Boundary Boss - Terri Cole - E-Book

Boundary Boss E-Book

TERRI COLE

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Beschreibung

Der Bestseller von Terri Cole! Befreie dich vom Überfunktionieren, Übererfüllen und Gefallenwollen! Viel zu oft bringen wir unsere Wünsche oder Tabus nicht zum Ausdruck, sondern verstecken unsere Bedürfnisse hinter passiv-aggressivem Verhalten oder verdrängen unsere Emotionen, bis wir explodieren. Für ein gesundes, glückliches und selbstbestimmtes Leben ist es unabdingbar, klare Grenzen zu ziehen und zu kommunizieren - ohne Schuldgefühle und Drama! In "Boundary Boss" zeigt dir die bekannte US-Psychotherapeutin Terri Cole, wie das geht. Du lernst zuverlässige Strategien und Techniken, um deine Bedürfnisse zu erkennen, deinen "Grenzplan" neu zu gestalten und kraftvolle Abgrenzungsskripte anzuwenden. Außerdem erfährst du, wie du mit "Grenzzerstörern" umgehst, Co-Abhängigkeiten vermeidest und gesunde Beziehungen aufbauen kannst. Für Frauen, die erschöpft sind vom Über-Erfüllen und Über-Empfinden: Werde ein Boundary Boss! - Deutsche Erstausgabe -

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Terri Cole

Boundary Boss

Meine Grenzen setze ich selbst!

Klarheit finden und endlich selbstbestimmt leben

E-Book (epub): ISBN 978-3-86374-736-7

(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-734-3, 1. Auflage 2024)

Mankau Verlag GmbH

Pfarrgasse 1

D-82497 Unterammergau

Im Netz: www.mankau-verlag.de

Soziale Netzwerke: www.mankau-verlag.de/forum

Übersetzung: Susanne Engelhardt, München

Lektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg

Endkorrektorat: Susanne Langer-Joffroy M. A., Germering

Cover/Umschlaggestaltung: Andrea Janas, München, www.andreajanas.com

Innenteil/Layout und Satz: Lydia Kühn, Aix-en-Provence, Frankreich

Die Originalausgabe ist unter dem Titel »Boundary Boss. The Essential Guide to

Talk True, Be Seen, and (Finally) Live Free« erschienen.

© 2021 Terri Cole. Original English language edition published by Sounds True, USA.

This translation published by arrangement with Sounds True and by the agency of Agence Schweiger. All rights reserved.

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe:

© 2024 Mankau Verlag GmbH, Unterammergau

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im vorliegenden Buch die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein. Einige Namen wurden zum Schutz der Privatsphäre verändert.

Hinweis für die Leser und Leserinnen: Die Autorin hat bei der Erstellung dieses Buches Informationen und Ratschläge mit Sorgfalt recherchiert und geprüft, dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Verlag und Autorin können keinerlei Haftung für etwaige Schäden oder Nachteile übernehmen, die sich aus der praktischen Umsetzung der in diesem Buch vorgestellten Inhalte ergeben. Bitte suchen Sie bei Erkrankungen einen erfahrenen Arzt oder Heilpraktiker auf.

Dieses Buch ist in erster Linie mutigen Frauen auf der ganzen Welt gewidmet, die sich dafür starkmachen, gesunde Beziehungen und außergewöhnliche Leben zu führen.

Dieses Buch ist für euch.

Ich bewundere euch und fühle mich geehrt, euch bei dieser alles verändernden Reise zur Seite zu stehen.

Für mein Ein und Alles, Victor Juhasz. Seine Liebe, sein unerschütterlicher Beistand und sein kulinarisches Können haben dieses Buch möglich gemacht.

Für meine Mutter, Jan Cole, die immer daran glaubte, dass ich es kann.

Wenn nicht du, wer dann?

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Einleitung

Sagst du öfter mal Ja, wenn du Nein sagen willst?

Stellst du Bedürfnisse und Wünsche anderer über deine eigenen?

Hast du oft das Gefühl, du müsstest in allen Bereichen des Lebens mehr tun?

Liegen dir Entscheidungen, Gefühle und Belange Nahestehender übermäßig am Herzen?

Widerstrebt es dir so sehr, um Hilfe zu bitten, dass du meist alles selbst machst?

Wenn dir diese Fragen bekannt vorkommen, dann bist du, meine Liebe, eine meiner übermäßig funktionierenden, übermäßig zugewandten, total ausgebrannten Schwestern im Geiste. Und du bist hier genau richtig.

Gesunde, stabile Grenzen sind der Schlüssel zu einem erfüllten, selbstermächtigten und selbstbestimmten Leben. Ich halte das für eine Tatsache – aufgrund meiner persönlichen und dreiundzwanzig Jahre währenden beruflichen Erfahrungen als Therapeutin. Jede Patientin, die zu mir kommt – von der Millennial-Redakteurin auf High Heels über die Vierzig-plus-Vorstadtmutter bis zur geschiedenen Geschäftsführerin –, hat ein anderes Thema: Der Mann geht fremd, der Chef ist zu fordernd, in der Familie geht’s drunter und drüber, was auch immer. Dabei steckt hinter dem Leid immer das gleiche Problem: das Fehlen gesunder Grenzen. Zu lernen, wie man die richtigen Grenzen definiert und durchsetzt, lindert dieses Leid zum Glück. Und das ist wirklich machbar.

Weißt du, du bist nicht die Einzige, der diese überaus wichtige Eigenschaft womöglich abgeht. Ich tippe mal, dass du in der Schule oder zu Hause nichts über das Setzen von Grenzen gelernt hast, stimmt’s? Wie also sollst du wissen, was dir nie jemand beigebracht hat?

Die Sprache gesunder Grenzen einfach können, ohne sie je gelernt zu haben? Das ist wie über Nacht Chinesisch oder Russisch oder irgendeine andere Sprache fließend beherrschen zu wollen, nur weil man es sich ganz fest wünscht. Unmöglich. Stell dir dieses Buch als einen Intensivkurs für wirksame Grenzen vor. Mit Ausdauer und Übung kannst du es auf jeden Fall lernen. Und dann wird dein Leben in jeder Hinsicht aufblühen. Du wirst dich in jeder Beziehung ermächtigt fühlen, vor allem in der zu dir selbst. Und die ist, wie sich zeigen wird, die wichtigste von allen.

Dieses Buch ist ein strategischer Guide und zeigt dir, wie du ein souveräner Boundary Boss (BB) wirst. Ein Boundary Boss ist eine Frau,

die sich selbst sehr gut kennt, wozu auch gehört zu wissen, woher die dysfunktionalen Muster der Abgrenzung bei ihr kommen und inwiefern diese sie womöglich ausbremsen;

die weiß, wie man Verhaltensmuster erkennt und umwandelt, welche ihren wahren, von Herzen kommenden Wünschen und deren Umsetzung im Weg sind;

die aufrichtig ist, weil sie weiß, dass das der einzige Weg ist, um das gewünschte und ihr zustehende Leben zu erschaffen;

die auf inneres Wachstum Wert legt und dafür genau hier und jetzt loslegt.

(Anmerkung: Dieses Buch wurde im Hinblick auf Cis-Frauen geschrieben, aber ich glaube, dass jeder von den Strategien und dem Inhalt profitieren kann. Probleme mit der Abgrenzung gelten meiner Erfahrung nach für alle Geschlechter.)

Um dein Verhalten an deine wahren Wünsche anzupassen, werden wir einige Zeit mit dem Entrümpeln dessen verbringen, was ich deinen »Keller« nenne – anders gesagt, mit deinem Unterbewusstsein. In deinem Keller sind Überzeugungen und Erfahrungen untergebracht, die du dort fein säuberlich abgelegt und prompt vergessen hast (zumindest wissentlich). Das Gerümpel im Keller prägt dein Leben auf eine Weise, die dir nicht voll bewusst ist. Üblicherweise erkennst du, dass es ins Spiel kommt, wenn deine Reaktion auf eine gegenwärtige Situation zu heftig ausfällt. Oder du handelst gegen deine Interessen oder wider besseres Wissen. Danach fragst du dich vielleicht: Was zum Teufel war das? Du ignorierst womöglich deine Eingebung und körperlichen Hinweise in dem unbewussten Versuch, Unbehagen zu meiden. Das ist nur menschlich. Wenn du mit einer Situation zu kämpfen hast, wird das Entrümpeln deines Kellers bedeutsame Informationen ans Tageslicht holen und dir den Weg zur Freiheit zeigen, das verspreche ich dir.

Es ist normal, sich dagegen zu sträuben, vergangene Erfahrungen wieder aufzuwärmen. Viele meiner Patienten scheuen bei dem Vorschlag erst mal zurück, einen Gang in den Keller zu unternehmen. Dann kommen Ausreden wie:

»Das ist so lange her; ich sollte drüber hinweg sein.«

»Ich will meinen Eltern keine Vorwürfe machen.«

»Ich hatte eine glückliche Kindheit.«

Wenn ich dir vermitteln könnte, wie man ohne den Ausflug in den Keller ein erfolgreicher Boundary Boss wird, würde ich das ganz sicher tun. (Und um es deutlich zu sagen: Vorwürfe sind nicht Teil unserer Reise.) Die gute Nachricht: Ich werde dir die ganze Zeit zur Seite stehen, dich an die Hand nehmen und mit meiner Stirnlampe den Weg ausleuchten. Du schaffst das, und ich bin bei dir.

Um dich auf die Erfolgsspur zu bringen, wollen wir uns ein bisschen Zeit nehmen. Wir wollen verstehen, was die Ausbildung zum Boundary Boss ausmacht – und warum das wichtig ist.

Gesunde, dynamische und flexible Grenzen zu setzen, zu kommunizieren und aufrechtzuerhalten ermöglicht dir, ein zutiefst befriedigendes Leben zu führen. Ohne gute Abgrenzung ist das unmöglich. Richtig, unmöglich. Da bin ich mir sicher.

Für alle, die ständig im Erledigungsmodus oder »davon besessen sind, gefallen zu wollen« (wie die renommierte Psychologin und Expertin für Frauenthemen Dr. Harriet Braiker es ausdrückt), sind das möglicherweise schlechte Nachrichten. O ja, du wirst innehalten und deine kuschelige Komfortzone verlassen müssen, um dein wahres Selbst zu erkennen, zu zeigen und zu beschützen. (Heb die Hand, falls auch du dich fragst: »Mein wahres Selbst? Was bitte ist das?«) Aber wenn du sicherer darin wirst, dich abzugrenzen und aufrichtig zu äußern, wirst du dein wahres Selbst auch besser kennen und schätzen lernen (es ist nämlich ein echter Star). Und was nach schlechten Nachrichten klang, wird prompt zu einer Chance.

Ein ungesundes Muster beim Grenzensetzen wurzelt oft in der Unsicherheit darüber, was eigentlich in unserer Verantwortung liegt.

So meinen wir vielleicht, dass es an uns ist, Nöte oder Konflikte anderer zu lösen. Dabei ist es ihre Aufgabe, sich mit ihren emotionalen Erfahrungen und Problemen zu befassen. Das ist ihre Angelegenheit. Dieses Buch dreht sich aber um dich und deine Angelegenheiten.

Wenn eindeutig ist, was du zu erledigen hast, wird der Veränderungsprozess gleich viel machbarer. Deine guten Vorsätze sind die Voraussetzung, damit die Techniken für dich funktionieren. Damit die Dinge sich ändern, musst du bereit sein, Neues auszuprobieren. Dieser Prozess ist anstrengend, und du bist jede Anstrengung wert. Mich fasziniert deine Fähigkeit, dir ein Leben zu erschaffen, das dein wahres Ich begeistert und bereichert. Angesichts der Erfolge, die ich mit zahllosen Patienten und Kunden hatte, bezweifle ich nicht, dass es auch bei dir klappen wird.

Und so läuft’s

Im ersten Teil tragen wir Informationen zusammen und machen eine Bestandsaufnahme deines Lebens. Wir finden genau die Lebenserfahrungen, Einflüsse und Fehlinformationen, wegen derer dir das Abgrenzen womöglich so schwerfällt. Wir werden deine Boundary Blueprint zutage fördern, also die Blaupause für deine Art, dich abzugrenzen. So finden wir heraus, wie du es – bewusst und unbewusst – mit dem Abgrenzen hältst. Das wird nämlich davon beeinflusst, was du in jungen Jahren gelernt hast. Also wie du erzogen wurdest, was du in deiner Herkunftsfamilie erlebt hast und welche sozialen Normen es in deinem Umfeld gab. Viele Menschen erleben diesen Prozess als echt befreiend. Das erlernte Verhalten ist nicht deine Schuld, aber du bist auf jeden Fall dafür verantwortlich, es jetzt zu entlarven. Mit den richtigen Tools und entsprechender Anleitung hast du es im Griff, die Blaupause neu zu zeichnen.

Im zweiten Teil machen wir uns daran, die Sprache des Abgrenzens zu lernen und kleine Schritte zu machen, die von deinem neuen Bewusstsein gelenkt werden. Alle Tools, Strategien und Anleitungen sind an dich und dein Wohlbefinden anpassbar. In Sachen Abgrenzung gibt es kein Patentrezept. Du bist einzigartig, genau wie der für dich richtige Weg, deine Vorlieben und Anforderungen rund ums Grenzensetzen zu benennen.

Außerdem zeigen wir Schritt für Schritt den Prozess, damit du einen proaktiven Abgrenzungsplan ausarbeiten kannst, also die nötigen Strategien, um proaktiv statt reaktiv Grenzen zu setzen. Wie gehst du mit Leuten um, die deine Grenzen niedertrampeln, obwohl du die sehr deutlich benannt hast? Und wir sprechen über die Situationen, in denen die Regeln nicht gelten, insbesondere wenn du es mit Leuten zu tun hast, die Grenzzerstörer oder Narzissten sind oder anderweitig schwierige Persönlichkeiten haben. Ich werde dir bei jedem Schritt auf diesem Weg zur Seite stehen, einfühlsam und liebevoll (und dir auch mal einen Tritt in den Hintern verpassen).

Zu diesem Prozess gehört, dass du in Kontakt mit dem Kind in dir trittst. Das ist der Teil in dir, auf dessen Bedürfnisse in der Kindheit nicht eingegangen wurde. Als ich zum ersten Mal vom Konzept des »inneren Kindes« hörte (bevor ich Therapeutin wurde), klang das für mich nach Bullshit. Das klang so gekünstelt und fadenscheinig, nach reinem Wunschdenken. In Wahrheit beeinflussen solche ungelösten Verletzungen aus der Kindheit alle späteren Beziehungen. Mit der Zeit erkannte ich, dass man sich ganz konkret um dieses innere Kind kümmern muss (dazu mehr in Kapitel 8).

Fürs Erste solltest du dir nur bewusst sein, dass deine Reaktionen im gegenwärtigen Leben möglicherweise von deinem, sagen wir mal, fünfjährigen Selbst gesteuert werden. Würdest du einer Fünfjährigen wichtige Entscheidungen wie Partnerwahl und Familiengründung überlassen? Würdest du eine Fünfjährige über deinen Beruf entscheiden lassen? Wohl kaum.

Und genau hier müssen wir Mitgefühl mit uns haben. Dann – und nur dann – kann die nötige Einsicht gelingen, um sich gestörtes Verhalten bewusst zu machen. Das Stöbern in den Kellerecken voller Spinnweben, um potenziell unbequeme Erinnerungen zu entdecken, ist Teil des Prozesses. Aber glaub mir, es geht nicht darum, in der Vergangenheit zu verweilen. Wenn du weit genug zurückgehst, findest du einen Vorfall oder eine Erfahrung, die Aufmerksamkeit verdient. Das Ermitteln ursprünglicher Verletzungen hilft dir, die Erlebnisse des inneren Kindes zu sehen, zu verarbeiten und zu akzeptieren. Das Verständnis für frühe Erlebnisse kann dein jetziges Leben höchst positiv beeinflussen.

Damit du nicht vergisst, Mitgefühl mit dir zu haben, zeige ich dir eine Strategie (in Kapitel 6, Seite 128ff.). Sie soll dir helfen zu ent– decken, wann das kleine Kind in dir sich meldet, damit du die alten Reaktionsmuster entlassen und etwas als Erwachsener entgegnen kannst, denn das ist dein höchstes Gut. Das sind die drei E: Entdecken – Entlassen – Entgegnen.

Wenn du auch nur ein bisschen wie die vielen Patienten und Schüler bist, die ich vor dir hatte, dann wird dieses aufschlussreiche Vorgehen viele Gefühle freisetzen – Hoffnung, Erschöpfung, Besorgnis und Aufregung. Kann sein, dass du dir manchmal egoistisch vorkommst, vor allem, sobald du unausgesprochene Vereinbarungen in deinen Beziehungen änderst und deinen Gefühlen den Vorrang gibst. Bei manchen Menschen löst die Vorstellung, den Abgrenzungskurs zu bestimmen, Angst, Schuld und Scham aus. Werde ich von denen verspottet, die mir nahestehen? Stoße ich sie vor den Kopf, wenn ich die Regeln ändere?

Beim Erlernen dieser Fähigkeiten solltest du wissen, dass wahre Veränderung nach und nach geschieht und nicht über Nacht. Du wirst lernen, etwas zu bewegen und dein Verhalten zu ändern, indem du einfach einen Schritt machst und dann den nächsten. Zwischen Teil 1 (dem Zusammentragen von Informationen) und Teil 2 (dem Entwickeln neuer Verhaltensmuster aufgrund dieser Informationen) liegt eine ziemlich steile Lernkurve. Deshalb sind Geduld und Mitgefühl für dich selbst gute Begleiter bei dem Prozess, dich von hartnäckigen Einstellungen und Haltungen zu befreien, mit denen du dich nur selbst sabotierst.

Wenn du über deine Fehltritte beim Setzen von Grenzen nachdenkst, erscheinen sie dir vielleicht peinlich, bedauerlich und beschämend. Du solltest wissen, dass vergangenes Verhalten nicht dafür steht, wer du bist – nur für deinen damaligen Wissensstand. Außerdem sind in diesem Buch und bei deiner Verwandlung Vorverurteilungen tabu. Falls du dich mal schlecht fühlst, dann ist das ein Grund zum Feiern, sage ich dir. Du nimmst da etwas auf dich, das sich achtzig Prozent der Menschheit nicht traut. Außerdem bist auch du nur ein Mensch, meine Liebe. Also sei nicht so hart mit dir.

