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Ira Hofer hat mit ihrem Buch aus Sicht einer Betroffenen einen Ratgeber für Profis für den Umgang mit Patienten, die unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leiden, verfasst. Patienten mit dieser Diagnose, vom impulsiven oder Borderline Typus, stellen Therapeuten und Teams immer wieder vor besondere Aufgaben. Sie lösen in ihren Therapeuten oft starke Gefühle und Reaktionen aus, die, wenn sie nicht therapeutisch reflektiert werden, zu krisenhaften Eskalationen in der Therapie führen können. Ira Hofer beschreibt sehr anschaulich die Innenansichten und das Innenleben von Betroffenen und was therapeutisches oder nur vermeintlich therapeutisches Verhalten bei den Betroffenen auslösen kann. Obgleich Ira Hofers Schilderungen einen sehr persönlichen Charakter haben, dürften doch wohl viele der dargestellten Beispiele vielen Therapeuten, so oder ähnlich, aus der eigenen Praxis in Erinnerung sein. Ira Hofer verdeutlicht sehr eindrücklich, dass die therapeutische Begleitung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen in allen Berufsgruppen besonderer professioneller Fertigkeiten bedarf. Ira Hofers Buch endet mit einem sehr persönlichen Brief an ihre Eltern, in dem sie den Lesern Einblicke in die eigene traumatische Familiengeschichte gewährt. Diese Einblicke sind erschütternd und verstörend, auch deswegen, weil solche Familiengeschichten bei Menschen mit emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Ira Hofers Verdienst ist es, mit ihrem Buch Betroffenen eine Stimme gegeben zu haben und Therapeuten und anderen professionell Helfenden einen privilegierten Zugang zu den Innenansichten und dem Erleben einer Betroffenen zu gewähren und damit einen wichtigen Beitrag zum besseren gegenseitigen Verständnis in der Therapie zu leisten. Man muss nicht mit allem, was in dem Buch steht, einverstanden sein. Bereichernd ist die Lektüre aber allemal und danach wird man den nächsten Patienten mit anderer Haltung begegnen.
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2019
Ira Hofer
Borderline: ein dialektischer Blick auf Betroffene und Fachkräfte
© 2019 Ira Hofer
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: 978-3-7482-6062-2
Hardcover: 978-3-7482-6063-9
e-Book: 978-3-7482-6064-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglich-machung.
Inhalt
Vorwort
Gedanken zum Einstieg
Grundannahmen
Diagnostik
Ganz schön gestört – Ich habe eine „Persönlichkeitsstörung“
Problemverhalten oder Selbstverletzendes Verhalten
Der Umgang mit Problemverhalten in der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT)
Der Umgang mit Problemverhalten in der allgemeinen Psychiatrie
Sind Borderliner manipulativ?
Identität
Weißt du, wie es sich anfühlt?
Ist es gut oder schlecht, wenn die Betroffenen sich selbst als „Bordis“ bezeichnen?
Handlungsimpuls / das innere Chaos
Drei Wünsche
Beispiel für eine Skillskette
Das Feuer in mir
Suizidalität
Die verschiedenen Berufsgruppen
Gesundheits- und Krankenschwestern und -pfleger
Das Pflegeteam in der Ambulanz
Das Pflegeteam auf der Intensivstation
Das Pflegeteam der geschützten (geschlossenen) Station
Das Pflegeteam auf der peripheren Station
Die Kunst-, Ergo-, Sport- und sonstigen Therapeuten
Psychologen und ärztliche Psychotherapeuten sind auch nur Menschen
Empathievermögen und Authentizität
Familien- oder Paargespräche, unterstützende / schützende Haltung
Struktur
Zuverlässigkeit
Annehmende / dialektische Haltung
Medikamentöse Therapie
„Der Richter (und sein Henker)“ Dürrenmatt
Die Therapie und Therapiehindernisse
Mein inneres Erleben
Brief an meine Eltern
Zum guten Schluss
Nachwort
Vorwort
Ira Hofer hat mit Ihrem Buch aus Sicht einer Betroffenen einen Ratgeber für Profis für den Umgang mit Patienten, die unter einer emotional in-stabilen Persönlichkeitsstörung leiden, verfasst. Patienten mit dieser Di-agnose, vom impulsiven oder Borderline Typus, stellen Therapeuten und Teams immer wieder vor besondere Aufgaben.
Die Diagnose emotional instabile Persönlichkeitsstörung kann, wie viele andere psychiatrischen Diagnosen, kritisch hinterfragt werden. Patien-ten mit dieser Diagnose lösen in ihren Therapeuten oft starke Gefühle und Reaktionen aus, die, wenn sie nicht therapeutisch reflektiert wer-den, zu krisenhaften Eskalationen in der Therapie führen können. Ira Hofer beschreibt sehr anschaulich die Innenansichten und das Innenle-ben von Betroffenen und was therapeutisches oder nur vermeintlich therapeutisches Verhalten bei den Betroffenen auslösen kann. Obgleich Ira Hofers Schilderungen einen sehr persönlichen Charakter haben, dürften doch wohl viele Beispiele, die sie in ihrem Buch darstellt, vielen Therapeuten, so oder so ähnlich, aus der eigenen Praxis in Erinnerung sein. Ira Hofer verdeutlich sehr eindrücklich, dass die therapeutische Begleitung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen in allen Berufs-gruppen besonderer professioneller Fertigkeiten bedarf. Spontane Hal-tungen und Reaktionen, die einem der „gesunde Menschenverstand“ vielleicht nahelegen würde, helfen in der Therapie und Begleitung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen meist nicht weiter, führen le-diglich zu einer Wiederholung von bereits bekannten Beziehungsmus-tern und ermöglichen den Betroffenen keine alternativen Beziehungs-erfahrungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten.
Ira Hofer Buch endet mit einem sehr persönlichen Brief an ihre Eltern, in dem sie den Lesern Einblicke in die eigene traumatische Familienge-schichte gewährt. Diese Einblicke sind erschütternd und verstörend, auch deswegen, weil solche Familiengeschichten bei Menschen mit emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen eher die Regel als die Ausnahme sind.
Ira Hofers Verdienst ist es, mit ihrem Buch Betroffenen eine Stimme ge-geben zu haben und Therapeuten und andern professionell Helfenden einen privilegierten Zugang zu den Innenansichten und dem Erleben ei-ner Betroffenen zu gewähren und damit einen wichtigen Beitrag zum besseren gegenseitigen Verständnis in der Therapie zu leisten. Man muss nicht mit allem, was in dem Buch steht, einverstanden sein. Berei-chernd ist die Lektüre aber allemal und danach wird man den nächsten Patienten, und nicht nur jenen mit einer Borderlinestörung, mit ande-ren Augen sehen und einer anderen Haltung begegnen.
Professor Dr. Ronald Bottlender
Klinikdirektor
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Märkische Kliniken, Klinikum Lüdenscheid
Gedanken zum Einstieg
Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigsten verdient habe. Denn dann brauche ich es am nötigsten. Helen Keller
Alle Menschen verhalten sich anders, wenn sie krank sind. Manche zie-hen sich zurück, manche werden quengelig und manche werden aggres-siv. Oftmals weiß der kranke Mensch selbst nicht, was er eigentlich möchte.
Das ist nicht ganz richtig: Die meisten kranken Menschen wissen es: die-ser Zustand soll so schnell wie möglich beendet werden!
Nur wie man das erreichen kann ist nicht immer so offensichtlich. Als Kinder vertrauen wir darauf, dass unsere Eltern für Linderung sorgen. Sie wissen, wie Infekte, Bauchschmerzen und Fahrradfahrerknie am Besten kuriert werden. Intuitiv verabreichen Eltern nicht nur Medizin und Verband sondern spenden Trost und Zuwendung. Hat die Mutter oder der Vater das „Aua“ als wirklich schlimm anerkannt (validiert), das Verhalten des Kindes gewürdigt: Du bist ja ganz tapfer! Und sprechen dann noch die magische Formel (pusten oder Heile, Heile Segen o.ä.) dann kann der kleine Mensch mit seiner Versehrtheit umgehen und wieder genesen.
Aber was ist, wenn wir selbst nicht wissen, was uns fehlt? Manchmal erkennen andere Menschen schneller, dass wir krank sind, als wir selbst. Manchmal verbergen wir unser Leiden vor allen Anderen und hoffen, dass es von alleine wieder geht. Manchmal tarnt sich die Erkran-kung so, dass wir sie nicht als „krank“ erkennen. Das kann besonders bei psychischen Krankheiten passieren.
„Ich denke, also bin ich“ (Descartes), logisch oder? Aber wenn ich er-kennen muss, dass meine Gedanken ihren Ursprung in einer Krankheit haben, also gewissermaßen eine Fehlfunktion darstellen?
Ich denke gar nicht – sondern die Krankheit in mir entwickelt Gedanken.
Wer bin dann ich?
Sind die Gedanken nicht die Summe meiner Erfahrungen, meines Wis-sens, meiner Persönlichkeit?
Wenn ich es schaffe, meine Gedanken von außen zu betrachten, dann bin ich mehr als meine Gedanken.
Ich habe einen Gedanken – ich bin nicht mein Gedanke!
Bis hierhin ist es oft ein sehr, sehr weiter Weg. Die Begleitung von und der Umgang mit psychisch kranken Menschen stellt eine ganz beson-dere Herausforderung dar.
Vor einigen Jahren hatte ich plötzlich den Gedanken: Ich werde mein Leben beenden. Und damit ging es mir „gut“.
Ganz in der Stille entwickelte sich dieser Gedanke fort. Ich setzte einen Termin fest und begann zu planen. So, wie ich es gewohnt war zu pla-nen. Ich legte eine Exel Tabelle mit allen Namen und Adressen von Fa-milie, Freunden, Nachbarn und Therapeuten an, die eine Einladung zu meiner Beerdigung erhalten sollten.
Ich legte meine Gedanken nahezu täglich in meinem Computer ab. Schön sortiert nach Datum. Jeder Monat ein eigener Ordner.
Dann gab es einen eigenen Ordner mit dem Titel „Beerdigung“. Darin besagte Exel Tabelle, dann Musikvorschläge und eine komplett ausge-arbeitete Trauerfeier. Da wir vor Jahren aus der Kirche ausgetreten sind, würde kein Pfarrer die Feier gestalten und meine Familie sollte nicht unnötigen Mühen ausgesetzt sein. Ich fand die Vorstellung schön, dass meine Familie durch meine Vorkehrungen sogar durch mich ge-tröstet würde.
Zentraler Satz meiner Planung war das Eichendorff Zitat:
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus
Flog durch die fernen Lande
Als flöge sie nach Haus.
Ganz schön krank, oder? Aber genau so sah es in mir aus. Ich wartete darauf, endlich meine Seele zu befreien und nach Hause fliegen zu las-sen. Gewissermaßen freute ich mich darauf.
Zwischen den oben geschilderten Gedanken und heute liegen einige er-eignisreiche Jahre. Ich habe tatsächlich mehrere Suizidversuche unter-nommen und überlebt. Irgendetwas in mir hat in sprichwörtlich letzter Sekunde noch Hilfe geholt. Heute erkenne ich daran, dass ich mehr bin als meine Gedanken. Damals sagten meine Gedanken mir, ich hätte so-gar in diesem Bereich versagt.
Natürlich haben meine Krankheit und meine Suizidalität sehr unter-schiedliche Reaktionen hervorgerufen. Jeder Profi in der Psychiatrie ist schließlich auch ein Mensch. Der Umgang mit Sterben und Tod und ins-besondere mit Suizid ist für alle Menschen sehr, sehr schwierig. Bei kör-perlichen Erkrankungen, die zum Tod führen, schöpft man alle Möglich-keiten aus. Man hilft dem Kranken, sein Leben zu behalten. Und wenn es unausweichlich ist, versucht man das Leiden zu lindern und die ver-bleibenden Tage zu nutzen. Das Ziel ist klar: Möglichst nicht sterben.
Doch wie geht man damit um, wenn der Kranke nicht leben will? Ob-wohl der Körper noch lange nicht an seinem natürlichen Ende angelangt ist?
Was ist mit den Menschen, die als Profis mit suizidalen Patienten um-gehen müssen? Auch sie sind sehr belastet!
Jeder versucht auf seine Weise, mit einer überaus kranken Situation ge-sund umzugehen. Alle gesunden Menschen versuchen gesund zu blei-ben und selbst zu überleben. Das ist zutiefst menschlich. Ich kann das verstehen, jetzt, wo ich zur Zeit meine Krankheit im Griff habe. Wenn meine Krankheit mich im Griff hat, sehe ich das anders und verhalte mich entsprechend.
Gerade zuckt ein Gedanke durch mein Gehirn: Es klingt ein bisschen so, wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Doch ich bin nicht zwei Personen. Ich bin Ira Hofer. Manchmal gesund, reflektiert und selbst Therapeutin und manchmal krank, impulsiv und hochgradig gefährdet! Doch anders als bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde, sind meine Seiten nicht komplett voneinan-der getrennt. Selbst in der Krise gibt es noch gesunde Anteile in mir - aber leider auch in der Gesundheit kranke Anteile. Ich versuche, meine kranken Anteile im Zaum zu halten und meine gesunden Anteile zu stär-ken. Doch erkenne ich auch die Chance, die sich mir bietet, dadurch, dass ich beide Seiten kenne. Ich habe lange genug in der Haut des Kran-ken gesteckt, um zu wissen wie man sich als Patient fühlt. Als Therapeu-tin, die ich ja auch bin, erkenne ich aber durchaus die Schwierigkeiten, die im Umgang mit Borderline Betroffenen auftreten können. So bin ich quasi in der Rolle des Doppelagenten. Ich möchte versuchen, das Ver-ständnis zwischen beiden Seiten zu verbessern.
Ich habe während meiner letzten Krise mein erstes Buch geschrieben. „Der Klapsencoach“ war dazu gedacht, anderen Borderlinern auf der geschützten Station eine möglichst detaillierte Hilfe durch die Krise zu bieten. Schon dieses erste Büchlein traf auch bei den Klinikmitarbeitern auf großes Interesse. Offensichtlich besteht auch jenseits von wissen-schaftlicher Literatur ein großes Bedürfnis nach Informationen. Viel-leicht braucht es genau dieses Format, damit auch Sie als Profi Unter-stützung bekommen, im anstrengenden Umgang mit uns Borderlinern. Nebenher hilft mir das Schreiben dabei, genau diese Metaebene einzu-nehmen, die mir erlaubt meine Krankheit als das wahrzunehmen, was sie ist: Eine Krankheit, die mitunter sogar lebensbedrohlich ist. Aber: Ich bin mehr als meine Krankheit!
Um noch einmal auf das Zitat von Helen Keller zurück zu kommen: Wir Kranke brauchen am meisten Hilfe, wenn die Krankheit uns im Griff hat und Sie als Profis brauchen am meisten Hilfe, wenn Sie aus Hilflosigkeit ganz anders sind, als Sie es gerne wären.
Mein Anliegen ist es, zwischen Betroffenen und Profis zu vermitteln und hoffe, mit diesem Buch das gegenseitige Verständnis zu fördern.
Auf ein gutes Miteinander!
Grundannahmen
Aufgestellt von Marsha Linehan
Die Patienten geben sich wirklich Mühe.
Die Patienten wollen sich verändern.
Die Patienten müssen sich stärker anstrengen und härter arbeiten, um sich zu verändern.
Die Patienten haben ihre Schwierigkeiten nicht alle selbst verur-sacht, aber müssen sie selber lösen.
Das Leben suizidaler Borderline – Patienten ist so, wie es gegenwärtig gelebt wird, nicht auszuhalten.
Die Patienten müssen neues Verhalten in allen relevanten Lebensbe-reichen erlernen.
Die Patienten können in der Therapie nicht versagen.
Therapeuten, die Borderline – Patientinnen behandeln, brauchen Unterstützung. („Borderline-Störung“ Martin Bohus)
Diagnostik
Viele Betroffene erhalten nicht sofort die Diagnose einer Borderline - Persönlichkeitsstörung. Häufig stehen erst mal andere Probleme im Vordergrund. Es kann also sein, dass ein Patient, der z.B. wegen Depres-sionen in die Klinik kam, nach und nach immer neue Symptome zeigt und verschiedene mögliche Ursachen benennt. Schließlich versucht er selbst auch, die Krankheit zu verstehen. Immer in der Hoffnung, dadurch auch einen besseren Behandlungsansatz zu finden.
Komorbidität bei BPS
Depressionen:
96 %
Angststörungen:
88,5%
Substanzmissbrauch bzw. Abhängigkeit:
64 %
Essstörungen:
53 %
Gewalt oder sexuelle Gewalterfahrungen / PTBS:
75 %
Suizidversuche:
60 %
Vollendete Suizide:
5-8 %
(Bohus, Reicherzer 2012)
Doch gerade das Aufzeigen von immer neuen Problemen verwirrt gele-gentlich auch die Profis. Eigentlich bräuchte man ja nur die Symptome und Faktoren zusammensammeln, dann müsste man zu der Diagnose kommen. Doch ganz so einfach ist es leider nicht.
Es ist sehr unterschiedlich, welche Symptome bei dem einzelnen Be-troffenen im Vordergrund stehen und welche Strategien derjenige an-wendet, um damit umzugehen. Männliche Borderliner kommen z.B. aufgrund ihrer Impulsivität öfter mit dem Gesetz in Konflikt, da sich ihre Spannung eher nach außen entlädt z.B. wenn sie eine Provokation „handfest“ beantworten. Dafür finden sich bei weiblichen Betroffenen diverse Essstörungen oder das sogenannte Implodieren. Wir sprechen von Implodieren, wenn sich die gesamte aufgestaute Wut und Span-nung nach innen entlädt. Äußerlich kann der Betroffene ruhig wirken, aber innerlich tobt ein Hurrikan. Natürlich ist das höchst ungesund und die Betroffenen finden sich häufig in der Psychiatrie wieder.
Bei meinen ersten Aufenthalten in der Psychiatrie lautete die Diagnose immer „Schwere depressive Episode“. So lange ich tief im Sumpf steckte, gab es daran auch keinen Zweifel. Doch manchmal lichtete sich das Dunkel und ich genoss das Gefühl, wieder lebendig zu sein. Dieser Wechsel fiel auch den Profis auf und man versuchte durch mehr oder weniger geschickte Fragen herauszufinden, ob ich wohl eine bipolare Störung hätte. Doch es gab kein eindeutiges Ergebnis.
Mein niedergelassener Psychologe war sich ziemlich sicher, dass es sich nicht um eine Manisch - Depressive Erkrankung handeln würde. Mein niedergelassener Psychiater sprach von einer Zyklothymie mit einseitiger depressiver Ausprägung. Zudem meinte er, so ein submani-scher Zustand sei doch ganz angenehm für mich.
Ich hoffte, dass eine Änderung der Diagnose auch eine neue Therapie-option ergeben würde. Aber nichts geschah.
Als meine Suizidalität über einen sehr langen Zeitraum immer wieder Aufenthalte auf der geschützten Station notwendig machte, wies mein niedergelassener Psychiater mich zur Elektro Krampf Therapie in die Klinik ein. In meiner großen Not empfand ich sogar diesen Therapie-vorschlag als Rettungsanker. In der Klinik sah man die Verhältnismä-ßigkeit von zu erwartendem Nutzen und Risiko nicht gewahrt. Es sei nicht die richtige Indikation dafür. Und ich sah wieder eine Hoffnung schwinden.
In therapeutischen Gesprächen hatte ich mittlerweile von dem sexuel-len Missbrauch erzählt und auch von den ungesunden Zuständen im El-ternhaus berichtet. Den Begriff „Invalidierung“ kannte ich natürlich noch nicht. Hätte man damals alle Punkte, die ich nach und nach aus meiner Vita preisgab zusammengenommen, hätte man auf die Diag-nose Borderline Persönlichkeitsstörung kommen können. Doch zeigte ich nicht von Anfang an das komplette Bild. In den frühen Stadien mei-ner Erkrankung verletzte ich mich nicht und hatte auch nur kurzzeitig Suizidgedanken. Außerdem irritierte es, dass ich mehr als 40 Jahre scheinbar gesund war und in diesem Alter denkt kaum jemand an eine BPS. Es dauerte noch weitere Jahre, bis die Diagnose bei mir gestellt wurde.
Das Bio Psychosoziale Modell
Die Entstehung einer BPS ist noch nicht restlos geklärt. Man geht zur Zeit da-von aus, dass ein Teil genetisch bedingt ist. Die Betroffenen verfügen über eine sehr hohe Sensitivität. Darüber hinaus waren/sind die meisten einem in-validierenden Umfeld ausgesetzt und ca. 75% haben Gewalt- oder sexuelle Gewalt erfahren.
(„Borderline-Störung“ Martin Bohus)
Als ich wieder einmal lange stationär war, fragte ich bei der Stations-psychologin nach, ob ich an dem nächsten Depressionskurs teilnehmen könne. Darauf stellte sie die Gegenfrage, ob das denn das richtige für mich sei. Ich antwortete, dass ich ja wegen Depressionen in der Klinik sei, und es dann doch wohl Sinn machen würde. Darauf meinte sie nur: Wir gehen im Moment davon aus, dass Sie emotional instabil sind. Ich war irritiert. Emotionale Instabilität kannte ich nur im Zusammenhang mit einer BPS. Außerdem hatte mir bisher niemand mitgeteilt, dass meine Diagnose geändert wurde. Wann hätte ich es wohl erfahren, wenn ich nicht nach dem Depressionskurs gefragt hätte? Ich hakte nach: „Wollen Sie mir damit sagen, dass ich Borderline habe?“ Sie ant-wortete: „Wir ziehen es in Betracht.“ Jetzt wollte ich es gerne genauer wissen. „Wie kann man denn die Diagnose stellen? Können wir das nicht irgendwie eingrenzen?“ Ich erfuhr, dass man einen Fragebogen durch-gehen müsse und bei einer gewissen Übereinstimmung würde die Diag-nose stehen. Aber ich hätte bestimmt nicht genügend Punkte.