Brief über die Toleranz - John Locke - E-Book

Brief über die Toleranz E-Book

John Locke

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Beschreibung

Eine flammende Streitschrift gegen religiöse Dogmen: Der Protestant John Locke diskutiert in seinem 1689 erschienenen Sendbrief die Möglichkeit einer wahren Religion – und zeigt dabei verblüffende Toleranz: Der Glaube könne nicht durch äußere Gewalt erzwungen werden. Und niemand erkenne den rechten Weg zu Gott mit größerer Gewissheit als jeder Einzelne. Die radikalen Konsequenzen, die Locke zieht, berühren unmittelbar aktuelle Fragen nach der Toleranz aller Religionen.Erste Übersetzung der lateinischen Urfassung seit 1710.

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Seitenzahl: 142

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John Locke

Ein Brief über Toleranz

[Was bedeutet das alles?]

Herausgegeben und übersetzt von Gernot Krapinger

Reclam

E-Book-Leseproben von einigen der beliebtesten Bände unserer Reihe [Was bedeutet das alles?] finden Sie hier zum kostenlosen Download.

 

 

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961912-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014097-0

www.reclam.de

Inhalt

Brief über die Toleranz

Zu dieser Ausgabe

Literaturhinweise

Werke Lockes (Auswahl)

Weiterführende Literatur

Nachwort

Eine biographische Skizze

Locke und Toleranz

Brief über die Toleranz

Auf deine Frage, erlauchter Herr, was ich von der gegenseitigen Toleranz der Christen halte, antworte ich in aller Kürze, dass mir Folgendes das entscheidende Kriterium der wahren Kirche zu sein scheint. Denn wie auch immer sich die einen mit dem ehrwürdigen Alter der Orte und Namen brüsten oder mit dem Glanz ihres Kultes, andere wieder mit der Neugestaltung ihrer Lehre und alle schließlich mit ihrer Rechtgläubigkeit (denn jeder beansprucht ja für sich den rechten Glauben): All das und Ähnliches kann eher nur ein Merkmal von Menschen sein, die um Macht und Herrschaft streiten, als das der Kirche Christi. Wer all das besitzt, dem es aber an Nächstenliebe, Milde und Wohlwollen gegenüber allen Menschen, und zwar ganz allgemein und nicht nur gegenüber solchen, die sich zum christlichen Glauben bekennen, mangelt, der ist noch lange kein Christ. Könige der Heiden herrschen über sie, sagt unser Heiland zu den Seinen, bei euch aber soll es nicht so sein (Lk 22,25). Die Sache der wahren Religion ist freilich eine ganz andere, ist sie doch nicht für den äußerlichen Prunk, nicht für die kirchliche Herrschaft und überhaupt nicht für die Macht entstanden, sondern für die rechte und fromme Lebensführung.

Zuallererst muss derjenige, der in der Kirche Christi dienen will, seinen Lastern, dem Dünkel und der eigenen Begierde den Kampf ansagen. Andernfalls trachtet er ohne heiligen Lebenswandel, ohne Keuschheit der Sitten und ohne Wohlwollen und Milde des Herzens vergeblich danach, ein Christ genannt zu werden.1Wenn du umgekehrt bist, so stärke deine Brüder, sprach unser Herr zu Petrus (Lk 22,32). Denn einer, der sich nicht um sein eigenes Seelenheil kümmert, wird andere kaum davon überzeugen können, dass er sich um ihr Seelenheil besonders sorgt. Niemand kann sich rechtschaffen mit aller Kraft darum bemühen, andere zu Christen zu machen, der nicht selbst schon den Glauben an Christus wirklich verinnerlicht hat. Wenn man dem Evangelium und den Aposteln Glauben schenken darf, so kann niemand ohne Nächstenliebe und Glauben, der durch Liebe2 und nicht mit Gewalt wirkt, Christ sein. Ob aber jene, die unter dem Vorwand der Religion andere quälen, martern, berauben und töten, das aus Freundschaft und Wohlwollen tun, dafür rufe ich deren Gewissen als Zeugen auf. Dann erst werde ich es glauben, wenn ich sehe, dass jene Glaubenseiferer ihre Freunde und Verwandten, die offen gegen die Gebote des Evangeliums verstoßen, in gleicher Weise zurechtweisen und ihre Anhänger, die von verderblichen Lastern betroffen und, wenn sie sich nicht bessern, dem sicheren Verderben geweiht sind, mit Feuer und Schwert verfolgen und so ihre Liebe und ihr Verlangen nach deren Seelenheil mit jeder Art von Grausamkeit und Marter unter Beweis stellen. Wenn sie nämlich, wie sie vorgeben, sie aus Nächstenliebe und Eifer um ihre Seelen ihrer Güter berauben, ihre Körper verstümmeln, sie mit Kerker und Unflat mürbe machen, ja schließlich sogar ihnen das Leben selbst nehmen, damit sie rechtgläubig und gerettet werden: Warum sehen sie dann so tatenlos zu, dass unter ihren eigenen Leuten Hurerei, Hinterlist, Bosheit und anderes, das nach dem Zeugnis des Apostels3 so offenkundig nach Heidentum riecht, ungestraft um sich greifen, wo doch das und Derartiges der Ehre Gottes, der Lauterkeit der Kirche und dem Seelenheil mehr entgegensteht als eine wenn auch irrige Gewissensüberzeugung gegen die kirchlichen Entscheidungen oder das Abweichen bei der äußerlichen Kultausübung4, wenn es mit einer unschuldigen Lebensführung verbunden ist? Warum, so frage ich mich, klammert sich der Glaubenseiferer, der sich für Gott, für die Kirche und für das Seelenheil anderer bis hin zu deren Feuertod verzehrt, mit all seiner Kraft einzig und alleine daran, die [falschen] Meinungen anderer zu korrigieren, die noch dazu meist in komplizierten Fragen das Fassungsvermögen des einfachen Volkes übersteigen, oder religiöse Bräuche einzuführen, während er jene Laster und moralischen Verfehlungen, die nach dem Bekenntnis aller dem christlichen Glauben diametral entgegengesetzt sind, ohne Tadel und Strafe übersieht? Welche der beiden in diesen Fragen einander widersprechenden Seiten recht hat und welche für das Schisma5 verantwortlich und häretisch ist und ob sie obsiegt oder unterliegt, wird erst dann feststehen, wenn der Grund der Spaltung beurteilt ist. Denn derjenige ist kein Häretiker, der Christus nachfolgt, an seiner Lehre festhält und sein Joch auf sich nimmt, auch wenn er Vater und Mutter, die von den Vätern ererbten religiösen Bräuche, die Gemeinschaft und schließlich alle Menschen verlässt.

Wenn aber die Trennung der religiösen Lehren dem Seelenheil so sehr im Wege steht, so sind Ehebruch, Hurerei, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst und dergleichen mehr nicht weniger Werke des Fleisches, von denen der Apostel ausdrücklich verkündigt, dass diejenigen, die solches tun, das Reich Gottes nicht erben werden.6 Das gilt es also mit nicht weniger Sorgfalt und Fleiß völlig auszumerzen als abweichende Glaubensmeinungen, wenn jemand, aufrichtig besorgt um das Reich Gottes, ernsthaft meint, er müsse sich bemühen, dessen Grenzen zu erweitern. Wenn jemand aber anders handelt und, während er gegen Andersgläubige mit unversöhnlicher Härte vorgeht, diejenigen Sünden und moralischen Verfehlungen, die den Namen christlich nicht verdienen, jedoch verschont, so zeigt er offen, dass er nach anderem trachtet und nicht nach dem Reiche Gottes, sosehr er auch die Kirche immer im Munde führt. Wenn jemand will, dass eine Seele, an deren Heil ihm ja so viel liegt, unter Folterqualen ausgehaucht wird, noch dazu, wo sie noch gar nicht bekehrt worden ist, so wird mich das gewiss wundern, und andere werden sich, glaube ich, mit mir wundern. Gleichwohl wird niemand glauben, dass solches aus Zuneigung, Wohlwollen und Nächstenliebe geschieht. Wenn Menschen mit Feuer und Schwert dazu gebracht werden sollen, bestimmte Dogmen anzunehmen, und zu einer anderen Form des Gottesdienstes gezwungen werden sollen, obwohl es an ihrem sittlichen Lebenswandel keinerlei Zweifel gibt, wenn jemand Andersgläubige zum rechten Glauben so bekehren möchte, dass er sie zwingt, das zu bekennen, was sie nicht glauben, und ihnen Taten durchgehen lässt, die das Evangelium den Christen und der Gläubige sich selbst nicht gestattet, dann geht es ihm ohne Zweifel nur darum, möglichst viele Menschen zu demselben Bekenntnis zu gewinnen wie seinem eigenen. Wer aber könnte glauben, dass das die Absicht der christlichen Kirche ist? Kein Wunder also, wenn diejenigen, die, was auch immer sie vorgeben, nicht für die wahre Religion und die christliche Kirche kämpfen, Waffen gebrauchen, die nicht für den christlichen Dienst bestimmt sind. Wenn sie, wie der Anführer unseres Heils, ernsthaft das Heil der Seelen erstrebten, würden sie auf seinen Spuren wandeln und jenem leuchtenden Beispiel des Friedensfürsten folgen, der seine Jünger ausgesandt hat, die Völker nicht mit Waffengewalt, sondern ausgestattet mit dem Evangelium der Friedensbotschaft und mit der vorbildhaften Heiligkeit ihrer Sitten zu unterwerfen und zu seiner Kirche zu vereinigen. Wenn es ihm darum gegangen wäre, die Ungläubigen mit Waffengewalt zu bekehren und die verblendeten und hartnäckigen Menschen mit bewaffnetem Heer von ihrem Irrglauben zurückzuholen, so hätte ihm gewiss die Menge der himmlischen Heerscharen bereitwilliger zur Verfügung gestanden als irgendeinem noch so mächtigen Patron der Kirche sein Gefolge.

Die Toleranz derer, die in religiösen Fragen unterschiedlicher Meinung sind, stimmt so sehr mit dem Evangelium und jeglicher Vernunft überein, dass es geradezu ungereimt erscheint, wie Menschen trotz des klaren Lichtes so blind sein können. Ich möchte hier nicht den Hochmut und das ehrgeizige Bestreben anderer anklagen, auch nicht ihre Unmäßigkeit und ihren religiösen Eifer, die bar sind jeglicher Nächstenliebe und Milde. Das sind Fehler, die im menschlichen Bereich vielleicht nicht auszumerzen, aber dennoch von der Art sind, dass sie sich niemand offen zuschreiben möchte. Es gibt so gut wie niemanden, der, sollte er durch diese Fehler auf Abwege geraten sein, nicht nach Lob strebte, indem er sie unter dem falschen Anschein von Ehrenhaftigkeit verbirgt. Damit aber niemand die Sorge um den Staat und die Einhaltung der Gesetze für Verfolgung und Grausamkeit, die wenig christlich sind, zum Vorwand nimmt, und damit andererseits nicht andere im Namen der Religion Freizügigkeit der Sitten und Straflosigkeit für ihre Fehltritte für sich beanspruchen, damit, so sage ich, niemand, sei es als treuer Untertan eines Fürsten, sei es als aufrichtiger Verehrer Gottes, für sich oder andere derlei geltend machen kann, so glaube ich, dass man vor allem zwischen den Angelegenheiten des Staates und der Religion einen Unterschied machen und eine klare Abgrenzung zwischen Kirche und Staat vornehmen muss.7 Wenn das nicht geschieht, dann kann es kein Ende des Streites geben zwischen denen, denen das Heil der Seelen und das des Staates, sei es tatsächlich oder nur zum Schein, am Herzen liegt.

Der Staat ist, wie ich glaube, der Zusammenschluss von Menschen, eingesetzt mit dem Ziel, das Wohl der Bürger zu erhalten und zu fördern.

Unter dem Wohl der Bürger verstehe ich Leben, Freiheit, Unversehrtheit des Leibes und Freisein von Schmerzen, ferner den Besitz von äußerlichen Gütern, als da sind Ländereien, Geld, Hausrat usw.8

Es ist die Aufgabe der staatlichen Obrigkeit, durch Gesetze, die für alle in gleicher Weise Geltung haben, den rechtmäßigen Besitz dieser Dinge, die das äußere Leben betreffen, für das ganze Volk insgesamt und im privaten Bereich für jeden einzelnen Untertanen wohlüberlegt sicherzustellen. Wenn jemand gegen alles menschliche und göttliche Recht gegen diese Gesetze verstoßen wollte, so ist seine Dreistigkeit unter Strafandrohung zu unterdrücken. Diese besteht in der gänzlichen oder teilweisen Enteignung der Güter, in deren Genuss er sonst sein konnte und sollte. Weil aber niemand freiwillig mit einem Teil seines Vermögens bestraft werden will, geschweige denn mit dem Entzug der Freiheit oder mit dem Tod, verfügt daher die Obrigkeit über Waffengewalt, um natürlich mit aller Strenge gegenüber ihren Untertanen diejenigen zu bestrafen, die die Rechte eines anderen verletzen.

