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Sie ertragen die Touristen-Highlights nicht mehr? Dann lassen Sie sich vom Reiz des Hässlichen verzaubern. Besuchen Sie die eklige Kaugummi-Wand in Seattle oder eine düstere Kohlemine in China. Und vergessen Sie nicht, dem Leitungswasser-Museum in Peking einen Besuch abzustatten... Diese und 98 weitere schrille Orte sorgen für bleibende Eindrücke und aufregende Geschichten, mit denen man zum Mittelpunkt jeder Party wird.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2012
Catherine Price reist genauso leidenschaftlich gern wie sie schreibt. Gemeinsam mit ihrem Mann ist sie mehrere Monate um die Welt gezogen. Sie arbeitet für Popular Science und hat für die New York Times, O, The Oprah Magazine und andere Medien Artikel verfasst. Mehr über die Autorin unter www.catherine-price.com.
Catherine Price
BRECHREIZEND
Die fiesesten Reiseziele der Welt
Aus dem Englischen von Ulrike Werner-Richter
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2010 by Catherine Price
Titel der Originalausgabe:
»101 Places Not to See Before You Die«
Published by arrangement with HarperCollins Publishers, LLC
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2012 by Baumhaus Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Marion Labonte
Titelbild: © shutterstock/Kellie L. Folkerts; © shutterstock/maceira
Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-8387-1139-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für meine Oma
Vorwort
1.
Das Hodenfestival
2.
Eine Unterführung unter dem Connaught Circle, Neu-Delhi, nachdem Ihnen jemand auf den Schuh gekackt hat
3.
Euro Disney
4.
Familienurlaub auf Ibiza
5.
Das Leitungswasser-Museum in Beijing
6.
Eine mit Bier gefüllte Badewanne
7.
Ein Nachtzug in China am ersten Tag der ersten Menstruation
8.
Großvater und Großmutter, Ko Samui, Thailand
9.
Das Winchester-Haus
Gastbeitrag
A.J. Jacobs:
Die katastrophalsten Orte aus dem Lexikon
10.
Die Hölle
11.
Eine Partie Buzkashi
12.
Das Schlafzimmer Ihres Chefs
13.
Eine Übernachtung in einem koreanischen Tempel
14.
Pamplona aus der Perspektive des Stiers
15.
Der Käse-Roll-Wettbewerb von Gloucester
Gastbeitrag
Michael
und
Isaac Pollan
: Die schlechtesten Essen Barcelonas
16.
Wall Drug
17.
BART
18.
Eine Station auf Carry Nations Zerstörungstour
19.
Der dritte Tunnel unter der
EMZ in Korea
20.
Ein Bus in Samoa zur Hauptverkehrszeit
Gastbeitrag
Mary Roach:
Das Tupperware-Museum
21.
Eine Hochzeit unter freiem Himmel während der Schlüpfperiode der Siebzehn-Jahres-Zikaden im Jahr 2021
22.
(Tr)Action Park
23.
Ein großer, mit menschlichen Exkrementen gefüllter Raum
24.
Das Kingman-Riff
25.
Nackte Sushi
26.
Der Orgelpfeifenkaktus-Nationalpark
27.
Times Square am Silvesterabend
28.
Die Doppel-Diamant-Pisten am Powderhouse Hill
29.
Die Doppel-Diamant-Piste am Corbet’s Couloir
30.
Das »Beast«
31.
Die Grover-Cleveland-Autobahnraststätte
32.
Der Ort, an dem die Betreff-Zeilen für Spam-Mails entwickelt werden
33.
Jeder von Nick Kristof beschriebene Ort
Gastbeitrag
Nick Kristof:
Erfahrungen, die Sie vor Ihrem Tod nicht unbedingt gemacht haben müssen
34.
Der Summerland-Wave-Pool in Tokio am 14. August 2007 um drei Uhr nachmittags
35.
Mitte Januar in Whittier, Alaska
36.
Onondaga Lake
37.
Mount Rushmore
38.
Schnupperkurs auf der Schießanlage
39.
Ciudad Juárez
40.
Die schmalsten Gebäude der Welt
41.
Die Müllkippe im Pazifik
Gastbeitrag
Rebecca Solnit:
Die Zollbehörde im Flughafen von Buenos Aires
42.
Jedes Hotel, das früher einmal ein Gefängnis war
43.
Der Gipfel des Mount Washington bei Schneesturm
44.
Das untere Ende des extrem tiefen Bohrlochs auf der Halbinsel Kola
45.
Das Innere eines dB-Drag-Racers während eines Wettkampfs
46.
Shangri-La
47.
Body-Farmen
48.
Ein Treffen der Anonymen Alkoholiker, wenn Sie betrunken sind
49.
Der ungemütlichste Jupitermond
Gastbeitrag
J. Maarten Troost:
Der halbe Tscheche
50.
Picher, Oklahoma
51.
Der Freizeitpark Tierra Santa
52.
Ein Vomitorium
53.
Madinat al-Fayyum, Ägypten, in Begleitung eines Personenschützers
54.
Der Dampfraum im Russisch-Türkischen Bad
55.
Der Blarney-Stein
Gastbeitrag
Michael Baldwin:
Mexico City am ersten Tag des Ausbruchs der Schweinegrippe
56.
Wiener’s Circle
57.
Der Gipfel des Mount Everest
58.
Manshiet Nasser – die Müllstadt
59.
Stonehenge
60.
Die Moschee der Khewra-Salzbergwerke
61.
Ein Yamaha Rhino
62.
Chacabuco, Chile
63.
Die neue South China Mall
Gastbeitrag
Lisa Margonelli:
Sumqayit, Aserbaidschan
64.
Die deutsche Nordseeküste am 16. Januar 1362
65.
Fucking in Österreich
66.
Als See-Elefant verkleidet im
White Shark Café
67.
Der Bürgersteig vor dem Kolosseum in Rom während der Schicht des verrückten Gladiators
68.
Jeder Ort, dessen Sehenswürdigkeit als riesiges Etwas aus Fiberglas hergestellt wird
69.
Der Weg, den sich eine Kolonie Treiberameisen ausgesucht hat
70.
Boliviens »Todesstraße«
Gastbeitrag
Eric Simons:
Die Fahrt der Beagle – das Musical
71.
Cusco, wenn Sie ein Albino sind
72.
Das Manneken Pis
73.
Ein Old Firm Derby in einem T-Shirt mit der falschen Farbe
74.
Die jährliche Gifteichenausstellung
75.
Das Innere eines chinesischen Kohlebergwerks
76.
Die Kaugummimauer in Seattle
77.
Varrigan City
78.
Eine Tierkörperverwertungsanstalt
79.
Ein Flugzeug, nachdem es acht Stunden in Warteposition gestanden hat
80.
Das Sexmuseum in Amsterdam
81.
Der nächste Ausbruch des Supervulkans im Yellowstone Nationalpark
82.
Das Ufer des Tanganjika-Sees in Burundi, wenn Gustave Hunger verspürt
83.
Das alte Rom am oder um den 18. Juli des Jahres 64 n.Chr.
84.
Nevada
Gastbeitrag
Brendan Buhler:
Fanstunde beim Pornokongress in Las Vegas
85.
Die Weltmeisterschaft im Schlammschnorcheln
86.
Der Campus der von Ihnen besuchten Universität vier Monate nach Ihrem Abschluss
87.
Ein nordkoreanischer Gulag
88.
Disaster City
89.
Das Innere des Geburtskanals einer Tüpfelhyäne
90.
Grapscherabend in der U-Bahn von Tokio
91.
Die Halbinsel Yucatán, als ein gigantischer Asteroid einschlug
92.
Das Straßenverkehrsamt an einem Montagmorgen
93.
Black Rock City
Gastbeitrag
Jennifer Kahn:
Burning Man
94.
Der Grund einer Schweinelagune
95.
Sohra, Indien, um zehn Uhr morgens in der Regenzeit
96.
The Thing
97.
Four Corners
98.
Das russische Gefängnis
OE-256/5
99.
Ein Studio für Bikram-Yoga
100.
Die reisenden Mumien von Guanajuato
101.
Die Spitze des Glockenturms von Stari Grad
Danksagung
Es gibt eine Vielzahl an Dingen, die ich unbedingt tun sollte, ehe ich sterbe.
Zumindest legt mir meine Stammbuchhandlung das nahe. Jedes Mal, wenn ich den Laden betrete, springen mir ganze Regale voller Ratgeber ins Auge, in denen Dinge aufgelistet sind, die man vor seinem Tod auf jeden Fall noch erleben muss. Die Skala reicht von 1000 Orte, die man gesehen haben muss, bis zu 101 Dinge, die du getan haben solltest, bevor du alt und langweilig bist. Der Gedanke, der dem Buch von Patricia Schultz über die 1000 Orte, die man vor seinem Tod gesehen haben sollte, zugrunde liegt, gefällt mir – aber das, was er bewirkt, stresst mich zunehmend.
