht im Stiefel verrutschen kann. Die Tür zu meinem Turm quietscht – ich sollte sie ölen lassen, aber es interessiert mich nicht.

Der übliche Besprechungslärm der Wächter dringt aus dem Atrium in die Empfangshalle; die Türen stehen weit auf. Eric und Flynn führen die Besprechung an, stehen vorne auf dem Podium, vor ihnen mindestens zwei Dutzend Wächter. Sie sind für die Nachtpatrouillen vorgesehen.

Doch mir ist es egal. Ich gehe alleine raus. Das mache ich oft, aber nicht immer, je nachdem, wie mir der Sinn steht. Manchmal bin ich auch bei den Besprechungen dabei. Aber oft schwänze ich sie. Erst recht, wenn Eric die Einteilung macht.

Wir sehen uns zwar bei den Ratssitzungen, aber ich ignoriere ihn, sehe ihn kaum an und wechsle nur das nötigste Wort mit ihm. Er leidet darunter, das sehe und fühle ich, genauso aber auch, dass er versucht, seine Emotionen immer mehr vor mir zu verbergen, so wie ich es tue. Die Verbindung besteht auch nicht jede Sekunde, wir müssen sie bewusst nutzen, sie zulassen. Natürlich schwächt es uns, wenn wir uns dagegen sperren, aber im Moment weiß ich nicht anders mit ihm umzugehen. Denn wenn wir alleine wären, würde ich ihn anschreien. Ich würde ihn vielleicht sogar schlagen … immer wieder …

Wieso hat er mich auch aufgehalten?

Die Nachtluft ist warm, dennoch trage ich meine Jacke. Sie bietet mehr Schutz vor den Krallen und Zähnen der Lykaner und Vampyren – oder den Dämonen. Auf die habe ich es heute besonders abgesehen. Ich knöpfe mir hochrangige Dämonen vor und werde die Macht meines Dolches endgültig testen. Denn wenn er bei ihnen wirkt, wird er auch bei Engeln wirken.

Natürlich ist es gefährlich für mich, das Gelände zu verlassen. Bael versucht, an mich heran zu kommen, das ist mir bewusst. Er weiß noch immer nicht, inwieweit der Vertrag etwas mit mir zu tun hat. Vermutlich denkt er, wie so viele andere, dass ich von meinem Vater als neuer Wahrer eingesetzt wurde. Wer würde auch schon auf die Idee kommen, dass ich der Vertrag selbst bin? Das ist so absurd.

Die Magie ist mal stärker, mal schwächer, aber ich kann sie unter Kontrolle halten. Wenn es zu stark wird, lasse ich mir von Caspian helfen. Trotz meines Verhaltens steht er zu seinem Wort. Entweder weil er mir wirklich helfen will oder nur aus Angst, dass sie mich übermannt und ich doch noch alles ins Verderben stürze. Es ist mir egal, Hauptsache er hilft mir. Einige Tränke trage ich immer bei mir, für den Notfall. Aber gebraucht habe ich sie noch nie.

Die Wächter, die sich auf dem Gelände herumtreiben, halten mich nicht auf. Sie haben es nur einmal versucht, doch die vielen Nasen- und Knochenbrüche haben sie eines Besseren belehrt.

Auch Sam lässt mich ohne ein Wort hinaus. Eher selten benutze ich das Tor. Sonst bevorzuge ich den Baum, um mich unbemerkt an meine Feinde heranzuschleichen, die den vorderen Bereich anscheinend ständig überwachen. Heute allerdings sollen sie mich deutlich sehen.

Ohne meinen Dolch zu zücken, trete ich durch die Barriere und verlasse den Schutz der Uni. Ich wende mich nach rechts, laufe die Straße parallel zur Mauer entlang. Der Vollmond gibt genug Licht ab, sodass ich alles erspähen kann, jede Bewegung. Selbst im Gras am Rand der Straße flitzen sie umher und denken, ich sehe sie nicht. Ich lasse sie in dem Glauben.

Meine Hände in den Taschen meiner Jacke vergraben, schlendere ich weiter, bis sich die Straße teilt. Die linke Seite folgt einem Hügel hinunter, rechts führt sie einmal komplett um das Gelände herum.

Fast bin ich enttäuscht, als ich mich nach rechts wende und kaum Dämonen wahrnehme. Es sind gerade mal zwei hinter mir, die mich verfolgen, seit ich das Gelände verlassen habe. Drei sind vor mir. Sie stehen mitten auf der Straße, als haben sie auf mich gewartet. Was auch wohl der Fall sein dürfte. Einer, der mich an die Dämonen in Baels Saal erinnert, denen ich den Garaus gemacht habe, steht in der Mitte. Seine Haut ist schwarz, verbrannt, auf seiner Stirn prangt Baels Zeichen, ein umgekehrtes Pentagramm. Es weist ihn als Elite-Leibgarde aus. Bael markiert sie neuerdings, keine Ahnung wieso. Ein neues Faible vielleicht.

Doch was tut er hier draußen? Müsste er nicht seinen Herrn bewachen? Eigentlich trifft es sich ganz gut. Denn ich bin mir fast sicher, dass er von hohem Rang ist.

»Wanclear«, ruft er aus, noch bevor ich bei ihnen angelangt bin.

»Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Doch ich kenne deine Brüder.« Ich grinse und bleibe einige Meter vor ihnen stehen.

Ein Knurren und Zähnefletschen seinerseits folgt. »Bild dir darauf ja nichts ein.« Seine Augen leuchten rot auf; er will mich am liebsten töten, aber irgendwie glaube ich, dass das gar nicht ihr Ziel ist. »Sie waren unter mir. Also falls du dein Können an mir erproben möchtest?« Er breitet die Arme aus, grinst.

Ich lege den Kopf zur Seite, tue so, als würde ich darüber nachdenken. Kurz mit den Schultern zuckend sage ich: »Eigentlich passt mir das heute ganz gut. Ich dachte, ich mische mal eure Runde hier auf. Aber …« Ich sehe mich demonstrativ um. »Irgendwie ist es heute Abend so ruhig auf eurer Seite. Habt ihr aufgegeben?«

»Wir haben Zeit, Wanclear.« Er grinst weiter und breitet wieder die Arme aus. »Wir sind Dämonen, ewiglich.«

Ich kratze mich am Kinn. »Hm … so ewiglich, dass ich deine Brüder ausgelöscht habe. Seltsam.«

Er macht einen Satz nach vorne, greift mich aber nicht an; ich bleibe, wo ich bin, ohne eine Regung.

