Blutzoll der Wölfe: Band 2 - Alegra Cassano - E-Book

Blutzoll der Wölfe: Band 2 E-Book

Alegra Cassano

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Beschreibung

Waydar und Morgan stecken in großen Schwierigkeiten. Obwohl sich die Kräfte des Bestadors fast vollständig entwickelt haben, und eine Flucht somit in greifbarer Nähe ist, droht neue Gefahr. Killroy, Waydars Vater, ist auf dem Weg, um seine skrupellosen Pläne in die Tat umzusetzen.

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Seitenzahl: 520

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alegra Cassano

Blutzollder Wölfe

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2015

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

Bildrechte:

© GDphotoarts

http://www.gdphotoarts.com

With kind permission of GDphotoarts and

Niall Casson.

Thanks a lot.

Picture wolf: © MBCH – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-945934-31-9

ISBN 978-3-945934-32-6 (epub)

Inhalt:

Waydar und Morgan stecken in großen Schwierigkeiten. Obwohl sich die Kräfte des Bestadors fast vollständig entwickelt haben, und eine Flucht somit in greifbarer Nähe ist, droht neue Gefahr. Killroy, Waydars Vater, ist auf dem Weg, um seine skrupellosen Pläne in die Tat umzusetzen.

Kapitel 36

Killroy

„Morgan!“ Waydar wurde energischer. Der Kleine schien mit diesen Kräften noch nicht wirklich umgehen zu können oder er hatte seine sadistische Ader entdeckt. „Hör auf, die Wachen zu quälen! Sie sind längst ohnmächtig. Lass uns lieber überlegen, wie es weitergeht.“

Huron, Tark und Liras hatten sich direkt neben dem Eingang an die Wand gedrängt und verfolgten das Schauspiel der herumwirbelnden Körper mit offenen Mündern. Morgan schien sie erst jetzt zu bemerken. Im nächsten Moment wurden sowohl Tark als auch Huron gegen die Wand geschleudert und einige Zentimeter vom Boden hochgehoben. Liras duckte sich vorsichtshalber, doch auf ihn hatte es Morgan nicht abgesehen.

Waydar starrte seinen Geliebten entsetzt an. Wieder schüttelte er ihn kräftig am Arm.

„Lass das! Dafür haben wir jetzt keine Zeit!“, rief er. Morgan wandte sich ihm zu. Als der Blickkontakt unterbrochen wurde, fielen die beiden Wolfswandler auf den Boden. Gleichzeitig griffen sie sich an die Hälse und sahen sich ratlos an. Sie wussten nicht, was da gerade mit ihnen geschehen war.

„Es tut ihm leid!“, rief Waydar ihnen zu, stellvertretend für seinen Geliebten. Morgan fixierte nun ihn mit fiebrigem Blick. Waydar wurde es heiß und kalt. Sein Penis richtete sich mit einem Ruck auf. Er konnte ein schmerzerfülltes Aufstöhnen nicht unterdrücken. Ungläubig sah er Morgan an.

„Du wirst doch jetzt nicht an so was denken?“, fragte er und legte seine Hand auf das schmerzhaft geschwollene Geschlecht. Im nächsten Moment lag er auf dem Boden und Morgan hockte über ihm. „Das ist nicht dein Ernst“, keifte Waydar und versuchte, unter dem eigentlich viel schwächeren Körper wegzukommen, was nicht gelang. „Morgan! Ich befehle dir, damit aufzuhören!“ Sein Schwanz fühlte sich an, als würde er gleich platzen.

„Ich mag es, wenn du so herrisch bist“, flüsterte Morgan in seinem Kopf.

„Dann tu jetzt, was ich sage, oder ich versohle dir dein kleines Hinterteil!“, befahl Waydar. Er wusste, dass Morgan durcheinander war und vollkommen überwältigt von seinen neuen Fähigkeiten. Er spielte herum wie ein Kind, probierte aus, zu was er im Stande war. Diese Kräfte ängstigten Waydar. Er wusste, dass weder er noch sein Rudel eine Chance gegen diesen schmächtigen jungen Mann haben würden, wenn der es ernst meinte. Ein Blick auf die verdrehten Gliedmaßen der Wachmänner genügte.

Abwartend hockte Morgan weiter über ihm. Obwohl er kaum etwas wog, lastete ein Gewicht schwer wie Blei auf Waydar und drohte seine Brust einzudrücken.

„Geh runter! Ich bekomme keine Luft!“, japste er deshalb.

„Oh, Verzeihung.“ Morgan gab ihn frei und hockte sich neben ihn. Der Rausch schien erst einmal vorbei zu sein.

„Es tut mir leid. Hast du jetzt Angst vor mir?“, brachte der Kleine hervor und sah ihn mit waidwunden Augen an.

„Vor dir?“, wiederholte Waydar und rappelte sich hoch. „Nein, vor dir nicht“, antwortete er dann, „aber vor deinen neuen Kräften. Du kannst sie offenbar noch nicht richtig kontrollieren.“

Morgan senkte den Kopf und seufzte. Sofort war Waydar neben ihm und nahm in tröstend in die Arme.

„Niemand kann sofort alles richtig machen“, tröstete er und küsste ihn auf die Stirn. „Du bist uns eine große Hilfe. Schau, die Tür ist offen und niemand bewacht uns im Moment. Wir könnten einfach so hinausspazieren.“

„Warum tun wir das eigentlich nicht?“, warf Huron ein, der sich wieder gefasst hatte. Liras hielt Tark am Arm und redete leise auf ihn ein.

Waydar holte tief Luft und sah seine Rudelbrüder der Reihe nach an.

„Mein Vater ist so gut wie hier. Er wird sicher erfahren haben, was Sarton mit uns plant. Wenn wir einfach so fliehen und er uns nicht findet, wird er das Schloss dem Erdboden gleichmachen. Fliehen wir zu ihm, wird es nicht viel anders aussehen, außer dass wir Morgan nicht mitnehmen können.“ Er sah den jungen Bestador bedauernd an. „Deshalb überlege ich, ob es nicht besser ist, hierzubleiben und nur Morgan in Sicherheit zu bringen.“ Er wandte sich jetzt direkt an den Bestador. „Was ist mit deinem Vater? Ist er in der Nähe? Könntest du zu ihm gelangen?“

Morgan sah ihn mit großen Augen an. „Du willst dich von mir trennen? Aber das geht nicht“, jammerte er.

„Nur für eine Weile“, versuchte Waydar ihn zu beruhigen und streichelte seine Wange. „Bis sich alles beruhigt hat und mein Vater abgezogen ist.“

„Aber das Band ...“, wandte Morgan ein. Er konnte den dünnen goldenen Streifen sehen, der um Waydar herum verlief.

„Gibt es damit ein Problem?“, hakte der nach. Morgan zuckte hilflos die Schultern und versuchte sich daran zu erinnern, ob sein Vater etwas davon gesagt hatte, wie weit sie sich voneinander entfernen konnten, bis das magische Band sie wieder zueinander führte.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht könnte ich deinen Vater aus dem Weg räumen“, grübelte er.

„Nein! Das lässt du schön bleiben“, fuhr Waydar ihn an. „Nicht dass mir viel an meinem alten Herrn liegt, aber er besitzt ebenfalls besondere Kräfte. Was meinst du denn, warum ihn alle so fürchten. Irgendwas ist in ihm, das ein normaler Wolf nicht besitzt, auch nicht der stärkste Alpha. Außerdem übt er schon Jahrzehnte und du beginnst gerade erst. Ich habe Angst, dass du ihm nicht gewachsen bist. Bitte versuche nicht, ihn anzugreifen, wenn es sich vermeiden lässt.“

Alle fuhren zusammen, als plötzlich eine weitere Stimme von der Tür her ertönte.

„Ach hier habt ihr es euch gemütlich gemacht“, sagte Bastor. „Und ich mache mich verrückt, wie ich euch vor dem Scheiterhaufen retten kann. Seid ihr wahnsinnig, hier einen Plausch abzuhalten? Warum verschwinden wir nicht?“

„Wir denken gerade darüber nach“, erklärte Waydar.

„Keine Zeit zum Denken, Alpha. Sie schichten bereits das Holz auf. Wir müssen schleunigst hier weg, am besten direkt zu Killroy.“

Bastor warf einen nervösen Blick über die Schulter und kam dann in den Raum hinein.

„Morgan“, rief er überrascht. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Wie man es nimmt“, knurrte Tark leise.

„Ja. Mir geht es gut.“ Der Junge versuchte den Blickkontakt zu vermeiden und an etwas Neutrales zu denken, was gar nicht so einfach war.

„Morgan ist ein Bestador“, erklärte Waydar dem Rudel. „Aber er ist auf unserer Seite. Leider hat er seine Kräfte noch nicht vollständig unter Kontrolle.“

Huron und Tark warfen sich verstohlene Blicke zu. Jetzt ahnten sie, welche Kraft sie im Griff gehabt hatte.

„Ein Bestador? Meine Güte! Was hast du dir da nur für ein Herzchen angelacht, Waydar?“ Bastor schüttelte den Kopf und sah Morgan unbehaglich an.

„Wir können ihn nicht mitnehmen“, stellte er dann fest.

„So weit waren wir auch schon, bevor du kamst“, erklärte Waydar und berichtete dann von Morgans Vater, der irgendwo vor dem Schloss lagern musste.

„Gut. Dann werden wir alle zusammen fliehen und uns hinter den Schlossmauern trennen, richtig?“, fragte Bastor nach. „Lasst uns schnell gehen. Ich habe keine Lust auf einen verbrannten Pelz.“

„In Ordnung. Morgan kann uns sicher bei der Flucht helfen“, meinte Waydar und griff nach dem Arm des Jungen. Ein starker elektrischer Schlag durchfuhr ihn und ließ ihn aufheulen.

„Entschuldigung“, brachte Morgan heiser heraus. Er wollte Waydar nicht verletzen, hatte nur gerade daran gedacht, wie er sich vor Übergriffen verteidigen sollte. Die anderen machten ihm Platz, als er zur Tür ging. Er war ihnen nicht geheuer. Wieder einmal ein Außenseiter, dachte Morgan traurig.

Roweena überlegte immer noch, was sie für Waydar und sein Rudel tun konnte, als sie Fabris rufen hörte, sie solle mal aus dem Fenster sehen. Rasch folgten sie alle der Aufforderung, nur Dood war zu klein, verwandelte sich aber rasch und kletterte in Mardergestalt auf Lucadias Schulter.

„Da laufen deine Gefangenen“, rief Fabris.

Sie beobachteten erstaunt, dass jeder Wachmann, der sich der Gruppe in den Weg stellte, wie von Geisterhand zur Seite gewischt wurde, wo er benommen liegen blieb. Da ging etwas nicht mit rechten Dingen zu.

„Fabris! Wo willst du hin?“, rief Roweena, als ihr Wachmann davon stürzte.

„Ich muss den anderen helfen! Ich komme gleich zurück!“

„Nein! Du bleibst gefälligst hier! Du musst mich beschützen!“, kreischte sie aufgebracht. Ihre Nerven lagen blank, seit Lucadia sie so angeschrien hatte.

„Dir passiert doch hier drinnen nichts. Ich sehe nur mal nach, was da unten los ist, und komme sofort zurück, um dir Bericht zu erstatten“, versuchte er sie mit ruhiger Stimme zu besänftigen.

Roweena stampfte wütend mit dem Fuß auf.

„Wenn du jetzt gehst, verlange ich einen neuen Leibwächter!“, schrie sie ihm nach.

Er drehte ich um und sah sie mit schief gelegtem Kopf traurig an.

„Ich hoffe, das meinst du nicht so.“ Mit diesen Worten ging er hinaus.

„Verdammt!“ Roweena fuhr zu Lucadia herum und funkelte ihre kleine Schwester böse an. „Warum hört er nicht darauf, was ich sage?“

„Weil er ein erwachsener Mann ist, der eigene Entscheidungen trifft und nicht dein Spielzeug, das machen muss, was du sagst“, konterte Lucadia. „Weena. Er ist so ein lieber Kerl. Er hält es sogar länger als fünf Minuten mit dir aus. Verdirb es dir nicht mit ihm.“

„Was soll das denn heißen? Meinst du, ich wäre ein Männerschreck, der alle bevormundet?“

Lucadia und Dood warfen sich einen genervten Blick zu.

Schon nach wenigen Minuten stürzte Fabris wieder in den Raum.

„Waydars Rudel ist am Tor mit Killroy zusammengestoßen, der gerade hinein wollte. Ich befürchte, die Sache eskaliert gleich. Ihr müsst euch in Sicherheit bringen!“, rief er aufgeregt.

Roweena warf sich ihm an den Hals. „Du musst aber bei uns bleiben“, flehte sie.

„Beruhige dich. Ich passe schon auf euch auf. Wo sollen wir nur hin? Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn Sarton und Killroy aufeinandertreffen. Wir brauchen einen Ort, von dem aus wir schnell durch eins der kleineren Tore flüchten können, falls es hier drinnen zu Kämpfen kommt.“

„Der Stall?“, fragte Roweena und dachte an ihre wilde Knutscherei in der hintersten Box.

Dood stimmte zu. „Ja, der liegt nah an dem kleinen Tor, das ich immer benutze. Die Wege dahinter kenne ich gut.“

„Okay. Wartet. Ich sehe noch mal nach.“ Fabris schlich sich geduckt zum Fenster und spähte vorsichtig hinaus. Die anderen drei beobachteten ihn angespannt.

„Der Hof ist im Moment viel zu voll. Wir bleiben erst mal hier und verbarrikadieren uns. Wenn es ruhiger wird, versuchen wir den Stall zu erreichen“, bestimmte er.

Killroy verströmte eine Aura von natürlicher Überlegenheit. Jedermann, der ihm begegnete, verspürte den Wunsch, vor ihm niederzuknien und ihm den gesenkten Nacken zu präsentieren. Äußerlich wirkte er stets ruhig, es wussten jedoch alle, was hinter dieser Fassade lauerte.

Killroy saß auf einem schwarzen Rappen, hoch über den Köpfen der anderen Wölfe, die unberitten waren. Sein kalter Blick aus silberfarbenen Augen schmerzte jeden körperlich, auf dem er länger als einen Atemzug verharrte. Nicht wenige krümmten sich zusammen, als der Alpha an ihnen vorbeiritt.

An dem Lagerplatz von Alasars Rudel hatte Killroys Trupp zum ersten Mal Halt gemacht. Wie erwartet, warf Killroy Alasar den Körper des toten Boten vor die Füße.

„Du kommst mit mir“, bestimmte der Alpha vom grünen Hügel mit eisiger Stimme, bei der sogar Alasar zu zittern begann. Dorm heftete sich automatisch an die Fersen seines Herrn, doch Killroys Blick ließ ihn auf der Stelle erstarren.

„Keine Betas!“

Alasar nickte Dorm kaum merklich zu und der zog sich zurück. Er selbst schloss sich schweigend der Gruppe an und hielt sich direkt links neben Killroy.

„War es nicht deine Aufgabe, meinen Sohn sicher hierher zu begleiten?“ Die Stimme verwandelte Alasars Blut zu Eis, das zäh durch seinen Körper floss und ihn zu lähmen begann.

„Ja, Herr. Ich habe ihn gesund hierher gebracht. Meine Aufgabe ist erfüllt.“

Killroy lachte, was schauerlich klang und alle in seinem Umfeld die Köpfe einziehen ließ. Alasar bemerkte erleichtert, dass die beginnende Lähmung nachließ. Wenigstens etwas.

„Du hast diesen Bestador also nicht bei ihm gesehen?“, hakte Killroy nach.

Alasar schluckte heftig. Natürlich hatte er das, er hatte nur nicht wahrgenommen, was Morgan einmal sein würde.

„Ich habe einen jungen Mann bei ihm gesehen, wusste aber nicht, dass er ein Bestador werden würde“, gestand Alasar wahrheitsgemäß. In Killroys Nähe waren Lügen tödlich.

„Ein junger Mann also? Und was hast du gegen ihn unternommen? Du weißt, dass ich keinen Menschen in der Nähe meines Sohnes dulde, schon gar keinen Mann.“ Killroys Stimme klang immer noch beherrscht. Sein Blick war geradeaus auf das Schloss gerichtet.

„Es riecht nach Verrat und Wortbrüchigkeit“, murmelte er.

„Hast du einen Plan?“, wagte Alasar zu fragen, sah den anderen aber nicht an.

„Ich werde mit Sarton reden. Er wird einsehen, dass die Hochzeit stattfinden muss. Wir haben beide unser Wort gegeben. Dass er Waydar festgenommen hat, werde ich ihm verzeihen, wenn er mir diesen Bestador überlässt.“

Alasar schluckte nervös. Wenn er daran dachte, welches Schicksal dem Jungen bevorstand, der gerade erst zum Bestienjäger geworden war, kribbelte es voller Vorfreude in seinem Magen. Vielleicht wurde ihm ja wieder die Ehre zuteil, an dessen Vernichtung teilzuhaben. Ob Killroy einen Weg kannte, die Kräfte zu binden, die so einem Wesen angedichtet wurden? Andernfalls würde die Sache äußerst gefährlich werden.

Am Haupteingang des Schlosses herrschte Tumult, als sie eintrafen. Killroy behielt jedoch auch hier den Überblick. Zielsicher preschte er in eine Gruppe von Wölfen hinein, beugte sich herunter und zerrte einen von ihnen bäuchlings über sein Pferd. Dann ritt er wieder aus dem Schloss hinaus und auf sein Rudel zu.

„Schnappt euch die anderen, die zu uns gehören, und passt gut auf sie auf. Ich habe mit meinem Sohn zu reden!“

Waydar schrie vor Wut, aber sein Vater ließ den Rappen weiter galoppieren, bis sie sich tief im Wald befanden.

„Ich bin kein kleines Kind mehr! Was fällt dir ein!“, brüllte er ihn an. Killroy ließ ihn endlich los und gab ihm einen Stoß, sodass er vom Pferd rutschte und unsanft auf dem Boden aufschlug.

„Du benimmst dich aber wie eins!“

Waydar hielt sich die Schulter, mit der er aufgeschlagen war, und bemühte sich auf die Beine zu kommen. Die kalten Augen seines Vaters musterten ihn abfällig.