Es gibt Listen über Jazz-CDs, die ich gehört und über Lebensmittel, die ich gekostet haben muss, Listen über Gemälde, die ich gesehen und Wanderungen, die ich unbedingt unternommen haben muss. Mein Vater besaß ein Buch, das 1001 Gärten anpries, durch die ich vor meinem Tod unbedingt noch wandeln muss. Wie aber soll ich es schaffen, die 1001 Filme zu sehen, wenn ich doch gleichzeitig die 1001 Bücher lese und zu 1001 historischen Bauwerken reise – ganz zu schweigen von den 500 Orten, die ich noch sehen muss, ehe sie untergehen. Nachdem ich ein Buch über 101 Orte, an denen ich Sex haben sollte, gefunden hatte, fühlte ich mich versucht, den Ratgebern abzuschwören, mir eine Auswahl der 1001 Biere einzuverleiben und an einen von 1001 Zufluchtsorten zu fliehen.
Ich gehöre zu den Leuten, die regelmäßig Listen erledigter Aufgaben führen – eigentlich nur, um mir zu beweisen, was ich erreicht habe. Wie so viele andere Menschen verbringe ich schon deutlich zu viel Zeit mit willkürlichen Dingen, die ich tun sollte – und bin damit so beschäftigt, dass ich kaum noch merke, wie die Augenblicke verrinnen. Das Letzte, was ich brauche, ist ein Buch, das meine Abenteuerlust gegen die mir noch bis zu meinem Tod verbleibende Zeit aufrechnet – vor allem, wenn es sich um einen Ratgeber der 1001 Plätze handelt, an denen ich einmal Golf gespielt haben sollte.
Und so beschloss ich, eine Art Gegenratgeber zu schreiben: eine Liste über Orte und Erfahrungen, die man sich getrost schenken kann. Ich bat weit gereiste Freunde, Familienmitglieder und manchmal auch mir völlig fremde Menschen, mir von überbewerteten Touristenorten, langweiligen Museen, uninteressanten historischen Stätten und Umständen zu berichten, die selbst verlockende Ziele erbärmlich erscheinen lassen.
Manche Beiträge handeln von fraglos unangenehmen Orten, wie beispielsweise einem Gelände voll von verwesenden Leichen oder einer Fanstunde während der Pornomesse in Las Vegas. Andere Erlebnisse wiederum sind kontextabhängig: Aus der Perspektive des Stiers sieht die Stadt Pamplona völlig anders aus. Und manche Artikel sind einfach nur nette Geschichten, wenngleich es lustiger ist, sie zu lesen, als sie selbst zu erleben.
Während ich Vorschläge sammelte, fiel mir bei Leuten, die häufig reisen, eine Gemeinsamkeit auf: Sie scheuen sich, eine Erfahrung als schlecht einzustufen. »Ich habe eine Schwäche für hässliche Orte und eine geradezu perverse Neigung, selbst die schlimmsten Erfahrungen als Quell der Freude und angenehmen Kitzel anzusehen«, schrieb mir eine Freundin über ihre Unfähigkeit, Usbekistan oder – noch drastischer – Detroit zu hassen. Natürlich hat sie recht. Je schlimmer etwas im Augenblick erscheint, desto besser kommt die Geschichte an, wenn sie später zu Hause erzählt wird. Und deshalb habe ich für die Zeitgenossen, die den Besuch einer Institution mit verwesenden menschlichen Leichen als angenehmen Zeitvertreib empfinden, einige Orte aufgelistet, die man nicht besuchen kann, selbst wenn man noch so entschieden versucht, in allem nur das Positive zu sehen. Dazu gehört neben der Halbinsel Yucatán vor fünfundsechzig Millionen Jahren auch das untere Ende des extrem tiefen Bohrlochs auf der Halbinsel Kola. Auf den ersten Blick ergibt es vielleicht keinen Sinn, Sie vor Orten wie dem unwirtlichen Jupitermond Io zu warnen – aber sehen Sie es einmal so: Wenn jemand eines Tages ein Buch über die 1001 wichtigsten Orte im Weltall veröffentlicht, stehen Sie nicht ganz so unter Druck.
Ganz gleich, welche Art zu reisen Sie bevorzugen – ich lade Sie ein, sich eine Pause von Ihren To-do-Listen zu gönnen und einen Moment der Dankbarkeit zu erleben angesichts der Dinge, die Sie nicht tun müssen. Und wenn Sie schließlich bereit sind, selbst zu einer Reise aufzubrechen, lassen Sie die Liste der 1001 Orte, an denen man uriniert haben muss (die gibt es wirklich!) zu Hause und nehmen Sie die Chance wahr, eigene Erfahrungen zu machen. Reisen soll ein Abenteuer sein, keine Aufgabe. Den Urlaub mit zu vielen Checklisten zu verbringen, verfehlt den Sinn des Reisens.