»Pass ja auf«, zischt er, während auch die anderen Beiden neben ihm, in Lauerstellung gehen. Hinter mir rührt sich nichts, aber sie behalten mich genau im Auge, ich spüre es.

»Dann komm doch.« Mit einem Wink bedeute ich ihm, näher zu kommen.

Seine Augen glühen noch immer, aber er richtet sich auf.

»Ach bitte! Ehrlich jetzt?«, rufe ich aus und lache. »Man hat dich an die Kette gelegt? Einen Dämon deines Ranges?«

»Mich hat niemand an die Kette gelegt. Aber im Gegensatz zu dir befolge ich Befehle. Und mein Herr wünscht dich für sich.«

»Wie schade für dich.« Meine Stimme trieft vor gespieltem Mitleid. »Aber weißt du was: mir sind Befehle wirklich herzlich egal. Und erst recht, was Bael meint.«

Ein Gedanke durchfährt mich, eine Möglichkeit. Wenn ich einfach mit ihnen ginge, würden sie mich zu ihm bringen. Dann könnte ich mich endlich selbst um das Problem kümmern. Keine schlechte Idee. »Also, Bael will mich sehen?«

Misstrauisch meiner plötzlichen Wandlung gegenüber, beäugt er mich, seine Begleiter wechseln einen Blick. »So ist es.«

»Na dann bring mich zu ihm.«

Hinter mir kreischen die Dämonen und ich höre Klingen, die Fleisch zerschneiden. Als ich mich umsehe, erkenne ich Eric, allein, der anscheinend nicht gezögert hat und nun mitten im Kampf gegen einen der Dämonen ist.

Verdammt, was tut er hier?

Zwei der Dämonen, die ich gerade hinter mir gelassen habe, wollen sich ebenfalls auf ihn stürzen, während er gerade mit dem anderen noch am Ringen ist.

Ich reagiere sofort. Meinen Dolch aus dem Stiefel ziehend, stürze ich mich auf einen der Beiden und ramme ihm die Klinge mehrfach in den Körper, versenke sie zwischen seinen Augen. Ich halte das Metall dort, bis er sich rund herum in glühende Asche verwandelt; das Adrenalin ist erwacht, der Rausch beginnt, meine Sinne einzunehmen. Ich fühle, wie das Finstere durch meine Adern rast, es zum Kochen bringt und mich kräftiger macht.

Eric hat es geschafft, sich aus dem Griff des einen Dämons zu befreien, sich des anderen zu entledigen, doch noch immer steht er zweien gegenüber.

Unsere Runen leuchten für einen kurzen Moment auf und ich stürme auf den Äußeren zu. Dieser bemerkt mein Kommen, holt aus, um mich am Kopf zu treffen, doch ich ducke mich darunter durch und mit einem Schrei ramme ich ihm meinen Dolch durch die Kehle hinauf in den Kopf. Blut spritzt auf mich – es macht mich rasend. So sehr, dass ich die Klinge mit aller Wucht und Genuss wieder hinausziehe. Noch mehr Blut fließt, ehe er sich auflöst.

Ohne weiter auf Eric zu achten, wende ich mich dem Elitedämon zu – er will sich aus dem Staub machen, baut ein Höllentor auf. Ich unterbreche die Verbindung zu Eric.

»Na warte«, zische ich und habe schon den halben Weg der Strecke zwischen uns zurückgelegt, als Eric nach mir ruft. Er ruft nicht, er schreit.

Ruckartig bleibe ich stehen, wirble wieder herum und erkenne, dass ein neuer Dämon über Eric kniet, direkt auf seiner Brust. Erics Hände hat er fest in seinen Klauen. Das Gesicht ist ihm so nah, dass eine ätzende Flüssigkeit auf Erics Wange tropft und diese sich beginnt, in die Schichten zu fressen.

»Verdammt.«

Am liebsten würde ich dem Dämon nachjagen, ihn zur Strecke bringen und mich dann in der Dämonika austoben, solange ich stehen und kämpfen kann. So sehr sehne ich mich danach.

Mit einem Ruck reiße ich mich von der Vorstellung los, laufe zu Eric, ramme den Dolch in den Hals des Dämons, ziehe ihn heraus, reiße das Vieh herunter und lasse meine Magie hinaus. Von ihr gelenkt, hebe ich ihn hoch und werfe ihn gegen die Mauer. Ehe der Dämon auf dem Boden aufschlägt, bin ich wieder bei ihm, lasse den Griff auf seinen Kopf hinunter schmettern. Er rammt so fest den Boden, dass dieser ein Stück nachgibt. Ich stürze auf seine Brust und ramme ihm den Dolch tief hinein, lasse ihn anwachsen und kann einen Schrei wieder nicht unterdrücken, weil ich zu berauscht bin. Als er sich auflöst, sacke ich auf den Boden in seinen Überresten von Asche. Suchend sehe ich auf, aber der Elitedämon ist fort.

Enttäuscht sinke ich nach hinten, mit dem Dolch in der Hand. Ich winkle meine Beine an und stütze meine Hände an den Knien ab; Blut tropft von der Klinge, die wieder ihre normale Größe hat.

Scheiße! Ich war so kurz davor. So kurz davor.

»Danke«, sagt Eric, als er neben mich tritt; ich nicke nur, sehe ihn nicht an.

Das Adrenalin lässt nach, der Rausch vergeht, das Finstere in mir hat sich zurückgezogen. Es brennt merklich, als die Rune aufglüht.

»Hör endlich auf damit.«

»Mit was?« Ich sehe ihn nicht an, sondern dem schwarzen Dämonenblut dabei zu, wie es an der Klinge hinab rinnt. Meine Stimme klingt auf einmal müde, sehr müde. Und irgendwie fühle ich mich auch so …

»Dich umbringen zu wollen.«

Nun blicke ich zu ihm auf, lache höhnisch. »Mich? Sieh dich um. Ich habe vor, sehr viele von ihnen umzubringen.«

»Ja, das sehe ich. Aber ich fühle etwas anderes.«

Mein Lächeln erstirbt; ich versuche, die Verbindung vollends zu trennen, doch ist es mir nicht möglich.

