Borderline-Störungen bei Jugendlichen - Annette Streeck-Fischer - E-Book

Borderline-Störungen bei Jugendlichen E-Book

Annette Streeck-Fischer

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Beschreibung

Jugendliche mit ausgeprägter Borderline-Symptomatik haben ein hohes Risiko, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Eine frühzeitige Behandlung ist daher wichtig. Die in diesem Buch vorgestellte Therapie von Borderline-Störungen im Jugendalter basiert auf der psychoanalytisch-interaktionellen Methode (PIM). Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf den Schwierigkeiten des Patienten, sich selbst und zwischenmenschliche Beziehungen zu regulieren. Zunächst gehen die Autoren auf die Merkmale von Borderline-Störungen ein. Dabei wird auch die kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen berücksichtigt, die als Vorläufer einer Borderline-Persönlichkeitsstörung angesehen werden kann. Die weiteren Kapitel stellen Entstehungsmodelle und das diagnostische Vorgehen vor. Ausführlich werden anschließend die Behandlungsprinzipien der PIM erläutert. Ein zentrales Charakteristikum der Methode ist der sogenannte "antwortende Modus". Indem der Therapeut in der Interaktion mit dem Jugendlichen selektiv sein eigenes Erleben zur Sprache bringt, wird dieser darin unterstützt, die Folgen seines Verhaltens im interaktionellen Kontext zu betrachten und so seine Beeinträchtigungen im Zusammensein mit anderen zu bearbeiten. Die Behandlungsphasen der PIM im stationären Setting werden anhand von zahlreichen Praxisbeispielen illustriert. Empirische Befunde aus einer randomisiert-kontrollierten Studie belegen die Wirksamkeit der vorgestellten Therapie. Der Band bietet somit wertvolle Hilfen für die psychodynamische Behandlung von Borderline-Störungen im Jugendalter.

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Annette Streeck-Fischer

Carola Cropp

Ulrich Streeck

Simone Salzer

Borderline-Störungen bei Jugendlichen

Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode

Praxis der psychodynamischen Psychotherapie –

analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Band 10

Borderline-Störungen bei Jugendlichen

Prof. Dr. Annette Streeck-Fischer, Dipl.-Psych. Carola Cropp, Prof. Dr. Ulrich Streeck, Prof. Dr. Simone Salzer

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Manfred E. Beutel, Prof. Dr. Stephan Doering, Prof. Dr. Falk Leichsenring, Prof. Dr. Günter Reich

Prof. Dr. med. Annette Streeck-Fischer, geb. 1946. 1983 – 2013 Chefärztin der Abteilung „Psychiatrie und Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen“ des Asklepios Fachklinikums Tiefenbrunn bei Göttingen. Seit 2009 Hochschullehrerin an der International Psychoanalytic University Berlin (IPU).

Dipl.-Psych. Carola Cropp, geb. 1980. Seit 2006 Mitarbeiterin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Asklepios Fachklinikums Tiefenbrunn.

Prof. Dr. med. Ulrich Streeck, geb. 1944. 1985 – 2011 ärztlicher Direktor des Asklepios Fachklinikums Tiefenbrunn. Apl. Professor für Psychotherapie und psychosomatische Medizin an der Georg-August-Universität Göttingen.

Prof. Dr. rer. nat. Simone Salzer, geb. 1976. Seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen. Seit April 2016 Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der International Psychoanalytic University Berlin (IPU).

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.de

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2016

© 2016 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2701-0; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2701-1)

ISBN 978-3-8017-2701-7

http://doi.org/10.1026/02701-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Beschreibung der Störung

1.1 Zu den Begrifflichkeiten „Persönlichkeitsstörung“, „Borderline-Persönlichkeitsorganisation“ und „strukturelle Störung“

1.2 Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter?

1.3 Die Borderline-Persönlichkeitsstörung

1.4 Kombinierte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen

1.5 Entwicklung und Besonderheiten der Adoleszenz

1.6 Komorbidität

1.7 Differenzialdiagnose

1.8 Epidemiologie

1.9 Verlauf und Prognose

1.10 Diagnostische Verfahren und Dokumentationshilfen

2 Störungstheorien und Störungsmodelle

2.1 Allgemeine Modelle der Borderline-Persönlichkeitsstörung

2.1.1 Modelle aus der Entwicklungsperspektive

2.1.2 Das Borderline-Modell des Kindes- und Jugendalters aus der Sicht von Ich-Psychologie, Objektbeziehungspsychologie und Selbstpsychologie