Das Folgende scheint mir zu beweisen, dass die ganze Ausübung der Gerichtsbarkeit auf das besagte Wohl der Bürger ausgerichtet ist und sich alles Recht und alle Gewalt der staatlichen Herrschaft einzig und allein darauf beschränkt und hier ihr Ende findet, sich das Bürgerwohl angelegen sein zu lassen und es zu fördern, und unter keinen Umständen auf das Seelenheil ausgeweitet werden soll und kann.

Erstens aus dem Grunde, weil die Sorge um die Seelen der staatlichen Obrigkeit nicht mehr als anderen Menschen anvertraut ist. Nicht von Gott, weil sich nirgendwo zeigt, dass Gott eine solche Vollmacht den Menschen über andere Menschen erteilt hätte, so dass sie andere dazu zwingen könnten, ihren Glauben anzunehmen. Noch können Menschen der Obrigkeit eine solche Befugnis erteilen, weil niemand die Sorge um sein eigenes ewiges Seelenheil so aufgeben kann, dass ein anderer, mag er nun Fürst sein oder Untertan, ihm die Religionsausübung vorschreiben oder ihn nötigen könnte, seinen Glauben anzunehmen; denn niemand kann, selbst wenn er es wollte, nach der Vorschrift eines anderen glauben. Der Glaube aber beruht auf der Kraft und Wirksamkeit der wahren und heilbringenden Religion. Denn unabhängig davon, was du mit dem Mund bekennst und wie du dich bei der äußerlichen Kultausübung erweist: Es wird deinem Heil nicht zuträglich sein, sondern ihm ganz im Gegenteil schaden, wenn du nicht im innersten Herzen davon überzeugt bist, dass dein Tun wahr und gottgefällig ist. Denn auf diese Weise fügst du religiöse Heuchelei und die Missachtung des göttlichen Willens der Liste deiner übrigen Sünden hinzu, die doch durch den Glauben zu sühnen sind, indem du dem allmächtigen Gott eine Verehrung erweist, die ihm, wie du meinst, selbst missfällt.

Zweitens kann die Sorge um das Seelenheil deshalb nicht Aufgabe der staatlichen Obrigkeit sein, weil deren ganze Macht auf Zwang beruht. Weil aber die wahre und heilbringende Religion auf dem Glauben der Seele in ihrem Inneren beruht, ohne den sie bei Gott ja nichts bewirkt, so ist sie eine Eigenschaft der menschlichen Einsicht, so dass sie durch keine äußere Gewalt erzwungen werden kann. Mag das Vermögen eingezogen werden, mögen auch dem Leib Kerkerhaft oder Folterstrafen drohen: Du wirst dich täuschen, wenn du glaubst, du könntest durch solche Strafen bei jemandem die innere Überzeugung in diesen Angelegenheiten ändern.

Du wirst aber sagen: Die Obrigkeit könnte Argumente gebrauchen, um die Andersgläubigen zur Wahrheit zu bringen und sie zu retten. Mag sein. Doch trifft das auch auf die anderen Menschen zu. Wenn sie belehrt und unterrichtet, wenn sie mit Argumenten den Irrenden auf den rechten Weg zurückführt, dann tut sie ja, was sich für jeden guten Menschen geziemt. Es ist für die Behörde nicht notwendig, einen Menschen oder gar einen Christen dessen zu berauben. Überzeugen ist etwas anderes als befehlen. Mit Argumenten zu streiten, ist etwas anderes, als dies mit Verlautbarungen und Proklamationen zu tun. Das eine ist Sache der staatlichen Gewalt, das andere Sache menschlichen Wohlwollens. Denn jeder Mensch ist berechtigt zu ermahnen, aufzufordern, des Irrtums zu überführen und mit logischen Erwägungen von seiner Meinung zu überzeugen. Ein Wesensmerkmal der Obrigkeit besteht jedoch darin, Befehle zu erteilen und mit dem Schwert Zwang auszuüben. Das ist es also, was ich meine, nämlich dass die Machthaber im Staate keinerlei Glaubensartikel oder Dogmen oder gar die Art und Weise, wie man Gott zu verehren hat, per Staatsgesetz vorschreiben sollen. Denn wenn die Gesetze keine Strafandrohungen enthalten, dann verlieren sie ihre Bedeutung. Wenn aber doch, dann sind diese untauglich und ohne jede Überzeugungskraft. Wenn jemand zu seinem Seelenheil ein Dogma oder eine bestimmte Form der Anbetung annehmen will, dann muss er aus tiefem Herzen daran glauben, dass dieses Dogma begründet ist und die Form der Anbetung Gott lieb und von ihm erwünscht sein wird. Eine Strafe ist aber keineswegs dazu imstande, eine solche Überzeugung dem Herzen einzuflößen. Es bedarf schon der Erleuchtung, damit die Überzeugung des Herzens sich ändert, und diese Erleuchtung kann keinesfalls durch körperliche Leiden ersetzt werden.

Drittens kann das Seelenheil unter keinen Umständen Aufgabe der staatlichen Obrigkeit sein, weil selbst in dem Falle, dass die Autorität der Gesetze und der Druck der Strafen eine Gesinnungsänderung bei den Menschen bewirken könnte, solches dennoch für das Seelenheil nicht von Nutzen wäre. Da nämlich die wahre Religion einzig und allein der Weg ist, der ins Himmelreich führt: Welche Hoffnung sollte es dann geben, dass die Mehrheit der Menschen dorthin gelangen wird, wenn das die Bestimmung der Sterblichen sein soll, dass ein jeder ohne Rücksicht auf das, was ihm seine Vernunft und sein Gewissen befiehlt, blindlings die Glaubenssätze seines Fürsten annehmen und Gott so verehren sollte, wie es durch die Gesetze seines Vaterlandes festgelegt ist? Bei den so unterschiedlichen Meinungen der Fürsten in religiösen Fragen, und das noch dazu in einem einzigen Land, können jener schmale Weg und jene enge Pforte, die zum Himmel führt, unausweichlich nur wenigen offen stehen9; und was dabei besonders absurd und Gottes unwürdig wäre: Es würden dann ewige Glückseligkeit oder Verdammnis einzig und allein vom Schicksal der Geburt abhängen.

Unter vielem anderen, was man noch zu dieser Sache anführen könnte, scheint es mir zu genügen, festzuhalten, dass sich alle Macht des Staates nur auf das Wohl der Bürger bezieht, sich auf die Sorge um die Angelegenheiten im Diesseits beschränkt und keinesfalls etwas mit dem Leben im Jenseits zu tun hat.

 

Nun wollen wir überlegen, was denn die Kirche ist. Kirche ist, so glaube ich, die zwanglose Gesellschaft von Menschen, die sich aus eigenem Antrieb zusammentun, um Gott öffentlich so zu verehren, wie sie glauben, dass es seinem göttlichen Willen im Hinblick auf ihr Seelenheil willkommen ist.10

Ich sage, sie ist eine zwanglose und freiwillige Gesellschaft. Niemand wird als Mitglied irgendeiner Kirche geboren; andernfalls würde ja die Religion seines Vaters und seiner Vorfahren nach dem Erbrecht zusammen mit den Ländereien auf jeden Einzelnen übergehen, und ein jeder würde seinen Glauben der Geburt verdanken. Etwas Absurderes als das kann man sich gar nicht vorstellen. So sieht es also damit aus. Der Mensch ist von Natur an keine Kirche gebunden, keiner religiösen Lehre verpflichtet, er schließt sich aus eigenem Antrieb jener Gemeinschaft an, in der er die wahre Religion und die gottgefällige Anbetung gefunden zu haben glaubt. Die Hoffnung auf das Heil, das er dort findet, stellt ebenso den einzigen Grund für einen Kirchenbeitritt wie für die Dauer dar, dabeizubleiben. Wenn er aber einen Irrtum in ihrer Lehre oder eine Ungereimtheit in der Kultausübung gefunden hat, dann muss es ihm stets genauso freistehen, aus ihr auszutreten, wie er auch beigetreten ist; denn keine Bindung kann unauflöslich sein, es sei denn, dass sie mit der sicheren Erwartung auf das ewige Leben verbunden ist. Eine Kirche besteht also aus Mitgliedern, die sich aus eigenem Antrieb und zu diesem Zweck vereinigt haben.

Darauf folgt, dass wir nun untersuchen, worin ihre Macht besteht und welchen Gesetzen sie unterliegt.