»Vince …« Er lässt sich neben mir nieder. »Das ist lebensmüde, was du tust. Es wird sie nicht wiederbringen.«

Plötzlich steigt Wut in mir auf. Seine Sorgen schwappen wie eine Welle in meinen Geist. Eine unerträgliche Mischung. Ich presse die Kiefer aufeinander und sehe zur Seite, zur Wand. Eine Weile bleibt es still; ich wische mir mit der Hand über die Augen.

»Ich weiß, du willst es nicht hören, aber es war die richtige Entscheidung für sie. Michael und die anderen sind nun ihre Familie.«

Wütend versenke ich den Dolch im Stiefel und stehe auf. »Du hast doch keine Ahnung, wovon du da redest!«

Jetzt ist auch Eric wütend und steht auf. »Nein, du hast keine Ahnung! Weißt du, was es bedeuten würde, wenn sie nicht gegangen wäre?«

»Ich will davon nichts hören!«

»Das ist es ja.« Er packt meinen Arm. »Du hörst nie zu, wenn ich versuche, mit dir zu reden.«

Ich funkle die Hand an meinem Arm an, dann ihn.

»Du weißt so gut wie ich, dass sie das Anrecht auch mit Gewalt durchsetzen würden. Du würdest einen Krieg auslösen.«

»Krieg führen wir doch sowieso schon.« Knurrend reiße ich mich los.

»Aber keinen gegen Engel. Verdammt, Vince!« Nun spüre ich seine Verzweiflung. »Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ihr glücklich werden könntet. Aber das ist nicht möglich. Sie gehört zu ihm. Sie ist seine Ge-«

Voller Wut stoße ich gegen seine Brust. »Hör auf.«

Er taumelt zwei Schritte nach hinten, tritt aber sofort wieder auf mich zu. »Nein. Du hörst dir das jetzt an!«

Auch er ist wütend, aber wirklich aus Verzweiflung. In mir hingegen regiert der Hass.

»Sie ist ein Seraphin und gehört nicht in uns-«

»Hör auf!«, brülle ich ihn an, und ich kann die Tränen nicht unterdrücken, die meinen Blick verschleiern. »Hör auf …«, kommen die Worte nun geflüstert über meine Lippen.

Ich sehe nicht nur sein Mitleid, ich fühle es. Und es ist zu viel für mich.

Eric kommt noch einen Schritt auf mich zu, will mich berühren, doch ich schüttle den Kopf. Versuche, den Schmerz zu verdrängen, mich auf den Hass zu konzentrieren. Dieser belebt mich wieder. Auch wenn die Rune stärker glüht, remple ich ihn beim Vorbeirennen an und laufe davon. Vor ihm und seinen Gefühlen, vor meinen. Außer dem Hass. Den schüre ich, so stark, dass selbst er beginnt wehzutun.

Ich sollte noch bei den Lykanern vorbeischauen …

 

Alles an mir ist blutgetränkt, meine Kleidung, meine Handschuhe, meine Stiefel, selbst mein Gesicht ist beschmiert. Wie in Trance laufe ich durchs Tor, über die Allee, sinke erschöpft auf den Sockel der Statur, stütze völlig fertig meine Arme auf den Knien ab und sehe zu, wie das Blut an meinen Fingerspitzen zu Boden tropft. Was davon meines ist, weiß ich nicht. Tropfen für Tropfen bildet sich eine Lache zwischen meinen Beinen, ich starre darauf, fühle mich leer.

Wie viele ich abgeschlachtet habe, kann ich nicht mal mehr sagen. Es waren viele …

»Du solltest damit aufhören.« Ähnliche Worte, eine andere Stimme. Rachel setzt sich neben mich, berührt meine Schläfe, untersucht mein Gesicht und beginnt, mich zu heilen.

»Mit dem Kämpfen?«

»Das auch«, murmelt sie. Ihre grünen Augen drücken Trauer und Besorgnis aus.

Ich sehe wieder nach unten. Meine Haut brennt kurz an den Stellen, an der sie sie heilt. Meine Wunden schließen sich, doch das Blut klebt an mir.

»Du musst das nicht tun«, bemerke ich.

»Ich weiß.« Dennoch macht sie weiter. Wir schweigen, bis sie die Hände sinken lässt und sich nach hinten lehnt, in die Sterne blickt. »Eric geht es verdammt mies. Aber das weißt du sicher.«

Ich reagiere nicht, aber langsam kehren wieder Gefühle in mich, allen voran wieder der Groll auf Eric.

»Du darfst ihm nicht weiter die Schuld geben. Er wollte dich nur vor einem Fehler bewahren.«

»Welchem Fehler? Mia davon abzuhalten, zu gehen?« Den Zorn in meiner Stimme kann ich nicht verbergen, ich spüre ihren Blick, betrachte aber weiter die Blutlache vor meinen Füßen.

»Michael umzubringen.«

Dagegen kann ich nichts sagen. Ich hätte es wahrscheinlich ohne zu zögern getan. Nein, nicht nur wahrscheinlich, ich hätte es getan, wenn ich die Gelegenheit dazu bekommen hätte.

»Ich hätte dich auch aufgehalten.«

Ich sehe sie wieder an.

Sie erwidert meinen Blick, dann streicht sie mir über den Kopf und lächelt. »Wir verstehen dich alle. Aber du darfst nicht nur dich und sie sehen. Es geht um viel mehr.«

Nun lehne ich mich zurück und sehe ebenfalls in die Sterne. »Sowas Ähnliches versuchte Eric mir auch zu sagen.«

»Und er hat recht damit. Grolle ihm deswegen nicht. Er kann dich besser verstehen als alle anderen, das weißt du. Er will nur dein Bestes.« Sie nimmt meine blutverschmierte Hand. »Wir wollen alle, dass du glücklich bist.«

»Dann lasst mich einfach«, seufze ich und ziehe meine Hand weg.

