Burning Earth - Der Countdown läuft - David Hewson - E-Book
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Burning Earth - Der Countdown läuft E-Book

David Hewson

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Beschreibung

Im Angesicht der Apokalypse: Der Action-Thriller »Burning Earth – Der Countdown läuft« von David Hewson jetzt als eBook bei dotbooks. Sengende Hitze brennt vom Himmel herunter – wird sie alles Leben vernichten? Rätselhafte Klimaveränderungen mit enormer Zerstörungsgewalt halten die ganze Welt in Atem. In einem geheimen Observatorium forscht eine Gruppe von Wissenschaftlern und Militärs, um zu verhindern, was unaufhaltsam scheint: den Weltuntergang. Doch obwohl immer häufiger Kommunikationsnetze zusammenbrechen, Flugzeuge vom Himmel stürzen und Hitzewellen ganze Städte zerstören, wird der ebenso umstrittene wie brillante Klimaforscher Michael Lieberman bei der Suche nach einer Lösung von seinen missgünstigen Kollegen ausgebremst. Was sie nicht wissen: In diesem Wettlauf gegen die Zeit ist Lieberman der Einzige, der alle retten könnte ... So spannend wie die Kino-Blockbuster »The Day After Tomorrow« und »Armageddon«: »Ein Action-Thriller der Megaklasse, ein technisch möglicher Alptraum!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schnell getaktete Thriller »Burning Earth – Der Countdown läuft« von David Hewson für Fans von Clive Cussler und Preston & Child. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 644

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Über dieses Buch:

Sengende Hitze brennt vom Himmel herunter – wird sie alles Leben vernichten? Rätselhafte Klimaveränderungen mit enormer Zerstörungsgewalt halten die ganze Welt in Atem. In einem geheimen Observatorium forscht eine Gruppe von Wissenschaftlern und Militärs, um zu verhindern, was unaufhaltsam scheint: den Weltuntergang. Doch obwohl immer häufiger Kommunikationsnetze zusammenbrechen, Flugzeuge vom Himmel stürzen und Hitzewellen ganze Städte zerstören, wird der ebenso umstrittene wie brillante Klimaforscher Michael Lieberman bei der Suche nach einer Lösung von seinen missgünstigen Kollegen ausgebremst. Was sie nicht wissen: In diesem Wettlauf gegen die Zeit ist Lieberman der Einzige, der alle retten könnte ...

So spannend wie die Kino-Blockbuster »The Day After Tomorrow« und »Armageddon«: »Ein Action-Thriller der Megaklasse, ein technisch möglicher Alptraum!« Publishers Weekly

Über den Autor:

David Hewson wurde 1953 geboren und begann bereits im Alter von 17 Jahren für eine Lokalzeitung im Norden Englands zu arbeiten. Später war er Nachrichten-, Wirtschafts- und Auslandsreporter bei der »Times« und Feuilletonredakteur bei »The Independent«. Heute ist er ein international bekannter Bestsellerautor. Sein Thriller »Todesritual«, auch bekannt unter dem Titel »Semana Santa«, wurde mit dem W. H. Smith Fresh Talent Preis für einen der besten Erstlingsromane ausgezeichnet und verfilmt. Er schrieb die Bücher zur dänischen Fernsehserie »The Killing« und seine Nic-Costa-Kriminalromane wurden weltweit zum großen Erfolg.

Die Website des Autors: davidhewson.com

Bei dotbooks erscheinen von David Hewson die Nic-Costa-Kriminalromane »Das Blut der Märtyrer« und »Der Kult des Todes«, außerdem die Thriller »Todesritual«, »The Cabin – Mörderischer Rausch«, »The Stake – Die Strohpuppe« und der Spannungsroman »Die dunklen Schatten von Venedig«.

***

eBook-Neuausgabe November 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1998 unter dem Originaltitel »Solstice« bei HarperCollins Publishers, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Sonnenwende« bei Ullstein.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1998 by David Hewson

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/IgorKR, Nich Starichenko, DMG Vision

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-395-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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David Hewson

Burning Earth – Der Countdown läuft

Thriller

Aus dem Englischen von Hedda Pänke

dotbooks.

Das ist die ausbündige Narrheit dieser Welt, dass, wenn wir an Glück krank sind – oft durch die Übersättigung unsres Wesens –, wir die Schuld unserer Unfälle auf Sonne, Mond und Sterne schieben, als wenn wir Schurken wären durch Notwendigkeit, Narren durch himmlische Einwirkung. Schelme, Diebe und Verräter durch die Übermacht der Sphären, Trunkenbolde, Lügner und Ehebrecher durch erzwungene Abhängigkeit von planetarischem Einfluss ... Eine herrliche Ausflucht für den Liederlichen, seine hitzige Natur den Sternen zur Last zu legen.

Edmund, König Lear, 2. Akt, 2. Szene

Tag 1 – Catch a Falling star

19. Juni

Kapitel 1Blut

In 13 000 m Höhe über Zentralsibirien, 04.17 Uhr UTC

Flug 172 der British Pacific nach London Heathrow war pünktlich in Tokio gestartet, jeder der 332 Sitze belegt, jedes Gramm Gewicht berechnet und gleichmäßig verteilt. Die Route war seit kurzem Standard: keine riesigen Umwege mehr um die Sowjetunion, keine lästigen Zwischenstops in Anchorage. Nach dem Start scharf nach Westen, Richtung Wladiwostok, dann in direkter Linie den Polarkreis entlang, über Finnland und die Nordsee nach Großbritannien.

Zwei Mann saßen im Cockpit: ein Captain und ein Erster Offizier. Beide hatten die LCD-Bildschirme des inzwischen rein digitalen Flugpanels im Auge und verließen sich größtenteils auf den Autopiloten.

Ian Seabright würde es zwar ungern zugeben, vor allem nicht gegenüber den neugierigen Betriebsklimaexperten, aber neuerdings langweilte ihn das Fliegen schlichtweg. Früher, in den siebziger Jahren, als er direkt von der Royal Air Force zu den Zivilen stieß, war das noch anders gewesen. Damals brauchte man Köpfchen, mitunter auch Muskeln. Heutzutage ersetzte der Computer den Kopf, man beobachtete das Flackern der Instrumente, nahm belanglose Korrekturen vor und sorgte dafür, dass der Silikon-Pilot nichts falsch machte.

Er war 53, bei relativ guter Gesundheit, vielleicht ein wenig übergewichtig wegen der erzwungenen Aufenthalte in Hotels, in denen das Essen gratis war und es ansonsten wenig zu tun gab. Erster Offizier war Jimmy Mulligan, ein fröhlicher, rothaariger Ire, der sich seinen Weg ins Cockpit sehr hart erarbeitet hatte über eine private Pilotenlizenz und einen mies bezahlten Job als Fluglehrer in den Vereinigten Staaten. Seabright mochte Mulligan. Der Mann war gescheit, höflich und fleißig. Aber mit noch nicht einmal 30 begann selbst er inzwischen genervt auszusehen. Seabright, der in zwei Jahren in den Ruhestand gehen würde, beneidete ihn weiß Gott nicht um die ermüdende Routine der nächsten zwei Jahrzehnte. Die Vorstellung endloser stumpfsinnig im Cockpit verbrachter Stunden hatte etwas Erschreckendes.

Seabright warf einen Blick auf die GPS-Karte. Inzwischen waren sie drei Stunden in der Luft, durchschnitten in 13 000 Meter Höhe die windstille Luft, und es sah so aus, als würde das Wetter bis Heathrow so angenehm und sonnig bleiben. Ihre Geschwindigkeit betrug 530 Meilen, und unter ihnen zog gemächlich ein gottverlassener Teil Russlands vorbei. Irgendein Stück leerer Weite im sibirischen Westen.

»Willst du das Mädchen heiraten, Jimmy?«

»Du meinst Ali?«, lächelte der Ire.

»Ich glaube, so heißt die junge Dame, der du gestern Abend einen Antrag gemacht hast.«

Mulligan dachte nach. »Du meinst, sie hat es so verstanden?«

Seabright schloss die Augen. Sie konnten die verdammten Vögel mit noch so viel technischem Schnickschnack voll stopfen, aber dieses kleine Ritual würde sich wohl nie ändern. Man brauchte eine Crew nur drei Tage lang in einem fremden Hotel zusammenzusperren und prompt entspann sich irgendwas.

»Sie ist nicht ohne«, sagte Mulligan. »Ein Mann könnte es durchaus schlechter treffen.«

»Sehr viel schlechter«, stimmte Seabright zu.

»Was bringt einen nur auf den Gedanken, man könnte vielleicht doch noch was Besseres finden?«

Seabright sah Mulligan an und fragte sich, warum dieser kleine, bedeutungslose Wortwechsel so etwas wie Unwillen in ihm erregte. Es kommt schon alles klar, dachte er. Es gibt Dinge, die man einem anderen Mann nicht sagen kann. Man muss abwarten, dass er es selbst herausfindet. Dann kann man ihm fest ins Auge blicken und erklären: Ja, ich auch. Der zwanglose Übergang vom Ersten Offizier mit wechselnden Bettgespielinnen zum verheirateten Captain ist so ein Thema.

»Sieht so aus, als hätten wir Gesellschaft.« Mulligan blickte über die Steuerbord-Tragfläche hinweg. Gut zehn Meilen entfernt zog parallel zu ihnen eine weiße 747 ihre Bahn. Die Seitenmarkierungen waren nicht zu erkennen. Seabright versuchte über die Bordfrequenz Kontakt zu der Maschine aufzunehmen. Er erhielt keine Antwort.

»Mistkerle«, murmelte Mulligan, langte nach einem Fernglas aus der Sitztasche und richtete es auf den Jumbo. Er pfiff leise durch die Zähne.

