Brücken bauen - Thomas Prünte - E-Book

Brücken bauen E-Book

Thomas Prünte

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Beschreibung

Die richtige Balance von Nähe und Distanz Sehnen Sie sich nach mehr Nähe und Zweisamkeit? Oder ist es Ihnen im Gegenteil zu eng in Ihrer Beziehung und Sie hätten gern mehr Freiraum? Wie bedeutsam das Bedürfnis nach menschlicher Nähe und Distanz ist, hat der Lockdown während der Corona-Pandemie gezeigt. Einem Menschen nah sein zu wollen und es nicht zu dürfen, ist schmerzhaft. Der Wunsch nach Distanz meldete sich bei all denen, die auf beengtem Raum mehr Zeit miteinander verbringen mussten, als sie es gewohnt waren. Die richtige Balance von Nähe und Distanz zu finden ist auch – nicht nur in Krisenzeiten – in jeder Partnerschaft eine Herausforderung. Dieses Buch … - führt die Gründe auf, die die Umsetzung einer guten Balance erschweren, - gibt Anregungen, um die eigene Beziehung und die Beziehung zu sich selbst zu beleuchten und zu verbessern, - stellt Beispielpaare vor, deren Geschichten dabei helfen, bewusster mit Problemen von Nähe und Distanz umzugehen. Reflexionsfragen und Anregungen für einen Austausch mit dem/der Partner:in unterstützen dabei, passende Lösungen zu finden.

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Seitenzahl: 261

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Thomas PrünteBrücken bauenDas Geheimnis von Nähe und Distanz in der Partnerschaft

Über dieses Buch

Die richtige Balance von Nähe und Distanz 

Sehnen Sie sich nach mehr Nähe und Zweisamkeit? Oder ist es Ihnen im Gegenteil zu eng in Ihrer Beziehung und Sie hätten gern mehr Freiraum? Die richtige Balance von Nähe und Distanz zu finden ist in jeder Partnerschaft eine Herausforderung. Die Beziehungswelt ist komplexer geworden und mit ihr die Beziehungsformen. Hinzu kommen Veränderungen in der Arbeitswelt. Schnell wird da die kostbare gemeinsame Zeit mit Erwartungen überfrachtet. Für ein harmonisches Miteinander müssen Bindungswünsche sowie das Bedürfnis nach Freiräumen ausgelotet und in Einklang gebracht werden. 

Dieses Buch … 

führt die Gründe auf, die die Umsetzung einer guten Balance erschweren, gibt Anregungen, um die eigene Beziehung und die Beziehung zu sich selbst zu beleuchten und zu verbessern, stellt Beispielpaare vor, deren Geschichten dabei helfen, bewusster mit Problemen von Nähe und Distanz umzugehen. 

Reflexionsfragen und Anregungen für einen Austausch mit dem / der Partner:in unterstützen dabei, passende Lösungen zu finden.

Thomas Prünte ist Dipl.-Psychologe und seit über 30 Jahren in eigener psychotherapeutischer Praxis in Hamburg tätig. Er arbeitet als Paartherapeut (EFT) sowie als Dozent an diversen Ausbildungsinstituten. www.thomas-pruente.de

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2023

Coverfoto: © g-stockstudio/istockphoto.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2023

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0431-2

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0432-9 (EPUB), 978-3-7495-0433-6 (PDF).

Mein besonderer Dank

gilt Stefani Günther

Vorwort

Das Ringen um die richtige Balance von Nähe und Distanz

Wie bedeutsam das Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist, hat der Lockdown während der Corona-Pandemie gezeigt. Einem Menschen nah sein zu wollen und es nicht zu dürfen ist schmerzhaft. Zugleich meldete sich der Wunsch nach Distanz bei all denen, die auf beengtem Raum mehr Zeit miteinander verbringen mussten, als sie es gewohnt waren. Für viele Beziehungen waren und sind derartige Erfahrungen ein wahrer Prüfstein.

Doch unabhängig von solchen Extremsituationen ist die Beziehungswelt komplexer geworden und mit ihr die Beziehungsformen. Friends with benefits, Polyamouröse und Swinger experimentieren auf eigene Weise mit Nähe und Distanz. Auf dem Markt der Möglichkeiten wird vieles ausprobiert. Zugleich droht eine Beziehung zur Ware zur verkommen: „Ich trage doch auch nicht jeden Tag dieselben Schuhe“ wirbt ein Portal für Sexinteressierte.

Hinzu kommen Veränderungen in der Arbeitswelt. Agiles Arbeiten, Projekte und Jobs in einer anderen Stadt oder im Ausland führen dazu, als Paar ständig oder phasenweise getrennt zu leben. Dies führt zu einem emotionalen Zyklus, der darin besteht, sich wiederholt verabschieden, neu einlassen und wieder trennen zu müssen. Nähe in der Distanz zu halten wird zu einer Herausforderung. Die gemeinsame Zeit nicht mit Erwartungen zu überfrachten wird zu einer anspruchsvollen Aufgabe.

Der Spagat zwischen dem Wunsch nach Nähe einerseits und dem Wunsch nach Freiheit andererseits kann anstrengend sein und zu Spannungen führen. Bindungswünsche und die Sehnsucht nach Exklusivität sowie das Bedürfnis nach Freiräumen müssen ausgelotet und in Einklang gebracht werden.