2.1.3 Die Borderline-Entwicklung als Folge von Traumatisierung

2.1.4 Die Rolle von Bindung und Mentalisierung in der Borderline-Entwicklung

2.2 Das Störungsmodell und der Behandlungsansatz der psychoanalytisch-interaktionellen Methode (PIM)

Der Behandlungsansatz der PIM

2.3 Weitere psychodynamische Behandlungsansätze

3 Diagnostik und Indikation

3.1 Diagnostik

3.1.1 Exploration der Symptomatik

3.1.2 Entwicklungsgeschichte inklusive Elternanamnese

3.1.3 Psychischer und psychopathologischer Befund

3.1.4 Strukturdiagnostik/OPD-KJ-Diagnostik

3.1.5 Lern- und Leistungsdiagnostik

3.1.6 Somatische Differenzialdiagnosen

3.2 Indikation

4 Behandlung

4.1 Allgemeine behandlungstechnische Aspekte der PIM

4.1.1 Besonderheiten der psychotherapeutischen Behandlung von Jugendlichen

4.1.2 Die Haltung des Therapeuten

4.1.3 Der Umgang mit Übertragung und implizitem Beziehungswissen

4.1.4 Der antwortende Modus

4.1.5 Der Therapeut als realer und als virtueller Interaktionsteilnehmer

4.1.6 Zum Primat der Selbstregulierung

4.1.7 Zum therapeutischen Umgang mit Affekten

4.1.8 Die Hierarchisierung therapeutischer Schritte

4.2 Die stationäre Behandlung mit der PIM

4.2.1 Allgemeine Rahmenbedingungen

4.2.2 Besonderheiten bei der stationären Behandlung von Jugendlichen mit Borderline-Pathologie

4.2.3 Die drei Phasen der stationären Behandlung mit der PIM

4.2.4 Die Elternarbeit

4.2.5 Traumamodul

5 Wirksamkeit der Methoden

5.1 Wirksamkeit von Psychotherapie bei der Borderline-Persönlichkeits(entwicklungs)störung im Jugendalter

5.2 Wirksamkeit des dargestellten Behandlungskonzepts

6 Varianten der PIM: Therapie von erwachsenen Patienten mit strukturellen Störungen

Gruppentherapie

Einzeltherapie

Patienten mit anderen schweren Störungen

7 Weiterführende Literatur

8 Literatur

|1|Vorwort

Beginnend in den 1970er Jahren bemühten sich Psychoanalytiker und Psychotherapeuten, die in psychiatrischen Kliniken mit der therapeutischen Versorgung von schwer gestörten Patienten im Erwachsenenalter betraut waren, die Psychoanalyse für die Behandlung dieser Patienten zu nutzen. Dabei mussten sie bald die Erfahrung machen, dass für viele der Patienten der Versuch, ins Unbewusste abgewiesene Erfahrungen und Konflikte bewusst zu machen und zu analysieren, ins Leere lief. Anderen Patienten fehlten die Voraussetzungen, die erforderlich sind, um mit ihnen psychoanalytisch zu arbeiten. Die Patienten konnten sich zu ihrem eigenen Erleben kaum äußern. Für seelisches Befinden, Gefühle und spontane Einfälle aufmerksam zu sein, war ihnen weitgehend verschlossen; sie waren vielfach nicht in der Lage, gleichsam in sich selbst hineinzuhorchen und sich selbst zum Objekt eigenen Nachdenkens zu machen. Vielen dieser Patienten war, was psychische Realität genannt wird, fremdes Territorium, wirklich war für sie nur, was materiell vorhanden und in diesem Sinn sinnlich-konkret erfahrbar war. Jegliche Bemühungen auf therapeutischer Seite, derartige Einschränkungen als Abwehr zu deuten, verfehlten die Patienten, sie konnten mit solchen und anderen Deutungsversuchen nichts anfangen. Vor diesem Hintergrund stellte sich zum einen die Frage, ob die psychischen und psychosozialen Beeinträchtigungen dieser Patienten ähnlich wie die der neurotischen Patienten auf unbewusste Konflikte zurückzuführen sind und im Rahmen einer Psychoanalyse potenziell aufgedeckt werden können oder ob zum Verständnis der Störungen dieser Patientengruppen ein anderes Störungsmodell erforderlich ist; zum anderen stellte sich aber auch die Frage, ob die Erkenntnisse der Psychoanalyse nicht dennoch für die therapeutische Versorgung dieser Patienten nutzbar zu machen sind und wie das ggf. mit welchen Modifikationen realisiert werden könnte.