»Vince.« Sie beugt sich zu mir und sieht mich eindringlich an. »Du bringst dich noch um.« Dann sieht sie zur Seite und ich bemerke, wie sie das Gesicht verzieht.

»Oder uns alle? Willst du das sagen?«

Ihr Blick legt sich wieder auf mich. »Es tut mir unendlich leid, dass diese Last auf dir liegt. Aber du weißt, was geschieht, wenn du stirbst.«

»Komisch, alle scheinen mehr daran interessiert zu sein als an der Tatsache, dass ich es bin, der stirbt.« Meine Bitterkeit ist deutlich zu hören.

Ruckartig greift sie wieder meine Hand. »Nein, es wäre schrecklich, wenn du stirbst. Egal, was es zur Folge hat, du bist es, der nicht mehr da ist.«

Dass sie es ernst meint, ist mir klar, aber ich kann es nicht wirklich zulassen. Dennoch ziehe ich meine Hand nicht zurück, sodass sie weiter in ihrer ruht, und sehe wieder in die Sterne. Langsam graut der Morgen.

»Ich bitte dich, integriere dich wieder im Rat, beteilige dich an den Plänen. Schließlich betrifft es dich auch.«

»Wie viel wissen die anderen vom Rat?«

»Sie glauben, du bist der neue Wahrer, somit sind einige dafür, dich als Großmeister einzusetzen. Was Ana und Jeanne natürlich nicht wollen.«

»Natürlich«, knurre ich. »Aber ich will es auch gar nicht. Was soll ich mit diesem Posten?«

»Was bewirken.«

Auf dieses Gespräch habe ich noch weniger Lust. Ich stehe auf, will gehen, doch sie hält mich zurück.

»Du bist einmal über deinen Schatten gesprungen.«

Ich sehe zu ihr hinunter. »Damals habe ich es getan, um Mia zu schützen.«

»Dann schütze jetzt uns.«

Für einen Moment sehen wir uns nur an, während ich mit mir ringe. In mir toben verschiedene Gefühle. Eigentlich will ich helfen und sie nicht im Stich lassen, ich bin es allein meinen Freunden schuldig. Aber ich kann nicht anders. Ich kann nicht …

Ich reiße meine Hand los und gehe in den Keller der Unterkünfte, direkt zu den Duschen. Meine Sachen lasse ich vor einer Bank im Umkleideraum zurück. Es ist nochniemand hier, dennoch gehe ich unter die letzte Brause und lasse das Wasser auf mich hinab rauschen, welches in rot-rosa Rinnsalen in den Abfluss läuft. Ich stütze meine Hände an der Wand ab und schließe die Augen, während das Wasser auf meinen Nacken niederprasselt, der verspannt ist und schmerzt. Wie fast alles an meinem Körper. Die dutzenden blauen Flecke und Blutergüsse ziehen bei jeder Bewegung. Alte Verletzungen jucken, die Kruste an meinem Rücken weicht auf, vielleicht wird sie bald abfallen.

Die Umgebung um die Uni ist fast wie ausgestorben. Die meisten Schattenwesen lassen sich in den Dörfern und Städten aus. Für die restliche Dezimierung bin ich verantwortlich. Rachel hat recht damit, dass ich damit aufhören sollte. Ich bin wie ein Wahnsinniger, blutdurstig und unkontrollierbar aggressiv. Jetzt, wo ich zur Ruhe komme, bemerke ich die Finsternis, die mich immer mehr erfüllt. Ob ich nun doch diesen Weg beschreite, den Evrani mir angedeutet hat?

Meine Haut ist etwas gereizt, als ich es endlich geschafft habe, alles Blut von mir abzuwaschen. Doch nun fühle ich mich besser, genieße mit geschlossenen Augen das Wasser, das über mein Gesicht läuft.

Als ich zurück in den Umkleideraum komme, lehnt Isabell an der Wand und sieht mich an. Ihr Blick wandert an mir hinunter – sie kann sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Aus dem Regal neben der Tür ziehe ich mir ein Handtuch und binde es mir um die Hüften.

»Also ich habe den Anblick genossen. Wegen mir musst du dich nicht verhüllen. Wäre nichts, das ich nicht schon gesehen hätte.«

»Was willst du hier?«

Sie tritt von der Wand weg und macht einen Schritt auf mich zu, während ich aus meiner Jacke die Tränke heraushole, sie auf die Bank lege und meine Wäsche in den Korb werfe.

»Wir machen uns alle Sorgen um dich.«

»Ach, und deswegen kommst du hierher?« Mir fällt auf, dass ich mir keine frischen Klamotten mitgebracht habe, wohl aber Isabell, denn hinter ihr auf der Bank liegen Sachen von mir.

»Ich wollte sowieso mit dir reden und als Rachel meinte, du seist duschen, habe ich es einfach vorverlegt.« Sie grinst mich an, während ich neben ihr stehen bleibe und auf die Klamotten deute; sie nickt.

Nun doch ungeniert lasse ich das Handtuch fallen, sie mustert mich erneut. Als ich mir die Hose anziehe, seufzt sie enttäuscht, lächelt aber noch immer. »Wirklich schade.«

Was will sie eigentlich? Ist sie nur wegen dem Reden hier? »Reden hätten wir auch noch später gekonnt«, meine ich und hebe das T-Shirt auf.

Sie fasst meine Hand und sieht mich mit leuchtenden Augen an. »Es wäre aber halb so reizvoll.«

Ist das ihr Ernst? Sie weiß doch genau, dass ich mit … Tja …

Als ihre Hand meinen Arm berührt, beginnt meine Haut zu glühen und alte Gefühle erwachen, die ich lange nicht mehr gespürt habe. Aber Gefühl ist nicht das richtige Wort dafür, es ist das alte Verlangen, das Vila-Blut, wahrscheinlich auch das Blut der anderen sexuell-orientierten Wesen in mir. Es beginnt zu schwingen, meine Hand zittert, als sie mich zu sich umdreht und mein Gesicht berührt.

»Isa…« Meine Stimme ist brüchig, ich kämpfe dagegen an. Das bin nicht ich, was sie nun begehrt. Ich will es nicht. Und doch spüre ich, wie ich schwächer werde. Das erste Mal scheint mein Blut stärker zu sein als mein Wille.