Aber aufgepasst: Du bist dafür zuständig, die Bedienungsanleitung für dich zu schreiben. Diese Anleitung wird von jedem »gelesen«, auf den du triffst. Wenn du dich nicht respektierst, aber unterschätzt oder ausgenutzt fühlst, heißt das eben, dass es Zeit ist, die Bedienungsanleitung umzuformulieren. Und dann setzt du einfach die Messlatte für dich und alle anderen etwas höher. Das kriegst du hin.

Um dich auf die Erfolgsspur zu führen, rate ich dazu, dir zu Hause einen sicheren und gemütlichen Platz einzurichten, an dem du dich um deine inneren Belange kümmern kannst. Diesen Rückzugsort bezeichne ich als »Zen Den«. Dort kannst du meditieren, Dinge schriftlich festhalten und die Übungen machen, über die du im Folgenden mehr erfahren wirst.

Ein paar Tipps, wie du dieses Buch nutzt

Egal, welche Lesegewohnheiten du hast, eines vorweg: Dieses Buch sollte in der richtigen Reihenfolge gelesen werden. Warum? Weil jedes Kapitel auf dem vorhergehenden aufbaut.

Um dir zu helfen, das Gelernte anzuwenden, gibt es in jedem Kapitel Tipps zur Selbsteinschätzung und Übungen. All das verwende ich auch bei meinen Patienten und Schülern, und es ist entscheidend, um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen.

Auf den Punkt: In jedem Kapitel fasse ich die wichtigsten Punkte zusammen, damit du die Übersicht behältst.

Zurück zu dir: Kurze, gezielte Tipps zur Selbsteinschätzung helfen dir, Infos auf deine persönlichen Erfahrungen zu übertragen und gleich anzuwenden.

Als Boundary Boss in Aktion: Am Ende jedes Kapitels kommen immer zwei Wege, um dein neues Wissen umzusetzen. Die Rubrik An erster Stelle meint Wege, um mehr Selbsterkenntnis zu erlangen. Die Rubrik Zur Vertiefung umfasst Übungen (die am Ende des Buches fortgesetzt werden), die dir dabei helfen, nachhaltige Veränderungen zu erreichen (nicht auslassen!). Und gelegentlich biete ich dir auch etwas Zur Inspiration an.

Mein Rat? Mach alles in deinem Tempo, übernimm, was funktioniert, und lass den Rest weg. Wenn dir etwas zu heiß wird, mach langsam, beruhige dich und atme erst mal durch. Denk an das Gelernte, und nutze es. Nimm dir eine Auszeit, und komm wieder, wenn du bereit dafür bist. An sich selbst zu arbeiten kann heftige Gefühle wecken. Achte darauf, und höre auf sie. Frage dich immer: Sollte ich

eine Pause machen?

eine Runde spazieren gehen?

eine Freundin oder eine Expertin anrufen?

Dein psychisches Wohlergehen und deine emotionale Sicherheit liegen in deiner Verantwortung und sollten immer an erster Stelle stehen. Also pass bitte auf dich auf. Im Gegenzug verspreche ich dir, dass du die positiven Veränderungen in deinem Leben und deinen Beziehungen sehen und spüren wirst, wenn du die Arbeit erledigst.

Obwohl es dauern kann, das Abgrenzen zu beherrschen, dauert es nicht lang zu lernen, wie man Grenzen setzt – und durchsetzt. Wenn du am Ball bleibst, hast du nach dieser Lektüre die Fähigkeiten und das Wissen, genau das zu machen. Bis dahin hast du gezielt all die Falschinformationen aussortiert, die dein Verhalten beim Grenzenziehen beeinträchtigt haben. Du hast deine üblichen einengenden Gedankenmuster in starke, aufmerksame Überzeugungen und Vorgehensweisen umgewandelt. Du hast den Weg bereitet für positive, nachhaltige Veränderungen, die in all deinen Beziehungen für mehr Zufriedenheit, Zuversicht und Ruhe sorgen. Und die fortan darauf beruhen, was du wirklich willst, statt auf irgendeinem Unsinn, den du übernommen hast. Die Selbsterkenntnis, die du gewinnst, wird dein weiteres Leben massiv beeinflussen.

Betrachte dieses Buch als eine Zuwendung, die von Herzen kommt. Vor über zwanzig Jahren wurde ich Zeuge, wie dieser Prozess Leben verändert, weil er Sprache und Anwendung gesunder Grenzen zugänglich und effektiv macht. Jeden Tag sehe ich aufs Neue spürbare Ergebnisse – in meinem Leben und im Leben meiner Patienten. Bis dato habe ich Tausende von Frauen aus aller Welt angeleitet, ihr eigener Boundary Boss zu werden, und zwar auf ihre Art. Meine Lebensaufgabe ist, dir zur Seite zu stehen, um das einzigartige, starke Leben zu führen, das nur du führen kannst.

Bereit?

Dann los!

Ich war achtmal Brautjungfer. Acht Mal!

Ich hätte mindestens die Hälfte dieser Feiern in hässlichen Kleidern höflich ablehnen sollen, aber ich schaffte es nicht, Nein zu sagen. Oder »Himmel, nein«. Oder auch nur »Ich würde ja gern mit euch die große Liebe feiern, aber ich habe etwas Dringendes zu erledigen« (zum Beispiel die letzten Münzen aus dem Glas mit dem Kleingeld für die U-Bahn fischen – ich war zweiundzwanzig, pleite und kämpfte in New York ums Überleben). Warum sollte ich es mir da leisten, bei einer Hochzeit mit ein paar Mädels zu feiern, die ich irgendwann mal beim Kellnern kennengelernt hatte? In Wahrheit fürchtete ich mich viel mehr davor, die jeweilige Braut vor den Kopf zu stoßen, als der Realität meines kläglichen Kontostandes ins Auge zu sehen. Ich wollte nicht als grob, gefühllos oder – noch schlimmer – als nicht »nett« gelten. Abzulehnen hätte bedeutet, das Privileg des Erwähltseins auszuschlagen. So etwas macht man nicht.

