Spiel der Mächte: Wächter - Zara Kent - E-Book

Spiel der Mächte: Wächter E-Book

Zara Kent

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Beschreibung

Ihre Flucht führt Mia und Vince zu den freien Wächtern. Eine Gruppierung von Magiebegabten unter dem Leiter Caspian Croft, die sich von Richard Wanclear losgesagt haben. Doch das Auftauchen von Mia und Vince bringt viele Probleme mit sich. Die gesamte magische Gesellschaft sucht nach der Zeitmeisterin und Richard Wanclear nach seinem Sohn. Darüber hinaus entdeckt Mia weitere Seiten ihrer Macht, die sie aber ein ums andere Mal in Gefahr bringen. Und aus dem stets als magielos bekannten Vince drängt immer stärker etwas hervor, das nicht nur ihn verändert – und zusehends außer Kontrolle gerät.

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HYBRID VERLAG

Ebookausgabe

06/2020

 

 

© by Zara Kent

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Lektorat: Paul Lung

Korrektorat: Monika Ruf

Buchsatz: Paul Lung

Autorenfoto: privat

 

 

Coverbild ›Woodtalker‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Halbwesen‹

© 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Zwei Welten‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Modellfoto © Fotograf Exxpression Homburg

Coverbild ›Myzel‹

© 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Spiel der Mächte - Erwachen‹

© 2019 Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

 

ISBN 978-3-96741-039-6

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

 

Zara Kent

 

 

Spiel der Mächte

 

Wächter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

 

 

 

Für David

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Prolog5

16

215

322

429

536

640

749

855

964

1070

1172

1283

1393

1497

15100

16103

17111

18119

19127

20129

21134

22143

23147

24149

25152

26159

Danksagung und Nachwort169

DIE AUTORIN170

Weitere Bücher der Autorin171

Prolog

~Mia~

 

Ich habe mich nie für besonders mutig gehalten. Meine Kraft, Dinge zu sehen, die andere nicht sehen, Farbschleier und Leuchten, Wellen und Risse, die einfach so in einem Raum schwach schimmern, ängstigten mich schon als Kind nicht mehr wirklich. Okay, außer diesen goldenen … und die Stimme, die dazu gehört. Ansonsten war es für mich irgendwie normal. Ja, bis ich anfing, anderen davon zu erzählen. Meine Kindergärtnerin hatte meinen Eltern empfohlen, mich zu einem Psychiater zu bringen, da sie glaubten, es läge an meinem Kopf. Doch sie weigerten sich, sagten, es wäre wie mit einem Fantasiefreund, dies würde sich mit der Zeit geben. Das tat es aber nicht. Es wurde schlimmer. Denn diese Lichter zogen mich magisch an, ich spielte mit den Rissen, dehnte sie aus und zog sie wieder zusammen. Dahinter erblickte ich so manche Welt, mir fremde Orte. Panik bekamen meine Eltern aber erst richtig, als ich ihnen eine Blume aus einem Riss pflückte. Vielleicht wussten sie schon damals, dass es sowas wie Magie und solche Dinge gab. Ich konnte sie nie danach fragen …

Selbst als mich Magnus fand und er mir erklärte, was ich bin, was neben unserer Welt alles existiert, fühlte ich mich nie als etwas Besonderes. Ich war nur ein Mädchen, das Dinge sah und damit tun konnte, was sie wollte. Naja, eher empfand ich mich als Freak. Mein ›zweiter Blick‹, wie Magnus es nannte, kam nach und nach. Eines Tages fragte ich ihn, was die dunklen Risse in seiner Aura zu bedeuten hätten. Er war erst misstrauisch, dann panisch, als er erkannte, was ich da sah. Schon am nächsten Tag sah ich nichts mehr in ihm, als wäre seine Aura einfach verschwunden, zumindest öfter. Anfangs verstand ich auch das nicht. Doch heute weiß ich, dass es Tränke gibt, die blockieren, abschirmen und töten können. Eigentlich gibt es für alles Mögliche Tränke, selbst welche, die einen gefügiger werden lassen. Leider gibt es die für Gefühle nicht. Auch keine der zahlreichen Runen, die ich gelernt und versucht habe, unterdrücken diese.

Denn als ich in die Uni kam und ihn das erste Mal sah, hätte ich den einen oder anderen manchmal gerne getrunken. Ich sah sein Licht unter der Decke so hell und bunt leuchten, dass es mich im ersten Moment erschreckte. Aber seine Ausstrahlung zog mich in den Bann und von da an fiel es mir zusehends schwieriger, mich wie früher ängstlich zurück zu ziehen. Ich wollte es nicht mehr. Hier bekam ich eine Chance, die zu sein, die ich bin. Nicht das fantasierende Kind, nicht die verrückte Außenseiterin im Heim oder die kleine Prinzessin, die beschützt und behütet werden muss.

Mein Aussehen verleitet die Menschen dazu, mich nicht als das zu sehen was ich bin. So war es schon immer. Selbst er … Doch ich wollte, dass er mich so sah, wie ich bin. Dafür überwand ich meine Ängste, wurde stärker, nur damit er mich sah. Und damit andere mich sahen …

 

 

1

 

~Mia~

 

Nun sehen mich zu viele und ich würde alles darum geben, mich wieder zurückziehen zu können. Zu flüchten, wie ein ängstliches Mädchen. Aber seine Hand in meiner gibt mir mehr Kraft und Mut, als ich je geglaubt habe, zu besitzen.

Ich halte sie fest in meiner, blicke in die finsteren Gesichter um uns herum und flüstere Vince zu: »Wer sind sie?«

»Das«, erklärt er mir und ich höre in seiner Stimme, wie angespannt er ist, »sind abtrünnige Wächter.«

Abtrünnige Wächter? Ich sehe sie mir genauer an und erkenne wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit den Anwärtern und Wächtern, die ich aus der Uni kenne. Doch diese hier sehen viel wilder und gefährlicher aus. Ihre Augen funkeln und blitzen uns regelrecht feindselig an. Die Narben und Verletzungen zeigen, wie viel sie wohl schon gekämpft haben müssen. Und in ihren Auren sehe ich diese Wildheit erst recht. Sie lodern und flammen, wabern und zeigen Energien, wie ich sie selten gesehen habe. Doch je länger ich sie betrachte, desto weniger bedrohlich wirken sie.

Ein dunkelhäutiger Mann, dessen linkes Ohr fehlt, tritt aus der Menge. Er wirkt auf den ersten Blick fast schon normal, aber durch sein ärmelloses Shirt kann ich die trainierten Arme sehen. Die Muskeln zeichnen sich noch deutlicher ab, als er die Arme fest vor der Brust verschränkt. Er muss wesentlich älter sein als die übrigen, denn seine Haare zeigen einen grauen Ansatz, selbst sein spärlicher Bart ist grau meliert.

»Der legendäre Vincent Wanclear. Ich hab mich schon gefragt, wann du wohl hier auftauchen würdest.« Seine Stimme ist tief und rau, aber er klingt weder feindselig noch freundlich.

»Wir sind auf der Durchreise und haben nicht die Absicht, lange bei euch zu verweilen«, erwidert Vince. Er richtet sich auf und schiebt mich hinter sich.

Der Mann mit nur einem Ohr wirft mir einen Blick zu, mustert mich, so wie alle anderen, wendet sich aber wieder Vince zu.

»Nur auf der Durchreise, hört, hört. Er will nicht bei uns verweilen«, wiederholt er spöttisch, dabei breitet er die Arme aus und schaut kurz in die Gesichter der anderen, lacht mit seiner rauen Stimme auf. Er tritt dicht vor Vince und sieht ihm in die Augen. »Das ist aber zu schade, wo dein Vater mich doch so sehr hasst.«

Ich sehe von ihm zu Vince, der seine Kiefer aufeinander presst und ihn finster anblickt. »Da bist du nicht der einzige.«

Der Mann legt seinen Kopf schräg und grinst. »Ach was, hat er nun endgültig seinen magielosen Jungen verstoßen?«

Vince ballt seine Hände zu Fäusten, bleibt aber ruhig stehen.

»Vielleicht bist du aber auch nur hier, um zu schnüffeln.« Sein Blick fixiert Vince, sie starren sich einen Moment nur an. Ein Moment, erfüllt von regelrechter Elektrizität, einer Spannung. Wie kurz vor einem Gewitter.

