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Im vorliegenden Buch wird über die individuelle und ganz unorganisierte Reise eines Leipzigers in die beiden bulgarischen Gebirge Pirin und Rila berichtet, welche zwei Jahre vor dem "Fall der Mauer" stattfand. Anreise und Rückfahrt erfolgten über mehrere Tage mit der Eisenbahn. Das war in dieser Zeit bereits ganz ohne eine Einladung aus den betreffenden Ländern möglich und wurde von vielen DDR-Bürgern genutzt - mit dem Zug oder auch mit dem eigenen Auto. Für die Übernachtungen gaben es in diesen Gebirgen ausreichend vorhandene Berghütten. Das Buch ist mit einigen Schwarz-Weiß-Skizzen und bunten Pastell-Bildern des Autors illustriert.
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Vielleicht,
daß ich durch schwere Berge gehe
in harten Adern,
wie ein Erz allein;
und bin so tief,
daß ich kein Ende sehe
und keine Ferne:
alles wurde Nähe
und alle Nähe wurde Stein.
Rainer Maria Rilke
Titelbild auf dem Umschlag: Rilagebirge,
Gipfelgebiet oberhalb „Straschnoto Esero“ (S. →)
Vorbemerkungen
Abreise aus Leipzig über Dresden
Im Zug durch Ungarn und Rumänien
Im Zug durch Bulgarien nach Sofia
Ankunft im Pirin, Demjaniza
In der Mitte des Pirin, Besbog
Mosgowischka Porta, Tewno Esero
Jane Sandanski - im Wald ein Bär
Hütte Begowitza
Wieder Hütte Tewno Esero
Wichren-Hütte (über Goljam Tipiz)
Wichren, Kontscheto-Sattel
Zeltplatz am Wichren
Kontscheto Sattel, Schutzhütte
Schießplatz, Bansko
Im Zug nach Jakoruda, Martin
Im Rila, Grantschar
Ribni Esera
Hütte Straschnoto Esero
Hütte Maljowiza
Wieder Hütte Straschnoto Esero
Rilski Manastir, Sofia, Hotel Edelweiß
Sofia, Abreise aus Bulgarien
Im Zug, Budapest, Prag
Wieder in Leipzig
Anhang, Merkliste für Reise-Utensilien
Wanderung in Bulgarien durch die Gebirge Pirin und Rila vom 16.Juni bis 09.Juli 1987
Für die bevorstehende Reise hatte ich im Frühjahr 1987 an der Leipziger Volkshochschule einen Bulgarischkurs gebucht, um wenigstens eine knappe Einführung in diese Sprache zu bekommen. Unsere Sprachlehrerin war selber Bulgarin und machte das alles recht gut. Vor allem die Aussprache übte sie mit uns und die einfachsten Fragen - Bulgarisch für Touristen. Doch auf meine Frage was „Klek“ sei, wußte auch sie keine Antwort. Sie meinte, das wäre irgendetwas Touristisches, irgendwas aus den Bergen - aber was? Dieses Wort hatte ich nämlich in meiner bulgarischen Bulgarienkarte gefunden. Nach dieser Karte war das halbe Pirin-Gebirge voll mit „Klek“! Was aber ist „Klek“?
Auch über die bulgarische Geschichte hatte ich mich belesen. Bulgarien soll im frühen Mittelalter einmal ein eigenes Großreich gewesen sein, bevor es dann für Jahrhunderte von den Türken beherrscht wurde. Der Name „Bulgarien“ kommt aber ebenfalls aus einer Turksprache, weil eben dieses einstige Großreich von einer „bulgarischen“ Herrscherminderheit („Balkaren“, Kaukasus?) errichtet wurde. Diese aber bedienten sich dann auch der slawischen Sprache ihrer Umgebung.
Der bulgarische Nationalschriftsteller Iwan Mintschew Wasow (1850 - 1921) verfaßte lesenswerte Reiseberichte über die bulgarischen Gebirge, von denen ich mir einige in der Bücherei ausgeliehen und durchgelesen hatte.
Die Bulgaren schreiben wie die Russen kyrillisch. Ihr Vokabelschatz scheint dem Russischen fast gleich zu sein. Doch gerade die häufig gebrauchten Wörter und Wendungen sind ganz anders. Ein Russischsprecher hätte damit also seine Schwierigkeiten.
Zuvor war Freund Reinhold auch schon einmal in Bulgarien gewesen - um einen eventuellen „Übertritt“ in den Westen auszukundschaften. Er fand aber keinen, machte dafür jedoch Bekanntschaft mit der bulgarischen Polizei. Die aber ließ ihn gnädig wieder ziehen.
Schaut man auf die Landkarte, erkennt man südlich von Sofia drei Gebirge: Witoscha, Rila, Pirin. Dort will ich hin. Danach folgt Griechenland mit dem Olymp. Das aber geht nicht. Denn wir schreiben noch das Jahr 1987. Und „eine Wende“ in der damals noch ziemlich eingemauerten DDR vermochte auch zu dieser bereits vorgerückten Zeit noch keiner vorauszusehen.
Doch es gab schon eine gewisse „Reisefreiheit“. Für die „sozialistischen Bruderländer“ von Polen bis ans Schwarze Meer brauchte man sich nur ein Schreiben bei der örtlichen Polizeibehörde zu beschaffen und bekam dann die Erlaubnis, für 30 Tage dorthin zu fahren, wohin man wollte - vorausgesetzt, es betraf die oben genannten Länder. Für das größte Brudervolk der DDR, die große Sowjetunion (SU), ging das so einfach jedoch nicht. Viele hatten es trotzdem geschafft, auch dort ganz individuell herumzureisen - wir ebenfalls.
Mittags 12:23 Uhr Leipzig Hauptbahnhof, Abfahrt nach Sofia, Bulgarien. Beatrix und Angela begleiten mich zum Bahnhof - Kurswagen über Dresden direkt nach Sofia. Fahrpreis insgesamt hin und zurück 279,80 Mark der DDR, dazu zweimal Liegewagenplatzkarte je 20,40 Mark, Liegewagen, normaler Waggon zweiter Klasse. Dieser Leipziger Zug selber (der „Trakia“) geht nach Varna ans Schwarze Meer. Nur ein „Kurswagen“ wird in Dresden dann mit einem anderen Zug weiter nach Sofia geführt. Dieser Waggon jedoch ist von innen mit einem Vorhängeschloß abgeschlossen. Ich muß anderswo einsteigen.
Verabschiedung auf dem Bahnsteig - und ab geht es in die Ferne. Jetzt versuche ich, mich um den Kurswagen zu kümmern, denn ich will schließlich nicht nach Varna. Das jedoch ergibt nun bis Dresden einige mir unbegreifliche Merkwürdigkeiten.
Der Zugschaffner, den ich deshalb schon mehrfach fragte, kommt schließlich zu mir ins Abteil und erklärt, der bulgarische Liegewagenschaffner wäre nicht erschienen, habe es vielleicht verschlafen oder hätte die Uhr vergessen umzustellen. Dieser Waggon werde „darum“ in Dresden abgehängt und fährt nicht nach Sofia. Dieser Schaffner empfiehlt mir dann auch noch, im „Trakia“ einen Liegewagenplatz zu nehmen, also meine Fahrkarte von ihm entsprechend umschreiben zu lassen.
Weil ich keine Erfahrung mit diesen Zügen habe, begebe ich mich erst noch zur speziellen deutschen Liegewagenschaffnerin einige Waggons weiter vorn und frage auch die noch nach der Sachlage. Sie erklärt mir, sie fahre diese Strecke zum ersten Mal und wisse daher über die Zuganschlüsse in Bulgarien nicht Bescheid, der andere Schlafwagenschaffner einen Waggon weiter habe jedoch ein internationales Kursbuch.
Also begebe ich mich nun auch noch zu diesem Schaffner - ebenfalls einem Deutschen. Auch dieser legt mir wieder dringend nahe, bei ihm einen Platz zu nehmen. Der Zug, der dann aus Berlin nach Dresden komme (der „Panonia“), der den Kurswagen aus Leipzig nach Sofia mitnehmen soll, sei sehr voll, bei ihnen jedoch würde ich noch einen Platz bekommen. Die weiteren Zugverbindungen in Bulgarien wolle er mir dann morgen geben. Wie das Umhängen in Dresden vor sich geht, wissen beide Schaffner nicht. Die Liegewagenschaffnerin ist der Ansicht, der Zug aus Berlin würde gar nicht erst warten, weil er telegrafisch erfährt, daß der bulgarische Liegewagenschaffner nicht anwesend sei. Der Schlafwagenschaffner wiederum erklärt mir (auf eine weitere Befragung hin), der Panonia aus Berlin würde später erst eintreffen, weil es eine Fahrplanänderung gegeben habe.
Weil ich da nun überhaupt nicht mehr durchblicke, was hier jetzt eigentlich abläuft, lasse ich meine Fahrkarte umschreiben und begebe mich in das mir zugewiesene Abteil des Trakia nach Varna. Trotzdem besuche ich auch dort noch einmal den Schaffner und versuche Klarheit zu erlangen. Zuletzt, als der Zug dann in Dresden gehalten hat, frage ich ihn, ob sich die Lage jetzt geklärt habe. Dort nämlich sehe ich jetzt eine Menge Reisende mit Kraxen und Koffern auf einem anderen Bahnsteig stehen, höre aber, daß die alle nach Varna wollen und wundere mich, wieso unser Zug dann nicht auf jenem Bahnsteig hält. Der deutsche Schlafwagenschaffner erklärt mir dann auch noch (ziemlich großkotzig, wie ich finde): Ich hätte doch schließlich „Urlaub“, und da wäre es doch egal, wohin ich fahre, ob nach Varna oder nach Sofia. Varna sei auch sehr schön. Dort könnte ich ein paar Tage bleiben und dann weiter (durch ganz Bulgarien) nach Sofia reisen. Das hatte zweifellos seine zwingende Logik. Der Kurswagen bleibe jedenfalls in Dresden stehen, basta! Mehr ist vorerst nicht zu erfahren. Ich frage mich allerdings, ob sich neuerdings die deutsche Reichsbahn der DDR an der Organisation meiner Riesen beteiligt.
Danach beginnt eine Rangiererei. Die beiden Waggons, der Kurswagen für Sofia und vermutlich ein Postwaggon, werden tatsächlich abgekoppelt und auf ein anderes Gleis geschoben. Der übrige Zug fährt danach auf das Gleis, wo die Leute alle warten. Da wundere ich mich dann aber schon, daß ich nun in dem zweiten abgehängten Wagen nach Sofia Leute sitzen sehe. Dann sehe ich aus dem abgehängten Kurswagen auf dem anderen Gleis auch noch den bulgarischen Schlafwagenschaffner aus dem Fenster gucken und gemütlich eine Zigarette rauchen.
Als ich darauf hin wieder die deutsche Liegewagenschaffnerin im „Trakia“ aufsuche, will diese mir einfach nicht glauben, daß der bulgarische Schlafwagenschaffner da sei. Darum begebe ich mich hinaus auf den Bahnsteig, um einen dort herum laufenden deutschen Schaffner zu fragen. Der jedoch tut so, als wäre ich ein bißchen blöde und meint nur, dieser Zug fahre nicht nach Sofia, sondern nach Varna. Nach Sofia fahre der „Panonia“, der aus Berlin kommt – aus!
Mehr erfahre ich von diesem Herrn nicht.
Also steige ich wieder in den „Trakia“ und verhandele dort erneut mit dem Personal. Jetzt kommt mir die deutsche Liegewagenschaffnerin pampig und plärrt mich richtig an, ob ich denn nicht wüßte, was ich wolle. Jetzt wäre auch nichts mehr zu ändern, basta! Im Übrigen sei sie nach wie vor der Ansicht, daß der bulgarische Liegewagen in Dresden bleibt. Unterdessen ist auch die Abfahrtszeit für den „Trakia“ aus Dresden bereits überschritten. Er müßte in jedem Augenblick abfahren.
Ich versuche trotzdem auch weiterhin, meine Liegewagenkarte zurückzubekommen und rede energischer auf diese Frau ein. Sie aber kommt mir immer pampiger. Dann hängt sich auch der deutsche Schlafwagenschaffner noch mit in die Sache rein. Doch es nützt nichts. Schließlich lassen sie mich einfach stehen und unterhalten sich untereinander über banalen Kram. Auch ein weiterer Versuch, den Zettel zu erhalten, schlägt bei ihnen wiederum fehl. Man würde sie sonst nämlich des Betruges bezichtigen, erfahre ich noch, weil sie alles schon eingetragen hätten. Doch unterdessen erscheint es mir, als ob sie tatsächlich nur dummes Zeug reden, mich irgendwie hinhalten oder einfach für dumm verkaufen wollen. Ich werde unschlüssig. Ich möchte es nicht ganz mit ihnen verderben, weil ich immerhin noch zwei Tage von diesen Typen abhängig sein werde. So stehe ich also einigermaßen unschlüssig herum. Mit dieser Schwierigkeit gleich am Anfang der Reise hatte ich nicht gerechnet.
Doch dann plärrt mich - kurz vor Abfahrt des Zuges - die deutsche Liegewagenschaffnerin wieder an (ganz von sich aus übrigens): Was ich nun eigentlich wolle, will sie auf einmal von mir wissen, und ob ich nun das alte Billett wieder haben möchte oder nicht? Ich frage nicht mehr, sondern schnappe mein Gepäck, stürze damit vor, reiße ihr den Zettel aus der Hand und steige aus. Der Zug rollt an und fährt ab und entschwindet schließlich meinen Blicken.
Ich aber stehe mit meinen paar Sachen einsam und verlassen auf dem Bahnsteig in Dresden - Zug weg!
Weiter hinten auf dem anderen Gleis sind immer noch die beiden Kurswagen zu sehen, die von Leipzig aus bis hierher mitgekommen waren. Ich begebe mich zur Unterführung, steige hinunter, steige wieder hinauf und laufe nach hinten zu den Waggons. Dort lege ich dem bulgarischen Liegewagenschaffner die geänderte Liegewagenkarte vor. Er akzeptiert sie. Im ganzen Waggon bin ich sein einziger Gast aus Deutschland. Meine Reise in die höchsten bulgarischen Gebirge kann beginnen.
Doch wozu zuvor dieses absurde Theater? Was in den Köpfen dieser deutschen Heinis vorgegangen sein mag, bleibt mir ein Rätsel - übliche Dusseligkeit, Unwissenheit, eine dämliche kleine Gaunerei, Haß auf ihren bulgarischen Kollegen oder eine geheime Anweisung der deutschen Reichsbahn (mit Stasiunterstützung?), möglichst keine Deutschen in den bulgarischen Waggon zu lassen („laßt euch da mal etwas einfallen, Genossen!“)? Doch warum das alles, wofür und wozu? War das alles geballte Inkompetenz oder listiges Kalkül? Eine Antwort auf diese Fragen habe ich nie erfahren. Jedenfalls sind diese Liegewagenschaffner ein sehr eigenes Völkchen, vielleicht auch mit ganz eigenen, ungeschriebenen Gesetzen? Ich habe es versäumt, den bulgarischen Schaffner danach zu befragen. Vielleicht war der ja erst in Dresden zugestiegen? Das alles interessierte mich jetzt im Moment aber nicht mehr. Denn der „Panonia“ aus Berlin rollt ein, hängt unsere zwei Wagen an. Und auf einmal erscheint alles wieder ganz einfach und trivial.
In Bad Schandau kommt der Zoll und will meine paar Lewa sehen. Statt der 183 Lewa, die ich bei mir habe, zählt dieser Beamte immer wieder 193 Lewa. Erst beim dritten Mal Zählen bequemt er sich, einzusehen, daß es tatsächlich nur 183 Lewa sind, wie ich auf dem Formular angegeben habe. Sollte dieser Typ unbedingt „was finden“, gehörte auch das zu einem mir unbekannten Kalkül?
Dann passiere ich zum zweiten Mal in meinem Leben im Elbsandsteingebirge die Grenze zur CSSR. Bei Usti nad Labem kann ich den Schneckenstein betrachten - bekannt von dem Gemälde Ludwig Richters. Er enttäuscht mich einigermaßen. Auf Richters Bildern und Skizzen sieht er gewaltig und dominant aus. Hier versteckt er sich klein und bescheiden unter hohen Gebirgszügen.
Direkt zu seinen Füßen befindet sich obendrein ein nicht sonderlich romantisches Elbewehr. Der Wasserstand ist hoch, die Farbe des Flusses ist tiefbraun. Diese Farbe kommt ersichtlich aus einem Nebenfluß in die Elbe hinein.
Und dann fahren und fahren und fahren und rollen und rollen. Es ist gemütlich, so auf der Liege zu liegen im Liegewagen. Hier vergeht jetzt nicht nur die Zeit Stunde für Stunde, auch draußen vor den Zugfenstern schiebt sich das Land unablässig an mir vorbei - Kilometer um Kilometer - „Weg und Zeit“ also, wie wir das einst in der Schule gelernt hatten.
21:45 Uhr, es wird dunkel. Der Ort Zvetla-Zastavka ist erreicht. Bei Havlickuv Brod gehe ich schlafen.
3:50 Uhr Paßkontrolle bei einem Bahnhof, der Sturnowo oder Sturowo heißt. Es geht hinein nach Ungarn. Aus dem Abteilfenster ist die Donau zu erkennen. Später dann längerer Halt in Budepest Nyugati. Die Lok befindet sich jetzt am anderen Ende des Zuges.
7:45 Uhr, ungarische Paßkontrolle (Czukor) Mesötur. Der Himmel ist bedeckt.
9:30 Uhr, Rumänien ist erreicht, langer Halt auf dem Bahnhof Curtici. Hier befinden wir uns nun tatsächlich in einer anderen Welt, wie es ganz den Anschein hat, offenbar auch „ideologisch“ anders - Ceauşescus kommunistische Bananenrepublik. Und hier findet nun eine sehr eingehende Zugkontrolle statt. Kein blinder Verschlag bleibt ungeöffnet, denn offenbar könnten überall Konterbande stecken - so aus sozialistischem Bruderland ins sozialistische Bruderland. Dem Abteil gegenüber auf dem Bahnsteig lungern einige fette Zivilisten bei einem Zoll-Raum, in dem ein Haufen Waren malerisch unordentlich herum liegen - Zigarettenstangen und viele bunte Dinge, die ich nicht näher zu bestimmen vermag. Viel Militär (meist schlanke, drahtige Männer) ist auch unterwegs. Einzeln Gruppen ziehen mit Leitern und Lampen durch den Zug, inspizieren Verschläge, durchsuchen Abteile, tragen schwere Taschen durch die Gänge. Mein Gepäck, die Kraxe und der grüne Beutel, werden nicht durchsucht.
11 Uhr, Arad ist erreicht. Im Zug ist ein starkes Begängnis im Gange. Etliche Rumänen klappern die Abteile ab, wollen Zigaretten oder Geld tauschen. Ich habe die Abteiltür von innen verriegelt. Ebenso wird auf der anderen Seite vor dem Fenster gerufen. Kinder springen über die Gleise und klettern über die Puffer benachbarter Züge. Später, mit weiterer Fahrt ins Landesinnere, gibt sich diese auffällige Geschäftigkeit. Dafür ist jetzt viel Stacheldraht zu sehen, welcher Häuser und Gärten umgibt. Fabriken werden von Wachtürmen bewacht wie bei uns die Russenlager - und überall Soldaten.
16:40 Uhr, ein weitläufiges Gebirgspanorama tut sich auf: Carpati-Brasov. Eine zweite Lokomotive wird vor den langen Zug gespannt, denn nun geht es aufwärts auf den Paß hinauf und hinüber über die südlichen Karpaten. Azuge, Busteni - hohe, schroffe Gipfel werden sichtbar. Und es ist kühl geworden. Auf einem dieser Gipfel steht ein riesiges Kreuz als Metallkonstruktion. Danach geht es wieder abwärts in die Ebene - Walachei.
20:45 Uhr, wieder wird die Fahrtrichtung geändert. Der Zug verläßt Bucuresti (Bukarest). Schlagartig ist es dunkel geworden. Von der rumänischen Hauptstadt sehe ich nichts, nur ein paar Straßenbahnen hinter einer Mauer.
0:00 Uhr, Mitternacht, Grenzkontrolle in Russe, Bulgarien ist erreicht. 6:00 Uhr, Mesdra, jetzt ist es hell geworden. Der Zug rollt durch ein malerisches, enges Gebirgstal - Balkan.
Ich blicke aus dem Fenster und schaue zu, wie sich vor mir die vielen Wagen des langen Zuges durch die Kurven schlängeln - ein imposanter Anblick. Das Tal weitet sich schließlich, macht einer Ebene Platz, wo ein Stück voraus Sofia liegen muß. Aus dem Dunst der Ferne erhebt sich über dem flachen Land wie eine blasse Wolke das Witoscha-Gebirge. Ich bin angekommen - allein im Ausland, fern im Süden hinter dem Balkangebirge.
Sofia ist erreicht, Hauptstadt Bulgariens, „Zentralna Gara“, Hauptbahnhof. Ich steige aus und stehe wieder ganz allein auf dem Bahnsteig, befangen von einer gewissen Ratlosigkeit.
Was nun? Wie weiter?
Es war noch früh am Morgen, und ich habe Zeit, mich in der Stadt nach Bussen noch weiter nach Süden in die Berge zu erkundigen. Erst einmal suche ich die Bahnhofshalle, schaue mich um, versuche, mich mit den zehn Worten Bulgarisch, die ich vorsichtshalber gelernt habe, zu erkundigen. Hier und da spricht jemand etwas Deutsch. Eine brauchbare Auskunft bekomme ich nicht. Aber bereits hier kann ich einen Stadtplan von Sofia kaufen sowie Fahrkarten für die Straßenbahn.
In einem Winkel entdecke ich ein Hinweisschild auf Deutsch, daß es die Liegewagenkarten für die Rückfahrt nicht auf dem Bahnhof, sondern im Reisebüro „Rila“ in der Gurkostraße gibt. Diese ist damit mein nächstes Ziel - aber nicht leicht zu finden. Die Verständigung bleibt schwierig. Doch ich finde immer wieder freundliche Leute. Im Stadtplan ist diese Gurkowstraße auch keineswegs unter „Gurkow“ zu finden, sondern vielmehr bei: „Gen. Gurko Josif W.“ Auf dem Reisebüro geht dafür auch gleich alles klar. Ich zahle noch fünfzig Stotinki und habe einen Liegewagenplatz für die Rückfahrt.
Danach kaufe ich Ansichtskarten und bekomme sogar noch eine Wanderkarte vom Rila-Gebirge. Ich finde auch eine Post und schreibe Karten nach zu Hause (8 Stotinki) und sogar nach Georgien mit Luftpost (20 Stotinki). Die Georgier im fernen Tiflis sollen wissen, daß wir nicht auf ihren Kaukasus angewiesen sind, mit dem sie so zach waren.
Dann suche ich nach der Straßenbahnlinie, die zum Autobusbahnhof „Sapad“ fährt, und begebe mich dorthin. Auf dem Autobusbahnhof kaufe ich eine Busfahrkarte bis Bansko, 7,20 Lewa. Doch der Bus fährt erst 14:54 Uhr. Ich habe also noch Zeit. Der Himmel ist blau, kaum Wolken. Und es ist warm. Ich habe jetzt den Eindruck, Sofia sei eine schöne Stadt - sauber und gepflegt.
An einem Kiosk kaufe ich mir für 30 Stotinki 200 ml eines Apfelgetränkes des Namens „Jablki“. Ich schreibe noch ein paar Ansichtskarten und suche einen Briefkasten. Es dauert lange, bis ich endlich herausgefunden habe, daß hier die Briefkästen in den Straßenbahnwagen hängen. Vorn an der ersten Tür befindet sich jeweils ein Schlitz für die Post.
Meine Bushaltestellte liegt in einem Park. Schüler in Schulkleidung spazieren darin herum. An der Haltestelle warten Leute. Der Bus kommt pünktlich. Es sind zwei Busse. Meine Karte gilt für den zweiten Bus. Die Karten sind mit den Sitzplatznummern nummeriert. Ich steige ein - und los geht es bis zum Ort Bansko, nördlich zwischen Pirin-Gebirge und Rila gelegen.
Beide Gebirge konnte ich aus dem Bus heraus betrachten - mächtige Bergmassen, die sich da aus dem flachen Land emporhoben und vor denen Sommerwolken schwebten, welche von den fernen Gipfeln überragt wurden.
Die Straße führt zunächst auf eine Anhöhe hinauf, und die Landschaft ringsum wird etwas trockener, „arider“. Zur Linken „am Himmel“ ist schon das Rilagebirge zu erkennen.
Im Dunst liegt es weiß und mächtig da, wie ein riesiger, breit gelaufener Pfannkuchen. Und dahinter erscheinen auch schon bald die Berge des Pirin wie eine spitze Pyramide. Dort oben ist alles weiß. Dort werde ich wandern.