Diese Angst allein verleitete mich dazu, Tausende von Dollars auszugeben, dich ich nicht hatte (ja, eine Kreditkarte kann man überziehen), um an den Feiern von Leuten teilzunehmen, die es nicht mal auf die Gästeliste für meine Hauseinweihung geschafft hätten (falls ich ein Haus gehabt hätte). Deshalb dürfte es nicht überraschen, dass ich überlastet und sauer war. Diese unterdrückten Gefühle konnten jederzeit hochkommen, sei es bei einem weiteren Junggesellinnenabschied, einer weiteren Generalprobe für eine Hochzeit oder immer dann, wenn ich eines der grün-blauen Kleider mit Puffärmeln im Stil der Achtziger ganz hinten im Schrank entdeckte. Kein einziges von denen würde ich je wieder anziehen. Warum auch? Zu »Ehren« der Tatsache, nicht für mich einstehen zu können?

Mein ewiges Dasein als Brautjungfer stand für ein größeres Problem, mit dem Millionen von Frauen kämpfen: ungesunde Abgrenzung. Schwierigkeiten beim Errichten, Durchsetzen und Vermitteln gesunder Grenzen in allen Lebensbereichen sind weitverbreitet. Der Preis für eine schlechte Abgrenzung ist immens. Sie führt zu konfliktträchtigen, unausgeglichenen Beziehungen, einem Mangel an Kontrolle über die eigene Zeit und generellem Unwohlsein. Hast du etwa Zeit für so etwas, meine Liebe? Nein, hast du nicht.

Im Falle meiner (und vermutlich auch deiner) gestörten Abgrenzung steht die Angst, andere zu enttäuschen, dem gesunden Menschenverstand im Weg. Ich hätte mich anders entscheiden können. Ich hätte bestimmen können, wie ich meine kostbare Zeit und mein Geld verwende. Ich hätte sagen können: »Nein, danke. Das Kleid ist peinlich, genau wie dein zukünftiger Mann« (er hatte mich bei der Verlobungsfeier angebaggert!). Sagen wir einfach, ich hatte viele Optionen. Aber es gab einen Grund, weshalb ich mich nicht abgrenzte: Ich wusste nicht mal, dass ich eine Wahl hatte.

Wo auch immer du im Leben stehst, auch du hast eine Wahl.

Seit zwei Jahrzehnten arbeite ich als diplomierte Therapeutin und behandele hauptsächlich Frauen, die mit unterschiedlichen Abgrenzungsproblemen zu kämpfen haben. Ob sprunghaft, zu flexibel oder nicht flexibel genug – ihre Art, sich abzugrenzen, ist irgendwie gestört. Manche Patientinnen sind so unabhängig und selbstständig, dass sie nie um Hilfe bitten oder sich von anderen helfen lassen würden. Sie lassen den Taxifahrer ihren schweren Koffer nicht in den Kofferraum wuchten (was ja eigentlich zu seinem Job gehört). »Ich schaffe das schon, danke«, sagen sie. Andere leiden unter dem Zwang, ihren Mitmenschen gefallen zu müssen – auf Kosten des eigenen Wohlergehens. Oder sie strengen sich furchtbar an, bei allen gut angesehen zu sein (sogar bei Leuten, die sie eigentlich nicht mögen). Das kann sich so äußern, dass sie Ja sagen, obwohl sie eigentlich Nein sagen möchten. Da helfen sie zum Beispiel (mal wieder) bei einer Spendenaktion, obwohl sie gerade in Arbeit ersticken oder versuchen, ihr Haus zu verkaufen.

Oder sie laden den alkoholkranken Cousin zum Geburtstag ein, obwohl sie wissen, dass das schlecht ausgeht. Aufgrund meines professionellen Hintergrunds und meiner eigenen Geschichte gelingt es mir zu erkennen, dass ein Nein theoretisch ganz leicht auszusprechen ist. Aber für viele andere kann es auch ganz schwer sein.

Egal, wie viele Memes wir über Social Media kriegen (wie »Nein ist ein vollständiger Satz!« oder »Du schaffst das, Määädel!«), in Wirklichkeit ist es sehr viel aufwendiger, unser wahres Selbst zu kennen und zu sehen, wenn eine schlechte Abgrenzung für uns die Norm ist.

Eine schlechte Abgrenzung erschwert alles. Sie führt zu Dramen, die Zeit und Energie kosten. Wie du vermutlich schon weißt, ist es sehr anstrengend, ständig die Feuer im persönlichen Umfeld zu löschen. Wenn wir aber in diesem schlechten Abgrenzungsverhalten feststecken, bemerken wir oft gar nicht, dass wir diejenigen sind, die unabsichtlich diese Feuer entfachen. Um die Störung durch diese Ablenkung zu stoppen, müssen wir zu den frühesten Einflüssen zurückkehren – sozusagen zum Tatort, wo die ursprünglichen Verletzungen und das Lernen daraus zu finden sind.

Um das Konzept zu erläutern, inwiefern ursprüngliche Verletzungen zu ungesunder Abgrenzung und selbst gemachten Konflikten führen, lass uns in die Vergangenheit reisen. Ich werde dir einen Einblick geben, wie ich mich von mäßiger Abgrenzung zu mittelprächtiger Abgrenzung und dann zu wahrer Meisterschaft, zum vollwertigen Boundary Boss, hochgearbeitet habe. Meine Hoffnung ist, dass du Teile deines Lebens in meiner Story wiedererkennst und die Zuversicht hast, dass auch du zum Boundary Boss werden kannst – auf deine Art.

Lerne aus meinen Erfahrungen

In jungen Jahren lernte ich alles über gestörte Abgrenzung und ineffektive Kommunikation von zwei Menschen, die so gut wie keine Lebenserfahrung hatten, als sie damit begannen, Kinder zu kriegen. Meine Mutter war neunzehn und gerade frisch auf dem College, als sie mit meiner ältesten Schwester schwanger wurde. Sie brach das College ab und heiratete meinen Vater im Hinterzimmer einer presbyterianischen Kirche in Glens Falls im Staat New York. Sie machten so weiter und bekamen in weniger als sechs Jahren noch drei Töchter. Ich bin die jüngste.

Wir wuchsen in einem Vorort in New Jersey auf, meine Eltern lebten uns traditionelle Rollenbilder vor. Mein Vater war der Ernährer, Typ gehobenes Management, der am Wochenende zum Golfen ging, zu viel trank (soll heißen: so viele Martinis wie in Mad Men) und erwartete, dass das Abendessen auf dem Tisch stand, wenn er von der Arbeit kam. Meine Mutter war eine liebevolle, einfühlsame Vollzeitglucke, die uns und alle unsere Freunde aufzog. Mein Vater verdiente das Geld, meine Mutter kümmerte sich um alles andere, führte den Haushalt und übernahm die Verantwortung für unser Wohlergehen.

Meine Familie hatte wie so viele Familien die verstohlene Kommunikation und emotionale Dysfunktion perfektioniert. Meine Eltern kamen beide aus Familien, in denen offene Gespräche über alles vermieden wurden, was schmerzlich oder schwierig war. Und schon sind wir beim Kern der Sache: Ineffektive Kommunikation führt zu schlechter Abgrenzung.

Obwohl mein Vater nicht gewalttätig oder brutal war, fürchteten wir uns alle vor seinen Launen. Meine Mutter achtete sehr darauf, ihn nicht aufzuregen. Meine Schwestern und ich bekamen seine tiefe, grollende Stimme selten zu hören, es sei denn, es gab ein Problem. Insgesamt habe ich vermutlich weniger als einhundert Worte mit ihm gesprochen, bevor meine Eltern sich scheiden ließen, als ich dreizehn war.

In der Regel äußerte sich der Mangel an Kommunikation in emotionaler Nichtverfügbarkeit. Auch wenn er da war, war er nicht für uns da. Sein »Hallo, Sportsfreunde!« bedeutete indirekt Der Fernse– her gehört jetzt mir, damit ich Golf schauen kann. Auch wenn meine Schwestern und ich gerade gespannt die letzten fünf Minuten von Grease verfolgten (ihr wisst schon: Kurz bevor Olivia Newton-John sich vom braven Mädchen in den in Lycra gekleideten Drachen mit Kippe im Mund verwandelte) – wenn wir dieses »Sportsfreunde« hörten, wussten wir, dass nur eine Antwort möglich war: »Kein Problem. Tschüssi!« Keiner von uns gefiel die Tatsache, dass wir den Film nicht zu Ende schauen konnten, aber wir taten, als würde uns das nichts ausmachen. Aufrichtig unsere Meinung zu sagen war undenkbar.

Oft sind die wichtigsten Regeln in einer Familie die, die nicht explizit benannt werden. In meiner Familie war es zum Beispiel völlig klar, dass meine Eltern eine unausgesprochene Abmachung darüber hatten, wie jeder zu funktionieren hatte: Dad verdiente die Brötchen, Mom erzog uns und managte die Familie. Die wichtigste stillschweigende Übereinkunft bei uns zu Hause bestand aber womöglich darin, dass man vermied, Wut direkt zu äußern. So, wie ich spüren konnte, dass meine stets heitere Mom Angst davor hatte, sich mit meinem Vater anzulegen, wusste ich auch instinktiv, dass Wutausbrüche tabu waren.

Die Menschen, auch die jüngsten, sind so gestrickt, dass sie sich einer Gefahr möglichst nicht aussetzen wollen. Meine Erfahrungen als Kind lehrten mich, andere Menschen automatisch zu studieren und Situationen zu erfassen, um das Maß an Bedrohung einzuschätzen und Konflikte zu vermeiden. Jedermanns Wut konnte eine Bedrohung darstellen. Ich vermied es bewusst, meinen Vater aufzuregen. Wie meine Schwestern zeigte ich auch nie meine wahren Gefühle. Aber Emotionen lösen sich nicht einfach – pff! – in Luft auf, nur weil sie innerhalb der Familie lästig oder unzumutbar sind. Sie tauchen ab. Und das ist nicht gut.

In unserem Haushalt lebten vier Teenager ihre unterdrückte Wut durch Türenschlagen und Lästern aus, und wenn meine Eltern weg waren, gab es auch den einen oder anderen Faustkampf. Meine älteren Schwestern machten sich theatralisch, wenn auch indirekt Luft, indem sie ausbüxten, die falschen Freunde hatten, Drogen nahmen und tranken (und zeigten so auch die Verklemmtheit des gesamten Familiengefüges). In diesen Momenten hinterließen das Missfallen meines Vaters und die Qualen meiner Mutter einen starken Eindruck bei mir. Ich schwor mir, nie Anlass für eines davon zu sein. Nicht, dass ich die meisten dieser Sachen nicht auch tat. Ich passte halt auf, dass ich nicht erwischt wurde.

Folglich lernte ich, meine wahren Gefühle zu verbergen. Stattdessen wandelte ich sie in akzeptablere um (aus der Wut wurde zum Beispiel Betrübnis) und ignorierte, was mein Bauch mir sagte. Diese Strategie schützte mich vor dem Missfallen und linderte die Urangst, aus dem Clan verstoßen zu werden, sollte ich es wagen, an den unausgesprochenen Regeln zu rütteln. Als ich dann aufs College kam, waren der ungesunde Kommunikationsstil, die gestörte Abgrenzung und meine fragwürdigen Bewältigungstechniken alles, was ich hatte. In Sachen Abgrenzung war ich also eine echte Katastrophe.

Auf mich allein gestellt

Als Erwachsene behielt ich mein ungesundes Abgrenzungsverhalten bei. Ich wurde eine Meisterin darin, indirekt zu kommunizieren, sarkastisch zu sein, die Augen zu verdrehen und gelegentlich angesäuert zu lügen, nach dem Motto: »Ich sagte doch, mir geht’s gut!« (Klingt vertraut, was?) Auch im heimlichen Manipulieren war ich geschickt; damit meine ich, dass die Manipulierten (in der Regel mein jeweiliger Freund) nie merkten, dass ich insgeheim und hinter der glatten Fassade meine eigenen Pläne vorantrieb. Die heimlichen Manipulationen stellten sicher, dass ich anerkannt wurde, Konfrontationen vermied – und alle waren glücklich. Hinter den Kulissen aber machte ich, was ich wollte. Ich traf mich mit meinen alten Flammen, ging in der Stadt mit meinen Schwestern aus (und »vergaß«, beides zu erwähnen). Der Versuch, Menschen und Situationen zu kontrollieren, gab mir Sicherheit. Diese Strategie funktionierte irgendwann nicht mehr. Deshalb ist es kein Zufall, dass ich mich während des Colleges auf der Therapeuten-Couch wiederfand, nachdem ich bereits als Kind damit gerungen hatte, aufrichtig zu sein. Und auf dieser Couch bin ich die letzten dreißig Jahre geblieben.

······································· AUF DEN PUNKT ·······································

Ineffektive Kommunikation führt zu Schwächen beim Abgrenzen.

Bei Therapiebeginn hatte ich noch nie vom Abgrenzen gehört. Ich hatte keinen blassen Schimmer, dass mein mieser Umgang mit dem Grenzenziehen sich auf mein ganzes Leben auswirkte, also auch darauf, wie ich kommunizierte und Kontakte knüpfte. Da am College selbst Nichttrinker Trinker wurden, hatte ich im letzten Studienjahr bereits jede Menge Kotzattacken, Ohnmachten und Filmrisse hinter mir. Mein Vater war uns mit seinen Alkoholexzessen ein Beispiel gewesen, dem meine übermütigen, außer Kontrolle geratenen Schwestern gefolgt waren. Schon mit vierzehn kippte ich zusammen mit ihnen Shots. Als ich aufs College kam, fand ich meinen Alkoholkonsum normal. Meine Therapeutin, Bev, fand das nicht.

Nachdem ich wochenlang immer wieder beiläufig meine vom Alk befeuerten Großtaten erwähnt hatte, stellte Bev mir ein Ultimatum. »Wenn Sie sich nicht einem Zwölf-Schritte-Programm gegen das Trinken anschließen, werde ich unsere Beziehung beenden müssen«, sagte sie. Wie bitte? Wollte meine Therapeutin etwa mit mir Schluss machen?

So sehr mich ihr Ultimatum auch schockte, noch mehr überraschte mich meine spontane Reaktion bei dem Gedanken, mir Hilfe zu suchen: ein tiefes Ausatmen. Ich war erleichtert. So erleichtert. Tief in mir drin kannte ich die Wahrheit – lange bevor mein Kopf auch nur in Erwägung zog, das Dosenbier endgültig wegzulassen (seht mir das Dosenbier nach, das war auf dem College!). Die Sauftouren verhinderten, dass ich weiterkam und glücklich war. Das selbstzerstörerische Verhalten wäre weitergegangen, solange ich versuchte, Wut, Trübseligkeit und Angst durch Trinken in den Griff zu bekommen. Drei Monate vor dem Abschluss stellte ich das Trinken ein.

Hellwach

Diese Ernüchterung machte den Weg frei für das Konzept einer besseren inneren Abgrenzung. Bei der inneren Abgrenzung geht es darum, wie gut oder schlecht man die Beziehung mit sich selbst steuert (mehr dazu in Kapitel 7, Seite 157ff.). Achtest du zum Beispiel erst mal auf deine eigenen Bedürfnisse? Übernimmst du Verantwortung für dein Verhalten? Zum ersten Mal in meinem Leben überprüfte ich, wie ich zu mir stand. Ich wusste nicht mal, dass es so was gab wie eine Beziehung zu sich selbst.

Ich erkannte auch nicht, dass man seine inneren Grenzen und die Beziehung zu sich selbst beherrschen musste, um sich in anderen Beziehungen gut abgrenzen zu können. Da meine Sicht jetzt nicht mehr vom Alkohol getrübt war, fing ich an, mir ein paar unangenehme Fragen zu stellen:

Halte ich Wort und setze die Versprechen um, die ich mir selbst gebe? (Eher nicht.)

Halte ich anderen gegenüber Wort und mache, was ich verspreche? (Nicht immer.)

Wie steht es um meine Selbstdisziplin, mein Zeitmanagement, meine Impulskontrolle und meine Selbstregulierung? (Könnte alles besser sein.)

Ich war zweiundzwanzig und hatte eine Menge Arbeit vor mir, aber zum ersten Mal im Leben sah ich auch klar. Der Therapie verdankte ich die bisher größte Erleuchtung: Egal, welche Karten mir das Leben ausgeteilt hatte, ich konnte nicht nur ein neues Blatt verlangen, ich konnte sogar ein ganz neues Spiel beginnen.

Diese Erkenntnis kurbelte meine Fantasie und meine Verwandlung an.

Begeistert von der Selbsterforschung und der Arbeit an mir selbst, ging ich auch Jahre nach meinem Abschluss weiter zu meiner ersten Therapeutin, Bev. Jeden Montagabend stieg ich zuverlässig um sieben Uhr abends an der Penn Station in New York in den Pendlerzug und fuhr zu ihr in eine Kleinstadt auf Long Island. Um Mitternacht war ich zurück in meiner Wohnung. Diese wöchentliche Tour war Ausdruck meiner Überzeugung, dass mein Leben stetig besser werden würde, wenn ich den Kurs der Selbstheilung und der Selbsterkenntnis beibehielt. Ja! Ich konnte mich dafür entscheiden, mein Leben selbstermächtigt zu führen. Doch ich hatte noch einen langen Weg vor mir, bis ich verstand, was genau das für meinen Alltag bedeutete.

Alles Blendwerk

Mit fünfundzwanzig hatte ich meinen ersten ernsthaften Job im glitzernden Entertainment Business mit seinen verschwommenen Grenzen. Ich arbeitete als Schauspielagentin. Ähm, nicht gerade die ideale Umgebung für geistige Gesundheit. Die klar definierten Regeln der normalen Geschäftswelt galten hier nicht. Kontakte knüpfen und Feiern nach Feierabend mit den Besetzungschefs und Kunden gehörte zum Job. So verschwammen die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben. Trotz meiner Enthaltsamkeit und der Therapie war ich in Sachen Abgrenzung immer noch Mittelmaß.

Trotzdem hielt ich weiter an meinen wackligen Fähigkeiten des Abgrenzens fest. »Nein, du kannst mich nicht um drei Uhr morgens anrufen, nur weil jemand vergessen hat, dir Sprudel in die Garderobe zu bringen.« Erst allmählich verstand ich, dass ich ja tatsächlich darüber entscheiden konnte, wie ich mich von anderen Menschen behandeln ließ, sei es im Beruf oder im Privatleben.

Meine noch unterentwickelten Abgrenzungsfähigkeiten hielten mich jedoch nicht davon ab, meine Ziele zu verfolgen. Ich stieg beständig auf, und fünf Jahre später leitete ich die New Yorker Geschäftsstelle einer an Ost- und Westküste vertretenen Künstleragentur und handelte fünf- und sechsstellige Gagen für Supermodels und Berühmtheiten aus. Unglaublich, oder? Na ja, nicht wirklich.

Die Realität hinter meiner hochtrabenden Berufsbezeichnung war schmerzhaft. Aus mir war ein gestresster Workaholic geworden, der oft Frozen Yogurt als Abendessen verspeiste und sich jedes Mal eine Parliament 100 anzündete, sobald sich ein weiteres Drama ankündigte (also quasi ständig). Ich managte nicht nur das Berufsleben meiner Kunden, sondern wurde auch oft in ihre privaten Dramen verwickelt. Außerdem fühlte ich mich verantwortlich dafür, die Probleme von Kollegen, Familienmitgliedern oder engen Freunden in Ordnung zu bringen. Unbewusst glaubte ich wohl, dass die Verantwortung für ihre Angelegenheiten auf meinen bereits überlasteten Schultern liegen müsse. Inoffiziell therapierte ich alle und jeden, einschließlich des beziehungsunfähigen Briefträgers. Ich selbst war allerdings ziemlich durch den Wind, auch wenn ich weiter funktionierte.

Der Wendepunkt kam für mich, als ich nicht länger übersehen konnte, dass es mir viiiel wichtiger war, Models in Entzugszentren, Therapien oder Kliniken für Essstörungen unterzubringen, als ihnen einen lukrativen Deal mit einer Marke oder eine Filmrolle zu beschaffen. Mir waren die Leute wichtiger als der Profit. Ich brauchte dringend eine berufliche Veränderung.

Dass ich meine Karriere vorantreiben wollte, passte zu meinem aufkeimenden wahren Selbst. Ich schrieb mich für einen Master in sozialer Arbeit an der New York University ein. Doch ich konnte es mir nicht leisten, meinen Hauptberuf aufzugeben. Während ich also Vollzeit studierte, führte ich im Home Office weiter die TV-Abteilung für die Agentur und gab als außerordentliche Professorin Schauspielunterricht an der NYU Tisch School of the Arts. Das Studium und zwei Jobs unter einen Hut zu bringen machte es erforderlich, meine immer noch im Aufbau begriffenen Abgrenzungsfähigkeiten täglich, wenn nicht gar stündlich durchzusetzen.

Um als Lehrerin Erfolg zu haben, musste ich meine Klassenregeln absolut deutlich machen (Grenzen und Erwartungen benennen) und durchsetzen (also keine Zeit dafür, anderen gefallen zu wollen). Für das Studium war es unabdingbar, die innere Abgrenzung voranzutreiben, die ich durch den Alkoholverzicht erst erkannt hatte (also mir gegenüber Wort zu halten). Das hieß, dass ich mich ganz auf meine Bedürfnisse, Vorlieben und Wünsche einschoss, ihnen Priorität gab und tat, was getan werden musste, um es zu schaffen (mich an meinen Zeitplan halten, Einladungen ausschlagen und nicht alles stehen und liegen lassen, wenn ein Freund oder jemand aus der Familie in der Krise steckte).

Eine bessere Abgrenzung bedeutete auch, dass ich in der Agentur Sachen delegierte. Das war echt hart für einen frisch genesenen Kontrollfreak.

······································· AUF DEN PUNKT ·······································

Wenn du dein Abgrenzungsverhalten änderst, wirst du erkennen, dass du mehr Wahlmöglichkeiten zur Verfügung hast, als du bisher geahnt oder ausprobiert hast.

Als ich zwei Jahre später meinen Abschluss machte, fühlte ich mich in vielerlei Hinsicht versierter, insbesondere in Bezug auf meinen neu entdeckten Verstand in Sachen Abgrenzung. Ich war jetzt dreiunddreißig und sehr stolz darauf, dass ich es beim Grenzensetzen und in der zwischenmenschlichen Kommunikation so weit gebracht hatte. Ich hatte keine Ahnung, dass das Leben in dieser Hinsicht noch einige Herausforderungen für mich in petto hatte.

Unerwartete Wendungen

Als ich gerade dieses neue Kapitel in meinem Leben aufschlug, versetzte mir das Universum zwei Faustschläge, die mich alles infrage stellen ließen: den plötzlichen Tod meines Vaters und kurz danach eine Krebsdiagnose, der zwei große Operationen und eine Strahlentherapie folgten. Alles innerhalb eines Jahres.

Mich Anfang dreißig mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu sehen und meinen Vater zu verlieren – dieser doppelte Tiefschlag brachte mich ernsthaft zum Nachdenken.

Trotz der jahrelangen Therapie kämpfte ich immer noch mit meiner Co-Abhängigkeit, der tief verwurzelten Angewohnheit, die Probleme anderer als meine eigenen zu betrachten. Das war eindeutig die Folge meiner immer noch mäßigen Abgrenzungsfähigkeit. Stimmt, ich hatte gelernt, bestimmte Einladungen dankend abzulehnen (also nie wieder Brautjungfer wider Willen), aber ich hatte mir nicht wirklich klargemacht, was passierte, wenn ich die Bedürfnisse anderer immer wieder über meine eigenen stellte.

Die Jahre, die ich damit verbracht hatte, mein Leben auf andere auszurichten, holten mich jetzt ein. Der chronische Stress trug zu der möglicherweise lebensbedrohlichen gesundheitlichen Situation bei. Ich brauchte Gelegenheit zum Durchatmen. Um das zu erreichen, musste ich der Frage nachgehen, wie es dazu gekommen war, dass ich mich für jeden und alles verantwortlich fühlte. Ich weiß noch, dass ich mir sagte: Es gibt noch so viel zu lernen und zu tun. Hoffentlich läuft mir nicht die Zeit davon, als ich beim Arzt auf meine Diagnose wartete.

In dem Moment gingen bei mir die Lichter an. Ja, theoretisch hatte ich verstanden, dass ich wählen