Am liebsten würde ich wieder seine Hand fassen. Denn irgendwie klammert sich doch erneut Angst um meine Brust wie ein Schraubstock und das Atmen fällt mir zusehends schwerer. Dabei war ich doch auf dem Weg, mutig zu sein. Und auch wenn die Auren nicht bedrohlich sind, bin ich mir nicht sicher, ob wir hier sein sollten.

Wieso hat uns Rachel hierher gebracht, wenn sie nicht unsere Freunde sind?

»Red keinen Unsinn, Grady. Du weißt so gut wie ich, dass er der Einzige ist, der Richard schon immer die Stirn bietet.«

Ich erkenne die Stimme, glaube aber nicht, was ich nun sehe. Auch Vince wirkt ernsthaft überrascht. »Eric? Was machst du hier?«

Der dunkelhäutige Halb-Incubus kommt auf uns zu und Grady tritt, wieder die Arme verschränkend, zur Seite, behält uns aber im Auge.

»Ihr anderen könnt ruhig gehen«, meint Eric und macht eine Handbewegung. Doch die Angesprochenen sehen zu Grady, dem Ein-Ohr, und erst als dieser nickt, löst sich der Kreis um uns herum auf und gibt vollends den Blick auf die Halle frei, in der wir gelandet sind. Wir scheinen inmitten eines, nun ja, Gemeinschaftsraums gelandet zu sein. So etwas soll es wohl darstellen. Wir sind in einer großen, lang gestreckten und hohen Halle. Um uns herum stehen im Kreis Sessel und Sofas, allesamt abgewetzt und gebraucht, Metalltonnen dienen als Tische und Stühle. Lichterketten hängen auf Stangen kreuz und quer über der Einrichtung. Ich kann erkennen, dass die Halle rechts noch weiter geht, aber der Bereich ist mit verschiedenfarbigen Stoffen, die wohl als Vorhang dienen sollen, abgetrennt. Links von uns erstrecken sich Tische und Stühle bis zur Wand, an der eine kleine Kochnische zu existieren scheint, denn von dort steigt Dampf aus Töpfen auf.

Mehr sehe ich nicht, Grady versperrt mir die Sicht. Wohl aus Absicht, denn er sieht mich direkt an, den Kopf etwas schief gelegt und die Arme verschränkt. Dies alles habe ich in wenigen Sekunden aufgenommen, noch bevor irgendjemand erneut geredet hat. Es fällt mir leicht, eine Umgebung komplett wahrzunehmen und das schneller als den meisten.

»Ich schätze Rachel hat euch hergebracht«, meint Eric.

Noch immer wirkt Vince wie erstarrt, daher trete ich neben ihn und nicke Eric zu.

»Wieso sollte Rachel das tun?«, fragt Grady misstrauisch.

Erics Blick huscht kurz zu mir, dann wieder zu Vince. »Ich vermute, wieso, doch lass uns das woanders besprechen. – Nicht böse gemeint Grady, ich mag deine Leute, aber sie sind Plaudertaschen.« Er schenkt dem muskulösen Mann ein aufsässiges Grinsen.

Grimmig nickt Grady und führt uns durch den provisorischen Vorhang. Wir laufen an mal mehr, mal weniger großen, mit Decken und Vorhängen abgetrennten Bereichen vorbei.

»Das sind unsere Zimmer momentan«, erklärt Eric im Plauderton. »Es ist zwar keine Luxussuite, aber so hat jeder wenigstens etwas Privatsphäre, bis wir wieder im Hauptquartier sind.«

Neugierig beäuge ich die einzelnen Zimmer. Manche Vorhänge sind zur Seite gezogen und zeigen meist nur Matratzen, auf denen Decken liegen, kleine Kisten, Schüsseln mit Waschlappen. Auch hier hängen Lichterketten über jedem Pfosten und den gesamten Flur entlang. Auf dem kalten Steinboden liegen unzählige Läufer.

Vince fasst meine Hand und sieht mich an. Er wirkt zwar weniger besorgt wie eben, aber dennoch kann ich seine Anspannung deutlich spüren. Er sorgt sich um mich – wie immer. Ständig scheint er von einer Angst getrieben zu sein, obwohl er dann immer mutig handelt, sobald es darauf ankommt. Dieser krasse Gegensatz scheint schlimmer zu sein, als es bei mir der Fall ist. Oder kommt mir das nur so vor?

Am Ende treten wir wieder durch einen Vorhang und erst jetzt sehe ich die Treppe an der Wand, die nach oben zu einer Tür führt. Wir müssen in einer verlassenen Lagerhalle sein, vielleicht aber auch einer Fabrik. Denn der Raum, den wir über diese Treppe erreichen und nun betreten, sieht aus wie ein Büro. Alle Möbel wirken zusammengetragen, was sie wohl auch sind. Abgewetzt und eher so, als fehlte der nötige Leim, um sie zusammen zu halten. Durch eine Fensterfront, direkt neben der Tür, kann man die ganze Halle überblicken. Grady setzt sich an einen Schreibtisch und legt die Füße auf den Tisch, dabei lehnt er sich gemütlich in seinem Stuhl zurück. Eric stellt sich in einem gewissen Abstand neben ihn und bedeutet uns, auf den zwei Stühlen davor Platz zu nehmen.

Doch Vince bleibt stehen und sieht seinen Freund noch immer mit einem Blick aus Verwirrtheit, Misstrauen und ein klein wenig Feindseligkeit an.

Dieser grinst wieder. »Jetzt setz dich schon, Vince. Hier tut ihr niemand etwas.«

Dass Vince wegen mir so abweisend ist, wird mir erst jetzt klar. Er wechselt einen Blick mit Grady, sieht dann wieder zu Eric und bleibt dennoch stehen.

»Gut, wie du willst, dann nicht«, seufzt Eric. »Ich weiß, es muss verwirrend sein, mich hier zu sehen.«

»Verwirrend trifft es nicht ganz«, gibt Vince zu. »Du solltest dich eigentlich auf einer Mission im Norden befinden. Was ist daraus geworden?«

»Offiziell bin ich das auch, obwohl auch deinem Vater mittlerweile bewusst sein muss, dass ich dort nie angekommen bin. Er misstraut mir bereits seit der letzten Mission in Texas. – Nicht ganz ohne Grund, muss ich zugeben«, fügt er hinzu, lehnt sich dann an das Regal neben dem Tisch.

»Wie man sieht.«

Erics Lockerheit ist verflogen, sein Gesicht ernst. »In Texas wurde mir klar, wie er nach und nach alle Wächter verheizt, nur um irgendetwas zu schützen, von dem keiner eine Ahnung hat, was es ist. Und dabei riskiert, dass wir alle abgeschlachtet werden. Denn laut des Bündnisses dürfen wir keinen Vampir oder Werwolf töten. Doch genau die kamen uns dort in die Quere. Nicht die Vampyre, Lykaner oder Dämonen. Es waren Wesen, mit denen wir den Vertrag haben, Vince.«

Er hat es geschafft, seine volle Aufmerksamkeit zu erlangen, denn Vince bemerkt nicht, dass ich einen Schritt zur Seite wage, um mir ein Bild anzusehen, welches auf dem Sideboard links von ihnen steht. Dort sehe ich Grady und ein kleines Mädchen mit roten Haaren. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor.

»Was hast du in Texas wirklich gemacht?«, fragt Vince, ohne meine Bewegung zu bemerken. »Ich dachte, wir waren dort, weil sich zu viele Dämonen zusammentun würden.«

»Wir waren Kanonenfutter, ein Ablenkungsmanöver. Wir sollten sie erst dorthin führen.«

Nun sehe ich Eric an, denn seine warme Stimme ist einer kalten gewichen. Vince starrt seinen Freund an und ich sehe, wie es in einem Kopf rattert. Er versucht, die Puzzlestücke zusammenzusetzen.

