Blutschatten - James Ellroy - E-Book

Blutschatten E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

»Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Krimiautor.« Der Spiegel Los Angeles 1950: In der Metropole wird Jagd auf Kommunisten und ihre Sympathisanten gemacht. Gleichzeitig zieht ein offenbar irrsinniger Mörder die Stadt in seinen Bann. Drei Männer nehmen die Verfolgung auf: Danny Upshaw und Malcolm Considine vom LAPD und Turner Meeks, den die Polizei wegen Korruption gefeuert hat. Eine Hetzjagd beginnt. Band 2 des berühmten L.A.-Quartetts. Lesen Sie auch Die Rothaarige. Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter - James Ellroys wichtigsten autobiographischen Text; ein Klassiker der Kriminalliteratur.

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Das Buch

Hollywood im Jahr 1950: In der Filmmetropole geht die Angst um. Wieder einmal, so munkelt man in den Studios und auf den Partys, soll zur Kommunistenjagd geblasen werden. Vor Howard Hughes’ RKO rüsten die Streikposten zum großen Gefecht. Und dann, in der Neujahrsnacht, schlägt ein offenbar irrsinniger Mörder zu, der seine Opfer mit Bißwunden verstümmelt. Drei Männer laufen einander in den Wirren dieser Zeit über den Weg: zwei Cops des Los Angeles Police Department und einer, den die Polizei wegen Korruption gefeuert hat. Bei der Jagd nach dem verrückten Killer nimmt das Schicksal aller drei seinen Lauf.

Der Autor

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, etliche seiner Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential und Die Schwarze Dahlie(Black Dahlia)

Von James Ellroy sind in unserem Hause bereits erschienen:

Underworld-Trilogie:

Ein amerikanischer Thriller

Ein amerikanischer Albtraum

Blut will fließen

Die L.A.-Serie:

Die Schwarze Dahlie

Blutschatten

L.A. Confidential

White Jazz

Außerdem:

Crime Wave

James Ellroy

Blutschatten

Roman

Aus dem Englischenvon Helmut Grassn

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-taschenbuch.de

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ISBN 978-3-8437-1023-7

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch

September 2002

©für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015

©2002 für die deutsche Ausgabe by Econ Ullstein List Verlag

GmbH&C.KG, München

©1989 für die deutsche Ausgabe by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin

©1988 by James Ellroy

Titel der amerikanischen Originalausgabe The Big Nowhere

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: Trunk Archive / © Spencer Lowell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

Für Glenda Revelle

Es stand geschrieben, ich solle dem Alp meiner Wahl treu bleiben.

Joseph Conrad, Herz der Finsternis*

[* zitiert nach der Übersetzung von Fritz Lorch, S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main]

1

ROTE GEGENSTRÖMUNGEN

Kurz vor Mitternacht legte der Gewitterguß los, ersäufte das Autogehupe und den Lärm der Kracher, die normalerweise das neue Jahr am Strip ankündigten, und schwemmte 1950 auf einer Woge aus Reifengequietsch mit Sirenenuntermalung zum Außenrevier von West-Hollywood.

Um 0.03Uhr gab es bei einer Massenkarambolage an der Ecke Sunset Boulevard und La Cienega ein halbes Dutzend Verletzte; die Polizisten vor Ort bekamen Augenzeugenberichte: Den Unfall hatten der Idiot in dem braunen DeSoto und der Armeemajor im Dienstwagen von Camp Cooke verursacht, die beide, Hunde mit papierenen Faschingshüten auf dem Schoß, freihändig um die Wette gefahren waren. Zwei Festnahmen, ein Anruf beim Tierasyl an der Verdugo Street. Um 0.14Uhr löste sich eine unbewohnte Veteranenbude an der Sweetzer in einen Haufen durchweichter Fertigteile auf und begrub ein Teenagerpärchen unter sich, das im Keller am Fummeln war – zwei Tote fürs Bezirksleichenschauhaus. Um 0.29Uhr gab es an einer neonbeleuchteten Kunstrasenauslage, die Sankt Niklaus und seine Helfer zeigte, einen Kurzschluß, bei dem die Flammen am Stromkabel entlang bis zu dessen Ende im Innern schlugen – einem mit einem Wirrwarr von Adaptern verbundenen Stecker, der einen hell erleuchteten Weihnachtsbaum samt Krippenszene speiste – und drei Kinder schwer verbrannten, die eingewickelte Geschenke um ein illuminiertes Jesuskind gehäuft hatten. Am Schauplatz ein Feuerwehrauto, eine Ambulanz und drei Streifenwagen des Sheriff-Büros sowie ein kleineres Kompetenzgerangel, als die Stadtpolizei von Los Angeles in voller Mannschaftsstärke anrückte, nachdem ein Grünschnabel in der Funkzentrale den Einsatzort am Sierra Bonita Drive irrtümlich dem Zuständigkeitsbereich der City – nicht dem des County – zugeschlagen hatte. Danach fünfmal Alkohol am Steuer; danach ein Haufen Besoffener und Ruhestörer, als die Clubs am Strip dichtmachten; danach ein bewaffneter Raubüberfall vor Dave’s Blue Room, die Opfer zwei Bauerntölpel aus Iowa, die der Rose Bowl wegen in der Stadt waren, die Täter zwei Neger, die in einem 47er Mercury mit lila Schwanzflossen geflüchtet waren. Als der Regen kurz nach 3Uhr auströpfelte, sagte Detective Deputy Danny Upshaw, der diensthabende Schichtleiter des Reviers, voraus, daß die Fünfziger ein beschissenes Jahrzehnt werden würden.

Von den Besoffenen und nichtalkoholisierten Missetätern im Arrestkäfig abgesehen, war er allein. Sämtliche Schwarzweißen und Zivilstreifenwagen waren draußen auf Friedhofsschicht; kein Vorgesetzter, kein Telefon- oder Büromädchen, kein Zivilbulle war im Dienstraum. Kein Streifenpolizist in Khaki und olivem Tuch stolzierte herum und grinste belämmert über seinen öden Auftrag – der Strip, Hochglanzweiber, Weihnachtskörbe von Mickey Cohen, der echte Ärger wegen der Stadtgrenze mit dem Los Angeles Police Department, der Stadtpolizei. Keiner glotzte ihn schief an, als er zu seinen Kriminologiehandbüchern griff: Vollmer, Thorwald, Maslick – rasterweises Absuchen des Tatortes, Erklärung von Blutflecken, wie krempelt man einen sechs mal acht Meter großen Raum in einer knappen Stunde nach Beweismaterial um.

Die Füße auf dem Schreibtisch, die Gegensprechanlage zu den Funkwagen leise gedreht, machte sich Danny ans Lesen. Hans Maslick ließ sich darüber aus, wie man bei stark verbranntem Fleisch Fingerabdrücke nahm und welche chemische Verbindung sich am besten dafür eignete, verkrustetes Gewebe zu entfernen, ohne die Haut unter der Oberfläche des Abdruckmusters zu versengen. Maslick hatte seine Technik im Jahre 1931 im Anschluß an einen Gefängnisbrand in Düsseldorf perfektioniert. Er hatte eine Menge Leichen und Fingerabdruckbogen zur Verfügung; in der Nähe gab es ein Chemiewerk mit einem ehrgeizigen jungen Laborassistenten, der scharf darauf war, ihm zu helfen. Gemeinsam machten sie sich mit Volldampf an die Arbeit: Ätzende Lösungen brannten sich zu tief ein, mildere Verbindungen drangen nicht durch das verkohlte Fleisch. Beim Lesen kritzelte Danny chemische Formeln auf einen Notizblock; er stellte sich vor, Maslicks Assistent zu sein und Seite an Seite mit dem großen Kriminologen zu wirken, der ihn jedesmal väterlich umarmen würde, wenn ihm ein glänzender logischer Schritt gelang. Alsbald wandte er im Geiste das Gelesene auf die vor der Krippe angekokelten Kinder an, nahm im Alleingang Abdrücke von winzigen Fingern, verglich sie mit denen in den Geburtsunterlagen, eine Vorsichtsmaßnahme der Krankenhäuser für den Fall, daß Neugeborene vertauscht wurden–

»Boss, wir haben was Heißes.«

Danny blickte auf. Hosford, ein Deputy in Uniform, der an der Nordgrenze des Abschnitts arbeitete, stand in der Tür. »Was? Warum haben Sie’s nicht durchgegeben?«

»Hab ich. Sie müssen–«

Danny stieß Text und Notizblock zur Seite. »Was ist los?«

»Männliche Leiche – an der Allegro, ’ne halbe Meile vom Strip hoch. Himmel Arsch und Zwirn, sowas hab ich noch nie–«

»Sie bleiben hier, ich geh los.«

Die Allegro Street war eine enge Wohnstraße, teils spanische Bungalows mit Innenhöfen, teils Baustellen, vor denen Schilder LUXUSAPPARTEMENTS in Tudor-, französischem Landhaus- und modernem Stromlinienstil verhießen. Danny fuhr sie in seinem Zivilwagen ab und ließ ihn ausrollen, als er eine Sperre aus Sägeböcken mit roten Blinkern sah, hinter denen drei schwarz-weiße Streifenwagen standen und mit ihren Scheinwerfern eine unkrautüberwucherte Baulücke bestrahlten.

