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Was ist Liebe? Ist Liebe eine Begierde? Ist Liebe eine Illusion? Ist Liebe ein Gefühl? Sind Freundschaft und Nächstenliebe Liebe? Ist die Liebe größer als der Glaube und die Hoffnung? Ist Liebe ein Mysterium? Ist Liebe Wissen oder Erfahrung? Ist Liebe vernünftig? Eine kleine subjektive und hoffnungsvolle Reise durch die Zeiten, Philosophien, Religionen und Wissenschaften zum Thema Liebe.
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Seitenzahl: 207
Veröffentlichungsjahr: 2018
Tilo Plöger
Das Buch der Liebe
Über das Mysterium der Liebe in der Philosophie, der Psychologie und den spirituellen Wissenschaften
Copyright: © 2018: Tilo Plöger
Illustration: Maika Matthis
Umschlag & Satz: Erik Kinting
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-7469-6662-5 (Paperback)
978-3-7469-6663-2 (Hardcover)
978-3-7469-6664-9 (e-Book)
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
„Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.Es ist, was es ist, sagt die Liebe.Es ist Unglück, sagt die Berechnung.Es ist nichts als Schmerz. Sagt die Angst.Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.Es ist, was es ist, sagt die Liebe.Es ist lächerlich, sagt der Stolz.Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“
Erich Fried
INHALT
Vorwort
Über Liebe als Manifest
Über die Formen der Liebe
Über die Arten der Liebe
Über Liebe als Begierde
Über Liebe als Illusion
Über Liebe als Gefühl
Über Liebe und Tugend
Über Liebe als Freundschaft
Über Liebe zum Nächsten
Über Glaube, Liebe und Hoffnung
Über Liebe und Identität
Über Liebe und Glück
Über Liebe als Mysterium
Über Liebe als Erfahrung
Über Liebe und Zeit
Fazit
Vorwort
Ende 2017 las eine Freundin mein BUCH DES LEBENS und fragte mich, weshalb ich darin so wenig über die Liebe geschrieben hätte. Das war eine – wie ich fand – berechtigte Frage, ist doch die Liebe ein entscheidendes Element in allen spirituellen Traditionen.
Wahrheitsgemäß antwortete ich ihr, dass ich bis dahin nicht viel darüber nachgedacht hatte. Und dass insbesondere in den Mysterienschulen erstaunlich wenig zur Liebe gelehrt wird; zumindest findet sich nur wenig Überliefertes und Geschriebenes zu diesem Thema.
Obwohl alle Schulen und Traditionen Liebe als Fundament verstehen, Götter und Göttinnen der Liebe wie Fruchtbarkeit verehren und eine Vielzahl von Liebesritualen kennen. Nur Liebe zu lehren scheint weniger selbstverständlich oder häufig der Fall gewesen zu sein.
Ich nahm diese Nachfrage zum Anlass, über die Liebe nachzudenken, Erkenntnisse großer Denker und Wissenschaftler zu sammeln und sie in Beziehung zu setzen mit verschiedenen metaphysischen sowie spirituellen Fragestellungen.
Im Folgenden also eine Antwort, wie ich sie zu geben in der Lage bin.
Tilo Plöger, im Frühjahr 2018
Über Liebe als Manifest
Liebe Freundin,
Du fragtest mich kürzlich, was Liebe sei und sie ausmache. Was ich unter Liebe verstünde, ob ich sie erklären könne. Ob ich etwas dazu schreiben würde. Über beides habe ich nachgedacht – über Liebe und ob ich mich schriftlich zu einem so großen Thema äußern kann. Und anschließend darüber, ob sich überhaupt vernünftig über Liebe schreiben lässt. Etwas länger habe ich nachgedacht und begonnen zu recherchieren. Und komme vorläufig zu dem Schluss, dass es ein nicht sehr einfaches Unterfangen werden wird, sinnvoll über Liebe zu schreiben.