»Leider war ich zu unvorsichtig«, erklärt Eric weiter. »Ich habe deinen Vater gradeheraus gefragt, warum er uns augenscheinlich aus falschen Gründen dorthin schickt. Seitdem war er nicht mehr geneigt, mich irgendwie mit wichtigen Dingen zu beauftragen. Nein, er wollte mich sogar nach Norden schicken, zu einer ganzen Horde von Vampyren, die angeblich ein Dorf nach dem anderen abschlachteten und den Nachtmonat in Alaska dazu ausnutzten. Es war ein Selbstmordkommando, und das wusste er.« Bitterkeit schwimmt in jedem Wort mit. Bitterkeit und unterdrückte Wut. »Wären mir nicht die freien Wächter zur Hilfe gekommen, wäre ich nun tot oder schlimmeres.«

»Freie Wächter?«, frage ich, mich nun von dem Bild abwendend. Sofort tritt Vince näher an mich heran, doch ich weiche ihm etwas aus und setze mich auf einen der Stühle.

»So bezeichnen wir uns«, mischt sich Grady wieder ein. »Wir sind frei von Richard Wanclear und seiner Vorstellung von Friedenswahrung.«

Ich nicke und ignoriere Vinces Blick, der mir sicher sagen soll, dass ich mich klein und im Hintergrund halten soll. Aber weswegen? Es geht hier nicht nur um ihn und Eric.

»Wie du hier gelandet bist, verstehe ich«, richte ich mich an Eric. »Aber was hat Rachel mit dem Ganzen hier zu tun?«

»Sie war es, die die freien Wächter geschickt hat. Als sie mitbekam, was dahinter stand, war sie entsetzt und hat Grady eine Botschaft geschickt.«

»Aber wieso hat sie Kontakt zu …«

»Mir?«, fällt mir Grady ins Wort, nimmt die Füße vom Tisch und steht auf. Er öffnet die Schranktür im Sideboard, auf dem das Bild steht und nimmt einen Flachmann heraus. Fast bedächtig schraubt er den Verschluss ab, nimmt einen Schluck und sieht lange darauf hinab. Fast scheint es, als sei er gerade weit fort und als sehe er etwas, was wir nicht erkennen. »Weil sie meine Nichte ist und das Einzige, was er mir noch nicht gänzlich genommen hat.«

Vince folgt den Blicken des Älteren sieht erst jetzt das Bild und tritt neben Grady, um es sich anzusehen. Auch mir wird nun klar, dass es Rachel in jungen Jahren zeigt – sie hat sich sehr verändert. Die Unschuld in ihren Augen und in ihrer Ausstrahlung ist schon lange erloschen und Kummer muss ihr Gesicht so gezeichnet haben, dass ich sie deswegen nicht direkt erkannt habe. Doch Vince erkennt sie auf Anhieb, natürlich. Er kennt sie schon sehr lange.

Dann fällt mir der Grund auf, warum ich Grady und Rachel nicht direkt in Verbindung gebracht habe.

»Aber Sie sind schwarz«, platzt es mir heraus und ich schäme mich im gleichen Augenblick.

Erst sieht mich der einohrige Mann verdutzt an, dann beginnt er lauthals zu lachen und Eric stimmt mit ein.

Vince hingegen zieht die Augenbraue hoch und schüttelt kaum merklich den Kopf, so als wundere er sich mal wieder, was für ein blödes Zeug ich von mir gebe.

Das passiert mir ständig …

»Sie ist meine angeheiratete Nichte sozusagen. Ich traf ihre Tante bei einer Auslandsmission. Eigentlich komme ich nicht aus der Gegend«, zwinkert er mir nun zu und lässt sich wieder auf seinem Stuhl nieder.

Womöglich hat das Gelächter Vinces Anspannung etwas gelöst, denn er lässt sich neben mir auf den Stuhl sinken. »Deswegen hat sie uns also hierher gebracht«, bemerkt er dann.

Gradys Lächeln verschwindet. »Das kann ich dir nicht beantworten. Denn ich wüsste nicht, wieso sie das tun sollte. Ausgerechnet du und …« Er sieht mich an und ihm scheint nun aufzufallen, dass er keine Ahnung hat, wer ich bin. »… deine kleine Freundin.«

Es macht mich wütend, wie immer, wenn man mich als klein bezeichnet und nur das sieht, was ich von außen zu sein scheine. »Mein Name ist Mia und das klein können Sie sich sparen.«

Vince schmunzelt. Wenn ich geglaubt hatte, Grady wäre nun sauer, habe ich mich getäuscht. Auch seine Lippen umspielt ein Lächeln.

»Ich werd`s mir merken, Mia. Dennoch ändert es nichts daran, dass ich dich nicht kenne und nicht wüsste, weswegen Rachel euch zu mir schickt.«

Vince lehnt sich mit verschränkten Armen zurück und beobachtet uns. Will er nun mir das Reden überlassen, wo er mich vorhin noch am liebsten versteckt hätte?

»Sie sagte, wir würden hier Hilfe bekommen«, sage ich wahrheitsgemäß. »Und ich denke, dass sie damit Recht hat.«

»Denkst du das, ja? Hm, mal sehen …« Er nimmt einen Schluck aus seinem Flachmann und legt dann die Arme vor sich auf den Tisch. Eindringlich sieht er mir in die Augen, dann zu Vince und lehnt sich wieder zurück. »Nein, ich denke nicht.«

Auch ich lehne mich zurück. »Warum? Weil Sie mit Trinken beschäftigt sind?«

Ruckartig fährt er vor und zeigt mit dem Finger auf mich. »Hör zu, Mädchen.« Da ist es schon wieder: Mädchen. »Du hast keine Ahnung, was hier eigentlich läuft. Geh wieder in dein Ponyzimmer und spiele mit deinen Puppen.«

Eigentlich koche ich, weil er auch nur einer der vielen ist, die mich so bezeichnen. Aber dann werde ich ruhig, wie so oft in letzter Zeit. Ich weiß nicht, ob es einfach nur Trotz ist, statt Mut oder dergleichen. Dennoch verschränke auch ich nun die Arme und erwidere seinen Blick. »Doch, ich denke schon. Sie hassen seinen Vater, weil er vermutlich der Grund dafür ist, dass sie nicht mehr bei ihrer Familie sein können. Vielleicht sind sie auch alle schon tot, was als Wächter keine Kunst ist, wohlgemerkt. Und weil sie seinen Vater hassen, weigern Sie sich, uns zu helfen. Obwohl Sie«, dabei zeige ich nun mit dem Finger kurz auf Grady, »keine Ahnung haben, was hier läuft und warum wir hier sind.«

Nicht nur Grady blickt mich sprachlos an, aber es ist mir egal. Sollen sie denken, was sie wollen. Um ihnen nicht in die Gesichter sehen zu müssen, betrachte ich die Wand.

»Grady, sie hat Recht. Rachel hatte sicher gute Gründe weswegen sie die beiden ausgerechnet hierher geschickt hat«, sagt Eric in einem beschwichtigenden Ton.

Noch immer sehe ich nicht hin, sondern höre nur zu.

»Du deutest wieder an, dass du ihre Gründe kennen magst«, zischt Grady. »Spuck’s nun aus.«

»Kennen nicht wirklich, es ist nur eine Vermutung.« Ich spüre deutlich seinen Blick, und will ihn auch gar nicht ansehen, aber ich kann nicht widerstehen. Das erste Mal erkenne ich, was für eindringliche Augen er hat, sie wirken hypnotisch, fast wie bei Vince, wenn sein Vila-Blut beginnt zu kochen. Doch ich kann mich diesem entziehen und sehe zu Vince, der die Kiefer wieder aufeinander gepresst hat. Er grübelt sicher darüber nach, ob man Rachels Onkel trauen kann und wie viel Eric weiß. Plötzlich sieht er mich an und nickt fast unmerklich zu Grady.

Was will er von mir?

Ich sehe zu ihm, dann wieder zu Vince und als er den Kopf zur Seite legt, versteh ich es.

Ich versuche Gradys Aura zu erkennen, als ich wieder zu ihm sehe, aber achte darauf, meinen Kopf gerade zu lassen, was mir noch immer schwer fällt. Seine Aura ist wild und verschwommen, verschiedene Formen kämpfen um ihren Platz aber vereinen sich immer wieder zu dem gleichen Muster; ich muss lächeln. Sie wirkt zwar ziemlich unbestimmt, aber keineswegs feindselig und trotz der kleinen Risse wirkt sie stabil und konstant.