»Du brauchst dringend Ablenkung«, meint sie, zwinkert, bevor ihre Hand neckend in meinen Nacken fährt, ihn aber wieder loslassen will.

Ich kann es nicht mehr steuern, mein Blut übernimmt die Kontrolle und ich sehe, wie sie kurz erstarrt und ihre Augen glasig werden und der silberne Schimmer sich ausbreitet.

Nein, verdammt! Hör auf!Hör …

Ich verliere mich. Heftig drücke ich sie gegen die Wand, sodass sie ein Bein auf der Bank abstützen muss, um nicht drauf zu fallen. Leidenschaftlich presse ich meine Lippen auf ihre, spiele mit ihrer Zunge, bin zügellos, außer Kontrolle. Meine Hand greift besitzergreifend in ihr dunkles Haar, dreht ihren Kopf, wie ich es will. Mehr und mehr rauscht und schwingt es. Mein Körper reagiert. Ich will sie.

Als Isabell meinen Namen unter den heißen Küssen stöhnt, erwacht etwas anderes in mir. Meine Lippen an ihrem Hals erstarre ich.

Mia …

Ich sehe Isabell in die Augen, das Glasige, Silberne darin. Sie wollte mich nur necken, mein Blut irrt sich. Ich will sie nicht, sie will mich nicht. Nicht wirklich. Es gibt nur eine, die ich will.

Langsam gewinne ich wieder die Kontrolle, kämpfe es zurück und lasse sie ruckartig los, ehe ich sie bestimmt von mir schiebe. Ihre Augen nehmen wieder den normalen Glanz an und ihr Lächeln erstirbt. Verwirrt berührt sie ihre Lippen, ich sehe kurz Angst in ihren Augen aufflackern, als sie erkennt, was hier gerade geschehen ist, was ich getan habe.

»Es … es tut mir leid. Das wollte ich nicht, wirklich.« Meine Stimme ist wieder normal, ich greife in mein nasses Haar, kralle meine Hand regelrecht hinein und schüttle den Kopf.

Isabell fasst sich wieder, nickt, doch in ihren Augen ist noch immer etwas Ängstliches. »Du verlierst immer mehr die Kontrolle, Vince. Das wäre dir früher nie passiert.«

Ich schnappe mir das T-Shirt, das ich fallen gelassen habe und ziehe es schnell über den Kopf. Meine Hände zittern noch immer, aber ich bemühe mich, vor ihr beherrscht zu wirken. Doch ich muss hier raus, der Kampf in mir ist noch nicht vorbei. Noch immer schwingt und summt mein Blut, weil es sie will.

»Danke für die Kleidung«, sage ich und nehme meine dreckigen Schuhe in die Hand.

»Vince, bleib. Es ist in Ordnung.«

Ich fliehe, renne die Stufen hoch und aus dem Gebäude.

 

Kapitel 2

 

~Vincent~

 

Täglich nehme ich nun die Tränke. Sie halten mein Blut und meine Magie unter Kontrolle. Meine Gefühle zwar nicht, aber es ist besser geworden. Immer wieder versichert mir Isabell, dass sie mir nicht böse ist. Auch die anderen reagieren normal auf mich.

Mit Eric ist dies schwieriger. Ich weiß nicht, was es ist, warum ich so sauer auf ihn bin. Weil ausgerechnet er es war, der mich aufgehalten hat? Oder weil er mir einen Spiegel vorhält?

Der Rat tagt, es sind fast alle anwesend: Ana und Jeanne, wobei Ana auf Richards Stuhl sitzt. Adrian ist ebenfalls anwesend, neben ihm Caspian und Isabell. Ihnen gegenüber Lady Areni und die Hexe Alice, daneben der Zwerg Askot und der Gnom Asur. Eric und Flynn sitzen zusammen und Rachel bei mir, obwohl Stühle zwischen ihr und den anderen frei sind.

Die Engel glänzen immer noch mit Abwesenheit. Das ist mir nur recht. Ich bin gerade erst seit zwei Tagen wieder offiziell beim Rat und habe wenig Lust, die Macht der Tränke herauszufordern.

Hoffentlich bleiben sie für immer weg.

Mein Blick fällt auf Rachel, die mich besorgt mustert, auch Eric sieht ständig her. Mir fällt auf, dass Rachel die letzten Tage nie direkt neben mir saß, heute aber ließ sie sich ohne Kommentar auf dem Stuhl, der mir am nächsten ist, nieder. Eric sitzt auch näher zu mir als die Tage zuvor. Misstrauisch beobachte ich die beiden, denn sie werfen sich viel öfter als sonst Blicke zu, wissende fast.

Irgendetwas ist hier doch faul.

Als ein Rauschen die Halle erfüllt, weiß ich auch warum. Hinter Ana an der Wand öffnet sich ein Portal. Der Strudel ist silbrig mit einem Stich golden darin, was nur eins bedeuten kann: Engel!

Sofort bin ich auf den Beinen, umklammere die Ränder des Tisches so fest, dass meine Knöchel weiß hervortreten. Auch Rachel ist aufgesprungen, Eric und Flynn ebenfalls, wobei sie noch ein Stück näher an mich heranrücken. Jetzt weiß ich auch, was das sollte.

Raphael tritt in den typischen schwarzen Nietenklamotten heraus, ein Schwert an der Hüfte; das Portal schließt sich. Dass er mich fast gleichgültig aus seinen silbernen Augen ansieht, macht meine Wut nicht besser.

»Was willst du hier?«, zische ich ihn an.

Geräuschvoll schiebt er einen Stuhl zurück und lässt sich nieder, in Anas Nähe. »Ich gehöre diesem Rat an und vertrete Michael.«

Der Tisch bekommt Risse, als er seinen Namen erwähnt. Ich funkle ihn an. »Wieso? Traut er sich nicht selbst her?«

»Er muss sich um seine Geliebte kümmern.« Er betont dies mit purer Absicht, ich sehe es ihm an.

Die Stücke der Tischplatte, die ich umklammere, brechen ab und ich rucke etwas nach unten. Schnell fange ich mich aber wieder und richte mich auf, werfe die Stücke zur Seite.

»Sie könnten ja beide hier aufkreuzen«, erwidere ich und versuche dabei, gelassener zu werden.

»Ein Erzengel und ein Seraphin haben Besseres zu tun, als unter Menschen zu weilen.«

Meine Kiefer aufeinander gepresst stehe ich mit geballten Fäusten da. Aber nicht nur ich werfe ihm einen bösen Blick zu, auch die anderen wirken mehr als verstimmt.

»Du kannst auch gerne wieder verschwinden. Wir brauchen euch hier nicht«, sage ich zu ihm.

»Das sehe ich nicht so«, entgegnet er, wieder viel zu ruhig. »Ihr habt nach Monaten die Situation in den Städten noch immer nicht im Griff. Wir bezweifeln sehr stark, dass ihr dieses Mal den Schaden beheben könnt.«

Ana mischt sich ein, beugt sich vor und sieht Raphael eindringlich an. »Wir werden die Lage unter unsere Kontrolle bringen, wie wir es immer tun. Es dauert dieses Mal einfach nur länger.«

Fast herablassend sieht er sie an. »Michael und der Kronrat sehen das nicht so.«

»Gebt uns einfach noch Zeit.«

Ich blicke von einem zum anderen. Sie sehen sich an und ich habe das Gefühl, dass es hier um mehr geht. Aber ich weiß nicht was. Langsam lasse ich mich wieder auf dem Stuhl nieder und beobachte sie.

»Wir werden euch erst einmal zur Unterstützung neue Engel schicken.«

»Neue Engel?«, fährt Askot auf einmal auf. »Die sind ja wie Rehe auf der Lichtung, grün hinter den Ohren und noch nicht mal mit richtigen Flügeln.«

Er hat recht. Neue Engel sind erst frisch dazu berufen worden, haben noch keinerlei Erfahrung und noch keine richtigen Flügel, die ihnen ihre Macht verleihen. Wieso sollten sie sie zu uns schicken, wenn sie uns helfen wollten? Was ist hier los, verdammt?

»Ihr könntet uns was Mächtigeres runter schicken, meint ihr nicht?« Fragend sehe ich in die Runde; verhaltenes Nicken.

»Du bist nicht Großmeister dieses Rates, also hast du nicht darüber zu entscheiden«, mischt sich nun Jeanne ein, wendet sich dann an Raphael. »Wir werden euer Angebot natürlich sehr gerne annehmen.«

»Dies war kein Angebot.«

Jeanne wirkt irritiert, auch Ana, aber sie hat sich wesentlich schneller im Griff, lächelt und faltet die Hände. »Wir werden auch in weiterer Zukunft mit den Engeln zusammenarbeiten«, sie wirft mir kurz einen Blick zu, »egal, welche Differenzen bestehen mögen.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust, lehne mich zurück und beobachte Raphael genau.

Er lächelt nicht, blinzelt nicht und verzieht keine Miene als er sagt: »Ihr habt auch keine andere Wahl.«

Ein Raunen geht durch den Raum, doch niemand sagt etwas dazu.

Dann steht er ohne ein weiteres Wort auf, das Portal erscheint wieder. Doch bevor er geht, wendet er sich an mich. »Auch wenn du meinst, du seist uns gewachsen, weil du eine Macht in dir birgst, die wir nicht kennen, irrst du dich. Wir sind älter und mächtiger als die Zeit.«

Ich kann es nicht lassen, beuge mich kurz vor und ziehe meinen Dolch aus dem Stiefel, lehne mich demonstrativ wieder nach hinten und fahre mit der Hand über die Klinge – er reagiert sofort und wächst an. Als ich Raphael angrinse, sehe ich einen Funken Panik in seinen Augen. Das genügt mir. Auch sein schnelles Verschwinden im Strudel ist mir Antwort genug. Dieser Dolch ist echt. Und sie fürchten ihn. Erst recht, weil er in meinen Händen ist.

 

Eigentlich sollte ich nun ruhiger schlafen, doch das Gegenteil ist der Fall. Da sie meine Drohung verstanden haben, werden sie mit Sicherheit versuchen, mir auf irgendeine Art den Dolch wegzunehmen. Auch wenn Rachel und Isabell dafür gesorgt haben, dass jedweder Schutz um meinen Turm vorhanden ist, bezweifle ich, dass es was gegen Engel bringt. Aber sie werden mich nicht hier und nicht so offen angreifen. Auch wenn sie uns angeblich überlegen sind, wie sie es so gerne betonen, werden sie einen Streit nicht riskieren, einen Riss in dem Vertrag, an den auch sie gebunden sind.

Da kommt mir etwas in den Sinn: Haben auch die Engel diesen Vertrag unterschrieben? Habe ich Engelsblut in mir?

Mit diesem Gedanken ziehe ich mich an; es ist noch dunkel draußen, aber ich brauche frische Luft in meinen Lungen.

Ich laufe meine übliche Runde, mein Körper dankt es mir. Die Luft ist frisch und rein, alles ist still. Aus dem Wald dringt seit gestern kein Jaulen mehr. Wir haben endgültig unsere Ruhe. Mit Sicherheit treiben sich ab und zu Spione im Wald herum, aber die sind schnell vertrieben.

 

Raphael hat seine Worte wahr gemacht und schon am nächsten Tag fünf frische Engel geschickt. Leider fehlt es ihnen an allem, am meisten aber an Erfahrung mit Dämonen.

Heute werden wir unseren ersten Einsatz mit ihnen haben und ich darf es leiten. Gut, ich wollte es so. Denn ich will sie im Auge behalten. Ich traue ihnen nicht. An der Sache stinkt etwas gewaltig, ich weiß nur noch nicht was.

Ich treffe Marak an der Cafeteria. Er wirkt bedrückt, daher bleibe ich stehen.

»Na Marak, alles okay bei dir?«

Er grummelt und faucht auf einmal los und zeigt mir die Zähne, gestikuliert wie wild, was irgendwie sehr lustig aussieht, wären da nicht seine bösen Augen und die spitzen Zähne. Als er auf mich zukommt und weiter keift, hebe ich eine Hand und bedeute ihm, runterzukommen.

»Wuuh, ganz ruhig, Marak. Über was regst du dich denn so auf?«

Seine Antwort bekomme ich nicht mehr mit, denn ein lauter Signalton schrillt von meinem Turm her über das Gelände. Eins muss man lassen, Rachels magische Alarmanlage funktioniert tadellos, die ganze Uni bekommt den Einbruch mit.

Ich bin schon auf dem Weg und stürme ins Atrium hinein. Die Tür zu meinem Turm ist noch immer verschlossen, hier ist der Eindringling also nicht rein. Schnell bin ich die Stufen nach oben, aber es ist niemand da. Viele Möglichkeiten gibt es bei mir ja nicht, sich zu verstecken. Gerade komme ich von meinem Trainingsraum hinunter, als mein Nacken kribbelt. In meinem Schlafzimmer ist niemand. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass mich jemand beobachtet. Ein Déjà-vu beschleicht mich, denn ich kenne das Gefühl. Ich hatte es an den Abenden, als ich mit Mia trainiert hatte. Und was hatte sie gesagt? Sie war hier gewesen.

»Mia?«, frage ich in die Stille.

Ich versuche, etwas zu erkennen, aber ich weiß, dass dies unmöglich ist. Sie würde etwas sehen, ich kann es nicht, konnte es nie.

Ein Schauer überläuft mich, mein Herz rast und ich glaube, Pfirsichduft wahrzunehmen. In meinem Herzen reißt es, als würde jemand beide Enden packen und ziehen. Meine Sehnsucht nach ihr steckt mir in der Kehle; ich schlucke hart. Fast habe ich das Gefühl von Wärme auf meiner Haut. Doch dann ist das alles schlagartig verschwunden.

Mia …

Ob sie es wirklich war?

Ich sinke kraftlos auf den Rand des Bettes, reibe mir mit Daumen und Zeigefinger den Übergang von Nase zur Stirn, kämpfe diese schmerzenden Empfindungen weg.

Wie sollte sie das gewesen sein? Sie ist fort, in der Engelsdimension. Okay, wenn sie wollte, könnte sie diese wahrscheinlich auch verlassen, schließlich kann sie ihre eigenen Portale schaffen, kann reisen wie sie will. Aber wieso sollte sie wieder hierherkommen? Sie ist gegangen, hat mich verlassen. Verlassen …

Die Wut kehrt zurück, die Leichtigkeit des Laufens ist schon längst verflogen. Und meine Wut gilt auch ihr. Ich bin wütend auf sie, weil sie uns weggeworfen hat. Dass sie sich so von Michael hat beeinflussen lassen. Denn wenn die Verbindung wirklich wie die von Eric und mir ist, dann kann sie noch immer selbst fühlen, oder nicht?

Vielleicht konnte sie es einfach nicht unterscheiden, versuche ich mir selbst einzureden.

Ich reibe mir mit Zeigefinger und Daumen über die Augen, presse sie dagegen, bevor die Tränen sich heraus kämpfen.

Ist es denn verwunderlich, dass sie ging?, fragt eine Stimme in mir. Es ist doch völlig normal, dass alle gehen, die mir was bedeuten. Deswegen habe ich doch nie jemanden an mich herangelassen.

Nein, das ist Unsinn. Das würde sie nie tun. Sie ist nicht wie andere, widerspricht eine andere.

Aber wo ist sie jetzt? Nicht hier.

Langsam kriecht die Verzweiflung in mir empor, der Schmerz kehrt zurück, meine Gefühle wollen raus. Die Magie kocht hoch und will meine Sinne übermannen. Die Qual mit heißer Wut überdecken.

Schnell stehe ich auf und eile nach unten. Auf der Couch liegen noch Fläschchen, ich entkorke eins und stürze es hinunter. Augenblicklich werden mit meiner Magie meine Gefühle stumpfsinniger, die neue Formel von Caspian wirkt. Unterschwellig brodeln sie, das weiß ich. Aber ich muss konzentriert sein für die Mission. Ich kann es mir nicht leisten, von Gefühlen beeinflusst zu werden. Wenn ich mehr über das Vorhaben der Engel erfahren möchte, muss ich mich gut mit ihnen stellen, mit den frischen Engeln. Denn ihre Unerfahrenheit kann mir von Nutzen sein.

 

Wenn man unsere Truppe so ansieht, könnte man meinen, wir wären junge Menschen, die einfach einen passenden Ort zum Feiern suchen. Vielleicht den nächsten Gothic-Schuppen? Wir sehen düster, aber erheitert aus. Was nicht wenig an den frischen Engeln liegt, denn diese benehmen sich wirklich so. Typische schwarze Nietenkleidung, vollkommen unterschiedliche Typen vom Aussehen her. Zwei weibliche von ihnen sehen nicht älter als wir aus, wohingegen vier davon unsere Väter sein könnten. Dennoch teilen sie alle dasselbe Verhalten, weisen sich gegenseitig auf verschiedene ganz einfach Dinge hin, wie Hot-Dog-Verkäufer, Taxifahrer, Bars und Menschen, die ganz normale Dinge tun.

»Was sind die so aufgekratzt?«, grummele ich mehr zu mir selbst.

Flynn der neben mir geht, wirft einen Blick über die Schulter und dann zu mir. »Sie waren ewig in diesem Engelreich eingesperrt, haben vielleicht einfach vergessen, was Leben heißt.« Er sieht mich an. »Würde mich nicht wundern, wenn denen jeglicher Spaß verwehrt wird.«

Mein Gesicht verdüstert sich, ich starre vor mich und kämpfe gegen meine Gedanken an.

»Du denkst an Mia, hab ich recht?«, fragt Flynn; ich gebe darauf keine Antwort. »Weißt du, auch wenn ich es nicht gerne sage, sie ist fort und du musst lernen, damit zu leben. Wenn das Training nur halb so ist, wie man hört …«

Nun hat er meine volle Aufmerksamkeit. »Was weißt du darüber?«

Er weicht meinem Blick aus und winkt ab. »Vergiss einfach, dass ich was gesagt habe.« Mit raschem Schritt will er weiterlaufen, doch ich halte ihn am Arm auf; die Engel bleiben einige Schritte von uns entfernt stehen.