»Was ist?«

Der Erste Offizier ließ das Glas sinken. »Stand da nicht irgendwas über einen Gipfel in Tokio in der Presse? Mit jeder Menge VIPs, die durch die Weltgeschichte gondeln?«

»Wie kommst du auf die Idee, dass ausgerechnet wir ihnen hier begegnen? Es war ein Weltgipfel. Ging gestern zu Ende.«

»Nun, es sieht ganz so aus, als hätten wir es da drüben mit dem amerikanischen Präsidenten zu tun.« Mulligan reichte Seabright das Fernglas. »Kein Wunder, dass so hoch gestellte Typen nicht mit jedem reden, oder?«

Fasziniert musterte Seabright den lang gestreckten Rumpf der Air Force One. Das war doch endlich mal ein echter Knüller.

»Ich glaube, du hast recht ...«

Mit einer heftigen, unwillkürlichen Bewegung riss er sich das Fernglas von den Augen, und einen Moment lang hatte er das Gefühl, als würde sich sein ganzer Oberkörper verkrampfen. Der Schmerz war stechend und intensiv. Und nicht nur er hatte Probleme. Neben ihm stöhnte Mulligan. Er hatte die Augen geschlossen und eine Hand auf die Stirn gelegt.

»Alles okay, Jimmy?« So etwas kannte er bei Mulligan nicht, nie klagte er über irgendetwas. Der Erste Offizier rieb sich kurz die Stirn, öffnete die Lider und sah Seabright an. Seine Augen waren blutunterlaufen, unfokussiert und schwammen in Tränen.

»Verdammte Kopfschmerzen«, klagte Mulligan. »Ohne jede Vorwarnung. Vermutlich war ich einfach mal dran, welche zu bekommen.«

»Wahrscheinlich.«

Seabright spürte, dass auch er Kopfschmerzen bekam. Und die krampfhaften Schmerzen im Oberkörper waren ebenfalls noch nicht ganz verschwunden. Sein Blick richtete sich auf die Instrumente. »Sieht ganz so aus, als blinke der Hauptantrieb gelb, Jimmy. Ich bin sicher, dass es nichts Besorgnis erregendes ist, aber behalte es im Blick.«

»Klar ... au!«

Seltsamerweise verspürte Seabright genau das Gleiche. Einen stechenden Schmerz in der rechten Schläfe, der ihn aufstöhnen ließ wie Mulligan. Aber er verging so schnell, wie er gekommen war, ließ nur ein dumpfes Pochen zurück.

»Was zum Teufel war denn das?«

Seabright wischte sich über die schweißnasse Stirn, blickte auf die Instrumentenanzeigen, suchte nach Erklärungen.

»Überprüf auch den Kabinendruck, Jimmy. Ich habe ebenfalls wahnsinnige Kopfschmerzen und glaube nicht, dass wir beide uns das nur einbilden.«

Routiniert nahmen sie die Überprüfungen vor, die sie in- und auswendig kannten, und stellten fest, dass der Druck stabil war und einer Höhe von 2 000 Metern entsprach.

»Hältst du es für möglich, dass er nur ganz kurz abgefallen ist? Ohne dass wir es bemerkt haben?«

Mulligans Gesichtsfarbe näherte sich mittlerweile der seiner Haare an, und Ian Seabright spürte, dass sich tief in seinem Inneren etwas verkrampfte, von dem er noch nicht wusste, was es war.

»Nein. Das ist eigentlich nicht möglich.«

»Soll ich die Druckverhältnisse aufrufen? Dann wissen wir, ob er vorübergehend abgefallen war oder nicht.«

Seabright nickte, wenn auch wider besseres Wissen. Am Druck lag es nicht, dessen war er sich sicher, das Luftdrucksystem funktionierte optimal.

Mulligan drückte auf ein paar Tasten und beobachtete, wie sich die Darstellungen auf dem Farbbildschirm verschoben und veränderten. Als er die Hände wieder sinken ließ, wirkte er irgendwie noch verdutzter. »Vielleicht war es nur einer von diesen Zufällen«, sagte er und hätte seine Worte am liebsten wieder zurückgenommen.

Seabright nickte. Keiner von beiden brauchte die Sätze auszusprechen, sie gingen wortlos zwischen ihnen hin und her, die Pilotenweisheiten, die sie im Lauf der Jahre in sich aufgesogen hatten. All die halb prahlerischen, halb wahren Sprüche gingen beiden Männern in diesem Moment durch den Kopf, die besagten, dass es für mögliche Katastrophen buchstäblich keine Grenzen gibt und dass man an Wunder nicht nur glauben sollte, sondern musste. Und dass nur eins sicher ist: Wenn es einmal schief läuft, dann setzt sich dieser Trend auch fort.

In beklommenem Schweigen saßen sie nebeneinander. Dann hörten sie, wie sich der Schlüssel im Schloss der Cockpittür drehte, und sahen Ali Fitzgerald mit schneeweißem Gesicht hereinkommen. Ihr Anblick genügte, Seabrights Magen noch weiter verkrampfen zu lassen, bis er sich kalt und schwer anfühlte wie ein Stein.

»Wir haben da hinten ein medizinisches Problem«, sagte sie, und Seabright bemerkte, wie nah sie einer Panik war. »Einen echten Notfall, Sir. Und ich habe bereits gefragt, es befindet sich kein Arzt an Bord.«

»Kommst du allein zurecht, Jimmy? Aber denk erst nach, bevor du antwortest. Ein Notfall an Bord reicht mir.«

Mulligan dachte nach. »Ich komme schon klar. Aber lass sicherheitshalber die Tür unverschlossen.«

»Ja.« Seabright öffnete seinen Sicherheitsgurt, stand auf und folgte der Stewardess. Er hielt ihr die Tür auf, ließ sie dann aber nicht weitergehen.

»Sir?« Überrascht sah sie ihn an. Sie hat keine Ahnung, schoss es ihm durch den Kopf. Nicht die geringste.

»Ihre Bluse, Ali«, sagte er leise. »Sie müssen sie wechseln. Oder sich eine Jacke anziehen. So können Sie nicht in die Kabine zurück.«

Sie blickte an sich hinunter, sah die Blutflecken auf ihrer weißen Bluse, ihrem Rock. Auch ihr Hals war blutig, da sie den Kopf des Mannes an sich gezogen hatte – bei dem Versuch, irgendwie zu helfen.

»Natürlich nicht, Sir.« Sie wartete, bis er die Tür ganz geöffnet hatte, trat dann hinter die Trennwand zur Ersten Klasse und öffnete den Bekleidungscontainer. Alles ging so schnell, dass er kaum Zeit hatte, den Blick abzuwenden. Sie zerrte sich die Bluse vom Körper, dann den Rock, säuberte sich Hals und Unterarme hastig mit einem angefeuchteten Kleenextuch und zog die Uniform an, die sie auf dem Flug nach Tokio getragen hatte.

»Er sitzt in der Business Class, Sir. Der Erste-Hilfe-Kasten steht bereits neben ihm.«

»Gut«, erwiderte Seabright und sah ihr zu, wie sie vor ihm die Erste Klasse betrat, ihren Rock glatt strich, ihre Arbeit wieder aufnahm.

Er folgte ihr den Gang hinunter, spürte die Blicke der Passagiere, ihre Anspannung, und dachte, dass es Jimmy Mulligan wirklich schlechter treffen könnte. Sehr viel schlechter.

Kapitel 2Sonnenaufgang

La Finca, 03.08 Uhr UTC

Die Zeiger der Uhr im weiß gestrichenen Schlafzimmerplus-Büro im ersten Stockwerk der mallorquinischen Villa bewegten sich auf vier Uhr morgens zu. Irgendwo in dem großen, luftigen Landhaus begannen sich Menschen zu rühren. Der Computerschirm verstrahlte ein leuchtendes Grau. Durch das Fenster zog der Morgennebel herein. Im Augenblick war es etwas frisch, aber die Wahnsinnshitze des vergangenen Tages, die ihm das Gefühl gab, Marokko gar nicht verlassen zu haben, ließ den Raum stickig riechen.

»Michael?«

Auf dem Bildschirm sah Sara Wong Lieberman an. Ihr Gesicht zitterte ein wenig, aber doch nicht so stark, dass er nicht erkennen konnte, was sich in ihm widerspiegelte. Sorge, Zuneigung und all jene anderen Gefühlsregungen, über die er lieber nicht zu sehr nachdachte.

Es gab eine Zeit, in der nichts anderes als dieses ruhige chinesische Gesicht seine Gedanken beherrschte. Aber dann war das große private Erdbeben hereingebrochen und hatte die Mauern um ihr Leben zum Einsturz gebracht.

»Wir sollten zur Sache kommen«, sagte sie, und ihre Stimme klang ein wenig blechern. »Die NASA oder jemand anderes zahlt ein Vermögen für diese direkte Satellitenverbindung. Sie könnten ein bisschen sauer werden, wenn sie herausfinden, dass wir uns anstarren wie Kinder, denen es die Sprache verschlagen hat.«

»Ja«, grinste Lieberman. »Es ist schon eine tolle Sache, von seiner Exfrau aus dem PC angestarrt zu werden.«

»Für mich ist es nicht weniger seltsam. Aber nachdem das geklärt wäre, können wir vielleicht endlich zur Sache kommen?«

Gedankenverloren fuhr sich Lieberman mit der Hand über den Kopf, wickelte sich seine schwarzen Locken um den Finger.

»Ich hab’s dir schon so oft gesagt«, meldete sich Sara vom Bildschirm. »Eines Tages wird es einfach ausfallen.«

Er stutzte kurz und ließ dann die Hand sinken wie ein ertapptes Kind. Selbst nach den vielen Jahren der Trennung musste ihn Sara offenbar immer noch bemuttern.

»Wie spät ist es im Lone Wolf?«, fragte er.

Sie sah wirklich bezaubernd aus in ihrer schlichten weißen Bluse, deren oberste Knöpfe offen standen, und mit der attraktiv gebräunten Haut.

»Du kannst rechnen, Michael. Also weißt du auch, wie spät es ist.«

»Lass mich raten. In Kalifornien ist es neun Stunden früher als hier in dieser geschäftigen Ecke der Welt. Das bringt mich auf ... achtzehn Uhr zweiundfünfzig.«

Sie beugte sich vor, berührte ein paar Tasten auf ihrem Keyboard außer Sichtweite der Kamera, und auf seinem Schirm erschienen zwei Uhren: Die Zeiger der einen mit der Aufschrift Lone Wolf Observatory, Los Altos, zeigten 18.54 Uhr, die der anderen mit der Kennzeichnung Mallorca waren neun Stunden weiter.

»Und nun«, lächelte sie, »erzähl mir von deinen Mitbewohnern. Wie geht es ihnen?«

»Gut. Aber allzu viel haben wir noch nicht miteinander gesprochen.«

»Kennst du schon einen von ihnen näher?«

Er schüttelte den Kopf, und sechstausend Meilen entfernt beobachtete Sara Wong, wie sich das intelligente, braun gebrannte Gesicht im grauen Licht des Monitors bewegte. Schon immer hatte Michael sie an einen kurzsichtigen Raubvogel erinnert, der versuchte, sich auf den Horizont zu konzentrieren und sich fragte, ob er die Schwingen ausbreiten und losfliegen oder doch lieber reglos auf seinem Ast sitzen bleiben sollte, weil er sich seiner Beute keineswegs sicher war.

»Nur einen, und den auch nur vom Hörensagen. Das Sagen hat der Bursche aus Cambridge, dieser Bennett.«

»Simon Bennett?« Sie schien höchst interessiert. »Von ihm stammt die Veröffentlichung über planetarische Strömungen und ... wie heißt das gleich? Heliozentrische Syzygien.«

»Ja. Könnte ich auch, wenn ich sicher wäre, das nach ein paar Drinks richtig aussprechen zu können.«

Sara runzelte die Stirn. »Ziemlich überheblich, findest du nicht?«

»Entschuldige.« Er bemühte sich um eine zerknirschte Miene.

»Und die anderen?«

»Scheinen durchaus zugänglich zu sein.«

»Gib dir Mühe, Michael. Ein paar Kontakte können dir nur gut tun.«

»Danke. Ich werde es mir merken. Deine Bräune steht dir übrigens fantastisch.«

Er meinte es aufrichtig.

»Deine dir auch. Obwohl Sonnenbaden neuerdings eher als schädlich gilt.«

Er schwieg einen Moment lang unsicher, ob er es erwähnen sollte, tat es dann aber doch. »Also ist es bei euch noch immer sehr heiß, was?«

Sie nickte, und jetzt konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.

»Seit drei Wochen ohne Unterbrechung um die fünfunddreißig Grad. In der Sonne hält man es einfach nicht aus. Die Leute holen sich üble Verbrennungen, haben Angst vor Hautkrebs. Im Fernsehen behaupten sie, El Niño sei die Ursache, vielleicht auch eine neue Instabilität der allgemeinen Wettersysteme. Oder dieses kleine galaktische Ballett, das da auf uns zukommt. Keine Ahnung. Der National Enquirer macht jedenfalls eine Bomben-Auflage damit. Ich denke, wir sollten es wirklich ernster nehmen.«

»Yeah.«

»Und bei euch?«

Er wusste wirklich nicht, was er darauf antworten sollte. »Ich bitte dich. Ich bin gerade erst angekommen.«

»Stimmt.« Die knappe Härte in ihrer Stimme entging ihm nicht, eine leichte Gereiztheit über die Art und Weise, in der er ihrer Frage auswich. »Aber jetzt, Michael. Wie ist das Wetter jetzt?«

»Nachts sinken die Temperaturen natürlich. Aber nach allem, was ich gesehen und von anderen gehört habe, ist es tagsüber sonnig, trocken und heiß. Ich rauche nicht mehr, was dich vermutlich freut. Aber wenn ich noch rauchen würde, fiele es mir nicht einmal im Traum ein, mir hier eine anzustecken. Ein einziges unachtsam fortgeworfenes Streichholz, und die ganze verdammte Insel fackelt ab. Es ist, als liefe man auf Zunder. Nur trockenes Gras, abgestorbene Bäume, und die Leute husten sich den Staub aus den Lungen und fragen sich, wann es endlich regnet. An der Wand hängen Bilder von dieser Finca. Sie war früher eine Farm, Sara. Die Landschaft sollte eigentlich grün und fruchtbar sein. Stattdessen ist alles trocken, verdorrt, tot.«

Sie schwiegen eine Weile, ließen kostspielige NASA-Zeit ungenutzt verstreichen.

»Du siehst aus, als hättest du heute Abend was vor«, bemühte er sich um einen lockereren Ton. »Du strahlst eine gewisse Entschlossenheit aus, so nach dem Motto: ›Zum Teufel mit dem ganzen Mist. Heute gehe ich in ein nettes, teures Restaurant und bestelle mir Hummer und eine Flasche Chardonnay.‹ Habe ich Recht?«

Sie lächelte. »Okay. Du hast Recht.«

»Mit ihm?«

»Ihm?«

»Du weißt schon. Haben wir dieses Theater wirklich nötig? Muss ich dir den Namen buchstabieren?«

»Meinst du mit ›ihm‹ meinen Mann?«

»Ich muss dich korrigieren: deinen gegenwärtigen Mann.«

»Meinen gegenwärtigen und einzigen Mann.«

»Jaja. Toller Typ.«

Seine Meinung zu diesem Thema interessierte sie nicht, hatte sie noch nie interessiert. Ihre Gedanken waren woanders. Das las man ihrem runden, offenen Gesicht ab und der Art, wie ihn ihre großen, mandelförmigen Augen ansahen, mit einer bekümmerten Besorgnis, die er nicht zur Kenntnis nehmen wollte.

»Rede vernünftig mit mir, Michael. Bitte. Heute Nachmittag sind die Satelliten nach Kyoto zwei Mal zusammengebrochen. Offenbar haben Sonnenwinde zu heftiger elektromagnetischer Aktivität geführt. Aber nicht lang, nur für ein paar Sekunden.«

»Mit welchen Konsequenzen?«, seufzte er.

»Ganze Energieversorgungssysteme waren lahmgelegt, sowohl in Privathaushalten als auch im Bereich der Industrie. Einige Vororte von Tokio lagen im Dunkeln, ebenso ein paar Regionen in Australien. Fernmeldeverbindungen waren ebenfalls beim Teufel. Die Tokioter Börse musste für vierzig Minuten schließen, und die meisten zwischen den asiatischen Zentren und der Westküste übermittelten Daten sind verloren. Darüber hinaus wurde der Flughafen Hongkong drei Stunden lang geschlossen, weil die Funküberwachung ausfiel. Man macht ein gewaltiges magnetisches Störfeld verantwortlich, aber ich glaube, dass niemand es so genau weiß. Die Leute waren doch viel zu sehr mit den Reparaturarbeiten beschäftigt, um sich um die Ursachen kümmern zu können. Das ist nur verständlich, finde ich. Und alle reagierten entsetzlich aufgeregt. In Tokio wäre es fast zu einem Aufstand gekommen, als sie den Nikkei schlossen. Hier im Fernsehen war zu sehen, wie sich die hemdsärmeligen Burschen buchstäblich an die Gurgel gingen.«

Lieberman konnte sich die Szene gut vorstellen, seit dem Beginn der Hitzewelle hatte er viele ähnliche gesehen. Wir leben im Zeitalter der hitzigen Temperamente, dachte er. Mitunter kam es ihm vor, als würden die hohen Temperaturen die dünne Oberflächenschicht gesitteter Humanität von den Menschen abschmelzen, um die Unbeherrschtheit und Brutalität darunter bloßzulegen.

»In den Großstädten verlieren die Menschen neuerdings schnell die Nerven«, sagte er und hoffte, überzeugend zu klingen. »Himmel, im Grunde war das doch schon immer so. Wie lang hat es gedauert?«

»Etwa neun Sekunden. Mehr nicht, aber sieh dir die Folgen an. Ist das noch zu fassen?«

Draußen wurde es von Sekunde zu Sekunde heller. Der Tag lockte.

»Wir sind Wissenschaftler, Sara. Wir sind gehalten, alle Phänomene zu akzeptieren, sobald es Beweise für ihre Existenz gibt. Waren die Emissionen nur magnetisch, oder konntest du auch Radioaktivität feststellen?«

Sie sah ihn etwas unsicher an.

»Keine Ahnung, Michael. Wir suchen noch nach den Daten. Wie gesagt, die meisten Verbindungen waren unterbrochen, und diese Dinge kommen nicht einfach zurück wie ein Hund, der um einen Knochen bettelt. Aber sobald wir etwas in Händen haben, sobald es analysiert ist, schicken wir es dir. Dann kannst du es dir ansehen.«

»Ja, das mache ich. Netter Zufall, was? Dass wir bei dieser Arbeit wieder zusammentreffen, meine ich. Ich jedenfalls freue mich sehr darüber.«

Sara hat Angst, dachte er. Und obwohl ihm die richtigen Worte fehlten, ihre Dämonen zu verscheuchen, konnte ein wenig altmodische Höflichkeit nicht schaden.

»Es ist unser Fachgebiet, Michael, und noch dazu ein sehr spezielles. Wen sonst sollten sie dafür einsetzen?«

Sara fühlte, dass sie rot wurde und fragte sich, ob er das bemerkte. Aber als sie ihn wieder anblickte, fuhr er sich abwesend mit den Fingern durch die Haare und schien weder sie noch die Ungeduld zur Kenntnis zu nehmen, mit der sie ihn beobachtete.

»Stimmt«, sagte er. »Es ist angenehm, gefragt zu sein. Aber warum gehst du nicht essen, Sara? Du siehst hungrig aus. Großer Gott, du siehst ja aus, als würdest du jeden Moment verhungern.«

Schweigend sah sie ihn an, ging nicht im Geringsten auf sein Ablenkungsmanöver ein.

»Glaubst du, dass irgendjemand eine Ahnung hat, was hier vor sich geht, Michael? All diese Klimaveränderungen, diese Unberechenbarkeit. Warum das alles nicht mehr so ist, wie es sein sollte? Und warum kümmern wir uns jetzt darum? Und nicht in zwei Jahren, wenn dieser Sonnenzyklus seinen Höhepunkt erreicht? Was zum Teufel geht da vor?«

»Sara«, begann er und wünschte sich, nicht so überlegen zu klingen. »In der Natur sind solche Phänomene nun einmal üblich. Sie verblüffen uns nur, weil wir zu dumm sind, sie zu erklären. Nichts weist darauf hin, dass es sich um etwas anderes handeln könnte als das übliche Chaos, von dem wir in dem Maß mehr begreifen, in dem wir uns damit beschäftigen. Es nervt uns, weil wir es nicht unter Kontrolle haben. Es ist keine globale Erwärmung. Wir bringen Gillette dazu, FCKW aus ihrem Rasierschaum zu nehmen, und bezahlen die Chinesen dafür, kein Erdgas abzufackeln, und warten darauf, dass sich das Ozonloch schließt. Aber das ist Kinderkram. Wir haben es hier mit der Sonne zu tun, und die tut nun einmal, was sie will. Ich weiß, dass manche Leute es nicht glauben wollen, dass es in unserem Universum Dinge gibt, die sich der menschlichen Kontrolle entziehen, und dazu gehört die Sonne. Wir haben diese Gesetze nicht geschaffen, und wenn irgendetwas da draußen die Regeln von Zeit zu Zeit verändern will, dann haben wir keinen Einfluss darauf.«

Falsch, zuckte es ihm durch den Kopf, als er die Furcht in ihrem Gesicht sah.

»Versteh mich nicht falsch«, setzte er hastig hinzu. »Es gibt absolut keinen Hinweis darauf, dass wir es hier mit etwas anderem zu tun haben als geringfügigen Klimaverschiebungen, zu denen es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gekommen ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass wir uns jetzt vormachen, wir würden inzwischen ein bisschen mehr davon verstehen. Willkommen im Club.«

»Ja, vermutlich hast du Recht.« Aber sie klang nicht gerade überzeugt. »Pass gut auf dich auf, Michael«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu. Sie warf ihm einen Luftkuss zu, und ihre großen Augen musterten ihn auf eine Art, über die er nicht einmal nachdenken wollte.

»Du auch, Sara.« Er beobachtete, wie ihr Bild auf dem Monitor in sich zusammenfiel.

Lieberman verließ den Schreibtisch und trat ans Fenster. Im Osten strahlte es angenehm goldgelb, nicht in den schmuddelig-düsteren Farben, die man gemeinhin mit Smog und Umweltverschmutzung verband, sondern in gutem, altem Sonnengelb. Vermutlich war das der Grund, weshalb man La Finca für das Projekt ausgewählt hatte. Die isolierte Lage erwies sich als günstig, wenn man das Zeug auswerten wollte, das vom Himmel fiel: Es gab weder Umweltverschmutzung und Radiointerferenzen, noch beeinträchtigten Zivilisationslichter den Anblick des Nachthimmels. Nur unverfälschte Messwerte und das, was der Himmel sonst noch auf einen herabregnen ließ.

Angenehm, dachte er und wünschte sich, Saras Gesicht verdrängen zu können. Sie hatte beunruhigt ausgesehen, ängstlich – was so gar nicht typisch für sie war. Was für niemand typisch war, der im Lone Wolf arbeitete, dem Observatorium, das Lieberman wie das Paradies vorgekommen war, bis er auf der Weihnachtsfeier vor drei Jahren, nach ein paar Gläsern Sam Smith, dem Direktor, einen Faustschlag verpasste hatte und prompt gefeuert wurde.

»An die Arbeit«, sagte er leise. Und stürzte sich auf den Stapel Unterlagen und Berichte auf seinem Schreibtisch.

Kapitel 3Turbulenzen

Zentralsibirien, 04.21 Uhr UTC

Der Mann war ungefähr so alt wie Seabright und nicht gerade in Topform. Er hatte ein paar Kilo zu viel, ein rundes, schwammiges Gesicht und neigte zur Glatze. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen. Den Sitz hatte man so weit es ging zurückgestellt. Überall war Blut: auf seinem Sakko, dem Sitz, vor allem aber auf seinem Gesicht. Heftig pulsierend strömte es aus seiner Nase, quoll ihm in klebrigen Blasen durch die Finger, wenn die feuchten Papiertücher entfernt wurden, um ihn kurz Luft schnappen zu lassen.

Äußerlich ließ sich Seabright nichts anmerken, stellte aber mit einem unbehaglichen Zusammenkrampfen seines Magens fest, dass sich der Mann dem Tod nah glaubte. Das las er in seinen Augen. Geradezu flehend starrten sie ihn an: Warum ich? Warum ausgerechnet ich?

Seabright nickte ihm beruhigend zu, wenn auch mit einem schmallippigen Lächeln, griff nach Alis Arm und trat mit ihr hinter die Trennwand.

»Wie heißt er?«

»Weber. Ein deutscher Geschäftsmann. Er fliegt allein.«

»Irgendwelche chronischen Krankheiten?«

Sie schüttelte den Kopf. »Seinen Worten zufolge nicht. Ich vermute, dass er unter Bluthochdruck leidet. Als er an Bord kam, war er knallrot im Gesicht und schnaufte. Aber das ging uns allen so. Es war sehr heiß.«

»Keinerlei Hinweise auf Herzversagen?«

»Ich bin Flugbegleiterin, Captain«, sagte sie und verfluchte sich dann für ihre vorschnellen Worte. »Entschuldigung. Aber über die Ausbildungslehrgänge gehen meine medizinischen Kenntnisse nun einmal nicht hinaus. Irgendwie habe ich nicht den Eindruck, dass es sich um einen Herzanfall handelt. Allerdings habe ich so etwas noch nie erlebt. Eben war er noch völlig in Ordnung, aber in der nächsten Minute klagte er über plötzliche Kopfschmerzen und bat mich um eine Tablette. Bevor ich sie ihm holen konnte, ging es los. Das Blut strömte ihm nur so aus der Nase.«

»Ja.« Es sah selbst, wie es strömte. »Aber mittlerweile lässt es doch ein bisschen nach, oder?«

»Wenn überhaupt, dann nur wenig. Inzwischen blutet er seit einer halben Stunde. Ich wollte Sie damit nicht vorschnell belästigen. Aber Sie sehen ja selbst, in welchem Zustand er sich befindet. Er hat eine Menge Blut verloren, verliert immer mehr. Und ich weiß absolut nicht, was ich machen kann.« Sie wirkte, als wäre sie zornig auf sich selbst. »Ich nicht, und auch kein anderer an Bord.«

»Nein.«

Ali sah ihn an, und er wusste, was sie dachte: Für solche Fälle hat man einen Kapitän.

Er dachte nach. Seine Ruhe, seine Gelassenheit war für sie ebenso wichtig wie für den Mann hinter ihm.

»Ich werde sehen, ob wir irgendwo zwischenlanden können. Im Moment befinden wir uns nicht gerade in der Nähe eines Krankenhauses. Moskau wäre eine Möglichkeit, aber auch von dort sind wir noch zwei Stunden oder mehr entfernt.«

»Zwei weitere Stunden hält er niemals durch.«

»Er hat Nasenbluten, Ali. Irgendwann muss das doch aufhören.«

Sie schwieg, sah ihn nur mit einem Gesichtsausdruck an, den er aufreizend fand. Als gäbe es da etwas, was er wissen müsste.

»Ja, Sir. Er hat nur gewöhnliches Nasenbluten.«

Seabright wünschte sich in die sichere Abgeschlossenheit des Cockpits zurück, wollte ihre besorgte Miene nicht länger sehen müssen.

»Gibt es sonst noch etwas?«

Sie schwieg.

»Ali?«

»Nichts. Das wäre zu verrückt.«

In Seabrights Schläfen begann es zu hämmern. Er merkte, dass er die Beherrschung verlor.

»Wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, dann sagen Sie es.«

Sie zögerte, wollte sich offenbar keine Blöße geben.

»Er ist nicht der Einzige«, sagte sie schließlich.

»Was?«

»Als er nach dem Aspirin klingelte, war er nicht der Einzige. Auch in der Economy gibt es drei Fälle von Nasenbluten. Nicht so heftig wie bei ihm, aber schlimm genug. Genug, um den Leuten Angst zu machen. Mir Angst zu machen. Und zahllose Passagiere klagen über Kopfschmerzen. Was hat das zu bedeuten, Sir?«

Seabright konnte es sich auch nicht erklären. Es ergab einfach keinen Sinn.

»Es ist sicher eine Art Nachahmungstrieb«, erklärte er. »Sobald jemand Kopfschmerzen hat, glauben die anderen, ihnen ginge es ähnlich.« Doch schon während er das sagte, wusste er, wie schwachsinnig es sich anhörte.

»Nein.«

Sie war nicht nur besorgt, sondern auch wütend. Und irgendwie schien sich ihr Zorn gegen ihn zu richten.

»Als es losging, konnten sich etliche der Passagiere gar nicht sehen, Sir. Und dann klagten sie alle gleichzeitig über Schmerzen und Nasenbluten. So plötzlich, als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt. Himmel, sogar ich habe Kopfschmerzen.«

Sie sah ihm direkt in die Augen. »Sie nicht?«

»Langsam bekomme ich welche«, log Seabright unverfroren. Dann erinnerte er sich an die Geschichten, die er gelesen, aber nicht wirklich verarbeitet hatte. Dass Menschen bei einem Drei-Stunden-Flug in 13 000 Meter Höhe einer größeren Radioaktivität ausgesetzt sind als während eines Monats Arbeit in einem Atomkraftwerk. Er dachte an das Gesicht des Deutschen, an das klumpige, schleimige Blut, das ihm aus der Nase lief. Aber über ein so plötzlich eintretendes Ereignis wie dieses hatte in den Presseberichten nichts gestanden. Jedenfalls konnte er sich nicht daran erinnern.

Plötzlich wollte er nur noch ins Cockpit zurück. »Sie schaffen das schon, Ali. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«

Dann ging er wieder nach vorn, aber nicht so schnell, dass einer der Passagiere in der Business- oder Ersten Klasse, von denen die meisten heute eine Spur grimmiger aussahen als sonst, auf den Gedanken kommen konnte, er sei in Panik.

Gedanken kann man nicht lesen, dachte er und fügte als Postscriptum hinzu: Gott sei Dank. Denn genau in diesem Moment ahnte er, was ihn erwartete, sobald er die Cockpittür öffnete.

Er lächelte den Passagieren in der ersten Reihe der First Class zu, zwei japanischen Magnaten in dunklen Seidenanzügen, die schwitzend Champagner schlürften und lustlos in ihrem Kaviar herumstocherten. Dann schob er die Tür auf, schloss sie hastig hinter sich und starrte Jimmy Mulligan an.

Der Ire war in seinem Sitz zusammengesunken und gerade so weit bei Bewusstsein, um Seabright mit den gleichen angsterfüllten Augen anzustarren, in die er wenige Minuten zuvor geblickt hatte. Sein Gesicht war von Blut verschmiert, das ihm auch jetzt noch unablässig auf das weiße, kurzärmelige Pilotenhemd tropfte.

»Kam einfach nicht mehr hoch«, murmelte Mulligan so schleppend wie ein Betrunkener. »Tut mir Leid.«

Seabright ging in die Kabine zurück, griff sich einen halb vollen Sektkühler und ein paar Servietten und deponierte alles auf Mulligans Schoß. Dann setzte er sich auf den linken Sitz und schnallte sich an.

»Wisch dir das Blut ab, Jimmy. Kipp dir ein bisschen Wasser ins Gesicht.«

Seabright rief die GPS-Karte auf. Er wollte noch etwa eine Viertelstunde warten und dann eine Entscheidung treffen. Wenn sich die Situation nicht verschlimmerte, würde er Moskau bevorzugen. Aber sicherheitshalber informierte er sich über die nächstgelegenen Flughäfen, deren Namen ihm absolut nichts sagten. In weniger als vierzig Minuten könnte er irgendwo landen, wo man auf derartige Notfälle vorbereitet war. Unter der Voraussetzung, dass er bereit war, mitten in der sibirischen Taiga zu landen und sich mit einer medizinischen Versorgung zufrieden zu geben, die vermutlich selbst nach russischem Standard eher primitiv war.

Er starrte durch das Kanzelfenster auf die menschenleere Landschaft hinunter. Nirgendwo war eine Stadt in Sicht, nicht einmal ein Dorf. Auch keine Wolke. Es war so klar und sonnig, dass er das Gefühl hatte, bis zur Erdkrümmung und darüber hinaus sehen zu können.

»Sir?«

Erschreckt fuhr Seabright zusammen. Er hatte einen Moment lang abgeschaltet und machte sich nun bittere Vorwürfe. Dafür gab es zu viel zu tun, zu vieles zu bedenken. Er kannte die Symptome des berüchtigten Cockpit-Leidens, das alle Gedanken gerade dann ins Nichts schickte, wenn die Situation brenzlig zu werden begann.

Zu seiner Erleichterung schien es Mulligan besser zu gehen. Er hing nicht mehr hilflos in seinem Sitz und schien seine Hände unter Kontrolle zu haben. Das Nasenbluten hatte aufgehört. Er würde wieder in Ordnung kommen. Vermutlich war ihm das Gleiche passiert wie dem Deutschen in der Business Class.

»Da war ein Notruf«, sagte Mulligan, und seine Augen blickten noch immer besorgt. »Die Air Force One hat Mayday gemeldet. Die erste Hälfte habe ich mitbekommen, dann muss ich das Bewusstsein verloren haben.«

»Mist.«

Seabright rief die Präsidentenmaschine über Funk und bemühte sich, durch die atmosphärischen Störungen etwas zu hören. Er meinte, ein paar Worte zu hören, aber sie brachen unvermittelt wieder ab. Doch er glaubte, der Stimme des Piloten blankes Entsetzen entnommen zu haben. Sie waren nicht als Einzige den unsichtbaren Himmelskräften ausgesetzt.

»Air Force One«, schrie Seabright. »Wir haben Ihr Mayday erhalten und werden es weiterleiten. Was ist Ihr Problem?«

Die Nebengeräusche ließen geringfügig nach.

»Verdammt, wenn ich das wüsste«, drang eine zittrige Stimme an sein Ohr. »Aber unsere Systeme setzen aus. Wir verlieren unsere Flugtauglichkeit und ...«

Das Rauschen nahm wieder zu.

»Sir!«

Seabright hatte Mulligan fast vergessen. Die Situation war absolut grotesk.

»Die Instrumente ...«

Seabright blickte auf die LCD-Monitore, und was er sah, ließ sein Herz einen Schlag aussetzen. Kleine gelbe und rote Lichter blitzten an Stellen auf, an denen er sie nie zuvor gesehen hatte, nicht einmal während der Ausbildung: Warnsignale über den Zustand des Luftdrucks, der Servo-Steuerung, Heizung und Kerosinzufuhr, digitale Hilfeschreie von Funktionsbereichen, die nichts miteinander zu tun hatten, die nichts verband, als dass sie im elektronischen Nervensystem des Flugzeugs vorhanden waren.

Er drückte die Notfalltaste auf der GPS-Karte, ortete den nächstgelegenen Landeplatz und registrierte, dass der noch gut hundertdreißig Seemeilen entfernt war. Er stellte das Funkgerät auf die Notfrequenz ein und sprudelte Worte hervor, die er vor vielen Jahren an Bord eines zweisitzigen Chipmunk-Übungsfliegers gelernt hatte, beim Anflug auf eine RAF-Basis im schottischen Hochland.

»Mayday, Mayday, Mayday, Dragon zweiundneunzig ...«

Als er verstummte, hätte er wirklich nicht sagen können, ob er den Notruf komplett über die Lippen gebracht hatte oder nicht. Derartige Überlegungen ließen seine Schmerzen einfach nicht zu. Irgendwann während seines kleinen Sprechgesangs hatte sich in seinem Kopf ein Loch aufgetan, durch das weiß glühendes Metall hereinströmte und durch jeden einzelnen Nerv raste, während es mit seiner Stimme schrie, auch mit Jimmy Mulligans Stimme, so ohrenbetäubend, dass es die kleine abgeschlossene Welt 13 000 Meter über der Erde erschütterte, und Seabright spürte, wie sein Körper so hart gegen den Sicherheitsgurt gedrückt wurde, dass er glaubte, in Stücke gerissen zu werden.

Es war unmöglich einzuschätzen, wie lang das Ganze gedauert hatte und wie lang Seabright benötigt hatte, um wieder einigermaßen zu sich zu kommen. Die Nachwirkungen schienen fast genauso schmerzhaft zu sein wie das Ereignis selbst. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre mit einer Eisenstange auf ihn eingeschlagen worden. Er schmeckte Blut in seinem Mund und spürte, wie es ihm warm und klebrig aus der Nase rann. Er drehte den Kopf, um zu Mulligan hinüberzublicken. Der Erste Offizier war nicht leblos in sich zusammengesackt, wie er befürchtet hatte, sondern wach, bei Bewusstsein. Er konnte sich bewegen. Bald schon wird er wieder irgendwas sagen können, dachte Seabright.

Auch die Maschine schien sich wieder beruhigt zu haben. Nach den schlimmsten Besserwetter-Turbulenzen, die Seabright je erlebt hatte, waren sie glimpflich davongekommen und flogen, dank der mechanischen Fähigkeiten des Autopiloten, der sie auf Kurs hielt, dem Kopfschmerzen, plötzliche Blutungen und andere menschliche Unzulänglichkeiten nichts anhaben konnten.

Die Schaltkreise der Druckluftzufuhr schlossen sich. Es gab ein leises Geräusch – er erkannte es von den stundenlangen Notfallübungen wieder –, und die Sauerstoffmasken lösten sich aus ihren Verankerungen in der Kabinendecke.

Und jetzt zahlte sich das Training aus. Jetzt handelte man und dachte später nach. Das war einem in Fleisch und Blut übergegangen: Ganz automatisch griff man nach der Maske, nahm sie in die Hand, hielt sich das durchsichtige Plastikteil auf Mund und Nase, befestigte die Halteschnüre am Hinterkopf, bewahrte Gelassenheit, blieb ganz ruhig, bis alles wieder in Ordnung war, man wieder normal atmen konnte.