Vergessen Sie Apple Pie. Nur wenige Lebensmittel sind so uramerikanisch wie die Rocky-Mountains-Auster. Bei dieser Bezeichnung handelt es sich um einen Euphemismus, der nicht etwa in Höhenlagen heimische Mollusken bezeichnet, sondern die Testikel eines Stieres. Man kennt sie auch als »Cowboy-Kaviar« oder »Montana-Schwinglendenstück« und man kann sie gebraten, gekocht oder roh zu sich nehmen. Am häufigsten jedoch genießt man sie paniert frittiert.
Auch Ess-Wettbewerbe sind typisch amerikanisch. Und so wundert es nicht, dass Sie jeden Sommer aufs Neue die Gelegenheit erhalten, sich massenhaft Keimdrüsen in den Mund zu stopfen, um dadurch Ihre Männlichkeit zu beweisen. Mir persönlich gefällt das Wortspiel des »Nuts about Rocky Mountain Oyster«-Wettbewerbs, der alljährlich in Loveland im Bundesstaat Colorado stattfindet, weil »Nuts« sowohl »Hoden« als auch »verrückt« bedeuten kann. Der Preis für die beste Show allerdings geht an das Hodenfestival in der Rock Creek Lodge bei Missoula in Montana. Es fand erstmalig 1982 statt, ist aber seither zu Amerikas berühmtestem »Eier-Fresstival« mutiert.
In den Anfängen zog die Veranstaltung lediglich dreihundert Menschen in ihren Bann, inzwischen hat sich die Teilnehmerzahl auf bis zu fünfzehntausend gesteigert. Die Völlerei dauert ein geschlagenes Wochenende, inklusive Wettkämpfen in nassen T-Shirts, spontaner Nudität und einem vom Indy 500 inspirierten Autorennen, das sich »Undie 500« nennt – kurz: die naturgegebene Weiterentwicklung eines Ereignisses, das unter dem Motto »Come Have a Ball« steht (was sowohl »Gönn dir einen Ball« als auch »Gönn dir einen Hoden« heißen kann). Versuchen Sie sich am Bullshit-Bingo, einem überlebensgroßen Gewinnspiel, bei dem man hundert Dollar gewinnen kann, wenn ein Stier seinen Darm auf der entsprechenden Riesenkarte entleert. Sie können aber auch an einem Wettbewerb teilnehmen, bei dem junge Mädchen auf dem Sozius einer Harley versuchen, sich ohne Einsatz der Hände eine an einer Schnur befestigte Rocky-Mountains-Auster zu schnappen. Es gibt Animationsspiele, bei denen Alkoholisches aus dem Bauchnabel eines hübschen Mädchens getrunken wird. Es gibt einen Ohne-Schlüpfer-Mittwoch. Und dann gibt es natürlich die mehr als 25 Kilo salzigen, fettigen und vom US-Ernährungsministerium für genießbar befundenen Rocky-Mountains-Austern.
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Sie benutzen die Unterführung unter dem Connaught Circle – einem absolut chaotischen Verkehrsknotenpunkt in Neu-Delhi, an dem zwölf große Straßen zusammenlaufen –, und aus der Menschenmenge dringt eine Stimme an Ihr Ohr.
»Entschuldigen Sie, mein Freund«, sagt die Stimme, »aber Sie haben Kot auf Ihrem Schuh.«
Nach mehreren Wochen in Indien wissen Sie längst, dass man Zurufe auf offener Straße am besten ignoriert. Zunächst beachten Sie den Sprecher daher nicht. Doch irgendetwas in der Stimme des Mannes ist anders. Glaubwürdig. Er wiederholt die Warnung, und Sie senken langsam den Blick.
Und tatsächlich: Mitten auf Ihrer Schuhspitze klebt ein platt gedrückter Haufen Scheiße.
Zuerst sind Sie erstaunt. Natürlich hatten Sie schon einmal Scheiße unter dem Schuh. Aber oben drauf? Wie ist das möglich? Vögel gibt es in der Unterführung nicht, dito Affen. Angeekelt bücken Sie sich, um der Sache auf den Grund zu gehen. Das Corpus Delicti ist noch feucht und schleimig und stinkt, wie so ein Haufen nun einmal stinkt.
Sie ziehen in Erwägung, sich zu übergeben. Ehe jedoch der Würgereflex einsetzt, meldet sich die Stimme wieder. »Keine Sorge, ich entferne das Zeug von Ihrem Schuh.« Es ist Ihr neuer Freund, der mit einem Schuhputzkasten neben Ihnen steht. Denken Sie mal nach! Einmal im Leben brauchen Sie ganz dringend einen Schuhputzer, und da taucht dieser nette junge Mann aus dem Nichts auf und bietet Ihnen seine Hilfe an. Wo ist wohl der Haken an der Sache?
Ihnen bleibt allerdings keine Zeit, über eventuelle Unstimmigkeiten an diesem zufälligen Treffen nachzudenken. Der Mann hat Sie schon an die Seite geführt und den ekelhaften Haufen im Handumdrehen entfernt. Sie wollen gerade Ihr Portemonnaie zücken und ihm für seine Hilfe ein Trinkgeld geben, da verkündet er den Preis für »eine spezielle Schuhreinigung unter erschwerten Umständen«. Er ist höher als der durchschnittliche Wochenverdienst eines Arbeiters in Neu-Delhi.
Bei näherer Betrachtung ist diese Masche wirklich bewundernswert. Die Dienstleistung ist bereits erbracht, und wer möchte schon mit einem Haufen Scheiße auf der Schuhspitze herumlaufen?
Also bezahlen Sie – zwar nicht den Preis, den er genannt hat, aber immerhin noch so viel, dass es sich für ihn weiterhin lohnt, Passanten Kot auf die Fußbekleidung zu schmieren. Wenn Sie selbst zum Opfer wurden, dürfen Sie zu Recht stinksauer sein. Aber der Scheiße-Trick ist zumindest nicht so schlimm wie der Trick mit dem Rotz auf der Schulter. Dann bleibt Ihnen nämlich nicht einmal die Möglichkeit, auch nur ein Bakschisch zu geben – denn während jemand Ihnen einen schleimigen Klumpen auf die Jacke schmiert, stiehlt sein Kumpan Ihnen die Brieftasche.
Ich habe Disney World noch nie gemocht. Als Kind hatte ich eine Heidenangst vor verkleideten Leuten, dem Weihnachtsmann und überlebensgroßen Stofftieren. Und natürlich hasste ich die riesenhafte Maus, die durch die Straßen des Magic Kingdom lief und ahnungslose Kinder als Geisel nahm, bis ihre Eltern sie fotografiert hatten. Große, starre Augen, ein dämliches Grinsen und riesige Papphände – für mich der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind. Als meine Eltern mir die Teilnahme an einer Veranstaltung namens »Frühstück mit Comicfiguren« schenkten, genügte mir ein einziger Blick auf Pinocchio, um mich gleich anschließend unter dem Tisch zu verbarrikadieren.
Ich war also in Bezug auf Euro Disney vermutlich von Anfang an voreingenommen. Aber da war ich nicht die Einzige. Der Vergnügungspark wurde 1992 eröffnet in dem Versuch, den Europäern Micky Maus nahezubringen. Dabei neigen Europäer dazu, angesichts amerikanischer Kultur eine gewisse Skepsis an den Tag zu legen, vor allem dann, wenn diese Kultur es darauf anlegt, sich in den Köpfen und Herzen europäischer Kinder einzunisten. Nachdem aber Disney davon überzeugt war, dass die Missbilligung der Eltern längst nicht so groß sein konnte wie die Liebe ihres Nachwuchses zu Arielle, der kleinen Meerjungfrau, schlug das Unternehmen alle Bedenken in den Wind und ließ sich in einem bäuerlichen Städtchen namens Marne-la-Vallée nieder. Der Ort liegt nur einen Katzensprung mit dem Zug von Paris entfernt und wurde gewählt, weil er für achtundsechzig Millionen Menschen in einer weniger als vierstündigen Autofahrt erreichbar ist.
Der Ärger war vorprogrammiert. Französische Landwirte gingen von einer direkten Verbindung zwischen Euro Disney und der amerikanischen Regierung aus und blockierten die Einfahrt zum Park mit Traktoren, um gegen die europäische und amerikanische Agrarpolitik zu demonstrieren. Die französische Theater- und Filmregisseurin Ariane Mnouchkine bezeichnete Euro Disney als »kulturelles Tschernobyl«, und auch wenn sie in ihren Vergleichen zu nuklearen Übertreibungen neigte (»Das Fernsehen erscheint mir als bedrohliches, kulturelles Tschernobyl«, erklärte sie im Juli 1993 der New York Times), blieb die Bezeichnung haften.
Disney beging jedoch noch weitere taktische Fehler: Der Park öffnete beispielsweise seine Pforten erstmalig mitten in einer Phase der Rezession in Europa. Das Unternehmen verprellte Jobbewerber mit einer restriktiven Kleiderordnung, die nicht nur lange Fingernägel verbot, sondern von weiblichen Bediensteten auch »angemessene Unterwäsche« verlangte. Was natürlich die Frage aufwirft, warum eine Angestellte bei Disney ihre Unterwäsche vorzeigen soll. Bei dem hauptsächlich für den Aufenthalt im Freien konzipierten Projekt vergaß man die Tatsache zu berücksichtigen, dass in Frankreich – im Gegensatz zu Florida und dem südlichen Kalifornien – einmal im Jahr der Winter einbricht. Zudem galt in den Park-Restaurants ein strenges Alkoholverbot, mit dem sich die Europäer, die gern ein Glas Wein oder Bier zum Mittagessen trinken, nur schwerlich anfreunden konnten. Im Juli 1993 – also etwas mehr als ein Jahr nach Eröffnung des Parks – beliefen sich die Schulden von Euro Disney auf ungefähr 3,7 Milliarden Euro. Aber das Unternehmen gab nicht auf, allen Herausforderungen der Übersetzung amerikanischer Eigenheiten in jede europäische Sprache zum Trotz – so wurde aus »Cattleman’s Chili« im Italienischen ein »Pepperoncino alla Cowboy«. Die ersten Gewinne verbuchte der Park im Jahr 1995, seither schreibt er, mit wenigen Unterbrechungen, schwarze Zahlen. In Sorge um den negativen Beigeschmack der Bezeichnung »Euro Disney« änderte man den Namen des Parks in »Disneyland Paris«. Der ehemalige Geschäftsführer Michael Eisner führte aus, der Name sei gewählt worden, um den Park mit »einer der romantischsten und aufregendsten Städte der Welt« zu identifizieren. Trotzdem mutet die Bezeichnung merkwürdig an: Der Park ist so durch und durch amerikanisch, dass sogar die Achterbahn nach der Gruppe Aerosmith benannt ist.
Die vor über 2500 Jahren erstmalig von den Phöniziern besiedelte spanische Insel war nicht immer ein Party-Eiland. In jenen Tagen (und mit »Tage« meine ich die Zeit der Herrschaft Karthagos) war die heutige Club-Hauptstadt der Welt für den Export von Salz, Wolle und Farbstoff bekannt. Natürlich stanken die Inselbewohner nach Garum, einem aus fermentiertem Fisch zubereiteten, scharfen Gewürz – aber wer tat das damals nicht? Trotzdem: Wer Party machen wollte, musste nach Rom reisen.
Die Zeiten haben sich geändert. Heute ist Ibiza nicht mehr für seine Fischsoße berühmt, sondern für seine Clubs, für Promiskuität und im Überfluss vorhandene illegale Drogen. Als beliebtes Reiseziel erotisch interessierter junger Leute aus aller Welt hat Ibizas halbnackte und schnellen, unverbindlichen Sex bevorzugende Klientel der Insel zu ihrem Spitznamen »Gomorrha des Mittelmeers« verholfen. Die Inselregierung nahm bis vor Kurzem ein paar zusätzliche Geschlechtskranke gern in Kauf, konnte sie sich doch an der Kaufkraft Tausender hormongetriebener Touristen schadlos halten. Nach über dreißig Jahren geübter Toleranz wurden im Jahr 2007 plötzlich während der Saison mehrere prominente Clubs geschlossen, weil angeblich Beweise für den Konsum illegaler Drogen gefunden worden waren. Folgendes Argument wurde ins Feld geführt: Man habe in den Telefonkabinen eines Clubs Reste von Kokain, Röhrchen zum Schnüffeln und blutige Papiertaschentücher sichergestellt, von den Telefonen jedoch fehlte jede Spur. Wozu aber braucht man ein Telefon, wenn man ringsum von potenziellen Sexualpartnern umgeben ist? Die Clubs öffneten schließlich wieder, allerdings nur unter Auflagen: Die Regierung untersagte den Barbetrieb nach sechs Uhr morgens (zuvor waren die Clubs rund um die Uhr geöffnet) und bemüht sich jetzt, den Touristen Ibiza als ideales Urlaubsziel für Familien schmackhaft zu machen.