Liebe ist das offensichtlich größte, prominenteste und öffentlichste Gefühl der Menschheit. Jeder kann etwas damit anfangen, und ich vermute, die meisten Menschen würden sagen, Liebe sei das größte unter allen Gefühlen. Liebe ist allgegenwärtig: sprachlich, gesellschaftlich, täglich empfunden. Und mag man den alten Poeten glauben, so gab es sie schon immer. Wir scheinen in Funktion der Liebe zu leben. Wir lieben unseren Partner, und wenn er nicht da ist, dann fehlt er uns. Wir lieben unsere Familie, wir lieben Schokolade oder einen guten Espresso. Wir lieben so vieles, und uns fehlt vieles, wenn nicht genug Liebe da ist. Liebe versetzt uns in höchste Euphorie und je nach Lage in tiefste Depression.
Erwartungsgemäß ist unsere Kultur geprägt von Liebe. Kunst und Literatur sind voll von Romeos und Julias. Musik und Werbung ebenfalls. Nicht zu vergessen: das Christentum mit seiner Nächstenliebe und der Liebe zu Gott. Selbst die Politik ist mitunter von Liebe bestimmt – ob Mitgefühl für Flüchtlinge oder Bemühungen um Frieden; alles sind Dimensionen von Liebe.
Um so erstaunlicher ist, dass sich zwei wissenschaftliche Zweige aus dem Thema weitgehend heraushalten: die Philosophie und die Naturwissenschaft. Das hat sicher seinen Grund und wirft Fragen auf. Entzieht sich Liebe der Logik und Vernunft? Entzieht sie sich der Analytik und Messbarkeit?
Es findet sich innerhalb dieser Felder nur wenig. Die großen Philosophen halten sich beim Thema Liebe auffallend zurück. Mit einigen Ausnahmen – und zumeist eher in Nebensträngen der Logik – scheint Liebe zum Teil wie ein geistiges Abfallprodukt behandelt zu werden. Vergeblich sucht man nach einer halbwegs einheitlichen Definition von Liebe. Die Philosophie scheint bereits beim Begriff selbst an ihre Grenzen zu stoßen.
Und die Wissenschaft? Ein wenig Psychologie, ein wenig Systemtheorie, etwas Kulturgeschichte, ein wenig Gehirnforschung und noch etwas Biologie. So richtig befriedigt hat mich das Gefundene ehrlich gesagt nicht. Einige Aussagen muten grotesk an, andere wirken sehr technisch, weitere Abhandlungen erscheinen mir wiederum als Stückwerk. Manchmal findet sich ein sinnvoller Aspekt, manchmal gleicht eine Definition einem lebensfremden Konstrukt von Wissenschaftlern, die sich völlig verrannt haben.
Liebe und Glaube sind komplexe Themen – in einer säkularisierten Welt begrifflich ebenso schwierig zu fassen wie inhaltlich zu erläutern. Die Wissenschaft traut sich an diese Themen nicht heran und überlässt das Feld den Sinnsuchern und Religionen. Es war und ist in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich nicht zeitgemäß, qualitativ über qualitative Themen nachzudenken. Und da es bislang keinem Menschen gelungen ist, Liebe in Zahlen zu fassen und sie zu messen, ist sie aus den quantitativen Wissenschaften weitgehend ausgeklammert oder verschwunden.
Die Theologie wiederum ist voller Konzepte von Liebe. Gläubige Menschen reden gerne und viel über Liebe: Göttliche Liebe, Liebe zu Gott, Nächstenliebe und so weiter. Es gibt sehr interessante Denkansätze christlicher Theologen und Mystiker. Doch gute Ansätze sind einerseits selten, andererseits sehr alt und teilweise deutlich vom institutionellen Rahmen der damaligen Kirche geprägt. Sie fokussieren sich sehr stark auf die Aspekte der Nächstenliebe und die Liebe zu Gott. Das mag richtig sein, bleibt aber dennoch einseitig. Spätestens bei den Themen Partnerschaft und Sexualität tun sich diese Denker schwer und erscheinen mir häufig gefangen zu sein, entweder in einem christlichen oder atheistischen Dogma.
