BRASILIANISCHER CANDOMBLÉ - Tilo Plöger - E-Book

BRASILIANISCHER CANDOMBLÉ E-Book

Tilo Plöger

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Beschreibung

Dieses Buch ist das erste und vorerst einzige umfassende theoretische und praktische Werk über die Tradition des brasilianischen Candomblés. Auf knapp 900 Seiten werden die Konzepte, die Organisation, die Mythologie, die Rituale, die Begriffe dieser Jahrhunderte alten mystischen und magischen Tradition erörtert. Ein Buch für alle, die sich für die Traditionen der brasilianischen Candomblé und Umbanda, sowie auch der kubanischen Santeria und Palo interessieren. Das Buch wendet sich zudem an diejenigen, die sich in der Praxis mit diesen Traditionen beschäftigen und konkrete Hinweise für die traditionskonforme rituelle Umsetzung in Europa suchen.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1459

Veröffentlichungsjahr: 2021

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BRASILIANISCHERCANDOMBLÉ

Prinzipien, Organisation, Rituale undBegriffe des brasilianischenCandomblés

Copyright: © 2021: Tilo Plöger

Umschlag: Erik Kinting

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-26368-0 (Paperback)

978-3-347-26369-7 (Hardcover)

978-3-347-26370-3 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

DEFINITION UND GESCHICHTE

DEFINITION

DIE ENTSTEHUNG DER YORUBISCHEN TRADITION VON IFÁ

GESCHICHTLICHE UND KULTURELLE HINTERGRÜNDE VON YORUBALAND

DIE VORPHASEN DES CANDOMBLÉS

DIE ENTSTEHUNG DES CANDOMBLÉS IM ENGEREN SINN

DIE ANERKENNUNG ALS TRADITION UND RELIGION

DER SYNKRETISMUS

DIE NATIONEN DES CANDOMBLÉS

DREI PHASEN DER ENTWICKLUNG

DIE ENTSTEHUNG DER TERREIROS

EXKURS: DER BEGRIFF „YORUBÁ“

DER TERREIRO

DER AXÉ

TERREIRO – CASA DE CANDOMBLÉ – ILE AXÉ

DIE CUMEEIRA AUF DEM TERREIRO

DAS VERHALTEN DER MITGLIEDER IM CANDOMBLÉ

DIE BEZIEHUNGSZUSAMMENHÄNGE AUF EINEM TERREIRO

DIE FORMEN DER BEGRÜßUNG

DIE KLEIDERORDNUNG

NACKTE FÜßE

DIE FIOS DE CONTA

EINWEIHUNG, TRANCE, INKORPORATIONEN

DIE EINWEIHUNG

ORGANISATION IM CANDOMBLÉ

DIE PRINZIPIEN DER HIERARCHIE

DIE CUIA

DIE ÄMTER

DIE BABALORIXÁS UND DIE IYALORIXÁS

DIE BABALOSSÂINS

DIE ALABÁS

DIE BABALAÔS

DIE OLUÔS

DIE OGÃS

DIE EKEDIS

DIE EBÔMIS

EINWEIHUNG

DIE WEIHE

DIE ABIÃS

DER YAÔ UND DIE EINWEIHUNG

DIE ORIXÁS UND DER MENSCH

EINLEITUNG

DIE IRUNMONLÉS

DIE QUALITÄTEN VON ORIXÁS

DIE „CORTE DE ORIXÁS“

DER ORIXÁ DE AMPARO.

DER ORIXÁ DO ORI

DER ORIXÁ DO ADJUNTÓ

DER ORIXÁ DO ETÁ

DER ORIXÁ DE HERANÇA

DIE ORIXÁS DER EINWEIHUNG

DER ORI

DIE BEDEUTUNG DES ORIS

DIE ASPEKTE DES ORIS

DIE GEISTIGE FÜHRUNG DES MENSCHEN

DIE STRUKTUR UND VERBINDUNGEN DES ORIS

DER ORI UND DIE BESTIMMUNG

ORIS BEZIEHUNGEN ZU DEN KÖRPERTEILEN

DER INDIVIDUELLE UND DER KOLLEKTIVE ORI

DER ORI IN DISBALANCE

DIE PFLEGE DES ORIS

DIE MYTHOLOGIE DES ORIS

GESÄNGE UND GEBETE FÜR DEN ORI

DIE EBÓS

EINLEITUNG

EINIGE FORMEN VON EBÓS

DIE EBÓS BEI DER EINWEIHUNG

BEISPIELHAFTE EBÓS AUS DEM MERINDILOGUN

IGBÁ – DIE HEILIGEN SCHREINE

EINFÜHRUNG

DIE VERSCHIEDENEN SCHREINE IM CANDOMBLÉ

DIE SCHREINE AUF EINEM TERREIRO

DIE SCHREINE DER ORIXÁS

DER YAÔ UND DIE EINWEIHUNG

EINLEITUNG

RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE KLAUSURPHASE

DER IGBÁ

DER RONDÊMI, ARIAXÉ ODER RONCÓ

DIE WEIßE KLEIDUNG

DIE MATTE AUS PALMENBLÄTTERN

DIE XAORÔ, CONTRA-EGUM, UMBIGUEIRA UND MOKÁN

DER INHÃ, ILEQUÊ

REGELN UND VERBOTE

DER BOLONÃ, ODAÊ ODER ADARRUM

DAS RITUAL DES RASIERENS DES KOPFES

DIE CURAS BZW. DIE INCISÕES

DIE TIEROPFER BEI DER EINWEIHUNG

DIE IMOLAÇÃO UND SUNDIDÉ

DIE ROLLE DER PERLHÜHNER

DIE ROLLE DER TAUBE

DIE ROLLE DES CHAMÄLEONS

DIE ROLLE DER GROßEN SCHNECKE

DIE ROLLE WEITERER TIERE

DIE SASSANHA

DER QUELÊ

DER SARAPOCÃ

DER ICODIDÉ

DIE BEMALUNG DES YAÔS

DIE DREI FARBEN DES CANDOMBLÉS

DER OXU

DER IKOMOJADÈ

DER ORUNKÓ

DER ORUPÍ

DER PANÃ

DIE „FAMILIÄREN“ VERHÄLTNISSE AUF EINEM TERREIRO

DAS ERBITTEN VON SEGEN

EIN PAAR ERGÄNZUNGEN

DIE KÜCHE UND DIE LEBENSMITTEL

EINFÜHRUNG

DER AJEUM

DER ADIMU

DEN ORIXÁS SPEISEN GEBEN

DIE ÜBERGABE DER OPFER AN DIE ORIXÁS

DIE BEHÄLTER DER SPEISEN

EPÔ PUPÁ – DAS ROTE PALMÖL

EPÔ FUNFUN – OLIVENÖL

ADIM – DAS WEIßE ÖL

OYÍN – DER HONIG

OWIKI – DER ZUCKER

IYÓ – DAS SALZ

OMI – DAS WASSER

DIE ALKOHOLISCHEN GETRÄNKE

DIE PIMENTA-DA-COSTA

DIE SPEISEN DER ORIXÁS

BASISREZEPTUREN FÜR DIE SPEISEN DER ORIXÁS

WICHTIGE SYMBOLE DES CANDOMBLÉS

DER EBÔ

DER ACAÇÁ

DAS EI

DER OBI

DER OROBÔ

DER ATIM

DIE COWRIES (BÚZIOS)

DIE PALHA DA COSTA (RAFFIA STROH)

DER MARIÔ (BLÄTTER DER PALME DES PALMÖLS

DIE MATTE (ESTEIRA)

DIE SEIFE (SABÃO-DA-COSTA)

DIE BAUMWOLLE

DIE KERZEN

DER STEIN OKUTÁ (OTÁ)

DIE QUARTINHA

EMÍ – DER ATEM

VERSE, GEBETE, GESÄNGE, BEGRÜSSUNGEN

DER ORÍM

DIE ORIQUÍS

DIE ADURÁS

DER OFÓ

DER ORÔ

DIE ITÃS (ITAN)

DER KÉ

DER FORIBALÉ (BATER CABEÇA)

DER DOBALE UND DER ICÁ

DER PAÓ

VERBOTE UND UNVERTRÄGLICHKEITEN

DIE QUIZILA (EWÓ)

DIE XIMBA

REINIGUNGSRITUALE

DER OSSÉ

DER ABÔ

DER OMIERO

DIE SASANHA

AMULETTE

BESONDERE PERSONEN IM CANDOMBLÉ

DIE ABIKUS

DIE ABIALÁS

DIE ABIAXÉS

DIE SALACÓS

DIE XEREGUNS

DIE XERODUS

KLEIDUNG UND GEWÄNDER

DER PANO-DA-COSTA

DIE CAMISU

DER CALÇOLÃO

DER OJÁ

DER SINGUÊ

DIE BATA

DER ALACÁ

DIE FIOS-DE-CONTA

KULTE IM CANDOMBLÉ

DER KULT DER UMBANDA

DER KULT DER GELEDÊ

DER KULT DER EGUNGUN

DER KULT DER OGBONI

DER KULT DER ELECÓ

DER KULT DER OXÔS

MUSIK UND INSTRUMENTE

EINLEITUNG

DER ADJÁ

DER AGOGÔ ODER GÃ

DER AGUIDAVÍ

DER ASSANGUÊ

DER OGUÊ

DIE ATABAQUES

DER BATÁ

DER BABALAJÁ

DER CALACOLÔ

DER CAXIXI

DER XEQUERÉ

DER XÉRE

OGAN SUSPENSO & CONFIRMADO

DIE RHYTHMEN UND TÄNZE

BOLAR VS. BOLONAN

ADOXU VS. OXU

DER XIRÊ

RITUELLE INSTRUMENTE UND SYMBOLE

DER ABEBÉ

DER ALÁ

DER ATORÍ

DER BILALA

DER BRAJÁ

DER HELM

DER IBIRÍ

DER IRUEXIM

DER IRUQUERÊ

DER OFÁ

DER OGÓ

DER OPAXORÔ

DER OXÊ

DER PILÃO UND DIE MÃO-DE-PILÃO

DAS SCHWERT

DER TACARÁ

DER XAXARÁ

HEILIGE BÄUME

DER APAOCÁ

DER ACOCÔ

DER IROKO

DER DENDEZEIRO

DER OBÓ

HEILIGE VÖGEL

IKODIDÉ

AGBÉ

ALUKÓ

LEKE LEKE

MYTHEN

AXAWO

IGUN

APARÓ

OWIWI

AWODI

MYTHOLOGIE – DIE ENTSTEHUNG DER WELT

DIE ENTSTEHUNG DES UNIVERSUMS

DER ENTSTEHUNG DER MATERIELLEN WELT

DER MENSCH ZWISCHEN GEISTIGER UND MATERIELLER WELT

DIE ODUS

EINLEITUNG

DIE GRUNDLAGE DER ORAKEL

DIE MYTHOLOGISCHE ENTSTEHUNG DES MERINDILOGUN

ABGRENZUNG

DIE ÜBERSICHT DER ODUS

OGBE

OYEKU

IWORI

ODI

IROSUN

OWONRIN

OBARA

OKANRAN

OGUNDA

OSA

IKA

OTURUPON

OTURA

IRETE

OSE

OFUN

DIE ORIXÁS UND WEITERE GOTTHEITEN

EINLEITUNG

EUÁ (IYEWA)

EXÚ

IANSÃ – OYÁ

IBEJI

LOGUNEDÉ

NANÃ

OBÁ

OGUM

OMOLU – OBALUAIYÊ

OSSAIM

OXALÁ

OXÓSSI

OXUM

OXUMARÉ

XANGÔ

YEMANJÁ

WEITERE ORIXÁS UND GEISTIGE WESEN

ODUDUA

AGBONI

BROSIA

BROMU

OLORUM

IROKO

OKO

ERÊ

ONILÉ

ERINLÉ

ORUNMILÁ – IFÁ

BABÁ OLOKUM

OSUN

ODÉ

IKU

IYAMÍ OXORONGÁ

BABÁ EGUN

DIE WOCHE AUF EINEM TERREIRO

AUFTEILUNG DER WOCHE

WOCHENTAGE UND ZUGEORDNETE ORIXÁS

JÄHRLICHER FESTTAGSKALENDER

DIE RITUALE

VOR DEN FEIERLICHKEITEN

BEGINN DER FEIERLICHKEITEN

EBÓ UND SACUDIMENTO

OBI D’ÁGUA

REFORÇO DE ORI

DER BORI

BORI EJÉ – BORI DES BLUTES

ONJÉ DUNDUN – COMER DOCE

BORI DE SAÚDE – BORI ERAN

BORI DE EQUILÍBRIO – BORI DES GLEICHGEWICHTES

EINWEIHUNG

IPADÊ

AXEXÊ

DIE GROSSEN FESTE

RODA (FOGUEIRA) DE XANGÔ

ÁGUAS DE OSHALÁ

IPETÊ (BALAIO) DE OSHUM

FESTA DE YEMANJÁ

OLUBAJÉ

BIBLIOGRAPHISCHEN ANGABEN

EINLEITUNG

Das vorliegende Buch ist das erste umfassende Werk über den brasilianischen Candomblé. Es ist ein Buch zum Nachschlagen, zum Vertiefen und für die praktische Anwendung. Sinnvoll für alle, die mit dem brasilianischen Candomblé, der kubanischen Santeria, sowie den an diese angelehnten Umbanda und Palo arbeiten. Das Buch ist nicht als wissenschaftliche Arbeit gedacht und erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit, Vollständigkeit. Es ist eine Mischung aus einer Zusammenfassung umfangreicher Recherchen, persönlichen Erfahrungen im Austausch mit erfahrenen Anhängern und geistigen Führern dieser Traditionen sowie persönlicher Ansicht. Es ist als ein Rahmen gedacht für all jene, die die Tradition besser verstehen möchten, die vielleicht in der einen oder anderen Weise selbst damit in Berührung kommen und diese praktizieren.

Vor 500 Jahren gelangten die Wurzeln dieser Traditionen über den Sklavenhandel auf die neuen Kontinente, insbesondere in Brasilien und Kuba. Diese 3.000-5.000 Jahre alte Kultur aus dem afrikanischen Gebiet des heutigen Nigeria, Benins, etc. passte sich über die Jahrhunderte der neuen Umgebung an – sie erhielt eine neue Form, neue Inhalte, angepasste Rituale und Sprache. Dabei verlor sie nie ihre Essenz und es ist erstaunlich, wie gut der Kern erhalten wurde. Die Wurzeln dieser Traditionen liegen in Afrika und diese wiederum vermutlich im sehr alten Ägypten mit späteren arabischen Einflüssen – auch damals über die Route der Sklaven in die „tieferen“ Gebiete Afrikas getragen und dort neu verortet. Candomblé und Santeria sind heute eigenständige Traditionen mit afrikanischen Wurzeln, und es der neuzeitliche Versuch diese Traditionen wieder zu „afrikanisieren“ erscheinen mir sinnlos. Denn ihre Stärke besteht gerade darin, dass sie sich weiterentwickelte und sich dabei in vielen Dimensionen den indianischen und europäischen Traditionen bediente.

Die Globalisierung der Lebensräume führt derzeit dazu, dass sich überall Anhänger, Interessierte, Praktizierende der afrobrasilianischen und afrokubanischen Traditionen des Candomblés, der Umbanda, der Santeria und des Palos wiederfinden. Auch im deutschsprachigen Raum etablieren sich diverse „Arbeitsgruppen“, die auf das Wissen dieser Kulturen zurückgreifen. Gleichzeitig für die Globalisierung der Information dazu, dass sich der regionale Candomblé gerade weiterentwickelt, denn die für diese Tradition typischen Gruppen beginnen sich verstärkt mit ihrer Geschichte auseinander zu setzen. Der Austausch mit Afrika und Kuba führt dazu, dass sich diese drei regionalen Ausdrucksweisen einer gemeinsamen spirituellen Basis neu vermischen.

Auch im deutschsprachigen Raum werden sich mittelfristig eigenständige Ausprägungen dieser Traditionen entwickeln. Dieser evolutionäre, von innen heraus sich entwickelnde Ansatz ist diesen Traditionen immanent. In Afrika waren es mehr oder weniger freie Städte oder stammesartige Strukturen, in Kuba und Brasilien sind es voneinander unabhängige Gruppen, die sich von Generation zu Generation weiterentwickeln. Die Grundlage dieser Entwicklung ist das Wissen um die Wurzeln der Tradition sowie die Assimilation der neuen lokalen Gegebenheiten. In Brasilien und Kuba wurden die Sklaven bewusst vermischt, das heißt Familien und regionale Wurzeln wurden bewusst auseinandergerissen und neu zugeordnet, um auf den Feldern das Risiko von Widerständen zu reduzieren. Die unterschiedlichen Kulturen mussten sich also vor Ort jeweils neu strukturieren und sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Zudem mussten viele Rituale angepasst werden, weil es naturgemäß an den Rohstoffen mangelte. Hier kamen den Afrikanern das umfangreiche indigene Wissen zugute. Auch der Synkretismus spielte aus der Not heraus eine herausragende Rolle, denn die Kulte mussten über Jahrhunderte im Verborgenen durchgeführt werden. So entstand irgendwann eine Parallelwelt der Bezeichnungen – die Orishás, die Rituale, usw. erhielten teilweise christliche Bezeichnungen, um den Anschein zu erwecken, dass die Missionierung Erfolg zeige.

Die Entwicklung des Candomblés sowie der anderen afro-brasilianischen und afro-kubanischen Traditionen in Europa folgt einem ähnlichen Muster. Zwar müssen diese Kulte hier nicht verheimlicht werden, doch sie müssen der Kultur und den Gegebenheiten angepasst werden. Die Pflanzenwelt, das große Thema der Tieropfer, die räumlichen Anforderungen, die sprachliche Übersetzung muss überdacht und vorsichtig angepasst werden.

Bei diesem Prozess hat Europa und im speziellen der deutschsprachige Raum einen großen Vorteil und einen großen Nachteil. Der Vorteil: Völlige Freiheit der Ausübung, der Informationsbeschaffung, der Ausgestaltung, des Austausches. Der Nachteil: Der Mangel an Wissenszugang.

Candomblé ist eine sehr komplexe Tradition – sowohl in der Mythologie wie auch in der rituellen Praxis. Und jenseits wenig hilfreicher historischer Darstellungen und Dissertationen sowie Studien von Menschen, die sich nur wenige Monate in einer Gruppe aufgehalten haben und wenig Erfahrung mitbringen, gibt es kaum etwas, worauf man sich stützen könnte. Denn die Traditionen waren stets eine Tradition einer bildungsarmen Bevölkerung, verbunden mit den Prinzipien der zu verbergenden Mysterien und einer vollkommen auf orale Weitergabe von Wissen um Philosophie und Praxis ausgelegte Kultur. Es existieren also de facto selbst in den Ausgangssprachen kaum umfassende Werke über die Tradition. Und die wenigen wirklich guten Werke sind teilweise sprachlich schwer zugänglich, denn sie sind gespickt mit Fachwörtern und diese häufig in einem modifizierten Yorubisch, Indianisch, Altkubanisch, usw.

Um Candomblé und Santeria wirklich zu verstehen und zu kennen braucht man vermutlich Jahre und Jahrzehnte. Erst recht, wenn alles Wissen über Mitwirken und Erzählung vermittelt wird. Dies erschwert es enorm, die Traditionen in Europa zu vermitteln und umzusetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich mich dieses Themas angenommen und dieses Buch konzipiert. Es ist explizit nicht als Handlungsanweisung oder Kochbuch gedacht und geeignet. Es ist auch keineswegs fehlerfrei und vollständig, denn auch ich musste viele Quellen interpretieren, auslegen, verkürzen, auswählen, und mich auf eine Mischung von glaubwürdigen Quellen, persönlicher Erfahrung und gesundem Menschenverstand verlassen. So gesehen ist das Buch also eher eine „zusammenfassende, systematisierende Quelle“ für das persönliche Verständnis und ggf. für die individuelle Umsetzung.

Wie bei allen Traditionen, die Raum und Zeit unterliegen, gibt es nicht den Candomblé, die Santeria, die Umbanda, den Palo. Es existieren sehr viele Inkonsistenzen, unterschiedliche Auslegungen von Ritualen und Mythen, usw. Dies ist aber nicht notwendigerweise ein so großes Problem. Denn es ist ohnehin das Verständnis dieser Traditionen, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt. Was aber in diesen Traditionen sehr tief verankert ist, das ist die Vorstellung, dass alles eine Bedeutung hat – jeder Handgriff, jedes Instrument, jedes Wort. Wirklich alles hat im Candomblé eine Bedeutung, nichts ist zufällig oder beliebig. Und alles wird auf die Mythologie und die Grundsätze der Natur und der spirituellen Entwicklung zurückgeführt.

Es heißt im Candomblé, das Wichtigste sei der Akt, also das Tun mit einer entsprechenden verbundenen Absicht. So sollten man sich also auch diesem Buch nähern. Die Darstellungen und gelegentlichen „Anleitungen“ sind allgemeine Rahmen, die dem Verständnis der Hintergründe und Prinzipien dienen. Rituale sind im Candomblé sowie der Santeria heilige Akte mit hoher magischer Wirkung. Einweihungen, der Aufbau von Schreinen, usw. sind alles andere als reine Formsache. Sie haben eine sehr große Kraft und müssen deswegen sehr akribisch umgesetzt werden. Der Mensch in der Rolle des geistigen Führers von Ritualen muss also genau wissen, was er wann, weshalb, warum, für wen tut. Kennt er die Prinzipien der Rituale und aller Instrumente, kann er sie auch vorsichtig den Notwendigkeiten und Gegebenheiten anpassen. So also dienen die sehr vereinfachten Anleitungen eines Schreines sowie der teilweise detaillierten Beispiele bei einzelnen Qualitäten von Orixás lediglich als Musterbeispiele und Rahmen für das Verständnis, was ein Schrein überhaupt ist und wie er in gewissen Traditionen umgesetzt wird. Der Versuch aus einem Rahmen oder Beispiel eine standardisierte Vorlage zu machen muss scheitern. Diese Traditionen funktionieren nicht nach Rezeptbuch, doch sie haben eine strenge innere Ordnung und folgen in sich schlüssigen Konzepten.

Dieses Buch ersetzt nicht Erfahrung – in den jeweiligen Traditionen und in der persönlichen spirituellen Entwicklung. Insofern ist ein über das Buch hinausgehender Austausch mit erfahrenen Candomblecistas, Santeros, Umbandistas, Paleiros, etc. unbedingt zu empfehlen.

Abschließend noch ein Kommentar zu den Quellen und zu den Schreibweisen. Ich verzichte auf allzu detaillierte Quellenhinweise. Weil sie das Buch unlesbar machen würden und weil dies Großteils nicht machbar ist. Viele Quellen sind einfach nicht mehr zuzuordnen, weil sich eine auf die andere bezieht und leicht anpasst. Im Anhang sind aber die wesentlichen Quellen genannt. Auch werden innerhalb der Ausführungen relevante Quellen bei Übersetzungen genannt.

Insbesondere bei den Qualitäten der Orixás stützt sich das Buch auf kubanische Quellen. Hier ist zu beachten, dass die Tradition der Santeria vielfach sehr dem Candomblé ähnelt. Doch sie ist in der rituellen Umsetzung an vielen Stellen auch sehr unterschiedlich. Bei der Aufstellung der Schreine ähneln sich beispielsweise die Grundprinzipien sehr, doch die konkrete Umsetzung als Schrein sowie innerhalb eines Ablaufes des Rituals ist sehr unterschiedlich. Ich habe dennoch immer mal wieder konkretere Beispiele übernommen, um den Charakter zu beschreiben. Bei einer Umsetzung innerhalb des Candomblés muss alles im Detail entsprechend angepasst werden.

Bei den Schreibweisen und Sprachen habe ich mich für ein Kolorit entschieden aus den diversen Sprachen und Schreibweisen. Dies mag auf den ersten Blick das Lesen erschweren, auf der anderen Seite besteht bei Übersetzungen aus dem Yoruba oder den regionalen Sprachen (Brasilien, Kuba) das Risiko von Fehldeutungen. Und für Leser, die dieser Sprachen mächtig sind, erleichtern die diversen Ausdrucksformen die spätere eigene Recherche mit den manchmal nicht einfachen Zuordnungen von Begriffen. Soweit möglich wurden spanische und yorubische Begriffe erläutert. Vor allem bei der Erläuterung einzelner Elemente der Rituale und Schreine wurden sie jedoch teilweise in der Originalsprache belassen, um wesentliche Begriffe nicht zu verfälschen, denn sie haben häufig im Candomblé oder der Santeria eine sehr genaue Bedeutung, die eine leichtfertige Übersetzung nicht wiedergibt. Einschlägige Wörterbücher dieser Traditionen können da im Zweifel und bei Bedarf weiterhelfen. Für die Mehrheit der Leser ist das ohnehin eher von allgemeinem und weniger von rituellem Interesse.

Dieses Buch ist als Standardwerk des Candomblés gedacht und wird laufend ausgebessert und ergänzt. Weiterführende Bücher zu Spezialthemen sind auf dem Markt und werden noch erscheinen. Auszüge sind auch auf der Webseite www.candomblé.com einsehbar. Eine Kollektion zu den hier nur kurz angerissenen 10.000 Versen von Ifá ist in Planung.

Tilo Plöger im Frühjahr 2021