„Wie siehst du nur aus? Schämen muss ich mich für dich und deine Bande! Ihr könntet als Wegelagerer durchgehen. Wieso benimmst du dich so? Ich verstehe dich nicht, Waydar!“

„Du hast mich noch nie verstanden. Warum jetzt damit anfangen?“, murmelte der Sohn.

Killroy stieg vom Pferd und stellte sich dem Jungen gegenüber.

„Sieh mich an“, forderte der ihn auf. Trotzig hob er den Kopf.

„Du hast dich erneut verliebt? Wieder mal in einen Mann?“ Killroys Stimme triefte vor Spott. Waydar starrte ihn entsetzt an. Woher wusste er das?

„Vater ...“, begann er mit brüchiger Stimme. Bilder seines ersten Geliebten Jora kamen unbarmherzig in ihm hoch. Dann fiel ihm ein, dass Morgan nicht so schwach war. Vielleicht waren seine Kräfte gerade rechtzeitig erwacht?

„Ach, jetzt auf einmal Vater?“, hakte Killroy überrascht nach. „Erspare mir dein Gejammer. Bitte töte ihn nicht und so weiter. Das hatten wir bereits.“

Waydar spürte, wie Tränen in seinen Augen brannten, und zwang sie mit aller Willenskraft zurück.

„Ich fordere dich zum Kampf!“, sagte er mit fester Stimme. Killroy seufzte theatralisch.

„Ach, Junge. Du wirst mich nie besiegen. Es sei denn ...“, grübelnd griff er sich ans Kinn. „Ja, genau. Es gibt einen Weg, durch den du genauso stark werden kannst wie ich. Willst du wissen, wie der aussieht?“

Unsicher wiegte Waydar den Kopf hin und her. Dieses Funkeln in den Augen seines Vaters gefiel ihm überhaupt nicht. So sah er immer aus, kurz bevor etwas Schlimmes geschah.

„Bitte, Vater“, stieß er hervor.

Killroy kam näher und legte ihm eine Hand auf den Kopf, strich dann nachdenklich durch das verfilzte Haar. So eine Berührung hatte es zwischen ihnen nie gegeben und Waydar hielt gespannt die Luft an.

„Du hast immer nach deiner Mutter gefragt“, begann Killroy. „Meine Güte, was bist du mir damit auf die Nerven gegangen. Weißt du noch?“

Waydar nickte. Zum Sprechen fehlte ihm der Mut. Er ahnte, dass sein Vater etwas Schreckliches tun oder sagen würde, und wappnete sich innerlich.

„Dann will ich dir nun von ihr erzählen. Ich habe sie mir ausgesucht, weil ich wusste, dass ihr Vater ein Bestador war. Ich wollte ihre Kräfte, doch die entwickelten sich nur langsam. Eine weise Frau sagte mir, dass weibliche Bestadores ihre vollen Kräfte erst nach der Geburt des ersten Kindes entfalten, weshalb ich sie schwängern musste. Was soll ich dir sagen, es hat geklappt. Oh, was hat sie mich verflucht. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft sie mich umbringen wollte, und beinahe wäre es ihr auch geglückt. Als du geboren warst, ging es erst richtig los. Was war sie sauer, dass ich dich ihr weggenommen habe. Geschäumt hat sie vor Wut und mich tausendmal verwünscht.“ Er lächelte tatsächlich bei dieser Erinnerung.

Waydar schluckte krampfhaft. Was erzählte sein Vater denn da? War er etwa zur Hälfte ein Bestador und kein Mensch?

„Hast du sie gefressen?“, brachte er tonlos heraus.

„Mit Haut und Haaren. Jedes kleinste bisschen von ihr.“ Killroy schien in Erinnerungen zu schwelgen. „Ich sage dir, es gibt nichts Besseres. Und wie du dich danach fühlen wirst ... Aber was rede ich lange herum. Du wirst es ja bald selbst herausfinden.“

Waydar fiel in sich zusammen, als hätte jemand all seine Knochen entfernt. Das konnte nicht der Ernst seines Vaters sein! Er sollte Morgan auffressen?

„Nein! Das werde ich nicht tun!“, schrie er wutentbrannt.

„Nein?“ Killroy zog die Augenbrauen hoch. „Zu schade. Das wäre die einzige Möglichkeit für dich, mich jemals zu besiegen. Aber gut, wenn du es nicht tun willst, mache ich es. Ich konnte bereits einen flüchtigen Blick auf deinen kleinen Freund werfen. Delikat, würde ich sagen. Meine Kräfte werden durch ihn ins Unermessliche wachsen.“

Killroy kicherte albern, was überhaupt nicht zu ihm passte, und Waydar durchfuhr es eiskalt.

Kapitel 37

Und bist du nicht willig ...

Waydar wurde von seinem Vater wie ein ungezogenes Kind an Sartons persönlicher Wache vorbei in dessen Gemächer geschleppt.

„Ich rede, du schweigst. Blamier mich nicht noch einmal, Waydar, oder ich lasse deinen kleinen Freund genauso elendig verrecken wie den Letzten, hast du mich verstanden? Und hör endlich auf, ihm diese dämlichen Warnungen zuzuflüstern. Ich bin es leid, ständig deine Gedanken abzublocken.“

Waydar lief mit gesenktem Kopf neben seinem Vater her. Er überlegte fieberhaft, was er für Morgan tun konnte. Dessen Stimme war nicht mehr in seinem Kopf aufgetaucht, und ob wenigstens eine seiner Botschaften bis zu ihm durchgedrungen war, wusste er nicht. Offenbar verfügte sein Vater über die Möglichkeit, seine stummen Nachrichten aufzuhalten.

Sarton sah überrascht auf, als Killroy mit Waydar im Schlepptau eintrat. Der Alpha vom Silberfell bemühte sich um Fassung, zumindest deuteten seine zuckenden Gesichtszüge darauf hin. Das Mienenspiel reichte von erschrocken über ängstlich bis zu nervös mit allen Facetten, die dazwischen lagen. Außer Erleichterung spiegelte sich jede mögliche Emotion in Sartons Blick.

„Killroy“, stieß er schließlich mit zittriger Stimme aus und spähte über dessen Schulter, vermutlich um seine Wachleute zu entdecken, denen er mit Sicherheit den Auftrag gegeben hatte, den anderen Alpha aufzuhalten.

„Sarton!“, begrüßte Killroy ihn seinerseits so freundlich, dass Waydar sich unbehaglich schüttelte. „Lange nicht gesehen, mein Freund. Wie geht es dir und der zukünftigen Braut? Ist sie sehr aufgeregt?“

Nun entdeckte Sarton Waydar und ihm fiel die Kinnlade herunter. „Aber ...“, begann er zu stottern und richtete die Augen wieder fragend auf den Alpha vom grünen Hügel. Der setzte sich nun einfach unaufgefordert und zerrte Waydar auf den Platz neben sich. Sarton schluckte trocken und trat zögernd näher.

„Darf ich euch etwas anbieten?“, fragte er, was Waydar überraschte.

„Später“, winkte Killroy ab. „Zuerst will ich mit dir über die Hochzeit reden. Setz dich.“

Sarton räusperte sich unbehaglich und runzelte die Stirn. Waydar konnte sich vorstellen, welche Gedanken seinem Schwiegervater gerade durch den Kopf gingen. Sicher wunderte er sich, wie er aus dem Kerker entkommen war.

„Keine Sorge wegen des Bestadors. Seine Kräfte erwachen gerade erst. Ich werde mich persönlich um ihn kümmern.“ Killroy lächelte so versonnen, dass es Waydar kalt den Rücken herunterlief. Wieder versuchte er gedanklich, Morgan zu erreichen, woraufhin ihn sein Vater mit einem eisigen Blick fixierte und den Kopf schüttelte.

„Warum hat dein Sohn überhaupt einen Bestador hier eingeschleust?“, fragte Sarton, der sich nun zu fangen schien.

„Das habe ich doch gar nicht“, entfuhr es Waydar. Nun sah ihn sein Schwiegervater irritiert an.

„Ich habe dich an ihm gerochen. Du hast ihn markiert und er gehört zu dir.“

„Das stimmt“, gab er leise zu. „Aber ich hätte ihn nie hierher gebracht. Im Gegenteil, ich wollte ihn verstecken, aber dann ...“ Er brach ab und biss sich auf die Zunge.

„Aber dann?“, hakte Sarton unbarmherzig nach. Waydar warf seinem Vater einen unsicheren Blick zu. Sollte er von Alasar erzählen und davon, dass er Morgan benutzt hatte, um ihn ins Schloss zu locken? Das würde seinen Vater im Prinzip nicht interessieren, auch nicht die Demütigungen und Qualen, die sowohl Morgan als auch er hatten aushalten müssen, als sie sich in Alasars Gewalt befanden. Aber er würde es nicht gerne sehen, wenn einer seiner führenden Alphas vor einem anderen schlecht gemacht wurde. Also zuckte Waydar nur die Schultern.

„Aber dann kam alles anders. Ich bin Morgan gefolgt, als er schon im Schloss war. Jemand anderes hat ihn verschleppt und hierher gebracht.“

Sarton zog eine Augenbraue hoch und warf nun Killroy einen fragenden Blick zu.

