Bürgermeisterin werden - Fahrplan ins Amt - Hanne Weisensee - E-Book

Bürgermeisterin werden - Fahrplan ins Amt E-Book

Hanne Weisensee

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Beschreibung

Was will der "Fahrplan"? Das Buch ermutigt und unterstützt Frauen dabei, "Ja" zu sagen zur Kandidatur für das Bürgermeisteramt. Es bietet eine solide Klärungshilfe für die Entscheidungsphase und beleuchtet zentrale Aspekte, Fallstricke und Chancen für Frauen im Wahlkampf und im ersten Jahr im Amt. Was steckt drin? Der Leitfaden bietet einen Mix aus bewährten Coachingmethoden, Strategien und Praxistipps sowie Hintergrundinformationen aus Wissenschaft, Medien und politischer Debatte. So können potenzielle Kandidatinnen die Herausforderungen Schritt für Schritt angehen und sich einen individuellen Fahrplan ins Amt zusammenstellen. Die drei zentralen Themen sind: Kandidatur: Den entscheidenden Schritt wagen Wahlkampf: Die optimale Vorbereitung – der eigene Masterplan Neu im Amt: Das erste Jahr Was ist besonders? Die spezifischen Fragestellungen, die Frauen auf dem Weg zum Bürgermeisteramt umtreiben, werden offengelegt und beantwortet: Wie komme ich zu einer tragfähigen Entscheidung? Wie setze ich die Kandidatur als Frau strategisch und für mich maßgeschneidert um? Wie gehe ich als Führungskraft souverän die ersten Schritte im neuen Amt an und wie positioniere ich mich als Rathauschefin? 17 aktive und ehemalige Amtsinhaberinnen teilen ihren Erfahrungsschatz in lebensnahen Interviews mit den Leserinnen und Lesern. Frauen in kommunalen Spitzenämtern werden als Vorbilder sichtbar. Wer steckt dahinter? Die Autorin Dr. Hanne Weisensee ist eine profilierte Kennerin der kommunalen wie der bundespolitischen Praxis. Ihre Fachkompetenz in Politik und Verwaltung mit dem besonderen Fokus auf Frauen in Führungspositionen fließt genauso in das Buch ein wie ihre Erfahrungen als Politikwissenschaftlerin, Beraterin und Coach.

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Bürgermeisterin werden – Fahrplan ins Amt

Praxistipps und Coachingtools

Dr. Hanne Weisensee

Politikcoach

Mit freundlicher Unterstützung des Bayerischen Gemeindetags des Bayerischen Städtetags und des Städtetags Baden-Württemberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Print ISBN 978-3-415-06536-9 E-ISBN 978-3-415-06541-3

© 2019 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © ra2 studio – stock.adobe.com

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresdenwww.boorberg.de

Dank

An allererster Stelle gilt mein herzlicher Dank den siebzehn kommunalen Spitzenfrauen, die mit ihren Interviewbeiträgen das Buch mit Leben gefüllt haben. Dass sie ihren Erfahrungsschatz bereitwillig öffnen und damit als Vorbilder sichtbar werden, macht Freude und Mut! Ohne ihre Beiträge wäre das Buch so nicht möglich gewesen.

Außerdem danke ich von Herzen Ulla Zumhasch und Detlef Raphael, die mit mir schon viele Jahre an dem Thema arbeiten und das Buchprojekt kontinuierlich mit Rat und Tat begleitet haben. Auch ohne meine Ko-Korrektor*innen aus Familie und Freundeskreis gäbe es das Buch in dieser Form nicht. Das kritisch-konstruktive Feedback von Julia Mühling-Linz und Doris Lüken-Klaßen hat den letzten Schliff ermöglicht. Durch beständige geduldige Diskussion, Ermutigung und Unterstützung hat mein Mann Sascha Götz dazu beigetragen, dass aus der ersten Idee dieses Buch wurde.

Danken möchte ich Christine Class, meiner Lektorin beim Richard Boorberg Verlag, die mit professioneller Geduld und Beratung das Buch zum Abschluss gebracht hat. Gewidmet ist das Buch meinen Eltern Inge und Klaus Weisensee, die durch ihr kommunalpolitisches Wirken in Haupt- und Ehrenamt schon früh meine Faszination für Kommunalpolitik geweckt und ebenfalls mit Rat und (Korrektur)Tat das Buchprojekt unterstützt haben.

Dr. Hanne Weisensee

Die Autorin

Frau Dr. Hanne Weisensee ist selbständig tätig als Coach in Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Ein Augenmerk gilt der Förderung von Frauen in Spitzenfunktionen. Promoviert in Politischer Wissenschaft und ausgebildet als systemischer Coach und in Organisationsberatung, liegen ihre Schwerpunkte in den Bereichen Führung, Karrieregestaltung, Mentoring, Strategieberatung und Teamcoaching. Sie lebt und arbeitet in Bamberg und Berlin.

Dr. Hanne WeisenseeWeisenseePolitikcoach Bamberg & BerlinKontakt: [email protected]

Grußwort

Das Amt der Bürgermeisterin und des Bürgermeisters bietet vielfältige Möglichkeiten, das Leben in einer Kommune politisch aktiv mitzugestalten und im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern Dinge zu bewegen, die die Lebens- und Aufenthaltsqualität fördern. Als von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte oberste Vertretung der Kommune sind sie die wichtigste direkt legitimierte Führungspersönlichkeit mit weitreichenden politisch-administrativen Kompetenzen.

Woran aber liegt es, dass Frauen in diesem attraktiven und herausfordernden höchsten kommunalen Spitzenamt so unterrepräsentiert sind und nach jüngsten Erhebungen der Frauenanteil immer noch nur rund zehn Prozent beträgt?

Bereits 2008 haben die Bertelsmann Stiftung, der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes das Bürgermeisteramt näher untersucht und herausgefunden, dass die meisten Amtsinhaberinnen und -inhaber mit ihrem Beruf sehr zufrieden sind und die Gestaltungsmöglichkeiten mit allen Verpflichtungen gegenüber Stadt und Bürgerinnen und Bürgern sehr hoch geschätzt werden. Gleichzeitig klagt die Mehrheit der Frauen und auch Männer über eine schlechte Vereinbarkeit mit dem Familienleben und auch die zunehmende Öffentlichkeit des eigenen Privatlebens.

Die Entscheidung, erstmalig für das Amt der Bürgermeisterin und des Bürgermeisters zu kandidieren, ist ein schwieriger Abwägungsprozess zwischen Freude an der kommunalpolitischen Gestaltung und den Zweifeln, ob die zeitlich enge Taktung von dienstlichen und öffentlichen Terminen mit dem Familienleben verträglich und einigermaßen harmonisch vereinbart werden kann. Frauen zögern hier wesentlich häufiger als Männer, den ersten Schritt zu einer Kandidatur zu wagen.

Das Buch „Bürgermeisterin werden – Fahrplan ins Amt“ kann dazu beitragen, mehr Frauen die Entscheidung zur Kandidatur und die ersten Schritte ins Amt zu erleichtern, Berührungsängste zu nehmen und Ermutigung zu geben, den Schritt an die Spitze der Kommunalpolitik zu wagen und damit auch anderen Frauen Mut zu machen, sich kommunalpolitisch zu engagieren. Gute Vorbilder sind in jedem Fall wichtig, um auch in Zukunft für den politischen Nachwuchs eine Orientierung zu bieten.

Ich persönlich habe die Arbeit als Oberbürgermeisterin in einem umfassenden Verständnis als überaus sinnstiftend empfunden. Sie hat mich stets mit vielen verschiedenen Menschen in der Stadt und der Region verbunden. Zur Bürgermeisterin gewählt zu werden, bringt natürlich viele Herausforderungen und Verpflichtungen und ein großes Maß an Verantwortung mit sich. Es bedeutet für mich aber auch große Freude über die Möglichkeiten, Dinge zu bewegen.

Ich wünsche daher allen zukünftigen Bürgermeisterinnen – und natürlich auch Bürgermeistern – viel Mut, Freude und Erfolg bei der Ausübung dieses schönen Berufes!

Barbara Bosch

Präsidentin des DRK-Landesverbandes Baden-WürttembergOberbürgermeisterin a. D. der Stadt Reutlingen und ehemalsErste Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Städtetages

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

schön, dass Sie das Buch zur Hand genommen haben und darin blättern!

Vielleicht überlegen Sie, ob in diesem Buch etwas Verwertbares für Sie steht. Oder Sie engagieren sich ehrenamtlich und denken über eine Kandidatur für den Gemeinde- oder Stadtrat nach. Sie tragen sich mit dem Gedanken, hauptamtlich Politik zu machen – als Bürgermeisterin, Landrätin, Dezernentin oder auch als Abgeordnete in Land- oder Bundestag? Es reizt Sie, Macht zu gestalten und Gestaltungsmacht zu nutzen? Oder Sie sind einfach nur gespannt, was sich hinter dem Handbuch verbirgt. Dann herzlich willkommen!

Das Handbuch ist ein „Fahrplan“ für Frauen, die darüber nachdenken, eine (kommunal)politische Spitzenfunktion anzustreben. Hier können Sie stöbern, reflektieren und lernen, wie Sie Bürgermeisterin werden – oder eine der anderen Spitzenfunktionen erringen und gestalten. Sie können sich einen kompletten Fahrplan bauen von der Entscheidungsfindung bis zum ersten Jahr im Amt oder auch nur einzelne Ideen, Methoden und Erfahrungen nutzen. Sie können das für sich alleine tun oder im Kreise Ihrer Vertrauten, Ihres Unterstützerteams oder mit Ihrem Coach. Verwenden Sie das Buch als Ideenpool, Werkzeugkasten oder Anleitung, je nach Bedarf und Geschmack.

Ich freue mich, Sie auf Ihrer Abenteuerreise ins Amt zu begleiten und hoffe, dass für jede (und jeden) von Ihnen ein passender Tipp, ein neuer Impuls oder eine Bestätigung Ihres bisherigen Vorgehens enthalten ist.

Viel Vergnügen!

Dr. Hanne Weisensee

Februar 2019

Inhalt

Eine Einleitung – zur Idee dieses Buches

Kurzprofil der Interviewpartnerinnen

Interview mit Gudrun Heute-Bluhm

Kapitel 1 Kandidatur: Hürden, Reiz und KlärungshilfenÜberlegen Frauen zu lange und Männer greifen einfach zu?