Dieses Bestreben ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, verfügt Ibiza doch über jahrtausendealte historische Stätten – ganz zu schweigen von mehreren von der UNESCO als Weltkulturerbe klassifizierten Orten. Trotzdem kann ich mir einen Familienurlaub im Sommer auf Ibiza nur schwer vorstellen. Wo soll man seine Kinder hinführen? Etwa ins Amnesia, einen riesigen, für seine Schaumpartys berüchtigten Club? Oder ins Es Paradis, wo sich jede Nacht Mädchen in T-Shirts ohne BH von einem Feuerwehrschlauch nass spritzen lassen?
Sie haben die Qual der Wahl, aber lassen Sie Ihre Kids keinesfalls nach Hause fahren, ohne ihnen zuvor den größten Club der Welt, das Privilege, zu zeigen. Das Privilege ist so groß wie ein Flugzeughangar, fasst zehntausend Besucher und bietet für jeden etwas. Sie können sich mit Ihrer besseren Hälfte rings um den Indoor-Pool vergnügen, während ein Wildfremder Ihrem Fünfjährigen beibringt, wie man das Wort »Extasy« buchstabiert, und Ihr Kind im Teenageralter im Waschraum erste Erfahrungen mit Ketamin macht. Sie sollten allerdings sicherstellen, dass – sollte Ihre Familie getrennt werden – niemand nach einem Telefon suchen muss.
Im Umgang mit zwei so unterschiedlichen Sprachen wie dem Englischen und dem Chinesischen schleichen sich schnell Übersetzungsfehler ein. So findet man zum Beispiel Behinderten-Toiletten mit der Aufschrift »Endstelle für deformierte Menschen«. Das Zentrum für Proktologie in Dongda wurde als »Hospital für Anus- und Darmkrankheiten« ausgeschildert. Und ab und zu trifft man auf einen ganz alltäglichen Ort, dessen Name seltsam bizarr klingt. Wie im Falle des Leitungswasser-Museums in Beijing.
Die Geschichte des Leitungswassers in der chinesischen Hauptstadt begann im Jahr 1908, als die Kaiserinwitwe Cixi dem Plan zum Bau einer Wasserleitung für Beijing ihre Unterstützung zusagte. Das Museum allerdings ist neueren Datums. Es ist das Resultat eines Beschlusses von 2001, wonach in Beijing 150 neue Museen entstehen mussten – bis zum Jahre 2008. Jeder Kurator wird Ihnen bestätigen, dass 150 Museen in sieben Jahren eine sportliche Vorgabe sind. Neben dem Museum für Leitungswasser steht in Beijing seither auch je ein Museum für Honigbienen, rotes Sandelholz und Goldfische.
Das Leitungswasser-Museum ist in einer ehemaligen Pumpstation untergebracht. Die Ausstellung beginnt zeitlich mit der Gründung von Beijings erster Wasserversorgungsgesellschaft, der Jingshi Wasserleitung & Co., und zeigt darüber hinaus Exponate wie alte Wassercoupons oder ein Stethoskop zum akustischen Aufspüren von Lecks. Hier finden sich neben 130 »echten Objekten« auch 110 Bilder, 40 Modelle und ein Wasserfiltriersystem en miniature. Wer will da noch in die Verbotene Stadt reisen?
Das Merkwürdigste an diesem Museum ist allerdings, dass es das eigentliche Objekt der Begierde – nämlich sauberes Leitungswasser in Beijing – in Wirklichkeit gar nicht gibt. Dabei bestand Beijing als erste chinesische Stadt im Jahre 2007 einen Test zur Überprüfung des Wassers auf 106 verschiedene Schadstoffe. Dank des Zustandes der Wasserleitungen, die das wertvolle Nass von den Pumpstationen zu den Wasserhähnen der Menschen transportiert, hat es jedoch bis heute keine Trinkwasserqualität.
In den Tagträumen männlicher Heranwachsender mag das Bad in Bier eine Lieblingsfantasie sein, dicht gefolgt von der Fantasie einer innigen Umarmung von Megan Fox. Menschen aber, die ihren Hopfen lieber trinken als in ihm zu baden, erscheint die Vorstellung weniger erotisch als vielmehr ziemlich klebrig.
Wenn Sie zu den Letztgenannten gehören, sollten Sie um die Brauerei Chodovar in der Tschechischen Republik einen großen Bogen machen. Unter dem Titel »Wellnessbad im Bier« bietet sie hopfenverrückten Menschen die Möglichkeit, ihre Sorgen in einer mit ihrem Lieblingsgetränk gefüllten Badewanne zu ertränken. Neben angewärmtem Mineralwasser und einer deutlich als karamellfarbener Bierschaum erkennbaren Krone enthält das spezielle Badebier aktive Bierhefe, Hopfen sowie eine Kräutermischung. Aber nach dem Bad hört der Spaß noch nicht auf: Die Gäste werden in einen Entspannungsraum geführt, in dem sie sich in eine Decke eingewickelt bei schummriger Beleuchtung entspannen und das eine oder andere Freibier trinken dürfen.
»Die Behandlung hat eine positive Wirkung auf Haut und Haar, sorgt für muskuläre Entspannung, schont die Gelenke und unterstützt das Immunsystem des Körpers«, erklärt Dr. Roman Vokaty, der offizielle erste Bademeister, auf die naheliegende Frage, warum man ein Bierbad nehmen sollte. Natürlich könnte man argumentieren, dass die Massage nach dem Bad sowie die Flaschen Chodovar’s Lagerbier, die man während des Einweichens des Körpers in der Wanne zu sich nimmt, mindestens ebenso viel, wenn nicht mehr Einfluss auf das Wohlempfinden haben als die Hefe und das Kohlendioxid. Aber ich bin ja auch kein Bademeister.
Wenn Ihnen jedoch der Gedanke zusagt, ein an sich wirklich gutes Getränk zu verschwenden, dann sollten Sie auch andere Bierbäder in Europa aufsuchen: Starkenberg in Österreich zum Beispiel ist dafür bekannt, einen kompletten Swimmingpool mit Pilsner zu füllen. Und das Landhotel Moorhof in Franking in Österreich bietet eine Gesichtsbehandlung aus gemahlenem Hopfen, Malz, Honig und Schmierkäse an. Ein Überlebender berichtet, dass die Mischung »bemerkenswert nach Frühstück« riecht.
Am 16. Juni 1991 war Vatertag in Amerika. Es war außerdem der Tag meiner ersten Regelblutung und fiel ausgerechnet mitten in unseren Familienurlaub in China – einen dreiwöchigen, selbst organisierten Trip mit meinen Eltern und Betty, der siebzigjährigen Freundin meiner Mutter.
Ich schämte mich in Grund und Boden. Noch peinlicher wurde die Sache, weil unser Hotelzimmer kein eigenes sanitäres Angebot besaß und es zudem damals noch sehr schwierig war, ein für Ausländer geöffnetes Geschäft zu finden, das obendrein auch noch westliche Toilettenartikel führte. In Amerika wären wir einfach in einen Drugstore marschiert, ich hätte mich schamhaft der Betrachtung von Zahnbürsten gewidmet, während meine Mutter aus dem Nebengang vor dem Regal mit den Binden lautstark Fragen wie: »Mit oder ohne Duft?« oder »Willst du welche mit Seitenflügeln?« durch den Laden gebrüllt hätte. Stattdessen überzeugte mich meine Mutter davon, Betty einzuweihen. Die beiden unterhielten sich verstohlen miteinander. Als ich wieder in meinem Zimmer war, kramte Betty in ihrem Necessaire und förderte eine Tena Lady zutage.
Dass ich als Zwölfjährige zusätzlich zu der Demütigung durch meine erste Monatsregel auch noch mit einer Inkontinenzeinlage für Erwachsene herumlaufen musste, wäre schon beschämend genug, doch unsere geplante Reiseroute machte die Sache noch schlimmer. Wären wir in der Nähe des Hotels geblieben, hätten wir sicher irgendwo in der Stadt Binden gefunden, ehe Bettys Vorrat versiegte. Meine Eltern jedoch, denen ein selbst organisierter Urlaub mit möglichst authentischen Erlebnissen viel bedeutete, hatten Tickets für einen Nachtzug reserviert, der uns in eine dreiundzwanzig Stunden entfernt gelegene Stadt bringen sollte. Bereits auf dem Weg zum Bahnhof begnügte mein Körper sich nicht mehr damit, einfach zu menstruieren, sondern überraschte mich mit schmerzhaften Krämpfen. Meine Mutter verabreichte mir zwei extrastarke Schmerztabletten. Ich taumelte in den Zug und wachte erst drei Stunden später in der obersten Schlafkoje eines fahrenden Wagens wieder auf. Meine Eltern und Betty spielten in den unteren Kojen Bridge, tranken sogenannten »Tee«, den sie aus Johnny Walker Black und Wasser zubereiteten, und kicherten unentwegt. Ich musste dringend zur Toilette.
Umständlich ließ ich mich aus der oberen Koje hinuntergleiten und entriegelte die Abteiltür, doch meine Mutter hielt mich zurück, ehe ich mich auf die Suche nach dem Örtchen machen konnte.