»Richard, und ich glaube die halbe magische Gemeinschaft, hätte mich gerne auf dem Silbertablett«, sage ich dann und offenbare auch Vince, dass mir bewusst ist, was vor der Uni geschehen ist und was auf dem Spiel steht. »Doch ich sehe nicht ein, ein Spielball für ein paar Verrückte zu werden.«

Wieder lacht Grady auf. »Ich fass es nicht. Du bist der Zeitmeister, den sie alle so intensiv suchen.«

Vince wird schlagartig angespannt und ruckt etwas vor, bereit, sich auf jeden zu werfen, der mich anrührt. Doch ich habe keine Angst vor Grady oder seinen Wächtern. Denn mittlerweile weiß ich mich zu behelfen.

Auch Grady entgeht Vinces Haltung nicht und er hebt die Hand. »Keine Angst, ich habe nicht vor, dieses Wissen oder gar sie zu benutzen. Im Gegenteil. Sie hat das Recht zu leben wie alle anderen und niemand anderes hat das Recht, über sie und ihr Leben zu bestimmen. Aber genau das ist es, was dein Vater gerne tut.« Er beugt sich etwas vor und seine Stimme nimmt einen leicht gereizten Ton an. »Was die Wanclears gerne tun.«

Eric tritt einen Schritt näher an den Schreibtisch. »Grady, du weißt genau, dass Vince nicht sein Vater ist. Wäre er sonst mit ihr geflohen? Außerdem kennst du die Geschichten über Vince – und sie sind alle wahr. Du hast mich nicht umsonst so schnell zu deiner rechten Hand erklärt, wenn du mir und meinem Urteil nicht trauen würdest.«

Gradys Blick gleitet zuerst über Eric, dann über mich und Vince. Schließlich atmet er tief durch. »Fürs Erste könnt ihr hier bleiben. Es ist zwar nicht viel, was wir hier haben, aber wenn alles läuft wie geplant, dürften wir in drei Wochen wieder in unseren bequemen Betten des Hauptquartiers liegen.«

»Danke«, sage ich und will aufstehen, als ich bemerke, dass Vince noch immer sitzen bleibt.

Grady liefert sich ein kurzes Blickduell mit ihm und seufzt auf. »Wir werden vor den anderen nicht sagen, weswegen ihr hier seid oder wer sie ist. Sie teilen zwar meine Ansicht, aber wir wollen keine unnötige Unruhe verbreiten. Ist es das, was du hören wolltest?«

Vince nickt und steht nun auf. Eric tritt neben ihn und sagt fröhlich: »Ich zeig euch zwei Verliebten dann mal eure Gemächer.«

Ich muss lächeln, das erste Mal, seit wir hier sind; Vince verdreht nur die Augen.

»Ich kann das förmlich riechen, weißt du?«, meint er an mich gewandt. Er tippt sich an die Nase. »Ich habe ein Näschen für so was, hab ich dir ja schon mal gesagt. Außerdem leuchten Vinces Augen, wenn er dich ansieht. Mehr, als ich es je gesehen habe.« Er zwinkert mir zu und geht vor uns die Treppe hinunter.

Hier oben hat man wirklich einen guten Überblick, denn ich sehe, dass an den Außenwänden noch einmal Flure entlang laufen, die auch zu Zimmern führen. Zu den Rechten, an der Außenwand gelegen, ganz nach hinten bringt er uns, schlägt den Vorhang zur Seite und betritt direkt den ersten Privatbereich, der links gegenüber der Wand liegt.

»Hier seid ihr weitestgehend ungestört. Die nächsten bewohnten Zimmer sind drei Einheiten weiter.« Er schenkt uns ein freches Grinsen und lässt uns ein; dann fällt ihm auf, dass wir kein Gepäck haben. »Ich werde mal sehen, ob ich ein paar passende Klamotten für euch finden kann.« Musternd sieht er uns von oben bis unten an. »Vielleicht sollten wir bald in die Stadt und für euch einkaufen.«

»Wo sind wir eigentlich gelandet?«, frage ich. »Also in welchem Staat … oder Land?«

»Na, so weit sind wir gar nicht entfernt. Zumindest, was das Land betrifft. Genau genommen sind wir in Niagara Falls, in Ontario.«

»Kanada?«

Er lacht. »Kennst du noch ein anderes an der Grenze zu New York und den Fällen? Dann verrat’s mir.«

Ich kann nicht anders, als ihm kurz die Zunge rauszustrecken, obwohl es mehr als kindisch ist.

Vielleicht bin ich doch noch ein Kind.

Noch immer lacht er, zwinkert Vince zu und meint: »Dann lass ich euch erst einmal alleine. Reden können wir auch später noch.« Und schon ist er hinaus und hat den Vorhang zugezogen.

Deutlich hört man ihn draußen rufen und mit anderen lachen. Er hat Recht, wirkliche Privatsphäre ist es nicht, aber besser als nichts. Ich sehe mich um; es ist wie in den anderen Abteilen, die ich gesehen habe. Eine Matratze, eine Kiste mit einer Schüssel darauf und Waschutensilien.

»Wieso nutzen sie nicht wie Rachel Magie, um sich einen Ort zu erschaffen?«, frage ich und sinke auf die Matratze.

Unentschlossen steht Vince da. »Sie wollen sich von den anderen abheben. Außerdem fällt jegliche Magie irgendwann auf. So ist es für sie besser, unentdeckt zu bleiben.«

Ich nicke; nun merke ich den Adrenalin-Abfall erst richtig. Denn alles ging viel zu schnell, um irgendetwas zu spüren. Ich lasse mich nach hinten fallen, schließe meine Augen und bemerke nur mehr am Rand, dass Vince sich neben mich setzt. Er sagt noch etwas, berührt meine Hand, aber ich versinke im Dunkel des Schlafes, völlig erschöpft. Aber sicher fühlend. Ja, hier bin ich sicher. Neben ihm …

 

Als ich wieder aufwache, ist er fort. Ich höre ihn aber vor dem Vorhang mit irgendjemandem reden. Die Decke liegt auf mir, meine Schuhe sind ausgezogen. Mich enger in die Decke kuschelnd, lausche ich auf seine klare Stimme. Er klingt angespannt, fast ist es, als könnte ich seine zusammengepressten Kiefer sehen. »Wir konnten gerade noch fliehen. Ich hab keine Ahnung, was dort vor sich geht, wie es Rachel und den anderen geht.«

»Wenn sie kann, wird sie sich sicher melden. Aber du weißt genau, dass er ihr nichts tun wird«, höre ich Eric sagen.

»Da bin ich mir nicht mehr so sicher.« Vinces Stimme klingt sehr besorgt, und wieder regt sich in mir Eifersucht, obwohl es vollkommener Blödsinn ist. Doch ich kann mich so schwer dagegen wehren.

Eric setzt an zu Reden. »Er braucht sie …« Plötzlich macht er aber eine Pause und seine Stimme nimmt einen anderen Ton an. »Zumindest war es bisher so. Sei mir nicht böse, wenn ich dir nun was sage.« Wieder Pause. Ich sehe es nicht, aber ich kann mir ausmalen, wie Vince nun finster nickt. »Rachel wusste von deiner Magie. Naja, nicht genau was es ist, so wenig wie ich«, fügt er noch schnell hinzu. »Aber sie hat von deinem Vater den Auftrag bekommen, dich deswegen im Auge zu behalten und ihm jede Veränderung zu melden.«

»Weswegen?« Seine Stimme klingt eisig.

Eric schweigt, jemand läuft an ihnen vorüber, während ich die Luft anhalte. »Um sie gegebenenfalls zu blockieren.«

Auch wenn ich es nur höre, weiß ich genau, wie Vince auf Eric zutritt. Nun ist seine Stimme so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann. »Du hast gewusst, dass sie mich manipulieren? Seit wann?«

»Vince, ich weiß es noch nicht lange, wirklich. Und hätte ich eine Ahnung gehabt, was er mit dir macht, ich hätte es dir gesagt. Aber erst kurz bevor ich ging, hat sie mir die Wahrheit gesagt. Sie ist auch dafür verantwortlich, dass die Magie nach und nach in dir erwacht. Nach der Prüfung ließ sie den Trank ausklingen, indem sie dich in den Schlaf versetzte, so sagte sie mir. Aber Richard hat dich mit einem Bann belegt, den er immer wieder erneuert. Sie konnte ihn nicht gänzlich aufheben. Nur abschwächen.«

»Aber weswegen? Was soll das Ganze?« Resignation und Verwirrtheit schwimmen in seiner Stimme mit.