1. In der Zwickmühle – der Klärungsprozess

Der Reiz des Amtes

Die Hürden

2. Entscheidungshilfen – Tipps aus der Praxis

Das können Frauen selbst tun

Das muss die politische Ebene leisten

Das geht alle an!

3. Aus den Kulissen auf die Bühne – Positionierung und Profilbildung

Profilbildung

Hürdenlauf

Der Politik-Kompass

Politik-Kompetenz

„Erwartungsdschungel“ in der Kommunalpolitik

4. Führungswille und Machtanspruch – Die Rolle als Kandidatin

Interview mit der Sprecherin der ARGE „Frauen führen Kommunen“ beim Bayerischen Gemeindetag und ihrer Stellvertreterin

Kapitel 2 Wahlkampf: Tipps und Tricks und Stolpersteine — Werden Frauen trotz gleicher Drehbücher vonderÖffentlichkeit anders bewertet?Werden Frauen trotz gleicher Drehbücher von der Öffentlichkeit anders bewertet?

1. Ausnahmezustand Wahlkampf – Augen zu und durch?

2. Klarer Kompass, klare Linie – Konzeption und Drehbuch

Positionierung

Masterplaner

3. Die Scheinwerfer gehen an

Professionell mit Medien und Öffentlichkeit umgehen

Erfolgreich Wahlkampf machen – eine Checkliste

Kapitel 3 Neu im Amt: Zwischen Gestaltungsmacht und Machtgestaltung — Führen Frauen anders? Wie positionieren und behaupten sie sich?Führen Frauen anders? Wie positionieren und behaupten sie sich?

1. Der erfolgreiche Start ins Amt

Der Wahltag

Auftakt und Vorbereitung

Erster Tag im Amt

Die ersten Wochen im Amt

100-Tage-Bilanz

2. Das erste Jahr als Rathaus-Chefin

Phase 1: Orientierung und Bestandsaufnahme

Phase 2: Strukturierung und Analyse

Phase 3 und 4: Veränderungen initiieren und umsetzen

3. Das erste Jahr als Kommunal-Managerin

Veränderungskompetenz

Die 5 Schritte im Veränderungsprozess – Eine Gesamtstrategie

4. Der Rollenwechsel – Von der Kandidatin zur Bürgermeisterin

Positionierung zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft

Transparenz, Kommunikation und Beteiligung – Führungsprinzipien für das 21. Jahrhundert

5. Macht, Prestige und Durchsetzungskraft – Neue alte Tabus?

Kategorien der Macht

Frauen und Machtverhalten

Frauen und Statusverhalten

Das eigene Verhältnis zur Macht

Kapitel 4 Bilanz und Ausblick: Mehr Frauen in die Rathäuser!

Exkurs: Wie sieht sie nun aus, die ideale Bürgermeisterin?

Bürgermeisterin sein – Herausforderungen für die Zukunft

Eine Einleitung – zur Idee dieses Buches

In diesem Buch verschränken sich drei Themen, die mich seit vielen Jahren begleiten und beschäftigen. Die mich faszinieren, motivieren, irritieren und auch verärgern. Manchmal machen sie mich ratlos, manchmal spornen sie mich zu neuen Ideen, Konzepten und Angeboten an. Es geht um Politik. Es geht um Frauen und Macht. Und es geht um Coaching und das, was damit in Bewegung gesetzt werden kann. Was daran treibt mich um? Vielleicht genau dasselbe wie Sie auch.

Die Mischung macht’s – nur nicht in den Kommunen

So nah man auf der kommunalen Ebene an den Menschen und ihren Anliegen dran ist, so wenige weibliche Führungskräfte gibt es in den kommunalen Spitzenfunktionen. Gerade dort, wo die Lebensumstände konkret gestaltet werden, zögern Frauen, die Verantwortung in der ersten Reihe zu übernehmen und das Gesicht für die Gestaltung zu sein: Es gibt in Deutschland ca. 5 Prozent Oberbürgermeisterinnen. Knapp unter 10 Prozent werden es, wenn man die Bürgermeisterinnen der mittleren und kleinen Kommunen dazu nimmt. Und bei knapp 20 Prozent landet man, wenn man die obersten Führungsfunktionen in den Kommunalverwaltungen einbezieht, also die Dezernentinnen und Amts- oder Behördenleiterinnen. Wie viele Landrätinnen es aktuell in Deutschland gibt, ist nicht einfach so zu googlen, geschweige denn, dass es zentral geführte Listen oder Statistiken hierzu gibt. Man muss das mühsam je nach Bundesland zusammensuchen.1 Und das, obwohl es seit den 1990er Jahren in allen Bundesländern Landesgleichstellungsgesetze gibt, die auch Regelungen für die Kommunen vorgeben. Auch die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene, die es seit 2006 gibt, haben bis Herbst 2018 beschämend wenige deutsche Kommunen unterschrieben.

Woran liegt es?

Diese eklatante Schieflage bringt mittlerweile viele in Politik und Verwaltung ins Grübeln: Woran liegt es? Was kann man tun, um mehr kluge, engagierte und talentierte Frauen zu aktivieren? Wieso ist Bürgermeisterin kein Karriereziel von Frauen? Liegt es an den Frauen selbst, die nicht wollen oder es sich nicht zutrauen? Liegt es an den Strukturen und Verhaltensweisen in der Politik, die nach männlich geprägten Spielregeln funktionieren und Frauen abschrecken? Liegt es an Stereotypen und tradierten Rollenbildern, die immer noch in den Köpfen vieler Menschen dominieren und es Frauen schwerer machen, sich in der ersten Reihe zu behaupten? Oder sind es die Rahmenbedingungen und die immer noch mangelhafte Infrastruktur, die diese Führungsaufgabe als nicht vereinbar mit Familie und Work-Life-Balance erscheinen lassen? Es liegt an jedem dieser Aspekte. Mal mehr, mal weniger. Das macht das Thema und die Lösungsfindung auch so komplex. Aber es gibt eben auch die 10 Prozent Bürgermeisterinnen und die vielen Führungsfrauen in der Verwaltungslaufbahn und im politischen Ehrenamt! Deren Erfahrungen und Strategien, es anzugehen (Kandidatur), es zu schaffen (gewählt zu werden) und es zu bewältigen (sich im Amt zu positionieren) muss man analysieren und als Blaupause für andere Frauen verwenden.

Sichtbar werden

In diesem Zusammenhang frage ich mich, wieso die Führungsfrauen als Vorbilder so unsichtbar bleiben. Damit meine ich nicht die Einzelne, die in ihrer Kommune, ihrer Region und in den Organisationen, in denen sie sich engagiert, durchaus gut bekannt ist. Nehmen wir Dr. Eva Lohse, Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen und bis Ende 2017 Präsidentin des Deutschen Städtetags. Oder ihre Vorgängerin in diesem Amt Petra Roth, ehemalige Frankfurter Oberbürgermeisterin. Beide bundesweit bekannt. Aber eben als einzelne, herausragende Frauen in einer Männerdomäne. Aus meinen Gesprächen und Recherchen weiß ich, dass die kommunalen Führungsfrauen gut vernetzt sind, über Parteigrenzen hinweg. Ich wünsche mir, dass sie, auch wenn sie nur 10 Prozent der Spitzenfunktionen in Kommune und Verwaltung innehaben, als Gruppe sichtbarer werden. Nur dann können sie wirklich als Rollenvorbild für andere Frauen (und Männer) dienen. Auch deshalb entstand dieses Buch. Ich will aktiv etwas dafür tun, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, dass sie das auch anstreben, dass sie aber auch Rahmenbedingungen, Strukturen und Einstellungen vorfinden, in denen dies möglich und selbstverständlich ist. Gerade bei den öffentlichen und politischen Wahlämtern ist es für Frauen schwer, das Rennen zu machen. Denn sie werden gewählt. Von einer Öffentlichkeit, die noch stark in tradierten Rollenvorstellungen, Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern verharrt: Darf eine Frau überhaupt öffentlich führen, Macht anstreben und ausfüllen? Darf sie politische Karriere machen, auch wenn sie Familie hat oder will? Viele Tabus und Klischees sind hier zu knacken. Das Amt der Bürgermeisterin ist je nach Bundesland entweder stärker verwaltungs- oder stärker politikorientiert.2 In der Regel ist es eine Mischung aus beidem. Eine Bürgermeisterin ist natürlich immer Chefin einer Verwaltung und damit Teil derselben. Dennoch steht sie von Anfang an im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit – und sie muss von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort gewählt und von Parteien unterstützt werden. Das ist eine ganz andere Art und Weise, sich zu bewerben und seine künftige Tätigkeit zu legitimieren, als etwa in einer klassischen Verwaltungslaufbahn oder dem Aufstieg „vom Trainee zum Vorstand“ in einem Unternehmen.

Viele Führungsfrauen machen hier die Erfahrung, wie gnadenlos eine öffentliche Bewertung oder auch Verurteilung durch die Medien sein kann. Susanne Gaschke hat dies 2013 als Oberbürgermeisterin von Kiel erlebt. Bei Frauen werden sehr schnell deren Kompetenzen öffentlich in Frage gestellt, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht alles reibungslos und zügig über die Bühne geht. Dass ihre Kompetenzen, zumindest am Beginn ihrer Amtszeit, stärker hinterfragt werden als die der männlichen Kollegen, haben viele der Interviewpartnerinnen erlebt.

Türen öffnen

Als ich vor 15 Jahren als Türöffnerin angetreten bin, um Coaching in Politik und Verwaltung bekannt zu machen und zu implementieren, war mir klar, dass das ein langer Weg sein wird. In den letzten 5 Jahren – und hier vor allem bei Jüngeren und Frauen – ist mittlerweile eine große Offenheit für Coaching festzustellen. Beim „tradierten Politiker“ und damit den meisten männlichen Bürgermeistern herrscht noch immer die Haltung vor: Erfolgreiche Politiker brauchen keine Coaches. Wer ein Coaching benötigt, taugt nicht für das Amt. Eine von der Bertelsmann-Stiftung, dem Deutschem Städtetag und dem Deutschem Städte- und Gemeindebund erstellte Studie zu Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Deutschland zeigte, dass schon vor 10 Jahren vor allem Frauen in der Politik Coaching als sinnvolle Maßnahme angesehen haben.3 Ich mache dieselbe Erfahrung. Für die Führungsebenen in der Verwaltung von der Referats- bis zur Amtsleitung etabliert sich Coaching mehr und mehr und gehört bei vielen Personalentwicklungsprogrammen für Führungskräfte zum Standard. Alleine die Bürgermeisterebene agiert hier noch etwas verhalten – eben wegen der möglichen Brisanz, als „defizitär“ abgestempelt zu werden. Auch hier soll das Buch zeigen, wie systematisch und strategisch Coaching-Tools bei Klärungsprozessen innerhalb der Karrieregestaltung unterstützen und stärken können. Entstanden ist das Handbuch aus meinen Erfahrungen aus 15 Jahren Tätigkeit als Coach für Politik und Verwaltung, mit dem besonderen Fokus auf weibliche Karrieren. Hintergründe zur politischen Karrieregestaltung verbinde ich mit den konkreten Praxistipps von ehemaligen und amtierenden Amtsinhaberinnen. Deren Interviewbeiträge machen das Buch praxis- und lebensnah. Gleichzeitig werden auf diesem Weg weibliche Vorbilder in (kommunalen) Führungspositionen sichtbar. Angereichert wird das Ganze durch ebenfalls in der Praxis erfolgreich erprobte Coaching-Tools, die Frauen beim Klärungsprozess unterstützen und als Leitfaden für den Weg ins Amt genutzt werden können.

Wieso ein Handbuch?

Die Arbeit mit Kandidatinnen für kommunale Spitzenfunktionen und Amtsinhaberinnen hat mir gezeigt: Frauen zögern in der Regel wesentlich länger als Männer, bis sie sich für eine Kandidatur entscheiden. Vor allem im Klärungsprozess – zum Teil auch in der Amtsführung – liegt der Unterschied, wie Frauen und Männer politische Karrieren angehen. Selbst wenn sich beide ähnliche Fragen stellen, stellen sich Frauen die Fragen zu einem anderen Zeitpunkt als Männer – und in anderem Umfang. Sie finden durchaus auch andere Antworten als ihre männlichen Kollegen. Zentral für Frauen ist also das, was vor der Kandidatur passiert. Sind sie erst einmal Kandidatin oder Amtsinhaberin, sind die Unterschiede im weiblichen und männlichen Vorgehen und Verhalten weniger signifikant. Vorgehen und Verhalten werden dann aber von der Öffentlichkeit, den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Medien unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Frauen müssen und möchten Vieles im Vorfeld für sich klären. Zu dem Zeitpunkt aber, an dem sie die Bühne betreten, müssen sie vor allem auf den Umgang mit Stereotypen, Klischees und Vorurteilen in den Köpfen der Menschen vorbereitet sein. Im Kern stellen potenzielle Kandidatinnen sich zwei Fragen: Kann ich das überhaupt? Und will ich das – mit all den damit verbundenen Konsequenzen für mich und mein Umfeld? Dazu gesellen sich im Klärungsprozess weitere Fragen: Darf ich das so, wie ich es machen will? Und wie mache ich das alles konkret?

Für alle diese Fragen liefert das Handbuch Handreichungen, Antworten und Strategien. Frauen benötigen vor einer Kandidatur eine andere Form der Aktivierung. Sie wollen angesprochen werden, ob sie sich eine Kandidatur vorstellen können. Eher selten heben sie von sich aus die Hand und drängen in eine Kandidatur: „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, von mir aus meinen Hut in den Ring zu werfen!“ – so eine amtierende Bürgermeisterin im Interview. Frauen schätzen und benötigen den Anstoß von außen. Seit wenigen Jahren ist zu beobachten, dass auch die Parteien und Verwaltungen von sich aus verstärkt und aktiv nach Frauen für kommunale Spitzenfunktionen suchen – auch, um ihrem gesetzlichen Auftrag zur Gleichstellung in den Kommunen nachzukommen. In meinen Workshops und Coachings zeigt sich immer wieder, dass vor und während der Kandidatur für Frauen der Austausch mit anderen Kandidatinnen, aber auch mit Amtsinhaberinnen zentral ist. Es ist gut zu erfahren, dass frau mit ihren Fragen und Zweifeln, aber auch mit der Lust an der Machtgestaltung nicht alleine dasteht. Und die amtierenden (Ober)Bürgermeisterinnen, Landrätinnen und andere Frauen in kommunalen Spitzenfunktionen können am besten beschreiben, wie ihr jeweiliger Fahrplan ins Amt ausgesehen hat, wo Fallstricke, aber auch Chancen liegen.

Was steckt drin?

Das Buch ist in die drei Teile (Phasen) gegliedert, in denen Klärungsprozess und Entscheidungsfindung durch konkrete Unterstützung befördert werden können: (1) Der Weg zur Kandidatur, (2) die Phase des Wahlkampfs und (3) die ersten Schritte im Amt. Es werden die jeweiligen Besonderheiten der drei Phasen beschrieben und die spezifischen Fragestellungen sichtbar gemacht. Für jede Phase gibt es spezielle Coaching-Tools zur Klärung sowie Erfahrungen, Strategien und Tipps der Amtsinhaberinnen. Die Tools können zur Selbstreflexion und Selbstklärung, aber auch zur Beratung im (politischen) Team oder für die Arbeit mit einem Coach verwendet werden. Im Zentrum des Buchs steht die Verknüpfung der Themen „Frauen, Führung, Politik und Macht“ – und die Frage, ob diese Mischung heute immer noch an Tabus und Schranken rührt. Der Mix aus Coaching-Methoden, Praxistipps von Führungsfrauen und Hintergrundinformationen aus Wissenschaft, Medien und politischer Debatte soll es ermöglichen, den Klärungsprozess und die Herausforderungen Schritt für Schritt anzugehen. Jede Kandidatin kann sich hieraus einen individuellen Fahrplan ins Amt erstellen.

Das Handbuch ist kein Wahlkampf-Manager, sondern bietet eine strukturierte Unterstützung für die Klärungsphase und die ersten Schritte Richtung Rathaus. Es soll die Frage beantworten helfen: Wie komme ich zu einer tragfähigen Entscheidung, und wie setze ich die Kandidatur strategisch und auf mich maßgeschneidert um? Wie gehe ich souverän die ersten Schritte im neuen Amt und wie positioniere ich mich als Rathauschefin? Der erste Teil ist dabei analytischer ausgerichtet als die beiden folgenden Teile. Das liegt zum einen an der stärker auf Reflexion ausgerichteten Fragestellung in der Klärungs- und Entscheidungsphase vor der Kandidatur. Zum anderen werden hier die Ursachen aufbereitet, die es Frauen offensichtlich schwerer machen zu kandidieren – von den Rahmenbedingungen und Strukturdefiziten bis hin zu den Stereotypen und Kulturfragen.

Der rote Faden, die Inhalte und Methoden des Buchs sind auf der Basis von Interviews mit Amtsinhaberinnen, der Arbeit mit amtierenden Bürgermeisterinnen und in Workshops und Coachings entstanden. Die Lehr- und Coachingtätigkeit an Hochschule, Verwaltungsakademie und in Kommunal- und Bundesverwaltungen runden meinen Erfahrungshintergrund ab. Nicht zuletzt der intensive Austausch und die Zusammenarbeit mit Coach-Kolleg*innen haben das Handbuch befördert.

Nur für Frauen?

Wichtig ist: Das Buch ist auch für Männer geeignet. Viele der Tipps und Tools können auch einem männlichen Kandidaten bei der Entscheidungsfindung, Reflexion, Wahlkampfgestaltung und den ersten Schritten im Amt helfen. Berührungsängste sind fehl am Platz. Eine Bürgermeisterin sagte im Gespräch: „Wenn Frauen heute antreten, werden sie in der Kommune oft auch gewählt. Das hat sich in den letzten Jahren wirklich verändert. Die Menschen vor Ort wollen heute andere Rollenvorbilder als noch vor 10 Jahren.“ Männliche Kandidaten können sich also durchaus an den weiblichen Kolleginnen und ihren Strategien orientieren, um zukunftsfähig zu sein. Umgekehrt bedeutet es aber auch, dass Frauen von Männern in Spitzenfunktionen ebenfalls eine Menge lernen können. „Die Mischung macht’s“ – so die ehemalige Vorsitzende des Unterausschusses für Kommunales im Deutschen Bundestag Annette Sawade. Diversity auch in den Spitzenfunktionen der Kommunen. Das Buch ist keine wissenschaftliche Studie, auch wenn wissenschaftliche Erkenntnisse einbezogen sind. Es lebt von den subjektiven Erfahrungen der Amtsinhaberinnen und Kandidatinnen – und der Autorin. Dennoch gibt es so viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten, dass ein konsistentes Bild entsteht. Und es ist dringend notwendig, dass es einen Paradigmenwechsel auf der kommunalen Ebene gibt: 6 Prozent Landrätinnen und 10 Prozent (Ober)Bürgermeisterinnen in Deutschland im Jahr 2019 sprechen für sich. Auf diesen Missstand versucht das Handbuch eine Antwort zu geben. Es will Frauen ermutigen, aktivieren und strategisch unterstützen. Frauen sollen ihren Weg gehen, einen eigenen Kompass und eine eigene Linie finden und das Ziel „Spitzenfunktion“ konkret anpacken. Denn auch Frauen dürfen Spaß an Gestaltungsmacht und Machtgestaltung haben.

Anmerkung: Im Buch selbst verwende ich in der Regel die Bezeichnung Bürgermeisterin, um den Lesefluss zu vereinfachen. Alle Oberbürgermeisterinnen, Landrätinnen, aber auch Kandidatinnen für Stadtrat, Land- und Bundestag sind aber gleichermaßen damit angesprochen.

Kurzprofil der Interviewpartnerinnen

(alphabetisch)

Christine Borst (*1954)

Betriebswirtin, Unternehmerin

Erste Bürgermeisterin der Stadt Krailling (Bayern) | seit 2006 |

2014 im ersten Wahlgang wiedergewählt |

Sprecherin der ARGE Frauen führen Kommunen beim Bayerischen Gemeindetag

Silke Engler (*1973)

Juristin, Anwältin

Bürgermeisterin der Stadt Baunatal (Hessen) | seit 2018 | Erste Frau im Amt

Erste Stadträtin der Stadt Baunatal und Vizebürgermeisterin | von 2006 bis 2018 |

Susanne Geils (*1958)

Heilpraktikerin, Sozialberaterin

Bürgermeisterin der Gemeinde Ritterhude (Niedersachsen) | seit 2006 | Erste Frau im Amt | 2014 im ersten Wahlgang wiedergewählt

Monika Helbig (*1953)

Diplom-Verwaltungswirtin

Staatssekretärin a. D. und ehem. Bevollmächtigte beim Bund und Europabeauftragte des Landes Berlin | von 2002 bis 2011 | Chefin der Senatskanzlei (2011) | Kanzlerin der Evangelischen Fachhochschule Berlin (1997–2002) | Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin (1999–2001) | Bezirksverordnete in Berlin-Spandau (1985–1999)

Karen Heußner (*1961)

Kulturreferentin, Fachbuchautorin

Stellv. Landrätin im Landkreis Würzburg | seit 2014 | Fraktionsvorsitzende der Kreistagsfraktion der Grünen

Gudrun Heute-Bluhm (*1957)

Verwaltungsrichterin, stellv. Landrätin

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg | seit 2014 | Oberbürgermeisterin a. D. der Stadt Lörrach | von 1995 bis 2014 | Erste Frau im Amt

Dr. Angelika Kordfelder (*1955)

Promovierte Erziehungswissenschaftlerin, Dozentin

Bürgermeisterin a. D. der Stadt Rheine (Nordrhein-Westfalen) | von 2004 bis 2015 | Erste Frau im Amt

Dr. Birgit Kreß (*1962)

Promovierte Agrar-Ökonomin

Erste Bürgermeisterin des Marktes Markt Erlbach (Bayern) | seit 2008 | Erste Frau im Amt | 2014 im ersten Wahlgang wiedergewählt

Stellv. Sprecherin der ARGE Frauen führen Kommunen beim Bayerischen Gemeindetag

Brigitte Merk-Erbe (*1956)

Pädagogin, stellv. Schulleiterin

Oberbürgermeisterin der Stadt Bayreuth (Bayern) | seit 2012 | Erste Frau im Amt | Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetags und Bezirksvorsitzende des Bayerischen Städtetags

Silvia Nieber (*1960)

Diplom-Betriebswirtin

Bürgermeisterin der Hansestadt Stade (Niedersachsen) | seit 2011 | Erste Frau im Amt | 2000 bis 2011 Bürgermeisterin der Stadt Bad Münder am Deister

Sigrid Reinfelder (*1973)

Diplom-Pflegewirtin (FH), Qualitätsmanagement-Auditorin, Krankenschwester und Schreinerin

Bürgermeisterin der Gemeinde Breitengüßbach (Bayern) | seit 2014 | Erste Frau im Amt

Astrid Salle-Eltner (*….)

Diplom-Verwaltungswirtin

Bürgermeisterin der Stadt Vienenburg (Niedersachsen) | von 2006 bis 2013 (bis zur Fusion von Vienenburg mit der Stadt Goslar) | Erste Frau im Amt

Annette Sawade (*1953)

Diplom-Chemikerin

Vorsitzende des Unterausschusses Kommunales im Deutschen Bundestag | 18. Wahlperiode | Mitglied des Deutschen Bundestages (2012–2017) | bis heute Kreisrätin in Schwäbisch Hall | Stellv. Landesvorsitzende der SGK Baden-Württemberg und stellv. Bundesvorsitzende

Ramona Schumann (*1979) Diplom-Verwaltungswirtin

Bürgermeisterin der Stadt Pattensen (Niedersachsen) | seit 2014 | Erste Frau im Amt | Mitglied im Ausschuss für Frauen und Gleichstellung des Deutschen Städtetags

Anita Schneider (*1961)

Diplom-Politologin

Landrätin im Landkreis Gießen (Hessen) | seit 2010 | 2015 im ersten Wahlgang wiedergewählt | Erste Frau im Amt der Landrätin in Hessen

Ulrike Siebenhaar (*1968)

Kunsthistorikerin und Journalistin

Pressesprecherin der Stadt Bamberg (Bayern) | seit 2006 | Leiterin des Amtes für Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit | seit 2019 |

Heike Taubert (*1958)

Diplom-Ingenieurin

Thüringer Finanzministerin und stellv. Ministerpräsidentin (Thüringen) | seit 2014 | Sozialministerin von 2009 bis 2014 | seit 2004 Landtagsabgeordnete | davor Stadtkämmerin, stellv. Landrätin

Keine der Interviewpartnerinnen gehört zu meinen Klientinnen. Die Interviews mit den Expertinnen wurden ausschließlich für den vorliegenden Band geführt.

Zitate, die ohne Namensnennung erscheinen, stammen aus dem Kreis der Kandidatinnen und Amtsinhaberinnen meiner Coachings und Workshops.

Interview mit Gudrun Heute-Bluhm

Oberbürgermeisterin a. D. und seit 2014 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetages Baden-Württemberg

▂Wieso ist es gut für Kommunen, wenn mehr Frauen für das Bürgermeisteramt kandidieren?

Aus meiner Erfahrung heraus bin ich überzeugt davon, dass gemischte Teams mehr bringen. Und das gilt auch für die Spitzenfunktionen in Gemeinden und Städten.

▂Was hält Ihrer Meinung nach Frauen ab, für ein solches Spitzenamt zu kandidieren?

Heute noch gängige Berufsklischees sind ein Hindernis: Holzschnittartig gesagt, gehen Männer an die Verwaltungshochschulen, weil sie Bürgermeister werden wollen. Sie haben ein konkretes Ziel vor Augen. Frauen gehen in die Verwaltung, weil sie Familie und Beruf vereinbaren wollen. Solange wir diese Arbeits- und Rollenteilung haben und niemand Frauen Lust darauf macht, dass Verantwortung auch Freude macht, wird es so bleiben.

▂Sie waren lange Jahre Oberbürgermeisterin von Lörrach und sind jetzt Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Baden-Württembergischen Städtetags. An der Spitze stand mit Barbara Bosch als Präsidentin bis 2016 ebenfalls eine Frau. Welche Reaktionen gab es darauf?

Eine weibliche Doppelspitze: Da wurde am Anfang die Vorstellungskraft durchaus strapaziert. Direkt nach meiner Wahl wurden wir gefragt, ob das gutgehen könne mit lauter Frauen. Den Normalfall in solchen Funktionen denkt sich „Mann“ halt immer noch als Mann. Wer fragt schon, ob mehrere Männer miteinander auskommen.

▂Woran liegt es denn, dass die klassischen Rollenbilder gerade beim Bürgermeisteramt noch so wirksam sind?

Hier wirken zwei Faktoren ineinander: Die Lust an der Verantwortung wird Frauen zu wenig vermittelt und daher gibt es auch zu wenige Vorbilder. Frau will nämlich wissen, ob der Aufwand sich lohnt. Daher haben Frauen weniger Lust auf parteipolitische „Spielchen“, die Zeit kosten. Macht wird von Frauen oft als Gestaltungsmacht definiert – und nicht, um sich zu beweisen: Die Ergebnisse sind für Frauen entscheidend. Politik wird dann eben als Gestaltungsaufgabe gesehen und nicht als parteipolitisches Vehikel.

▂Wie kann denn die Lust an der Verantwortung vermittelt werden?

Es braucht Frauen als Vorbilder und Ermutigung. Die Männer haben Vorbilder gehabt. Über Jahrhunderte hinweg. Warum soll man sich da nicht ein bisschen was abschauen. Und wir in den politischen Führungsfunktionen müssen Frauen aufzeigen „das kannst du“, „das machen wir“, „das geht trotz Familie“. Ich versuche das zu vermitteln. Politik als lohnende Sachaufgabe, dabei mitzuwirken, bringt große Befriedigung. Denn die Gestaltungsmöglichkeiten sind das Spannende. Nicht die Macht an sich, sondern die Stellen, an denen wir spezifische Talente einbringen können. Und im Ernst: Auch wir sind keine Rabenmütter, sondern haben vernünftige Kinder. Mich haben meine jeweiligen Chefs motiviert, Führungsaufgaben zu übernehmen und ein politisches Amt anzustreben. Bezogen auf die familiären Nebenwirkungen ist das Wort der Ehefrau meines ersten Chefs hängengeblieben. Sie stellte mit Bedauern fest, dass in ihrer Generation es undenkbar gewesen wäre für die Frau eines gut verdienenden Mannes zu arbeiten, und meinte: „Sie haben jetzt die Verantwortung vorzumachen, dass Frauen Familie und einen verantwortungsvollen Beruf verbinden können.“

▂Wieso haben Sie sich für Politik als Beruf entschieden?

Ich habe es spannend gefunden, eine sachorientierte Handlungsweise der Managementaufgabe „Rathauschefin“ zu verbinden mit den Anforderungen der politischen Kommunikation auf ganz unterschiedlichen Ebenen mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen. Agieren, ohne die Backen aufzuplustern. Ich sehe, dass viele Frauen eher aus dem Bewusstsein kommen, gestalten zu wollen – und weniger aus dem politischen Karrierewillen.

▂Haben Sie von sich aus kandidiert?

Auch ich bin angesprochen worden mit den Worten: „Wir hätten Sie gerne“. Das war ein Impuls, das hilft. Ich erlebe, dass es für Frauen leichter ist, wenn sie angesprochen werden. Auch gerade aus dem potenziellen Unterstützerteam. Männer können sich offenbar selbst zu einer Kandidatur motivieren, wenn niemand sie für besonders qualifiziert hält. Bei Frauen ist das anders. Sie werden nur dann angesprochen, wenn man sie für qualifiziert hält. Der Bewerberkreis von Frauen könnte schon deshalb geringer sein, weil eben nur die qualifizierten angesprochen werden.

▂Gibt es noch weitere Unterschiede, die Ihnen im Verhalten von Männern und Frauen in der Kommunalpolitik auffallen – und wo sie voneinander lernen können?