„Ach, das ist doch egal. Wichtig ist, dass ich dir deine Überreaktion verzeihe. Ich kümmere mich um den Bestador und du um die Hochzeit der Kinder. Ich würde deine Tochter gerne kennenlernen.“

Er lächelte, dachte aber lediglich daran, dieses Weibchen auf seine Fruchtbarkeit hin zu prüfen. Killroy konnte es riechen, wenn eine Wölfin bereit war, zu empfangen. Da er seinem Sohn nicht wirklich über den Weg traute, würde er der Paarung beiwohnen. Gerne hätte er die Sache selbst in die Hand genommen, doch jedes Weibchen, das er versucht hatte nach seiner Umwandlung zu schwängern, war entweder selbst gestorben oder das Ungeborene war in ihr verendet. Waydar war zwar nicht erpicht darauf, seinen Samen weiterzugeben, aber er kannte Mittel und Wege, ihn trotzdem dazu zu bringen. Erst wenn diese Wölfin schwanger war, würden sie das Schloss verlassen. Entgegen seiner Aussage, den Bestador selbst fressen zu wollen, um seine Kräfte weiter zu erhöhen, hatte er vor, ihn dem Ehepaar vorzusetzen, am besten noch vor der Paarung. Einer von beiden würde ihn fressen müssen, dafür würde er schon sorgen. Er wollte schließlich starken Nachwuchs, mit dem das Paar sich nicht einmal herumschlagen musste. Sobald das Balg die Mutter nicht mehr brauchte, würde er es mit sich nehmen. Er betete nur darum, dass es ein Junge sein würde und dass er dieses Mal besser geriet als sein ungezogener Sohn. Er hatte wirklich versucht, ein weiteres Kind zu zeugen, doch ohne einen weiblichen Bestador, von dem er keinen hatte auftreiben können, hatte es nicht geklappt und er hatte es wirklich oft und mit jeder erdenklichen Rasse ausprobiert. Natürlich waren die menschlichen Weibchen dabei am schlechtesten weggekommen, da sie einfach zu den Schwächsten gehörten. Ein legitimer Enkel kam ihm gerade recht, doch so weit waren sie noch nicht.

„Selbstverständlich“, sagte Sarton gerade. „Vielleicht richtet ihr euch schon mal im Gästehaus ein? Bis auf ein paar ausgesuchte Männer muss dein Rudel außerhalb des Schlosses lagern.“

Killroy nickte zufrieden, unterband nebenbei eine weitere Warnung von Waydar an Morgan und stand dann auf.

„Ich freue mich, dass du so einsichtig bist und dass der Vermählung nun nichts mehr im Wege steht“, sagte er. Sarton hatte sich ebenfalls erhoben.

„Sei mein Gast, Killroy. Wenn du einen Wunsch hast, musst du ihn nur äußern. Heute Abend werden wir einen besonderen Gaumenschmaus erleben. Ich habe eine Spezialität heranschaffen lassen. So etwas Feines hast du noch nie verspeist.“

Der Alpha vom grünen Hügel lächelte nachsichtig. Nichts, was er je gefressen hatte, kam an das Fleisch seiner Gemahlin heran, aber das konnte Sarton nicht wissen. Es gab nur noch wenige Bestadores, und wenn ein Stümper wie Sarton diese auch noch verbrennen wollte, statt Nutzen aus ihnen zu ziehen, konnte er nur den Kopf schütteln. All diese Kraft hätte er einfach den Flammen geopfert. Wie unfassbar dämlich konnte man sein?

Morgan war in eine Art Starre verfallen, als Killroy ihn das erste Mal in dem Rudel erblickt hatte, aus dem er seinen Sohn herausgefischt hatte. Ein einziger Blick des Mannes auf dem schwarzen Rappen hatte ihn dermaßen gelähmt, dass er nicht einmal einen Hilferuf an seinen Vater hatte senden können. Erst außerhalb der Schlossmauern wollte er sich von dem Rudel trennen und zu Orias fliehen. Leider hatte Waydars Vater ihn vorher erwischt. Das restliche Rudel war von Killroys Leuten gefangen genommen worden. Er selbst sah sich diesem Teufel Alasar gegenüber, konnte aber absolut nichts tun, um sich gegen ihn zu wehren.

„Na schau mal einer an.“ Der Alpha schmunzelte und strich über Morgans dunkler gewordenes Haar. „So lange haben wir uns nicht gesehen, dass du dich so verändert hast. Oder liegt es an etwas anderem?“

Da Morgan weder reden noch sich bewegen konnte, blieb er die Antwort schuldig. Was war nur mit ihm los? Gerade strotzte er noch vor Kraft und machte ihnen den Weg frei, indem er die Wachen einfach zur Seite wischte wie lästige Fliegen, und dann kam dieser Alpha auf seinem schwarzen Pferd, schnappte sich seinen Geliebten und bedachte ihn mit einem Blick, der ihn all seiner Kräfte beraubte. Als wenn das nicht schlimm genug gewesen wäre, nahm er ihm auch noch die ganz normalen Fähigkeiten, die ein Mensch besaß. Alles, was er noch tun konnte, war atmen. Nicht einmal blinzeln war ihm gestattet und seine Augäpfel brannten bereits wie Feuer. Alasar hob ihn hoch wie eine Puppe und warf ihn sich über die Schulter.

„Dann wollen wir mal“, ächzte er und trug ihn davon. Verzweifelt versuchte Morgan, Kontakt zu Waydar und zu Orias aufzunehmen, aber es kam keine Antwort. Die Leitungen schienen gekappt wie die übrigen Funktionen seines Körpers. Er war zum stummen Zusehen verdammt, doch Schmerzen konnte er tatsächlich noch empfinden, was ihn überraschte. Kein Laut kam über seine Lippen, als Alasar ihn einfach auf den Boden fallen ließ, und doch wusste er, dass ein Knochen gebrochen war, spürte überdeutlich, wie sich die Bruchstücke verschoben. Der Schmerz explodierte in seinem Kopf, wurde hin- und hergeworfen wie ein Ball, fand aber keinen Weg nach außen. Eingeschlossen in seinem Körper konnte Morgan nur abwarten, was geschehen würde, und stumm leiden, denn die Fähigkeit sich zu heilen besaß er ebenfalls nicht mehr.

„Ich glaube, der Tumult legt sich“, teilte Fabris den Mädchen und Dood mit. Sofort waren alle wieder an den Fenstern. Tatsächlich leerte sich der Innenhof des Schlosses und die Leute gingen ihrer Wege.

„Sollen wir uns trotzdem noch verstecken?“, fragte Roweena.

„Ich würde gerne rausgehen, um herauszufinden, was geschehen ist“, meinte Fabris mit einem fragenden Blick zu ihr. Nach ihrem letzten hysterischen Anfall, als er hinausging, wollte er keinen neuen riskieren. Doch dieses Mal war sie wohl selbst neugierig.

„Dann geh, aber pass auf dich auf. Und komm schnell zurück, um uns Bericht zu erstatten“, verlangte sie. Sie schien zu überlegen, ob sie ihn zum Abschied küssen sollte, ließ es dann aber mit einem scheuen Blick auf die anderen beiden Anwesenden.

Fabris hatte kaum den Hof betreten, als ein Wachmann auf ihn zugelaufen kam.

„Gut, dass ich dich so schnell gefunden habe“, begrüßte der ihn. „Sarton will mit Roweena sprechen. Du bist doch zu ihrem persönlichen Schutz abkommandiert, richtig? Dann weißt du, wo ich sie finden kann?“

„Ja.“ Fabris nickte. „Ich bringe sie hin. Kannst du mir sagen, was passiert ist? Ich habe Killroy mit seinem Rudel kommen sehen.“

„Die Alphas haben miteinander geredet und die Lage hat sich wieder beruhigt. Die Hochzeit findet also doch statt“, teilte ihm sein Kamerad mit. Fabris wurde ein wenig blass, riss sich aber zusammen. Er war nur ein einfacher Wachmann und würde nie einen Anspruch auf eine Alpha-Tochter haben.

„Oh, das wird Roweena nicht erfreuen“, murmelte er trotzdem. Ein Blick zurück zum Fenster bestätigte sein Gefühl, dass er von den Mädchen beobachtet wurde. Warum musste er es sein, der Roweena diese Botschaft überbrachte? Sie würde ganz sicher ausflippen. Wie sehr hatte sie sich gefreut, als sie hörte, dass sie nicht würde heiraten müssen, und nun das. Seufzend wandte er sich ab, um zurückzugehen.

Waydar war immer noch buchstäblich an seinen Vater gekettet. Die Fesseln waren zwar nicht sichtbar, aber er konnte sich kaum aus dem Umfeld von Killroy entfernen, dabei hätte er lieber nach Morgan gesucht.

„Jetzt richten wir dich erst mal her, damit deine Zukünftige nicht sofort die Flucht ergreift“, erklärte Killroy und winkte seinem persönlichen Diener.

„Bring mir ein Messer und Rasierzeug“, befahl er und drückte Waydar vor sich auf die Knie.

„Warum muss ich heiraten?“, fragte sein Sohn, der die meiste Zeit trotzig geschwiegen hatte.

„Weil ich es befehle“, knurrte Killroy und griff fest in die verfilzten, langen Locken seines Sohnes. „Wie kann man sich nur so gehen lassen?“, zischte er.

„Ich will aber nicht“, blieb Waydar stur.