Die Luft schmeckte schal und metallisch, aber damit konnte er leben. In wenigen Minuten würde er die Maske ohnehin abnehmen können. Die Instrumente hatten nur ein bisschen verrückt gespielt, durch eine Fehlfunktion der Schaltkreise vermutlich, mit Sicherheit war es zu keinem ernsten Druckabfall in der Maschine gekommen. Er sah Mulligan an. Auch der Erste Offizier hatte seine Maske aufgesetzt. Sie war blutbefleckt. Aber er atmete regelmäßig. Es gab keinen Grund zur Besorgnis. Hinten in der Kabine würden die Stewardessen alle Hände voll zu tun haben, die Passagiere zu beruhigen und sich davon zu überzeugen, dass alle ihre Masken richtig aufgesetzt hatten. So etwas war ihm schon einmal passiert, und Seabright erinnerte sich gut daran. Auch damals war es kein massiver Druckabfall gewesen, sondern die Folgen heftiger Turbulenzen beim Überfliegen des Karakorum.

Er streckte die Hand nach der Übertragungstaste aus, um das Mayday zu widerrufen, hielt aber inne und stellte fest, dass er unter der Maske die Luft anhielt und seinen Augen nicht zu trauen wagte.

Jedes Element auf jedem LCD-Monitor flackerte hektisch, wechselte von Grün über Gelb auf Rot und wieder zurück, in einem geradezu wahnsinnigen Rhythmus, der, während er zusah, immer schneller wurde, immer manischer.

Das Geflacker trieb einem Höhepunkt zu, einer Art Befriedigung, und erlosch.

Ian Seabright lauschte den Sterbegeräuschen der Maschine, hörte die Düsen an Schwung verlieren, die Gebläse verröcheln, sah, wie jeder elektronische Impuls den Geist aufgab, starrte die leblosen Monitore an und begriff nichts. Denn was er sah, war unmöglich. Keine wie auch immer geartete Folge von Ereignissen konnte alle Schaltkreise in einem Flugzeug lahm legen, mitsamt ihren Ersatzgeräten.

Inzwischen wurde die Maschine lediglich von ihrer Eigengeschwindigkeit und der aerodynamischen Form ihrer Querruder in der Luft gehalten, schwebte im Luftstrom 13 000 Meter über Zentralasien dahin. Im Cockpit war kein Laut zu hören, nur das unaufhörliche Rauschen der Luft am Rumpf. Hinter ihnen war es mit Sicherheit anders, hinter der geschlossenen Tür, in der Passagierkabine. Die beiden Männer konnten die Schreie nicht hören. Das brauchten sie auch nicht. Die Vorstellung war schlimm genug.

Doch auch ohne Energie war es hell im Cockpit. Die Sonne strömte durch die großen Fenster herein, beleuchtete die leblosen Instrumente, machte ihnen ihre Hilflosigkeit, ihren unkontrollierbaren Flug deutlich.

Seabright starrte geradeaus durchs Fenster und bemerkte, dass der Horizont zu steigen schien, da das Flugzeug fast unmerklich in einen langsamen Sinkflug überging, und versuchte, ihre Fallrate zu schätzen, versuchte herauszubekommen, wie viel Zeit ihnen noch blieb, bis sie vom Himmel auf die Erde stürzten.

Kapitel 4Annie und Mo

La Finca, 06.49 Uhr UTC

Kurz vor sieben lief Michael Lieberman die Treppe hinunter, um zu frühstücken, trank einen halben Liter frisch ausgepressten Orangensaft, drei Tassen starken Kaffee und fragte sich, worauf er sich eigentlich eingelassen hatte.

Im Lone Wolf und vielen anderen kleinen Zentren rund um die Welt, in denen ernsthafte Solar-Astronomen zusammenkamen, galt Lieberman als der »Sonnenflecken-Mann«. Seine frühere Karriere als Entwickler von solarbetriebenen Satellitensystemen war allgemein vergessen, wenn auch nicht von ihm. Jetzt war er derjenige, an den man sich wandte, wenn man eine Karte von dem großen gelben Ball am Himmel benötigte. Nicht an den Fachmann mit der längsten Liste von Qualifikationen. Nicht an den Experten mit mehr Veröffentlichungen, als man in einem Lebensalter lesen könnte. Es ging darüber hinaus und basierte ebenso auf sachlich begründeten Annahmen wie auf intuitiven Vermutungen, die selbst er nur schwer erklären konnte. Lieberman hatte ein Gespür für die glühende Scheibe, konnte die Daten deuten, die solaren Strömungen, den ruckhaften Rhythmus der Röntgenstrahlen und vor allem das unruhige Verhalten der Flecken auf dem Antlitz der Sonne, die er zu seinem Spezialgebiet gemacht hatte. Er konnte ein Muster darin erkennen, wie sich Umbrae und Penumbrae konstant bewegten und verschoben, und konnte dann ziemlich genau schätzen, wohin sie sich als Nächstes begeben würden. Und gerade jetzt, wo die Flecken-Aktivität zwei Jahre vor der berechneten Zeit zu einem Höhepunkt kam und sich jeder einen Filter kaufte, um zu verhindern, dass der große gelbe Ball ihm die Netzhaut verbrannte, war es eine Begabung, einfach in die Sonne blicken und die Flecken mit bloßem Auge sehen zu können. Sie galt es zu pflegen.

Das La-Finca-Vorhaben unterschied sich von allen Projekten, die er in zwei Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschungsarbeit kennen gelernt hatte. Niemand sonst war zum Frühstück erschienen, es gab keine Fachsimpelei oder hoffnungsvolle Flirtversuche über die Tische hinweg. Aber das Haus war bewohnt. Das hatte er am Abend zuvor gesehen, als er vom Hubschrauberlandeplatz über das vergilbte Gras gelaufen war und Simon Bennett getroffen hatte, der ihm höflich, aber distanziert die Hand schüttelte, bevor er sich entschuldigte und in einem großen scheunenartigen Gebäude neben dem Haupthaus verschwand, in dem alle zu wohnen schienen.

Lieberman hatte einsam zu Abend gegessen, ein paar Bier in sich hineinlaufen lassen und versucht, nicht mehr darüber nachzudenken, woher die nächste Geldspritze kommen sollte, wenn diese kleine Unternehmung hinter ihm lag. Eine Festanstellung als Wissenschaftler war etwas, was er zu verachten gelernt hatte (besonders nach seiner Kündigung). Aber in Zeiten, in denen die Rechnungen sein kleines Miet-Apartment in San Francisco übersäten wie Konfetti, hatte eine feste Position durchaus ihre Vorzüge. Wenigstens hatten Sara und er keine Kinder aus ihrer dreijährigen stürmischen Ehe. Zumindest ein Trost, dachte er, schlug sich dann aber innerlich gegen die Stirn. Hätten sie Kinder gehabt, wäre ihre Ehe erst gar nicht gescheitert. Die harte und segensreiche Aufgabe, Kinder zu erziehen, hätte sie voll beansprucht. Aber man konnte seine Gene nun einmal nicht kontrollieren oder Kinder wie Pizza von Domino’s kommen lassen.

Er vertrödelte seine Zeit im Speisesaal und zählte die Minuten bis zu dem Treffen um acht, von dem Bennett gesprochen hatte. Gegen halb acht öffnete sich die Tür und eine Frau kam herein, Hand in Hand mit einem etwa neunjährigen Kind. Lieberman lächelte die beiden an und bekam ein munteres Grinsen von dem Mädchen zurück, die Mutter lächelte weniger freundlich. Die Frau war schlank bis zur Eckigkeit, mit einem hübschen, schmalen Gesicht und langen, kastanienbraunen Haaren, die ihr über den Rücken hingen. Sie trug ein weites Baumwollkleid mit Blütenmuster, und ihr Gesicht wie ihre nackten Arme zeigten das tiefe Braun, das mittlerweile unmodern war, weil jedermann nur noch an Hautkrebs zu denken schien. Sie sieht aus wie ein Hippie, dachte er. Wie die Kids, die Berkeley Ende der siebziger Jahre bevölkerten, als er sich dort immatrikulierte. Und wie jene wirkte sie ein bisschen verloren.

Im Gegensatz zu ihrer Tochter, die ihn mit ihren strahlenden blauen Augen neugierig anlächelte. Ihre blonden Haare waren so lang wie die ihrer Mutter, sie trug Jeans und ein billiges Netzhemd. Nicht gerade mit weltlichen Gütern gesegnet, dachte er. Und vielleicht setzte das der Mutter zu, schien das Kind aber nicht im Geringsten zu bekümmern.

Das Mädchen ging zum Büfett, griff nach einem runden, schneckenähnlich zusammengedrehten Gebäck, rollte es vom Ende her auf, riss kleine Stücke ab, stopfte sie sich in den Mund und sah ihn die ganze Zeit unverwandt an.

»Wirst du dafür bezahlt, dass du dieses Zeug isst?«, erkundigte sich Lieberman schließlich.

Sie starrte ihn an, und Lieberman fühlte sich auf diese schnelle, gnadenlose Art taxiert, die Kindern nun einmal eigen war. Dann sah das Kind zu seiner Mutter, bemerkte ihre Unaufmerksamkeit, griff nach einer weiteren Schnecke, legte sie auf einen Teller und kam auf ihn zu.

»Sie sollten mal probieren. Sie schmecken super«, sagte das Mädchen. Lieberman hörte die Mutter seufzen. Es passt ihr nicht, dachte er, und biss in das Gebäck. Das Kind hatte Recht. Es schmeckte hervorragend.

»Haben diese Dinger auch einen Namen?«

»Ensaimadas. Es gibt sie nur auf Mallorca. Sie werden aus Mehl und Talg gemacht. Das ist Schweinefett. Sagt man in Amerika eigentlich ›Talg‹? Ich erinnere mich nicht.«

Lieberman legte die Ensaimada auf den Teller zurück und sagte: »Talg geht schon in Ordnung, Talg ist absolut richtig. Setz dich zu mir, wenn du magst. Ich heiße Michael Lieberman.«

Das Mädchen lächelte, die Mutter sah ihn nur an, folgte dann aber ihrer Tochter.

»Annie Sinclair«, stellte sie sich vor. »Das ist meine Mom. Sie heißt Mo.«

Lieberman beugte sich vor, kniff die Augen zusammen und flüsterte: »Kann sie auch sprechen?«

»Wenn ich eine Chance dazu bekomme«, antwortete Mo Sinclair kühl, und Lieberman glaubte, ihrem Tonfall einen schottischen Akzent zu entnehmen. Sie zog sich einen Stuhl heran. »Annie kann ohne Punkt und Komma reden. Da komme ich mir manchmal überflüssig vor.«

»Ah.« Er hob die Hände zu einer hastigen Geste der Kapitulation. Kein Mann in Sicht. Es war eindeutig, die beiden verband eine sehr große Nähe, die nicht viel Licht durchließ, nicht einmal an einem so hellen, sonnigen Tag wie heute.

»Arbeiten Sie hier?«

Mo Sinclair lächelte ansatzweise, und er fühlte sich zum zweiten Mal examiniert, diesmal kühler, klinischer. »Ich kümmere mich um die technischen Anlagen. Wenn Ihr PC spinnt, rufen Sie Mo. In den meisten Fällen kann ich ihn reparieren. Dazu braucht es keine großen Fähigkeiten, verschafft mir aber Arbeit.«

»Sind Sie beide schon lange hier an diesem Ort?«

»Seit ein paar Monaten. Wir sind über die Insel gereist, und ich sah eine Zeitungsanzeige. Es ist nur eine vorübergehende Sache.«

»Und wie ist es mit der Schule?« Er sah Annie an, die ihre Blicke sofort auf den Boden richtete.

»Wie gesagt«, fügte Mo Sinclair schnell und eine Spur nervös hinzu. »Wir sind nur vorübergehend hier. Für die Schule ist später noch Zeit.«

»Ja klar«, sagte er. »Sicher.« Ihm entging nicht, dass Annie ihm einen verstohlenen Blick zuwarf. »Ich wünschte, ich wäre als Kind mehr herumgekommen«, setzte er hinzu.

»Tatsächlich?«

»Ja. Als ich so alt war wie du, war schon ein Ausflug zu Woolworth’s für uns eine große Sache. Du weißt gar nicht, wie glücklich du bist, Annie.«

Die Mutter sah ihm direkt in die Augen, und er fühlte sich vage gekränkt. Er versuchte doch nur, die Situation ein bisschen aufzulockern, mehr nicht.

»Was machen Sie beruflich?«, fragte Annie.

»Oh, ich bin ein Professor«, antwortete Lieberman schnell. »Aber versteh mich nicht falsch ... Ich meine, ich gehöre nicht zur wichtigtuerischen Sorte. Manche Leute malen. Manche reparieren Computer. Ich professore. Das Professoren ist meine Vollzeitbeschäftigung.«

Ihre Brauen schossen in die Höhe. »Aber auf welchem ...«

»Oh, verstehe. Professor zu sein genügt nicht, oder? Du willst harte Fakten? Also gut. Früher entwickelte ich Anlagen, die Sonnenlicht in Energie umwandeln. Aber das kam irgendwie aus der Mode. Jetzt bin ich der Sonnenflecken-Typ. Du kennst doch diese Sommersprossen auf dem Gesicht der Sonne, über die sich alle so aufregen? Wenn du über die mehr wissen willst – wie groß sie sind, was sie als Nächstes vorhaben –, bin ich derjenige, den du fragen musst.«

»Oh.« Sie wirkte ein bisschen enttäuscht.

»Ich schicke auch meine privaten Raketen ins All und kommuniziere mit Aliens in anderen Galaxien. Ich würde dir gern mehr darüber erzählen, aber dann müsste ich dich töten.«

Kichernd stopfte sich Annie eine halbe Ensaimada in den Mund. »Das ist doch gequirlte Ka...«

»Annie!«, rief Mo Sinclair und unterdrückte ein Lachen. »Benimm dich.«

Lieberman grinste und sah auf seine Armbanduhr. »Nun, es war toll, dich kennen zu lernen, aber ich muss dringend in eine andere Dimension enteilen. Eine Besprechung. Vielleicht wird mich jemand darüber aufklären, warum ich hier bin.«

»Das wissen Sie nicht?«, fragte Mo Sinclair.

»Nein. Sie haben mir den Vertrag geschickt, ich mache die Arbeit. Haben Sie eine Ahnung?«

Sie zuckte auf eine halbherzige Weise mit den Schultern, die Lieberman vermuten ließ, es könnte ein bisschen mehr dahinter stecken.

»Erzählen Sie mir nicht, dass Sie nur Computer reparieren.«

»So ist es. Ich glaube nicht, dass es ein großes Geheimnis ist, aber es besteht kein Anlass, uns einzuweihen.«

»Stimmt.«

»Aber Sie können es uns später erzählen.«

»Kann ich?«

»Wir können Sie zum Lunch einladen«, mischte sich Annie ein.

»Deine Mom hat vermutlich Besseres zu tun«, ließ Lieberman Mo Sinclair eine Möglichkeit zum Rückzug.

»Nein. Ich ... wir würden es gern tun«, sagte die Mutter. »Wir zeigen Ihnen ein bisschen von der Umgebung, fahren in die Stadt. Pollença ist wunderschön.«

»Das glaube ich gern. Aber jetzt muss ich los. Wissen Sie, wo sich der Besprechungsraum befindet?«

»Draußen. In dem alten Scheunengebäude. Da sind auch die Büros.«

Lieberman lächelte ein bisschen unbehaglich unter ihren Blicken, verabschiedete sich und verließ den Speisesaal.

Der Himmel war wolkenlos, schon jetzt zog sich die Hitze zusammen. Die Anlage war relativ leicht zu überblicken. Das Haupthaus diente als Unterkunft. Gearbeitet wurde in einem großen Scheunengebäude mit Antennen auf dem Dach, etwa hundert Meter vom Haupthaus entfernt, in der Nähe der Klippen. Es war kein langer Weg, aber er brachte ihn selbst so früh am Morgen ins Schnaufen. Das Wetter wirkte eigenartig, fast bösartig, wie ein sengender Kreislauf von Hitze, der kein Ende zu finden schien. Vergilbt und ausgedörrt raschelte das Gras unter den Schritten. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, machte ihm das Atmen schwer. Das einzige Geräusch waren die Wellen, die fast hundert Meter tiefer gegen die Felsen der Steilküste donnerten. Lieberman ging bis an den Klippenrand und lehnte sich gegen die Schutzmauer. Fünfzig Meter entfernt waren ein paar Helikopter geparkt. Hinter dem Haupthaus, einem quadratischen Steingemäuer in der Farbe des verdorrten Grases, erstreckte sich eine kahle, abweisende Bergkette. Zu ihren Füßen brandete die weiße Gischt des Mittelmeers gegen den Fels. Als sie Mallorca erwähnten, glaubte er, auf eine Ferieninsel zu kommen. Aber das hier sah eher aus wie der Schlupfwinkel eines menschenscheuen Millionärs auf Galapagos. Eine noch isoliertere Lage für ein Forschungsprojekt konnte man sich kaum vorstellen. In beiden Richtungen weit und breit kein anderes Haus, nur die Umrisse einer Burgruine in knapp zwei Kilometer Entfernung. Die Astronomie richtet sich an seltsamen, abgelegenen Orten ein, dachte er, aber ein eigentümlicherer Standort war kaum denkbar.

Er betrat die riesige Scheune und war dankbar über die schattige Kühle. Sechs Leute befanden sich in dem großen Hauptraum. Er war mit PCs, Wandkarten, angenehm konservativen Holzschreibtischen, hochlehnigen Stühlen und den Geräuschen emsig beschäftigter Menschen angefüllt. Drei von ihnen schoben Papiere auf ihren Schreibtischen hin und her, der Rest sah bei seinem Eintritt auf.

»Michael«, lächelte Bennett und streckte ihm eine Hand entgegen. Simon Bennett war etwa Mitte fünfzig, untersetzt, hatte sorgfältig geschnittenes graues Haar, ein rundes Gesicht und die typische Halbbrille, die Oxbridge-Akademiker ab einem bestimmten Alter bevorzugen. Er starrte Lieberman aus neugierig funkelnden Augen an. Bennett trug graue Hosen, ein weißes Hemd und eine rote Club-Krawatte. In dieser Umgebung wirkte das fehl am Platz.

Die drei Papierverschieber blickten Bennett flüchtig an, verließen wortlos den Raum und zogen die Tür hinter sich zu.

»Beschäftigen Sie viele Leute, Simon?«

»Zweiunddreißig – aber natürlich nicht alle hier. Es gibt noch einen anderen Stützpunkt bei Puig Roig in den Bergen. Deshalb geben wir so viel Geld für Hubschrauber aus.«

»Und ... äh ...«

Bennett wirkte für einen Moment verdutzt. Höflichkeit gehört nicht immer zum wissenschaftlichen Alltag, dachte Lieberman.

»Großer Gott. Ich muss mich entschuldigen. Das ist Ellis Bevan, er hat die Administration unter sich. Und das ist Irwin Schulz, der für die Computer verantwortlich ist – und einiges mehr. Ellis’ Arbeit kann ich mittlerweile ansatzweise begreifen, schließlich muss ich das Budget absegnen. Irwins Tätigkeit wird für mich wohl immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, aber er ist ein absolutes Genie, versichere ich Ihnen.«

Schulz errötete. Lieberman schätzte ihn auf höchstens Mitte zwanzig. Er war eher klein, ein bisschen korpulent und trug Jeans, T-Shirt und eine runde Nickelbrille. Schulz streckte die Hand aus.