Die wenigen Bücher der neueren Zeit stammen von Atheisten. Beim Lesen werde ich das Gefühl nicht los, dass diesen Denkern ein Gespür für die tiefere Dimension der Liebe fehlt. Deswegen sind sie wahrscheinlich Atheisten: weil sie in der Liebe nichts Geistiges empfinden, also auch nicht entdecken können. Sie glauben nicht an Gott, insofern ebensowenig an spirituelle Aspekte der Liebe. Sie folgen vermutlich deswegen sehr schnell der Annahme einiger Wissenschaftler, dass Liebe eine Qualität sei, die nicht notwendig zum Überleben ist. Nützlich zwar, aber nicht wirklich vonnöten.
Soll Liebe eine bloße Laune der Natur sein? Bei diesem Gedanken sträuben sich mir intuitiv die Haare… Eine solche Annahme lässt sich für mich wie eine atheistische Sackgasse an, sie widerspricht allgemeiner Erfahrung von Liebe. Liebe muss mehr sein als ein Zufall oder eine Illusion.
Es ist modern in unserem Kulturkreis, alles in Zahlen zu fassen und Realitäten nur dann anzuerkennen, wenn sie messbar sind. Und es ist scheinbar modern, Atheist zu sein. Das wirkt in unserer heutigen Gesellschaft intellektueller, ist Teil und natürlicher Ausdruck von Zahlengläubigkeit. Doch die Ergebnisse von Wissenschaft und atheistisch geprägter Philosophie zum Thema Liebe „fühlen“ sich für mich falsch an. Sie decken sich nicht mit meinen persönlichen Erfahrungen und enden meines Erachtens oft in gedanklichen Sackgassen, die auf mich lebensfremd und pessimistisch wirken.
Sicherlich gibt es nachvollziehbare Gründe, weshalb Liebe sich der Philosophie und den Naturwissenschaften entzieht – oder warum sich umgekehrt beide Wissenschaftszweige lieber anderen Themen widmen. Mir fallen hierzu inhaltliche und philosophische Gründe ein, zudem einige kulturelle und gesellschaftliche Aspekte:
● Lässt sich Liebe als Gefühl, als „weicher“ Faktor auf dem Weg der Vernunft erfassen? Ist das nicht ein Widerspruch? Weiß der Kopf alles über das Herz? „Das Herz hat seine Gründe, die der Kopf nicht kennt“ (Blaise Pascal). Hat es überhaupt Sinn, über die Liebe nachzudenken?
● Kann Liebe in ihrer Ganzheit – Totalitätsanspruch angenommen – von einem Teil dieser Ganzheit beschrieben werden? Weiß der Apfel alles über den Baum?
● Unterbindet eine überwiegend männlich geprägte Philosophie und Theologie die tendenziell eher weibliche Dimension des Erfassens von Erfahrungen und Gefühlen? Ratio-dominierte Denkweisen sind jedenfalls wenig hilfreich bei der Analyse Emotio-bestimmter Zustände und Zusammenhänge.
● Kann es sein, dass Liebe größer ist als Logik, Zahlen, Messungen, Quantität oder Gedanken?
Mit Liebe ist es offensichtlich ein Stück weit wie mit Gott. Man glaubt an sie oder nicht. Sie lässt sich nicht bis ins Letzte begreifen und auch nicht beweisen. Sie entzieht sich unserer Vernunft, weil sie offensichtlich mehr individuelle Erfahrung als verallgemeinerbares Wissen ist, weil sie als Ganzheit über den Menschen als einem Teil dieses Ganzen zu stehen scheint. Ich sehe mich fürs Erste alleine gelassen. Liebe als Thema ist zu groß für mich, lässt sich mit Vernunft und vorhandenen Konzepten nicht greifen.
Was soll ich dir also zur Liebe sagen, liebe Freundin? Es gibt sie, denn ich fühle sie, so wie du sie fühlst und wie fast jeder Mensch meint, sie empfinden zu können. Es sollte deshalb etwas Einordnendes, etwas Sinnvolles und Erkenntnisreiches dazu zu schreiben geben.
Nach meinem ersten Nachdenken und anfänglichen Recherchen zum Thema Liebe habe ich allerdings ein übergroßes Fragezeichen über dem Kopf, versehen mit unendlich vielen Verästelungen. Liebe entgleitet meinem Verstand bereits bei dem Versuch, sie begrifflich festzuhalten. Sie entrinnt auch meinen Sinnen, denn ich kann sie allem und nichts zuordnen. Sie hat überall ihre Finger im Spiel und doch kann ich nie eindeutig sagen wie. Kann man vernünftig über etwas Gegenteiliges schreiben? Sind Gefühle tatsächlich unvernünftig? Kann man mit dem Kopf das Herz erfassen, es begreifen und darüber schreiben? Kann Ratio Emotio definieren? Und kann ein Teil das Ganze beschreiben? Kann ich als Produkt und somit als kleiner Teil der Liebe etwas über die Liebe als Ganzes sagen?
Die Antwort lautet nein – das geht nicht. Ein Projekt mit diesem Anspruch muss scheitern. Ich kann nichts Vernünftiges und Umfassendes über Liebe schreiben. Selbst wenn ich ein weiser Mann, ein großer Philosoph wäre, könnte ich das wohl nicht.
Und doch möchte ich dir gern auf deine Fragen antworten. Zumindest von Mensch zu Mensch. Indem ich mich dem Thema der Liebe aus unterschiedlichen Perspektiven nähere und meine eigene Warte ebenfalls einbeziehe. Das ist hier nun mein Kunstgriff – du kannst es auch Kniff, Trick oder Ausweg nennen –, um dir etwas über Liebe zu schreiben.
Weil meine Erfahrungen nicht Ausdruck des Verstandes sind bzw. der Wahrheit nur ein Stück weit näher kommen können, schreibe ich dir mehr als Freund und Mensch. Ohne den Anspruch, Liebe als Ganzes beschreiben zu wollen, ohne der Versuchung zu erliegen, Liebe mit Vernunft beschreiben zu wollen. Liebe lässt sich nicht vollends erfahren und entkleiden. Sie bleibt ein Mysterium, das nur gelegentlich ein wenig den Schleier lüftet. Doch im Rahmen unserer menschlichen Begrenzungen bleibt uns eine innere Logik erhalten. Ich wage deswegen den Versuch, meine Erfahrungen als persönliche Sicht auf die Liebe zu formulieren. Im Anspruch konsistent, in sich logisch – etwas rational Männliches im subjektiv Weiblichen gewissermaßen (siehe weiter unten meine Anmerkung zu Pythagoras).
Vernünftig und umfassend über Liebe zu schreiben scheitert ebenso wie der Versuch, sie unabhängig und objektiv zu analysieren. Doch vielleicht gelingt es, persönlich und vernünftig über sie nachzudenken, also frei vom Anspruch, vollständig und wahr zu sein. Ich erlaube mir dabei, Liebe wie ein großes Puzzle zu verstehen. Ich beginne, es zusammenzusetzen, ohne die Grenzen zu kennen. Wichtig ist, dass die Bausteine ineinander passen. Bei großen Puzzles habe ich als Kind stets begonnen, Inseln zu basteln, in der Hoffnung, dass diese sich dann irgendwann zusammenfügen lassen. So werde ich es hier auch angehen. Ich stütze mich auf viele gute Reflexionen verschiedenster Denker und setze sie – in Resonanz zu meinem persönlichen Gefühl – zusammen. Daraus entsteht ein Bild, ein Abbild meiner Realität. Weder der Realität an sich, noch der Realität als Ganzem. Doch dieses Bild mag als Spiegel dienen, sich darin zu erkennen.
Du magst dich fragen, weshalb ich das Buch Manifest der Liebe nenne. Ich bin davon überzeugt, dass es sich bei der Liebe wie mit dem Glauben verhält. Man muss sich zu ihr bekennen, um sie wirklich zu ergründen. Versucht man Glaube und Liebe abstrakt zu beschreiben, als distanzierter Beobachter, so bleibt sie kalt und entzieht sich der Erfahrung und damit letztlich auch der Beschreibung. Die Erkenntnis von Liebe und Glaube setzt ihre (sinnliche) Erfahrung voraus. Und dieser Erfahrung folgt das Bekenntnis. Zunächst ein inneres und schließlich ein äußeres, öffentliches Bekenntnis. Nur so wird sie wirklich relevant, erhält Ausdruck, kann sich mit dem Menschen entwickeln und sich äußern. Es ist ein offenes Geheimnis vieler spiritueller Traditionen, dass man sich dem Geistigen und auch der Liebe hingeben muss, damit man beides erfahren kann. Und nur über seine Erfahrung ist der Mensch in der Lage, sinnvoll und authentisch darüber nachzudenken.
Soweit kann ich einleitend sicher sagen, dass ich mich zur Liebe und ebenso zum Glauben offen bekenne und meine persönlichen Erfahrungen und Absichten spätestens mit der Publikation dieser Zeilen auch öffentlich erkläre (Ver-Öffentlichung). Nichts weiter ist ein Manifest. Auf den vorweg angedeuteten inneren Zusammenhang zwischen Liebe und Glaube komme ich später noch zu sprechen.
Ich fühle mich bei der Auseinandersetzung mit der Liebe (und dem Glauben) dem pythagoräischen Verständnis von Wahrheit und Wahrheitsfindung sehr verbunden. Dies gilt ganz grundsätzlich für jede Form von Wahrheitsfindung, erst recht für den Versuch, Themen mit der Ratio zu erfassen, die ein Erfahren voraussetzen und für die ein Totalitätsanspruch erhoben wird wie für die Liebe.
Der Begründer der westlichen Philosophie, Pythagoras, erkannte seine persönliche Beschränkung bei der Suche nach der Wahrheit. Er verneinte, ein Weiser zu sein und bezeichnete sich als Freund der Weisheit – ein Philo-Soph. Kein Mensch vermag die Wahrheit über das Leben absolut und umfassend zu kennen. Aber er kann sich der Wahrheit nähern – vorausgesetzt, er fühlt sich ihr im Sinne einer Absicht verpflichtet.
Sophia war die weibliche Göttin der Weisheit. Der Weisheit war schon in Urzeiten (bereits bei den Ägyptern) häufig eine weibliche Polarität zugeordnet (nicht gleichzusetzen mit Frau). Der Anfang und das Ende der Wahrheit ist weiblich und ist somit eng verknüpft mit allen Erfahrungswelten, insbesondere den Gefühlen als Kommunikationskanal zwischen den Welten. Das männliche Pendant zur weiblichen Polarität geht aus letzterer hervor. Mit der männlichen Polarität verbunden ist die Ratio. Ging also auch Pythagoras davon aus, dass die Weisheit im Kern weiblicher Polarität ist? Dass der Ursprung des Wissens in der Erfahrung liegt? Dass der Zugang zu Wissen über intuitive Prozesse läuft? Entstehen die männlichen Polaritäten Ratio, Logik, Vernunft aus einer weiblichen Polarität Erfahrung, Gefühl, Intuition, so müsste allein schon aus dieser „Logik“ heraus festegestellt werden, dass Wahrheitsfindung über die Vernunft beschränkt bleibt. Denn ein Teil kann nicht das Ganze erfassen, das Kleine nicht das Große, das Untere nicht das Obere, das Innere nicht das Äußere (hier wären wir bei den Grundsätzen der Hermetik).
Was beschäftigt mich, wenn ich über Liebe nachdenke? Was interessiert mich sehr und was weniger? Ich bin da vermutlich sehr menschlich gestrickt, wenn ich behaupte, dass mich vor allem das interessiert, was ich niemals werde vollkommen beschreiben können. Also vor allem die qualitativen Dimensionen von Liebe. Das mag daran liegen, dass diese Dimensionen eine starke Verknüpfung zu einer anderen Dimension haben, die mich schon immer faszinierte – die spirituelle Seite des Lebens. Denn aus dieser schöpfe ich die Erfahrung und das Wissen für die persönliche geistige Entwicklung – eine, wie mir scheint, Voraussetzung für ein gutes, glückliches, sinnvolles Leben. Ob diese beiden Dimensionen überhaupt abgrenzbar sind, darüber werden wir noch „philosophieren“.
Mich interessieren verschiedene qualitative Fragen, die ich nachstehend kurz aufliste. Zu diesen Fragestellungen zählen Fragen
● über die der Liebe
● über die Arten der Liebe
● über die Liebe als Erfahrung
● über die Liebe als Begierde
● über die Liebe zum Nächsten
● über die Liebe und Gott (als spirituelle Dimension, als Rückverbindung „Re-Ligio“ mit ihren mystischen Aspekten)
● über die Liebe als Gefühl (und die Abgrenzung zu Stimmungen, Emotionen)
● über die Liebe, den Glauben und die Hoffnung
● über die Liebe und Identität
● über die Liebe und die Tugenden
● über die Liebe und die Freiheit
● über die Liebe und das Glück
● über die Liebe und ihre Polarität
● über die Liebe und das Bewusstsein
In diese Themen kann ich eintauchen, in mich hinein fühlen, auftauchen, aufatmen, nachdenken, dazu schreiben und wieder abtauchen. So gelingt mir ein Hin-und-her-Gleiten zwischen Innen- und Außenschau, Erfahrung und Wissen, Gefühl und Logik. Bei der Frage zur Biochemie oder kulturellen Dimension von Liebe gelingt mir das weniger gut. Nicht, dass diese Fragen sinnlos wären. Ich denke schon, dass sie wertvolle Beiträge liefern für das Verständnis, wie sich Liebe ganz konkret äußert, wie sie sich materialisiert im Leben, in der Gesellschaft, in der Kultur. Das sind Themenbereiche, die sich in der Tat modellhaft abgrenzen, teilweise messen und logisch diskutieren lassen. Erfahrung ist hier jedoch nur bedingt gefragt; es sind vorwiegend männliche Wissensdomänen, die bestimmt aufschlussreich für die meisten Menschen sind, mir persönlich aber nur ungenügend Antworten zu spirituellen Fragen geben. Deshalb gestehe ich mir zu, sie hier einfach außen vor zu lassen. Soweit ich das überblicke, stehen wir – der Großteil der Menschen – bei diesen Fragestellungen überwiegend noch ganz am Anfang oder sind bereits überfrachtet. Die Gehirnforschung sagt wenig über die Liebe aus, Kunst und Literatur wiederum liefern eine schiere Fülle (mal mehr mal weniger gelungen). Insofern halte ich mich aus diesen Kontexten heraus, abgesehen von dem einen oder anderen Querverweis.
Eher intuitiv, aus der Erfahrung heraus, gehe ich in den nachstehenden Abschnitten und Kapiteln einigen persönlichen Glaubenssätzen nach. Nicht, um sie zu beweisen, aber um das Fundament zu stärken, oder um es gegebenenfalls auszubauen, anzupassen oder gar zu revidieren:
● Liebe lässt sich begrifflich umreißen, aber nicht vollständig erfassen, denn sie ist universell und essentiell, allumfassend, allmächtig, vielleicht auch allwissend.
● Liebe entzieht sich dem Verstand, der Vernunft. Denn sie ist mehr Erfahrung als Wissen, mehr Emotio als Ratio.
● Liebe besitzt keine Form. Doch sie zeigt sich in vielen Formen. Was immer wir über die Liebe glauben zu wissen und fühlen gefühlt zu haben – es ist immer nur ein Bruchteil von ihr.
● Liebe ist vor allem Erfahrung. Wir müssen sie umarmen, um sie aufzunehmen. Wir müssen uns selbst umarmen, um sie zu umarmen. Wir müssen uns zu ihr bekennen und uns ihr hingeben, um sie in immer größerer Tiefe und Weite zu erfahren.
● Liebe ist auch Begierde. Aber sie ist viel mehr als das. Um Liebe zu erfahren, zu erhalten, zu erweitern und zu vertiefen, muss die Dimension der Begierde transzendiert werden.
● Liebe ist auch Nächstenliebe. Und diese beginnt mit der Selbstliebe. Denn wenn die Liebe omnipräsent ist, dann ist sie auch in uns und um uns herum. In diesem Sinne kann die Liebe animistisch erklärt und erfahren werden.
● Liebe ist Gott. Und Gott ist Liebe. Am Anfang und am Ende jeden Denkens und allen Fühlens findet man die Liebe. An diesem Punkt gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Gott, Bewusstsein, Liebe. Es ist dasselbe.
● Liebe ist ein Gefühl. Sie wirkt auf Emotionen, sie ist Ausgangspunkt von Stimmungen. Doch sie gleicht in ihrer Essenz eher dem Meer als den Wellen.
● Liebe ist Re-Ligio. Die Rückverbindung zum Selbst und dessen Auflösung zur allumfassenden, allwissenden, allmächtigen geistigen Welt geht nur über die Liebe.
● Liebe transzendiert die Identität, löst sie aber nicht auf. Das Alles-ist-Eins-Gefühl entspricht der Ausdehnung der Liebe. Das Ego löst sich auf, doch nicht im Sinne des Verlusts von Identität. Das Bewusstsein bleibt beides: im Ich und im Wir. Individualität und Universalität werden eins.
● Liebe ist keine Tugend. Doch Tugend ist eine hilfreiche Krücke. Die Moral und aus ihr abgeleitete Tugenden sind eine gesellschaftliche Konvention. Sie haben nur insofern etwas mit Liebe zu tun, als sie idealisiertes Verhalten simulieren und vorschreiben. Es ist ein Tun-Als-Ob, hilfreich zwar für den Zusammenhalt der Menschheit, für die Ordnung des Zusammenlebens, aber kein Ersatz für die Liebe an sich. Wer sich allen Tugenden nach ausrichtet, ist lieblos.
● Liebe ist Ausdruck und Gestaltung von Freiheit. Die Erfahrung und Gestaltung von Liebe ist die Erfahrung und Gestaltung des Geistigen. Deswegen ist Liebe Weg, Ziel und Ergebnis der Gestaltung unseres Lebens, unseres Selbsts.
● Liebe ist Glück. Es gibt kein Glück ohne Liebe und es gibt keine Liebe ohne das Gefühl von Glück.
● Liebe ist in ihrer Essenz weiblich. Die Annahme, dass die Entstehung der Welt als Entfaltung des Göttlichen aus dem weiblichen Prinzip heraus erfolgt, bedeutet im Kern, dass die Erfahrung des Göttlichen letztlich nur über das Gefühl, die Erfahrung, die Intuition erfolgen kann. Gott und Liebe erfahren zu haben heißt, ihn zu wissen. (Anmerkung: Liebe ist 'natürlich' nicht die Domäne der Frau und auch nicht ihr Hoheitsgebiet. Keine Frau ist in ihrer Polarität ausschließlich weiblich – ebenso wenig, wie kein Mann in seiner Essenz ausschließlich männlich ist. Polaritäten beschreiben lediglich Bündel von Eigenschaften (wie auch bei Feuer, Wasser, Erde, Luft) und kommen nur in ihrer philosophischen Essenz als Reinform vor. Dennoch ist die weibliche Polarität – im Durchschnitt – bei Frauen ausgeprägter als bei Männern, wie auch die männliche Polarität bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen.
Abgesehen davon, dass ich mich mit den oben genannten Themenfeldern befasse, möchte ich Liebe von einigen Dogmen befreien helfen. Denn ich habe den Eindruck, dass der Diskurs zur sowie die Erfahrung von Liebe heute zwischen zwei Dogmen pendelt, die den Zugang zu ihrem Wesen erschweren:
● Die materialistische, rationale, atheistische Perspektive. Was nicht gemessen werden kann, das existiert nicht. Allenfalls existiert es als Illusion. Über qualitative, nicht beweisbare Themen zu diskutieren ist profan und nicht wissenschaftlich.
● Das christliche Dogma. Liebe ist entweder entrückt im Sinne einer unerreichbaren Gottesliebe, der wir unendliche Dankbarkeit 'schulden', oder sie ist lasterhaft. Sie pendelt zwischen einer jungfräulichen Maria und einer lasterhaften Magdalena. Wir feiern die Askese, die Entsagung, die Abstinenz als Beweis der Liebe.
Beginnen wir mit der Frage nach dem Wesen der Liebe. Dafür ist vorweg natürlich eine Begriffsklärung angezeigt – die ureigene Aufgabe der Philosophen, möchte man meinen. Die Philosophie trägt schließlich die Liebe in ihrem Namen: „Liebe zur Weisheit“.
Über die Formen der Liebe
Und in der Tat, die Freunde der Weisheit beschäftigen sich seit Urzeiten – seit über 2500 Jahren – mit dem Thema der Liebe. Für Platon war sie die Essenz des Menschseins, für Aristoteles der Motor des Guten, für Sokrates eine Illusion, für Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin der Schlüssel zum Glauben. Für Schoppenhauer war die Liebe ein Pendel zwischen Leid und Langeweile, und die Philosophen der Gegenwart befassen sich thematisch eher mit Weisheit als mit Liebe. Für Luhmann war die Liebe in seinem Werk Liebe als Passion ein Austausch von Erwartungen, ein System von Codes, dass die Gesellschaft ebenso stabilisiert wie gefährdet. Nicht wenige Philosophen sind überzeugt, dass es Liebe als solches gar nicht gibt – dass das Wort Liebe nur ein Sammelbegriff ist – für verschiedenste Formen zwischenmenschlicher Intimität und Bindung. Andere Philosophen halten es für falsch, den philosophischen Verstand auf die Liebe loszulassen.
So wenig im Vergleich zu anderen Themengebieten über die Liebe geschrieben wurde – so vielfältig und unterschiedlich fallen die Definitionen aus. Es scheint also schwierig zu sein mit der begrifflichen Eingrenzung der Liebe.
Ich glaube, es gibt sie, die Liebe. Sonst würden wir nicht ständig über sie sprechen. Zumindest in unserer erfahrenen, also subjektiven Wahrheit gibt es sie. Und ich glaube ebenso, dass sie es aushält, mit dem Verstand betrachtet zu werden. Auch wenn eine Vernunft-orientierte Perspektive die Liebe nicht vollständig wird erklären können. Muss sie das denn? Muss denn jede Erfahrung, jede Idee in eine Form der absoluten Wahrheit überführt werden? Ist nicht gerade diese Unmöglichkeit ein Grund dafür, dass Liebe ihre Magie und ihre Mystik beibehält? Was wäre eine wissenschaftlich erklärbare, messbare, prognostizierbare, planbare und gestaltbare Liebe wert? Stellen wir uns die Liebe als schöne Frau oder als schönen Mann am Strand vor. Unbekleidet verlieren sie schnell ihre Magie. Bekleidet werden wir sie nie vollends begreifen und beschreiben können. Doch gut genug, um mit ihr oder ihm vernünftig umzugehen und gleichzeitig weiter von ihr bzw. ihm zu träumen.
Zunächst einmal ist zu bedenken, dass die meisten Philosophen der Geschichte das deutsche Wort Liebe nicht kannten, sondern nur Vokabeln anderer Sprachen, die diesem Wort mal mehr, mal weniger entsprechen. „Liebe“ entwickelte sich aus germanischen Formen des Sanskrit-Wortes »lubh« für Begierde. Ich frage mich an dieser Stelle, ob das bereits der Keim vieler Probleme im Umgang mit dem Thema der Liebe ist – dass sie sprachlich bereits im Ansatz auf Begierde reduziert wird.