„Und wen interessiert das? Ich habe dich nicht gezeugt, damit du einen eigenen Willen hast. Du bist nur meine Marionette. Hast du das immer noch nicht verstanden?“

Waydar schluckte trocken. Diese Worte hörte er heute nicht zum ersten Mal.

Sein Vater begann damit, ihm die Locken vom Kopf zu säbeln. Er spürte das Ratschen des Messers und den Zug an den Haaren, die an seiner Kopfhaut hochgezerrt wurden. Damals, als Alasar ihn geschoren hatte, war sein Haar sowieso ziemlich kurz gewesen, aber als er jetzt die ersten dicken Strähnen zu Boden fallen sah, hätte er heulen können wie ein kleines Mädchen. Sich zu wehren war zwecklos, deshalb riss er sich zusammen.

„Du willst gar nicht, dass ich dein Nachfolger werde“, warf Waydar in den Raum, während weiter an ihm herumgezerrt wurde.

„Natürlich nicht!“, empörte sich Killroy. „Junge, ein Bestador wird viel älter als ein Mensch. Ich werde immer noch an der Macht sein, wenn du längst tot bist.“

„Aber du bist kein Bestador“, warf Waydar ihm an den Kopf. Gleich darauf schrie er vor Schmerzen, weil sein Vater ihm einen dicken Haarstrang einfach aus der Kopfhaut riss, statt ihn abzuschneiden.

„Aber ich habe die Kraft eines Bestadors und somit bin ich quasi einer, wenn auch nicht von Geburt an.“

Waydar brauchte ein paar Minuten, bis er wieder normal sprechen konnte. Blut floss von seinem Kopf in die restlichen verfilzten Haare.

„Warum muss ich dann heiraten?“, brachte er schließlich hervor. Er verstand einfach nicht, was sein Vater von ihm erwartete. Wenn er ihn doch überlebte, war es doch egal, ob er für Nachkommen sorgte.

„Weil ich legitime Enkel will. Einer wird wohl dabei sein, der brauchbar ist“, erklärte Killroy und widmete sich weiter dem Kopf seines Sohnes.

„Wofür brauchbar?“ Waydar war sich nicht sicher, ob er die Antwort hören wollte. Bilder seiner eigenen Kindheit unter Killroys Fuchtel kamen in ihm hoch. Einem seiner eigenen Kinder würde er so ein Erwachsenwerden nicht zumuten wollen.

„Du bist echt schwer von Begriff, Waydar. Muss ich es dir wirklich erklären? Ich habe nicht gesagt, dass Bestadores unsterblich sind, aber sie können lange leben, wenn ihnen nichts Schlimmes widerfährt. Das Feuer, das Sarton geplant hatte, hätte deinen Bestador getötet. Er hätte sich nicht so schnell heilen können, wie sein Körper beschädigt worden wäre. Mir kann auch etwas passieren und deshalb brauche ich jederzeit einen fähigen Nachfolger. Ich bete dafür, dass du es nicht bist, denn dann wird unser Klan vermutlich untergehen. Ich muss mich aber um deinen Erben kümmern, deinen Sohn im Idealfall. Ich werde mir deinen stärksten Nachkommen aussuchen und mit ihm weiter züchten, sodass immer ein Nachfolger für mich da sein wird. Leider wird die Kraft mit jeder Generation schwächer, aber wir können dem entgegenwirken, indem du die Kraft eines Bestadors in dich aufnimmst. Zum Glück hast du ja direkt für einen gesorgt.“

Waydar schnappte nach Luft. Er und Roweena waren für seinen Vater also nichts anderes als ein Zuchtpaar? Die ganze Tragweite dessen, was Killroy gerade gesagt hatte, ließ ihn schwindelig nach vorne sacken, was sein Vater verhinderte, in dem er ihn an den letzten verbleibenden Haarbüscheln festhielt.

„Hast du es nun verstanden? Deine Aufgabe wird es zukünftig sein, deine Frau zu schwängern, so oft es geht, bis ich einen geeigneten Nachfolger gefunden habe.“

Die letzten Locken fielen zu Boden. Dann hörte Waydar das Plätschern von Wasser. Wenig später wurde sein Kopf mit etwas eingerieben. Als die Paste die blutende Stelle berührte, brannte es wie Feuer und Waydar sog zischend die Luft ein.

„Wenn ich der Sohn eines Bestadors bin, wie du sagst, müsste ich dann nicht auch Kräfte haben?“, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Die hättest du, wenn ich sie nicht unterbunden hätte“, stimmte Killroy zu.

Waydar spürte, wie das Rasiermesser über seine Kopfhaut schabte.

„Du willst also nur Kinder von mir?“, hakte er zur Sicherheit noch mal nach. „Sonst kann ich machen, was ich will?“

Killroy lachte laut auf. „Was willst du denn machen, Junge? Deinen kleinen Freund besteigen? Den wird es dann nicht mehr geben. Als Geschenk von mir darf einer von euch ihn fressen, und ich denke, dass du das sein wirst, wenn du schlau bist. Du willst mich doch besiegen, oder nicht? Mit seiner Kraft hast du vielleicht eine Chance.“

Waydar zitterte vor ohnmächtiger Wut. Er konnte nichts gegen seinen Vater unternehmen. Der würde ihn zwingen, alles zu tun, was er verlangte. Eine Frage beschäftigte ihn aber noch ganz besonders. „Wo ist Morgan? Er besitzt jetzt Kräfte, wie du schon sagst. Vielleicht unterschätzt du ihn und er stellt sich dir entgegen.“

„Dein Kleiner ist in den besten Händen. Er ist gerade ungefähr so gefährlich wie ein frisch geschlüpftes Küken. Ich habe ihm die Flügel gestutzt und werde ihm nachher einen Besuch abstatten, aber erst mal kümmere ich mich um dich. Dreh dich um, damit ich dich rasieren kann.“

Castor hatte sich zu Killroys Rudel geschlichen, das vor den Toren des Schlosses lagerte. Er hatte Angst, dass die Ähnlichkeit mit Alasar jemandem auffallen könnte, aber bisher war er unbehelligt geblieben. Ein paar Männer hatten ihn zwar skeptisch gemustert, aber nicht angesprochen. Ein wenig plagte ihn das schlechte Gewissen, weil er Orias und Moras zurückgelassen hatte, doch eine Unruhe hatte von ihm Besitz ergriffen, die er nicht länger unterdrücken konnte. Die vielen Wolfswandler, die teils in menschlicher, teils in tierischer Gestalt das Lager bevölkerten, verwirrten seine Sinne. Nach den Jahren der Abgeschiedenheit war das Stimmengewirr übermächtig. Es klang wie ein Bienenschwarm, der um seinen Kopf herum summte.

„Wo ist Alasar?“, sprach er endlich einen der Männer an, der alleine dasaß und an einem Knochen nagte.

„Im Schloss mit Killroy“, bekam er Antwort. „Warum suchst du ihn?“

„Ach, ich sollte ihm etwas ausrichten, aber das hat Zeit, bis er zurück ist“, winkte Castor ab und wollte weitergehen, als der andere ihn erneut ansprach.

„Ich habe dich hier noch nie gesehen. Aus welchem Rudel stammst du?“

Nun wurde es Castor heiß und kalt. Was sollte er sagen? Zu lange schweigen und nachdenken würde ihn verdächtig machen, und dass der Kerl hier Alarm schlug, wollte er nicht riskieren.

„Ich stamme vom Rudel vom schwarzen Fluss“, begann er und wollte eigentlich noch hinzusetzen, dass er nun bei einem anderen Rudel lebte, aber sein Gegenüber nahm den Faden schon auf.

„Von Nachaz?“, fragte der. Die bloße Erwähnung dieses Namens ließ Castor zusammenzucken. Sein Freund lebte also noch? Sie hatten nicht herausgefunden, dass er ihm damals zur Flucht verholfen hatte? Freudig schlug sein Herz schneller. „Der kommt doch auch hierher, richtig? Wie ist er denn so drauf? Friedlich, oder will er Alasar immer noch töten?“

Castors Kopf schwirrte von den vielen Informationen. So lange hatte er nichts aus der Heimat gehört, und nun gleich so viel. Wieder musste er sich schnell eine Antwort einfallen lassen.

„Ja, ja. Er ist auf dem Weg“, bestätigte er und fragte sich, ob es wirklich so war und ob sie sich bald wiedersehen würden.

„Und du sollst Alasar eine Nachricht von ihm bringen?“, hakte der andere nach. Castor nickte abwesend. „Nun komm schon. Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Was sollst du ihm sagen? Dass er sich verpissen soll?“

Castor schloss für sich aus den Worten des Mannes, dass Nachaz aufgestiegen sein musste. Zum Alpha? Aber er war doch nur ein Beta gewesen. Merkwürdig. Doch würde er nur zum Fußvolk gehören, so wie früher, würde niemand so explizit nach ihm fragen. Außerdem gab es eine Feindschaft zwischen ihm und Alasar, was nicht verwunderlich war nach dem, was damals geschehen war. Hatte Nachaz Alasar etwa davongejagt? Aber wie sollte das möglich gewesen sein? Trotzdem war Alasar eindeutig nicht bei seinem eigenen Klan. Wie konnte er diese Fragen stellen, ohne aufzufliegen?

„Sag mal“, begann er vorsichtig. „Wie ist Alasar denn gerade so drauf, ich meine wegen Nachaz“, drehte er den Spieß einfach um. Sein Gesprächspartner lachte.

„Der will natürlich die Position des Klan-Oberhauptes zurück, aber er traut sich einfach nicht an Nachaz heran.“

Sein alter Freund war also tatsächlich Klan-Oberhaupt geworden? Als Beta? Er musste Alasar im Kampf besiegt haben, sonst war das unmöglich, schloss Castor. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass das bedeutete, dass sein Vater tot war.

„Wann ist der alte Alpha noch mal gestorben?“, fragte er tonlos. Gerne hätte er auch nach dem Wie gefragt, aber das war wohl doch zu auffällig.

„Wann?“, wiederholte der andere Wolf, „Lass mal überlegen.“ Er kratzte sich am Kopf. „Also, sein ältester Sohn ist vor über zwanzig Jahren verschwunden. Genau weiß ich das nicht mehr. Auf jeden Fall hat es von da an nur noch knapp ein Jahr gedauert, bis der Alte an dem Gift starb. Alasar hat die Alpha-Stellung übernommen und Gerüchte wurden laut, dass er es war, der seinem Vater das Gift eingeflößt hatte, weil der herausgefunden hatte, dass Castor damals Unrecht zugefügt worden war. Dann kam ziemlich schnell Nachaz auf die Idee, den Alpha herauszufordern, und hat ihn besiegt. Seit diesem Tag warten alle darauf, dass Alasar sich seinen Platz zurückerobert, tut er aber nicht. Merkwürdig, oder?“

Castor war dankbar für diese Zusammenfassung der Ereignisse. Dass sein Bruder seinen Vater ermordet hatte, traute er ihm zu, aber dass Nachaz so mutig gewesen war, Alasar herauszufordern, hätte er nie gedacht. Sein Vater hatte herausgefunden, dass er ihm Unrecht getan hatte? Castors Herz schmerzte, als er an den Mann dachte, der sie beide aufgezogen hatte. Er war nicht bei ihm gewesen, um das Attentat zu verhindern. Betreten senkte der den Kopf.

„Ja, merkwürdig“, stimmte er dem anderen zu. „Was meinst du, warum er es nicht versucht?“ Dieser Mann war ein wahrer Glücksfall für Castor. Hier erfuhr er mehr über seine Familie, als er sich je erträumt hatte.

„Er hat Schiss“, lachte der Mann und lutschte den Knochen ab. Es handelte sich um ein menschliches Schlüsselbein, wie Castor feststellte.

„Das wird es sein“, stimmte er lachend zu und wandte sich ab. Alasar würde bald noch viel mehr Schiss haben, dachte er grollend. Seinen Vater zu vergiften! Seine Rehabilitation zu verhindern! Dieser Mistkerl hatte ihm gleich zwei Mal das Leben versaut. Na warte! Er ballte die Fäuste und knurrte aus tiefster Kehle, sodass einige Wölfe neugierig zu ihm sahen.

„Wo ist Alasar?“, fragte er den Nächsten, an dem er vorbei kam.

Kapitel 38

Die Suche nach der Erinnerung

Als Fabris zu den anderen zurückkehrte, merkten diese ihm sofort an, dass etwas geschehen war. Er wirkte bedrückt und vermied den Augenkontakt. Das Lächeln, das sonst stets um seine Mundwinkel spielte, war erloschen. Roweena bekam Angst.

„Was ist geschehen?“, fragte sie bang. Verlegen trat Fabris von einem Fuß auf den anderen und knetete seine Finger.

„Ich soll dich zu deinem Vater bringen“, erklärte er und räusperte sich.

„Aber das ist nicht alles“, stellte sie fest. „Der Wachmann hat dir noch mehr gesagt. Ihr habt euch länger unterhalten. Was ist los?“

Lucadia und Dood sahen genauso gespannt zu Fabris, blieben jedoch eine lange Zeit stumm.

„Die Alphas haben sich geeinigt“, rückte der schließlich mit der Sprache heraus. „Die Hochzeit findet statt.“ Er sah Roweena kurz an und senkte dann wieder den Blick. „Es tut mir leid“, setzte er leise hinzu.

Roweena stand unter Schock. Unsicher glitt ihr Blick ständig an ihrem persönlichen Wachmann hinauf und hinunter, als könne sie nicht glauben, dass er direkt vor ihr stand. Plötzlich flossen die Tränen und sie warf sich an seine Brust.

„Nein!“, jammerte sie.

Fabris stand erst verlegen da und legte dann vorsichtig die Arme um sie. Wie von selbst quollen unsinnige Worte aus seinem Mund. „Es wird alles gut, Roweena. Hab keine Angst. Es tut mir so leid“, wiederholte er. „Ich kann nichts dagegen tun.“

Lucadia räusperte sich irgendwann. „Mir tut es auch leid für euch beide, aber Roweena sollte sich jetzt zusammenreißen und waschen gehen. Vater wird sicher sehr ungehalten sein, wenn sie nicht bald erscheint. Was ist, wenn er dich als Wachmann abzieht, Fabris? Solltest du deinen Posten behalten, könnt ihr euch wenigstens sehen.“

„Sie hat recht“, stimmte Dood zu.

Das Pärchen hielt sich aneinander fest, als würde es das retten.

„Bitte deinen Vater darum, dass du mich als Leibwächter behältst“, flüsterte Fabris. Seine Zweifel waren ihm deutlich anzusehen. Wenn er in ihrer Nähe bleiben würde, müsste er es ertragen, sie mit einem anderen Mann zu sehen.

„Ich ... schaffe das nicht“, hauchte sie mit Tränen in den Augen.

„Du schaffst etwas nicht?“, lachte Fabris und zog die Nase geräuschvoll hoch. „Das ist ein Witz, oder? Ich kenne keine andere, die so stark ist wie du. Du schaffst alles, wenn du es nur willst.“

Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben, um dann wieder herabzusinken.

„Es gibt keinen Ausweg?“, vergewisserte sie sich. Fabris schüttelte bedauernd den Kopf. Er hielt sie jetzt nur noch an den Unterarmen umklammert. „Ich fürchte nein“, gestand er.

Roweena schniefte noch ein paar Mal, schluckte sichtbar und blinzelte die Tränen weg. Fabris ließ sie los und lächelte ihr aufmunternd zu. Beinahe gelang es ihm. Die Alpha-Tochter straffte die Schultern und atmete ein paar Mal tief durch.

„So gefällst du mir schon besser“, nickte er und trat zu Lucadia und Dood. Roweena stand verloren und alleine da und schaute sie der Reihe nach an. Dann senkte sie den Kopf und ging Richtung Waschschüssel, um sich frisch zu machen und sich zu sammeln.

„Oh Mann, den Bart hätten wir wohl doch lieber dran gelassen“, meinte Killroy, als er seinen Sohn musterte. Sein Daumen strich über das Muttermal, dass sich etwas oberhalb des rechten Mundwinkels befand.

„Genau wie bei deiner Mutter“, stellte Killroy fest und leckte sich über die Lippen. Waydar war es ziemlich egal, wie er aussah. Die anderen mussten damit wohl eher zurechtkommen als er selbst. Immer noch schwirrte ihm alles, was sein Vater gesagt hatte, im Kopf herum und er versuchte Ordnung in die Gedankenflut zu bringen. Immer wieder musste er daran denken, dass er Roweena schwängern sollte, und zwar so oft wie möglich. Er war noch niemals mit einer Frau zusammen gewesen, aber stärker als diese Sorge belastete ihn der Gedanke an den Nachwuchs, den sein Vater unter seine Fittiche nehmen wollte. Das durfte er auf keinen Fall zulassen!

„Keine Versuche mehr, deinen kleinen Freund zu warnen?“, fragte Killroy, der sich nun abgewandt hatte und in einer Truhe kramte, die seine Diener vor einiger Zeit hereingebracht hatten. Waydar knirschte mit den Zähnen, aber er hatte sich geschworen, nicht um Morgans Leben zu betteln. Das war sowieso sinnlos und nur, um seinen Vater zu belustigen, wollte er sich nicht erniedrigen. Gerade zog Killroy ein ledernes Hemd aus der Truhe und hielt es prüfend hoch, als ein Rudelmitglied hereingestürmt kam. Angriffsbereit fuhr Killroy herum, erkannte aber rechtzeitig, dass es kein Feind war, der sich näherte.

„Alasar“, stieß der Mann nach Atem ringend hervor.

„Was ist mit ihm?“

„Niedergeschlagen. Der Junge ist ... weg“, keuchte der Wolfswandler und duckte sich vor dem berüchtigten Zorn seines Alphas. Waydar verstand erst nicht, begriff dann aber allmählich, dass es sich um Morgan handeln musste, und konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen, senkte aber sofort die Lider, als ihn der Blick seines Vaters traf. Der wandte sich ab und versuchte offenbar, sich zu beruhigen, was das leise Fluchen und die starre Haltung verrieten. Dann fuhr Killroy zu seinem Sohn herum.

„Mach dir keine Hoffnungen! Auch wenn ich ihn im Moment nicht finden kann, habe ich doch den besten Köder der Welt bei mir!“

Waydar zuckte leicht zusammen, reckte dann aber trotzig das Kinn.

„So dumm wird er nicht sein, wegen mir zurückzukommen“, stellte er fest. Wenn er sich die Sache so überlegte, konnte Killroy ihm gar nichts tun, weil er ja noch etwas von ihm verlangte, wofür er in guter körperlicher Verfassung sein musste. Er fühlte sich etwas sicherer und schaute nun herausfordernd.

„Glaube mir, der kommt zurück“, grinste sein Vater so siegessicher, dass es Waydar kalt den Rücken hinunterlief.

„Zieh das an!“ Er warf ihm eine weiße Lederweste zu. Reflexartig krallten sich seine Finger in das weiche Material. Er hasste es, wenn sein Oberkörper von Kleidung eingezwängt wurde, er wollte aber wegen dieser Kleinigkeit auch nichts provozieren. Kämpfen würde er wohl nicht müssen. Leider. Eine Schlacht wäre ihm allemal lieber gewesen, als sich mit seiner Braut abzugeben.

„Gehen wir. Sarton wartet sicher schon mit deiner Süßen. Weißt du überhaupt, wo du dein Ding in eine Frau reinstecken musst? Die sind etwas anders gebaut als deine Jünglinge, mit denen du dich so gerne umgibst.“

„Ich bin sicher, dass du mich hervorragend anleiten wirst“, knurrte Waydar missmutig. Wenn er sich vorstellte, dass Killroy zusehen würde, schrumpfte sein Penis auf Erbsengröße. Niemals würde er ihn steif bekommen, um ein junges Ding zu schwängern, das das ebenfalls nicht wollte. Doch er ahnte, dass Killroy ihn beeinflussen würde. Wenn er es auch nicht selbst tat, so würde er doch die Fäden ziehen, und das gefiel Waydar ganz und gar nicht.

Orias beugte sich über Morgan, der wie versteinert vor ihm auf dem weichen Waldboden lag. Castor hatte ihn hierher getragen.

„Was ist mit ihm?“, fragte er jetzt und betrachtete den schlanken jungen Mann von oben herab.

„Ein anderer Bestador hat seine Kräfte gebunden“, erklärte Orias und streichelte Morgan über die Wange. „Wir bekommen das wieder hin. Hab keine Angst“, flüsterte er ihm zu, wobei der Blick, den er Castor zuwarf, etwas anderes sagte.

„Woher wusstet du, wer er ist?“, fragte Orias.

Der Angesprochene zuckte die Schultern. „Intuition“, meinte er dann.

„Alasar war bei ihm?“, hakte Morgans Vater nach und grübelte. „Aber der ist kein Bestador. Ich habe auch keinen weiteren gespürt. Wer könnte ihm das also angetan haben?“

Moras kam als Wolf aus dem Wald und verwandelte sich.

„Was ist geschehen?“ Er lief auf die beiden Kameraden zu und starrte dann Morgan an. „Ist das dein Sohn? Was hat er denn?“

„Castor brachte ihn her. Er hat ihn vor Alasar gerettet“, begann Orias zu erklären. Moras’ Blick zuckte sofort zu dem Alpha neben sich.

„Alasar? Ich hoffe, du hast es ihm richtig gegeben!“

Castor holte tief Luft und stieß sie wieder aus.

„Ich habe ihm von hinten eins übergezogen. Er hat mich nicht gesehen, aber es fühlte sich verdammt gut an“, grinste er.

„Warum hast du ihn nicht auch hergebracht?“

„Ich musste mich für einen entscheiden und der Kleine sah aus, als hätte er es nötiger“, gestand Castor.

„Du hast gut gewählt“, bestätigte Orias, der seine Hände immer wieder über Morgans Körper gleiten ließ, dann jedoch verzagt innehielt.

„Was ist?“ Beide sahen zu ihm hin.

„Solange ich nicht weiß, wer das getan hat, kann ich nichts machen“, stellte er fest. „Er bekommt übrigens alles mit, was wir sagen. Sein Körper und seine geistigen Fähigkeiten sind vollständig gelähmt, doch er sieht und versteht, was vor sich geht. Den gebrochenen Knochen habe ich geheilt und ihn vor fremden Einflüssen abgeschirmt, aber sonst ...“, er hob hilflos die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Es tut mir leid, aber du wirst noch etwas durchhalten müssen. Wenn ich doch wenigstens Kontakt mit dir aufnehmen könnte.“

Plötzlich hielt er inne, als wäre ihm eine Idee gekommen.

„Ich zapfe die Erinnerungen deines Wolfes an. Der war doch sicher dabei!“, rief er erfreut aus.

„Du machst was?“, Moras sah ihn irritiert an.

„Dieser Wolf, Waydar, der Morgan markiert hat, war vermutlich dabei, als der fremde Bestador Morgan die Kräfte nahm. Ich kann keinen Kontakt zu ihm aufnehmen, weil irgendwas die Verbindung stört, aber vielleicht kann ich mich an seine Erinnerungen hängen. Die laufen auf einer anderen Ebene ab.“

Moras und Castor warfen sich fragende Blicke zu. So ganz verstanden sie nicht, was Orias da vorhatte, aber wenn es funktionierte, war alles gut. Der Älteste der Gruppe konzentrierte sich und schloss die Augen.

Sarton war immer noch alleine, als die beiden Wolfsmänner bei ihm ankamen.

„Es tut mir leid. Frauen“, entschuldigte der sich. „Sie wird sicher gleich da sein. Vermutlich macht sie sich hübsch.“

Sein Blick ruhte nun auf Waydar, den er nicht erkannt hätte, wäre Killroy nicht bei ihm gewesen. Was für eine Veränderung! Der kahle Schädel stand ihm gut. Augen und Mund wirkten nun viel größer und ausdrucksvoller. So würde er Roweena sicher besser gefallen. Sarton hoffte nur, dass sich seine älteste Tochter benehmen würde. Er hatte sich schon genug blamiert, indem er Waydar hatte festnehmen lassen.

„Habt ihr schon Pläne, wo ihr leben wollt?“, fragte der Alpha vom Silberfell, um die Stille nicht zu unangenehm werden zu lassen. Obwohl er seinen Schwiegersohn ansah, antwortete dessen Vater.

„Sie werden bei mir wohnen.“

Sartons Blick wanderte unsicher zu dem mächtigsten Alpha des ganzen Landes. Der schien seinen Sohn ja ganz schön unter der Fuchtel zu haben.

„Ich sehe mal nach, wo sie bleibt“, erklärte er, als es im Zimmer nicht mehr auszuhalten war. Beinahe fluchtartig verließ er den Raum.

„Das Mädel wirst du erst mal erziehen müssen. Scheint nicht so zu spuren, wie sie sollte“, knurrte Killroy. Waydar war es eigentlich ganz recht, dass seine Zukünftige sich Zeit ließ. Er war nicht scharf darauf, sie kennenzulernen, vor allem nicht mit all den Hintergedanken, die ihn nicht mehr losließen. Sicher wäre es seinem Vater lieb, wenn er sich mit der Nachwuchsproduktion beeilte. Sollte er die Kleine gleich hier auf diesen breiten Tisch legen und versuchen sie zu schwängern? Er lachte freudlos auf, was ihm einen Seitenblick seines Vaters einbrachte, der ihn auf der Stelle ernüchterte.

„Deinem Kleinen scheint es noch nicht besser zu gehen“, raunte er ihm zu. „Ich habe keine Nachricht von ihm empfangen. Vielleicht rufst du ihn mal. Ich lasse deine Liebesschwüre auch durch.“ Hinterhältig grinste er ihn an.

Morgan ging es demnach schlecht? Waydar zuckte zusammen, als hätte sein Vater ihn geschlagen. Ganz sicher würde er nicht tun, zu was er ihn aufgefordert hatte. Morgan rufen und ihn damit in Killroys Arme treiben. Auf gar keinen Fall! Er versuchte, alle Gedanken an seinen Geliebten ganz tief in sich zu begraben. Sie würden irgendwann und irgendwie wieder zusammen sein, dessen war er sich sicher.

Gerade als sich die Tür wieder öffnete, fühlte Waydar etwas Kaltes in seinen Kopf eindringen. Es war, als würden sich klamme, feuchte Finger hineintasteten. Ängstlich sah er zu seinem Vater, doch der schien sich vollkommen auf das Mädchen zu konzentrieren, das gerade hereinkam, gefolgt von einem Leibwächter, der sich an der Tür postierte. Artig knickste die Kleine und blieb dann mit gesenktem Kopf stehen. Wäre Waydar nicht so abgelenkt gewesen, hätte er ihre Schönheit bewundert, so tat es sein Vater stellvertretend für ihn.

„Mein Kind“, sagte Killroy und stand auf. Sein Blick glitt über den schlanken, aber sehnigen Körper und blieb an dem silbernen langen Haar hängen, das wie ein Wasserfall über die Schultern des Mädchens fiel und bis über die Ellenbogen reichte. Als er auf sie zutrat, sahen ihn große blau-graue Augen an, die unter dichten schwarzen Wimpern lagen. Die Nase war zierlich, der Mund zart wie eine Rosenknospe, mit roten Lippen, die samtig schimmerten. Der Blick auf den zarten Hals der zukünftigen Braut ließ Killroy erschauern. Wie gerne hätte er sich hier selbst ausgetobt. Er konzentrierte sich, nahm die zierliche Hand in seine und wurde nicht enttäuscht. Eine Wolke aus Hormonen hüllte ihn ein. Er konnte das Östrogen beinahe auf der Zunge schmecken. Dieses Mädchen war reif und bereit. Nur noch wenige Tage, dann würde sie empfangen können. Er lächelte ihr zu, während er die Breite ihres Beckens als etwas schmal einschätzte. Sie würde Probleme bei den Geburten haben.

„Alpha“, kam es irritiert von dem Mädchen. Ihr Blick huschte an ihm vorbei, zu ihrem zukünftigen Gemahl, woraufhin sie die Stirn runzelte.

„Waydar!“, knurrte Killroy, der erst jetzt bemerkte, wie unmöglich sein Sohn sich mal wieder benahm. Entschuldigend lächelte er das wunderschöne Geschöpf an. „Ich hoffe, er gefällt dir nun besser. Waydar! Komm sofort her!“

Dieser erhob sich und schwankte dabei leicht. Killroy packte ihn, sobald er in greifbarer Nähe war, und zog ihn direkt vor Roweena. Die sah sich verstohlen nach den Wachen um, richtete ihre Aufmerksamkeit dann aber wieder auf ihr Gegenüber.

„Das ist mein Sohn Waydar. Er freut sich, dich zu sehen, scheint aber momentan überwältigt von deinem Anblick zu sein.“ Killroy lächelte gekünstelt.

„Was ist los mit dir?“, flüsterte Killroy erbost.

„Ich weiß nicht. Mein Kopf“, flüsterte Waydar. „Irgendwas stimmt nicht.“

„Den Verdacht habe ich schon länger“, grunzte sein Vater und versuchte, in ihn einzudringen. „Was zur Hölle!“, fluchte er dann unterdrückt.

„Was ist los?“ Sarton stand nun an der Seite seiner Tochter und zog sie ein Stück zurück. Auch Fabris hatte bereits einen Fuß vorgesetzt, um eingreifen zu können.

„Nur einen Moment, bitte“, bat Killroy und zerrte seinerseits Waydar in eine Ecke des Raumes, wo er ihn gegen die Wand stieß.

„Da ist jemand in deinem Kopf, aber es ist nicht dieser Junge“, zischte Killroy. Wer außer einem Bestador konnte so etwas tun? Es gab also noch einen in der Nähe!

„Ich weiß nicht. Es ist nur so kalt“, jammerte Waydar und klapperte mit den Zähnen.

„Was kann er nur von dir wollen?“

Orias wusste, dass er sich nicht gerade unauffällig verhielt, doch er musste wissen, wer sein Gegner war. Waydars Erinnerungen waren sehr umfangreich und er musste sich erst hindurchwühlen, um die richtige zu finden. Leider hatte er nicht genug Zeit, um sich die frischesten Ereignisse anzusehen, denn die hätten ihn auch brennend interessiert, aber wichtiger war es jetzt, den Moment zu finden, in dem Morgans Kräfte gebunden worden waren. Es handelte sich nur um eine ganz kurze Sequenz von nicht mal einer Sekunde, weshalb Orias mehrmals daran vorbeigerauscht war. Dann erkannte er einen Reiter auf einem schwarzen Pferd, den eine glühende Aura umgab. Das musste er sein. Sein Blick traf Morgan, bevor Waydar sich dazwischen werfen konnte. Dann wurde der Wolf selbst gepackt und auf das Pferd gezerrt. Nun wusste er, dass es sich um Waydars Vater Killroy handelte. Der war ein Bestador? Wie das, wo er doch ein Alpha-Wolf war? Orias löste die Verbindung gerade noch früh genug, denn er hatte die Anwesenheit des anderen Bestadors gespürt. Was konnte er jetzt mit diesem Wissen anfangen? Dieser Killroy war unglaublich stark, doch er hatte seine Kraft gestohlen und sie sich untertan gemacht. Diejenige, der die Kräfte entrissen worden waren, war immer noch darin zu spüren. Eine Bestadora! Orias kannte nur eine in dieser Gegend und die war seit über dreißig Jahren verschwunden. Es konnte aber auch sein, dass Killroy weiter weg gereist war und sich dort an einer Bestadora vergriffen hatte. Wie war ihm das nur gelungen? Ein normaler Wolfswandler, und sei es auch ein starker Alpha, hatte gegen einen Bestador keine Chance. Er seufzte tief und sah seine Kameraden an, die ihn beobachtet hatten.

„Konntest du etwas herausfinden?“, fragte Moras.

Alasar kam zu sich. Sein Schädel brummte, als hätte er die ganze Nacht gesoffen. Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich erinnerte. Er sollte auf diesen jungen Bestador aufpassen und dann ... Er fasste sich an den Hinterkopf und zuckte zusammen, als er eine gewaltige Beule berührte. Anscheinend war er niedergeschlagen worden, doch von wem?

„Dorm?!“, rief er und zuckte erneut zusammen, weil sein Schädel zu platzen drohte. Bevor er sich das noch mal antat, wartete er lieber ab. Tatsächlich erschien der Beta und brachte ihm Wasser.

„Gut, dass du wach bist. Hier, trink erst mal“, sagte der und kniete sich neben ihn.

Alasar kam es vor, als hätte er diese Situation schon einmal erlebt und tatsächlich verschluckte er sich auch dieses Mal wieder. Es schien zur Gewohnheit zu werden, dass ihn jemand niederschlug. Dem musste er umgehend entgegenwirken.

„Wer war es dieses Mal?“, fragte er und versuchte, leise zu sprechen, um den Schmerz gering zu halten. Dorms Antwort ließ ihn erschauern. Viel zu laut.

„Ich habe es selbst nicht mitbekommen, aber Zeugen haben gesagt, es wäre ein fremder Wolf gewesen. Er soll dir ähnlich gesehen haben.“

„Mir?“, wiederholte Alasar überrascht. „Unsinn!“ Gequält verzog er das Gesicht. Am liebsten hätte er sich hingelegt. „Wo ist der Junge?“

„Weg. Vermutlich hat derjenige ihn mitgenommen, der dich umgehauen hat“, mutmaßte Dorm.

„Dann müssen wir ihn finden! Killroy wird nicht begeistert sein, wenn er erfährt, dass wir einen Bestador verloren haben.“

„Wir haben ihn schon gesucht. Im Lager ist er sicher nicht. Im Schloss gibt es unendlich viele Verstecke, er könnte aber auch im Wald sein.“

Alasar seufzte, als er begriff, wie aussichtslos es war, den Kleinen zu finden. „Habt ihr dann wenigstens den Marder gefangen?“, fragte er.

Dorm schüttelte den Kopf. „Der ist aber sicher dort drinnen.“ Er deutete Richtung Schloss. Schließlich fiel ihm ein, wie er den Alpha aufmuntern konnte. „Da warten immer noch die beiden Menschen, die wir uns ausgesucht hatten. Wie wär’s? Wer weiß, wann wir noch mal so was Feines bekommen? Ich hätte Lust auf frisches Fleisch. Wenn ich daran denke, wie panisch die geguckt haben, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.“

„Warum nicht?“, gab Alasar nach. Vielleicht ging es ihm danach besser. Der Boden wurde hier allmählich ganz schön heiß für ihn. Wenn er den Jungen nicht fand, würde Killroys Rache ihn treffen. Besser war es, sich den Bauch vollzuschlagen, solange es noch möglich war. In letzter Zeit waren ihm zu viele Fehler unterlaufen. Womöglich wurde es Zeit, das Rudel zu wechseln.

Kapitel 39

Brüder

„Er muss zurück ins Schloss“, stellte Orias missmutig fest. Seine beiden Kameraden sahen ihn verwundert an.

„Warum?“, wagte Castor schließlich zu fragen. Gerade hatte er den Jungen gerettet und nun wollte dessen Vater ihn zurückschicken?

Orias betrachtete das ausdruckslose Gesicht seines Sohnes. Ein Hauch von Traurigkeit umwehte ihn wie eine unheilvolle Ahnung.

„Er muss zu seinem Wolf, diesem Waydar. Da wir den nicht hinaus bekommen, gibt es nur noch einen Weg. Morgan muss zurück! Wir können hier nichts für ihn tun. In wenigen Tagen wird er verdurstet sein.

Moras sog zischend die Luft ein und kratzte sich am Kopf. „Wie willst du das anstellen?“, wollte er wissen.

„Wir machen diesem Killroy ein Angebot, das er nicht ablehnen wird.“

Castor schüttelte den Kopf. „Orias, du überforderst unseren einfachen Verstand. Du willst doch nicht ins Schloss spazieren und mit Killroy reden?“

„Natürlich nicht!“ Orias lachte und nahm Morgans steife Hand in seine. „Ich benutze Waydar, um die Nachricht zu übermitteln. Offenbar hofft Killroy sogar darauf, denn er hat die Blockade aufgehoben. Waydar ist für mich erreichbar und wäre es auch für Morgan, nur dass dieser Mistkerl den Bann nicht von meinem Sohn genommen hat. Ich vermute, dass Morgan Waydar hören kann, aber er ist nicht in der Lage zu antworten.“

„Das ist mir alles zu kompliziert“, schnaubte Castor und lief unruhig auf und ab.