»Ich weiß es nicht. Doch Rachel meinte, er ist abgeschwächt. Du bist nicht mehr gänzlich ohne Magie und du hast die Macht, ihn zu brechen. Sieh, was du in der Prüfung geschafft hast. Das war unglaublich. Sie war fast tot. Keine Heilrune hätte sie retten können.«

Ich presse die Decke enger an mich. Die Bilder der Prüfung sind noch allzu lebendig in mir. Wegen mir konnte er den Bann für einen Moment brechen. Wie mächtig wäre er, wenn der Bann gänzlich fort wäre?

Jemand ruft Eric zum Frühstück.

»Ich weiß, dass es viel verlangt ist, aber wir müssen weiter machen. Die freien Wächter haben einen strikten Zeitplan im Moment. Sie sichern die Gegenden so gut es geht, versuchen, die Reihen zu infiltrieren und herauszufinden, was der Zirkel und Bael vorhat. Ein wenig Geduld, wir werden bald herausfinden, was mit Rachel und den anderen ist. Versucht solange, euch abzulenken. Vielleicht kann ich Grady dazu bewegen, euch für einige Arbeiten hier einzuteilen. Oder dich in die Entscheidungen und Missionen mit einzubinden. Wir können jede Hilfe brauchen.«

Wieder Schweigen. Dann höre ich Eric einige Schritte gehen und innehalten. »Jetzt komm frühstücken! Du kannst sie hier ruhig alleine lassen. Ihr passiert schon nichts. Außerdem scheint sie sich ja gut wehren zu können.«

Ein Schritt, zwei Schritte – er zögert. Seine Sorge um mich berührt mich wirklich. Trotzdem bin ich froh, als er geht.

Auch wenn ich müde bin, mein Körper erschöpft, finde ich keinen Schlaf mehr. Nicht nur Vince macht sich Sorgen um andere. Rina und Darren sind noch dort. Ob es ihnen gut geht? Hat Richard Rina bestraft für das Feuer und die Einmischung? Wurde sie denn damit in Verbindung gebracht? Und Darren, war er auch bei der Auseinandersetzung dabei? Sicher. Er würde Rina nicht alleine kämpfen lassen. Schließlich hat er eine unglaubliche Kraft. Kaum einer hat sie bemerkt, aber ich sehe es jedes Mal, wenn er kämpft. In jeden Schlag oder Tritt, den er führt, legt er Energie, reine Energie, die eine doppelte Härte verursacht. Auch in Waffen kann er diese legen und sie entlädt sich beim Aufprall der Munition oder der Klinge. Es ist unser kleines Geheimnis, was uns zusammengeschweißt hat. Ohne die beiden fühle ich mich schon ein wenig leerer. Vince ist mir wichtig, so wichtig wie kein anderer Mensch. Aber die beiden gehören ebenfalls in mein Leben. Es darf ihnen nichts passiert sein. Flynn hat versprochen, auf sie Acht zu geben. Und das tut er mit Sicherheit.

Aber das kann er nicht ständig, sagt eine andere Stimme in mir. Wenn wirklich ein ernsthafter Krieg mit Lykanern und Vampyren anbricht, wird jeder kämpfen bis zum Tod. Und in einer Schlacht auf andere zu achten, ist schier unmöglich. Ich hab es selbst erlebt … Als Gohlram und ich gegen die anderen kämpften, war kaum Zeit, auf ihn zu achten. Ich hatte ihm vertraut …

Ich spüre Tränen meine Wangen hinunterlaufen und beiße mir in die Faust, um nicht laut aufzuschluchzen. Vor den anderen tue ich so, als wäre ich darüber hinweg. Aber das bin ich nicht. Wie könnte ich es? Ich habe ihn getötet. Ich habe sein Blut an meinen Händen. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, sehe ich sein Gesicht vor mir. In der Nacht haben alle Personen in meinen Träumen seine Augen und ich höre seine Stimme. Immer wieder sehe ich es vor mir, erlebe es von neuem … Seine Augen waren voller Angst und schierer Verzweiflung … seine Stimme, die mich anfleht, ihm zu verzeihen …

Mein Körper schüttelt sich, ich schmecke Blut in meinem Mund; ich muss mir die Hand aufgebissen haben. Aber dieser Schmerz ist nichts im Vergleich zu dem, den ich fühle. Für eine Weile hülle ich mich darin ein, vergesse, wo ich bin und ergebe mich. Ich will stark und mutig sein, ja. Aber manchmal bin ich froh, dass ich schwach bin. Denn so ist es einfach, sich zu ergeben und im Stillstand zu verharren. Alles geht auch ohne einen weiter. Die Welt dreht sich unaufhörlich.

 

»Mia!«

Ich verstehe das Entsetzen in seiner Stimme nicht, als ich zu mir komme; ich muss wieder eingeschlafen sein. Er sinkt auf die Knie und nimmt meine Hände behutsam in seine. Da erst fällt mir das Blut an ihnen und dem Laken auf.

»Oh«, entfährt es mir nur und ich sehe dabei zu, wie Vince die mitgebrachte Wasserflasche in der Schüssel ausleert und einen Waschlappen hinein taucht. Damit tupft er sanft meine Hände ab; ich zucke vor dem Schmerz nicht zurück, er weckt mich eher.

»Tut mir leid, ich sollte besser aufpassen«, sage ich, auf seinen Blick hin, mit dem er versucht, mich zu ergründen.

»Was ist passiert? Hat dir jemand wehgetan?«

Süß von ihm, dass er gleich annimmt, jemand anderes außer mir könnte das getan haben.

»Nein«, sage ich und versuche ihn nicht anzusehen. Ich betrachte das Laken, auch die Decke hat was abbekommen.

»Ich werde nachfragen, ob wir neues Bettzeug bekommen können.«

Das war schon immer besonders an ihm. Er bohrt nicht nach, bis ich verzweifelt zusammenbreche – zumindest nicht, was das Geistige anbelangt. Körperlich hat er mich öfter an meine Grenzen gebracht, als mir lieb war. Aber es hat mich stärker gemacht.

»Es war nur ein Moment des Schmerzes. Ist wieder vorbei.« Ich lächle, doch er bleibt ernst.

»Willst du mir davon erzählen?«

Seine Frage überrascht mich nun doch. Es ist höchst selten, dass er mich etwas fragt. Ich will vor ihm nicht schwach sein, jetzt, wo er beginnt, mich als stark zu sehen. Aber er war offen zu mir, also schulde ich es ihm auch.

Und wenn er diese Seite von mir nicht mag oder annehmen kann, so ist er doch sowieso nicht der Richtige!

Doch, das ist er.

Meine zwei Stimmen fechten in mir, während er weiter meine Bisswunden säubert, dabei ab und zu in mein Gesicht blickt.

Immer wenn er nach oben blickt, seine blauen Augen mich prüfend mustern, schlägt mein Herz schneller. Hat er eigentlich eine Ahnung, wie gut er aussieht? Auch ohne seinen Vila-Anteil?

Ich schüttele den Kopf, um meine Gedanken wieder auf Kurs zu bringen, denn die Richtung, die sie nehmen wollen, ist jetzt ganz und gar nicht wichtig.

»Ich hab an Gohlram gedacht.«

Seine Lippen werden zu einem Strich und er nickt, sagt aber nichts. Er säubert den Lappen in der Schüssel und lässt ihn darin schwimmen. Dann nimmt er wieder meine Hände und führt sie an seine Lippen. Es tut gut … Ich schließe meine Augen und konzentriere mich auf meinen Atem und ich spüre, wie ich ruhiger werde, müde.

»Ich glaube, ich schlaf noch ein wenig«, sage ich und sehe ihn an.

Er lässt meine Hände los und zieht den Dolch aus dem Stiefel, schiebt ihn unters Kissen und entledigt sich der Stiefel und seiner Hose. Ich rücke ein wenig nach hinten, doch bevor er sich auf den Rand der Matratze setzt, zieht er auch sein Shirt aus. Aber er legt sich nicht hin, bleibt sitzen. Verwundert richte ich mich nochmal auf und schaue, was er in seiner Hand hält: es ist die Kette mit dem Wächtersiegel. Kurz wirkt er völlig in Gedanken versunken und ich setze schon an, etwas zu sagen. Doch zu meiner Verwunderung legt er sie einfach auf die Kiste und schlüpft dann zu mir unter die Decke. Auch wenn ich ihn mehr anstarre als ansehe, zieht er mich einfach an sich und schließt die Augen. Mein Kopf auf seiner Brust, lausche ich seinem Herzschlag, bis mir die Augen zufallen, eingehüllt von frischem Regenduft, reiner Luft. Seinem Duft und seiner Wärme.

