Call me Baby - Katharina B. Gross - E-Book

Call me Baby E-Book

Katharina B. Gross

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Beschreibung

Tobias hatte stets Pech in der Liebe, bis er durch einen Zufall auf Niklas trifft, der ihn sofort in seinen Bann zieht und sein Herz vom ersten Moment an höherschlagen lässt. Blöd nur, dass sich Tobi schon mit Kevin, dem Bruder seines Arbeitskollegen, trifft. Je länger er Kontakt zu beiden Männern hat und je stärker seine Gefühle werden, desto verzwickter wird die Situation. Denn Tobi weiß nicht, wie er zwischen Niklas und Kevin wählen soll, ohne dass einer von ihnen verletzt wird. Kann man sich in zwei Männer gleichzeitig verlieben, die unterschiedlicher nicht sein können? Aber auch Kevin und Niklas teilen ein Geheimnis, von dem Tobias nichts ahnt.

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Katharina B. Gross

Call me Baby

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Nalinee SC – shutterstock.com

© Tony Marturano – shutterstock.com

komplett überarbeitete Neuauflage

ISBN 978-3-96089-462-9

ISBN 978-3-96089-463-6 (epub)

Inhalt:

Tobias hatte stets Pech in der Liebe, bis er durch einen Zufall auf Niklas trifft, der ihn sofort in seinen Bann zieht und sein Herz vom ersten Moment an höherschlagen lässt. Blöd nur, dass sich Tobi schon mit Kevin, dem Bruder seines Arbeitskollegen, trifft. Je länger er Kontakt zu beiden Männern hat und je stärker seine Gefühle werden, desto verzwickter wird die Situation. Denn Tobi weiß nicht, wie er zwischen Niklas und Kevin wählen soll, ohne dass einer von ihnen verletzt wird. Kann man sich in zwei Männer gleichzeitig verlieben, die unterschiedlicher nicht sein können? Aber auch Kevin und Niklas teilen ein Geheimnis, von dem Tobias nichts ahnt.

Kapitel 1

-Tobias-

»Service Center der CA Media Allstar AG, Sie sprechen mit Tobias Schmidt, was kann ich für Sie tun?«

»Bin ich da richtig beim Tierschutzverein Dackelblick? Mir ist eine Katze zugelaufen«, höre ich eine ältere Dame am anderen Ende der Leitung. Schon wieder. Ich seufze. Wieso landen neunzig Prozent aller Fehlanrufe in meiner Leitung?

»Nein. Sie sind hier bei der CA Media Allstar AG. Für den Tierschutz müssen Sie eine andere Rufnummer wählen«, erkläre ich der Frau so freundlich wie möglich. Die Gute kann nichts dafür, dass ich mittlerweile nur noch genervt davon bin, ständig Leuten weiterzuhelfen, die sich verwählen und eigentlich gar nicht mit mir sprechen wollen.

»Aber hier steht’s doch.« Ich höre Papier rascheln. Vermutlich blättert sie in einem Telefonbuch. Dass diese Dinger im Zeitalter des Internets überhaupt noch produziert werden, verstehe ich nicht. Heutzutage gibt es doch für alles eine App.

»Hier steht es«, sagt sie. Anscheinend hat sie die Nummer gefunden. »55465 …«

»Richtig. Sie haben sich verwählt. Unsere Rufnummer ist die 55466.« Ich höre noch ein überraschtes »Oh!«, dann ist die Leitung tot. Genervt setze ich das Headset ab, das ich zum Annehmen der Gespräche nutze.

»Hey, was war das denn wieder?«, fragt Michael neugierig, lehnt sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück und schaut hinter der Trennwand zwischen unseren Arbeitsplätzen hervor.

»Wieder verwählt«, brumme ich und tippe einige Daten ein. Es ist halb neun. Für heute ist meine Schicht zum Glück vorüber. Michael und ich sind sowieso schon die Letzten hier. Das Großraumbüro hat sich stetig geleert. Auch mein Kollege verabschiedet sich nun von mir.

Neben meinem Informatikstudium arbeite ich aushilfsweise als Telefonagent in der Kundenbetreuungsabteilung eines riesigen Elektronikversandhandels. Ich bin hier für Inbound-Calls zuständig. Bei mir landen am häufigsten Beschwerden über nicht gelieferte Produkte sowie Reklamationen. Die Nummer ist eine wirklich leicht zu merkende Kombination, die bei Vertippern eine Vielzahl anderer Rufnummern ergibt., weshalb es nicht selten zu Fehlanrufen kommt. Die Firma ist so groß, dass sie ein eigenes Callcenter besitzt, in dem über fünfzig Angestellte täglich mit verschiedenen Kunden telefonieren. Sobald ich nach Feierabend in die Stille meiner Zweizimmerwohnung komme, höre ich das Klingeln immer noch in meinen Ohren.

Glücklicherweise muss ich das nicht den Rest meines Lebens machen, sondern nur rund drei Stunden am Tag, je drei Abende die Woche, und manchmal auch am Wochenende, denn mehr wäre neben dem Studium wirklich nicht drin. Meine Schicht geht abends von fünf bis halb neun, sodass ich noch genügend Zeit habe, mich auf mein Studium zu konzentrieren. Die flexiblen Arbeitszeiten sind super, sodass ich die fehlenden Stunden, die ich zum Lernen brauche, in der vorlesungsfreien Zeit nachholen kann. Außerdem ist die Bezahlung echt ganz gut. Deshalb macht es mir auch überhaupt nichts aus zu einer Zeit beim Job zu sein, in der meine Freunde alle frei haben.

Nach Feierabend will ich meine Sachen gerade zusammenpacken und das Großraumbüro verlassen, als es erneut klingelt. Erst überlege ich, es einfach klingeln zu lassen und abzuhauen, schließlich bin ich heute schon wieder der Letzte hier, entscheide mich jedoch dagegen und setze das Headset wieder auf. Bevor ich allerdings meinen Spruch aufsagen kann, stöhnt mir eine tiefe, männliche Stimme ins Ohr. Vor Schreck bleibt mir beinahe das Herz stehen.

»Ich habe mich schon vorbereitet, du kannst also gleich loslegen, Baby«, keucht der Mann in den Hörer.

»Äh …« Diese Begrüßung verschlägt mir buchstäblich die Sprache. Das passiert mir wirklich nicht oft, denn eigentlich bin ich sonst nicht auf den Mund gefallen. Was zur Hölle wird das hier? Da hat sich der Kerl ganz bestimmt verwählt!

In Gedanken gehe ich alle Nummern durch, die mir einfallen. So, wie der Kerl drauf ist, wollte er ganz sicher nicht zum Tierschutzverein. Und ich dachte wirklich, die Sache mit der Sextoysbestellung letzten Montag war schon krass. Das toppt eindeutig alles, was ich hier bis jetzt gehört habe. So lustvoll hat mir noch keiner in den Hörer gestöhnt. Nicht einmal live, denn meine letzte Beziehung liegt schon einige Monate zurück und war alles andere als rosig. Beziehung konnte man diese paar Mal Sex mit Patrick ohnehin nicht wirklich nennen.

»Nicht so schüchtern«, flüstert der Mann am anderen Ende, »bestimmt machst du das nicht zum ersten Mal.«

Doch, das mache ich sehr wohl. Gott! Das hier ist ganz sicher keine Sexhotline! Sein Keuchen irritiert mich zunehmend und eigentlich sollte ich sofort auflegen, doch irgendwie gelingt es mir nicht auf Anhieb.

»Also … ich glaube … Sie sind hier falsch«, versuche ich dem Fremden zu erklären. Als Antwort bekomme ich ein raues Stöhnen. Krass, der Typ ist wohl schon voll bei der Sache. Ob er mitbekommen hat, dass er mit einem Mann spricht? Sein Atem geht nur noch stoßweise. Scheiße, der holt sich tatsächlich einen runter, während ich ihm zuhöre! Völlig überrumpelt lausche ich seiner lustvollen Stimme. Sie macht es mir unmöglich einfach aufzulegen. Langsam wird mir heiß und meine Fingerspitzen kribbeln.

»Also …«, starte ich einen neuen Versuch, um mich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. »Sie haben sich verwählt.«

Der Mann antwortet nicht, ich höre nur sein stetig lauteres Keuchen. Er ist vollkommen in seiner Lust gefangen, vermutlich ist ihm echt egal, wer dabei zuhört. Das raue Stöhnen verfehlt seine Wirkung auf meinen Körper jedoch nicht. Meine Reaktion macht mir Sorgen, immerhin weiß ich gar nicht, mit wem ich spreche. Zwar gaukelt mein Hirn mir vor, es ist ein superheißer Typ, dem diese sexy Stimme gehört, doch es könnte genauso gut auch ein alter Kerl sein, der seine besten Tage bereits hinter sich hat. Leider komme ich nicht gegen das plötzliche Verlangen in meinem Körper an, denn je länger ich ihm zuhöre, desto mehr erregt es mich. Vor allem, weil mich sein raues Stöhnen echt heiß macht. Spätestens jetzt sollte ich auflegen, bevor es peinlich wird, doch mein Körper sieht das wohl ganz anders.

 Bei der Vorstellung, was der Fremde gerade macht, entweicht mir ein Keuchen.

»Ah … mh … na bitte, geht doch«, brummt der Fremde zufrieden, als er mein Keuchen wahrnimmt. Mist, glaubt er jetzt ernsthaft, ich würde mitmachen? Mein Körper steht jedoch bereits völlig unter Strom. Es fehlt nicht mehr viel, bis ich mir tatsächlich in die Hose fasse. Sein Stöhnen wird lauter und nach einem Ächzen ist es plötzlich still. Mein Herz hämmert wie verrückt gegen meinen Brustkorb. Unruhig lausche ich in die Stille hinein. Hat er etwa einfach aufgelegt?

»Hallo?«, krächze ich ins Headset.

»Puh, hätte echt nicht gedacht, dass es so gut wird. Danke«, antwortet der Fremde und legt auf, ehe ich das Missverständnis aufklären kann. Nur langsam setze ich das Headset ab, mein Herz rast immer noch und das Blut rauscht noch in meinen Ohren. Dieses Gespräch kommt mir so unwirklich vor … Allein mein halbsteifer Schwanz verrät, dass ich es mir nicht eingebildet habe.

»Hey, was machst du denn noch hier?«, fragt plötzlich jemand hinter mir. Erschrocken springe ich vom Stuhl auf und drehe mich blitzschnell um. Michael steht vor mir und mustert mich mit hochgezogenen Brauen.

»Ähm … ich … ein Kunde«, erkläre ich stammelnd und mit glühenden Wangen. Hoffentlich glaubt er mir, denn ich bin noch nie ein guter Lügner gewesen. »Ein Kunde hat noch angerufen. Eine Beschwerde wegen einer kaputten Waschmaschine.«

»Ach so.« Michael zuckt bloß mit den Schultern, scheint jedoch nicht weiter auf das Thema eingehen zu wollen. »Wir sollten langsam gehen. Ich hätte beinahe die Bürotür verschlossen, wenn ich das Licht nicht gesehen hätte. Du hast Glück, dass ich noch mal zur Toilette musste und umgekehrt bin.«

»Das macht ja nichts, immerhin habe ich ebenfalls einen Schlüssel«, entgegne ich. Gemeinsam verlassen wir das Großraumbüro, das Michael hinter uns abschließt. Dann gehen wir aus dem Gebäude.

***

»Hey, Tobi. Hattest du gestern noch einen netten Abend?«, fragt mich Michael, als ich mich am nächsten Abend auf den Platz neben ihn fallen lasse und den Rechner hochfahre. Er ist bester Laune, was man von mir nicht gerade behaupten kann.

»Ja, ganz wunderbar«, antworte ich ironisch und verdrehe die Augen. Dieser blöde Telefonanruf gestern Abend hat mich doch ziemlich verwirrt zurückgelassen. Ich stand immer noch unter Strom und konnte einfach an nichts anderes denken, als ich von der Arbeit nach Hause gekommen bin. Selbst als ich bereits im Bett la, hallte das Stöhnen des Fremden immer noch in meinen Ohren.

»Klingt nicht gerade vielversprechend. Aber na ja, viel vom Feierabend hat man ja sowieso nicht, wenn man so spät nach Hause kommt. Ich bin auch immer froh, wenn die Kids dann schon im Bett sind und nicht noch laut tobend durchs Haus rennen.« Mein Kollege zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder seinem Monitor zu. Ich bin froh, dass er mich nicht noch weiter über die gestrige Situation ausfragt, denn sollte ihm doch etwas wegen des seltsamen Sextelefonats aufgefallen sein, wäre es superpeinlich!

Als mein Telefon klingelt, zucke ich erschrocken zusammen. Sogleich beschleunigt sich mein Puls und mein Herz schlägt einen Takt schneller. Ob es wieder der Typ von gestern ist? Das Telefon klingelt unaufhörlich, während ich hastig das Headset aufsetze. Zögernd schwebt die Mausanzeige über dem Button, das Gespräch entgegenzunehmen.

»Was ist denn mit dir los heute? Angst vor dem Telefon, oder was?«, fragt Michael erstaunt, der sich ein wenig zu mir rüber gelehnt hat. Ich schüttele den Kopf und nehme das Gespräch entgegen.

»Hallo?«, frage ich aufgeregter als sonst.

»Hallo?«, entgegnet eine Frauenstimme. »Wo bin ich denn gelandet?«

Irritiert versucht mein Hirn zu verarbeiten, was hier gerade vor sich geht. Es ist gar nicht der Mann von gestern, sondern nur eine Kundin. Plötzlich macht sich Enttäuschung in mir breit. Ich habe tatsächlich gehofft, wieder seine Stimme zu hören. Aber er hat sich bloß verwählt. Wäre also echt ein Zufall, wenn er noch mal hier landen sollte.

»Ähm … also … Sie sind hier bei der CA Media Allstar AG«, beginne ich meinen Spruch aufzusagen, werde von der Frau jedoch harsch unterbrochen.

»Erst lässt man mich endlos lange in der Leitung warten und dann werde ich nicht mal anständig begrüßt! Was ist das nur für ein Service?« Tja, und dann geht es tatsächlich um eine kaputte Waschmaschine …

***

Der Rest meiner Schicht verläuft ereignislos. Ich nehme Beschwerden entgegen, leite sie weiter, wenn sich das Problem nicht sofort lösen lässt, und bearbeite ein paar Reklamationen. Es ist recht viel los, sodass mir keine Zeit bleibt, an das gestrige Telefonat zu denken.

»Tobi, hast du vielleicht Lust, am Samstagabend bei uns vorbeizuschauen? Meine Frau hat Geburtstag und wir feiern ein wenig. Wie wär’s?« fragt mich Michael nach Feierabend. »Bei dieser Gelegenheit könnte ich dir auch meinen Bruder Kevin vorstellen.«

Ich überlege kurz. Warum eigentlich nicht? Ich war schon lange nicht mehr unter Leuten, da ich wegen der Arbeit und der Uni in letzter Zeit viel um die Ohren habe. Mein Kollege weiß schon eine ganze Weile, dass ich schwul bin. Ich habe es einmal erwähnt, als er mir von seinem jüngeren Bruder erzählt hat, der sich vor Kurzem von seinem langjährigen Freund getrennt hat. Dementsprechend wundert es mich auch nicht, dass er diesen Kevin direkt zur Sprache bringt.

»Sehr gerne«, sage ich nach kurzem Überlegen. Obwohl Michael fast fünfzehn Jahre älter ist, verstehe ich mich echt gut mit ihm. Und wenn sein Bruder nur halb so sympathisch ist, könnte ein kurzer Blick auf ihn nicht schaden.

Michael verabschiedet sich von mir. Heute bin ich wieder der Letzte im Büro. Ich fahre meinen Rechner herunter, schalte das Licht aus und verlasse den Raum. Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, höre ich ein leises Klingeln. Habe ich mich verhört? Verwirrt öffne ich die Tür wieder einen Spalt und spähe in die Dunkelheit hinein, horche in den Raum und versuche zu erahnen, woher das Geräusch kommt. Tatsächlich kommt das Klingeln von meinem Arbeitsplatz ganz hinten am Fenster. Mit wild pochendem Herzen gehe ich zurück an meinen Schreibtisch und greife nach dem Headset.

»Hallo?«, rufe ich aufgeregt, vergesse komplett meine gewohnte Begrüßung aufzusagen, weil ich verwirrt bin, dass jetzt noch jemand hier anruft. Insgeheim hoffe ich, dass es der Fremde von gestern Abend ist.

»Oh, so stürmisch?«, entgegnet eine tiefe Stimme am anderen Ende. Sein leises Lachen lässt mich unweigerlich erschaudern.

»Ähm … ja …« Ich weiß gar nicht, was ich ihm sagen soll. Vielleicht einfach das Missverständnis aufklären, dass dies hier keine Sexhotline ist? Ich zögere einen Moment zu lange.

»Okay. Wir können gleich loslegen, Baby. Warte, ich mach’s mir nur etwas bequemer. So, bin so weit.«

Ich lasse mich auf den Stuhl sinken und presse den Kopfhörer des Headsets dicht an mein Ohr. Was erwartet er jetzt von mir? Dirty Talk? Ich bin ein wenig überfordert und habe keine Ahnung, was ich sagen oder tun soll. Mein Kopf ist wie leergefegt, meine Hände fangen an zu schwitzen, sodass ich meine Finger in meine Jeans kralle.

»Ähm, soll ich schon mal anfangen … und du steigst dann ein?«, hakt der Mann etwas zögerlich nach. Seine Stimme wirkt belegt und rau, bebt ein wenig. Ich kann erahnen, dass Erregung darin mitschwingt. Die Vorstellung, dass der Fremde sich vermutlich gerade nackt in einem großen Bett rekelt, bringt mein Blut in Wallung. Dennoch habe ich ein mieses Gefühl bei dem, was ich hier tue. Ich kann von Glück reden, allein im Büro zu sein. Gestern wurde ich nicht erwischt und heute sollte ich es wirklich nicht drauf ankommen lassen, auch wenn mich der Typ am anderen Ende der Leitung total neugierig macht. Trotzdem wäre es besser, die Sache zu beenden, damit ich ruhig schlafen kann, ohne diese Angst im Nacken, wegen dieser Geschichte gekündigt zu werden.

»Also, ich …«, krächze ich nervös und muss mich räuspern, um meine Stimme fester klingen zu lassen. »Ich glaube, du hast dich verwählt. Hier ist das Service Center der CA Media Allstar AG – und wenn du nicht gerade eine Waschmaschine oder einen Staubsauger kaufen willst, glaube ich, dass wir dieses Gespräch besser beenden sollten.«

Mit angehaltenem Atem warte ich auf eine Antwort. Zwei, drei Herzschläge lang geschieht gar nichts, ich höre nur mein eigenes lautes Atmen, dann knackt es und die Leitung ist plötzlich tot. Die Anspannung fällt von mir ab und ich sacke auf dem Stuhl in mich zusammen. Irgendwie weiß ich jetzt nicht, ob ich erleichtert darüber sein soll oder enttäuscht, weil ich dieses seltsame Missverständnis geklärt habe, denn der Fremde hatte etwas in mir ausgelöst, das ich ewig nicht mehr gespürt habe. Kribbelnde Aufregung und körperliches Verlangen.

Heftig schüttele ich den Kopf und setze das Headset ab. Gott, wenn ich wirklich so nötig Sex brauche, dann kann ich genauso gut in einen Schwulenclub gehen und auf einen Quicki im Darkroom hoffen, statt mir von einem fremden Kerl an meinem Arbeitsplatz ins Ohr stöhnen zu lassen. Das ist wirklich erbärmlich. Der letzte Sex war mit meinem Ex, was bereits ewig zurückliegt. Auf One-Night-Stands war ich sonst nie aus. Woher kommen dann diese Gedanken?

Um mich endlich von diesem Durcheinander in meinem Kopf zu befreien, verlasse ich das Gebäude so schnell wie möglich.

***

Samstagabend stehe ich pünktlich um zwanzig Uhr vor Michaels Einfamilienhaus am Stadtrand. Die Gegend ist echt hübsch. So viel Grün habe ich hier gar nicht vermutet. Mit der Straßenbahn hat es ein bisschen gedauert, hierher zu kommen, aber das ist okay. Ich bin tatsächlich froh über Michaels Einladung und neugierig darauf, seinen Bruder kennen zu lernen. Denn seit diesem seltsamen Gespräch mit dem Fremden vor ein paar Tagen, geistert dessen Stimme in meinem Kopf herum, was mich total wahnsinnig macht. Da wird es sicher helfen, unter Leute zu kommen.

Anlässlich der Party habe ich mein T-Shirt gegen ein ordentlich gebügeltes Hemd ausgetauscht. Sogar Blumen habe ich besorgt, schließlich hat die Dame des Hauses Geburtstag. Auf mein Klingeln öffnet mir ein etwa sechsjähriges Mädchen die Tür. Sie schaut kurz fragend zu mir auf, dann eilt sie mit einem lauten »Mamaaaa!« davon. Etwas unsicher trete ich ein und werde von einer Frau in Empfang genommen, die gerade in den Flur kommt.

»Hallo. Du musst Tobias sein. Komm rein, fühl dich wie zu Hause«, begrüßt sie mich und sieht auf den Blumenstrauß in meinen Händen. »Oh, sind die für mich? Danke, wäre doch gar nicht nötig gewesen.« Sie nimmt mir den Strauß ab und führt mich ins Wohnzimmer, aus dem ich Musik und Stimmen höre. Dort haben sich bereits einige Geburtstagsgäste versammelt. Von wegen kleine Feier. Hier sind beinahe fünfzig Leute, verteilt auf Wohnzimmer und angrenzender Terrasse. Ein paar kenne ich von der Arbeit, der Rest ist mir fremd. Etwas verloren bleibe ich im Türrahmen stehen, ohne auf mich aufmerksam zu machen.

»Tobi! Da bist du ja endlich. Komm her, nicht so schüchtern«, höre ich meinen Kollegen rufen, der mich als Erster entdeckt. Er steht inmitten einer kleinen Gruppe von Männern und winkt mich zu sich rüber. Ich geselle mich zu ihnen.

»Kevin. Das ist Tobi, von dem ich dir schon erzählt hatte«, stellt mich Michael zwinkernd einem großen blonden Mann vor. Er hält einen kleinen Jungen auf dem Arm, der mich neugierig mustert. Lächelnd streckt Kevin mir seine freie Hand entgegen.

»Hallo. Freut mich wirklich, dich endlich persönlich kennenzulernen«, meint er mit einem Zwinkern. »Michael hat mir bereits einiges über dich erzählt.«

»Ich hoffe doch, nur Gutes.« Kevin hat einen festen Händedruck, auch sein Lächeln gefällt mir. Er wirkt sympathisch und wäre normalerweise genau der Typ Mann, mit dem ich mir eine feste Beziehung vorstellen könnte. Er lässt meine Hand viel zu schnell los, doch seine blauen Augen ruhen weiterhin auf meinem Gesicht. Ich erkenne Interesse in seinem Blick.

»So, junger Mann. Jetzt aber runter von mir«, sagt er dann zu dem kleinen Jungen und lässt ihn zu Boden. »Geh und spiel eine Runde mit deiner Schwester, okay? Ich werde mich ein wenig mit Tobias unterhalten.« Dann wendet er sich wieder mir zu. »Willst du vielleicht etwas trinken?«

»Klar, gerne«, antworte ich und folge Kevin in die Küche, in der er Bier aus dem Kühlschrank holt und mir eine der Flaschen reicht.

»Dann Prost. Darauf, dass wir uns endlich kennenlernen.« Wir öffnen die Flaschen mit einem lauten Plopp. Kevin hält seine Flasche hoch und ich stoße mit ihm an. Lässig lehnt er sich gegen die Arbeitsplatte der Küchenzeile und lächelt, nachdem er die Bierflasche wieder abgesetzt hat. »Dann sag mal, Tobias, was machst du so, wenn du nicht gerade arbeitest?«

Ich zucke mit den Schultern, denn viel gibt es nicht über mich zu erzählen. »Eigentlich nicht so viel. Neben meinem Informatikstudium habe ich wenig Zeit. Mit Freunden weggehen, Fußball …«

»Fußball?« Kevins Augen beginnen zu leuchten. »Spielst du?«

»Hab ich mal. Aber das ist wirklich schon ewig her.« Das letzte Mal, als ich selbst hinter einem Ball hinterhergerannt bin, war ich zehn und in der Fußballmannschaft meines Heimatortes.

»Ich habe auch gespielt. War sogar echt gut. Aber das war bevor ich mit der Ausbildung angefangen habe. Also ebenfalls vor einer ganzen Weile. Na ja, meine Kumpels fanden es jedoch nicht so klasse, einen schwulen Spieler unter sich zu haben, als es rauskam, dass ich plötzlich einen festen Freund habe.« Ein bitterer Zug zeichnet sich um seinen Mund ab. Aus dem Lächeln von eben wird eine ausdruckslose Maske. Es muss schlimm für ihn gewesen sein muss, wegen seiner Homosexualität von seinen Freunden ausgegrenzt zu werden. Ich selbst hatte nie Probleme damit, bin schon immer offen damit umgegangen, auf Männer zu stehen. Niemand hat mich deshalb in der Schule verurteilt, auch meine Mutter hat mein Coming-out als selbstverständlich angenommen und mich darin bestärkt, zu mir selbst zu stehen.

»Das war auch einer der Gründe, warum ich hierher zu Michael gezogen bin. Ich hab’s daheim nicht mehr ausgehalten. Auf welchen Verein stehst du?«, fragt Kevin dann weiter und lächelt erneut. Ich stelle fest, dass mir sein Lächeln gefällt. Keine Ahnung, was er nach seinem Coming-out durchmachen musste, doch das ist kein Thema, das man mit einem fremden Mann in der Küche ausdiskutieren sollte.

»BVB«, sage ich also, um seine Frage zu beantworten. Ich bin zwar nicht der größte Fan, aber die wichtigsten Spiele sehe ich mir schon im Fernsehen an.

»Echt? Sorry, aber da kann ich nicht mitgehen. Ich bin Bayern-Fan.« Er löst sich von der Arbeitsplatte und kommt näher zu mir, ehe er mir dann kumpelhaft seinen Arm um die Schulter legt. »Tobi, du solltest dir wirklich mal überlegen, den Verein zu wechseln. Hast du nicht das letzte Spiel gesehen, wo Bayern deine Dortmunder abgezogen hat? Die hatten kaum eine Chance!«

Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus. Die Wärme seines Körpers dringt durch meine Kleidung und lässt mich erschaudern. Sogleich beschleunigt sich mein Puls. Michael hat nicht zu viel versprochen, als er meinte, ich würde mich sicher gut mit seinem Bruder verstehen. Kevin wirkt vom ersten Moment sehr sympathisch auf mich. Er ist die Sorte Mensch, die gleich offen auf andere zugeht. Im Gegenteil zu mir. Ich beobachte lieber zuerst, denn bevor ich den ersten Schritt wage, brauche immer ein wenig mehr Zeit. Ich will schon zu einer Erwiderung ansetzen, warum der BVB dennoch verdammt gute Chancen auf eine gute Platzierung in der Tabelle hat, als Kevin mit seiner Bierflasche gegen meine stößt, aus der ich bisher kaum getrunken habe.

»Komm, ich zeig dir das Haus. Es ist doch langweilig, hier in der Küche rumzustehen. Wir können auch gleich raus in den Garten gehen. Michael hat dort seinen Grill aufgebaut. Hast du Hunger?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drückt er mir noch ein Bier in die Hand, obwohl meine erste Flasche noch voll ist, und führt mich auch schon aus der Küche.

Der Arm um meine Schulter bleibt, rutscht im Laufe des Abends immer wieder ein wenig tiefer über meinen Rücken, was mich gar nicht stört, je mehr Alkohol ich trinke. Dank Kevins Gesellschaft und seiner offenen Art, amüsiere ich mich prächtig auf der Party. Michaels Bruder entpuppt sich als wirklich toller Gesprächspartner. Super nett, witzig, zudem auch noch sehr attraktiv und das Wichtigste: Er scheint mich echt zu mögen. Kevin ist vier Jahre älter als ich und arbeitet als Kfz-Mechatroniker in der Stadt, unweit meiner Wohnung, wie er mir erzählt. Wir reden über Fußball, über seinen Job und seine Leidenschaft für Autos, sowie über mein Studium. Nach einigen Flaschen Bier wechseln wir zu Wodka und meine Laune bessert sich mit jedem Glas.

***

»Ah … Scheiße …«, stöhne ich gequält, als ich mich aufrichte. Mein Schädel dröhnt und alles dreht sich um mich wie im Schleudergang einer Waschmaschine. Eindeutig zu viel Alkohol. Mir wird von dem Karussell in meinem Kopf schwindelig. Außerdem ist mir kotzübel. Stöhnend sinke ich wieder in die Kissen zurück. Langsam öffne ich ein Auge und sehe an die Zimmerdecke, die so gar nicht aussieht wie die in meinem Schlafzimmer. Mist, wo bin ich hier überhaupt und wie bin ich in dieses Bett gekommen? Dass es nicht meins ist, kann ich spüren, denn die Matratze ist viel weicher und auch die Bettwäsche fühlt sich ganz anders an.

Ächzend drehe ich mich auf die Seite. Meine Hand berührt warme Haut, was mich erschrocken zusammenzucken lässt. Blitzschnell ziehe ich die Hand weg, als habe ich mich verbrannt. Da liegt jemand leise schnarchend neben mir. Als erstes hebe ich die Decke ein Stück an und schaue an mir herunter, ohne den Fremden näher zu betrachten. Bis auf meine Shorts bin ich nackt. Auch der Mann neben mir trägt nichts weiter als enganliegende Pants, die sich um seine beachtliche Morgenlatte spannen. O Gott! Was ist hier gestern Nacht passiert? Ich schlucke hart bei diesem Anblick und traue mich kaum, ihm ins Gesicht zu schauen. Mein Blick haftet wie hypnotisiert auf der Beule zwischen seinen Beinen.

Erneut versuche ich, mich im Bett aufzusetzen. Ein dumpfer Schmerz pocht hinter meinen Schläfen. Meine Kehle ist trocken, die Zunge ein pelziges Etwas. Zudem habe ich schrecklichen Durst.

»Wasser …«, krächze ich. Der Mann neben mir regt sich, dreht sich weg und tastet mit einer Hand neben dem Bett herum, bis er mir eine angebrochene Flasche Wasser reicht. Ich greife nach ihr und leere sie in wenigen Zügen.

»Guten Morgen«, brummt er dann und richtet sich ebenfalls auf, das Gesicht mir zugewandt. Jetzt erkenne ich, dass es Kevin ist. Entgeistert starre ich ihn an. Ich habe keinen blassen Schimmer, was wir hier gestern Nacht getrieben haben. Wir haben nicht wenig Alkohol getrunken und Kevin hat mir das Haus gezeigt … Und dann? Egal wie sehr ich mein Hirn anstrenge, ich habe einen totalen Filmriss, was die gestrige Nacht betrifft. Was ist zwischen uns passiert? Hatten wir vermutlich sogar Sex? Wir tragen zwar beide noch unsere Unterwäsche, aber wer weiß? In meinem Kopf herrscht gähnende Leere und ich kann mich einfach nicht erinnern, was passiert ist. Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße! Eigentlich bin ich überhaupt nicht der Typ für One-Night-Stands, denn bis auf diese seltsame Telefonsexsache letzte Woche ist jeglicher intimer Kontakt mit Männern immer mit einer festen Beziehung verbunden gewesen.

»Na, so schlimm sehe ich doch wirklich nicht aus, dass du so entsetzt dreinblicken musst, oder? Gestern schien es so, als könntest du mich noch ganz gut leiden.« Kevin schmunzelt und fährt sich mit den Händen übers Gesicht, um den Schlaf zu vertreiben. Seine blonden Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab. Er gähnt herzhaft und streckt sich dabei, sodass ich in den Genuss komme, seinen nackten Oberkörper zu begutachten. Er wirkt ziemlich gelassen und im Gegensatz zu mir geht es ihm wohl gar nicht so schlecht nach der Party.

»Was … also … was haben wir … gemacht?«, presse ich stockend hervor, weil ich diese Ungewissheit nicht länger ertrage.

Kevin mustert mich überrascht, dann lacht er auf. »Du kannst dich echt nicht erinnern?«

Ich schüttele den Kopf. Verdammt, wie viel Alkohol muss ich getrunken haben, dass ich so einen Totalblackout habe?

»Du willst wissen, ob wir Sex hatten, richtig?«, mutmaßt er und trifft damit genau ins Schwarze. Ich nicke mit hochrotem Kopf, etwas Anderes bringe ich im Moment nicht zustande. Ein freches Grinsen umspielt Kevins Lippen, er nähert sich mir, dann legt er seine Hand auf die Bettdecke, an die Stelle, an der er wohl meinen Oberschenkel vermutet.

»Keine Sorge, es ist nicht viel zwischen uns gelaufen, auch wenn ich nicht abgeneigt war, muss ich gestehen. Du kannst verdammt gut blasen.«

Erschrocken starre ich ihn an. Ich habe Kevin einen geblasen? Daran müsste ich mich doch erinnern können! Kevins Lachen wird immer lauter, während ich angestrengt versuche, mich an vergangene Nacht zu erinnern. Leider klingelt gar nichts bei mir.

»Spaß, Mann. Ich mach doch nur Spaß.« Kevin lacht sich über meinen Gesichtsausdruck halbtot. »Ich hab dich nur verarscht. Du musst mal dein Gesicht sehen, Tobi. Als ob es so schlimm wäre, mir einen zu blasen. Also echt. Darüber hat sich mein Ex auch nie beschwert. Ich habe einen ziemlich tollen Schwanz, kannst dich gerne davon überzeugen.«

Erleichtert atme ich aus.

»Bist du bescheuert? Mir ist vor Schreck beinahe das Herz stehengeblieben, Mann«, entgegne ich mit einem bösen Blick auf Kevin. Der hat ja echt Nerven mir so früh am Morgen einen Schrecken einzujagen. Vor allem dann, wenn ich an fürchterlichen Kopfschmerzen leide. Natürlich finde ich Kevin sexy … aber ich kenne ihn gerade mal ein paar Stunden, sodass ich nicht richtig einschätzen kann, was er über mich denkt. Aber okay, diesen Fremden am Telefon – den kenne ich noch weniger und muss gestehen, dass ich seine Stimme ziemlich anziehend finde, weshalb sie mir nicht aus dem Kopf geht. Aber Kevin ist real, er sitzt halbnackt neben mir und lacht mich an. Da sollte ich nicht an einen anderen Mann denken müssen, der mir einmal sexy ins Ohr gestöhnt hat.

Kevins Lachen verklingt und er wird wieder ernst. Seine blauen Augen fixieren mich.

»Tobi, mal ehrlich? Es ist wirklich nichts gelaufen zwischen uns. Du warst gestern Abend ziemlich hinüber. Hast ständig von so einem Kerl geredet, mit dem du Telefonsex hattest. In diesem Zustand hätte ich dich nicht angerührt, schließlich habe auch ich meinen Stolz.«

Oje, das auch noch! Ich habe mich wohl wirklich nicht gerade beliebt gemacht bei Kevin.

»Außerdem wolltest du in deinem Zustand noch alleine nach Hause fahren. Zum Glück konnte Michael dich zum Bleiben überreden«, klärt er mich auf und rückt etwas näher zu mir, um mich in seinen Arm zu ziehen. »Und ich konnte die Situation doch nicht einfach so ausnutzen, dass du vom ganzen Alkohol nicht mehr wusstest, was du eigentlich tust. So einer bin ich nicht, auch wenn ich zugeben muss, dass du mir gefällst.« Ohne groß darüber nachzudenken schmiege ich mich an ihn. Die Wärme seines Körpers ist angenehm und sein Geständnis lässt mein Herz einen Takt höherschlagen.

»Nachdem ich dich in mein Zimmer geführt habe, bist du auf dem Bett direkt eingeschlafen. Ich habe dich ausgezogen und einfach schlafen lassen«, ergänzt er und streicht mir durchs Haar.

Mit geschlossenen Augen genieße ich diesen Moment der Ruhe. Nicht jeder Mann hätte so cool reagiert wie Kevin, sondern meine missliche Lage sicher ausgenutzt …

Kapitel 2

-Kevin-

Tobias ist gegangen. Dass er mir sofort geglaubt hat, wir hätten es gestern Nacht getrieben, musste ich einfach ausnutzen, um ihn ein bisschen zu ärgern, was er mir zum Glück nicht krummgenommen hat. So konnte er mir wenigstens für einen kurzen Moment die Leere aus meinem Herzen vertreiben, die ich seit der Trennung von meinem Freund empfinde. Und, Scheiße, Tobias hat mich in diesem Moment an ihn erinnert, als er mich so verwirrt angesehen hat, die schokobraunen Haare vom Schlafen zerzaust und der Blick noch etwas müde.

Seufzend drehe ich mich auf die Seite und vergrabe mein Gesicht in dem Kissen, auf dem Tobias geschlafen hat. Atme seinen Geruch ein, der noch schwach an dem Stoff haftet. Schon wieder muss ich an meinen Ex denken. An den Tag vor zwei Jahren, an dem wir uns kennen gelernt haben. Gott, wie sehr er mich bei unserer ersten Begegnung in seinen Bann gezogen hat. Die Wärme in seinem Blick, das schüchterne Lächeln auf seinen Lippen. Unser erster Kuss. Es tut immer noch weh, an ihn zu denken, auch wenn die Trennung bald zwei Monate zurückliegt. Trotzdem ist er mir immer noch nah, obwohl ich derjenige gewesen bin, der Schluss gemacht hat. Aber so ging es einfach nicht mehr weiter. Ich durfte ihn nicht noch mehr verletzen.

Mit einem Seufzen schlage ich die Decke zurück und schwinge meine Beine aus dem Bett. Langsam sollte ich wirklich aufstehen. Es ist sicher schon spät, was mir mein Magen nun ebenfalls bestätigt. Das Frühstück ist längst überfällig. Schnell ziehe ich mir eine Jogginghose und ein T-Shirt über, dann begebe ich mich in die Küche. Doch die Gedanken an meinen Ex schwirren immer noch in meinem Kopf umher, ohne dass ich es verhindern kann.

Niklas hat am Morgen nach unserem One-Night-Stand, der nun schon so lange zurückliegt, ähnlich erschrocken reagiert wie Tobias vorhin. Nicht, weil er den Sex vermutlich bereute, denn ich glaube kaum, dass er so etwas Spontanes zum ersten Mal getan hatte. Sondern wegen der Tatsache, in einem fremden Bett erwacht zu sein. Vermutlich überraschte es ihn, dass ich ihn mit zu mir nach Hause nahm, statt ihn in einem billigen Hotel zu ficken. Glücklicherweise konnte ich ihm damals noch seine Handynummer entlocken, bevor er Hals über Kopf das Haus verließ. Dass ich ihn wiedersehen wollte, stand für mich fest.

Meine Schwägerin Maria steht am Herd und rührt in einem Topf, aus dem es herrlich nach Milchreis duftet. Der Tisch ist bereits gedeckt, obwohl sich noch nicht alle Mitglieder der Familie versammelt haben. Michael muss sicher noch mit Lara im Bad sein, denn sie weigert sich stets, allein ihre Zähne zu putzen, sodass mein Bruder immer mit ihr diskutieren muss.

Ich setze mich dem beinahe dreijährigen Jungen gegenüber an den Küchentisch, schnappe mir ein Brötchen aus dem Brotkorb und bestreiche es dick mit Nutella. Felix lacht mich an, wartet dabei geduldig auf sein Frühstück.

»Kevin, was hast du denn mit Tobi angestellt?«, will Maria von mir wissen. Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll. »Der arme Junge ist Hals über Kopf von hier geflüchtet, ohne auch nur einen Bissen zu essen.« Sie füllt eine Portion von dem Milchreis in ein Schälchen und stellt es vor ihrem Sohn ab, der erwartungsvoll zum Löffel greift, ehe sie sich ebenfalls an den Tisch setzt. Ich zucke bloß mit den Schultern und beiße in mein Brötchen.

»Ich war ausnahmsweise ganz brav heute Nacht. Hab ihn nicht angerührt«, beteuere ich mit unschuldigem Augenaufschlag. Maria verdreht die Augen.

»Anscheinend hast du es deinem unwiderstehlichen Charme zu verdanken, dass die Männer alle Reißaus vor dir nehmen«, neckt sie mich frech. Ich weiß ja, dass sie es nicht böse meint, doch mein Herz zieht sich bei ihren Worten trotzdem zusammen. Eher bin ich es wohl, der die Männer von sich stößt. Aber ist es nicht besser, einen Schlussstrich zu ziehen, als sich immer weiter zu verletzen?

»Sag mal, wann suchst du dir endlich eine neue Bleibe? Du willst doch nicht ewig in unserem Gästezimmer hausen, oder?«, meint Maria nachdenklich. »Ist doch auch nicht so schön, wenn du deine Bekanntschaften immer in ein fremdes Haus mitbringen musst.«

»Ich bringe doch keine Bekanntschaften mehr mit.« Ich seufze schwer. Seit nunmehr fast zwei Monaten lebe ich wieder bei meinem Bruder, weil ich es nach dem Streit mit Niklas nicht mehr in der WG ausgehalten habe. Ich konnte seine Tränen nicht länger ertragen, weil ich es war, der ihm das Herz gebrochen hat. Es war einfach zu viel für mich. Auch mein eigener Schmerz war unerträglich. Genau aus diesem Grund habe ich mich bisher von Männern ferngehalten – bis Tobias gestern hier aufgetaucht ist.

»Liebe Maria. Sag bloß, dir gefällt meine Kinderbetreuung nicht mehr? Immerhin kannst du so ohne Weiteres nachmittags arbeiten gehen, ohne einen Babysitter zu organisieren. Bis Felix in den Kindergarten kommt, dauert es noch ein halbes Jahr«, erwidere ich kauend. Nachdem ich mein Brötchen verputzt habe, lecke ich mir das Nutella aus den Mundwinkeln.

»Natürlich ist es schön, dass du auf die Kleinen aufpasst. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Willst du dich denn nicht wieder mit Niklas vertragen? Seit zwei Monaten läufst du hier mit einer Trauermiene durch die Gegend, wenn du glaubst, keiner würde zusehen. Glaub nicht, dass es uns nicht aufgefallen ist.« Sie legt ihre Hand auf meine, doch ich lasse diese Berührung nur kurz zu. Mich mit ihm vertragen? Wie gern würde ich es tun. Doch das kann ich nicht. Ich habe ihn verletzt und er ist ohne mich einfach viel besser dran.

»Oder du versuchst, jemand Neues kennenzulernen«, ertönt die Stimme meines Bruders von der Tür. Er betritt die Küche, streicht Felix kurz über den Kopf und setzt sich dann mir gegenüber. Lara kommt ebenfalls herein und zieht einen der Küchenstühle mit voller Wucht zurück, sodass die Stuhlbeine auf den Fliesen quietschen.

»Wie wär’s denn mit Tobi? Er ist echt ein lieber Kerl«, fragt er mich, das stürmische Verhalten seiner Tochter ignorierend. Da hat Michael recht. Ich habe mich gestern in seiner Gegenwart sehr wohl gefühlt. Vielleicht sollte ich wirklich einen Schlussstrich ziehen und neu beginnen? Mit Tobias könnte ich mir etwas Längerfristiges durchaus vorstellen, sollte er ebenfalls Interesse haben. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, doch die Anziehungskraft zwischen uns habe ich deutlich gespürt. Er ist echt sympathisch, sieht gut aus und hat eine angenehm ruhige Art. Auch wenn er gestern alles andere als ruhig war nach dem ganzen Alkohol.

»Du könntest ihn ja mal anrufen«, schlägt mir mein Bruder zwinkernd vor. Ich nicke nachdenklich. Vielleicht sollte ich das tun …

Kapitel 3

-Kevin-

Zwei Jahre zuvor

Es war damals noch nicht so lange her, dass ich aus unserem kleinen Dörfchen in der Nähe von Leipzig nach Berlin zu meinem Bruder gezogen war. Hier hatte sich für mich die Chance ergeben, als Geselle in einer größeren Kfz-Werkstatt neu anzufangen. Michael hatte mir vorerst Asyl in seinem Haus gewährt, doch bald würde ich mich um eine eigene Wohnung kümmern müssen, um die Gastfreundschaft seiner Familie nicht überzustrapazieren. Für Maria war es schon stressig genug mit den beiden Kindern, da musste sie sich nicht auch noch um einen zusätzlichen Gast kümmern.

Außer meinem Bruder und seiner Frau kannte ich noch niemanden in der Stadt, also nahmen mich meine Kollegen von der Autowerkstatt unter ihre Fittiche. Ich verstand mich auf Anhieb prima mit den Jungs und es schien für sie kein Problem zu sein, dass ich mich nicht für hübsche Blondinen mit großen Brüsten erwärmen konnte, sondern auf Männer stand.

»So bist du wenigstens aus dem Rennen und es bleibt mehr Beute für uns«, erklärte Peter mir, als wir eines Samstagabends mit den anderen durch die Stadt zogen. Peter war ein typischer Weiberheld, aber eigentlich ganz in Ordnung. Ich war wirklich heilfroh, dass meine sexuelle Orientierung nicht meine Arbeit beeinflusste. Außerdem fühlte ich mich hier total wohl, die Arbeit machte Spaß und die Stadt hatte etwas Pulsierendes, das mich wie magisch anzog. Vor allem das Nachtleben war aufregend.

Meine Kollegen nahmen mich auch an diesem Abend wieder mit zum Feiern. Wir waren alle ungefähr im selben Alter und hatten viel Spaß zusammen. Ich hatte schon reichlich mit den Jungs in einer Kneipe vorgetrunken.

»Leute, wollen wir noch weiterziehen und bei bisschen tanzen?«, fragte Peter in die Runde, nachdem wir unsere Getränke gezahlt hatten.

»Hoffst du wieder darauf eine abzuschleppen, du Weiberheld?«, entgegnete Klaus mit einem frechen Grinsen. Auch ich musste schmunzeln, denn mittlerweile kannte ich Peter. Natürlich hoffte er auf einen One-Night-Stand. Ich machte mir da keine großen Hoffnungen, denn es war unwahrscheinlich, in einem Club auf einen schwulen Kerl zu treffen, solange ich mit meinen Kollegen unterwegs war. Außerdem glaubte ich kaum, dass mir mein Traumprinz in einer Disco über den Weg laufen würde. Zwar hatte ich überhaupt nichts gegen gelegentliche One-Night-Stands einzuwenden, aber eigentlich war ich schon auf der Suche nach etwas Festem.

Einstimmig beschlossen wir, Peters Vorschlag anzunehmen, denn der Abend war noch jung und wir bereits gut angetrunken. Ein bisschen Tanzen würde da auf jeden Fall nicht schaden. Als wir lachend durch die Straßen zogen, in der sich Bars und Clubs aneinanderreihten, bemerkte ich einen Mann, der meinen Blick sofort auf sich lenkte. Er stand nur wenige Meter von mir entfernt vor dem Eingang eines Clubs und unterhielt sich mit einem anderen Mann, der mir den Rücken zuwandte. Der Fremde war groß und schlank, mit braunen Haaren, die ihm zerzaust vom Kopf abstanden. Der Dreitagebart ließ ihn verwegen aussehen. Wie vom Blitz getroffen blieb ich mitten auf dem Gehweg stehen und starrte ihn an. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Moment und ich glaubte, ein Lächeln in seinem schönen Gesicht zu erkennen, ehe er mit seiner Begleitung im Club verschwand.

»Hey, Mann. Wo bleibst du denn?«, wollte Klaus wissen, als er sich nach mir umsah. Mir war klar, dass die Jungs woanders hingehen wollten. Da vor dem Eingang, in dem der Fremde verschwunden war, fast ausschließlich Männer auf den Einlass warteten, musst es sich um einen Schwulenclub handeln.

»Ich denke, ich klinke mich für heute aus. Zieht ihr ruhig weiter, ich würde nämlich gerne hier rein«, antwortete ich und zeigte auf den Clubeingang. Klaus überlegte kurz, dann zuckte er mit den Schultern. Auch Peter schien damit einverstanden, nun getrennte Wege zu gehen. Nachdem ich mich von den beiden verabschiedet hatte, reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein. Große Hoffnungen, dem Fremden nochmals über den Weg zu laufen, hatte ich zwar nicht, doch ich könnte mich dennoch ein wenig umsehen, um Spaß zu haben.

Bereits nach Betreten des Clubs drängten sich viele Besucher an mir vorbei, die von der lauten Musik angetrieben wurden. Der große Mainroom war gerammelt voll mit tanzenden, halbnackten Männern, die sich ungeniert aneinander rieben. Mit Blicken suchte ich die Menge ab, konnte den Mann jedoch nicht ausfindig machen. Also beschloss ich, mich vorerst an die Bar zu setzen und die Lage zu checken, bevor ich mich auf die Tanzfläche wagte. An der Bar bestellte ich einen Tequila-Shot und schaute mich noch einmal um.

»Du siehst aus, als hättest du jemanden verloren«, bemerkte der Barkeeper, als er mir einen weiteren Drink reichte. »Vielleicht kann ich helfen?«

»Hier ist eben so ein großer, braunhaariger Mann in einem weißen Shirt reingegangen. Vielleicht etwas größer als ich. Seine Begleitung war blond«, erklärte ich dem Barkeeper, in der Hoffnung, er hätte den Fremden gesehen. Der Barkeeper lachte auf.

»Nun, diese Beschreibung trifft auf so gut wie jeden zweiten hier zu, Hübscher. Da wirst du vermutlich lange suchen müssen.« Mit diesen Worten widmete er sich den anderen Gästen an der Bar und ließ mich mit meinem Tequila allein.

Keine Ahnung, wie lange ich dort saß, doch ich war schon gut angetrunken, als sich irgendwann jemand auf den freien Hocker neben mir setzte.

»Alleine trinken macht doch gar keinen Spaß«, sagte ein Mann an mich gewandt. Als ich zu ihm hinüber sah, traute ich meinen Augen kaum. Es war der Fremde, den ich am Eingang gesehen und hier nicht mehr gefunden hatte! Mein Herz reagierte sofort. Wild schlug es in meiner Brust Purzelbäume, als er mich anlächelte und sich als Niklas vorstellte. Dann bestellte er eine weitere Runde Tequila für uns beide. Mir gefiel sein Lächeln, mit dem er mich die ganze Zeit ansah. Der Alkohol brannte in meiner Kehle, als ich ihn hinunterkippte. Auch Niklas verzog kurz das Gesicht, dann biss er in die bereitgelegte Zitrone.

»Ich habe dich hier noch nie gesehen«, begann er das Gespräch. Ich schmunzelte. Irgendwie war es eine typische Anmache, die ich selbst schon zu oft genutzt hatte. Doch in seinem Blick lag Neugier, soweit ich das erkennen konnte. Ob ich ihm ebenfalls draußen am Eingang aufgefallen war? Sonst hätte er mich doch kaum einfach angesprochen, oder?

»Wohne hier noch nicht so lange«, sagte ich also wahrheitsgemäß, »und bin nur zufällig hier vorbeigekommen.«

»Ist mir aufgefallen. Deine Freunde wollten wohl nicht mitkommen?«

Das bunte Licht der Discoleuchten zuckte durch den Raum, ließ Niklas’ Gesicht mal blau, mal rot aufleuchten. Er lächelte immer noch und da er noch nicht wieder zu seinem Begleiter gegangen war, nahm ich an, dass er ein gewisses Interesse an meiner Gesellschaft hatte.

»Sie stehen auf Frauen, deshalb sind sie weitergezogen«, entgegnete ich schulterzuckend, nahm einen weiteren Shot vom Tresen und hielt ihn ihm hin. Für einen kurzen Augenblick berührten sich unsere Finger. Die Berührung war wirklich nur kurz und wahrscheinlich hatte Niklas es nicht einmal gespürt, doch mir ging sie durchs Mark. Ein Kribbeln breitete sich in mir aus. Es mochte am Alkohol liegen, den ich bereits zu Genüge intus hatte, doch seine Nähe löste etwas in mir aus, das ich lange nicht mehr gespürt hatte. Eigentlich wollte ich bloß Spaß haben und war an diesem Abend überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen, einen Mann zu treffen, der mein Herz plötzlich zum Beben brachte.

»Verstehe.« Niklas setzte das Glas an seine Lippen und trank. Wie gebannt starrte ich auf seinen Mund. Ich trank ebenfalls, dann bewegte ich meine Beine so unauffällig wie möglich zur Seite, bis sich unsere Knie berührten. Niklas zog sein Bein nicht weg, saß einfach lässig auf dem Hocker. Er hatte sein Gesicht in die rechte Hand abgestützt, während er mich weiterhin interessiert musterte.

»Was ist denn aus deinem Begleiter geworden?«, fragte ich ganz beiläufig, um schon mal nachzuhorchen, ob Niklas in festen Händen war oder nicht.

»Ach, du meinst sicher Max. Keine Ahnung, er lässt sich vermutlich von irgendeinem Kerl im Darkroom vögeln«, meinte er lässig und trank den Shot in einem Zug aus. Erleichterung breitete sich in mir aus und mein Herzklopfen wurde stärker, als sich seine Hand auf meine legte. Er schien Interesse zu haben. Ob er dabei bloß auf einen One-Night-Stand aus war, konnte ich nicht beurteilen, doch ich freute mich gerade wirklich, den Abend etwas länger mit Niklas verbringen zu können.

»Magst du tanzen?«, fragte er mich. Zwar tanzte ich nicht wirklich gut, doch diese Gelegenheit, seinen Körper eng an meinem zu spüren, wollte ich mir ganz sicher nicht entgehen lassen. Der Alkohol in meinem Blut machte mich mutiger, also nickte ich zustimmend. Niklas zog mich auf die Tanzfläche, legte besitzergreifend die Arme um meine Taille und zog mich fest an sich. Es fühlte sich gut an. Wir bewegten uns im Takt der Musik und ich nahm kaum noch etwas Anderes wahr als seine dunklen Augen, die mich intensiv ansahen. Die sexuelle Anziehung zwischen uns war deutlich spürbar. Zudem pochte mein Herz vor Aufregung wie wild, sobald wir uns berührten.

Die Musik änderte sich, wurde schneller. Niklas ließ mich los, blieb jedoch dicht vor mir. Tanzte ausgelassen und schwang die Hüfte hin und her, was verdammt sexy aussah. Ich macht es ihm nach, wedelte wie wild mit den Armen über meinem Kopf und sprang auf und ab, als der Beat der Musik mich durchdrang. Niklas lachte über meine albernen Tanzversuche, doch das machte mir nichts aus, denn ich fühlte mich in seiner Gegenwart großartig. Schon lange hatte ich mit einem Kerl nicht so viel Spaß gehabt. Dann spürte ich, wie sich jemand von hinten an mich drängte. Ich wurde von hinten umarmt, sodass ich in meinem Tanz innehalten musste.

»Süßer, hast du Lust auf eine schnelle Nummer?«, raunte mir eine tiefe Stimme ins Ohr. Der heiße Atem des Mannes streifte meine Wange und ließ mich erschaudern. Es war mir zwar nicht unangenehm, doch Niklas’ Berührungen fühlten sich um einiges besser an. Gerade stand mir nicht der Sinn danach, meine Aufmerksamkeit jemand anderem zu widmen, weshalb ich mich von dem Kerl loszumachen versuchte. Ehe ich mich jedoch zu ihm umdrehen und ihm eine Abfuhr erteilen konnte, griff Niklas ein.

»Sorry, aber er ist mit mir hier. Such dir deinen Spaß bei jemand anderem«, sagte er mit fester Stimme und zog mich besitzergreifend in seine Arme. Gegen diesen Körperkontakt hatte ich nichts einzuwenden. Der Fremde brummte verstimmt, verschwand jedoch wieder so schnell er gekommen war.

Der erste Kuss ging von mir aus und war noch etwas unbeholfen, da ich doch etwas zu viel getrunken hatte. Niklas ging sogleich auf meine Annäherung ein, was das Verlangen in mir immer mehr entfachte. Seine Zunge schob sich zwischen meine Lippen in meinen Mund, tastete nach meiner und ließ mich leise keuchen. Ich genoss den Kuss, die Leidenschaft, die von Niklas ausging und mich ebenfalls erfasste. Die Bedenken, er würde sich nicht weiter auf mich einlassen, zerstreuten sich augenblicklich, als seine Hand ungeniert meinen Hintern knetete.

»Zu dir?«, fragte ich ihn zwischen einigen Küssen, hoffte, die Geste richtig gedeutet zu haben.

Niklas schüttelte den Kopf. Schien ihm wohl etwas peinlich, einen One-Night-Stand mit in seine Wohnung zu nehmen. Auf einen Fick im Darkroom hatte ich keine Lust, dafür reagierte ich viel zu sehr auf Niklas und das nicht nur mit meinem Schwanz, der durch die Knutscherei bereits so hart war wie lange nicht mehr. Mein Herz schlug doppelt so schnell, wenn er mich nur aus diesen wunderschönen Augen ansah. Also nahm ich ihn kurzerhand mit zu meinem Bruder.

Wie wir nach Hause gekommen waren, weiß ich bis heute nicht. Ich war zu betrunken und zu abgelenkt von dem attraktiven Mann, der an meinen Lippen hing, als wäre er dort festgewachsen. Dieser Umstand kam mir mehr als gelegen, denn auch ich wollte mich keinen Moment länger als nötig von seinen unbeschreiblich sinnlichen Lippen trennen. Niklas küsste wie ein Gott! Wir konnten nicht schnell genug unsere Klamotten loswerden, so sehr wollten wir einander berühren.

Knutschend fielen wir aufs Bett, konnten kaum die Finger voneinander lassen. Begierig saugte ich an seiner Unterlippe, während er sein Becken fest gegen meins presste und seine Hände in meinen Hintern krallte. Ich begrub Niklas unter mir, leckte über seinen Hals hinab zu seinen harten Nippeln und biss hinein. Sein raues Stöhnen war Musik in meinen Ohren und stachelte mich noch weiter an, sodass ich nicht lange fackelte. Ich wollte Sex und Niklas sah es anscheinend ganz genauso.

Er begnügte sich damit, auf dem Rücken liegen zu bleiben und meine Schultern zu streicheln, als ich mich seinen Oberkörper hinabküsste. Dann spürte ich seine Hand in meinem Haar, die mich immer tiefer dirigierte. Einen Moment gab ich seinem Drängen nach, ließ mich führen, doch als ich seinen harten Schwanz an meiner Wange spürte, ruckte mein Kopf wieder hoch. Ich sah ihm ins Gesicht, eine Frage lag in seinem lustverhangenen Blick, die ich nicht deuten konnte. Mein eigenes Verlangen hielt mich gefangen.

»Willst du es von vorne oder von hinten tun?«, fragte ich stattdessen, überging seine stumme Frage. Jetzt war nicht die Zeit für ein ausgiebiges Vorspiel, denn ich war kurz davor zu kommen. Niklas machte mich heiß, sein Geruch, der mir in die Nase stieg, verstärkte diese Tatsache umso mehr. Sein Körper war ebenfalls zum Bersten gespannt, und wenn wir noch lange fackelten, würden wir zu schnell zum Schuss kommen.

Niklas versteifte sich unter mir und sofort dachte ich, etwas wäre nicht in Ordnung, doch dann spreizte er einladend die Beine für mich. Dennoch wartete ich einen Moment, musterte ihn noch einmal prüfend. Hatte ich vielleicht etwas übersehen?

»Hey, ist alles okay? Du wirkst auf einmal so verspannt«, murmelte ich, versuchte meiner Stimme einen sanften Ton zu verleihen, um ihn zum Reden zu bewegen. Niklas schüttelte den Kopf.

»Alles okay. Ich halte es nur nicht länger aus«, entgegnete er und die Lust kehrte ich sein Gesicht zurück. Mit einem Lächeln rutschte ich zwischen seine Beine, bliebt jedoch einfach auf ihm liegen und begann erneut, ihn zu küssen. Hungrig erwiderte Niklas meine Küsse, stachelte mein Verlangen damit noch weiter an. Blind tastete ich mit einer Hand zum Nachttisch, wo ich ein Kondom und Gleitgel aus der Schublade herausfischte. Leider musste ich nun von Niklas’ unwiderstehlichen Lippen ablassen, was er mit einem ungeduldigen Brummen quittierte. Die Unsicherheit, die ich für einen Moment empfunden hatte, verflog sofort. Auch Niklas’ Anspannung löste sich nach unserem Kuss in Luft auf.

Mit einem gelbenetzten Finger drang ich in ihn ein und Niklas kam mir gleich entgegen, was mir deutlich machte, wie sehr er mich wollte. Und ich wollte ihn. So sehr, dass sich jeder klare Gedanke in meinem Kopf verflüchtigte.

»Lass mich nicht so lange zappeln«, kam es von Niklas. Er sah mir mit geröteten Wangen und feuchten Lippen fest ins Gesicht. Also zog ich meinen Finger heraus, streifte das Kondom über und drang in ihn ein. Zu Beginn versuchte ich mich noch zu beherrschen, langsam zu machen, damit er sich an mich gewöhnte. Doch Niklas ließ sich nicht beirren, drückte sich fest an mich und umschlang meine Hüfte mit seinen Beinen, sodass ich mit einem Ruck in ihn glitt. Stöhnend warf ich den Kopf in den Nacken und sank auf ihn.

»Geht’s?«, wollte ich wissen, weil ich ihm nur ungern wehtun wollte. Auch wenn wir so scharf auf einander waren, dass wir kaum einen Moment verharren konnten, spürte ich das Herz in meiner Brust immer schneller galoppieren. Nicht, weil es bloß Lust war, die sich in meinem Inneren breitmachte. Da war auch etwas Anderes, etwas Neues und Unbekanntes, das ich empfand, während ich in Niklas’ Augen sah. Nicht nur die körperliche Nähe sorgte für dieses wilde Herzklopfen, da war ich mir plötzlich sicher.

»Oh, ja!«, presste er atemlos hervor und zog mein Gesicht nah an seins heran. »Es ist unglaublich gut … und intensiv.«

Kapitel 4

-Tobias-

Es ist Donnerstagabend und ich bin wieder der Letzte im Büro, als das Telefon noch einmal klingelt. Ich lausche in die Stille des Großraumbüros und versuche, den Anrufer auszumachen. Es muss sicher irgendwo drüben bei Heike klingeln oder an Sebastians Platz. Weil ich meinen Rechner noch nicht heruntergefahren habe, nehme ich das Gespräch sicherheitshalber entgegen. Nachdem ich meinen Spruch aufgesagt habe, höre ich ein leise geflüstertes »Baby« durch die Kopfhörer meines Headsets. Mein Herz schlägt sogleich einen Takt höher und ein angenehm warmes Gefühl breitet sich in meinem Inneren aus. Obwohl ich dem Mann vor einiger Zeit deutlich zu verstehen gegeben habe, dass es sich hier nicht um eine Sexhotline handelt, habe ich irgendwie trotzdem gehofft, dass er sich erneut meldet …

»Sorry, ich … ähm …« Der Mann räuspert sich geräuschvoll. »Ich wollte bloß kurz deine Stimme hören. Wir sehen uns dann.«