Brainwash und Einsichtsfalle - Ingo Chill - E-Book

Brainwash und Einsichtsfalle E-Book

Ingo Chill

4,8

Beschreibung

In diesem Buch werden erfolgreiche kommunikative Strategien, Vorgehensweisen und Techniken für alle Mitarbeiter von Maßnahmen am Übergang Schule-Beruf an realen Beispielen dargestellt. Diese Maßnahmen sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass die Ziele (was bei und mit dem jungen Menschen erreicht werden soll) durch Kostenträger und Auftraggeber vorgegeben und daher fremdbestimmt sind. Wie jeder Mitarbeiter einer solchen Maßnahme nun weiß, empfinden die jungen Menschen ihre Teilnahme häufig als Zwang und diese Ziele nicht als ihre Ziele. Entsprechend hoch und ausbaufähig ist ihre Motivation. Es soll nun allerdings nicht gezeigt werden, wie man junge Menschen fremd-motiviert! Dem Leser sollen vielmehr kommunikative Handwerkszeuge gereicht und Vorgehensweisen gezeigt werden, wie er m i t diesen jungen Menschen arbeiten kann. Wie fruchtlose Diskussionen und aggressives Verhalten elegant vermieden und Widerstände sogar genutzt werden können. Motivationssteigerung ist dabei lediglich eine angenehme Nebenwirkung; für alle Beteiligten. Durch die beschriebenen Techniken soll der Leser seine Möglichkeiten als professioneller Kommunikator erweitern und dadurch auch dem jungen Menschen größere Handlungsspielräume geben. Das Buch ist geeignet für alle Mitarbeiter von Maßnahmen die von jungen Menschen besucht werden (müssen). Vom Anleiter im Praxisbereich, über Lehrkräfte, bis hin zum sozial-pädagogischen Mitarbeiter. Für Lehrer an Berufsschulen und Studenten der Pädagogik bzw. der Sozialen Arbeit; kurz für alle, die mit jungen Menschen in Zwangskontexten arbeiten wollen oder müssen.

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Inhalt

Einleitung

TEIL l

Gesetze der Magie

Perspektivwechsel

TEIL ll

Jetzt geht`s los

Anzählen - aber richtig

Skalierung

Klärung - worum geht es überhaupt? Den Auftrag krieg ich nie!

Andere Fragen oder - nicht reparieren, sondern hin zu

Präzisierungen

Anweisungen geben Sie sprechen Adoleszent?

Der Konjunktiv – möglich und schön

Zielplanung / Zielplanungsverfahren

Stufe EINS - Basics

Stufe ZWEI

Stufe DREI – wieder auf Anfang

Blankoressourcen

Keine Ziele

Empfehlungen zur Durchführung von Zielplanungsverfahren

Vertretungssituationen –

Der junge Mensch als Fachmann

Konsequent konsequentoder Binsenweisheiten

Halte das, was du versprichst!

Versprich nur das, was du halten kannst!

Fortschritte sichtbar machen

Anekdoten und Geschichten

Setting

Der Feind meines Feindes...

Tacheles

Joker

Ehrenwort geben lassen

Ich bin nicht dein Feind

Zweifel wecken

Wertejudo

Platzhirsch

Querulanten

Psychohygiene

Humor

Abgeben

Nichts persönlich nehmen

TEIL lll

Ein Wort zu Maßnahmen - bezüglich der Teilnehmer

Konsequenzen und Druck

Abhaken dürfen

Wie muss man sein?

Ein Wort zu Maßnahmen - bezüglich Konzeption, Geldgeber und Kollegen

Das ist ja alles nur Manipulation

ANHANG 1

ANHANG 2

KLEINES WÖRTERBUCH

Über den Autor

Einleitung

Über Kommunikation gibt es unzählige Bücher. Für den pädagogischen und therapeutischen Bereich, für den Einsatz im Management und in der Werbung, für die Medienwissenschaften bis hin zur Selbsthilfe.

Das vorliegende Buch ist allerdings für Mitarbeiter in Maßnahmen mit Jugendlichen und jungen Menschen geschrieben. Denn wie Sie als Mitarbeiter einer solchen Maßnahme sehr schnell feststellen können, gibt es für diesen Bereich sehr wenig Kommunikationsmodelle und daher kaum konkrete Literatur.

Woran liegt das?

Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie für eine junge Klientel konzipiert sind (junge Menschen etwa zwischen 16 und 25 Jahren) und sie von einem Großteil dieser Klientel (zumindest zu Beginn der jeweiligen Maßnahme) als eine Art Zwang empfunden werden. Viele kommen daher eher unfreiwillig oder aus Mangel an Alternativen. Diesem Sachverhalt entsprechend sieht leider auch die Motivation dieser Teilnehmer aus.

Und genau für diesen besonderen Kontext

empfundene Unfreiwilligkeit (Zwang)

junge Menschen

geringe Motivation

geringe Lösungskompetenz

gibt es kaum Kommunikationsmodelle.

In der Lösungsorientierten Beratung werden drei Arten von Beziehungstypen beschrieben die zu einem Berater kommen: Klagende, Besucher und Kunden.

Klagende werden hier als Personen beschrieben, die sich beim Berater lediglich über Missstände beschweren und nicht(s) verändern wollen. Besucher als (noch) unentschlossene Menschen, die vor einer Entscheidung überprüfen wollen, was die Beratung und der Berater für sie tun können. Kunden dagegen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Ziele oder Probleme benennen können, die sie erreichen bzw. lösen möchten.

Diese Art der Einteilung ermöglicht es dem Berater effizient zu arbeiten, denn Erfolg versprechend ist primär die Arbeit mit Kunden. Besucher und Klagende können zwar durch wiederholte Angebote zu Kunden gemacht werden, Zeit und Mühe werden häufig nur für Kunden aufgewendet. Ein Berater (Therapeut) kann also jede Person, die er nicht als Kunde empfindet ablehnen.

Maßnahmen und Mitarbeiter von Maßnahmen können dies nicht.

Sie bekommen Menschen von anderen Stellen zugewiesen und haben sich vertraglich dazu verpflichtet mit ihnen zu arbeiten. Natürlich kann man die Zugewiesenen klassisch in die Beziehungstypen Besucher, Klagende und Kunden unterteilen. Passender ist allerdings in diesen speziellen Fällen häufig eine vierte Kategorie: Maßnahmeteilnehmer.

Diese vierte Kategorie, deren Verhaltensweisen und Probleme ist eine der zentralen Herausforderungen, der sich die Mitarbeiter von Maßnahmen stellen müssen.

Ausführende Träger und Maßnahmen stehen unter enormen ökonomischen Druck (vertraglich festgelegte) Erfolge in irgendeiner Form vorzuweisen. Mit einer Klientel, die zwar Kunde genannt werden muss, sich selbst häufig nicht als solche sieht und auch nicht angesehen werden kann.

Auftraggeber und Kostenträger bezeichnen diese Klientel als Kunde. Sie gehen vom vernunftbegabten jungen Menschen aus, dem lediglich aufgrund seiner Herkunft, seiner Sozialisation, seiner Bildung oder sonst wie gearteter Umstände bestimmte Informationen fehlen, die ihm nur in der richtigen Form offeriert werden müssen, damit er sein Problem verstehen kann, Einsicht zeigt um dann schlussendlich entsprechend zu handeln.

Die dahinter liegende Idee und das dazugehörige Menschenbild lautet: wenn ein Mensch weiß, was ihm fehlt (ggf. warum) und was er tun sollte, ist er hochmotiviert dieses Fehlenden nachzuholen.

So die Theorie der Einsicht. Jeder, der mal mit dem Rauchen aufhören wollte oder der Kinder hat (vor allem pubertierende), weiß, dass da noch andere Faktoren maßgeblich sind. Um nicht zu sagen: Dominieren!

Genau für diese Herausforderungen der Praxis (vierte Kategorie) ist dieses Buch geschrieben: für Maßnahmen, deren Mitarbeiter und ihre Kundschaft. Es sind eklektisch zusammengestellte Techniken und Erfahrungen (Teil ll), die hier vielleicht mit einem Roten Faden, aber nicht zwingend aufeinander aufbauend vorgestellt werden. Zuvor (Teil l) werden die Grundannahmen, die die Basis der beschriebenen Techniken darstellen, erläutert. Wem dies zu theoretisch ist, kann getrost gleich zu Teil ll übergehen.

Sie werden durch Verwendungen der beschriebenen Techniken Ihre individuellen Möglichkeiten als professioneller Kommunikator erweitern und Ihre Kunden und Rezipienten werden dadurch größere Handlungsspielräume erhalten.

Dies macht Sie nicht unbedingt erfolgreicher in dem, was Ihr Auftraggeber unter erfolgreich versteht (heißt, was man in Zahlen ausdrücken kann). Sie kommunizieren dafür effektiver und eleganter und gestalten dadurch ihr berufliches Leben facettenreicher und leichter.

Was natürlich nicht heißt, dass Sie wenig tun können oder müssten. Sie handeln durch Verwendung dieser Techniken halt „anders“ als zuvor.

Und um dieses „anders“ geht es in diesem Buch.

TEIL l

Gesetze der Magie

Das Erste Gesetz der Magie in einem Roman aus meiner Jugend lautete „Menschen sind dumm!“

Ein alter verschmitzter Zauberer bringt im Laufe der Geschichte seinem jungen Adepten dieses und weitere Gesetze der Magie näher. Auf mich wirkte dieses Gesetz recht profan, da ich mir beim Kauf dieses Titels (Das erste Gesetz der Magie von Terry Goodkind) doch etwas Tiefsinnigeres erhofft hatte. Gleichwohl steckt eine tiefe Wahrheit in diesem Gesetz.

Nicht, dass die Menschen dumm wären im Sinne von geringer Intelligenz. Aber: Menschen lassen sich gerne täuschen und wollen sich auch gerne täuschen lassen. Und aus diesem Grund konstruieren sich Mensch auch die dazu entsprechende Wahrheit gerne selbst. Da es heutzutage nur noch sehr wenig wahre Zauberer gibt, ist es für Sie hilfreicher, wenn wir dieses Gesetz in Überzeugungen umwandeln.

Für die Arbeit mit Menschen in Maßnahmen helfen drei Überzeugungen:

Menschen brauchen und wollen einen Sinn in ihrem Tun (sehen)

Wenn eine Aufgabe für Sie einen Sinn ergibt, sind Sie höher motiviert etwas aktiv dafür zu tun (oder ggf. etwas zu lassen), als wenn sich Ihnen der Sinn verschließt und Sie die Aufgaben trotzdem machen müssen. So zeigen beispielsweise jugendliche Fremdsprachenmuffel mit einem Male eine erstaunliche Motivation eine Fremdsprache intensiver zu erlernen, wenn ihr potentieller Gesprächspartner als potentieller Sexual- oder Liebespartner daherkommt und leider nur wenig deutsch spricht. Frei nach Nietzsche: Gib dem Menschen ein Warum und er erträgt jedes Wie. Dabei muss dieser Sinn nicht allgemeingültig/nicht jedermann zugänglich oder „wahr“ sein. Es genügt völlig, wenn der Rezipient einer Aktion Sinn in seiner Aufgabe und seinem Tun sieht.

Menschen brauchen den Glauben frei wählen zu können/frei gehandelt zu haben (auch wenn es sich dabei tatsächlich nur um Scheinalternativen handelt)

Menschen lassen sich nur ungern sagen, was sie zu tun und zu lassen haben (selbst, wenn sie ggf. den Sinn darin sehen und vor allem, wenn es sich um Jugendliche handelt). Sie wollen selbst entscheiden und Herr ihres Schicksals sein. Der Glaube gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen zu können, ist eine starke Antriebskraft. Diese so genannte Selbstwirksamkeitserwartung bei jungen Menschen zu entwickeln ist, Ziel vieler pädagogischer und therapeutischer Richtungen. Die Kunst eines Kommunikators ist nun, nicht alle Alternativen benennen, sondern nur die Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen oder anzubieten, die für den jungen Menschen eher hilfreich sind. Es kann sogar so weit gehen, dass Sie Alternativen anbieten, die lediglich den Eindruck einer Wahl lassen (Scheinalternativen). Trotzdem ist der junge Mensch mit einer solchen Wahl zufriedener, als wenn er das Gefühl hat, nicht wählen zu können oder sogar gezwungen zu werden. (siehe Anekdoten und Geschichten)

In der Arbeit in Maßnahmen und mit jungen Menschen, haben sich als dritte Überzeugung zwei nebeneinander existierende Sätze als hilfreich erwiesen. Der eine Satz hängt als Mahnung in einem Therapieraum einer Drogenklinik, der andere ist das Motto eines weltberühmten Hotels.

Wir sind hier nicht bei "

Wünsch dir was"

, sonder bei "

So isses"

!

und

We are Ladies and Gentlemen serving Ladies and Gentlemen!

Motto der Ritz-Carlton Hotel Company

Beide Sätze können, trotz ihres scheinbaren Widerspruchs, gleichzeitig nebeneinander existieren und genau mit der Unität dieser beiden Sätze lässt sich ausgezeichnet in Maßnahmen und Zwangskontexten arbeiten.

Perspektivwechsel

Viele junge Menschen kommen nicht unbedarft in eine Maßnahme. Sie haben oft nachhaltige Erfahrungen mit unterschiedlichen Helfersystemen gemacht. Sei es durch wohlmeinende Familienangehörige und Bekannte, Schulen, Jugendhilfe, Sozialpädagogen, Psychologen, der Psychiatrie und so weiter. Daher ist ein Großteil dieser jungen Menschen bestens geschult in der professionellen Gesprächsführung (mit Helfern). Sie kennen die gängigen Fragen, die ihnen gestellt werden. Sie wissen, welche Antworten von ihnen erwartet werden und was die "richtigen" Antworten sind. So setzen diese jungen Menschen ihr Wissen aktiv ein, um tiefer gehende Gespräch zu vermeiden (Fachjargon: kein Gespräch gedrückt kriegen) oder, weil sie einfach nicht wissen, wie sie sonst "richtig" antworten könnten. Dem Kommunikator wird nach dem Mund geredet, der Gesichtsausdruck zeigt tiefe Betroffenheit (gelernt ist eben gelernt), und es fallen Sätze: "Da muss ich noch an mir arbeiten...das habe ich noch nicht gelernt...das liegt an meiner Kindheit..."

Sätze, die einfach nicht zum normalen Wortschatz von jungen Menschen gehören (sollten).

Herausfordernder sind Gespräche mit jungen Menschen, die dabei versuchen, auf so genannte "Nebenkriegsschauplätze" überzuleiten, um so von sich oder Ihrem Fehlverhalten abzulenken. Es werden "klassische" Probleme angeboten, auf die sich dann der Helfer mit Inbrunst stürzen kann. Beispielsweise werden hier nicht näher spezifizierte persönliche Probleme in den Raum geworfen (Eltern trinken, schlagen, schlagen sich, Oma liegt im Sterben)- mal schauen, auf was das Gegenüber anspringt. Alternativ werden "schlimmere" Verfehlungen oder Missstände anderer Teilnehmer genannt: „Jetzt muss ich hier sitzen und die anderen haben doch das ganze gefilmt und ins Netzgestellt ..." In der Hoffnung, dass der Helfer nun auf diesen Sachverhalt sein Augenmerk (und Fragen) richtet.

Sollten Sie also den Eindruck haben, dass es sich um einen 'geschulten' Teilnehmer handelt, rufen Sie sich Einsteins Definition von Wahnsinn in Erinnerung:

Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Daher gilt: wenn das, was Sie bisher getan haben nicht funktioniert, müssen Sie etwas anderes tun.1

Jede Frage des Kommunikators, die unerwartet und somit "anders" vom jungen Menschen wahrgenommen wird, beinhaltet die Möglichkeit, dass etwas Neues und daher Besseres dabei heraus kommt. Auf eine nicht erwartete Frage kann nur schwer eingefahren geantwortet werden.

Ungewohnte und unerwartete Fragen haben häufig einen Perspektivwechsel zur Folge, den Sie für Ihre Arbeit nutzen können.

Wie man dies macht, folgt in Teil ll.

1 oder nach Peter Cord: Wer etwas haben möchte, was er noch nie hatte, der wird wohl etwas tun müssen, was er noch nie tat.

TEIL ll

Jetzt geht`s los Anzählen - aber richtig

Während meiner Bundeswehrzeit ließ mich der Zugführer zu sich rufen. Nachdem ich mich gemeldet hatte, zog er umständlich sein Portemonnaie aus der Tasche, öffnete dieses sehr langsam, suchte darin herum und zeigte mir anschließend aus selbiger eine Gelbe Karte. Wortlos. Das Ganze war etwas verwirrend, da mir meine Frage "Warum?" nicht beantwortet wurde. Kurze Zeit später sprachen mich andere darauf an:

"Die Gelbe Karte - oh Mann!", "Jetzt musst du aufpassen..." und ähnliche wohlmeinende Kommentare.

Wie sich heraus stellte, hatte ich eine Regel verletzt, die in dieser Einheit durch diesen Zugführer eingeführt worden war. Da ich erst kurz zuvor in diese Einheit gewechselt hatte, kannte ich diese Regel nicht. Ebenso war in dieser Einheit jedem die Bedeutung der Gelben Karte klar. Eine Vorwarnung gab es nicht. Hinterher nur die Konsequenz (also die ausgeführte Rote Karte).

Ich war verwirrt, hatte ein schlechtes Gewissen, war sauer und fühlte mich ungerecht behandelt. Alles zusammen. Hier wurde meiner Meinung nach mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Die "Vorwarnzeit" war mir zu gering, als dass ich mein Verhalten hätte anpassen können. Die Gelbe Karte an sich war ja schon eine Strafe (und nicht nur ein Feedback, mein Verhalten zu ändern), wie mir die Reaktion der anderen klar vor Augen führte.

Kommen wir wieder zu unseren Maßnahmen:

Ein neuer Lehrgang mit jungen Teilnehmern beginnt. Es gilt in den ersten Tagen eine große Anzahl von Anmeldeformularen und eine noch größere Anzahl an Tests abzuarbeiten. Alles in schriftlicher Form. In Sälen, an Pulten und vor Tafeln, welche die Jugendlichen zwangsweise an Klassenzimmer, Lehrer und Unterricht erinnern. Für die wenigsten dieser jungen Menschen eine gute Erinnerung. Entsprechend gering ist die Motivation.

Zu Beginn der Maßnahme werden neben der Klärung der Formalien auch die Regeln des Hauses und des Lehrgangs erläutert (und vom Teilnehmer per Unterschrift ratifiziert).

Fast immer versuchen schon nach kurzer Zeit einzelne Teilnehmern diese Regeln zu brechen, zu beugen - kurz gesagt diese Regeln und Sie als Person auszutesten.

Sie können nun als Mitarbeiter, der an den vernunftbegabten Menschen glaubt, die Sache vernünftig ansprechen:

"Herr Müller, Sie kommen zu spät aus der Pause. Wie wir Ihnen gestern...haben Sie sich verpflichtet...halten Sie sich in Zukunft...ansonsten...."

Wer kennt dies nicht? Die Teilnehmer auf alle Fälle. Welchen Erfolg glauben Sie wird eine solche Ansprache haben? Wie lange wird dieser Erfolg halten?

Wie oft sollte diese kleine Ansprache gehalten werden? Wann sollten Konsequenzen (welcher Art sie auch immer sein mögen) erfolgen?

Warum sollten Sie das Ganze wiederholt erzählen (Fachjargon: runterbeten), wenn Sie davon ausgehen können, dass

der Teilnehmer weiß, dass er etwas falsch gemacht hat

dass ihm solche Ansprachen bestens bekannt sind

er sein Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit durch diese Art der Ansprache nicht ändert/ändern will/ändern kann

die anderen Teilnehmer genau zuschauen, wie alle Beteiligten hier aus der Situation heraus kommen/ mit der Situation umgehen?

Gehen wir wieder von der Situation aus, dass ein Herr Müller mit einer ordentlichen Verspätung aus der Pause erscheint. Vielleicht murmelt er eine Entschuldigung, vielleicht grinst er (vermeintlich provozierend) – Gehen Sie davon aus, dass die restlichen Teilnehmer Ihnen sehr interessiert zuschauen.

Sie können sich nun an die gesamte Gruppe wenden und den Zu-spät-Kommenden zunächst ignorieren (oder ihn höflich bitten doch Platz zu nehmen):

"Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen? Wissen Sie, mein Sohn kann bis Fünf zählen, seit dem er drei ist. ...Wissen Sie warum? ...Wenn er abends Blödsinn bei Tisch machte, gaben wir ihm die Eins..."

Dabei zeigen Sie sehr deutlich der Gruppe die geschlossene Faust und spreizen dann den Daumen ab.

"Machte er weiter mit dem Blödsinn, gab es die Zwei..., die Drei... , die Vier...!

Jeweils zu den Zahlen zeigen Sie der Gruppe schön deutlich die passende Fingeranzahl.

"Und bei Fünf...ging es ab ins Bett - ohne Gute-Nacht-Geschichte."

Meist blicken die Teilnehmer einen nun sehr verwirrt an.

"In der gesamten Zeit, in der meine Frau und ich dies praktizierten, kam unser Sohn nur zweimal bis zur Fünf... Bis zur Vier ging er ordentlich mit und probierte aus. Auf die Fünf verzichtete er - weil er genau wusste, was dann passierte."

Immer noch verwirrte Gesichter.

"Ach ja, Herr Müller..." Ich warte bis Herr Müller mich ansieht und zeige ihm dann (ohne laut zu zählen) den erhobenen Daumen.

"Alles klar?"

In dem Sinne, ob er verstanden hat. In eigentlich allen Fällen nicken die Teilnehmer, viele lächeln sogar.

Danach fährt man einfach im Stoff fort und geht zum Tagesgeschäft über.

Was soll über die Sache gesprochen werden, wenn der junge Mensch weiß, was er falsch gemacht hat?

Sie machen ihn auf einen Sachverhalt aufmerksam und fertig. Er wird wie ein Erwachsener behandelt und kann damit sein Gesicht wahren, da er nicht vor der Gruppe gemaßregelt wird.

Ein solches Vorgehen ermöglicht es Ihnen, Ihr Anliegen sachlich und vielleicht mit einem Augenzwinkern zu vermitteln. Da durch die einzelnen Grade nicht unmittelbar Konsequenzen für ihn drohen, bietet es dem Teilnehmer auch seinerseits die Möglichkeit, die Sache nicht persönlich, sondern lediglich als Information zu nehmen.

Es ist nicht ratsam einzelne Stufen zu überspringen. Beispielsweise für einen "schlimmen" Regelverstoß von der Eins gleich auf die Vier "Da siehst du, was du davon hast" o.ä. Es soll lediglich eine Information vermittelt werden und nicht bestraft werden.

Es kommt vor (allerdings sehr selten), dass die angezählten Teilnehmer auf die Frage: "Herr Müller, Sie wissen, warum Sie die [X] bekommen haben?", antworten, dass sie es nicht wüssten. Ob man dies im Einzelfall glaubt oder nicht, ist eine andere Sache. Was können Sie tun?