Die weiteren Entwicklungen angesichts dieser Problematik bewegten sich in unterschiedliche Richtungen. Für die überwiegende Mehrzahl der Psychoanalytiker war und ist die therapeutische Versorgung von Patienten mit schweren Beeinträchtigungen wie gravierenden Entwicklungsstörungen der Persönlichkeit, psychosenahen Störungen, Abhängigkeitserkrankungen, erheblichen psychosomatischen Beeinträchtigungen, antisozialen Verhaltensstörungen u. v. a. kein bedeutsames Thema. Für sie steht oftmals die Analyse der Psyche im Vordergrund, weniger Fragen der therapeuti|2|schen Versorgung. Anders jene Psychoanalytiker, welche die therapeutische Versorgung dieser Patientengruppen als ihre zentrale Aufgabe betrachten. Die Erkenntnis, dass es sich bei den Beeinträchtigungen der Patienten nicht in erster Linie um Folgen von Konflikten handelte, die vom bewussten Erleben ferngehalten – mit anderen Worten: abgewehrt – wurden, veranlasste sie dazu, die psychoanalytische Behandlungstechnik mehr oder weniger weitgehend zu modifizieren und so auch für diese Patientengruppen psychoanalytische Erfahrungen nutzbringend einzusetzen. Aus solchen Bemühungen ist auch die psychoanalytisch-interaktionelle Methode hervorgegangen, die zuerst als Gruppentherapie, seit der Mitte der 1980er Jahre als Einzelbehandlung insbesondere für Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen und in der Folge auch als Gruppen- und Einzeltherapie für schwer gestörte Patienten im Jugendalter weiterentwickelt wurde.

Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode (PIM) wurde in den vergangenen Jahrzehnten in ihrer Wirksamkeit zunächst im naturalistischen Setting überprüft, weiter ausgearbeitet und auch gelehrt. In der Behandlung jugendlicher Patienten hat sich das Störungs- und Behandlungsmodell der PIM als besonders hilfreicher Bezugsrahmen bewährt. Jugendliche mit ungünstigen entwicklungspsychologischen Voraussetzungen und traumatisierenden Erfahrungen in der Vorgeschichte, die oftmals trotz ihres jungen Alters bereits eine „Karriere“ von Behandlungsabbrüchen aufweisen, die jeweils auch als ein weiterer Beziehungsabbruch in der Biografie dieser Patienten verstanden werden können, können mit der PIM erfolgreich behandelt und stabilisiert werden. Mittlerweile liegen zur Wirksamkeit der PIM erste Wirksamkeitsnachweise aus randomisiert-kontrollierten Studien sowohl in der Behandlung von Jugendlichen als auch von Erwachsenen vor (Kap. 5).

Der im Rahmen der evidenzbasierten Medizin favorisierte Ansatz einer Störungsorientierung in der Behandlung psychischer Erkrankungen, der mit der Logik der klassifikatorischen Diagnostik korrespondiert, wird auch in dieser Manualreihe verfolgt. Dabei fassen wir unter dem gewählten Manualtitel „Borderline-Störungen“ mehrere Patientengruppen zusammen, nämlich sowohl Patienten, die bereits im Jugendalter symptomatisch das Vollbild einer Borderline-Persönlichkeitsstörung aufweisen, als auch Patienten, die unter sogenannten Vorläuferdiagnosen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden. Von Kernberg (1967) als Borderline-Persönlichkeitsorganisation beschrieben, fand die Borderline-Pathologie Eingang in die Diagnosesysteme und wird seither als Persönlichkeitsstörung klassifiziert. Neben der grundsätzlichen Frage, ob die Vergabe einer Persönlichkeitsstörungsdiagnose im Jugendalter sinnvoll und angemessen ist (Kap. 1), lassen sich im Kindes- und Jugendalter bereits Vorläuferdiagnosen, beispielsweise die kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92 in der ICD-10), identifizieren. Patienten mit dieser Diag|3|nose erfüllen (noch) nicht das Vollbild einer Borderline-Persönlichkeitsstörung nach ICD oder DSM, weisen aber dennoch ausgeprägte Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen mit der Tendenz zur Chronifizierung auf und sollten ebenfalls möglichst frühzeitig behandelt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir die Borderline-Störung generell vorrangig als Entwicklungsstörung (Kap. 2) verstehen – wir verwenden daher auch gelegentlich den Terminus der Borderline-Persönlichkeits(entwicklungs)störung –, die sich in der Regel im Jugendalter zu manifestieren beginnt und zu diesem Zeitpunkt auch adäquat behandelt werden sollte. Wir beziehen uns in diesem Manual also auf mehrere Patientengruppen mit ähnlichen Charakteristika und fokussieren mit dem Störungs- und Behandlungsmodell der PIM insbesondere auf die den Patienten gemeinsamen Schwierigkeiten in ihrem Bezug zu sich selbst und zu anderen. Diese Schwierigkeiten werden oftmals unter dem diagnostischen Begriff der strukturellen Störung beschrieben. Dass es sich bei diesen Beeinträchtigungen der Selbst- und der Beziehungsregulierung um zentrale Aspekte der Persönlichkeitspathologie handelt, findet gegenwärtig auch im DSM-5 (American Psychiatric Association, 2013, 2015) im sogenannten alternativen Modell der Persönlichkeitsstörungen seinen Niederschlag: Dort wird unter Kriterium A das Funktionsniveau der Persönlichkeit in den beiden Kategorien Selbst und interpersonelle Beziehungen beschrieben und diagnostisch beurteilt. Auf die Bearbeitung dieser beiden so wesentlichen Aspekte hebt die PIM ab, die in diesem Manual insbesondere für das stationäre Setting ausführlich beschrieben wird (Kap. 4).

Wenn in der Psychotherapie Begriffe wie beispielsweise Behandlungsmethode, Intervention oder Therapiedosis verwendet werden, kann das leicht verdecken, dass es sich dabei im Grunde um metaphorische Begriffe handelt, die den Umstand vergessen lassen, dass Psychotherapie zuallererst ein Gespräch ist. Dabei sind neben Worten nichtsprachliches und körperliches Verhalten integraler Teil der kommunikativen Mittel, mit denen sich Jugendlicher und Therapeut verständigen und das Geschehen im Behandlungszimmer einschließlich ihres Verhältnisses zueinander gestalten. Wenn der Psychotherapeut „interveniert“, dann heißt das erst einmal, dass er etwas gesagt hat; wenn er den Jugendlichen „konfrontiert“, dann bedeutet auch das, dass er in einem bestimmten interpersonellen Kontext in bestimmter Weise mit dem Jugendlichen gesprochen hat. Insofern ist es gerechtfertigt zu sagen, dass der Psychotherapeut letztlich nicht eine Methode an einem Jugendlichen anwendet, sondern Jugendlicher und Psychotherapeut einen Dialog miteinander führen. Was sie in der Beziehung zueinander tun, realisieren sie durch die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren. Kommunizieren ist soziales Handeln. Dieses soziale Handeln anhand der auch in diesem Manual verwendeten Termini wie Behandlungstechnik, Interventionen usw. in seiner ganzen Bedeutung erfassen zu wollen, greift zwangsläufig kurz. Wir hoffen, unseren Lesern mit |4|diesem Manual dennoch eine anschauliche Darstellung der PIM für die hier beschriebenen jugendlichen Patienten mit strukturellen Störungen vorlegen zu können.

Göttingen und Berlin, im Frühjahr 2016

Annette Streeck-Fischer

Carola Cropp

Ulrich Streeck

Simone Salzer

|5|1 Beschreibung der Störung

1.1 Zu den Begrifflichkeiten „Persönlichkeitsstörung“, „Borderline-Persönlichkeitsorganisation“ und „strukturelle Störung“

Die Persönlichkeitsstörungen – und damit auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung – wurden erstmals 1980 als eigenständige Diagnosen in das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-III; American Psychiatric Association [APA], 1980) aufgenommen. Die Aufnahme in die ICD-Klassifikation erfolgte gut zehn Jahre später (ICD-10; WHO/Dilling et al., 1991). In der Fachliteratur hatte man sich allerdings schon Jahrzehnte vorher mit dieser Patientengruppe auseinandergesetzt.

Die Psychiater Stern (1938) und Knight (1953) beschrieben als „borderline“ solche Patienten, die symptomatisch zwischen neurotischen und psychotischen Klassifikationen anzusiedeln waren. Eine umfassendere Theorie zu Persönlichkeitsstörungen entwarf dann in den 1960er Jahren Otto Kernberg. In seiner Theorie der Persönlichkeitsorganisation wurden Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation von solchen mit einer psychotischen Persönlichkeitsorganisation und solchen mit einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation unterschieden. Eine Borderline-Persönlichkeitsorganisation zeichnet sich laut Kernberg durch primitive Abwehrmechanismen und Identitätsdiffusion bei (partiell) funktionierender Realitätsprüfung aus (Kernberg, 1967). In diese Definition fallen allerdings nicht nur Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen, sondern alle Patienten mit Cluster-B-Persönlichkeitstörungen (Borderline-, Narzisstische, Histrionische und Antisoziale Persönlichkeitsstörung) sowie auch Patienten mit Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen (Paranoide, Schizoide und Schizotype Persönlichkeitsstörung) nach DSM.

Es folgten in den 1970er und 1980er Jahren eine Reihe weiterer psychoanalytischer Theorien zu Borderline-Störungen, u. a. die von Masterson (1972). Basierend auf dem ersten standardisierten diagnostischen Interview für Borderline-Persönlichkeitsstörungen von Gunderson und Kollegen (DIB; Gunderson et al., 1981) begann auch eine systematische empirische Forschung, die letztlich zur Aufnahme der Borderline-Persönlichkeitsstörung in das DSM-III beitrug.

Von diesem Zeitpunkt an nahmen sowohl der Gebrauch der Diagnose in der klinischen Praxis als auch die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen zu |6|dieser Patientengruppe exponenziell zu (vgl. Gunderson, 2005). Die diesem Manual zugrunde liegende psychoanalytisch-interaktionelle Methode (PIM) entstand zunächst als gruppentherapeutisches Verfahren und fand dann auch zunehmend in der Einzeltherapie Anwendung. Die PIM betrachtet die Borderline-Persönlichkeitsstörung insbesondere unter dem Aspekt der „strukturellen Störung“ und sieht bei Patienten mit Borderline-Störung die Beziehungspathologie im Vordergrund (Heigl-Evers & Heigl, 1973; Heigl-Evers & Heigl, 1978). Die Störung wird bei diesem Ansatz psychodynamisch verstanden, die Therapie ist allerdings primär auf das interaktive Geschehen und die interpersonellen Beziehungen des Patienten ausgerichtet (Streeck & Leichsenring, 2015). Neben der PIM entstanden als weitere Therapieverfahren sowohl die auf dem Modell von Kernberg basierende übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP: Clarkin et al., 2001) als auch die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) und kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze (Linehan, 1993; Turner, 1987). In den 1990er Jahren entwickelte eine Forschergruppe um Peter Fonagy eine weitere psychodynamische Therapie für Borderline-Störungen, die mentalisierungsbasierte Therapie (MBT: Bateman & Fonagy, 2008). Zudem ist als ein weiterer Ansatz noch die Schematherapie zu nennen, die eine verstehensorientierte Klärungsarbeit mit handlungsorientierter, strukturierter Veränderungsarbeit verbindet (Roediger, 2009).

1.2 Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter?

Zur Symptomatik von Borderline-Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter gibt es mittlerweile ebenfalls mehrere Untersuchungen (Becker et al., 1999; Bernstein et al., 1993; Chanen et al., 2007; Grilo et al., 1996; Ha et al., 2014; Levy et al., 1999; Mattanah et al., 1995). Diese kommen größtenteils zu dem Ergebnis, dass sich die Borderline-Persönlichkeitsstörung auch im Jugendalter reliabel erfassen lässt. Allerdings scheinen die Symptome in diesem Altersbereich noch weniger stabil zu sein als bei Erwachsenen (vgl. Miller et al., 2008). Eine Theorie zur Persönlichkeitsstörung im Kindes- und Jugendalter stammt von P. Kernberg (Kernberg et al., 2000). Sie bezieht sich dabei auf die Störungsbilder, die O. Kernberg als Störungen auf dem Niveau einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation bezeichnet hat. Kernberg et al. (2000) verwenden sechs Persönlichkeitskomponenten (basic six: Kognition, Affekt, Selbstrepräsentation, Objektrepräsentation, das beobachtende Ich und Empathie) und beschreiben mit deren Hilfe verschiedene Persönlichkeitsentwicklungsstörungen. Diese sechs Komponenten der Persönlichkeit bestimmen die weitere Entwicklung als überdauernde Muster, wie sie auch im DSM-5 als diagnostische Kriterien für die Persönlichkeitsstörungen benannt werden. Anhand von klinischen Evaluationen verdeutlicht P. Kernberg, dass auch im Kindes- und Jugendalter zuverlässige |7|Kriterien für diese Störungsbilder gefunden werden können. P. Kernbergs Aussagen bestätigen psychodynamische Konzepte, die ungünstige frühe Entwicklungsbedingungen als Ursache von Persönlichkeitsstörungen proklamieren (vgl. Kernberg et al., 2000). Auch Diepold (1994) hat unter Verwendung von DSM-III-R-Kriterien versucht, für das Kindes- und Jugendalter vergleichbare Kategorien wie für erwachsene Patienten zu entwickeln. Sie nennt in diesem Zusammenhang die diskrepante Entwicklung, die Selbstwertstörung, Wut und Destruktion, Vernichtungs- und Trennungsangst, eingeschränkte Kontakte und Bindungen sowie Selbstschädigungen.

Nach einer Phase der intensiven Verwendung von und Auseinandersetzung mit der Borderline-Diagnose im Kindes- und insbesondere im Jugendalter wurde eine Zeitlang allerdings wieder sehr zurückhaltend mit der frühen Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung umgegangen. Diese Zurückhaltung ging einher mit einer kontroversen Diskussion, in deren Rahmen Kritiker insbesondere die Stigmatisierung durch eine in den Klassifikationssystemen als dauerhaft charakterisierte Störung hervorhoben. Seit einigen Jahren ist nun aber wieder ein deutlich stärkeres Interesse an Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter festzustellen (z. B. Foelsch et al., 2013; Taubner et al., 2010; Rossouw & Fonagy, 2012; Kernberg et al., 2008), was u. a. auf dem Hintergrund neuerer Befunde der Temperament-, Persönlichkeits- und neurobiologischen Forschung zu verstehen ist (z. B. Schmeck & Schlüter-Müller, 2009; Roth & Strüber, 2015). Dimensionale Modelle der Persönlichkeitsentwicklung sollen der Gefahr entgegentreten, dass etwa Adoleszenzkrisen fälschlich als Borderline-Persönlichkeitsstörungen klassifiziert werden. Gleichzeitig wird zunehmend der präventive Aspekt der Behandlung von potenziellen Borderline-Entwicklungen bereits im Kindes- und Jugendalter propagiert. Frühzeitige Interventionen können dazu beitragen, eine Verfestigung und Chronifizierung der Symptomatik zu verhindern (Chanen et al., 2007; Salzer et al., 2014b).

1.3 Die Borderline-Persönlichkeitsstörung

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist laut DSM-5 (APA, 2013) gekennzeichnet durch ein tiefgreifendes und überdauerndes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, Selbstbild und Affekten sowie häufige impulsive Verhaltensweisen. Damit einhergehend treten eine Reihe assoziierter Symptome auf (vgl. Kasten 1). Die Kriterien für dieses Störungsbild im DSM-5 wurden im Vergleich zu Vorauflage, DSM-IV-TR (APA, 2000), unverändert beibehalten. Ein alternatives Modell der Persönlichkeitsstörung wird im DSM-5 allerdings diskutiert, und wurde in Teil III des Manuals („In Entwicklung befindliche Instrumente und Modelle“) mit aufgenommen. In diesem Modell wird zum einen das Ausmaß der Persönlich|8|keitsstörung dimensional erfasst und zum anderen werden Symptomkriterien nicht direkt spezifischen Persönlichkeitsstörungen zugerechnet. Mit Letzterem soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich empirisch oftmals große Überschneidungen zwischen den einzelnen Persönlichkeitsstörungen zeigen. Im alternativen DSM-5-Modell für Persönlichkeitsstörungen wird unter Kriterium A das Funktionsniveau der Persönlichkeit in den beiden Kategorien Selbst (Identität, Selbststeuerung) und interpersonelle Beziehungen (Empathie, Nähe) beschrieben, in Kriterium B werden problematische Persönlichkeitsmerkmale erfasst. In Kasten 2 sind die vorgeschlagenen diagnostischen Kriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung im alternativen Modell für Persönlichkeitsstörungen aufgeführt (APA, S. 1053 f.).

A.

Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)

Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.

Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.

Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“). (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)

Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.

Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).

|9|Chronische Gefühle von Leere.

Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).

Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Kasten 1:Diagnostische Kriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach DSM-5 (American Psychiatric Association, 2013, 2015; Abdruck erfolgt mit Genehmigung aus der deutschen Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition © 2013, Dt. Ausgabe: © 2015, American Psychiatric Association. Alle Rechte vorbehalten)

A.

Mittelgradige oder stärkere Beeinträchtigung im Funktionsniveau der Persönlichkeit, die sich durch typische Schwierigkeiten in mindestens zwei der folgenden Bereiche manifestiert: