Business Blues - Vera Diana Renner - E-Book

Business Blues E-Book

Vera Diana Renner

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Beschreibung

Anna hat ihr liebe Mühe mit all den unterschiedlichen Chefs und Chefinnen im Laufe ihrer Karriere. Manche fördern sie, manche treiben sie schier in den Wahnsinn. Irgendwann wird sie selbst Chefin, steigt weit nach oben ins Top Management und trotzdem… am Ende sitzt immer einer oben drüber. Anna begibt sich auf eine berufliche Abenteuerreise. Sie erlebt auf diesem Weg hautnah viele spannende Begegnungen und überraschende Wendungen, mit denen sie nie gerechnet hätte.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Texte: © 2025 Copyright by Vera Diana Renner

Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by Vera Diana Renner

Auflage 1

Verlag:

[email protected]

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH,

 

 

„Willst Du den Charakter

eines Menschen erkennen,

so gib ihm Macht“

 

Abraham Lincoln

16. Präsident der Vereinigten Staaten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERSTER TEIL Wie alles begann

ZWEITER TEIL Der junge Vorstand

DRITTER TEIL Der Sanierer

VIERTER TEIL Der Kettenraucher

FÜNFTER TEIL Der Neue

SECHSTER TEIL Der Jüngling

SIEBENTER TEIL Die Chefin

ACHTER TEIL Die Herren und Meister

NEUNTER TEIL Die ‚Flieger‘

ZEHNTER TEIL Der Macher

ELFTER TEIL Der Blender

ZWÖLFTER TEIL Die Top-Managerin

DREIZEHNTER TEIL Die Heuschrecke

VIERZEHNTER TEIL Die Borderlinerin

FÜNFZEHNTER TEIL Die Geschäftsführer

SECHZEHNTER TEIL Der Cowboy

SIEBZEHNTER TEIL Die Kollegin

ACHTZEHNTER TEIL Die Excel Koryphäe

NEUNZEHNTER TEIL Der Chancengeber

ZWANZIGSTER TEIL Der General

EINUNDZWANZIGSTER TEIL Der Lieblingschef

ZWEIUNDZWANZIGSTER TEIL Der Autokrat

DREIUNDZWANZIGSTER TEIL Der Talentierte

VIERUNDZWANZIGSTER TEIL Der Prinz

FÜNFUNDZWANZIGSTER TEIL Der Temperamentvolle

SECHSUNDZWANZIGSTER TEIL Die Debütantin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

‚Business Blues‘ ist eine fiktive Geschichte,

inspiriert von wahren Begebenheiten.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen

Personen sind zufällig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ERSTER TEILWie alles begann

München 1972

Sie fuhren vor das Terminal. Es gab Parkplätze, die kurz für das Ein- und Austeigen genutzt werden durften. Der Flughafen in München Riem war klein und überschaubar, lag er doch mitten in den Münchner Wohngebieten. Anna war so aufgeregt, denn sie durfte während der Olympiade zu Verwandten nach Hamburg reisen. Sechs Wochen Sommerferien lagen vor ihr. Das Wetter war wunderbar, wolkenloser Himmel über dem Land. Da es eine weite Reise war, kaufte ihre Mutter ein Flugticket bei der größten deutschen Fluggesellschaft, damit Anna schnell und sicher bei den Verwandten ankommen konnte. Anna war erst 11 Jahre alt und deshalb wurde sie an einem eigens dafür eingerichteten Schalter von einer sogenannten ‚Rotkäppchen Stewardess‘ eingecheckt. Anna beobachtete aufmerksam die vielen Menschen, die über den glatten Flughafenboden an ihr vorbeiliefen und Koffer auf die Gepäckwagen hievten, welche dann später alle einzeln im Bauch des Flugzeuges verladen werden sollten. Anna übergab ihr handgeschriebenes Ticket an die Dame in der schicken Uniform. Eine Kopie verschwand in der hinteren Lasche der Bordkarte, die Anna zusammen mit einer gelben Umhängetasche erhalten hatte. Das Originalticket landete hinter dem Schalter. Sie verabschiedete sich von ihrer Mutter, winkte nochmal und wurde von der Dame in Uniform an die Hand genommen. In der Wartehalle nahm sie Platz.

Ihr Flug nach Hamburg sollte schon kurze Zeit später aufgerufen werden. Ein Bus fuhr vor die gläserne Halle und die ‚Rotkäppchen‘ Stewardess nahm Anna wieder an die Hand.  Es standen verschiedene Flugzeuge auf dem Vorfeld.  Die meisten hatten einen silbernen Bauch und einen blauen Streifen rundherum. Nachdem sie die Flugzeugtreppe nach oben gegangen waren, wurde sie an eine junge Frau am Eingang übergeben. Anna bekam Gummibärchen und auch noch ein Büchlein mit Buntstiften in welchem Notizen gemacht werden konnten. Sie hatte zum Glück einen Platz am Fenster. Neben Anna nahm eine dicke Dame Platz, die fragte, ob sie denn das erste Mal fliegen würde. Anna nickte. Die Stewardessen liefen den Gang hin und her, klappten die Türen der oberen Schränke zu und lächelten den Fluggästen zu. Sie trugen himmelblaue und gelbe Uniformen. Die Kleider waren kurz und auf dem Kopf trugen sie kleine runde Hütchen. Anna war begeistert und beobachtete jede Bewegung genau. Die Türen waren geschlossen und der Kapitän begrüßte die Passagiere an Bord. Man sah ihn nicht, hörte ihn aber über die knisternden Lautsprecher. Eine weibliche Stimme erklärte die Sicherheitsvorkehrungen an Bord und die Stewardessen zeigten mit ihren Händen, wo sich die Notausgänge und die Sauerstoffmasken befanden. Zum Schluss hoben sie noch eine Anleitung in die Höhe. Als die Triebwerke laut aufzuheulen begannen und die Stewardessen angeschnallt auf ihren Plätzen saßen, brauste das Flugzeug auch schon über die Startbahn und hob kurze Zeit später ab. Das Wetter war wunderbar, als sie starteten, nur ein paar Wolken zogen vorbei, die nach kurzer Zeit unter dem Flugzeug lagen. Jetzt schien nur noch die Sonne am schier endlos erscheinenden Horizont. Während des Fluges fragte die Stewardess im gelben Kleid, ob Anna etwas trinken wolle und ob alles in Ordnung wäre. Anna war fasziniert, wie die jungen Damen mit ihren Getränkewagen durch den Gang fuhren und jeden Gast nach ihren Wünschen fragten. Es herrschte eine fast fröhliche Stimmung an Bord und als sie nach 1.30h in Hamburg landeten, war Anna fast enttäuscht, dass der Flug nicht noch länger gedauert hatte. Die Ferien in Hamburg waren ereignisreich. Mit ihren Verwandten verbrachte Anna eine schöne, unbeschwerte Zeit im Norden, am Wattenmeer, auf den Inseln der Nordsee und auf dem platten Land. In München ereignete sich währenddessen eine Tragödie. Im Fernsehen waren die fürchterlichen Bilder des Olympia Attentats zu sehen und die Menschen trauerten. Die Erwachsenen unterhielten sich darüber und die Kinder versuchten das Geschehene zu verstehen. Mitte September waren die Ferien zu Ende und Anna flog wieder nach München. Ein weiteres Mal freute sie sich über das Abenteuer fliegen und genoss jede Minute im Flugzeug. Sie bewahrte all die Gegenstände, die sie an Bord geschenkt bekommen hatte, wie Schätze in ihrem Zimmer auf. Als ihre Mutter sie vom Flughafen in München wieder abgeholt hatte stand für Anna der Berufswunsch längst fest. Sie begrüßte ihre Mutter mit einer Umarmung und rief begeistert »Wenn ich groß bin, werde ich Stewardess«

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ZWEITER TEILDer junge Vorstand

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“

Hermann Hesse

Deutsch-schweizerischer Schriftsteller

 

40 Jahre später

Wien 2012 – Januar

 

Annas erster Arbeitstag in Österreich bei ‚Vienna International‘ war gekommen. Alle Büros waren wie leergefegt. Anfang Januar gingen die Beschäftigten, die nicht im Schichtdienst arbeiteten, in den Skiurlaub. Anna sah aus dem großen Fenster im ersten Stock ihres Büros und sah die einheitlich uniformierten Crews, wie sie sich begrüßten, lachten, noch eine Zigarette rauchten, bevor sie in den Bus einstiegen, um auf ihren fliegenden Arbeitsplatz zu fahren. Alle waren dick eingehüllt in ihren warmen Winter Uniformen. Es schneite schon wieder und auch der Flughafen war ein einziges Winter Wonderland. Anna war glücklich hier angekommen zu sein und freute sich auf alles, was vor ihr lag. Sie ließ die letzten Monate Revue passieren. Als sie im Sommer letzten Jahres von Dr. Wirth, seines Zeichens Commercial Vorstand, den Anruf erhielt, ob sie sich vorstellen, könne nach Wien zu kommen und die Chefin von 3000 Kabinencrews zu werden, musste sie nicht lange nachdenken. Kurze Zeit später, nach dem sie ein Bewerbungsverfahren durchlaufen hatte, hielt sie den neuen Vertrag in der Hand. Ihr Mann Felix flog nach Wien, um eine Wohnung zu besichtigen. Anna war noch in ihrem bisherigen Job beschäftigt und konnte nicht dabei sein. Felix fuhr mit dem Schnellzug vom Flughafen Wien in die Innenstadt. Das Wetter war düster, regnerisch und windig. Seine Laune wurde von Kilometer zu Kilometer immer schlechter, als er an grauen, wenig einladenden Hochhäusern vorbeifuhr. Er entdeckte nichts Schönes und rief Anna an, als er am Bahnhof stand. »Hier will ich nicht hin, die Stadt ist ja grauenhaft.« Anna versuchte ihn zu beruhigen. »Wenn Du nicht nach Wien möchtest, fliege ich am Wochenende gerne hin und her. Aber mein Arbeitsplatz wird nun mal ab Januar in Österreich sein.«  Ein Pendeln kam für Felix nicht in Frage. Er hatte an diesem Tag einen Termin mit einem Makler im zweiten Bezirk. Er sollte eine wunderbare 120 qm große Altbau Wohnung, mit Stuck an der Decke, hohen Wänden und Türen aus längst vergangener Zeit besichtigen. Felix war entzückt und angetan von diesem außergewöhnlichen Objekt. Die Ablöse für die Küche sollte allerdings € 50.000 betragen. Felix meinte er würde es sich überlegen, er müsse noch mit seiner Frau sprechen. Das überstieg bei weiten ihre gemeinsamen Vorstellungen. Sie sagten dem Makler ab und entschieden sich letztendlich für eine herrlich großzügige Dachterrassen Wohnung auf einer Anhöhe mit Blick über ganz Wien. Im Dezember war es dann so weit. Sie bezogen ihr neues Heim. Der Ausblick hatte Felix mit der neuen Stadt längst versöhnt. Anna und er verbrachten das Weihnachtsfest auf Kisten, denn noch nicht alles war aus Deutschland geliefert worden. Ihr Vermieter, ein junger Familienvater, sagte den Beiden beim Einzug »Wenn Sie hier so richtig ankommen wollen, dann müssen Sie an Silvester um Mitternacht den Donauwalzer hören, so laut es geht und dabei das Feuerwerk anschauen. Wir sind mit den Kindern in den Bergen, uns stören Sie nicht.« Anna und Felix ließen sich also einstimmen am letzten Tag des Jahres. Sie standen auf ihrer Dachterrasse mit einem Glas österreichischem Sekt in der Hand, es schneite, die Lichter über der Stadt leuchteten und um Mitternacht läuteten die Kirchenglocken. Als sie die Gläser anstießen, lief eine kleine heiße Träne über Annas Wange. Sie war glücklich in diesem Moment. Der Donauwalzer schallte laut aus dem Lautsprecher. Jetzt musste sie lachen, denn alles schien wie in einer romantischen Filmszene. Sie wünschten sich ein glückliches neues Jahr. Anna war im Wintersportland angekommen und die Saison war im vollen Gange. Sie traf ein paar wenige Flugbegleiterinnen, plauderte hier und da, und unterhielt sich mit ihren neuen Kollegen. Es war ein echter Vorteil, dass noch nichts los war. Sie konnte sich ganz in Ruhe einen ersten Überblick über ihren neuen Arbeitsplatz verschaffen. Anna wanderte die acht Stockwerke ab. Ganz oben saß der Vorstand. Ihr eigenes Büro lag dagegen im ersten Stock, nahe an der Operation. Ihr Raum war fast so groß, wie die des CEOs. Das war höchst ungewöhnlich.  Anna ließ ihren Schreibtisch so platzieren, dass ihr Blick auf die Tür gerichtet war, um zu sehen, wer eintrat. Die Möbel waren aus feinem Holz und groß ausgefallen. Im Unternehmen wurde scheinbar darauf Wert gelegt, dass das Topmanagement gut ausgestattet war. Anna war jetzt Chefin von 3000 Menschen und führte damit den größten Bereich dieser Airline. Sie hatte drei Assistentinnen, die im Büro arbeiteten. Diese Damen hatten sich fluguntauglich gemeldet und Anna überlegte, ob sich die drei möglicherweise auf Versorgungsposten eingerichtet hatten, oder tatsächlich nicht mehr fliegen konnten. Es gab fliegende Teamleiter und noch mehrere andere Leiter, die meistens im Büro saßen und selten ein Flugzeug betraten. Anna hatte in ihrem Bereich auch drei Abteilungsleiterinnen, die ebenfalls einen sogenannten Fliegervertrag hatten, obwohl sie die Flugzeuge kaum mehr von innen sahen, außer sie flogen in den Urlaub. Das kannte Anna aus früheren Zeiten und wusste, dass dies nicht die Struktur war, die ihr vorschwebte. Ihr neuer Vorgesetzter, hieß Thomas Brettschneider, war Marketing und Produkt Chef des Unternehmens und er berichtete direkt an den CCO Herrn Dr. Wirth. Nach dem Weihnachtsurlaub lud er Anna zum ersten Meeting ein und bot ihr das Du an. »Wusstest Du, dass Dr. Wirth eigentlich Claudia zur Kabinenchefin ernennen wollte?« er sah Anna dabei fragend und etwas neugierig an. »Nein, das ist mir neu« Claudia war eine von Annas Abteilungsleiterinnen und es wurde ihr zwar zugetragen, dass Dr. Wirth und sie ein Paar waren, aber nicht mehr. Thomas war eine Quasselstrippe und er fing an aus dem Nähkästchen zu plaudern. Claudia und Dr. Wirth seien bei einem Spaziergang in Wien gesehen worden und schnell sei klar gewesen, dass sich hier etwas angebahnt hätte. Die Story sei wie ein Lauffeuer durchs Haus gegangen und sogar der Betriebsrat habe sich das Maul darüber zerrissen. Thomas lehnte sich in seinem Bürosessel zurück und erzählte weiter. Claudia könne sich schließlich sehen lassen. Sie sei eine sehr gutaussehende Enddreißigerin und so wie er das sähe, wollten jetzt beide noch ein Kind. Anna staunte nicht schlecht. Sie wusste, dass Dr. Wirth noch verheiratet war und er zwei Söhne hatte. Thomas sah aus dem Fenster. Dr. Wirth hätte ursprünglich den Plan gehabt Claudia zur Kabinenchefin zu ernennen, aber alle um ihn herum hätten ihm abgeraten sie nach oben zu hieven. Es würde auch so schon sehr viel getratscht und es stände sein Ruf auf dem Spiel. Jetzt beugte er sich wieder nach vorne und sah Anna an. Er lächelte »Glücklicherweise hatte er eine gute Alternative im Petto. Ich freue mich, dass Du da bist« Es klang ehrlich und Anna war beruhigt. Dr. Wirth und sie kannten sich aus einer früheren, sehr positiven Zusammenarbeit und Anna schätzte ihn immer noch sehr. Sie hatten sich in den letzten Jahren immer mal wieder zufällig an Flughäfen in Deutschland getroffen, beim Einchecken oder an der Autovermietung und jedes Mal, wenn Dr. Wirth sie sah, lächelte er charmant und beteuerte sie irgendwann nach Wien zu holen. Thomas räusperte sich nach seinen Ausführungen und ging mit Anna seine Erwartungen durch. Die waren herausfordernd und anspruchsvoll. Sie solle sich darauf einstellen, immer erreichbar zu sein, auch am Wochenende. Schließlich verdiene sie ordentlich und sei in einer entsprechenden Management Position. Claudia wurde schon in den nächsten Wochen schwanger. Die Affäre hatte sich in eine Partnerschaft verwandelt. Herr Dr. Wirth musste sich jetzt nur noch von seiner Noch-Ehefrau scheiden lassen. Anna beobachtete die Situation und blieb vorsichtig. Sie kam aus einem Unternehmen, in dem sie sich nicht besonders wohl gefühlt hatte und so konnte es für sie jetzt nur noch besser werden. Annas Titel war jetzt ‚Senior Director‘ und sie spürte, dass ihr die meisten Mitarbeiter aufgrund der hierarchischen Gegebenheiten mit einigem Abstand begegneten. Es gab einige Schmeichler und für Anna war es neu, dass jeder überfreundlich auf sie zukam. In den E-Mails verwendete man als Abschlussgruß ‚Liebe Grüße‘, egal wer schrieb. Das kannte sie aus Deutschland nicht. Dort war ‚Freundlicher Gruß‘ oder ‚viele Grüße‘, schon überschwänglich. Das Interesse an Anna war groß. Jeder wollte sie kennenlernen. Sie hatte Glück mit ihrer Herkunft, denn sie kam aus Bayern und war damit kein Piefke. Das war auch in sprachlicher Hinsicht ein großer Vorteil, denn österreichisch und bayrisch waren verwandt und so verstand man sich ohne Probleme. Anna wurde sogar als Undercover Österreicherin gesehen und eine Dame empfahl ihr nur noch die österreichische Sprache zu verfeinern, dann wäre alles in Ordnung. Thomas Brettschneider war ein sportlicher Mann in den Vierzigern und hatte viele kreative Ideen. Gerade befand er sich in einer Phase von Ernährungsumstellung und mit dieser Diät war er nur noch die Hälfte seiner selbst. Schmal und schmächtig saß er hinter seinem Schreibtisch und sah irgendwie krank aus. Anna versuchte seine Ideen aufzunehmen. Sie hatte den Eindruck, dass er von den Flugbegleitern nicht besonders ernst genommen wurde. Jeder Flug, so stellte es sich Thomas vor, sollte ein ganz besonderes Event für die Fluggäste sein. Er gab die Anweisung, die Flugbegleiter an Bord sollten während des Fluges die Kinder schminken. Er gab Buttons mit der Aufschrift „Ich bringe sie zum Lächeln“ bei einer Wiener Druckerei in Auftrag, welche auf der Uniform getragen werden sollten. In einer großen Box, inmitten der Briefing Räume, sollten sich die Crews damit ausstatten. Damit ging er ihnen mächtig auf die Nerven. Die Kabinencrews hatten den Eindruck, dass ihre wahren Probleme nicht ernstgenommen wurden. Sie setzten daher große Hoffnung in ihre neue Chefin, diesen Ideen schnellstmöglich den Garaus zu machen. Thomas wurde nur noch „Smilemaker“ genannt. Herr „Smilemaker“ hatte wenig Ahnung von der täglichen Operation, duzte jeden und war nicht sonderlich beliebt, wie Anna schon nach kurzer Zeit bemerken konnte. Seine Art gefiel nicht jedem. Es störte ihn nicht, dass er die Abläufe nicht verstand. Er war überzeugt, die Flugbegleiter hätten genügend Zeit, für viele einzelne Animationen und Kunststücke an Bord. Ein Erlebnis aus jeder Reise zu machen, das fand Anna gut, aber musste ein Zirkus daraus werden oder gab es noch ganz andere Möglichkeiten die Gäste zu begeistern? Thomas ließ Anna bald in Ruhe, da er merkte, dass sie viel Erfahrung mitbrachte. Es hatte sich eingespielt, dass sie einmal in der Woche in den 4. Stock fuhr, um ihm zu berichten, was sie alles zu ändern gedachte und welche Fortschritte sie schon gemacht hatte. Damit konnte Thomas auch beim Vorstand punkten und das reichte ihm. Anna nahm die Struktur in Angriff und stellte zuerst einen fähigen Referenten ein. Er hieß Johann, ganz österreichisch, wurde überall aber nur Jo genannt. Jo war ein junges, Talent und kannte sich im Unternehmen aus. Er verfügte über ein großes Netzwerk, weil er es verstand auf Menschen zuzugehen. Alle Neuerungen und Informationen saugte er auf wie ein Schwamm. Vom ersten Moment an war Jo für Anna eine Stütze und der loyalste Mitarbeiter, den man sich vorstellen konnte. Er wurde schon nach kurzer Zeit ihr engster Vertrauter. Jo kam vom Fach. Er war Flugbegleiter gewesen und hatte auch schon Erfahrungen in der Einsatzplanung, die er für seine jetzige Tätigkeit bei Anna jeden Tag brauchen sollte. Jo war ein gutaussehender, großer Mann mit Charme und Stil. Anna hatte sich sofort nach dem Bewerbungsgespräch für ihn entschieden. Er war ihr Mann für alle Fälle. Vor Annas Büro errichtete Jo eine kleine Festung bestehend aus einem runden Tisch und bunten Stühlen. Das lenkte ein wenig vom hässlichen grünen Teppichboden ab, der anscheinend schon länger in der Etage lag. Auf den Stühlen durften Besucher warten, nachdem sie sich bei Jo angemeldet hatten. Keiner sollte an ihm vorbei bei seiner Chefin einfach so hineinschneien. Alles sollte seine Ordnung haben. Jo kicherte »Ich bin ein Monk« Das war tatsächlich witzig und seine Genauigkeit half Anna besonders in den ersten Wochen sich gut in das Tagesgeschäft einzufinden. Jo nannte Anna nach wenigen Tagen scherzhaft Miranda. Das war die Chefin aus dem Film »Der Teufel trägt Prada« mit Meryl Streep. Anna mochte den Film und musste lachen, als sie das hörte »Solange man Dich nicht Emily nennt, ist ja alles in Ordnung« gab sie zurück. Es wurde Ernst. Anna baute kurzerhand die Führung komplett um und führte in den nächsten Wochen 50 Bewerbungsgespräche mit den unterschiedlichsten Menschen. Sie bat eine Dame der Personalabteilung, die große Ähnlichkeit mit der jungen Audrey Hepburn hatte, mit ihr die Kandidaten zu interviewen und auszuwählen. Sie hieß Michelle. Die nächsten Wochen waren eine überaus herzliche Phase, denn die Gespräche liefen sehr gut und Michelle und sie verstanden sich prächtig. Es freute Anna, dass sich vor allem viele Flugbegleiter bewarben, um die Organisation neu zu gestalten. Anna fühlte sich wohl, die Mentalität lag ihr und sie lernte noch die fehlenden österreichischen Worte. Ihren bayrischen Dialekt konnte sie beibehalten, ohne dass sie jemand schief ansah. Alles war locker und »Leiwand«. Dr. Wirth war sichtlich zufrieden damit, dass er Anna ins Unternehmen geholt hatte und lud sie zwischendurch in den achten Stock zum Gespräch ein. Es war immer wieder ein Erlebnis diese Räume in der obersten Etage zu betreten, die nur mit dem Sicherheitsausweis zu erreichen waren. Das dunkle Parkett des langen Ganges war gebohnert und jeder Schritt hallte, bevor man vor den großzügigen Schreibtischen der Vorstandsassistentinnen rechts und links der Büros stand. Dr. Wirth machte Anna regelmäßig bei einer Tasse Kaffee viele Komplimente über ihre Leistungen und den Rückmeldungen, die er über den Flurfunk erhalten hatte. Die Termine verliefen immer angenehm und Anna war froh über den guten Kontakt. Er gab ihr das Gefühl von Sicherheit. Diesmal aber war etwas anders. Dr. Wirth war angespannt und sein Gesichtsausdruck wirkte ernst. »Es rumort im gesamten Unternehmen und die Atmosphäre wird zunehmend bedrückender« sagte er besorgt. »Die Zahlen sind tiefrot und die Nervosität steigt im Konzern.« Er sah aus dem Fenster. Von hier oben hatte man einen wunderbaren Blick über das Vorfeld. Die Flugzeuge standen in einer Reihe und wurden für die anstehenden Abflüge gerade beladen. Seine sonst so jugendliche Frische war verschwunden und in seinem Gesicht zeigten sich Sorgenfalten. Er wolle Anna nicht beunruhigen, meinte er mit ruhiger Stimme. Sie solle sich weiterhin auf ihren Bereich konzentrieren, aber sie sollte möglicherweise auch auf größere Veränderungen gefasst sein. Es würde alles gut werden. Sie fuhr mit einem unguten Gefühl zurück in den ersten Stock. Die Informationen von ihrem Chef Thomas waren meist nur dürftig und so wurde sie von dem bevorstehenden Wechsel im Vorstand trotz der Warnungen von Dr. Wirth überrascht. Angeblich stand das Unternehmen kurz vor der Insolvenz. Anna ließ sich bei ihren Gesprächen mit Kollegen nichts anmerken, tauschte sich aber mit Jo aus. Er solle das Thema bitte noch für sich behalten, bat sie ihn. Informationen dazu kämen sicher in kürze von ganz oben. An Dr. Wirths Seite gab es noch den Vorstand für Personal und Recht, Herrn Dr. Maler. Er war nicht groß, trug eine Brille, welches an ein Kassengestellt aus den 60er Jahren erinnerte und trug Anzüge, wie man sie früher bei älteren Herren auf dem Finanzamt gewohnt war. Mit seiner Halbglatze wirkte er wesentlich älter als er vermutlich war. Er hätte eine viel jüngere Flugbegleiterin geheiratet meinte Jo in einem ihrer Meetings. Über Dr. Wirth und Dr. Maler gab es einen CEO. Ein ehemaliger Pilot aus Südamerika, Herr Alberto Sanchez. Er wurde zum Unternehmenslenker ernannt, kurz bevor Anna ihre Stelle antrat. Anna kannte ihn zwar nicht, aber Herr Sanchez schien keineswegs ein Unbekannter in der Branche zu sein. Er hatte viele Jahre eine wichtige Allianz aus weltweit führenden Fluglinien geführt und war ein erfahrener Top-Manager. Er wusste was es hieß Unternehmen zu sanieren, Insolvenzen abzuwenden und wirtschaftliche Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Herr Sanchez sprach Deutsch mit starkem spanischem Akzent und Anna überlegte bei ihrem ersten Treffen, ob sie mit ihm in ihrem erlernten Spanisch reden sollte. Es fehlte ihr dazu aber der Mut und so blieb sie beim hochdeutsch, als sie ihm in ihrem ersten Gespräch ihre Pläne präsentierte. Anna und alle Mitarbeiter sollten Herrn Sanchez in den nächsten Monaten noch besser kennenlernen. Eigentlich sollte ein Franzose, Monsieur Legrand, zum CEO ernannt werden. Der ehemalige Marketingchef aus Paris war ein Herzensbrecher und kein Unbekannter im Konzern. Alle hatten sich schon auf ihn eingestellt. Einen Tag vor seinem Dienstantritt änderte er seine Meinung kurzfristig und ging nach Dubai. Dort schien es für ihn ein noch lukrativeres Angebot gegeben zu haben.

Nachdem Herr Sanchez gekommen war, dauerte es nicht lange bis es zwischen Herrn Dr. Wirth, Herrn Dr. Maler und ihm zu ersten Spannungen kam. Beide sollten schon bald ihre Posten räumen. Mit Dr. Maler hatte Anna nie engen Kontakt gehabt, man grüßte sich freundlich, wenn man sich begegnete, aber für Dr. Wirth tat es ihr sehr leid. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie überhaupt hier gelandet war. Alles ging sehr schnell. Nach einer kurzen Verabschiedung waren beide schon im April nicht mehr im Amt. Die Nachricht erschütterte das Unternehmen wie ein kleines Erdbeben. Dr. Wirth war äußerst beliebt gewesen. Er war ein Verlust für das Unternehmen. Anna hatte sich mittlerweile eingearbeitet und beobachtete die Vorgänge wachsam. Langsam verstand sie die Zusammenhänge immer besser. Mit Dr. Wirth musste auch ihr eigener Chef Thomas Brettschneider gehen. Es sollten noch lange nicht die einzigen Top-Manager bleiben, die nun ausgetauscht wurden. Allen voran der Personalchef Hochegger aus dem 6. Stock, ein offensichtlicher Alkoholiker. Er wurde von einem Tag auf den anderen entlassen. Herr Hochegger soll stets einen Flachmann in seinem Schreibtisch gehabt haben, wie Anna von Michelle aus der Personalabteilung erfuhr. Es gab Unmengen an Geschichten über ihn, die jetzt auf den Fluren getratscht wurden. Den vielen Alkohol sah man ihm nicht nur an, sondern roch ihn auch, wenn man näher mit ihm zu tun hatte. Über diesen Weggang wunderte sich Anna nicht sonderlich. Im Gegenteil, dass er überhaupt in diese Position gelangt war, grenzte ihrer Meinung nach an ein Wunder. Dann gab es noch den Chef der Bodenabfertigung Herrn Pilgrim. Er wurde an einem Dienstag zu Herrn Sanchez in den achten Stock gerufen. Herr Pilgrim dachte, dass er aufgrund seiner Leistungen eine Beförderung erhalten würde, doch es sollte anders kommen, denn auch er konnte sich seine Papiere abholen. Anna traf ihn im Aufzug nach dem Gespräch mit dem Vorstand. Er war fassungslos, wie er Anna mitteilte. Es könne doch gar nicht sein, dass man ihn und seine Fähigkeiten nicht mehr brauchen würde. Anna hatte keine Antwort für ihn parat. Eine mächtige Rochade bei den Führungskräften des Hauses begann. Der IT-Chef wurde jetzt Personalchef und der Herr aus der Planung wurde jetzt Chef der Bodenabfertigung. Alles sollte neu aufgestellt werden. Nebenbei liefen Kollektivverhandlung, das waren die österreichischen Tarifverhandlungen, die Anna aus Deutschland kannte und sehr ähnlich abgehalten wurden. Es war Schweigen vereinbart worden und so war es für Anna schwierig herauszuhören, ob eine Einigung in Sicht war. Wenig bis gar nichts drang nach außen. Alle hüllten sich in Schweigen. Ein neuer Vorstand aus Deutschland wurde geschickt. Herr Dr. Daimler, ein großer schlaksiger Mann der durch seinen prüfenden Gesichtsausdruck ziemlich arrogant wirkte. Wie ein stolzer Hahn lief er durch die Gänge und begutachtete die Geschicke des Unternehmens. Da Thomas kurzfristig abhandengekommen war, wurde Dr. Daimler nun vorübergehend Annas Chef. Das hatte Herr Sanchez bestimmt. Dr. Daimler hatte zum ersten Meeting in den achten Stock eingeladen und begrüßte die Runde »Ich möchte, dass sie sofort alle Mobiltelefone abschalten und die Laptops zuklappen.« sagte er streng »Konzentrieren sie sich, auf die Dinge, die ich sage.« Im Besprechungsraum konnte man eine Stecknadel fallen hören. Vier Kollegen saßen um den kleinen quadratischen Tisch. Einer davon, er hatte neben Anna Platz genommen, widersetzte sich der Anweisung und tat ganz so, als hätte er nichts verstanden. Der Kollege kam aus Indien und war der deutschen Sprache mächtig, auch wenn er sich grundsätzlich nur auf Englisch unterhalten wollte. Dr. Daimler ließ sich diese Marotten erst gar nicht gefallen und herrschte ihn auf Deutsch an, ob er das gesagte nicht verstanden hätte. Mit einem hörbaren Seufzer schloss auch der indische Kollege seinen Computer. Das Meeting verlief angespannt, aber ohne weitere Eskalation. Es gab kein Wort über die Verhandlungen. Dr. Daimler hüllte sich in Schweigen. Der Mann auf der anderen Seite, der Arbeitnehmervertreter war der Betriebsratsvorsitzenden des fliegenden Personals Oskar Mugler. Ihn hatte Anna bereits kennengelernt. Herr Mugler war ein kleiner, drahtiger Mann, der aussah wie aus einem amerikanischen Soldatenepos. Glatze, Narben im Gesicht, Zähne wie ein Vampir. Wenn er lächelte, wirkte er kurz sympathisch. Aber das kam selten vor. Hätte er statt seiner Uniform eine grüne Hose und ein T-Shirt getragen, so wäre er auch als Söldner durchgegangen. Es fehlte nur noch die Pistole dachte Anna, bei ihrer ersten Begegnung. Oskar Mugler hätte am liebsten alle eingeschüchtert. Manche Manager hatten richtig Angst vor ihm, denn vor allem mit dem Management schien er einen Dauerkrieg führen zu wollen. Selbst seine Anhänger aus seiner Mannschaft, wie er immer wieder betonte, hielten einen gewissen Sicherheitsabstand. Oskar Mugler hatte etwas von einer unkontrollierten Bombe und konnte durchaus im nächsten Moment explodieren. Bei der ersten Begegnung raunte er Anna misstrauisch an »Ich habe versucht, Sie zu Googlen und über Social-Media mehr von Ihnen zu erfahren. Ich habe Sie nicht gefunden. Wer sind Sie?« Anna lächelte und meinte, er solle sich noch überraschen lassen, sie hätte einiges in Planung. Das akzeptierte Oskar Mugler für den Moment. Er fühlte sich ohnehin unantastbar und mächtig. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass durch seine Unnachgiebigkeit, seinen persönlichen Animositäten Entscheidungen getroffen wurden, die sein zu vertretendes Personal als Verlierer dastehen ließen. Die nächsten Wochen sollten entscheidend sein. Anna ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen den Bereich zu erneuern und arbeitet weiterhin, als wäre alles normal. Im Moment war das die einzige Strategie, um ihre Umgebung stabil zu halten und sich selbst Sicherheit zuzusprechen, auch wenn es rundherum ziemlich turbulent zuging. Anna hatte mittlerweile ihr Team ausgewählt. Die Nachwuchskräfte, von denen sie überzeugt war, dass sie die Zukunftsthemen bewältigen würden, waren trotz der aufkommenden schwarzen Wolken motiviert und engagiert, gemeinsam mit ihr die großen Themen anzupacken. Sie orientierten sich jetzt an Anna und das schien allen zu diesem Zeitpunkt die notwendige Ruhe zu geben. Ende Mai war der Frühling in Wien angekommen. Anna war in einer der berühmtesten Hofzuckerbäckereien der K&K Monarchie mitten in der Altstadt zu einer Verkostung der besonderen Art eingeladen. Es war bereits warm in der Stadt und so lief sie durch die Straßen an Altwiener Gebäuden vorbei, bewunderte die Jugendstil Architektur der 20iger Jahre und fühlte sich glücklich hier leben zu dürfen. Der Krieg hatte die Bauwerke größtenteils verschont und so wirkten die Prachtbauten immer noch als wäre die Zeit stehen geblieben. Großzügig zeigten sich die breiten Straßen und strotzten nur so von kaiserlicher Geschichte. Sie erreichte zu Fuß die Lokalität, in der die Veranstaltung stattfinden sollte und wurde bereits im ersten Stock herzlich empfangen. »Schön, dass Sie da sind. Wir freuen uns sehr« begrüßte sie einer ihrer Flugbegleiter. Er wolle ihr ein wenig die Bedeutung der Räume erklären sagte er nicht ohne Stolz und fing an auf wienerisch zu erzählen. In den 1970er Jahren sei hier der berühmt berüchtigte Club 45 untergebracht gewesen. Ob sie wisse, dass sich Diplomaten, Politpromiente und Ganoven wie ein Udo Proksch hier die Klinke in die Hand gegeben hätten. Anna wusste es nicht und hörte aufmerksam seinen Geschichten zu. Während des ‚Eisernen Vorhangs‘ fuhr er fort hätte sich hier sogar der österreichische Verteidigungsminister Karl Lütgendorf einen eigenen Salon eingerichtet. Anna war beeindruckt von der historischen Fülle seiner Erzählungen und bedankte sich für die ausführlichen Anekdoten. An diesem Abend kamen Flugbegleiter, die als Bord Sommeliers ausgebildet waren zum Einsatz. Die Veranstaltung diente zur Auswahl der Weine an Bord der Flugzeuge für die nächste Saison. Alle freuten sich, dass sie ihrer Chefin Anna die mit Hingabe angerichteten schmackhaften, österreichischen Köstlichkeiten präsentieren konnten. Es duftete in einer Ecke würzig nach verschiedenen Schinken und ein paar Schritte weiter süß nach puderzuckrigen Kaiserschmarrn und Kaffee. Die Weine der Regionen des Landes waren so vielfältig, wie Anna es sich bisher nicht träumen hätte lassen. Ein Wiener ‚Gemischter Satz‘ aus dem Anbaugebiet im Wiener Grinzing, sowie ein Gelber Muskateller aus der Steiermark hatten es ihr besonders angetan. Anna war fasziniert von der Gastlichkeit ihrer Kollegen, plauderte hier und da und fühlte sich rundum wohl und aufgenommen. Nicht viel später stieß Herr Dr. Daimler zur Gesellschaft. Er war gut gelaunt und gesprächig. Anders als in den Büroräumen wirkte er fast sympathisch und die Damen der Veranstaltung scharten sich jetzt um ihn herum und schäkerten zwanglos. Er erzählte, dass er eine Wohnung mitten in der Wiener Altstadt gefunden hätte und am Abend des Öfteren Tango Musik höre, die von der Straße bis an seinen Balkon erklingen würde. Er wohne im zweiten Stock und wenn er nach unten auf die Straße sähe, sehe er jungen Paaren beim Tango tanzen zu. Das sei ein wunderbares Erlebnis und gäbe es wohl so nur in Wien. In einer ruhigen Minute bat er Anna um ein kurzes vier Augen Gespräch. Er meinte fast beiläufig »Es kann sein, dass Sie nächste Woche die Kabinenleitung abgeben müssen.« Anna dachte sie habe nicht richtig gehört und sah ihn entgeistert an. »Nicht auf Dauer, nur für eine gewisse Zeit.« schob er hinterher und versuchte sie zu beruhigen. Anna verstand nicht, was Dr. Daimler meinte. »Wir werden uns bei den Kollektivverhandlungen nicht einigen und das heißt, wir werden unsere Fluggesellschaft die ‚Vienna International‘ wohl oder übel in das kleine Tochterunternehmen ‚Mountain Air’ schieben. Auf diese Weise werden wir einen gültigen Kollektivvertrag haben, denn die gesamte Organisation wird zusammengeführt.« Er meinte noch, dass es bedauerlich sei, aber in der neuen Gesellschaft gäbe es schon eine Kabinenchefin. Anna fragte, ob das denn so einfach ginge und schenkte sich einen dunklen Rotwein aus dem Burgenland ein. Ja das wäre alles bereits geprüft worden und ganze Heerscharen von Anwälten hätten das Vorgehen befürwortet. Anna nahm einen kräftigen Schluck. Sie ahnte, dass das nichts Gutes für sie bedeuteten würde. Sie versuchte, eine gute Stimmung beizubehalten und niemandem ihre gedrückten Gedanken merken zu lassen. Dr. Daimler verabschiedete sich »Alles Weitere dann morgen«

   

 

 

 

 

 

 

 

 

        

 

 

 

 

DRITTER TEILDer Sanierer

Und wenn du auch die Kraft hast, einen Berg zu versetzen,so brauchst du noch einen Verstand,

der so groß und ruhig ist wie ein Ozean.

 

„aus China“

 

Anna war also auch dran. Jo saß bereits in der zum Saal kurzerhand umgestalteten Kantine und winkte. Er hatte ihr ganz vorne in der zweiten Reihe einen Platz freigehalten, Kaffee besorgt und meinte, dass dieser Tag wohl nichts Gutes bringen würde. Er hätte bereits über den Flurfunk Gerüchte gehört. Er verdrehte die Augen nach oben. Aber er sei einiges gewöhnt in diesem Unternehmen und so könne ihn kaum etwas erschüttern. Anna deutete ein Lächeln an, schwieg und trank ihren Kaffee. Nach und nach füllten sich die Reihen, bis selbst die Stehplätze bis hinaus zur Eingangstür vollständig belegt waren und die Kollegen sich eng aneinanderdrängten. Der Vorstand hatte zu dieser Mitarbeiterversammlung eingeladen, um Neuigkeiten zu verkünden und sehr viele waren gekommen. Die Piloten in ihren dunklen Uniformen, die Flugbegleiter elegant gekleidet, die Kollegen aus der Verwaltung, jeder wollte wissen, wie es denn jetzt weitergehen würde. Nicht nur das Karussell im Top-Management hatte sich gedreht, auch Annas Zukunft hing möglicherweise an einem seidenen Faden. Ihre Probezeit war vorbei, aber nichts war sicher in diesen Tagen.

Anna hatte den Vorstandvorsitzenden Herrn Sanchez vor ein paar Wochen persönlich kennengelernt. Sie hatten sofort einen Draht zueinander und Herr Sanchez gab Anna in dem Termin zu verstehen, dass er sie gerne im Unternehmen halten würde, egal was käme. Sie solle sich trotz der kommenden Umbrüche keine Gedanken machen. Die gestrige Ankündigung von Dr. Daimler ergab plötzlich Sinn, dachte Anna als die Vorstände die Bühne betraten. Anna würde ihre Position verlieren, aber weiterhin einen Arbeitsplatz behalten. Was auch immer das heißen mochte. Sie dachte an das Gespräch vor einer Woche mit Herrn Sanchez. »Das Wichtigste ist, dass unsere Kunden einen wunderbaren Service erfahren, auf jedem unserer Flüge.« gab er ihr zu verstehen. Die Gäste sollten charmant verwöhnt werden. Das, und nichts anderes, sei seine Erwartung an Anna. Vielleicht erreichte sie sogar noch eine Steigerung der Kundenzufriedenheit, aber es dürfe bloß keinen Abriss geben, erklärte er ihr. Das wäre die Garantie für den künftigen Unternehmenserfolg, den sie so sehr bräuchten und sie könne dazu beitragen. Sie versprach ihm alles zu tun, um ihn mit Kraft und Elan zu unterstützen. ‚Leichter gesagt als getan, wenn ich nicht an der richtigen Position sitze‘ dachte sie, als die Veranstaltung Fahrt aufnahm.

Herr Sanchez verkündete mit spanischem Akzent »Liebe Kolläginnen, liebe Kollägen, leider könnten wirr uns mit ihren Verträterrn nicht über eine neue Kollektivvertrag einigen. Um das Unternehmen zu retten, habe icch heute Nacht eine Übergabe von unsere Airline ‚Vienna International‘ in unsere kleine Tochtergesellschaft ‚Mountain Air‘ zugestimmt. Die Grossse verschwindet in der Kleine. Ich weiß, dass ist nicht ähh angenähm, aber ich habe keine andere Wahl.« Es gab ein lautes Grummeln in der Belegschaft. Die Betriebsräte versuchten mit Zwischenrufen zu stören, der Vorsitzende Oskar Mugler war außer sich und buhte bei der Ankündigung der Verschmelzung von den zwei Airlines. Er hielt dabei drohend seine Faust in die Höhe. Herr Sanchez ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, zog seine Rede durch und beendete stoisch seinen Vortrag ohne jegliche Ausschweifungen. Dr. Daimler stand die ganze Zeit während der Ausführungen neben ihm, mit dem Mund sehr nahe vor seinem Mikrofon, so als wolle er gleich etwas sagen, blieb jedoch stumm. Seine Hände hatte er in seinen Hosentaschen. Er sah dennoch nicht lässig aus, sondern eher so, als hätte er einen Stock verschluckt. Dr. Daimler nickte zwischendurch wohlwollend bei Herrn Sanchez Ankündigungen. Nachdem die Rede zu Ende war trat Dr. Daimler doch noch ins Scheinwerferlicht und zeigte eine Präsentation über die Verluste und die Entwicklung in der Luftfahrt ganz generell und über eine seiner Marketingstrategie in den nächsten Monaten. Aber das hörten viele schon nicht mehr, da sie die Veranstaltung bereits verließen und sich der Raum zügig leerte. Annas Position war wie vermutet weg. Sie hatte neben der neuen Kabinenchefin, Frau Emma Stein, gesessen, die die Leitung bei der Mountain Air innehatte. Eine korpulente, etwas untersetzte noch recht junge Dame. Sie sagte wenig bis gar nichts, sondern versuchte, alle Informationen, die sie gerade gehörte hatte, wegzulächeln. Emma Stein war höchstens Mitte dreißig und hatte keinerlei Erfahrung im internationalen Geschäft. Wer sollte es ihr verübeln, flog sie doch bisher nur auf regionalen Strecken. Sie hatte sich von der Flugbegleiterin zu Kabinenchefin hochgearbeitet und ihr Büro lag mitten in einer herrlichen Berglandschaft, fast abgeschirmt von der Welt. Herr Sanchez hatte sie in seinem Vortrag vorgestellt und meinte, es gäbe jetzt eine neue Chefin für die Flugbegleiter. Sie komme von der Mountain Air und sie würde alle Fragen beantworten. Anna wurde bei seinen Worten mulmig in der Magengegend und Jo war kreidebleich. Durch den Übergang der ‚Vienna International‘ in die Mountain Air gäbe es nur noch ein Unternehmen und dafür bräuchte man nur noch eine Leiterin. »Was machen wir denn jetzt?« fragte Jo besorgt. Er solle sich keine Sorgen machen. Es falle ihr schon etwas ein, versuchte Anna ihn zu beruhigen.

Die Vorbereitung für den formalen Übergang liefen bereits auf Hochtouren. In Windeseile wurden alle Flugzeuge auf ‚Mountain Air‘ umgeschrieben und neu firmiert. Ein echter behördlicher Kraftakt. Von einer Nacht auf die andere mussten an Bord alle Ansagen geändert werden. Es war nur das fliegende Personal von der Änderung betroffen und als Zeichen nach außen erhielten alle Crews ein neues Accessoire, dass ab sofort getragen werden sollte. Ein grau-weißes Tuch für die Kabinencrews und hellgraue Krawatten für die Piloten. ‚Vienna International‘ sollte der Vergangenheit angehören. Anna entdeckte, wie nach ein paar Tagen die ersten Crews einen Baum direkt vor dem Bürogebäude für ihre Traurigkeit sinnbildlich nutzten. Die alten Tücher und Krawatten von Flugbegleitern und Piloten von ‚Vienna International‘ wurden dort aufgehängt und wehten wie bunte Fähnchen im Wind. Im Laufe der Woche wurden es immer mehr Uniformtücher und plötzlich waren darunter auch die von ‚Mountain Air‘ zu sehen. Auch diese Crews waren von dem Zusammenschluss betroffen, auch für sie ging eine erlebte regionale Kultur und damit eine Ära zu Ende. Am Ende sah der Baum geschmückt aus, wie Anna fand. Er war von keinem mehr zu übersehen und könnte für einen wunderbaren Neuanfang stehen. Es sollte jedoch noch harte Arbeit vor ihr und allen Kollegen liegen. Anna wartete die nächsten Tage erstmal ab. Es war wichtig zunächst einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie konnte die neue Situation noch nicht greifen. Schließlich blieb das kaufmännisch-technische Personal weiterhin bei ‚Vienna International‘ angestellt, also auch sie selbst, obwohl jetzt nur noch ein einziges Flugzeug aufgrund der juristischen Vorgaben auf dem Hof stand. Es war ein denkwürdiger Umstand.  Vom Marketing bis Buchhaltung, Verkauf und Bodenorganisation wurde das gesamte Personal von den fliegenden Kollegen der ‚Mountain Air‘ getrennt. Das fühlte sich für alle sehr seltsam und nicht richtig an. Eine internationale Fluglinie mit nur einem Flugzeug und eine regionale Mountain Air, die plötzlich international tätig sein sollte, die niemand auf der Welt kannte. Es bedurfte viel Fantasie für dieses Unterfangen. Die Administration des Flugbetriebes wurde über eine schnell geschaffene Arbeitnehmerüberlassung von ‚Vienna International‘ an die ‚Mountain Air‘ verliehen. Die komplette Administration für das fliegende Personal verschoben die Verantwortlichen in die Hauptverwaltung inmitten der im Westen des Landes gelegenen Berge. Anna beobachtete, wie die dortigen Mitarbeiter die neuen unbekannten Aufgaben, so gut es eben ging, übernahmen. Alle betraten mutig Neuland mit dieser größten Umstellung in der Geschichte des Unternehmens. Die Hauptverwaltung sollte jetzt in einem großen dunklen, bunkerartigen Gebäude inmitten grüner Wälder eingegliedert sein, aus der künftig alles gesteuert werden sollte. Viele waren überfordert mit der neuen Situation. Wenn Anna einen Rat brauchte, rief sie ihren guten Freund Gerald Meister in Deutschland an. Sie kannten sich viele Jahre, hatten einige gemeinsame berufliche Erfolge gefeiert und waren im wahrsten Sinne des Wortes Vertraute. Als sie Gerald am Telefon die Situation schilderte, konnte sie ihn gedanklich direkt vor sich sehen. Sie solle jetzt bloß schnellstens raus aus den bisherigen Räumen im ersten Stock. »Du darfst mit allem, was die neue Leitung entscheidet, nicht in Verbindung gebracht werden. Wer weiß was da alles in den nächsten Wochen niedergemetzelt wird.« Sie wäre beruflich verbrannt und kriege später keinen Fuß mehr auf den Boden. Als hätte er eine Glaskugel gehabt. Gerald sollte mit vielen Befürchtungen recht behalten. Anna bedankte sich und räumte noch am gleichen Tag ihr großzügiges Büro, das sie erst vor kurzem bezogen hatte und erklärte den staunenden Führungskräften ihres Teams, dass sie der neuen Kabinenchefin Emma Stein nicht im Wege stehen wolle. Anna zog in den 2. Stock in zwei halb so große Räume, möglichst weit weg von der aktuellen Kabinenleitung. Jo nahm sie mit auf diese ungewisse Reise und er dankte es ihr, auch wenn noch nicht ganz klar war, welche Aufgaben jetzt auf sie zukamen. Vielleicht hatten sie eine Chance für die Zukunft, wer wusste es schon. Zum jetzigen Zeitpunkt keiner. Aufgeben kam für Anna sowieso nicht in Frage. Nachdem der Vorstand sie unbedingt halten wollte, begann Anna sich Gedanken zu machen, welche Aufgaben sie übernehmen könnte. Sie musste sich schnellstmöglich eine Stellenbeschreibung ausdenken, um ihre Position zu sichern. Was hatte der Vorstand Herr Sanchez von ihr gewollt? Die Kundenzufriedenheit müsse möglichst noch gesteigert werden, trotz der schwierigen Situation. Dafür mussten unbedingt die Prozesse vereinheitlicht und die beiden Personalkörper zusammengeführt werden. Alle Flugbegleiter sollten mit einer Stimme sprechen und ‚Mountain Air‘ repräsentieren. Anna überlegte, wie ihre künftige Stelle und das Projekt heißen könnten. Es sollte eine Revolution und gleichzeitig Evolution werden. Sicher war, dass hier viel Arbeit vor Anna und Jo lag. Sie erzählte ihm von ihrem Vorhaben. Jo war anfangs etwas skeptisch aber nach kurzer Überlegung ebenfalls überzeugt, dass dies der einzig mögliche Weg sei. Natürlich würde er mit ihr an einem Strang ziehen. Er freue sich drauf. »Lass uns mit einer guten Strategie starten« meinte Anna und zog die Flipcharts aus der Ecke. Schließlich müsse sie Herrn Sanchez berichten und ihn überzeugen.