»Sag mir, was du darüber weißt. Was geschieht dort?«

»Du willst etwas von mir wissen?« Flynn lacht und ich weiß, dass er wieder nur ablenken will. »Du bist doch der, der alle Bücher verschlungen hat.«

Als ich ihn noch immer nicht loslasse und eindringlich ansehe, seufzt er.

»Na gut. Aber lass uns irgendwo was trinken. Wir haben noch die ganze Nacht vor uns und meine Kehle ist trocken.«

»Wenn du nur wieder ablenken willst …«

»Nein, ich will einfach nur was trinken. Außerdem«, er sieht wieder zu den Frischlingen, »können die das auch brauchen.«

 

Wenig später sitzen wir wirklich in einem Schuppen, in einer der hinteren Sitzgruppen, tief drinnen in der Bar und weit weg von der Tür und den übrigen Gästen. Den frischen Engeln scheint dies nichts auszumachen. Sie trinken und lachen, sind außer Rand und Band. Doch ich lasse sie, vielleicht gewinne ich so ihr Vertrauen und kann herausfinden, was vor sich geht.

Flynn bekommt ein Bier vor sich gestellt, er nimmt sich einen kräftigen Zug. Vor mir steht nur ein Glas Wasser. Keine Ahnung, wie Alkohol mit den Tränken harmoniert.

»Also?«, beginne ich. »Was weißt du darüber?«

Er sieht mich über das Glas hinweg an, nimmt noch einen Schluck und stellt es dann auf den Untersetzer ab, seine Hand ruht noch am Henkel. »Hör zu, Vince …« Seine Miene sieht aus, als quäle es ihn richtig, mit mir darüber zu reden. »Ich kann in etwa nachfühlen, wie es dir geht. Zumindest im Ansatz.«

»Weswegen solltest du das können?«

»Du musst wissen, ich bin kein Einzelkind.«

Neugierig sehe ich ihn unverwandt an, er starrt auf sein Bier und sieht zu, wie die Schaumhaube kleiner wird.

»Ich hab nicht nur einfach einen Bruder, nein, ich habe einen Zwillingsbruder, um genau zu sein.«

»Das wusste ich nicht. Wie kommt es, dass du hier bist und er nie auf der Uni war, wenn ihr Zwillinge seid?«

Er sieht mich an. »Weil er sich dazu entschied, sein menschliches Leben hinter sich zu lassen.«

Eine Weile denke ich über diese Worte nach, ohne wirklich zu verstehen.

»Auch unsere Eltern wurden schon früh von Schattenwesen getötet, daher standen wir uns näher als sonst jemandem. Wir streiften lange zusammen über die Straße, damit man uns nicht trennte. Wir suchten nach den Wesen und kamen der Wahrheit verdammt nahe, stellten und kämpften sogar mit einigen: Vampyren, Lykanern, Halbdämonen, Todesfeen, Wendigos, mit so einigen. Wir machten uns sogar einen Namen. Selbst für Menschen waren wir die Monsterjäger schlechthin, obwohl wir noch nicht einmal volljährig waren. Als ein Engel auftauchte, um unsere Erinnerung zu löschen, die magische Gemeinschaft vor der Entdeckung zu wahren«, seine Stimme wird eisig, »vernebelte er meinem Bruder so den Verstand, dass er sich entschied, lieber mit ihm zu gehen und angeblich richtig gegen das Böse vorzugehen, als wir es gemeinsam könnten.«

»Hast du ihn je wiedergesehen?«

»Es ist strengstens verboten …« Er sieht wieder auf seine Hände, die beide das Bierglas umklammern. »Aber ja, das hab ich. Er hatte es geschafft, während einer Mission, sich abzusetzen, um mich zu besuchen. Er erzählte mir eine Menge.« Sein Blick wird so hart wie seine Stimme. »Sie setzen dich deinen schlimmsten Ängsten aus, Tag für Tag, zwingen jede Emotion in dir hoch«, er sieht mich wieder an, »und töten sie ab.«

»Wie bitte?«

»Jedes irdische Gefühl, das mit Menschen verbunden ist, versuchen sie an der Wurzel auszulöschen.«

»Und was heißt das?«, frage ich.

Flynn stürzt sein Bier hinunter und sieht zu den Frischlingen. »Was ich eben gesagt habe«, beginnt er wieder, »trifft nicht ganz zu. Sie haben dies nicht einfach nur lange nicht mehr gesehen.«

Auch mein Blick schweift über die Gesichter, sie wirken so unbedarft wie Teenager.

»Sie erleben das alles zum ersten Mal.«

»Aber das ist unmöglich«, werfe ich ein. »Außer …« Ich erstarre, Flynn nickt.

»Wer seine Erinnerungen und Gefühlserfahrungen, so will ich es mal nennen, nicht durch den Tod verliert, wird dies spätestens dann.«

Flynn winkt die Bedienung heran, bestellt sich noch eins, ich nehme nun doch auch was Härteres. Wir schweigen, bis wir unsere Getränke haben; die frischen Engel lachen, ihre Wangen sind schon leicht gerötet. Mein Glas ist leer, ehe die Bedienung wieder verschwunden ist und ich bestelle das nächste.

»Wie hat er es geschafft, diesem zu entgehen?«, frage ich, nachdem ich an meinem zweiten Glas genippt habe.

Seine Augen strahlen so viel Traurigkeit aus, wie ich es noch nie an ihm gesehen habe.

»Gar nicht. Als ich ihn irgendwann, nach Jahren, wiedersah, erinnerte er sich nicht mehr an mich.« Seine Augen wirken einen Moment mehr als glasig, und er wendet den Blick ab. »Ich sehe noch seine verwirrten Augen vor mir, als er mit Ceres damals, wegen einer dringenden Angelegenheit, Hilfe von Wächtern benötigte. Ich wurde gerade frisch zu einem ernannt.«

»Du hast mir nie davon erzählt.«

Sein Lächeln misslingt, das er versucht, als er mich wieder ansieht. »Was hätte das gebracht? Helfen konntest du mir sowieso nicht.«

»Bist du deswegen aus dem aktiven Dienst?« Ich nehme einen Schluck, er ebenfalls, wischt sich den Schaum von den Lippen.

---ENDE DER LESEPROBE---