In diesem Buch stelle ich Ihnen Paare vor, die um eine für sie stimmige Balance von Nähe und Distanz ringen. Die versuchen, Brücken zueinander zu bauen. Dabei gibt es zahlreiche Gründe, die die Umsetzung erschweren können. Sie werden erläutert und näher untersucht. Das hilft Ihnen dabei, sich selbst und Ihren Partner1 besser einzuschätzen. Dadurch sind Sie in der Lage, an Ihrer Beziehung zu arbeiten – auch an der Beziehung zu sich selbst!

Darüber hinaus erhalten Sie Anregungen und Hinweise, wie Sie bewusster mit Ihren Problemen von Nähe und Distanz umgehen können. Zur Orientierung finden Sie unter den Brückensymbolen hilfreiche Leitsätze. Die Brücke können Sie wie eine „Eselsbrücke“ zur Gedächtnisstütze nutzen, aber auch als emotionale Brücke zu sich selbst und Ihrem Partner verstehen. Reflexionsfragen laden dazu ein, vertieft über die eigene Beziehung nachzudenken.

Aus dem großen Themenfeld von Nähe und Distanz habe für ich dieses Buch einige Aspekte ausgewählt, die mir für eine Beziehung bedeutsam erscheinen. Viele Paare haben mir durch ihre Offenheit und ihr Bemühen, passende Lösungen zu finden, dabei geholfen. Ihnen verdanke ich wertvolle Impulse. Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch zum Nachdenken anregt. Und dazu führt, dass Sie durch einen fruchtbaren Austausch mit Ihrem Partner zu einer stimmigen Balance von Nähe und Distanz finden.

1  Zugunsten der besseren Lesbarkeit wurde auf das Gendern verzichtet. „Partner“ und ähnliche allgemeine Formulierungen schließen alle Geschlechter mit ein. Danke für Ihr Verständnis.

Einführung

Die Facetten von Nähe und Distanz

In einer Beziehung suchen wir Nähe, Aufmerksamkeit und Zuverlässigkeit. Wir hoffen, Gemeinsamkeiten zu entdecken, die uns miteinander verbinden. Gegenseitige Unterstützung, Gleichklang und Wertschätzung beruhigen uns. Dann fühlen wir uns geborgen und sicher. Aber wir möchten auch Anregung, Ergänzung und Abenteuer. Allerdings ohne das Risiko, dass der sichere Hafen der Beziehung verloren geht.

Gerät das gute Gefühl, sich in einer Beziehung miteinander nah und verbunden zu fühlen, in Gefahr, entsteht emotionaler Stress. Ist der Partner sehr distanziert und emotional nicht erreichbar, ist man alarmiert. Denn wenn die Distanz größer wird und die vertraute emotionale Nähe verloren geht, entwickelt sich Angst. In dieser Angst zeigen sich unsere kindlichen Prägungen. Nicht nur der Erwachsene ist besorgt, sondern auch das Kind in uns erwacht. Es trägt die Erinnerungen der frühen Bindungserfahrungen in sich.

Waren es überwiegend gute Erfahrungen, kann es mit Nähe und Distanz umgehen. Hat es hingegen schlechte Erfahrungen gemacht, wird Nähe panisch vermieden, verzweifelt gesucht oder zwiespältig erlebt. Waren die ersten Bezugspersonen abweisend, feindselig, widersprüchlich, nur selten verfügbar, nicht empathisch oder grenzüberschreitend, reagiert es verzweifelt mit innerem Rückzug und Distanziertheit. Oder es wird über Gebühr anhänglich, angepasst und unterwürfig. Eine nahe Beziehung fühlt sich dann ambivalent an und nicht selten spürt der Betreffende eine große innere Zerrissenheit. Ein Kind wird alles tun, um sich zu schützen und sein emotionales Überleben zu sichern. Diesen Schutzmustern begegnet man später zwangsläufig in jeder Partnerschaft, wenn es darum geht, sich tiefer aufeinander einzulassen.

Die Regulation von Nähe und Distanz
gehört zur Kernkompetenz in einer Beziehung.

Das Wechselspiel von Nähe und Distanz gehört zum Beziehungsalltag und ist ein work in progress. Im Verlauf einer Beziehung lernt man die Wünsche und Ängste in Bezug auf Nähe und Distanz besser kennen. Sowohl die des Partners als auch die eigenen. Dann sucht man nach Wegen, eine zufriedenstellende Balance zu finden.

Für ein Paar bedeutet dies, Raum für das Gespräch über Befürchtungen und Wünsche zu schaffen. Darin kann ausgelotet werden, wie Nähe und Distanz beschaffen und organisiert sein sollten, um sich miteinander wohlzufühlen. Erwartungen an die Beziehung sind zu klären und das rechte Maß von Nähe und Distanz muss stets aufs Neue ausgelotet werden

In diesem sensiblen Prozess wird deutlich, wie wichtig sowohl gute Nähe-Erfahrungen als auch Distanzmöglichkeiten für die Zufriedenheit mit einer Beziehung sind. Stimmt das Mischungsverhältnis, bilden Nähe und Distanz einen guten Nährboden für das Wachstum jedes Einzelnen und der Beziehung.

Keine Nähe ohne Distanz

Am Anfang dieses Buches werden zunächst Aspekte der Distanz und Abgrenzung beschrieben. Das mag überraschen, aber der Grund ist einfach: Ohne gute innere Grenzen und die Fähigkeit, bei sich zu bleiben, wird Nähe schnell zum Problem.

Wie wichtig es ist, sich distanzieren und zurückziehen zu können, verdeutlicht das folgende Gedankenspiel:

Stellen Sie sich vor, Ihre Persönlichkeit wäre ein Haus. Doch Ihr Haus hat nur Tür- und Fensterrahmen, aber keine Türen oder Fenster, die Sie schließen können. Sie haben keinen Schutz. Keine Tür, an der Sie selbst entscheiden, ob Sie jemanden in Ihr Reich hineinlassen wollen oder welche Räume er besuchen darf.

Jeder kann kommen und gehen, wie er möchte. Rückzugsmöglichkeiten gibt es nicht. Sie müssen ständig auf der Hut sein, weil Sie nicht sicher sind, wer oder was als Nächstes hereinspaziert. Und ob das, was Sie besitzen, am nächsten Tag noch da ist. All das, was zu Ihnen gehört, Ihre Identität und Ihr Leben ausmacht, könnte verloren gehen. Distanzlosigkeit und ungewollte Nähe sind vorprogrammiert.

Stellen Sie sich zusätzlich vor, dieses Haus hätte einen Garten. Allerdings hat Ihr Garten keinen Zaun. Menschen könnten jederzeit hineingehen, ihn für ihre Zwecke nutzen, Müll hinterlassen oder Ihre Lieblingsblumen pflücken.

Würden Sie sich ohne Grenzen sicher und wohlfühlen? Vermutlich nicht. Ein gut geschützter Innenraum, den man öffnen und schließen kann, bietet auf jeden Fall mehr Sicherheit. Wer sich selbst und seinen Innenraum präsent hat, muss nicht fürchten, in einer nahen Beziehung verloren zu gehen.

Keine Nähe, ohne sich zu öffnen

Ein entgegengesetztes Gedankenspiel verdeutlicht, dass auch zu viel Abgrenzung und Distanz zum Problem werden können. Stellen Sie sich vor, Ihr Haus wäre zum Hochsicherheitstrakt geworden. Überall befinden sich Warnmelder, die Alarm schlagen, sobald sich jemand nähert. Alle Türen sind doppelt und dreifach verriegelt. Vielleicht haben Sie sogar Warnschilder aufgestellt oder das Gelände vermint. Sie trauen sich nicht, die Fenster zu öffnen, geschweige denn eine Tür.

An guten Tagen werfen Sie vielleicht ein Blick durch den Türspion. Würden Sie im Mittelalter leben, wären alle Brücken hochgezogen und die Mauern Ihrer Festung aus meterdickem Stein. Sie würden sich bestenfalls sicher fühlen, aber vermutlich auch allein, ausgegrenzt und einsam.

Diese Überlegungen veranschaulichen, wie wichtig es für eine Beziehung ist, Nähe und Distanz gut auszutarieren. Dazu gehört, die eigenen Schutzmechanismen und die dahinter verborgenen Ängste zu kennen. Sich selbst und dem Partner nah zu sein ist ein sensibler und störanfälliger Prozess.

Ja zu sich selbst zu sagen bedeutet, zu seinen Grenzen zu stehen und hin und wieder Nein zu seinem Partner zu sagen.

Ja zum Partner zu sagen bedeutet, sich zu öffnen und etwas zu riskieren. Das gelingt gut, wenn man weiß, wer man ist, was einen ausmacht und welchen Wert man besitzt. Und wenn man weiß, wie man sich wieder abgrenzen kann, wenn es zu viel wird.

An diesen Zusammenhang soll die Nähe-Formel erinnern. Quasi als „Geheimrezept“ für eine ausgewogene Balance von Nähe und Distanz. Sie lautet:

Nähe-Formel

Ich erlaube genau so viel Nähe,
dass ich keine Angst haben muss, mich zu verlieren.
Ich distanziere mich nur so weit,
dass ich dir noch nah sein kann und keine Angst haben muss,
dich zu verlieren.

Wenn dies gelingt, hat man eine sichere Heimat in sich selbst und in der Beziehung (Abb. 1). Dann kann man sich selbst nah sein und den sicheren Ort in sich selber finden. Das gibt Halt und Stabilität, die nicht ausschließlich vom Partner abhängig sind.

Abbildung 1: Eine sichere Heimat in sich selbst und in der Beziehung finden

Lagom

In der schwedischen Sprache gibt es einen Begriff, der die Nähe-Formel auf den Punkt bringt: Lagom. Da es keine direkte Übersetzung ins Deutsche gibt, ist die Erläuterung auf Wikipedia hilfreich: Lagom bedeutet so viel wie gerade richtig, eben nicht zu viel und nicht zu wenig, die ideale Balance, Mittelweg, Ausgewogenheit, Konsens.

Angeblich geht der Ausdruck auf den Vorgang eines herumgehenden Trinkhorns oder Bechers zurück, der genau so viel enthalten soll, dass jeder in der Runde einmal und gleich viel davon trinken kann – die ganze Mannschaft, vermutlich am Lagerfeuer sitzend, deswegen laget om (sinngemäß zu übersetzen als einmal für die ganze Mannschaft), verkürzt zu lagom.

Der Begriff bietet eine wertvolle Orientierung für die Balance von Nähe und Distanz. Das Verhältnis sollte ausgewogen sein, sodass jeder genug von dem bekommt, das er benötigt.

1. Die gute Distanz

1.1 Nähe und Distanz – Ihre Bestandsaufnahme

Distanz aus der Nähe betrachtet

Ich möchte Ihnen zu Beginn dieses Buchs eine einfache Übung zur Orientierung vorschlagen. Sie hilft Ihnen dabei, ohne Worte eine Bestandsaufnahme des Nähe-Erlebens in Ihrer Beziehung vorzunehmen. So bekommen Sie ein besseres Gespür dafür, welche Aspekte für Sie besonders relevant sein könnten.

Nutzen Sie die Vorlage. Zeichnen Sie darin zwei Kreise. Ein Kreis symbolisiert den Partner, der andere Sie selbst. Bringen Sie durch den Abstand zwischen diesen Kreisen zum Ausdruck, wie nah oder fern Sie sich im Moment Ihrem Partner fühlen. Dann zeichnen Sie in das nächste Feld, wie Sie es gern hätten.

Wenn Sie Kinder haben, platzieren Sie diese ebenfalls in das Feld und verdeutlichen Sie, wie nah oder fern Sie Ihre Kinder zu sich selbst und Ihrem Partner erleben. Im nächsten Feld gestalten Sie dann Ihre Wunschvorstellung.

Bevor Sie loslegen, werfen wir einen Blick auf die Zeichnungen von Evelyn, Christiane und Johannes (Abb. 1.1–1.6).

Ein Kreis für dich und ein Kreis für mich

So nah / distanziert empfinde ich uns im Moment

Abbildung 1.1: Evelyn: Jeder ist im Moment für sich. Wir sind zwei eigenständige Persönlichkeiten, das gefällt mir. Da ist viel Raum zwischen uns. Das ist einerseits ganz angenehm, weil ich viel Freiraum habe, andererseits fehlen mir Nähe und warmer Kontakt.

So wünsche ich es mir

Abbildung 1.2: Evelyn: Ich wünsche mir, dass wir uns näher kommen. Wir müssen nicht unbedingt verschmelzen, denn Abgrenzung ist mir wichtig. Deswegen überschneiden sich die Kreise nicht.

So ist es mit den Kindern und uns

Abbildung 1.3: Christiane: Meine Tochter ist nah bei mir. Unser Sohn sucht eher die Nähe seines Vaters, wobei da durchaus etwas Distanziertheit zu spüren ist. Manchmal denke ich, wir könnten als Paar mehr Zeit für uns haben und uns näherstehen.

So wünsche ich es mir mit uns und den Kindern

Abbildung 1.4: Christiane: In meiner Wunschvorstellung rücken mein Mann und ich näher zusammen. Obwohl ich es in der Zeichnung nicht gut ausdrücken konnte, stelle ich mir vor, dass auch er mehr Kontakt zu unserer Tochter aufbaut und mein Sohn mir etwas näher kommt. Ganz praktisch gedacht fände ich es schön, wenn mein Mann und ich Hand in Hand spazieren gehen, das haben wir in der letzten Zeit kaum noch gemacht. Die Kinder könnten abwechselnd mal an meiner und an seiner Hand gehen.

So nah / distanziert empfinde ich uns im Moment

Abbildung 1.5: Johannes: Mir ist es zu nah geworden. Wir machen im Moment viel zu viel zusammen. Manchmal bin ich deswegen gereizt und breche einen Streit vom Zaun. Natürlich ist die Nähe vertraut und schön, aber sie kann bei mir Stress erzeugen.

So wünsche ich es mir

Abbildung 1.6: Johannes: Ich wünsche mir mehr Freiraum. Ich brauche Abstand und Luft zum Atmen. Ich möchte mehr Zeit mit Freunden oder mit mir allein verbringen. Ich denke, dann bin ich ausgeglichener und kann mich über die Nähe wieder freuen.

Bestandsaufnahme Nähe und Distanz

Jetzt sind Sie an der Reihe: Am besten ist es, wenn Sie gar nicht lange nachdenken, sondern spontan Ihre Kreise in die Felder einzeichnen. Nutzen Sie dazu einen Bleistift. Sie können dann gegebenenfalls einen Radiergummi benutzen und Korrekturen vornehmen, falls Ihnen der erste Entwurf noch nicht stimmig erscheint.

So nah / distanziert empfinde ich uns im Moment

So wünsche ich es mir

So ist es mit den Kindern und uns

So wünsche ich es mir mit den Kindern und uns

Um sich und dem Partner nah sein zu können, ist es ratsam, zu sich selbst ehrlich zu sein. Diese radikale Akzeptanz der eigenen Gefühle, und seien sie noch so unangenehm, wirkt befreiend. Indem man anerkennt, was man wirklich fühlt und braucht, bildet sich eine innere Grundlage für das Gespräch mit dem Partner.

Wo die Angst ist, geht’s lang!

Von Adelbert von Chamisso stammt das folgende Bonmot: Liebe ist kein Solo. Liebe ist ein Duett. Nähe-Distanz-Probleme lösen sich selten von alleine auf. Es bedarf der Kommunikation und Anteilnahme beider Partner. Und einer kleinen Portion Mut, sich seinen Wünschen und Befürchtungen zu stellen und diese in den Kontakt zum Partner einzubringen:

Distanz entsteht durch zurückgehaltene Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche. Der Partner spürt das und ist irritiert, verunsichert oder genervt.

Hat sich zu viel Distanz eingeschlichen, lautet die Devise: Nicht angreifen, schreien oder sich zurückziehen, sondern hingehen und aussprechen, was einen stört und was man sich wünscht. Bedenken Sie:

Man muss schon ziemlich lange mit offenem Mund dastehen, bis einem eine gebratene Taube in den Mund fliegt!

Distanz entsteht dadurch, dass man Überforderung, emotionalen Nähe-Stress und Rückzugswünsche nicht ernst nimmt. Der Partner ist verletzt und verunsichert.

Gibt es zu viel Nähe, lautet die Devise: Nicht weglaufen, angreifen oder sich wortlos zurückziehen, sondern bleiben und Befürchtungen und eigene Distanzbedürfnisse aussprechen.

Bilder sagen manchmal mehr als tausend Worte. Die Zeichnungen Ihrer Bestandsaufnahme können Sie nutzen, um zu verdeutlichen, was Sie erleben und empfinden. Bedenken Sie, dass sich Ihre Vorlieben im Laufe des Lebens oder Ihrer Beziehung durchaus ändern können.

 Reflexion

Kann ich einen bedeutsamen Unterschied zwischen meiner Wunschvorstellung und der Realität erkennen?

Ist meine Beziehung (noch) spannend und lebendig oder ist Langeweile und (zu viel) Routine eingekehrt?

Welche Rolle spielen die Kinder?

Gibt es ausreichend Verbundenheit und Wir-Gefühl oder zu wenig?

Was kann ich tun oder lassen, um meinen Wünschen näher zu kommen? Jeder Millimeter zählt!

Wenn wir gut für unsere Beziehung sorgen, sorgen wir gut für unsere (inneren) Kinder.

1.2 Warum Distanz für eine gute Beziehung wichtig ist

Lagom – nicht zu wenig, nicht zu viel, genau richtig!

Sich innerhalb einer Beziehung distanzieren zu können ist eine wichtige Fähigkeit. Eingebettet in einen guten Kontakt kann Distanz eine positive Spannung aufbauen und die Individualität der Partner stützen und schützen. Sie hat eine wichtige Funktion für den Erhalt einer Beziehung, weil sie ungünstigen Abhängigkeiten vorbeugt und die Eigenständigkeit der Partner sichert. Gute Grenzen sind eine Voraussetzung für befriedigend erlebte Nähe. Im Alltag einer Beziehung werden ihre zahlreichen Facetten sichtbar. Das Thema „Distanz“ wird Ihnen bei allen Paaren, die ich vorstelle, auf die ein oder andere Weise begegnen. Werfen wir zuerst einen grundsätzlichen Blick auf ihre Bedeutung.

Für die menschliche Entwicklung hin zu einem eigenständigen Wesen bedarf es der Distanzierung von den Menschen, die uns in der Kindheit Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge entgegengebracht haben. Dies können Mutter, Vater und andere wichtige Bezugspersonen sein. In der Abgrenzung zu ihnen entwickeln wir unsere Persönlichkeit und werden zu einem Individuum. Das Wort individuum kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Unteilbares, Einzelding“. Wir sind keine Klone unserer Eltern, sondern eigenständige Wesen, ein Ganzes. Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten, aber wir unterscheiden uns von ihnen und sind einzigartig.

Der Duden klärt über die Herkunft des Wortes Distanz auf. Es kommt aus dem lateinischen distare und bedeutet „auseinanderstehen, entfernt sein“. Es ist die Distanzierung, die uns zu dem werden lässt, der wir sind. Wir grenzen uns ab und sagen Nein! Wir entwickeln eigene Standpunkte. In der Trotzphase der Kindheit und genauso heftig in der Pubertät. Man könnte diese Abgrenzung ein Identitäts-Nein nennen. Indem wir Nein sagen, sagen wir Ja zu uns selbst. Dieses „Nein, ich will nicht, ich bin anders!“ formt unsere Individualität und lässt uns besonders sein.

Betrachten wir näher, was die Distanz in einer Beziehung so wertvoll macht. Hören wir, was Paare dazu sagen und warum für sie Distanz in einer Beziehung von Bedeutung ist.

Autonomie und Selbstbestimmung entwickeln

Wir verfügen über die Fähigkeit, uns zu distanzieren, und benötigen sie, um zu uns selbst zu finden. Sie führt heraus aus der großen Abhängigkeit der Kindheit und fördert den Aufbau von Autonomie und Selbstwerdung. In diesem Prozess werden eigene Talente ausgebaut, Fähigkeiten erworben und angewendet. Wer diese Entwicklung nicht durchläuft, bekommt zu hören, er hänge wohl noch am Rockzipfel der Mutter. Dafür kann es gute Gründe geben, doch erst wer diesen loslässt, eignet sich die Welt an und lernt, die Beziehung zu sich selbst zu vertiefen.

Sara:Ich will nicht nur Zeit mit Tim verbringen. Er ist mir wichtig, aber ich brauche ein Leben außerhalb unserer Beziehung.

Tim:Ich bin da wohl etwas anhänglicher. Ich bin gerne mit dir zusammen.

Sara:Das weiß ich, aber mir ist das zu viel. Ich will mich nicht nur über die Beziehung definieren.

Tim:Das will ich auch nicht, schließlich hat jeder von uns ein Eigenleben. Aber ich finde es zu abrupt, wie du die Übergänge herstellst. Das müsste doch sanfter gehen.

Sara:Ja, da ist was dran. Ich krieg’s zu spät mit, wenn es mir zu nah geworden ist und ich Distanz brauche.

Tim:Es wäre schön, wenn du es mir rechtzeitig sagst, dann kann ich mich darauf einstellen.

Die emotionale Entwicklung eines Kindes erfordert die Loslösung von wichtigen Bindungspersonen und bringt die Notwendigkeit, sich zu distanzieren, mit sich. Und genauso, wie dies bei der Nähe gilt, bedarf es dazu einer Bezugsperson. Wir reifen, indem wir uns von jemandem abgrenzen. So finden wir uns selbst. Im besten Fall nicht als Entweder-oder, sondern als Sowohl-als-auch. Im Idealfall klingt es dann so:

Ich bin mit

dir

zusammen

und

mit

mir

.

Ich kann

dir

nah sein

und

mir

nah sein.

Ich kann mich

von dir

distanzieren

und

mit

dir

verbunden bleiben.

Ich kann

dir

nah sein

und mit mir

verbunden bleiben.

 Reflexion

Wie viel Eigenständigkeit lebe ich innerhalb unserer Beziehung?

Wie viel Eigenständigkeit lebe ich außerhalb unserer Beziehung?

Bin ich damit zufrieden?

Eine gute Eigenständigkeit ermöglicht mir, mich tiefer auf eine Beziehung einzulassen.

Im Rückzug zu sich selbst finden

Die Zeit, die man nicht mit seinem Partner verbringt, ist eine kostbare Zeit. Man wird nicht über das „Wir“ der Beziehung definiert, sondern ist auf sich allein gestellt. Dadurch kann man selbstbestimmt über seine Zeit verfügen und den eigenen Interessen nachgehen.

Marc:Wenn ich mit Marie zusammen war und dann wieder alleine bin, dauert es eine Weile, bis ich bei mir angekommen bin. Dann merke ich, worauf ich sonst noch Lust habe.

Marie:Ich kenne das auch. Ich brauche Zeit, um unser Zusammensein zu verdauen. Ich denke über unsere Gespräche nach und muss meine Gefühle sortieren. Es kommt vor, dass ich Sachen entdecke, die ich richtig gut fand, aber auch Dinge, die mich gestört haben. Aber damit geht es mir gut, weil ich spüre, was mir wichtig ist.

Die Distanz hilft dabei zu erkennen, was nicht den eigenen Überzeugungen entspricht. In ihr lässt sich das Anderssein erfassen. Die Unterschiede zum Partner können deutlicher hervortreten. Dadurch wird eine Beziehung bereichert. Nutzt man die Zeit mit sich allein zur Selbsterforschung, entsteht Klarheit. Da man nicht befürchten muss, gestört zu werden, kann man seinen Gedanken ungehindert nachgehen. Es ist möglich, in Ruhe Tagebuch zu schreiben oder mit Freunden über das Erlebte zu sprechen. So wird man souveräner im Umgang mit den eigenen Bedürfnissen.

 Reflexion

Welche Seiten von mir kann ich am besten außerhalb meiner Beziehung leben?

Gibt es Verhaltensweisen oder Eigenschaften meines Partners, die mir fremd sind?

Gibt es etwas, das mir wichtig ist und das ich in oder für die Beziehung aufgegeben habe?

Die Unterschiede bereichern unsere Beziehung und machen sie lebendig.

Sich selbst und die Beziehung klarer sehen

Jede Beziehung ist es wert, über sie nachzudenken. Dazu benötigt man einen distanzierten Blick auf sich selbst, den Partner und das, was zwischen den Partnern geschieht. Es ist, als würde man auf einen kleinen Berg steigen und von oben auf die Beziehung blicken. „Nur aus der Ferne sieht man klar“ heißt die Devise. Dies gilt besonders dann, wenn sich ein Paar verstrickt hat, Missverständnisse auftauchen oder die emotionale Dynamik aus dem Ruder läuft. Dann benötigt man den distanzierten Blick aus der Metaebene und die Fragen: „Was passiert hier eigentlich grade?“, „Wie konnte es dazu kommen?“, „Wer hat welchen Anteil?“

Holger:Wenn die Post zwischen uns abgeht, verliere ich oft den roten Faden. Dann weiß ich gar nicht mehr, worum es eigentlich geht.

Jens:Auf jeden Fall macht es keinen Sinn, das Gespräch weiterzuführen. Ich stehe dann neben mir und frage mich, was da eigentlich falschläuft.

Holger:In so einer Situation kriegen wir das nicht gelöst. Wir müssen erst mal auseinander und uns aus dem Weg gehen.

Jens:Ich finde das nicht immer gut, aber es geht nicht anders. Mit Abstand betrachtet wird mir klar, dass wir aneinander vorbeigeredet haben. Anscheinend wollte jeder nur seine Position durchsetzen, ohne zu verstehen, worum es dem andern geht.

Holger:Der Rückzug ist wichtig. Aus der Vogelperspektive betrachtet kommt es mir so vor, als würden zwei frustrierte Kinder darum kämpfen, wer mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Jens:Das ist wahr, aber auch hart. Ich wollte es nie wahrhaben, aber da treffen wohl zwei verletzte Seelen aufeinander, die schon als Kind kaum gesehen wurden.

Für jede Beziehung ist es wichtig, den Rahmen zu erweitern und genauer hinzuschauen, was eigentlich los ist. Entdeckt ein Paar, wie in diesem Beispiel Holger und Jens, dass alte Verletzungen in den Konflikt der Erwachsenen hineinspielen, kann man sich und den Partner mit anderen Augen betrachten.

Holger:Ich glaube, wir haben alle ein kleines Kind in uns. Wenn ich mir den kleinen Jens vorstelle, berührt mich das. Ich kann dann etwas gnädiger in unseren Konflikten sein.

Jens:Das vernachlässigte Kind in Holger zu sehen fällt mir nicht leicht. Aber es ist gut, darum zu wissen. Erst seitdem ich mich und den Hintergrund meiner emotionalen Reaktionen verstehe, kann ich Holgers Gefühle besser einordnen. Wir sehen jetzt klarer, wie oft sich da Gefühle von früher in unsere Beziehung einmischen.

 Reflexion

Was fällt mir auf, wenn ich wie ein Außerirdischer vom Mars mit einem Teleskop auf unsere Beziehung schaue?

Worüber würde ich mich wundern?

Was würde mir gefallen?

Mit Abstand auf unsere Beziehung zu blicken hilft dabei, mich und meinen Partner besser zu verstehen.

Zur Ruhe kommen

Nähe kann sehr intensiv werden und wie unter einem Brennglas Konflikte deutlicher hervortreten lassen. Das ist emotional belastend, wenn es noch keine konstruktive Gesprächskultur gibt, in der jeder in Ruhe über seine Gefühle sprechen kann. Muss man noch befürchten, dass der andere dies als unangemessen oder Angriff empfindet, findet keine Weiterentwicklung statt. Es ist dann auch nicht ratsam, sich zu öffnen. Die Gefahr, nicht verstanden oder verletzt zu werden, ist zu groß. Sich zu distanzieren und zu verschließen, und dadurch zu schützen, ist zunächst der bessere Weg.

Distanzzeit
gibt Raum für die emotionale Verarbeitung.

Dann ist der strategische Rückzug in die Distanz wertvoll, weil er eine Auszeit vom Beziehungsstress ermöglicht. In dieser Zeit beginnt das emotionale System, sich selbst zu regulieren. Man kommt zur Ruhe und denkt im Wortsinne „nach“ über das, was „vorher“ geschehen ist. Distanzzeit ist Zeit für die Selbstregulierung und „emotionale Verarbeitung“.

Piet:Ich bin ein typischer Nachbrenner. Bei mir fällt der Groschen langsam. Ich flüchte mich in Arbeit, zum Glück klappt das gut. Erst wenn ich abends allein im Bett liege, fängt es in mir an zu arbeiten.

Nora:Piet tickt da etwas anders als ich. Ich muss mich ablenken, eine Serie gucken oder einfach rumzappen, um zur Ruhe zu kommen. Konzentrieren kann ich mich erst danach wieder.

Piet:Mir tut die Distanz gut, einfach deswegen, weil kein neuer Beziehungsinput kommt. Der Arbeitsspeicher ist zu voll. Ich kann nichts mehr von dem aufnehmen, was Nora mir sagen will.

Nora:Ich merke das natürlich. Aber ich brauche den Abstand, um zur Ruhe zu kommen, weil mich Streit so aufwühlt. Ablenkung entspannt mich. Ich kann für eine Weile gut für mich allein sein. Wenn ich in Ruhe gelassen werde, fange ich an, mich zu entspannen.

 Reflexion

Was hilft mir, bei Beziehungsstress zur Ruhe zu kommen?

Was hilft mir, das Erlebte zu verarbeiten?

In welchen Momenten wird es mir zu intensiv oder zu nah?

Indem ich mich bewusst zurückziehe, kann ich zur Ruhe kommen, „verdauen“ und nachdenken.

Freiheit genießen und emotionalen Abstand gewinnen

Distanz schafft einen Freiraum. In diesem ist man sich selbst überlassen und kann tun und lassen, was man will. Man gewinnt emotionalen Abstand zur Resonanz des Partners und kann seinen Impulsen folgen, ohne Absprachen mit dem Partner treffen zu müssen. Es gibt nichts zu verhandeln. Keinen Streit darüber, welchen Film man im Kino sehen möchte. Die Fernbedienung für den Bildschirm gehört nur einem selbst. Es läuft ausschließlich die Musik, die einem gefällt. Kompromisse müssen nicht mühsam errungen werden. Das ist die Freiheit von etwas. Die Freiheit von der Notwendigkeit, sich mit dem Partner abzustimmen. Völlig losgelöst hat man die Freiheit zu etwas, nämlich genau das zu tun, wonach einem ist. Man ist Königin und König im eigenen Reich.

Mirko:Ich genieße meine Freiheit in Zeiten des Alleinseins. Es wird nicht kommentiert, was ich tue oder lasse. Wenn ich in der Nase bohren möchte, tue ich das einfach. In Sophies Gegenwart würde ich mich das nicht trauen.

Sophie:Das ist auch besser so. Ich finde das nämlich ekelig.

Mirko:Ich weiß! Deswegen ist es ja so schön, mich mal nicht kontrollieren zu müssen. Ich kann mich gehen lassen, ohne Beziehungsstress zu bekommen. Emotional bin ich dann tiefenentspannt.

Sophie:In einer Beziehung gelten eben andere Regeln. Aber wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen, fühle ich mich in meiner Wohnung auch freier. Dann gönne ich mir einen Schlampen-Tag und schminke mich nicht oder laufe im Schlafanzug herum. Oder lasse das Geschirr länger auf dem Küchentisch stehen.

Mirko:Das ist etwas, das ich nicht leiden kann. Gut, dass ich das dann nicht mitkriege.

Distanz bietet anscheinend die Gelegenheit, lieb gewonnene Gewohnheiten oder Unarten zu pflegen, die man in der Beziehung dem Partner zuliebe aufgegeben hat. Ein nicht zu unterschätzender Freiheitsgewinn (Abb. 1.7). Hat man ihn ausgekostet, fällt es leichter, sich wieder in die gemeinsame Beziehungskultur einzufinden und Rücksicht auf die Befindlichkeiten des anderen zu nehmen.

 Reflexion

Worauf habe ich wirklich Lust, wenn ich allein bin?

Kann ich mir diese Freiheit nehmen?

Was entlastet mich in der Freiheit der Distanz am meisten?

In meiner Beziehungsfreizeit kann ich mich selbst genießen.

Abbildung 1.7: Den eigenen Raum vertreten und schützen

1.3 Distanz als Selbstvergewisserung

So bin ich ohne dich!

Grenzen zu setzen, Nein zu sagen und Abstand zu nehmen eröffnet neue Spielräume. In der Distanz ergibt sich die Möglichkeit, zu sich selbst zu finden und wieder zu spüren, wer man eigentlich ist. In den vertrauten Rollen innerhalb einer Beziehung und der eigenen Familie kennt man sich und hat man einen festen Platz. Doch wer ist man unabhängig davon? Diese Frage mag unwichtig und banal erscheinen, doch für Partner, die sich selbst aus den Augen verloren haben, ist sie es nicht.

Ich bin müde vom Wir. Ich weiß gar nicht mehr, wer ich eigentlich alleine bin.

Petra bringt zum Ausdruck, was viele Paare kennen, die viel Zeit miteinander verbringen. Petra und Ilka sind seit 20 Jahren zusammen. Vor zehn Jahren haben sie geheiratet.

Tun, wonach mir ist!

Petra:Wir kreisen nur noch um uns als Paar. Ich weiß, wie Ilka tickt, und sie kennt mich in- und auswendig. Ich habe das Gefühl dafür verloren, was mich außerhalb der Beziehung eigentlich ausmacht. Wir haben uns gefunden und freuen uns darüber, hocken aber sehr viel zusammen.Wir haben viele Auseinandersetzungen hinter uns und es geschafft, für unsere unterschiedlichen Bedürfnisse Kompromisse zu finden. Ich erwische mich zunehmend bei dem Gedanken, nur noch zu tun, wonach mir ist. Ganz rücksichtslos und eigensinnig.

Michael hat mit seiner Frau eine Familie gegründet, die Kinder sind noch klein. Er sagt: Ich bin nur noch in der Rolle als Familienvater und kümmere mich um das Wohl der Kinder und meiner Frau. Okay, das macht meine Frau auch. Aber wir verbringen viel zu viel Zeit miteinander, es gibt nur noch die Familie. Wir spielen, was die Kinder spielen möchten, orientieren uns, das ist selbstverständlich, an deren Bedürfnissen. Wir funktionieren und machen den Eltern-Job gut. Manchmal frage ich mich allerdings, wer ich eigentlich außerhalb dieser Rollen bin. Wo kommen meine Bedürfnisse vor?

Die beiden sind nicht unglücklich in ihren Beziehungen, aber ihnen fehlt etwas, das augenscheinlich zu ihrer Identität gehört. Das Gespür für die eigene Persönlichkeit, ihre Eigenständigkeit, die Essenz ihres Wesens. Es scheint ihnen in der Routine des Beziehungsalltags abhandengekommen zu sein. Sie wissen, wie und wer sie in Bezug auf den Partner sind. Gleichzeitig bringen sie den Wunsch zum Ausdruck, sich selbst mehr Aufmerksamkeit zu widmen. So, als wollten sie sich vergewissern, wer sie sind und was sie jenseits des Familien- und Beziehungslebens ausmacht.

Es wird deutlich, dass dies ohne Distanzierung und zeitweises Allein- oder Mit-anderen-Sein nicht möglich ist. Welche Wege haben die beiden gefunden und welche Erfahrungen haben sie gemacht?

Es gibt mich – auch ohne sie!

Petra: