Brennpunkt Nahost - Jörg Armbruster - E-Book

Brennpunkt Nahost E-Book

Jörg Armbruster

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Beschreibung

Wie eine Region die Welt in Atem hält Die Lage in Nahost spitzt sich zu, es droht ein Flächenbrand mit weltweiten politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Der Aufstand der Syrer ist zum arabisch-iranischen Stellvertreterkrieg des Nahen Ostens geworden und Israels Atomstreit mit dem Iran ist an einem gefährlichen Punkt angelangt. Länder wie Ägypten und Tunesien stehen am Scheideweg, während Syrien sich in einem blutigen Bürgerkrieg zerfleischt. Jörg Armbruster zeigt, mit welchen Konsequenzen wir zu rechnen haben, wenn die Situation in Nahost endgültig eskaliert. Weiterhin ist offen, wohin sich die Aufstände in den arabischen Ländern entwickeln. Gestern noch erlangten in Ägypten und Tunesien die Muslimbrüder die Macht, heute schon hat mehr oder weniger wieder das Militär das Sagen. In Syrien leiden die Menschen unter einem grausamen Bürgerkrieg und für den Palästinakonflikt zeichnet sich nach wie vor keine Lösung ab. Jörg Armbruster geht bei seinen Recherchen im Frühjahr 2013, weit über die tagesaktuelle Berichterstattung hinaus, diesen Fragen nach: Welche politischen Kräfte wirken auf die Konflikte ein? Was denken und wollen die Menschen vor Ort? Warum kommt die Region nun schon seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe? Kann es eine Lösung geben? Wer die komplexen Probleme der einzelnen Länder und Konflikte verstehen will, muss dieses Buch lesen.

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WESTEND

Für B. A.

JÖRG ARMBRUSTER

BRENNPUNKTNAHOST

DIE ZERSTÖRUNG SYRIENSUND DAS VERSAGENDES WESTENS

WESTEND

Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-538-8© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2013Satz: Publikations Atelier, DreieichDruck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

Inhalt

1 Damaskus 2011

2 Reportagen aus einem zerrütteten Land

ALEPPO, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013

DAMASKUS, Assad-Land, SOMMER 2012

Assad und sein Clan

AZAZ, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013

Religiöse und ethnische Minderheiten in Syrien

DAMASKUS, Assad-Land, SOMMER 2012

Shabiha-Miliz

Menschenrechtssituation

Flüchtlinge

Annan-Plan und die UN-Mission UNSMIS

ALEPPO, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013

Aleppo

DAMASKUS, Assad-Land, SOMMER 2012

Armut in Syrien

Syrische Oppositionsgruppen

ALEPPO, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013

Stichwörter zu Islamisten und Djihadistengruppen

DAMASKUS, Assad-Land, SOMMER 2012

Christliche Kirchen in Syrien

Monsignore Elias Toumeh, Weihbischof in Wadi al-Nasara, Homs

Michel Kilo über die zivile Opposition und die Perspektiven nach Assad

ALEPPO, Rebellenland, KARFREITAG 2013

Syriens Chemiewaffen

3 Syrien ist nicht Libyen!

Israel – der beste Feind

USA – der zaudernde Riese

Katar

Hisbollah – mehr als nur eine Miliz

Katar – ein riesiger Winzling

Iran – der Feind meines Feindes

Moskaus Syrien-Kalkül

Türkei

Deutsche Hilfe für Syrien

NGOs in Syrien

Ein russischer Freund

Türkei – vom Freund zum Feind

Alawiten

4 Das Alte am Ende?

»Verrat an den arabischen Völkern«

Syrien – teile und herrsche

Verraten und verkauft

Hundert Jahre später – Syrien

Hundert Jahre später – Irak

Muslimbrüder

5 Der syrische Teufelskreis

Vom arabischen Frühling zum blutigen Sommer

Die Muslimbrüder – ein tiefer Sturz

Syrien – im Griff der Gewalt

Ein Gedankenspiel: Friede möglich?

6 Chronik Syrien

1 Damaskus 2011

Ich hatte Glück bei meinem ersten Besuch in Damaskus nach Ausbruch der Aufstände, Reporterglück. Fast ein Jahr hatten wir auf die Visa gewartet; dann kam völlig überraschend die Einreisegenehmigung, wenn auch auf fünf Tage begrenzt. Das war im Dezember 2011. Die Aufstände gegen Assad drohten gerade zu kippen. Statt nur friedlicher Demonstrationen ging immer mehr Gewalt auch von den Rebellen aus. Zweifellos eine Antwort auf die Gewalt, mit der das Regime von Anfang an versucht hatte, die Proteste niederzuschlagen.

Im Dezember 2011 reisten wir also in die Hauptstadt dieses verschlossenen Polizeistaates, in dem es für einen westlichen Journalisten kaum möglich ist, einen unbeobachteten Schritt zu machen. Aber ich hatte ja Glück. Mit Hilfe der deutschen Botschaft in Damaskus gelang es mir, eine Oppositionsfamilie zu besuchen. Die deutschen Diplomaten hatten darauf verzichtet, laut und öffentlich die Demonstranten zu unterstützen, wie es ihre französischen und amerikanischen Kollegen getan hatten. Stattdessen hatten sie auf stille Diplomatie gesetzt. Sie hatten leise und unauffällig das Vertrauen verschiedener noch in Damaskus lebender Oppositioneller gewonnen und zu ihnen Kontakte aufgebaut. Eine schwierige Arbeit, denn jeden Kontakt eines Syrers zu einer ausländischen Vertretung wertet der Geheimdienst als Hochverrat. Umso erstaunlicher waren also diese engen Kontakte zu einigen Dissidenten. Wenigstens einen hätte ich gerne getroffen bei meinem Besuch. Die meisten winkten jedoch ab. Sie wollten keinen westlichen Journalisten treffen. Zu gefährlich, sie würden rund um die Uhr bewacht. Auf solche Treffen stehe Gefängnis, wenn nicht Schlimmeres. Einer war dann schließlich doch bereit, sich auf ein Gespräch mit mir einzulassen.

Heimlich, ein bisschen konspirativ, aber erstaunlich unkompliziert. Ein unauffälliges Treffen an der Kreuzung der Adnanal-Malki- und der Abdul-Mufti-al Riad-Straße mit einer Botschaftsmitarbeiterin, dann ein Taxi quer durch Damaskus, einmal gewechselt, schließlich ein kleiner Fußmarsch durch eine Plattenbausiedlung bis zu einem Hochhaus. Fahrt mit dem Aufzug in den zehnten Stock, dann noch zwei Stockwerke zu Fuß. Dann öffnete Mr. Samy Many die Haustür. Das war natürlich nicht sein richtiger Name. Den sollte ich erst viel später erfahren. Freundliche Begrüßung: »Schalten Sie bitte Ihr Mobiltelefon aus und lassen Sie es in der Garderobe. Die können uns auch über ausgeschaltete Telefone abhören. Wir gehen nach hinten.«

Zwei Stunden redeten wir. Ohne Kamera, aber mit einem Notizblock, den ich noch heute habe. Wenn ich meine Gesprächsnotizen lese, kann ich Samys politische Entwicklung zum Oppositionellen anhand meiner Stichworte nachzeichnen:

Sein erstes von mir notiertes Eingeständnis: »Hatte anfangs Vertrauen in die Reformbereitschaft Assads«, danach als Notiz: »Nichts ist geschehen. Jedes Vertrauen verloren« und schließlich: »fünf Jahre Gefängnis nach dem Damaszener Frühling 2001«, und immer wieder Samys Fazit: »Das Regime ändert sich nicht!«

Weitere Stichworte auf meinem Notizblock sind: »Korruption, Wirtschaftswunder in die eigene Tasche«, »die Wirtschaft in der Hand weniger« und schließlich »Fünfzig Prozent der Syrer unter Armutsgrenze. Hohe Arbeitslosigkeit. Große Unzufriedenheit.«

Ausführlich hatte er mir von den Foltermethoden der verschiedenen Geheimdienste erzählt. »Foltern ohne Grenzen«, das hatte ich mir notiert, denn das sei das Motto dieser Sicherheitsdienste: Vergewaltigung von gefangenen Frauen oder Männern, Fingernägel ausreißen, selbst bei Jugendlichen, Elektroschocks oder sechs Tage stehen am Stück, ohne sich anlehnen zu dürfen. »Wenn der so Gequälte in Ohnmacht fällt, dann wird er mit eiskaltem Wasser wieder aufgeweckt«, hatte er erzählt. Oft würden Gefolterte nach ein paar Wochen wieder freigelassen, damit sie draußen von dem Grauen erzählen. Das solle abschrecken und Menschen davon abbringen, zu Demonstrationen zu gehen. 150 000 politische Gefangene gäbe es im Augenblick, berichtete er mir im Dezember 2011. Westliche Menschenrechtsorganisationen bestätigen diese täglichen Schrecken in Syriens Gefängnissen. Einige sprachen damals allerdings von »nur« 30 000 politischen Gefangenen.

Und trotzdem gingen die Menschen auf die Straße, um zu demonstrierten. »Immer mehr würden es, auch wenn die Armee auf die Massen schieße. Die Mauer der Angst sei endgültig durchbrochen.« Samy war spürbar stolz auf seine unbeugsamen Syrer.