 

 

2

 

~Mia~

 

Zum Glück konnte Eric Grady wirklich dazu überreden, uns Aufgaben zu geben. Ansonsten wäre ich von der ständigen Grübelei sicher verrückt geworden. Denn wir dürfen uns nie weit von der alten Fabrikhalle entfernen. Ein Schutzzauber umgibt die Halle und das Gelände. Er wird alle paar Stunden ausgesetzt, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Die Halle ist genau genommen eine alte Wasseraufbereitungsanlage, aus der alle Maschinen längst verschwunden sind. Den anderen bin ich bis jetzt so gut wie möglich aus dem Weg gegangen. Ihre ständigen musternden Blicke sind anstrengend. Aber nach und nach muss ich feststellen, dass man dieses Spiel auch auf beiden Seiten spielen kann. Seit ich ihnen unverhohlen entgegenblicke, hat es sich weitestgehend beruhigt. Vielleicht haben sie sich aber auch einfach nur an unsere Anwesenheit gewöhnt. Heute bin ich mit der Essensausgabe betraut und kann mich erst an den Tisch setzen, als alle bedient sind. Vince bleibt immer in meiner Nähe, daher sitzt er am ersten Tisch, direkt neben der Kochnische. Natürlich sitzt Eric vor ihm und lacht wie immer lautstark.

Ich stelle meine Schüssel ab und lasse mich neben Vince nieder, gerade als Eric einen Witz zum Besten gibt.

»Und kennst du schon den? Was macht ein Zombie, wenn er ein hübsches Mädchen sieht?«

»Er wirft ein Auge auf sie«, antworte ich trocken und beginne, mir den Frühstücksbrei in den Mund zu schaufeln.

Eric prustet los und zeigt mit dem Löffel auf mich. »Du gefällst mir immer besser.« Und wendet sich dann an Vince. »Da hast du dir eine wirklich humorvolle Freundin ausgesucht.«

Sein Blick wirkt so, wie ich mich fühle. Für uns beide ist es mehr als ungewohnt, so offen als Freund oder Freundin betitelt zu werden. Doch hat er sich schneller im Griff, wie immer. Er wirft ihm nur einen finsteren Blick zu und widmet sich ebenfalls seinem Brei.

»Na, was macht ihr heute schönes?«

Seine Frage soll beiläufig klingen, aber ich sehe auf und erkenne ein Glitzern in Erics Augen.

»Was hast du denn vor?«, ist meine Gegenfrage.

»Eine kleine Party auf dem Dach. Die haben oben sogar einen Tanzbereich eingerichtet.«

»Lass mich raten, du hast ein Date und willst das aber nicht alleine durchziehen«, bemerkt Vince und schiebt seine leere Schüssel von sich.

An Erics verschmitztem Lächeln erkenne ich, dass Vince wirklich Recht hat.

»Wer ist es?«, frage ich neugierig und Eric nickt zu einer zwei Tische weiter gelegene Gruppe. Darunter befinden sich aber zwei Frauen und ich kann erst nicht erkennen, wen er meint. Bis eine Frau ihm zuzwinkert, die zwar älter als wir wirkt, aber nicht viel. Ihre rosige Haut schimmert von weitem und als sie mir ihr ganzes Gesicht zuwendet, kann ich nicht verbergen, dass mich ihr Anblick schockiert. Ihre andere Gesichtshälfte ist verbrannt und entstellt, dennoch strahlen ihre Augen und sie lächelt.

»Sie heißt Aleta. Hat mich zusammengeflickt, als ich hier ankam. – Ihr Gesicht wurde bei einem Kampf mit Feuerdämonen verletzt«, fügt Eric hinzu, als er meinen Blick bemerkt.

Etwas beschämt, dass ich sie wohl angestarrt habe, senke ich wieder den Blick und will meinen Brei löffeln, stelle aber fest, dass die Schüssel leer ist. Um abzulenken und weil es mich mehr interessiert als eine Party oder ein Date, frage ich: »Ist es möglich, dass ich nach draußen kann? Also außerhalb des Schutzzaubers?«

Auch wenn ich bezweifle, dass Richard oder andere Wächter hier nach uns suchen werden, frage ich nach. Vermutlich haben sie eh genug damit zu tun, die Lykaner und Vampyre in Schach zu halten. Wieder verfalle ich ins Grübeln und schrecke regelrecht auf, als Eric meinen Namen nennt.

»Tut mir leid Mia, es ist zu gefährlich für dich. Du wirst den Tag hier verbringen müssen.«

Ich nicke nur, nehme meine Schüssel und verziehe mich zum Spülbereich.

Wenn er denkt, ich bleibe die ganze Zeit hier und verkrieche mich, kann er das vergessen.

»Du gehst nicht alleine«, meint Vince, der seine Schüssel neben meine in die Spülschüssel legt.

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

Er umfasst meine Hüfte und zieht mich an sich. Dicht an meinem Ohr flüstert er: »Ohne mich kommst du sowieso nicht durch den Schutzzauber.«

Der besteht auch nicht ewig, denke ich mir. Sage aber: »Ich habe nicht vor zu gehen.«

»Schade, dabei wäre ich gerne allein mit dir.«

Dieser plötzliche Umschwung von ihm treibt mir Röte ins Gesicht. Und sein Kuss dicht an meinem Ohr macht es nicht besser. Als Eric ihn ruft, seufzt er und sieht mich forschend an. Was er denkt, verschweigt er mir, küsst mich noch einmal auf die Schläfe und geht.

Sie verschwinden in Gradys Büro und kommen lange nicht heraus. Ich warte und grüble. Der Schutzzauber kommt mir in den Sinn. Ich versuche, den Gedanken an die Freiheit da draußen zu verdrängen. Aber in dem kleinen Bereich zu sitzen macht meine Schuldgefühle nicht besser. Ich muss mich bewegen. Raus hier. Meinen Kopf mit Bewegung ablenken. Im Gemeinschaftsbereich habe ich ständig das Gefühl, dass mich jemand ansieht, bei jedem Schritt, den ich tue. Und als ich nun draußen über das Gelände streife, haben mich die Wachposten ebenfalls ständig im Blick. Selbst auf der Rückseite des Gebäudes, das auf offenes Gelände führt, laufen welche ihre Runde. Dieser eckige Baustein, wie das Gebäude wirkt, sieht auch von außen mehr als mitgenommen aus. Überall liegt Schutt und Geröll herum, sodass immer wieder Steinchen unter den Stiefeln knirschen. Die freien Wächter, die hier herumlaufen, wirken weniger freundlich als die in der Uni. Ich vermute, das liegt an der unwirtlichen Umgebung und der ständig präsenten Gefahr. Denn ihre Auren strahlen hell in unterschiedlichen Farben, jedoch tragen sie alle etwas Dunkelheit in sich, die sich als feine Schlieren durch die Auren zieht. So auch die beiden, die an der Längsseite des Gebäudes patrouillieren. Sie lächeln nicht, aber ihre Auren flackern neugierig und aufmerksam.

Ich erkenne nur eine Möglichkeit, ungesehen wegzukommen: ich werde, wie bei Sam damals, seine Zeit verlangsamen, während ich meine beschleunige. Gemütlich lehne ich am Zaun und warte, bis sie mich passiert haben.

Einen Moment lang schließe ich die Augen und suche den Strom in mir, der leise vor sich hin rauscht. Nur mit meinem Willen verlangsame ich das Rauschen und den Fluss. Als ich die Augen öffne, ist alles wie erstarrt und ich klettere in einer Geschwindigkeit über den Zaun, die meinen Magen auf den Boden zurücklässt. Erst als ich auf der anderen Seite bin, scheint er auch angekommen zu sein. Ich sprinte über die Wiese und verschwinde wenig später unter einer Weide, deren Äste knapp über dem Boden enden. Das Rauschen hat wieder zugenommen und ich sehe, wie die Wachposten wie gewohnt ihren Schritt laufen.

Grinsend lasse ich mich auf das Gras nieder und lehne mich an den Baum.