»Hören Sie«, sagte er. »Ich bin nur das Mädchen für alles. Glauben Sie bloß nichts anderes. Sie haben im Lone Wolf gearbeitet?«

»Eine Zeit lang.«

»Beeindruckendes Observatorium. Ich war vor einigen Wochen drüben. Ihr solltet mehr Reklame für euch machen. Wir haben diese ungemein kluge Frau für unser Unternehmen gewonnen.«

»Sara?«

»Sie kennen sie?«

»Wir waren eine Weile miteinander verheiratet.«

»Oh.«

Lieberman hätte sich am liebsten in den Hintern getreten. Schulz’ Gesicht war feuerrot geworden.

»Hey, kein Problem. Wir sind gute Freunde geblieben.«

»Wie schön«, sagte Schulz, »mir ist erst kürzlich aufgegangen, wie klein die Solar-Gemeinde eigentlich ist. Sie müssen sich doch alle gut kennen.«

»Zumindest dem Namen nach«, lächelte Bennett.

Ellis Bevan musterte Lieberman. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«

Er war ungefähr 30, ein hoch gewachsener, muskulöser Mann, der sich sehr gerade hielt, mit kurz geschorenen Haaren und leicht verkniffener Miene. Das Wort »Verwaltungstechniker« ist ihm förmlich auf die Stirn geschrieben, dachte Lieberman und zuckte schuldbewusst zusammen. Es war falsch, einen Menschen vorschnell zu beurteilen, aber Bevan sah genau aus wie ein Mann, an den man sich wandte, wenn man Material brauchte, der Etat überzogen war oder die Wasserspülung nicht funktionierte.

»Verwaltung?«, fragte Lieberman.

»Ja. Alles Nichtwissenschaftliche fällt in mein Revier«, sagte Bevan mit leichtem Ostküsten-Akzent. »Telekommunikation, Transport, Finanzen.«

»Und er macht seinen Job ausgezeichnet«, bemerkte Bennett. »Diese Dinge möchten wir nicht auch noch am Hals haben.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Lieberman. »Und was genau haben Sie am Hals?«

Bennetts Lächeln verschwand. »Das wissen Sie nicht?«

»Ich bekam einen brandeiligen Anruf von der Agentur mit der Mitteilung, Sie würden hier einen Fachmann auf meinem Gebiet brauchen und gutes Geld zahlen. Das ist alles, was ich weiß.«

Bennett schwieg, und Lieberman hatte das Gefühl, einen Punkt verloren zu haben. Ein echter Wissenschaftler, einer, der nicht kurz vor der Pleite stand, hätte zumindest nachgefragt.

»Verstehe«, sagte Bennett nach einigem Nachdenken. »Es geht um wichtige Dinge, Michael, und mir fehlt die Zeit, sie jetzt ausführlich zu besprechen. Heute Abend plane ich eine umfassende Einsatzbesprechung. Hauptsächlich zu Ihrer Information.«

»Dafür bin ich Ihnen dankbar«, antwortete Lieberman. »Sie beschäftigen hier eine ganze Reihe von Leuten.«

»Vor allem Techniker«, mischte sich Bevan ein. »Bei unserer Art von Telekommunikation sind wir auf jede Menge Unterstützung angewiesen. Es muss nicht unbedingt jeder Wissenschaftler vor Ort sein. Wir sind durch ein virtuelles Infonetz mit dem Lone Wolf und einer weiteren Basis in Kyoto verbunden.«

Dreißig Leute, um ein Infonetz aufrechtzuerhalten? Lieberman konnte sich noch immer kein rechtes Bild machen.

»Aber ...«

»Michael«, sagte Bennett mit einem angestrengten Lächeln. »Wir haben wirklich sehr viel zu tun. Können Sie sich Ihre Fragen nicht bis zum Abend aufheben? Ich verspreche Ihnen, mich dann ausführlicher zu äußern. Und glauben Sie mir, Sie werden alles sehr interessant finden. Jetzt möchte ich nur betonen, wie wichtig Sie für uns sind.«

»Entscheidend«, fügte Irwin hinzu. »Wir brauchen Sie wirklich.«

»Ich bin über Ihre letzten Arbeiten informiert«, fuhr Bennett fort. »Ich finde sie ungemein vielversprechend. Wir brauchen von Ihnen das, was Sie am besten können. Eine Analyse darüber, wann und wie sich die Sonnenflecken bewegen. Wir versuchen herauszubekommen, wie viele der derzeitigen klimatischen und elektromagnetischen Ereignisse auf Veränderungen der Sonne zurückzuführen sind. Wenn Sie uns relativ sichere Prognosen liefern, können wir unsere Systeme dementsprechend einrichten, um das Beste aus der Position zu machen.«

Zu seiner Überraschung fühlte Lieberman so etwas wie verletzten Stolz. »Das ist alles?«

Bennett nickte. »Geben Sie uns stündlich einen Bericht. Irwin wird Ihnen am Nachmittag einen Zugang zum System einrichten. Wir befinden uns alle praktisch im Ausnahmezustand, bis der Höhepunkt vorüber ist.«

»Na, großartig. Also bin ich für Sie so etwas wie ein Wetterfrosch.«

»Ein extrem gut bezahlter Wetterfrosch, Michael«, gab Bennett gelassen zurück. »Und Prognosen darüber abzugeben, was sich auf einem dreiundneunzig Millionen Meilen entfernten Stern abspielen wird, kann man nicht gerade als Handlangertätigkeit bezeichnen, oder?«

»Nein? Sind Sie sicher, dass mich Ellis nicht auch zum Ausfegen braucht?« Sobald die Worte heraus waren, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum konnte er sich nur nicht beherrschen?

Bennett wandte sich den Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu. Die Unterredung war beendet. Für heute zumindest sah es so aus, als fiele Lieberman die Rolle eines Touristen zu.

Kapitel 5Direktanflug

Zentralsibirien, 04.48 Uhr UTC

Luft trägt. Das wusste Ian Seabright, es war ihm eingetrichtert worden, seit er das erste Mal mit der längst verschrotteten Chipmunk sicheren Boden verlassen hatte. Auch wenn ein Flugzeug seine Antriebsquelle verlor, tat es noch immer das, was man von ihm vermutete: Es ging in einen langen, beständigen Gleitflug über, der von der Position seiner Kontrollsysteme und der Aerodynamik seiner Konturen bestimmt wurde.

Inzwischen sank die Maschine etwa 800 Meter pro Minute, das stellte Seabright schon bald anhand eines der wenigen Instrumente an Bord fest, die keine Elektrizität benötigten: am Höhenmesser, dessen Angaben durch einfachen Luftdruck ausgelöst wurden.

Luft trägt.

Flach und tief lag das Land unter ihnen. Keine Berge, keine Wolken. Dem Himmel sei Dank. Das gab ihm Zeit zum Nachdenken. Zeit zum Handeln.

Seabright warf einen Blick auf seinen Ersten Offizier. Mulligan sah schrecklich aus, seine Sauerstoffmaske war blutverkrustet, Blutspuren waren auf seinem kurzärmeligen Pilotenhemd, große Schweißflecken in den Achselhöhlen.

Schweigend und unbewegt erwiderte der Ire seinen Blick. Auf Jimmy Mulligan konnte man sich verlassen.

Vorsichtig zog sich Seabright die Maske vom Gesicht und holte tief Luft. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Druck in der Maschine nicht abfiel und er auf die lästige Maske verzichten konnte. Die Luftverhältnisse schienen in Ordnung zu sein. Offenbar hatten sich die Masken durch irgendeine elektrische Fehlfunktion aus ihren Halterungen in der Kabinendecke gelöst, nicht durch Druckabfall. Die durch die Triebwerke strömende Luft pumpte genügend Sauerstoff in die Kabine. Genügend, um sie am Leben zu erhalten, und wenn sie erst einmal auf 6000 Meter hinuntergeglitten waren, war es ohnehin egal. In dieser Höhe gab es genug Sauerstoff, um einen wach zu halten, um Ohnmachtsanfälle zu verhindern.

Mulligan nahm ebenfalls die Maske ab und schien auf Instruktionen zu warten.

»Geh bitte nach hinten zu Ali«, sagte Seabright schnell und dachte dabei immer drei Schritte voraus. »Sag ihr, sie soll zusammen mit dem Rest der Crew die Passagiere darüber informieren, dass wir an der Lösung des Problems arbeiten und zuversichtlich sind, es beseitigen zu können. Sicherheitshalber sollen sie sich auf eine Notlandung in rund fünfzehn Minuten vorbereiten. Die Passagiere sollen die Sicherheitsinstruktionen aus der Tasche des Vordersitzes nehmen und sich alle Vorsichtsmaßnahmen genau einprägen. Die Sauerstoffmasken können sie absetzen, sollten sie aber in Griffweite behalten. Vielleicht dämpft es ein bisschen die Panik, wenn sie die verdammten Dinger nicht vor dem Gesicht haben. Ansagen sind nicht zu erwarten, die Bordsprechanlage ist zusammengebrochen. Das wissen sie zwar schon, aber sie sollten nicht damit rechnen, dass sie wieder funktionsfähig wird. Das Wetter ist gut, wir fliegen über offenes Gelände ohne Berge und können jeden Meter vor uns erkennen.«

»In Ordnung.«

»Danach komm sofort zurück und hilf mir, diese verdammte Mühle halbwegs sicher auf den Boden zu kriegen.«

»Okay.« Mulligan löste seinen Sicherheitsgurt, stand auf und verschwand durch die Tür.