»Und was erwartest du vom Westen? Mehr Sanktionen?«, hatte ich ihn damals gefragt.

»Nein, Sanktionen bringen nichts. Die treffen nur die Armen. Das Regime bekommt sowieso immer, was es will. Ich hoffe, dass der Westen die Freie Syrische Armee militärisch ausrüstet und eine Flugverbotszone einrichtet.«

Das war Ende 2011. Seine Hoffnung wurde nicht erfüllt: keine militärische Aufrüstung außer Schutzwesten und Funkgeräte, keine Flugverbotszone, keine sicheren Korridore für Flüchtlinge. Mehrere Millionen Entwurzelte suchen inzwischen im Land irgendwo Schutz. Bald anderthalb Millionen sind in die Nachbarländer Türkei, Jordanien und Libanon geflohen. Außer Sanktionen und Flüchtlingshilfen keine weitere Unterstützung. Diese Sanktionen haben »die schlimmsten Auswirkungen auf die unteren sozialen Klassen« (nach Omar S. Dahi in Inamo, Jahrgang 19, Sommer 2013), schreiben Wirtschaftswissenschaftler des in Paris erscheinenden ›Syria Report‹.

In jenem Dezember 2011 meldeten die Berichterstatter 10 000 Tote, und die Welt gab sich erschrocken. Bis Juli 2013 hat die UNO über 100 000 Tote gezählt. Wirklich entsetzt ist aber kaum noch jemand, obwohl die Zahl der Opfer steigt und steigt. Auf beiden Seiten, der der Rebellen und der der Anhänger Assads. Und auf beiden sterben als erstes die Zivilisten. In Homs rückt die Assad-Armee vor, in Aleppo Djihadisten-Brigaden. Sie besetzen Stadtteile, die keine mehr sind, sondern Trümmerfelder. Geredet wird jedes Mal von militärischem Durchbruch. Tatsächlich hat sich im Sommer 2013 der Krieg festgefressen. Keine Seite scheint siegen zu können. Grund genug für einen Waffenstillstand. Eigentlich. Doch beide wissen genau, überlebt der Gegner, ist man selbst verloren. Der Hass sitzt zu tief, als dass Aussöhnung noch möglich zu sein scheint.

So weit war es im Dezember 2011 noch lange nicht, damals war es schwer, sich eine solche Entwicklung bis hin zur Unversöhnlichkeit vorzustellen. Damals glaubten viele, lange könne sich das Regime ohnehin nicht halten. Nach zwei Stunden daher als meine letzte Frage:

»Wie lange gibst du dem Regime noch?«

Seine Antwort – im Notizblock im Wortlaut mitgeschrieben:

»Es wird noch vier bis sechs Monate dauern. Länger nicht!«

So hatten damals, 2011 und auch noch lange 2012, die meisten gedacht und gehofft.

2 Reportagen aus einem zerrütteten Land

ALEPPO, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013

Der Mann im Nachbarbett stöhnte bei jeder Bewegung, mehrmals schrie er kurz, manchmal war nur ein Wimmern zu hören. Er muss fürchterliche Schmerzen gehabt haben. Selbst atmen schien für ihn eine Folter zu sein, manchmal reichte seine Kraft nur noch zu einem langen und lauten Jammerlaut. Die Pfleger kamen immer wieder, um ihm ein Schmerzmittel zu injizieren. Das schien für einige Zeit zu helfen. Jedenfalls atmete er dann ruhiger. Vielleicht schlief er sogar. Wie lange weiß ich nicht, ich hatte selbst jedes Zeitgefühl verloren. Auch ich schlief immer wieder ein dank der Schmerz- und Schlafmittel, die mir die Pfleger über Kanülen in meinen Körper tropfen ließen. Vermutlich dämmerte ich ohnehin die meiste Zeit in dem kleinen karg eingerichteten Kriegslazarett in Aleppo in einem Zustand irgendwo zwischen Schlaf, Bewusstlosigkeit und Halbwachem, nachdem der Chirurg Dr. Amar meine zerschossene Arterie im Unterarm zusammengeflickt und die Kugel aus dem Magen herausoperiert hatte. Meinen zertrümmerten Arm noch verbinden, das war’s. Mehr hatte er in dem Notkrankenhaus nicht leisten können. Mein Leben hatte er durch die gekonnten Eingriffe gerettet. Ein kleines Wunder. Ich würde weiterleben. Wie schwer meine Verletzungen tatsächlich waren, konnte ich damals nur ahnen. Dass um mich herum Menschen starben, nahm ich auch nur schemenhaft wahr, teilnahmslos, fast apathisch, wie durch einen Nebelschleier, in den mich die Schmerzmittel gehüllt hatten.

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