Endlich frische Luft! Ein wenig Freiheit. Ruhe.

Tief atme ich ein und aus, schließe meine Augen und genieße die wirkliche Stille. Auch wenn ich mich eben noch bewegen wollte, ist es angenehm, erst einmal hier zu sitzen. Irgendwann packt es mich aber doch und ich schlüpfe auf der anderen Seite der Weide heraus und beginne zu laufen.

Das Gras strahlt in sattem Grün, an manchen Stellen ist es allerdings etwas vertrocknet und droht gelb zu werden. Die Sonne brennt auf mich herab – es ist Hochsommer. Die Kleidung, die Eric mir besorgt hat, ist mir viel zu groß. Das Top musste ich am Bauchnabel zusammenknoten und die Hosen über den Knien abschneiden. Doch noch immer fallen sie locker und lassen genügend Luft durch, was ich jetzt begrüße, da ich immer mehr ins Schwitzen komme. Kein Wunder, meine Kondition dürfte enorm abgebaut haben. Schließlich war ich es gewohnt, fast jeden Morgen mit Vince zu laufen. Dieses Leben scheint ewig her zu sein.

Autos! Ich höre Autos. Es muss eine Straße in der Nähe sein.

Ich erhöhe mein Tempo, komme aus dem Waldstück heraus und stehe vor einer kleinen Wohngegend, am Rand eines Gartens, der zu einem großen, modernen Haus gehört. Der Pool und das Gebäude zeugen vom Wohlstand der Hausbesitzer.

Vorsichtig schleiche ich mich durch den Garten, am Haus entlang zur Straße – ich bin tatsächlich in einem reichen Wohngebiet. Zwar habe ich keine Ahnung, wohin ich mich wenden soll, aber ich höre einfach auf mein Bauchgefühl und laufe drauf los; gehe nach links und folge der Straße. Grasfläche, Straße, ein kleiner Park, den ich durch ein Schild als Kingsbridge Park identifizieren kann, ein Parkplatz und da sehe ich ihn vor mir glitzern: den Niagara River. Riesengroß und mächtig. Ich lehne mich an das Geländer und sehe links von mir in der Ferne den langen Staudamm, der bis zu einer kleinen grünen Insel reicht. Der Weg hinter mir ist bevölkert mit Menschen, die in der Sonne spazieren, vor mir leuchtet der Fluss; das erste Mal seit langem spüre ich wirklich Ruhe in mir. Ich drehe mich zum Park um und sehe den Kindern beim Spielen zu, während die Erwachsenen plaudernd in der Sonne sitzen.

Hier könnte man meinen, alles wäre in Ordnung. Es gäbe keine Dämonen, keine Lykaner und Vampyre. Keine Lichtwesen oder sonstiges. Nur einfache Menschen mit einfachen Sorgen.

Aber diese anderen Dinge gibt es nun mal. Und die Menschen können nur ihren einfachen Dingen und Sorgen nachhängen, weil es die Wächter gibt. Ohne sie würde doch alles zusammenbrechen. Wie es hier wohl vor dem Bündnis war? Meine Gedanken konzentrieren sich nur darauf und ich schließe die Augen. Übelkeit überkommt mich und die Zeit beginnt an mir zu zerren. Ich klammere mich am Geländer fest und versuche mein Atem zu kontrollieren. Doch es reißt mich fort, immer weiter.

Als ich die Augen öffne, liegt der Park im Dunkel vor mir. In welchem Jahr ich mich befinde, kann ich unmöglich feststellen. Aber der Park scheint kein solcher zu sein, einfach nur eine Grünfläche mit Bäumen. Langsam laufe ich den Weg entlang; die Laternen wirken sehr alt. Sind das Kerzen anstatt Lampen?

Ein Knurren in der nächsten Baumgruppe lässt mich innehalten. Dann fällt mir aber ein, dass niemand mich sehen dürfte. In meinen Reisen bin ich nur ein Geist. Ich kann die Vergangenheit nur sehen, sie aber nicht ändern. Ich kann nichts berühren oder etwas tun. Nur dabei zusehen und beobachten.

Trotzdem löst das Dunkel des Parks Angst in mir aus. An Armen und Beinen fröstelt es mich, ich versuche, mir mit meinen Händen die Arme warm zu reiben. Wieder erklingt ein Knurren, und obwohl ich mir sicher bin, dass, egal was da ist, mich nicht sehen kann, renne ich. Doch wo soll ich hin? Ich müsste dort bleiben, damit ich an der gleichen Stelle wieder zurückkehre. Bei diesen unkontrollierten Reisen kehre ich dorthin zurück, wo ich mich befinde und nicht, wie ich es sonst steuere, an exakt die gleichen Stelle, an der ich verschwunden bin. Und wer weiß, was passiert, und welche Auswirkungen das hat. Jede Zeitreise ist anders, und im Grunde habe ich keine Ahnung, was ich da mache, wenn die Zeit mich fortreißt.

Aber ich kann nicht anders, ich renne immer weiter durch den Park und über die Straße zur Wohnsiedlung. Auch hier sind die Laternen mit Kerzen anstatt Lampen bestückt und die Häuser sehen aus, als wären sie einem Jane-Austen-Roman entsprungen – nur, dass wir nicht in England sind. Irgendwann schaffe ich es, stehen zu bleiben. Außer Atem sehe ich mich um. Das Knurren ist schon lange weg, aber der kalte Schauer lässt nicht von mir ab. Hier ist etwas ganz und gar nicht richtig.

Wo bin ich nur wieder hingeraten? Wie ich diese unkontrollierten Zeitreisen hasse!

Nicht nur, dass mir immer speiübel wird, nein, ich hab auch keine Ahnung, wo ich lande und wann ich wieder zurückkomme. Vor allem aber, wo ich bei der Rückkehr auftauche und wie lange ich wirklich weg bin. Eigentlich dachte ich, dass ich es besser unter Kontrolle hätte, seit dem Training mit Vince.

Das Haus, vor dem ich stehe, liegt im Schatten, eine Kerze brennt im oberen Stockwerk am Fenster und kurz sehe ich ein Gesicht, das zu mir hinunter späht, dann aber verschwindet. Hat die Person mich etwa gesehen? Das ist doch unmöglich! Hufschläge, Räder auf Pflastersteinen; am Ende der Straße kommt eine Kutsche herum und direkt auf mich zu. Ich kann mich nirgends zurückziehen, außer in den Schatten einer Hecke und hoffen, dass man mich wirklich nicht sieht.

Die Droschke hält ausgerechnet vor dem Haus, vor dem ich mich befinde. Der Kutscher springt vom Bock und öffnet die Tür. Erst sehe ich Schuhe, dann einen kurzen Umhang und einen Mann mit Zylinder. Selbst im schwachen Schein der Lampe sehe ich, wie bleich das Gesicht ist und wie dunkel die Augen sind. Er wendet sich dem Fuhrmann zu und als die Augen kurz rot aufleuchten, halte ich den Atem an. Das ist ein Vampir. Und nicht irgendeiner, nein. Ich kenne ihn. Es ist Adrian Bail.

»Vielen Dank, mein Bester. Hier Ihren Lohn.«

Der Kutscher hält die Hand auf und schließt sie wieder, ohne dass irgendeine Münze in seine Hände gewandert wäre. Dennoch sagt dieser: »Oh danke, der Herr. Wünsche eine erholsame Nacht«, und klettert dann wieder seinen Bock hinauf. Das Pferd wiehert kurz auf und setzt sich dann in Bewegung. Adrian Bail ist währenddessen schon die Stufen zum Eingang des Hauses hinaufgestiegen. Anscheinend hat er mich nicht bemerkt; ich beginne endlich wieder zu atmen.

Mit pochendem Herzen sehe ich ihm nach, als er die Tür öffnet und im Haus verschwindet.

Schlossen die damals nie ihre Türen ab?

Unentschlossen stehe ich da. Da ich nicht weiß, wie lange ich hier sein werde, sollte ich zurück gehen. Aber … ich kann genauso gut nachsehen, was Adrian Bail in diesem Haus macht. Meine Neugier siegt über meinen Verstand. Wie so oft.

Ob er hier wohnt?

Da ich immer noch davon überzeugt bin, dass man mich nicht sehen kann – schließlich hätte er mich dann bemerken müssen – laufe ich offen auf das Haus zu. Seltsamerweise zertrete ich Blumen eines Beetes vor dem Fenster, als ich mich hochrecke, um hineinzusehen. Eine Bewegung im Raum hinter dem Fenster fesselt meine Aufmerksamkeit mehr als die Überlegung, warum ich bei dieser Reise mit Dingen interagieren kann. Es brennt keine Kerze, dennoch kann ich Adrians Gestalt mitten in einem Wohnzimmer stehen sehen. Flackerndes Licht erscheint in einer Tür und schließlich eine Frau im Morgenrock und einer Kerze in der Hand. Ihre blonden Locken fallen in beeindruckender Länge über ihre Schultern und den Rücken.

»Emma, warum bist du noch auf?«, höre ich die gedämpfte Stimme Adrians, der sich auf die Armlehne der Couch setzt.

»Ich habe auf dich gewartet, Liebster.« Sie tritt zu ihm und berührt sacht seine Wange. Er nimmt ihre Hand und küsst diese zärtlich.

Ihn so vertraut zu sehen, ist befremdlich, vor allem einen zärtlichen Adrian Bail hatte ich mir nie ausgemalt. Er wirkt immer so kalt, wie es üblich für Schattenwesen ist.

»Hast du mit deinem Vater sprechen können? Hat er dich angehört?«, fragt sie.

»Ja.« Er seufzt. »Aber er ist der gleichen Meinung. Du bist eine Sterbliche und eine Gefahr für unser Geheimnis.«

Auch sie wirkt bestürzt. »Er wird unsere Liebe nie akzeptieren, solange ich ein Mensch bleibe.«

Verärgert sieht er sie an. »Wir hatten darüber gesprochen. Ich möchte nicht, dass du eine von uns wirst. Alles, was dich nun ausmacht, wirst du verlieren. Deine Seele …«

»Wenn ich eine Seele haben sollte, ist sie sowieso verdammt. Denn ich liebe einen Vampir.« Sie stellt die Kerze auf einen kleinen Tisch, neben der Couch und legt die Arme um seinen Hals. »Mach mich zu einer von euch und wir können die Ewigkeit miteinander verbringen, Liebster.«

»Du weißt, wir dürfen niemanden mehr einfach so verwandeln«, entgegnet er, während er die Arme um ihre Hüften legt.

»Bin ich denn einfach irgendwer?«, fragt sie entrüstet.

»Nein, natürlich nicht.«

»Dann tu es.« Diese Worte kann ich kaum noch verstehen, so leise spricht sie.

»Und wenn ich nicht mehr aufhören kann? Es ist so lange her, dass ich Menschenblut getrunken habe. Und dann der Blutaustausch an sich … du könntest …«

So besorgt um einen Menschen. Dieser Adrian ist ganz anders als der, den ich kennen gelernt hab. Was ist mit ihm geschehen, dass seine Aura jetzt so finster ist?

Sie schiebt ihr Haar zurück und legt ihren Kopf schief. Entsetzt sieht er sie an. »Jetzt?«

»Wieso warten, wenn dein Vater seine Meinung nicht ändert? Heute ist so gut wie jede andere Nacht.«

Übelkeit überfällt mich, meine Hände beginnen zu zittern.

Nein nicht jetzt!

Erst zögert er, sieht sie flehentlich an. Doch dann ergibt er sich. Ich sehe, wie er seine Zähne in ihren Hals stößt und seine Augen vor Begierde aufglühen, heller werden. Das saugende Geräusch dringt in mich ein und ich glaube, einen lustvollen Seufzer zu hören. Seine Gier nach ihrem Blut scheint mehr und mehr die Oberhand zu gewinnen.

Die Zeit reißt wieder an mir, aber ich will nicht gehen. Ich muss wissen, was nun geschieht. Fest packe ich den Fensterrahmen, das Glas wackelt etwas und knirscht, sodass Adrian ängstlich zu mir her sieht, zum Fenster. Er starrt mich direkt an, während Blut sein Kinn hinunterläuft. Mit ganzer Kraft versuche ich, mich zu wehren, hier zu bleiben, doch ich werde nach hinten gerissen, zurück in die richtige Zeit.

Hart schlage ich auf dem Boden auf, mein Kopf knallt auf Steinboden und für einen kurzen Moment sehe ich nur Sterne. Allmählich dringen Autogeräusche zu mir durch und eine misstrauische Stimme fragt: »Wo kommst du auf einmal her, Mädchen?«

»Ich bin … kein Mädchen«, ist erst einmal alles, was ich sage, während ich auf allen Vieren versuche, die Übelkeit nieder zu kämpfen.

»Na, auch egal. Jedenfalls bist du auf meinem Grundstück und das empfinde ich als dreist und störend. Sowas gehört sich nicht.«

Endlich schaffe ich es, den Kopf zu heben und erstarre im gleichen Moment. Denn vor mir steht Emma. Zumindest ist sie ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch ihre hellroten Augen verraten mir, dass sie weder Mensch noch Vampir ist. Für einen Vampir sind ihre Augen viel zu hell und ihre Haut … Erschrocken sehe ich zum Himmel, der mittlerweile schwarz ist – es ist Nacht!

»Was hast du hier zu suchen? So ganz allein, mitten in der Nacht?«

Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und stehe auf; meine Beine sind noch etwas wacklig. Es ist das gleiche Haus, die gleiche Straße, nur Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte später, im hier und jetzt.

»Ich gehe spazieren. Was dagegen?«, sage ich so locker ich kann.

Ihre Augen sind nicht das Gefährlichste an ihr. Auch ihre Zähne blitzen verdammt spitz und ihre Fingernägel gleichen eher Krallen.

»Wenn du meinen Grund und Boden betrittst? In der Tat.« Geschmeidig legt sie den Kopf zur Seite und mustert mich. Ihre Stimme ist leise und ruhig; es macht mir unglaubliche Angst.

»Das tut mir leid. Nächstes Mal werde ich drauf achten, wo ich hinlaufe. War wohl in Gedanken.«

Nur nicht zu dicht versuche ich an ihr vorbei zu gehen und für einen Moment glaube ich wirklich, dass sie mich gehen lässt. Doch ich sehe, wie sie die Krallen ausfährt und mich am Arm erwischt. Ich mache einen Satz zurück; sie leckt sich genüsslich die Lippen.

»Ich denke, ich habe eine Entschädigung für dein unverschämtes Betreten meines Grundstücks verdient.«

Mit dem Ärmel versuche ich, das Blut vor ihr zu verbergen, aber ich hätte mich auch vor Männern nackt machen können, beides wäre gleich auffallend. Der Geruch lässt ihre Augen leuchten. An ihren Nägeln klebt etwas von meinem Blut, das sie nun mit einem schnurrenden Geräusch ableckt.

»Willst du gar nicht schreien, Mädchen?«, fragt sie und mustert mich wieder.

Natürlich, ich bin viel zu locker für jemanden, der so etwas zum ersten Mal sieht. Aber ich kann nicht aus meiner Haut und mache schmunzelnd: »Aaah?«

Ich bin lebensmüde. Ganz eindeutig.

Ein kaltes Lächeln erscheint auf ihren Lippen und ihre roten Augen blitzen. »Verstehe. Du weißt, was ich bin und was ich gleich mit dir tun werde.«

»Mitnichten.« Jap. Es ist amtlich, ich bin lebensmüde. Denn ich riskiere eine dicke Lippe gegenüber einer Vampyrin, ohne irgendeine Waffe dabei zu haben. Daran, eine mitzunehmen, hatte ich nicht gedacht und nun sitze ich in dem Schlamassel. Ich muss Zeit schinden, um mir etwas zu überlegen. »Was du bist, ist mir hinreichend bekannt. Was du tun wirst, darüber lässt sich streiten.«

Sie lacht. »Dein Humor gefällt mir. Komisch, dass wir uns noch gar nicht begegnet sind.« Langsam kommt sie auf mich zu und beginnt mich zu umkreisen. »Du bist nicht von hier. Einen solchen Leckerbissen hätte ich mir nicht entgehen lassen.«

Ich muss Zeit schinden, bis mir was Gutes einfällt, wie ich hier wegkomme, ohne sie auf meine Zeitmagie zu stoßen. »Wie kommt es, dass eine Vampyrin nicht unter ihresgleichen ist, sondern sich in einer normalen Wohngegend aufhält?

---ENDE DER LESEPROBE---