Er ließ den Chevy am Bordstein stehen und ging hin. Eine Traube Deputys in Regenmänteln hatte die Taschenlampen auf den Boden gerichtet; Rotlicht flackerte über ein Schild der ALLEGRO SIEDLUNGSGESELLSCHAFT – BESTER WOHNRAUM AB FRÜHJAHR 1951. Die Lampen der Streifenwagen leuchteten kreuz und quer über das Grundstück und brachten leere Schnapsflaschen, durchweichtes Bauholz und Papierfetzen zum Vorschein. Danny räusperte sich; einer der Männer fuhr herum und zog ruckartig die Waffe. Danny sagte: »Ruhig, Gibbs. Ich bin’s, Upshaw.«

Gibbs steckte seine Knarre wieder ins Holster, die anderen Cops traten auseinander. Danny blickte auf die Leiche hinab, spürte, wie ihm die Knie weich wurden, und machte auf Kriminologe, damit er nicht ohnmächtig wurde oder kotzen mußte:

»Deffry, Henderson, laßt eure Lampen auf dem Verstorbenen. Gibbs, schreiben Sie auf, was ich sage:

Toter weißer Mann, nackt. Ungefähres Alter dreißig bis fünfunddreißig. Der Leichnam liegt auf dem Rücken, Arme und Beine gespreizt. Würgemale am Hals, die Augen wurden entfernt, und die leeren Höhlen sondern eine gelatineartige Substanz aus.«

Danny ging neben der Leiche in die Hocke; Deffry und Henderson bewegten ihre Lampen, damit er aus der Nähe etwas sah. »Die Genitalien sind gequetscht und geschwollen, auf der Eichel befinden sich Bißspuren.« Er griff unter den Rücken des Toten und spürte nassen Dreck; er legte die Hand neben dem Herzen an die Brust und stellte trockene Haut und einen Rest Körperwärme fest. »Auf dem Leichnam befindet sich kein Niederschlag, und nachdem es zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens heftig geregnet hat, dürfen wir annehmen, daß das Opfer innerhalb der letzten Stunde hier abgeladen wurde.«

Sirenengeheul näherte sich dem Schauplatz. Danny schnappte sich Deffrys Taschenlampe und ging besonders nah ran, um das Schlimmste zu untersuchen. »Der Körper weist sechs ovale, unregelmäßige Wunden auf, die kreisförmig zwischen Nabel und Brustkorb angeordnet sind. An den Rändern zerfetztes Fleisch, die Eingeweide überzogen mit daraus austretendem geronnenen Blut. Die Haut um jede Wunde ist entzündet und markiert so unmittelbar die Rißspuren, wie–«

Henderson sagte: »Knutschflecken, ist doch arschklar.«

Danny fühlte sich in seinem Lehrbuchspielchen unterbrochen. »Wovon reden Sie?«

Henderson seufzte. »Na ja, Liebesmale. Wie wenn einem ’ne Braut am Hals rumsaugt. Gibbsey, zeig dem Zivilen hier mal, was das Garderobenmädchen im Blue Room zu Weihnachten mit dir angestellt hat.«

Gibbs kicherte und schrieb weiter; Danny stand auf, sauer, daß er von einem livrierten Lackbullen von oben herab behandelt wurde. Wenn er nicht redete, haute ihn die Leiche um; seine Beine waren wie Gummi, und sein Magen schlug Purzelbäume. Er richtete die Stabfunzel auf den Boden, ließ das Licht um den toten Mann streichen und sah, daß die Erde von Polizeistiefeln gründlich zertrampelt war und die Streifenwagen jede mögliche Reifenspur vernichtet hatten. Gibbs sagte: »Ich bin mir nicht sicher, daß ich alle Wörter richtig geschrieben habe.«

Danny fand wieder zu seiner Lehrbuchstimme. »Spielt keine Rolle. Machen Sie einfach weiter und geben Sie’s morgen früh Captain Dietrich.«

»Ich hab aber um acht Feierabend. Der Skipper kommt vor zehn nicht rein, und ich hab Karten für die Bowl.«

»Sorry, aber Sie bleiben, bis die Tagschicht Sie ablöst oder die Laborleute aufkreuzen.«

»Das Labor vom County ist an Neujahr zu, und ich hab doch die Karten–«

Ein Wagen der Gerichtsmedizin hielt vor den Sägeböcken, stellte die Sirene ab; Danny drehte sich zu Henderson um. »Absperrseile, keine Reporter, keine Neugierigen. Gibbs hält hier die Stellung, Sie und Deffry quetschen die Anwohner aus. Sie kennen doch die Tour: Zeugen fürs Abladen, verdächtige Herumtreiber, Fahrzeuge.«

»Upshaw, es ist zwanzig nach vier in der Früh.«

»Gut. Fangt jetzt an, dann seid ihr vielleicht bis Mittag fertig. Laßt einen Bericht mit Durchschlag bei Dietrich und schreibt auch alle Adressen auf, wo keiner daheim war, damit wir sie später abklappern können.«

Henderson stürmte zu seinem Streifenwagen; Danny sah zu, wie die Mannen von der Gerichtsmedizin den Körper auf eine Bahre legten und mit einer Decke verhüllten, während Gibbs ihnen das Blaue vom Himmel heruntererzählte – über die Chancen beim Rose-Bowl-Meisterschaftsspiel und den Fall der Schwarzen Dahlie, noch immer ungelöst, noch immer ein heißes Thema. Eine Orgie aus Rotlicht, Taschenlampen und Autoscheinwerfern blitzte über dem Areal auf und hob die Einzelheiten hervor: Schlammpfützen, die das Mondlicht und die Schatten reflektierten, den Neondunst Hollywoods in der Ferne. Danny dachte an seine sechs Monate als Kriminalpolizist, die beiden Mordfälle seither, simpel zu lösende Familienangelegenheiten. Die Männer vom Leichenschauhaus luden den Körper ein, machten eine Kehrtwende und zogen ohne Sirene von dannen. Ein Leitsatz Vollmers fiel ihm ein: »Bei Mord aus extremer Leidenschaft verrät der Mörder stets seinen Geisteszustand. Ist der Ermittelnde gewillt, physisches Beweismaterial objektiv zu klassifizieren und sich dann subjektiv in den Standpunkt des Mörders zu versetzen, wird er häufig Verbrechen klären, die in ihrer Zufälligkeit verwirrend sind.«

Augen herausgedrückt. Geschlechtsteile übel zugerichtet. Die nackte Haut bis aufs Fleisch aufgerissen. Danny folgte dem Leichenwagen in die Stadt. Er wünschte, sein Wagen hätte eine Sirene, damit er schneller hinkäme.

Die Leichenhallen der City und des County von Los Angeles nahmen das Erdgeschoß eines Lagerhauses an der Alameda ein, genau südlich von Chinatown gelegen. Eine hölzerne Trennwand teilte die beiden Einrichtungen: Untersuchungspritschen, Kühlschränke und Seziertische für Leichen, die innerhalb der Stadtgrenzen aufgefunden wurden, auf der anderen Seite die komplette Ausstattung für die Toten aus dem nicht eingemeindeten Gebiet, das dem Sheriff-Department unterstellt war. Bevor Mickey Cohen das LAPD wie auch das Bürgermeisteramt hatte koppheister gehen lassen – die hohen Tiere nahmen Schmiergelder von den berühmtesten Nutten von Los Angeles–, hatten City und County eng zusammengearbeitet; Pathologen und Leichenschlepper hatten Plastikplanen, Knochensägen und Karbol brüderlich geteilt. Nun, da die County-Cops Cohen auf dem Strip Schutz boten, gab es nichts als Ärger zwischen beiden Dienststellen.

Vom Personalbüro der City waren strikte Anweisungen erlassen worden: kein Ausleihen von städtischem Medizingerät, keine Fraternisierung mit County-Angestellten im Dienst, keine Mondscheinpartys am gemeinsamen Bunsenbrenner, und dies alles aus Angst vor falsch ausgezeichneten Leichen und zum Andenken geklauten Körperteilen, was – als Cohen auspackte – zu zusätzlichen Skandalen neben dem Fall Brenda Allen geführt hatte. Danny Upshaw folgte der Bahre mit Leiche Unbekannt Nummer 1-1/1/50 bis zum Ladehafen des County, wußte aber, daß die Chance, seinen städtischen Lieblingspathologen für die Autopsie aufzutreiben, gleich Null war.

Auf Bezirksseite war der Teufel los: reihenweise Unfallopfer auf Rollbahren, Leichenhallen-Fuzzis, die große Zehen mit Schildern bestückten, uniformierte Polizisten, die Berichte über die Toten verfaßten, und die Männer des Coroners, die Kette rauchten, um den Gestank nach Blut, Formaldehyd und abgestandenen Innereien zu unterdrücken. Danny pirschte sich seitwärts zu einem Notausgang, stahl sich dann außen herum zum Ladehafen der City und störte drei LAPD-Streifenpolizisten, die gerade »Auld Lang Syne« sangen. Drinnen herrschte das gleiche Bild wie auf County-Boden, nur daß die Uniformen marineblau waren – kein Oliv und Khaki.

Danny steuerte direkt das Büro von Dr.Norton Layman an, stellvertretender Chef der gerichtsmedizinischen Abteilung der City von Los Angeles, Autor von Wissenschaft kontra Verbrechen und sein Ausbilder während des Abendschulkurses »Gerichtsmedizin für Anfänger«. An der Tür pappte eine Notiz: »Bin am 1.1. in Urlaub. Gott segne das neue Zeitalter mit weniger Arbeit, als wir in der ersten Hälfte dieses ziemlich blutigen Jahrhunderts hatten – N.L.«

Leise vor sich hin fluchend, zückte Danny Stift und Notizblock und schrieb:

»Doc – ich hätte wissen müssen, daß Sie sich in der turbulentesten Nacht des Jahres frei nehmen. Auf Bezirksseite gibt’s einen interessanten 187er – männlich, sexuell mißhandelt. Stoff für Ihr neues Buch, und nachdem ich als erster dran war, kriege ich sicherlich auch den Fall. Wollen Sie versuchen, die Autopsie zu übernehmen? Capt. Dietrich sagt, der Pathologe auf der Tagesschicht beim County spielt und ist für Schmiergelder empfänglich. Genug der Rede – D.Upshaw.« Er plazierte das Blatt auf Laymans Schreibtischunterlage, beschwerte es mit einem als Büroschmuck dienenden Menschenschädel und marschierte zurück auf County-Gebiet.

Der Betrieb hatte nachgelassen. Tageslicht kroch allmählich über den Ladehafen; die Ausbeute der Nacht lag aufgereiht auf den stählernen Untersuchungstischen. Danny schaute sich um und sah, daß das einzige lebende Wesen an diesem Ort ein Assistent des Leichenbeschauers war, der auf einem Stuhl im Bereitschaftsraum fläzte und abwechselnd in Zähnen und Nase polkte.

Er ging hin zu ihm. Der Alte verströmte eine Fuselfahne, als er sagte: »Wer bist’n du?«

»Deputy Upshaw, Abteilung West-Hollywood. Wer macht Dienst?«

»Netter Job. Aber biste nich noch ’n bißchen jung für so ’nen Druckposten?«

»Ich arbeite hart dran. Wer macht Dienst?«

Der Alte wischte den Finger, mit dem er sich in der Nase gebohrt hatte, an der Wand ab. »Eins kann ich dir sagen: Unterhaltung ist nich deine Stärke. Doc Katz war im Dienst, bloß hat er ’ne Ladung Sprit zuviel erwischt. Jetzt nimmt er in seim Jiddenkajak ’ne Mütze Schlaf. Wie kommt’s eigentlich, daß alle Itzigs Cadillac fahrn? Du bist doch der Schnüffler, haste da ’ne Antwort für?«

Danny spürte, wie sich seine Hände in die Taschen krampften und zu Fäusten ballten – ein Warnzeichen, sich zu beruhigen. »Ist mir zu hoch. Wie heißen Sie?«

»Ralph Carty, das is–«

»Ralph, haben Sie schon mal eine Voruntersuchung vorbereitet?« Carty lachte. »Sohnemann, ich hab alle gemacht. Ich hab Rudi Valentino gemacht, dem seiner hing rum wie ’ne Grille. Ich hab Lupe Velez und Carole Landis gemacht, und ich hab Bilder von allen zweien. Lupe hat sich die Musch rasiert. Wenn de dir vorstellst, daß se nich tot sind, kannste dein Spaß dran haben. Was meinst du? Lupe und Carole, ein Fünfer pro Stück?«

Danny zückte die Brieftasche und kramte zwei Zehner heraus; Carty langte in seine Brusttasche und brachte einen Satz Hochglanzfotos zum Vorschein. Danny sagte: »Nix. Der Kerl, den ich will, liegt da drüben in einem Schubfach.«

»Was?«

»Ich mach die Sache. Jetzt.«

»Sohnemann, du bist kein beglaubigter Angestellter des County-Leichenhauses.«

Danny fügte seinem Schmiergeld einen weiteren Fünfer hinzu und reichte es Carty; der Alte küßte den verblaßten Schnappschuß seines toten Filmstars. »Ich glaub, jetzt biste einer.«

Danny holte seinen Spurensicherungskoffer aus dem Auto und machte sich ans Werk, Carty stand derweil Schmiere, falls der besoffene diensthabende Leichenbeschauer auftauchen sollte.

Er zog das Tuch von der Leiche und tastete die Gliedmaßen nach postmortalen Blutergüssen ab; er hob Arme und Beine an, ließ sie fallen und stellte somit fest, das die Totenstarre allmählich einsetzte. Er schrieb »Tod trat wahrscheinlich gegen 1Uhr morgens ein« auf seinen Notizblock, beschmierte dann die Fingerspitzen des Toten mit Tinte und rollte die Abdrücke auf einem Stück steifen Karton ab, zufrieden, daß er auf Anhieb einen perfekten Satz bekam.

Als nächstes untersuchte er Hals und Kopf, vermaß die violetten Würgemale mit einer Schublehre und schrieb die Daten nieder. Die Male zogen sich über den gesamten Hals; sie waren viel zu lang für eine einzelne oder auch doppelte Handspanne. Als er die Augen zusammenkniff, entdeckte er unter dem Kinn eine Faser; er pickte sie mit der Pinzette auf, identifizierte sie als weißes Frottee, steckte sie in ein Reagenzglas, hebelte dann aus einem Impuls heraus die halbgeschlossenen Kiefer des Leichnams auf und hielt sie mit einem Zungenspatel weit offen. Als er mit seiner Stiftlampe in den Mund leuchtete, sah er identische Fasern an Gaumen, Zunge und Zahnfleisch. Er schrieb: »Mit einem Frotteehandtuch erwürgt und erstickt«, holte tief Luft und nahm sich dann die Augenhöhlen vor.

Die Stiftlampe brachte zerquetschtes Bindegewebe zum Vorschein, teilweise mit jener gelatineartigen Substanz verschmiert, die er bereits auf der Baustelle bemerkt hatte; Danny nahm ein Wattestäbchen und bestrich drei Objektträger mit Proben aus beiden Höhlen. Der Glibber verströmte einen minzartigen Arzneigeruch.

Während er sich über den Leichnam vorarbeitete, musterte Danny jeden einzelnen Zentimeter Körperoberfläche; als er die Armbeugen überprüfte, überkam ihn ein Prickeln: alte Einstichnarben – verblaßt, aber jede Menge auf beiden Armen. Das Opfer war ein Drogenabhängiger – möglicherweise geheilt, da keine der Stellen frisch war. Er schrieb die Information nieder, griff zur Schublehre und widmete sich den Leibeswunden.

Die sechs Ovale lagen jeweils drei Zentimeter voneinander entfernt. Sämtliche Wunden stammten offensichtlich von Zähnen, doch waren die Ränder zu ausgefranst, um Abdrücke machen zu können – und sämtlich waren sie zu groß, um von einem menschlichen Gebiß zu stammen. Danny schabte geronnenes Blut von dem aus den Wunden tretenden Gedärm; er strich die Proben auf Objektträger und wagte einen Gedankensprung, für den ihn Doc Layman gekreuzigt hätte:

Der Mörder benutzte ein Tier oder Tiere, um sein Opfer nachträglich zu verstümmeln.

Danny sah sich den Penis des Toten an; er erkannte eindeutige Abdrücke von menschlichen Zähnen an der Eichel. Layman hatte das »mörderische Zuneigung« genannt und für Gelächter in dem mit ehrgeizigen Cops außer Dienst vollgestopften Klassenzimmer gesorgt. Er wußte, daß er auch Unterseite und Skrotum überprüfen mußte, sah, daß Ralph Carty ihn beobachtete, und tat es, ohne weitere Verstümmelungen festzustellen. Carty gackerte: »Hängt da wie ’ne Nuß.« Danny erwiderte: »Halt dein verdammtes Maul.«

Carty zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder seiner Filmzeitschrift zu. Danny rollte die Leiche herum und schnappte nach Luft.

Kreuz und quer zogen sich zig tiefe, messerscharfe Schnitte über Rücken und Schulter, Holzsplitter steckten in den schmalen Streifen geronnenen Blutes.

Danny starrte darauf, verglich die Verstümmelungen auf Bauch und Rücken und versuchte einen Zusammenhang herzustellen. Kalter Schweiß tränkte seine Armbünde und ließ seine Hände glitschig werden. Dann eine barsche Stimme: »Carty, wer ist der Kerl? Was macht der hier?«

Danny drehte sich um und setzte sein Gutwetter-Lächeln auf; er sah einen fetten Mann in einem speckigen weißen Kittel und einem Party-Hut, auf dem in grünen Flitterplättchen »1950« stand. »Deputy Upshaw. Sind Sie Dr.Katz?«

Der Fette wollte schon die Hand ausstrecken, ließ sie dann aber sinken. »Was machen Sie mit der Leiche? Und was befugt Sie dazu, hier einzudringen und sich in meine Arbeit einzumischen?«

Carty verdrückte sich mit flehentlichem Blick nach hinten. Danny sagte: »Ich war als erster dran und wollte den Körper eigenhändig voruntersuchen. Ich habe das gelernt, und deswegen hab ich gelogen und Ralphy erzählt, daß Sie gesagt hätten, das ginge in Ordnung.«

Dr.Katz sagte: »Verschwinden Sie hier, Deputy Upshaw.«

Danny sagte: »Schönes neues Jahr.«

Ralph Carty sagte: »Das stimmt. Der Schlag soll mich treffen, wenn ich lüge.«

Danny packte seinen Spurensicherungskoffer zusammen, unschlüssig über sein weiteres Vorgehen: Sollte er die Allegro Street abklappem oder nach Hause gehen zu Schlaf und Träumen? Träumen von Kathy Hudgens, Buddy Jastrow und dem Bluthaus an einer Seitenstraße des Kern-County. Als er aus dem Ladehafen trat, blickte er zurück. Ralph teilte gerade das Schmiergeld mit dem Glitzerhütchendoktor.

Lieutenant Mal Considine schaute sich ein Foto seiner Frau und seines Sohnes an und versuchte, nicht an Buchenwald zu denken.

Es war kurz nach 8Uhr morgens, und Mal war in seinem Kabuff im Ermittlungsbüro der Staatsanwaltschaft gerade aus einem unruhigen, mit zuviel Scotch getränkten Schlummer erwacht. Seine Hosenbeine waren mit Konfetti übersät, die ewig geile Tippse aus dem Revier hatte seine Tür mit Küssen beschmiert, die nun die Aufschrift EXECUTIVE OFFICER mit Max Factor’s Crimson Decadence umrahmten. Der sechste Stock des Rathauses sah aus wie ein zertrampelter Paradeplatz; Ellis Loew hatte ihn eben mit einem Anruf geweckt: Er sollte ihn und »jemand anderen« in einer halben Stunde im Pacific Dining Car treffen. Und er hatte Celeste und Stefan den Auftakt eines neuen Jahrzehnts allein zu Hause feiern lassen – weil er wußte, daß seine Frau aus diesem Anlaß einen Krieg vom Zaun brechen würde. Mal rief bei sich zu Hause an. Nach dem dritten Läuten ging Celeste ran: »Ja? Wer ist es, der da anruft?« Ihre schlampige Ausdrucksweise verriet ihm, daß sie mit Stefan wieder Tschechisch gesprochen hatte.

»Ich bin’s. Ich wollte dich nur wissen lassen, daß ich noch ein paar Stunden weg bin.«

»Stellt die Blondine Ansprüche, Herr Leutnant?«

»Es gibt keine Blondine, Celeste. Du weißt, daß es keine Blondine gibt, und du weißt, daß ich an Neujahr immer im Rathaus schlafe–«

»Wie sagt man in Englisch … Rotkopf? Redhead? Kleine Rotkopfscheißer-Schtupper–«

»Red Englisch, verdammt noch mal! Komm mir nicht auf die Tour!«

Celeste lachte: dieses aufgesetzte, höhnische Gackern, das stets ihre Fremdsprachennummer ablöste und ihn jedesmal wahnsinnig machte. »Gib mir meinen Sohn, verdammt!«

Schweigen, dann die Standardpointe der Celeste Heisteke-Considine: »Er ist nicht dein Sohn, Malcolm. Sein Vater war Jan Heisteke, und Stefan weiß es. Du bist mein Wohltäter und Ehegatte, und der Junge ist elf und muß wissen, daß sein Erbe kein amerikanisches Polizeigerede und Baseball und–«

»Gib mir meinen Sohn, verdammt.«

Celeste lachte leise. Mal wußte, daß sie einen Siegpunkt für sich abhakte, wenn er in seinen Polizeijargon verfiel. In der Leitung wurde es still; im Hintergrund konnte er hören, wie Celeste Stefan zärtlich mit tschechischem Singsang aus dem Schlaf weckte. Dann war der Junge dran – genau zwischen ihnen. »Dad … Malcolm?«

»Ja. Ein glückliches neues Jahr.«

»Wir haben uns das Feuerwerk angesehen. Wir sind aufs Dach gegangen und haben Re – Re–«

»Ihr habt Regenschirme gehalten?«

»Ja. Wir sahen das erleuchtete Rathaus, dann ging das Feuerwerk los, dann rupften sie–«

Mal sagte: »Sie verpufften, Stefan. V-e-r-p-u-f-f-e-n. Rupfen heißt, eine Art Loch machen.«

Stefan versuchte das neue Wort. »Puff?«

»Mit zwei f. Wir machen eine Unterrichtsstunde, wenn ich nach Hause komme. Vielleicht fahren wir zum Westlake Park und füttern die Enten.«

»Hast du das Feuerwerk gesehen? Hast du aus dem Fenster geschaut?«

Er hatte Penny Diskants Angebot, eine schnelle Nummer in der Garderobe zu machen, abgelehnt, wünschte sich aber, da ihn ihre Brüste und Beine aufreizten, er wäre nun dazu in der Lage. »Ja, es war hübsch. Sohnemann, ich muß jetzt auflegen. Arbeit. Du gehst wieder schlafen, damit du bei unserem Unterricht ausgeruht bist.«

»Ja. Willst du mit Mutti sprechen?«

»Nein. Auf Wiedersehen, Stefan.«

»Auf Wiedersehen, D-D-Dad.« Mal legte den Hörer auf. Seine Hände zitterten, und in seinen Augen standen die Tränen.

Das Zentrum von Los Angeles war so ausgestorben, als schliefe es einen Rausch aus. Die einzigen Bewohner in Sichtweite waren Wermutbrüder, die bei der Union Rescue Mission nach Kaffee und Krapfen anstanden; vor dem Bumshotel an der South Main parkten die Autos wild durcheinander – Schnauze an verbeultem Heck. Aufgeweichte Luftschlangen hingen aus den Fenstern und verschmutzten den Gehsteig, und die Sonne, die über der Senke im Osten hing, sah nach Hitze, Dampf und schlimmem Katzenjammer aus. Mal fuhr zum Pacific Dining Car und wünschte dem ersten Tag des neuen Jahrzehnts ein vorzeitiges Ende.

Das Restaurant war überfüllt mit kamerabehängten Touristen, die das »Rose Bowl Special« hinunterschlangen – Omeletts, Pfannkuchen, Bloody Marys und Kaffee. Der Oberkellner teilte Mal mit, daß Mr.Loew und ein anderer Herr im »Goldrauschzimmer« auf ihn warteten – einem Séparée, das die im Stadtzentrum arbeitenden Juristen mit Vorliebe frequentierten. Mal ging nach hinten und klopfte an die Tür; den Bruchteil einer Sekunde später ging die Tür auf, und der »andere« Herr stand da und strahlte ihn an. »Poch, poch, wer klopft da sacht? Dudley Smith, ihr Roten, nehmt euch in acht. Bitte, treten Sie ein, Lieutenant. Dies ist ein bemerkenswertes Zusammentreffen polizeilicher Geisteskapazität, und wir sollten diesem Anlaß den gehörigen Respekt zukommen lassen.«

Mal schüttelte dem Mann die Hand, wobei er sich wieder an den Stil und den oft imitierten Tenor mit irischem Akzent erinnerte. Lieutenant Dudley Smith, LAPD-Mordkommission. Groß, breit wie ein Ochse und rotgesichtig, geboren in Dublin, in Los Angeles aufgewachsen, ausgebildet auf einem Jesuitenkolleg. Seit den Tagen Dick »Schlagetot« Steckeis für jeden Polizeichef der Mann fürs Grobe in dringenden Fällen. Hatte in Ausübung seines Dienstes sieben Männer getötet, trug eine Art Vereinskrawatte, die eigens für ihn angefertigt wurde: in konzentrischen Kreisen mit Siebenern, Handschellen und LAPD-Abzeichen bestickt. Man sagte ihm nach, er trage einen 45er-Army-Colt, geladen mit knoblauchgetränkten Dumdum-Geschossen, und einen Dolch mit Schnappfeder.

»Lieutenant, ich freue mich.«

»Nennen Sie mich Dudley. Wir haben den gleichen Rang. Ich bin älter, aber Sie sehen viel besser aus. Ich sage Ihnen, wir werden großartige Partner abgeben. Würden Sie das nicht auch sagen, Ellis?«

Mal schaute an Dudley Smith vorbei zu Ellis Loew. Das Oberhaupt der Kriminalabteilung bei der Staatsanwaltschaft saß auf einem thronähnlichen Ledersessel und pickte Austern und Speck von seinem Spezialomelett. »Würde ich tatsächlich. Setzen Sie sich, Mal. Lust auf ein Frühstück?«

Mal nahm gegenüber von Loew Platz, Dudley Smith setzte sich zwischen sie. Beide trugen Tweedanzüge mit Weste – Loew einen grauen, Smith einen braunen. Beide Männer protzten mit Emblemen: der Jurist mit seinem Phi-Beta-Kappa-Schlüssel, der Cop mit allerlei Vereinsnadeln am Rockaufschlag. Mal zog die Bügelfalten seiner zerknitterten Flanellhose zurecht und dachte bei sich, daß Smith und Loew wie zwei bissige Hunde vom selben Wurf wirkten. »Nein danke, Herr Anwalt.«

Loew deutete auf eine silberne Kaffeekanne. »Java?«

»Nein danke.«

Smith lachte und schlug sich auf die Knie. »Wie wär’s mit einer Erklärung für die frühmorgendliche Störung Ihres häuslichen Friedens?«

Mal erwiderte: »Laßt mich raten. Ellis möchte Staatsanwalt werden, ich möchte Chefermittler beim Staatsanwalt werden, und Sie möchten die Mordkommission übernehmen, wenn sich Jack Tierney im nächsten Monat zur Ruhe setzt. Wir hocken hier wegen ’ner scharfen kleinen Abmurkserei, von der ich noch nichts gehört habe, wir zwei als Ermittler, Ellis als zuständiger Ankläger. Sprungbrett für die Karriere. Gut geraten?«

Dudley stieg einen brüllenden Lacher aus, Loew sagte: »Ich bin froh, daß Sie Ihr Jurastudium nicht beendet haben, Malcolm. Hätte mir nicht geschmeckt, Ihnen im Gerichtssaal zu begegnen.«

»Ich hab’s also getroffen?«

Loew spießte eine Auster auf und tunkte sie in Eiersoße. »Nein. Dennoch, wir haben die Eintrittskarten zu den von Ihnen erwähnten Positionen. Schlicht und einfach. Dudley hat sich freiwillig aus Eigen–«

Smith unterbrach ihn: »Ich habe mich aus patriotischer Pflicht heraus freiwillig gemeldet. Ich hasse den roten Abschaum mehr als den Teufel.«

Mal sah zu, wie Ellis einen Happen Speck, Auster und Ei nahm. Dudley zündete sich eine Zigarette an und blickte ihn an; Mal bemerkte, daß ein Messingschlagring aus seinem Hosenbund ragte. »Wie komme ich aufs Geschworenengericht?«

Loew lehnte sich zurück und reckte sich; Mal wußte, daß er sich um seine Gerichtssaalaura bemühte. »Weil Sie schlau sind. Sind Sie mit den Lokalnachrichten auf dem laufenden?«

»Nein, nicht ganz.«

»Nun, da gibt’s im Moment ’ne Menge Ärger mit den Arbeitern, besonders in den Filmstudios von Hollywood. Die Transportarbeitergewerkschaft hat Streikposten gegen die Vereinigung der Komparsen und Bühnenarbeiter aufgestellt. Die haben einen langfristigen Vertrag mit RKO und den Billigstudios an der Gower bekommen. Sie stehen Posten für mehr Geld und Umsatzbeteiligung, aber sie befinden sich nicht im Streik, und…«

Dudley Smith schlug mit beiden Händen flach auf die Tischplatte. »Subversive Rote, die die eigene Mutter hassen, jeder einzelne davon.«

Loew hielt sich zurück; Mal taxierte die mächtigen Hände des Iren als Genickbrecher, Ohrenquetscher und Geständnisschaffer. Er änderte rasch seine Meinung, nahm nun an, das Ellis vor Smith Angst hatte und Smith Ellis grundsätzlich haßte, weil er ihn für einen ausgekochten jüdischen Lumpenhund von Rechtsanwalt hielt. »Ellis, reden wir von einer politischen Sache?«

Loew streichelte seinen Phi-Beta-Kappa-Schlüssel und lächelte. »Wir reden von einer umfassenden gerichtlichen Untersuchung des kommunistischen Einflusses in Hollywood, und Sie und Dudley sind meine Hauptermittler. Bei der Untersuchung wird es um die UAES gehen. Die Gewerkschaft steckt voller Subversiver, und sie haben einen sogenannten Fachberatungsausschuß, der die Sache regelt: eine Frau und ein halbes Dutzend Männer – alle tief verbunden mit Gesinnungsgenossen, die ins Gefängnis gingen, weil sie sich 47 vor dem HUAC auf den fünften Verfassungszusatz beriefen. Sämtliche Mitglieder der UAES haben an Filmen mitgearbeitet, die kräftig die kommunistische Posaune bliesen, und sie haben sich mit anderen Subversiven zu einem regelrechten Hinterhofsyndikat verbündet. Kommunismus ist wie ein Spinnennetz. Ein Faden führt zu einem Nest, der andere zu einer ganzen Kolonie. Diese Fäden sind Namen, und diese Namen werden zu Zeugen, die noch mehr Namen nennen.«

Silberne Captain-Streifen spukten in Mals Kopf herum; er starrte Loew an und rückte mit Einwänden heraus, ein Advokat des Teufels wider die eigene Sache. »Warum ich anstatt Captain Bledsoe? Er ist der Chefermittler beim Staatsanwalt, er ist der Sprücheklopfer der ganzen verdammten Stadt, er ist jedermanns Lieblingsonkel – was wichtig ist, nachdem Sie wie ein Haifisch aufgekreuzt sind. Ich bin Kriminalpolizist und darauf spezialisiert, Mordfälle aufzuklären. Dudley ist schlicht und einfach das Aushängeschild der Mordkommission. Warum wir? Und warum jetzt … am Neujahrstag um neun Uhr morgens?«

Loew zählte die Gegenargumente an den Fingern ab; seine Nägel waren mit farblosem Lack überzogen und auf Hochglanz poliert. »Erstens, ich war bis spätnachts beim Bezirksstaatsanwalt. Der Amtsetat für das Rechnungsjahr 1950 muß morgen dem Stadtrat vorgelegt werden, und ich habe ihn davon überzeugt, daß die überschüssigen zweiundvierzigtausend Dollar, die uns bleiben, für die Bekämpfung der roten Gefahr verwendet werden sollten. Zweitens, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt beim Geschworenengericht, Gifford, und ich sind übereingekommen, die Jobs zu tauschen. Er will Erfahrungen bei der kriminalistischen Ermittlung sammeln, und was ich will, wissen Sie. Drittens, Captain Bedsloe wird senil. Vor zwei Nächten hielt er eine Rede vor dem Kiwanis-Club von Los Angeles und leistete sich einen Wust von Obszönitäten. Es gab ziemlichen Aufruhr, als er die Absicht kundtat, bei Rita Hayworth »die Sau rauszulassen« und sie »durchzuvögeln, bis sie blutet«. Der Bezirksstaatsanwalt hat sich bei seinem Arzt erkundigt und erfahren, daß unser lieber Captain eine Reihe leichter Schlaganfälle hatte, die vertuscht wurden. Er wird sich am fünften April – seinem zwanzigsten Dienstjubiläum – zur Ruhe setzen, und bis dahin ist er lediglich eine Galionsfigur. Viertens, Sie und Dudley sind verdammt gute, verdammt schlaue Kriminalpolizisten, und Sie geben einen faszinierenden Kontrast ab, was den Stil angeht. Fünft–«

Mal schlug in Dudley-Smith-Manier auf die Tischplatte. »Fünftens wissen wir beide, daß der Bezirksanwalt einen Außenstehenden als Chefermittler haben will. Der geht zum FBI oder sucht die Stadtpolizei heim, bevor er mich nimmt.«

Ellis Loew beugte sich vor. »Mal, er ist damit einverstanden, daß Sie es werden. Chefermittler und Captain. Sie sind achtunddreißig?«

»N eununddreißig.«

»Das reinste Kind. Leisten Sie gute Arbeit, und in fünf Jahren müssen Sie sich gegen die Angebote des Polizeichefs mit dem Knüppel wehren. Und ich werde Bezirksstaatsanwalt, und McPherson berät den Gouverneur. Sind Sie dabei?«

Ellis Loews Rechte ruhte flach auf dem Tisch; Dudley Smith legte seine darauf und grinste hämisch. Mal ließ seine anstehenden Fälle Revue passieren: ein Nuttenmord in Chinatown, zwei ungelöste Niggermorde in Watts, ein bewaffneter Raubüberfall plus Bedrohung mit einer tödlichen Waffe in einem Negerpuff, in dem hohe Tiere der Stadtpolizei verkehrten. Keine Dringlichkeit, keine Eile. Er legte die Hand auf den Haufen und sagte: »Ich bin dabei.«

Der Haufen löste sich, und Dudley Smith zwinkerte Mal zu. »Großartige Partner in einem großartigen Kreuzzug.« Ellis Loew stand auf und stellte sich neben seinen Stuhl. »Zuerst werde ich Ihnen sagen, was wir haben, dann sage ich Ihnen, was wir benötigen. Wir haben eidesstattliche Erklärungen von Mitgliedern der Transportarbeitergewerkschaft, die eine rote Unterwanderung der UAES belegen. Wir haben Mitgliederlisten der kommunistischen Front, die wir mit der Liste der UAES verglichen haben – eine Menge Namen stimmen überein. Wir haben Kopien von prosowjetischen Filmen/die während des Krieges hergestellt wurden und an denen Mitglieder der UAES mitgearbeitet haben – reinste rote Propaganda. Wir haben das schwere Geschütz, von dem ich gleich noch reden werde, und ich bemühe mich gerade um einen Stapel Überwachungsfotos vom FBI: Spitzen der UAES, bekannte Mitglieder der kommunistischen Partei und Angeklagte des HUAC in fröhlicher Eintracht bei Protestaktionen in der Sleepy-Lagoon-Sache, damals 1943 und 44. Beste Munition, frisch vom Band.«

Mal meinte: »Das Sleepy-Lagoon-Zeug könnte nach hinten losgehen. Die Jungs, die da angeklagt wurden, waren unschuldig. Den wirklichen Mörder hat man nie gefaßt, und der Fall war viel zu populär. Republikaner haben den Protest unterschrieben. Vielleicht sollte man das Vorgehen noch mal überdenken.«

Dudley Smith tunkte seine Zigarette in die Überreste seines Kaffees. »Sie waren schuldig, Junge. Alle siebzehn. Ich kenn den Fall. Sie haben José Diaz halb totgeschlagen, haben ihn zur Lagune rausgeschleppt, ihn in ’ner alten Karre versenkt. Heilige römische Heißblütigkeit, schlicht und einfach. Diaz hat ihn der Schwester vom Bruder von ’nem Cousin von irgend jemand reingesteckt. Jeder weiß doch, wie diese Chilifresser untereinander heiraten und rummachen. Allesamt mongoloide Idioten.«

Mal seufzte. »Das war die D-Zug-Methode. Es war kurz vor den Zoot-Suit-Krawallen, und jeder hat wegen der Mexikaner durchgedreht. Und ein republikanischer Gouverneur hat die Jungs begnadigt, nicht die Kommunisten.«

Smith blickte zu Loew. »Unser Freund hier stellt die Worte der Unterschicht über die eines Amtsbruders. Demnächst erzählt er uns, daß die Polizei für all die aaarmen Latinobrüder, die bei den Krawallen verletzt wurden, verantwortlich war. Eine beliebte rosarote Auslegung, möchte ich hinzufügen.«

Mal langte nach den Brötchen – er redete ruhig weiter, um dem großen Iren zu zeigen, daß er keine Angst vor ihm hatte. »Nein, eine beliebte Auslegung beim LAPD. Ich war damals in der Abteilung, und für die Männer, mit denen ich zusammenarbeitete, war die ganze Sache nichts als Riesenmist, schlicht und einfach. Außerdem…«

Loew erhob die Stimme – gerade als Mal merkte, wie seine zu zittern anfing. »Meine Herren, bitte.«

Mal nutzte die Unterbrechung zum Schlucken und setzte einen kalten Blick auf, den er Smith zuwarf. Der große Mann antwortete mit einem sanften Lächeln, sagte: »Genug gestritten wegen eines nichtsnutzigen toten Mexen« und streckte seine Hand aus. Mal ergriff sie, Smith zwinkerte.

Ellis Loew sagte: »Das ist schon besser, denn ob schuldig oder nicht schuldig, das gehört hier nicht zur Sache. Tatsache ist, daß der Sleepy-Lagoon-Fall eine Menge Subversive auf den Plan gerufen hat, und sie haben ihn für ihre Zwecke ausgenutzt. Das ist unser Ansatzpunkt. Da ich weiß, daß Sie nach Hause zu Ihren Familien möchten, werde ich damit für heute schließen. Grundsätzlich werden Sie beide das ranschaffen, was das FBI ›wohlwollende Zeugen‹ nennt – UAESler und andere Linke, die bereit sind, mit der Wahrheit über ihre Verbindung mit den Kommunisten rauszurücken und Namen zu nennen. Sie müssen Eingeständnisse kriegen, daß die prosowjetischen Filme, an denen die UAES beteiligt war, Teil eines bewußten Komplotts waren, um die kommunistische Sache voranzubringen. Sie müssen beweisen, daß der eigentliche Schauplatz der subversiven Aktivitäten die City von Los Angeles ist. Es würde auch nichts schaden, ein paar große Namen zu kriegen. Jeder weiß doch, daß eine Menge großer Hollywoodstars deren Spießgesellen sind. Das würde uns etwas…«

Loew hielt inne. Mal sagte: »Fassadenverschönerung?«

»Ja. Gut getroffen, wenn auch ein bißchen zynisch. Ich stelle fest, daß Ihnen patriotisches Gefühl nicht leichtfällt, Malcolm. Sie sollten trotzdem versuchen, etwas Eifer für diese Aufgabe aufzubringen.«

Mal dachte an ein Gerücht, das er gehört hatte: daß Mickey Cohen einen Teil der LA-Teamster deren Vormann an der Ostküste abgekauft hatte – einem ehemaligen Killer des Syndikats, der Geld zum Investieren in Kasinos in Havanna gebraucht hatte. »Mickey C. könnte man gut um ein paar Mäuse anpumpen, wenn der Stadt das Geld ausgeht. Ich wette, er hätte nichts dagegen, wenn die UAES draußen ist und seine Jungs drin. In Hollywood ist viel Geld zu machen, wissen Sie.«

Loew wurde rot. Dudley Smith pochte mit seinem riesigen Schlagring auf den Tisch. »Kein Dummer, unser Freund Malcolm. Ja, mein Junge. Mickey hätte gerne die Teamster drin, und die Studios hätten die UAES gern draußen. Was aber nicht die Tatsache aus der Welt schafft, daß die UAES von Roten unterwandert ist. Wußten Sie, mein Junge, daß wir fast schon mal Kollegen waren?«

Mal wußte es: Thad Green hatte ihm einen Wechsel zum Stahlhelmtrupp angeboten, als 41 seine Beförderung zum Sergeant durchging. Er hatte abgelehnt, weil er keine Böcke hatte, bei bewaffneten Raubüberfällen den Kopf hinzuhalten, mit der Knarre voran als erster Türen einzutreten, auf polizeiliche Kanonenbootdiplomatie: den Bus nach St.Quentin abpassen und pistolenfuchtelnd harte Jungs in fügsame Freigelassene auf Bewährung umzumodeln. Dudley Smith hatte genau dabei vier Männer getötet. »Ich wollte mehr in Richtung Sitte arbeiten.«

»Ich mach Ihnen keinen Vorwurf, mein Junge. Weniger Risiko, mehr Beförderungschancen.«

Das alte Gerücht: Streifenbeamter/Sergeant Lieutenant Mal Considine, kommender Mann bei LAPD und Bezirksstaatsanwaltschaft, machte sich nicht gern die Hände schmutzig. Hatte Schiß wie ein Grünschnabel, als er in der 77th-Street-Division arbeitete – dem Herzen des Kongo. Mal fragte sich, ob Dudley Smith über den Gasmann in Buchenwald Bescheid wußte. »Das stimmt. Ich hab dort nie Land gesehen.«

»Die Truppe war ein fieser Scherz, Junge. Sie hätten bestens reingepaßt. Die anderen haben das zwar nicht geglaubt, aber Sie hätten sie überzeugen können.«

Der hat das alte Geschwätz drauf. Mal wandte sich an Ellis Loew und sagte: »Hören wir damit auf, okay? Was ist mit dem schweren Geschütz, das Sie erwähnten?«

Loews Blicke wanderten zwischen Mal und Dudley hin und her. »Wir haben zwei Männer, die uns unterstützen. Der erste ist ein ehemaliger FBI-Mann namens Edmund J. Satterlee. Er ist der Führer einer Gruppe, die sich Rote Gegenströmung nennt. Sie wird von diversen Firmen in Anspruch genommen, wie auch von Leuten, die man die »Schlauen« der Unterhaltungsindustrie nennen könnte. Sie durchleuchtet angehende Angestellte nach kommunistischen Verbindungen und hilft, unerwünschte subversive Elemente, die sich bereits eingeschlichen haben, auszusondern. Red ist ein Fachmann für Kommunismus, und er wird Ihnen einen Überblick geben, wie Sie Ihre Beweismittel am effektivsten hinbiegen. Der zweite Mann ist Psychiater, Dr.Saul Lesnick. Seit den Vierzigern ist er der »anerkannte« Seelenklempner der kommunistischen Partei von Los Angeles, und er war über Jahre hinweg ein Informant des FBI. Wir haben Zugang zu seinen sämtlichen psychiatrischen Unterlagen – von allen großen Tieren der UAES, ihrem persönlichen Dreck, der bis vor den Krieg zurückreicht. Schweres Geschütz.«

Smith schlug auf den Tisch und stand auf. »Eine Haubitze, ein Raketenwerfer, vielleicht sogar eine Atombombe. Wir treffen uns morgen bei Ihnen zu Hause, Ellis? Zehn Uhr?«

Loew stieß mit dem Finger nach ihm. »Pünktlich um zehn.«

Dudley äffte die Geste gegenüber Mal nach. »Bis dann, Partner. Es sind nicht die Stahlhelme, aber wir haben trotzdem unsern Spaß.«

Mal nickte und sah zu, wie der große Mann den Raum verließ. Sekunden verstrichen; Loew sagte: »Ein hartes Stück Arbeit. Wenn ich nicht der Meinung wäre, daß Sie zwei großartig zusammenpassen, hätte ich ihn nicht genommen.«

»Er hat sich freiwillig gemeldet?«

»Er hat einen Draht zu McPherson, und er wußte von dem Job, bevor ich grünes Licht hatte. Glauben Sie, Sie können ihn an kurzer Leine halten?«

Die Frage war wie ein Reiseführer zu all den alten Gerüchten. Ellis Loew hielt ihn rundweg für einen Nazikiller und dachte wahrscheinlich, daß er hinter dem verpfuschten Mordversuch an Buzz Meeks steckte. Sie mußten den Horrorgeschichten um Sitte und 77th Street den Garaus machen. Dudley Smith war so dumm nicht. »Ich seh da keine Schwierigkeiten, Herr Anwalt.«

»Gut. Wie läuft’s mit Celeste und Stefan?«

»Fragen Sie mich lieber nicht.«

Loew lächelte. »Na, dann Kopf hoch. Auf uns kommen große Sachen zu.«

Turner »Buzz« Meeks beobachtete die Mietbullen, die auf dem Gelände von Hughes Aircraft Streife gingen. Er setzte vier gegen eins, daß Howard diese nutzlosen Säcke eingestellt hatte, weil ihm ihre Uniformen gefielen, und zwei gegen eins, daß er den Fummel selbst entworfen hatte. Das bedeutete, daß die Mighty-Man-Agentur einen »Streuner« für RKO Pictures/Hughes Aircraft/Tool Company darstellte – wie der große Junge Steuerabschreibungsunternehmen zu nennen pflegte, die er kaufte und mit denen er aus Jux und Tollerei herumspielte. Hughes besaß eine Büstenhalterfabrik in San Ysidoro, zu hundert Prozent von Illegalen aus Mexiko betrieben; er besaß eine Fabrik, die galvanisierte Andenken herstellte; er besaß vier strategisch günstig gelegene Imbißbuden – wichtig zur Wahrung seiner strikten Cheeseburger-und-Würstchen-mit-Chili-Diät. Buzz stand in der Tür zu seinem Büro, nahm die gebügelten Patten auf den Taschen des Postens neben dem Hangar wahr, erkannte, daß sie genauso aussahen wie die auf der Bluse, die Howard entworfen hatte, um die Titten von Jane Russell hervorzuheben, machte die Einsätze rückgängig und fragte sich zum trillionsten Mal in seinem Leben, warum er immer Wetten abschloß, wenn er sich langweilte.

Jetzt war er sehr gelangweilt.

Es war kurz nach 10Uhr am Neujahrsmorgen. In seiner Stellung als Sicherheitschef der Hughes Aircraft war Buzz die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und hatte die »Starken Männer« in das eingewiesen, was Howard Hughes eine »Vorpostenstreife« nannte. Die regulären Wachen der Fabrik hatten diese Nacht frei; seit gestern abend patrouillierten Schnapsleichen-Suchtrupps kreuz und quer über das Gelände. Der Höhepunkt ihres Dienstes war Big Howards Neujahrsgäbe gewesen, ein Tieflader voller Würstchen und Cola, der eingetroffen war, als 1949 zu 1950 wurde – mit besten Grüßen von der Burger-Klitsche in Culver City. Buzz hatte sein Blatt mit den Wettberechnungen beiseite gelegt und die »Starken Männer« beim Essen beobachtet; er hatte sechs zu eins gesetzt, daß Howard an die Decke ginge, wenn er sähe, wie seine handbestickten Uniformen mit Senf und Sauerkraut beklekkert wurden.

Buzz schaute auf die Uhr – 10.14Uhr; er könnte nach Hause gehen und bis Mittag schlafen. Er ließ sich in einen Sessel plumpsen, musterte die Wände und betrachtete die gerahmten Fotos, die dort hingen. Jedes einzelne ließ ihn über die Chancen für und gegen ihn nachsinnen und erinnerte ihn daran, wie perfekt sein Strohmannjob war – und das, was er wirklich machte.

Da hing er höchstselbst – klein, untersetzt, fast fett neben dem großen, gutaussehenden Howard Hughes in seinem Nadelstreifenanzug–, der Mistbauer aus Oklahoma und der exzentrische Millionär, die sich gegenseitig Hörner aufsetzen. Buzz betrachtete das Foto wie zwei Seiten einer zerkratzten Hillbilly-Platte: die eine handelte von einem durch Weiber und Geld korrumpierten Sheriff, die Rückseite war eine Klage auf den Boss, der ihn dazu gemacht hatte. Daneben hing eine Anzahl Polizeifotos – Buzz, schlank und rank als Grünschnabel beim LAPD im Jahre 1934, dann, als die Fotos den Fortlauf der Zeit widerspiegelten, fetter und besser gekleidet: Dienst beim Betrugs-, Raub- und Rauschgiftdezernat; Kaschmir- und Kamelhaarblazer, den leicht nervösen Ausdruck in den Augen, der jedem Schmiergeldboten angeboren ist. Dann Detective Sergeant Turner Meeks in einem Bett im Queen-of-Angels-Krankenhaus, umschwirrt von hohen Tieren, die auf die Wunden zeigten, die er überlebt hatte – während er sich gefragt hatte, ob es ein Kollege gewesen war, der ihn reingelegt hatte. An der Wand über seinem Schreibtisch eine Reihe ziviler Fotos: Buzz, noch fetter und noch grauer, mit Bürgermeister Bowron, Ex-Bezirksstaatsanwalt Buron Fitts, Errol Flynn, Mickey Cohen, mit Produzenten, für die er gekuppelt, Starlets, denen er Rechtsstreitigkeiten erspart und die Abtreibung ermöglicht hatte, Drogenärzten, die dankbar für seine Weiterempfehlung gewesen waren. Fixern, Botenjungen, Männern fürs Grobe.

Total abgebrannt.

Buzz setzte sich an seinen Schreibtisch und notierte schnell Schulden und Außenstände. Er besaß vierzehn Morgen Farmland im Ventura-County, ausgedörrt und wertlos, das er als Ruhesitz für seine Eltern gekauft hatte – aber sie hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, als sie 44 bei einer Typhusepidemie abgekratzt waren. Der Grundstücksmakler, mit dem er gesprochen hatte, sagte, dreißig Dollar pro Morgen seien das Äußerste – er solle es lieber behalten, noch tiefer könnten die Preise nicht fallen. Er besaß ein minzgrünes 48er Eldorado-Coupé – das gleiche wie Mickey C., aber ohne kugelsichere Panzerung. Er hatte einen Arsch voll Anzüge von Oviatt’s und dem London-Shop, bei allen zwickten die Hosen am Bauch. Wenn Mickey Zwirn aus zweiter Hand kaufen würde, wäre er fein raus – er und der aufgemotzte kleine Itzig hatten die gleiche Größe. Aber dieser Kerl schmiß die Hemden weg, die er zweimal getragen hatte, und seine Schuldenaufstellung war länger als Papier samt Schreibunterlage.

Das Telefon klingelte. Buzz griff danach. »Sicherheitsdienst. Wer ist dran?«

»Ich bin’s, Sol Gelfman, Buzz. Erinnern Sie sich?«

Der alte Kauz von MGM mit dem autoklauenden Enkel, ein netter Junge, der Kabrios von Restaurantparkplätzen klaute, damit auf der Mulholland herumraste und stets seine Visitenkarte hinterließ – einen großen Haufen Scheiße auf dem Rücksitz. Bei der Festnahme hatte er den Beamten bestochen, der daraufhin seinen Bericht dergestalt änderte, daß ihm nur noch zwei – nicht siebenundzwanzig – Anklagen wegen Autodiebstahls ins Haus standen, und er hatte auch die Bagatelldelikte unterschlagen, die hinterlassene Scheiße. Der Richter, der auf die ordentlichen Familienverhältnisse und das jugendliche Temperament des Jungen verwies, ließ ihn auf Bewährung laufen. »Sicher. Was kann ich für Sie tun, Mr.Gelfman?«

»Na ja, Howard sagte, daß ich Sie anrufen sollte. Ich habe ein kleines Problem, und Howard meinte, Sie könnten da helfen.«

»Ist Ihr Enkel wieder auf die alte Masche verfallen?«

»Nein, Gott bewahre. Ich hab da ein Mädchen in meinem neuen Film, das Hilfe braucht. Diese Gannefs haben ein paar Schmuddelfotos von ihr, von bevor ich ihr einen Vertrag gab. Ich habe ihnen etwas Geld rübergeschoben, damit sie sich benehmen, aber die sind hartnäckig.«

Buzz stöhnte – das klang nach Muskeljob. »Was für Bilder?«

»Ekelhaft. So’n Zeug mit Tieren. Lucy und die dänische Dogge mit einem Schwengel wie King Kong. Ich sollte mal so ’nen Schwengel haben.«

Buzz griff sich einen Bleistift und drehte seine Schuldenliste mit der leeren Seite nach oben. »Wer ist das Mädchen, und was wissen Sie über die Erpresser?«

»Von den Abkassierern weiß ich nicht die Bohne – ich habe meinen Produktionsassistenten mit dem Geld zum Treffpunkt geschickt. Das Mädchen heißt Lucy Whitehall, und hören Sie zu, ich hab einen Privatdetektiv auf die Anrufe angesetzt. Der Boss der Ablinkerei ist dieser Grieche, mit dem sie rumvögelt – Tommy Sifakis. Ist das Chuzpe? Er erpreßt seine eigene Freundin und stellt seine Forderungen direkt aus ihrem hübschen, kleinen Liebesnest. Er hat Kumpels zum Abkassieren, und Lucy kriegt noch nicht mal mit, daß sie reingelegt wird. Können Sie sich die Chuzpe vorstellen?«

Buzz dachte über den Preis nach. Gelfman führte sein Lamento fort. »Buzz, das ist mir ’nen halben Tausender wert, und ich tu Ihnen damit einen Gefallen, denn Lucy hat mal mit Audrey Anders gestrippt, dem Schätzchen von Mickey Cohen. Ich hätte zu Mickey gehen können, aber Sie haben mich mal gut bedient, also kriegen Sie den Job. Howard sagt, Sie wissen, was zu tun ist.«

Buzz betrachtete seinen alten Polizeiknüppel, der an seiner Lederschlinge am Toilettentürknauf hing, und fragte sich, ob er es noch draufhatte. »Das kostet einen Tausender, Mr.Geldman.«

»Was! Das ist Straßenraub!«

»Nein, es ist verbrecherische Erpressung, die außergerichtlich geregelt wird. Haben Sie von Sifakis eine Adresse?«

»Mickey würde es umsonst machen!«

»Mickey würde stinksauer und Ihnen eine Klage wegen Anstiftung zum Mord anhängen. Wo wohnt Sifakis?«

Gelfman atmete langsam aus. »Sie gottverdammter Okie-Penner. Es ist Vista View Court Nummer 1187 in Studio City, und für ’nen Tausender möchte ich, daß die Sache sauber erledigt wird.«

»Wie die Scheiße auf dem Rücksitz«, gab Buzz zurück und hängte ein. Er griff sich seinen großen Gleichmacher – mit Empfehlungen vom LAPD – und fuhr Richtung Cahuenga-Paß.

Die Fahrt zum Valley kostete ihn eine Stunde, die Suche nach dem Vista View Court weitere zwanzig Minuten, in denen er das Neubaugebiet abklapperte: verputzte Würfel in Halbkreisen, die man in die Hollywood Hills gebuddelt hatte. Nummer 1187 war ein pfirsichfarbener Fertigbau, die Farbe bereits verblaßt, die Aluminiumverkleidung mit Rost übersät. Er wurde von Buden gleicher Bauweise flankiert – den Berg hinab wechselten Limone, Gelb, Lavendel, Türkis, Lachsrot und Rosa einander ab, bis der Farbenzauber vor einem Schild endete: VISTA VIEW GARDENS! KALIFORNISCHES WOHNEN VOM FEINSTEN! KEIN PREISNACHLASS FÜR VETERANEN! Buzz parkte vor dem gelben Schuppen; er mußte an Gummibälle denken, die man in einen Graben geworfen hatte.

Kleine Kinder fuhren auf Dreirädern über den Kieshof um die Wette; kein Erwachsener räkelte sich in der Sonne. Buzz pinnte einen Anstecker aus einer Müslipackung an sein Revers, stieg aus und drückte auf den Summer der Nummer 1187. Zehn Sekunden vergingen – keine Antwort. Während er sich umsah, steckte er eine Haarklemme ins Schlüsselloch und bewegte den Knauf hin und her. Das Schloß klickte; er stieß die Tür auf und betrat das Haus.

Das durch Gazevorhänge flutende Sonnenlicht gab ihm einen ersten Eindruck vom Wohnzimmer: Billigmöbel, Filmfotos an den Wänden, Stapel von Philco-Kofferradios – offensichtlich der Ertrag eines Lagerhausbruchs. Buzz zog den Schlagstock aus dem Hosenbund und schritt durch eine fettverspritzte Eßküche zum Schlafzimmer.

Noch mehr Hochglanzfotos an den Wänden – Stripperinnen in G-Strings und mit Pailletten auf den Brustwarzen. Buzz erkannte Audrey Anders, das »Va-Va-Voom-Girl« – besaß angeblich den akademischen Grad irgendeines Krähwinkel-Colleges. Neben ihr eine schlanke Blondine. Buzz schaltete eine Stehlampe ein, um besser sehen zu können; er sah zahme Publicity-Fotos: »Juicy Lucy« in "einem glitzernden Einteiler, darunter der Stempel mit der Adresse einer Talentagentur im Zentrum. Er kniff die Augen zusammen und bemerkte, daß das Mädchen erweiterte Pupillen und ein dusseliges Grinsen hatte – wahrscheinlich mit irgendeiner Dröhnung vollgepumpt.

Buzz gab sich fünf Minuten, um die Bude abzuklopfen. Er sah auf seine Uhr und machte sich an die Arbeit. Die aufgerissenen Schubladen bargen ein heilloses Durcheinander von Damen- und Herrenwäsche und einen versteckten Vorrat Marihuanazigaretten; eine kleine Vitrine enthielt Schellackplatten und Groschenromane. Der Kleiderschrank deutete auf eine Frau auf dem Weg nach oben und einen hinterherhinkenden Mann hin: Kostüme und Kleider aus Läden in Beverly Hills, nach Mottenkugeln stinkende Uniformen und Hosen, schuppengesprenkelte Jacken.

Nach drei Minuten und zwanzig Sekunden wandte sich Buzz dem Bett zu: blaue Satintücher, gepolstertes Kopfende mit eingestickten Amoretten und Herzen. Als er mit einer Hand unter die Matratze fuhr, ertastete er Holz und Metall. Er griff zu und zog eine abgesägte Schrotflinte hervor, große, schwarze Mündung, Vorderschaftrepetierer, wahrscheinlich Kaliber .10. Beim Überprüfen des Verschlusses sah er, daß sie geladen war – fünf Patronen, Nullnull-Schrot. Er entfernte die Munition und steckte sie in die Tasche, dann versetzte er sich in Tommy Sifakis’ Hirn und sah unter dem Kopfkissen nach.

Eine deutsche Luger, geladen, eine Patrone in der Kammer.

Buzz warf sie aus und leerte das Magazin, stinksauer, daß er keine Zeit hatte, den Safe zu suchen und das Hundezeug aufzustöbern, das er später Lucy Whitehall sozusagen zur Abschreckung vor Griechen mit Schuppen und Schlafzimmerflak ins Gesicht klatschen wollte. Er ging zurück ins Wohnzimmer und blieb stehen, als er auf dem Kaffeetisch ein Adreßbuch liegen sah.

Er blätterte es durch, keine bekannten Namen, bis er bei G anlangte und auf Sol Gelfman stieß, dessen Nummern von zu Hause und bei MGM mit Kringeln versehen waren. M und P brachten ihm Donny Maslow und Chick Pardell, Lackaffen, die er einst beim Rauschgiftdezernat hopsgenommen hatte, Marihuana-Schieber, die sich in den Studiokantinen herumtrieben – keine Erpresser. Unter S fand er dann das Druckmittel, mit dem er den Griechen bis aufs Blut ausquetsehen und vielleicht auch für sich ein paar Brocken abstauben konnte:

Johnny Stompanato, Crestview-Nummer 6103. Mickey Cohens persönlicher Leibwächter. Man sagte ihm nach, er habe seinen Aufstieg vom Handlanger des Cleveland-Rings durch brutale Erpressungen finanziert; ferner ging das Gerücht, er strecke örtlichen Dealern gegen eine dreißigprozentige Beteiligung mexikanisches Marihuana vor.

Der hübsche Johnny Stomp. Sein Name war mit Dollar- und Fragezeichen eingekreist.

Buzz ging zum Wagen und wartete. Er stellte die Zündung an, nudelte auf dem Radio ein halbes Dutzend Sender ab, bis er Spade Cooley und dessen Cowboy Rhythm Hour fand, und hörte bei gedämpfter Lautstärke zu. Die Musik war wie Sirup auf Honigkuchen – zu süß, zu schwer. Sie erinnerte ihn ans tiefste Oklahoma, und er überlegte sich, wie es ihm ginge, wenn er dageblieben wäre. Dann ging Spade zu weit – er trällerte ein Lied über einen Mann, der im Staatsgefängnis für ein Verbrechen gehängt werden sollte, das er nicht begangen hatte. Dies erinnerte ihn an den Preis, den er fürs Wegkommen bezahlt hatte.

Im Jahre 1931 war Lizard Ridge, Oklahoma, eine sterbende Provinzstadt im Zentrum des Staublochs. Sie hatte eine einzige Erwerbsquelle: eine Fabrik, die ausgestopfte Gürteltiere, Gürteltiertaschen und Gilamonster-Brieftaschen als Andenken herstellte und dann an Touristen verkaufte, die auf dem Highway vorbeirauschten. Einheimische und Indianer aus der Reservation schossen und häuteten die Reptilien im Akkord und verkauften sie an die Fabrik; manchmal drehten sie durch und erschossen sich gegenseitig. Als dann 1931 die Sandstürme den Highway für volle sechs Monate dichtmachten, spielten Gürteltiere und Gilamonster verrückt, fraßen sich an Stechäpfeln krank und verkrochen sich zum Sterben oder rasten auf die Hauptstraße von Lizard Ridge, wo sie prompt zermatscht wurden. So oder so waren ihre Häute zu verdorben und verschrumpelt, als daß sie auch nur einen Pfifferling gebracht hätten. Turner Meeks, der Spitzen-Gilamonsterkiller, der die Mistviecher mit einer Zweiundzwanziger noch aus dreißig Yards Entfernung erwischte – genau in die Wirbelsäule, wo die Fabrik die Hauptnaht machte–, wußte, daß es an der Zeit war, die Stadt zu verlassen. Er zog also nach LA und bekam Arbeit beim Film – als reisender Cowboy-Komparse, ein Tag bei Paramount, am nächsten bei Columbia, die billige Nummer im Gower Gulch, wenn es eng wurde. Jeder vernünftig aussehende Weiße, der ein Seil wirbeln und reiten konnte, war im Hollywood der Depressionsjahre ein Facharbeiter.

Aber 1934 änderte sich der Geschmack, statt Western gab es Musicals. Die Arbeit wurde knapp. Buzz war drauf und dran, die Einstellungsprüfung der städtischen Busgesellschaft zu machen – sechs offene Stellen auf sechshundert Bewerber als ihn Hollywood erneut rettete.

Die Monogram-Studios wurden von Streikposten belagert: eine Vereinigung von Gewerkschaften unter dem Banner der AFL. Er wurde als Streikbrecher angeheuert – fünf Dollar pro Tag und als Bonus garantierte Arbeit als Komparse, sobald der Streik niedergeschlagen war.

Zwei Wochen lang zerdepperte er mit dem Gummiknüppel so viele Köpfe, daß ihm ein Cop außer Dienst den Spitznamen »Buzz« gab und ihn Captain James Culhane, dem Chef des Rollkommandos der LAPD, vorstellte. Culhane wußte, wenn er einen geborenen Polizisten sah. Zwei Wochen später lief er in einem Innenstadtrevier Streife, einen Monat später war er Waffenausbilder an der Polizeiakademie. Weil er die Tochter von Polizeichef Steckel im Schießen mit einer Zweiundzwanziger und im Reiten unterrichtete, wurde er Sergeant – Dienst beim Betrugs- und Raubdezernat, danach die Krönung des Ganzen: das Rauschgiftdezernat.

Der Dienst beim Rauschgiftdezernat verlief nach eigenen, ungeschriebenen Grundsätzen:. Du nimmst die niederste Form menschlicher Existenz hops, du steckst im Dienst bis zu den Knien in der Scheiße, und du bekommst deinen Anteil. Wenn du deinen Dienst korrekt machst, verpfeifst du die nicht, die es nicht tun. Wenn nicht, zweigst du ein paar Prozent von dem, was du beschlagnahmst, für die Farbigen oder Jungs vom Syndikat ab, die ausschließlich an die Strahlemänner verkaufen: Jack Dragna, Benny Siegel, Mickey C. Und behalte die Moralapostel in den anderen Abteilungen im Auge – die Burschen, die dich raushaben wollen, damit sie deinen Job kriegen.

Als Buzz 1944 zum Rauschgiftdezernat kam, schloß er einen Handel mit Mickey Cohen ab, damals ein unbeschriebenes Blatt in der Gangsterszene von LA, ein hungriger Kerl, der im Kommen war. Jack Dragna haßte Mickey; Mickey haßte Jack; Buzz ließ Jacks Dealer im Niggerviertel hochgehen, sahnte fünf Gramm pro Unze ab und verkaufte sie an Mickey, der ihn dafür liebte, daß er Jack Kummer verursachte. Mickey nahm ihn auf Partys in Hollywood mit und stellte ihn Leuten vor, die die Gunst der Polizei brauchten und willens waren, dafür zu bezahlen; er verpaßte ihm eine geile Blondine, deren Bullengatte als Militärpolizist in Europa diente. Er lernte Howard Hughes kennen und arbeitete als Spürhund für ihn, indem er ruhmsüchtige Bauernmädchen aufgabelte und sie in die Fickbuden schaffte, die der große Junge in ganz LA unterhielt. Alles lief wie geschmiert: der Dienst, das Geld, das Verhältnis mit Laura Considine. Bis zum 21.Juni 1946, als ihn ein anonymer Hinweis auf eine Übergabe an der Ecke 68th Street und Slauson in einen Hinterhalt in einer Einfahrt lockte: zwei in die Schulter, eine in den Arm, eine durch die linke Arschbacke. Und einen Beschädigtenblitzfahrschein samt voller Pension heraus aus dem LAPD und direkt in die Arme von Howard Hughes, der zufällig gerade einen Mann brauchte…

Und er wußte immer noch nicht, wer die Schützen waren. Die Kugeln, die man aus ihm herausgeholt hatte, deuteten auf zwei Männer hin. Und er hatte zwei Verdächtige: Dragnas Killer oder bestellte Jungs von Mal Considine, Lauras Ehemann und aus dem Krieg heimgekehrter Sergeant bei der Sittenpolizei. Er hatte sich im Department über Considine erkundigt und gehört, daß er bei Kneipenschlägereien in Watts den Schwanz einzog, daß er mit Vorliebe Grünschnäbel auf die Nutten ansetzte, wenn er bei der Sitte auf Nachtschicht war, daß er eine tschechische Frau und ihren Sohn von Buchenwald mitgebracht hatte und sich von Laura scheiden lassen wollte. Nichts Konkretes – da konnte man machen, was man wollte.

Das einzige, was er in der Hand hatte, war, daß Considine über das Verhältnis zu seiner demnächst Verflossenen Bescheid wußte und ihn haßte. Als er seine Ausstandsrunde durch die Kriminalabteilung drehte, um sich zu verabschieden und die Tapferkeitsmedaille abzuholen, hatte er Gelegenheit, einen Blick auf den Mann zu werfen, dem er Hörner aufgesetzt hatte. Er ging zu Considines Schreibtisch im Dienstraum der Sitte, sah einen hochaufgeschossenen Kerl, der mehr wie ein Rechtsanwalt denn ein Cop wirkte, und hielt ihm die Hand hin. Considine musterte ihn langsam, sagte: »Laura hatte schon immer eine Schwäche für Zuhälter« und schaute weg.

Ausgeglichenes Spiel: Considine oder Dragna, entscheide dich.

Buzz sah, wie ein neues Pontiac-Kabrio vor Nummer 1187 hielt. Zwei Frauen in Krinolinekleidern stiegen aus und trippelten auf hohen Absätzen zur Tür, ein großer Grieche in zu enger Anzugjacke und zu kurzen Hosen folgte ihnen. Die größere Tussi blieb mit dem Pfennigabsatz in einer Pflasterspalte hängen und knickte mit einem Knie ein; Buzz erkannte Audrey Anders, das Haar im Pagenschnitt und doppelt so schön wie auf dem Foto. Das andere Mädchen – »Juicy Lucy« auf den Publicity-Fotos – half ihr wieder auf und ins Haus; der große Mann ging direkt hinter ihnen. Buzz setzte drei zu eins, daß Tommy Sifakis auf die feine Tour nicht reagieren würde, griff sich den Gummiknüppel und ging zu dem Pontiac.

Sein erster Schlag rasierte den Indianerzierkopf von der Kühlerhaube, der zweite zerschmetterte die Windschutzscheibe. Drei, vier, fünf und sechs bohrten sich wie ein Spade-Cooley-Refrain in den Kühlergrill und hüllten ihn in Dampfwolken. Sieben war ein blinder Haken an das Fenster auf der Fahrerseite. Auf das Krachen folgten ein lautes »Verdammte Scheiße!« und ein vertrautes metallisches Geräusch: ein Schrotgewehr wurde durchgeladen.

Buzz drehte sich um und sah Tommy Sifakis mit großen Schritten den Weg herunterkommen, die Abgesägte mit zitternden Händen haltend. Vier zu eins, daß der Grieche zu durchgedreht war, um zu merken, daß die Waffe verdächtig leicht war, zwei zu eins, daß er nicht die Zeit gehabt hatte, zur Patronenschachtel zu greifen und zu laden. Bluffwette, klipp und klar.