Catron - Anja Berger - E-Book

Catron E-Book

Anja Berger

4,8

Beschreibung

Als die Studentin Kira Sanders einen verzweifelten Hilferuf hinter einer geheimnisvollen Melodie wahrnimmt, hält sie diese zunächst für ein Produkt ihrer Fantasie. Kurz darauf findet sie sich jedoch in einer mittelalterlich anmutenden, halb zerstörten Stadt wieder, die von grauenerregenden Kreaturen heimgesucht wird. Wurde sie gerufen, um die Menschen zu schützen oder verfolgt derjenige, der sie rief, ein gänzlich anderes Ziel? Mit Schrecken erkennt Kira, dass durch ihre Anwesenheit ein jahrhunderte alter Konflikt zwischen zwei magischen Schulen neu auflebt und dass man von ihr erwartet, sich für eine Seite zu entscheiden.

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Inhaltsverzeichnis

Die Ruhe vor dem Sturm

Verzweiflung

Fremde Welt

Unterwegs

Magie

Flucht

Entscheidungen

Reise

Reisegefährten

Berge

Politik

Catrons Interesse

Aidris

Fahrendes Volk

Versteckspiel

Das Ende der Suche

Catron

Gründe

Wesen zwischen den Welten

Dunkelheit

Quo

Dhravannor

Echadgebirge, Radost Amron

Catron

Aidris

Die Ruhe vor dem Sturm

Aliard

„Nichts ist schwerer, als jemanden mit einer echten Überzeugung, zum Weiterdenken zu bewegen“

Aliard von Quo, magischer Berater des Königs von Dhravannor

Das frühe Licht des Morgens vergoldete die hellen Dächer der Sommerresidenz des Königs in Gae. Eine leichte Brise bewegte die bunten Stofffähnchen, die von der Hauptkuppel zu den Nebengebäuden gespannt waren und Aliard hörte die daran befestigten Glöckchen leise klingeln.

Mögen die Götter die Bitten erhören. An einem solchen Tag erschien es fast, als hätten sie es getan. Ein Tag, der auf diese Weise begann, war zu schön, um sich Sorgen zu machen. Es genügte jedoch, sich von dem erwachenden Leben draußen abzuwenden und nach innen zu lauschen. Die Veränderung der Kraft war deutlich zu spüren. An diesem, wie an jedem anderen Morgen und nicht erst seit gestern. Die Bedrohung hing über allem wie ein dunkles Tuch, welches das reine Licht filterte und den Blick auf das freigab, was hinter der Weltengrenze lauerte. Ein kalter Schauer lief Aliard den Rücken herunter, als er daran zurückdachte, wie er selbst zum ersten Mal davon erfahren hatte.

Ein gutes Jahr war es her. Die Verschiebung war nicht von einem Tag auf den anderen aufgetreten, es war eher ein schleichender Prozess. Zunächst ein nagendes Unbehagen, nur wenig später auch bei denen Gewissheit, die über geringere magische Fähigkeiten verfügten. Das Gleichgewicht der Kräfte verschob sich fort vom Licht und hin zur Dunkelheit. Während noch Briefe geschrieben und Boten ausgesendet wurden, stoppte der Prozess so unvermittelt, wie er begonnen hatte. Es gab einen erneuten Stillstand, doch das Gleichgewicht blieb gestört. Trotzdem war jeder in Quo zutiefst erleichtert. Abgesehen von Moanir.

Ich sehe eine Gefahr in dieser aufkommenden Dunkelheit, die mehr ist, als ein diplomatisches Problem. Die Grenzen unserer Welt selbst sind von der Verschiebung geschwächt, wir müssen handeln!

Das waren Moanir´s Worte gewesen und während alle aufatmeten, froh über das Ende der Verschiebung, hatte er damit begonnen, die Ursache zu suchen. Dabei war er weitergegangen, als jeder andere. Zu weit, wie manche fanden. Erst gestern war ein Brief aus Quo eingetroffen, der Moanir vor allen anderen betraf. Der Ton, den Leandar, der Erzmagier der Schule, darin angeschlagen hatte, war scharf und er sprach genau dieses Problem an. Wie Moanir darauf reagieren würde? Aliard presste die Lippen zusammen. Er musste den Inhalt mit Skjaldan besprechen. Skjaldan kannte Moanir besser als jeder andere Magier Quos und war oft mit ihm gereist. Auch jetzt war er hier, um sich mit ihm zu treffen. Doch wie er seinen Freund kannte, würde es kein leichtes Gespräch werden. Die Tatsache, dass alle Magier Quos dazu verpflichtet waren, ihrem Erzmagier Folge zu leisten, hatte Skjaldan immer schon sehr frei interpretiert.

Mit einem Seufzen wandte Aliard sich vom Fenster ab. Sein Diener hatte ihm im Nebenraum bereits die Robe zurechtgelegt und ein Frühstück gerichtet.

»Ich muss mit Mael Skjaldan sprechen. Möglichst bald.« Der Mann verneigte sich und verließ den Raum. Aliard widmete sich seinem Frühstück und überflog dabei noch einmal den Brief. Die erneute Lektüre machte es nicht besser.

»Was du behauptest, ist größerer Blödsinn, als im Winter nackt in den Bergen zu wandern!« Skjaldan schnaubte und fegte das Schreiben Leandars mit einer heftigen Handbewegung vom Tisch.

»Dieser Brief«, er stampfte mit seinem Fuß auf und traf dabei exakt die Unterschrift des Erzmagiers, »beweist nur eines. Leandar verbringt zu viel Zeit über Büchern mit schönen Theorien und hat den Bezug zur Welt nahezu vollständig verloren.«

»Skjaldan, achte auf deinen Ton! Leandar ist Quos Oberhaupt. Ich erinnere mich dabeigewesen zu sein, als du den Eid geleistet hast, die Belange der Schule zu vertreten.«

»Die Belange der Schule sind es, Magier auszubilden, die es verstehen, die Menschen zu schützen. Nicht, sich hinter einem Haufen von Büchern zu vergraben und keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen. Was hat Leandar dafür getan, die Verschiebung der Kräfte wieder zu richten? Er liest! Sonst nichts!« Aliard hatte vorgehabt, mit seinem Freund eine möglichst sachliche Diskussion zu führen. Seit der jedoch Leandars Brief gelesen hatte, war es damit vorbei.

»Er forscht, Skjaldan«, fügte er daher etwas weicher hinzu. »Du sprichst von Quos fähigstem Magier. Und von deinem Lehrer.«

»Fähig? Oh ja, das ist er! Fähig, jegliche menschliche Regung aus sich zu verbannen. Fähig, absolute Perfektion zu verlangen. Stillschweigend, versteht sich. Nie würde er erwähnen, was er erwartet, weil es für ihn selbstverständlich ist. Leider ist er zusätzlich vollkommen unfähig zu erkennen, was getan werden muss. Wir brauchen Hilfe! Das siehst du doch selbst.«

»Ja.« Aliard lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick strich über die Wandbehänge, aber diesmal gelang es ihm nicht, Ruhe in der Betrachtung der Jagdszenen zu finden. Dann sah er auf den weichen, geknüpften Teppich, auf dem deutlich sichtbar ein schlammfarbener Abdruck der Stiefel seines Freundes zu sehen war. Aliard seufzte.

»Ja, wir brauchen Hilfe, aber ist Moanirs Weg der richtige? Wir könnten zuerst in den eigenen Reihen suchen.«

»In den eigenen Reihen?«

Skjaldan hob in einer fließenden Bewegung den Brief vom Boden auf und zerknüllte ihn mit einer Hand. Wenn ihm dabei der Fleck auf dem Teppich auffiel, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. »Wer von uns soll sich denn bitte dem stellen, was da kommt? Sogar die Wächter geraten in Unruhe. Leandar sitzt derweil an seinem Kamin und ... forscht.«

Die Pergamentkugel, die Leandars Brief gewesen war, landete knapp neben Aliards Weinkelch.

»Er weiß um die Schwere des Problems ...«, versuchte Aliard seinen Freund zu unterbrechen, vergeblich. Skjaldan schnaubte frustriert und warf die Arme in die Luft.

»Er weiß es? Wie schön! Wissen ist großartig, nur leider ohne folgende Handlung vollkommen nutzlos.«

»Skjaldan, keiner ist momentan in der Lage zu sagen, was diese Verschiebung der Kräfte bewirken wird. Die Wächter wissen es ebenfalls nicht. Vielleicht ...«

»Wir wissen, dass diese Verschiebung des Gleichgewichts eine Gefahr darstellt.«

Skjaldans Faust traf die Pergamentkugel und der Weinkelch begann, bedrohlich zu wackeln.

»Diese Veränderung wird nicht gut sein. Das spürt ja wohl jeder.«

Aliard rettete den Wein, kurz bevor sein Freund erneut auf Tisch und Pergament hieb.

»Wir haben keine Idee, nicht ein Fünkchen einer Eingebung, was wir dagegen tun können.«

Skjaldan ergriff, was von Leandars Brief übrig war und knüllte es in seiner Hand weiter zusammen. »Der Einzige, den ich für fähig halte zu helfen, ist Moanir. Ihn zu bezichtigen, sich der Dunkelheit verschrieben zu haben, ist Unfug!«

Die Kugel flog mit gezieltem Schwung in den offenen Kamin.

Aliard erhob sich. »Wann kommt Moanir hier an?«

»Morgen.« Ein Lächeln huschte über Skjaldans Züge. »Elmaryn begleitet ihn, das heißt, hier wird es ein wenig fröhlicher, sofern dieser Brief ihm nicht die Laune verdirbt.«

Aliards Blick ging unwillkürlich zum Kamin, wo das Feuer mit den letzten Ascheflöckchen des Schreibens spielte. Moanir war also mit Elmaryn unterwegs. Der Barde würde in der Residenz in der Tat ein warmes Willkommen finden. Vielleicht blieb er bis zum ersten Erntefest? Zunächst jedoch stand Wichtigeres an.

»Ich muss mit Moanir sprechen, bevor ihr etwas tut.«

»Machst du dir ernsthaft Sorgen um seine Loyalität?«

Aliard schüttelte den Kopf. »Nein. Das nicht, aber ich respektiere Leandars Rat. Schließlich hat er in den vergangenen fünfzehn Jahren stets die richtigen Entscheidungen für Quo getroffen.«

Er hob die Hand, um einem erneuten Einwand Skjaldans zuvorzukommen. »Bisher hat er dabei durchaus Umsicht und Weitblick bewiesen. Das musst du, bei allem Respekt, zugeben.«

Skjaldan schnaubte. »Was gab es denn schon groß zu entscheiden? Politik? Ja, das kann er. Jetzt müssen wir etwas unternehmen. Handeln, verstehst du?« Er breitete die Arme aus. »Weshalb ist er so blind? Wir brauchen Hilfe und Moanir will ja nicht den Rat von Catron bitten.«

Aliard konnte ein Lächeln bei diesen Worten kaum unterdrücken. Niemand, auch nicht Leandar, ging so weit, Moanir die Zusammenarbeit mit der dunklen Schule zu unterstellen. Quo war einst gegründet worden, um Schutz vor deren Magiern zu bieten.

»Das Schreiben, in dem er seine Gründe darlegt, ist leider soeben verbrannt.«

Skjaldan seufzte. »Aliard, das waren keine Gründe, das sind Anschuldigungen. Dieser Brief ist doch nicht im Mindesten sachlich.«

In der Tat hatte Quos Erzmagier seine Forderungen äußerst undiplomatisch formuliert. Ein deutliches Zeichen, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Es war ein Fehler gewesen, Skjaldan das Schreiben zu zeigen.

»Interessant, dass gerade du ihm unsachliche Argumentation vorwirfst.«

Skjaldan sah Aliard einen Moment mit offenem Mund an. Dann lachte er laut auf.

»Es tut mir leid, dass ich die Beherrschung verloren habe, aber dieses Herumtaktieren macht mich wütend. Mir ist es egal, welche politische Allianz sich dadurch auf die Füße getreten fühlt. Wenn wir Hilfe brauchen, müssen wir jemanden suchen, der sie uns geben kann.«

Jetzt hatte er die Flecken auf dem Teppich bemerkt und rieb mit seinem Stiefel darauf herum, als ob er sie damit zum Verschwinden bringen könnte. Selbstverständlich wurden sie auf diese Weise nur größer.

Aliard seufzte. »Versprichst du mir, mich zu benachrichtigen, sobald Moanir eintrifft? Egal, um welche Zeit das sein mag?«

»Gern.« Skjaldan lächelte ihm verlegen zu und stellte seine Bemühungen auf dem Teppich ein.

»Es ist gut möglich, dass er ein bis zwei Tage hierbleibt. Es sollte also genügend Zeit für ein Gespräch bleiben.«

Sie kamen, als die Sonne gerade vom Himmel verschwand. Zwei müde Pferde und ein Packtier trotteten auf das Stadttor zu, das die Wachen respektvoll öffneten. Ein Lächeln umspielte Aliards Lippen, als er sich von der Terrasse der Residenz zurückzog, um Moanir im Saal empfangen zu können. Anscheinend hatte jemand den Torwächtern einen Tipp gegeben, wer an diesem Tag erwartet wurde. In seinem Aussehen unterschied sich Moanir von Quo kaum von den üblichen Reisenden auf Dhravannors Straßen. Man musste schon genau hinsehen, um den silbernen Reif, das Zeichen aller Magier Quos, die nach ihrer Ausbildung den Eid auf die Schule geleistet hatten, in seinem Haar zu finden. Die offizielle Kleidung erachtete er für das Reisen ohnehin als viel zu unpraktisch. Aliard kannte nur eine andere Person, die Quos Insignien achtloser verschwinden ließ als Moanir, und das war Skjaldan.

Elmaryn hingegen machte kein Geheimnis aus dem, was er war. Der fahrende Sänger und Barde trug seine Laute, in ein Wachstuch eingeschlagen, über den Rücken geschnallt und pfiff eine Melodie vor sich hin.

Im großen Saal waren Fackeln entzündet worden, deren Licht sich an den Mosaiken spiegelte, die Decke und Boden zierten. Moanir schien ganz in der Betrachtung eines Wandteppichs versunken, der eine Jagdszene zeigte. Ein majestätischer Hirsch sprang vor seinen Jägern davon. Einer von ihnen hatte bereits seinen Pfeil auf ihn angelegt.

»Jedes Mal, wenn ich diesen Saal betrete, muss ich einen Moment innehalten und dieses Kunstwerk bewundern.« Moanir streckte Aliard seine Hände entgegen. »Na Sajedi, Aliard und meinen Dank für diesen späten Empfang.«

»Sajedi na Dar, Moanir und Elmaryn«, gab Aliard die traditionelle Grußformel zurück.

Er winkte beide in einen angrenzenden kleineren Raum. »Ich habe etwas zu Essen bringen lassen oder wollt ihr euch nach der Reise zuerst ausruhen?«

»Wein, Obst und gutes Brot! Es zahlt sich aus, beim Cousin des Königs eingeladen zu sein.« Elmaryn reichte Aliard nun ebenfalls die Hände zum Gruß.

Moanir sah ihn nachdenklich an. »Leider sieht es so aus, als sei der Anlass der Einladung weniger erfreulich?«

»Dieser Schwachkopf von Leandar meint anscheinend, du wolltest demnächst mit Catrons Rat paktieren!« Skjaldan kam durch die Halle auf sie zu.

Moanir lachte laut auf.

»Na Sajedi, Skjaldan. Ich freue mich, dich zu sehen. Allerdings halte ich Leandar keineswegs für einen Schwachkopf. Und du ebenfalls nicht, möchte ich meinen.« Dann fügte er bedeutend ernster hinzu: »Leandar hält demnach nichts von meinem Plan, einen Ruf nach Hilfe auszusenden?«

Aliard nickte. »Er verbietet es dir offiziell in seiner Funktion als Erzmagier von Quo. Ich habe seinen Brief vor zwei Tagen erhalten.«

Elmaryn sah Aliard ungläubig an. »Wie kann er …?«

Moanir legte ihm seine Hand auf den Arm. »Er hat sicher seine Gründe, darf ich den Brief einmal sehen?«

»Leider war Skjaldan etwas erregt, nachdem er ihn gelesen hatte …«, setzte Aliard an.

Skjaldan unterbrach ihn. »Ich habe den Brief in den Kamin geworfen. Moanir, er hat dir sogar damit gedroht, dich aus Quo auszuschließen, solltest du dich seinem Befehl nicht beugen. Seine Vorwürfe sind vollkommen absurd!«

»Die Drohung, Moanir aus Quo auszuschließen, ist keineswegs zu unterschätzen.« Aliard legte zwei Finger an seinen Stirnreif. »In seiner Funktion als Erzmagier ist es sein Recht.«

Moanir winkte ab. »Ich weiß, dass er das kann. Notfalls auch ohne eine Abstimmung aller, wenn ich wissentlich gegen seine direkte Anordnung verstoße. Darauf wird es wohl hinauslaufen.«

»Du meinst, er wird so weit gehen, dass er die Versammlung außer Kraft setzt?« Elmaryn schüttelte überrascht den Kopf.

Aliard neigte den Kopf. Wahrscheinlich würde er das nicht einmal tun müssen, um seine Interessen durchzusetzen.

Auf Moanirs Gesicht erschien ein schiefes Lächeln. »Nein, er wird genügend Zustimmung finden. Was ich meinte, ist, dass ich keinen anderen Weg sehe, als gegen sein Verbot zu verstoßen.«

Aliard zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Die anderen taten es ihm nach. Elmaryn nahm sich eine Birne und drehte sie zwischen den Fingern, ohne jedoch zu essen. Er sah Aliard direkt an, als er sprach.

»Die Situation ist ernst. Ich bin kein Magier, trotzdem nehme ich gewisse Dinge wahr. Es kommt eine deutliche Bedrohung auf uns zu. Alles ist in Aufruhr und sollte sich das Gleichgewicht noch weiter verschieben … «

Der Barde brach ab und sah zu Boden.

Aliard breitete die Hände aus. »Niemand weiß, ob das geschieht und ob sich die Störung nicht von alleine wieder richtet. Es nützt niemandem, etwas zu überstürzen.«

Moanir stützte seinen Kopf in beide Hände. Seine Stimme klang müde, aber bestimmt.

»Ich habe es gesehen. Die Bilder, die mir der Stein gezeigt hat, sprechen eine deutliche Sprache. Das Gleichgewicht ist der Schutz unserer Welt. Es gibt niemanden, der es richten kann, außer … Aliard, wir brauchen jemanden, dem der Stein des Lichts seine Unterstützung gewährt, und dazu ist, wie es aussieht, keiner von uns geeignet.«

»Seit etwa vierhundert Jahren!«

Aliard legte seine Handflächen zusammen und versuchte Moanirs Blick einzufangen. Als es ihm gelang, fuhr er fort: »Seit vierhundert Jahren ist kein Magier aus Quo in der Lage gewesen, diese Unterstützung zu erhalten. Weshalb sollte sie gerade jetzt nötig sein?«

»Weil das Problem jetzt auftritt!«

Skjaldan trommelte ruhelos mit seinen Fingern auf der Tischplatte. »Moanir, du hast es geschafft, Kontakt mit dem Stein aufzunehmen. Was macht dich so sicher, dass du nicht derjenige bist, auf den wir alle warten? Versuch es noch einmal ...«

Moanir schloss die Augen, jedoch nicht schnell genug. Aliard hatte den Ausdruck der Angst darin gesehen. Trotzdem klang seine Stimme fest, als er wieder das Wort ergriff: »Es tut mir leid, Skjaldan. Ich bin es nicht, der den Stein wecken wird. Ich sehe mich nicht in der Lage, die Bedingungen dafür zu erfüllen.«

»Du willst nicht oder du kannst nicht?«

Moanir legte die Stirn in Falten und massierte einen Moment seinen Nacken. Als er aufsah, war sein Blick fest. »Ich kann nicht, doch ich werde jemanden finden, der es vermag.«

Aliard lehnte sich zurück. »Weshalb glaubst du, dass wir die Kraft des Steines benötigen? Wir könnten unsere Magie vereinen und einen ähnlichen Effekt erzielen?«

Moanir fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Seine Augen wanderten zur Decke, ohne sie richtig wahrzunehmen.

»Wir nutzen das Licht, der Stein ist Licht ... und noch viel mehr. Die Stian-Kar stehen für das Gleichgewicht und gerade das ist in Gefahr. Nein, es ist bereits gestört und wie sollten wir das richten, ohne diese Hilfe?«

»Die Stian-Kar? Beide?« Aliard kam Leandars Vorwurf in den Sinn, Moanir sei der Dunkelheit zu sehr zugetan. Wollte er ebenfalls den Stein der Dunkelheit in Catron um Hilfe bitten oder hatte er mit dem Namen beider Steine in der alten Hochsprache gespielt? Stian-Kar d´Eartha, die Steine der Weltenkraft.

»Das Dunkel ist nichts für mich, falls du das meinst.« Moanir lächelte ihm zu. »Hat mir Leandar das unterstellt?«

Aliard sah in seinen Weinkelch. »Ja, das hat er angedeutet.«

Skjaldan schnaubte. »Pah, angedeutet! Er hat …«

Moanir hob lediglich die Hand.

»Meint Leandar das? Er kennt mich anscheinend schlechter, als ich dachte. Mich zur Dunkelheit wenden? Wenn ich das wagen würde! Ich habe Angst vor der Dunkelheit, Aliard. Viel zu große Angst, um auch nur darüber nachzudenken, ganz zu schweigen von dem Versuch, es zu tun.«

»Dann wende dich nicht gegen Quo. Sofern etwas das Licht bisher geschützt hat, waren das Quo und seine Erzmagier. Erinnere dich an das, was wir alle geschworen haben.«

»Das tue ich täglich.« Moanir stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. »Selten habe ich so viel über diese Worte nachgedacht, wie in den letzten Monaten. Was schützt das Licht? Was macht es stärker? Das Gleichgewicht schützt und erhält die Welt, wie wir sie kennen. Schließt das die Dunkelheit mit ein?«

Aliard musste sich am Tisch nach vorne lehnen, um Moanir verstehen zu können, als er fortfuhr.

»Ich habe in meinem gesamten Leben versucht, das Richtige zu tun. Ich kann jetzt nicht damit aufhören. Was auf uns zukommt ist … ich kann es nicht in Worten beschreiben und es nützt nichts, euch lediglich meine Erinnerung offen zu legen. Das habe ich bei Leandar bereits erfolglos versucht. Es führt nur zu Verwirrung und das ist das Letzte, was wir jetzt brauchen. Es muss aufgehalten werden. Um jeden Preis Die Botschaft des Steins auf meine Frage war eindeutig. Ich muss jemanden finden, der in der Lage ist, seine Unterstützung zu erlangen und deshalb werde ich den Ruf aussenden. Hier bei Gae, in drei Tagen. Ich will nicht mehr lange damit warten. Elmaryn begleitet mich, um zu helfen und ich hoffe auch auf eure Zustimmung.«

Kira

„Freunde, Sonne und Musik. Viel Musik. Das macht das Leben schön!“ Kira Sanders, Musikstudentin, Düsseldorf

Kira sah ihre Freundin ungläubig an. »Er hatte wirklich keinen sauberen Löffel?«

Sonja kicherte.

»Nein, hatte er nicht. Und das Beste kommt erst. Er hat sein komplettes schmutziges Geschirr in den Ofen gestellt, damit es ordentlich aussah. Als er nun einen Löffel brauchte, …«

»Hat der Kerl keine Spülmaschine?«

Sonja antwortete mit einem betont unschuldigen Augenaufschlag.

»Das schon … da waren drei Tassen drin. Saubere Tassen und da kann man ja schlecht das dreckige Geschirr dazustellen.«

Kira prustete los. Mark, der neueste mögliche Freund von Sonja würde sich wahrscheinlich nicht allzu lange halten.

»Da hat wohl früher immer Mama aufgeräumt. War das Essen wenigstens gut?«

»Ja, und der Rest auch!«

Das hörte sich schon anders an.

»Du triffst ihn also noch einmal?«

Sonja legte den Kopf zurück und betrachtete intensiv die wenigen Wolken, die am Himmel vorbeizogen. »Doch, aber nur in meiner Wohnung!«

Beide lachten. Dann gähnte Sonja und strich sich die blonden Strähnen hinter die Ohren.

»Wann fängst du an zu arbeiten?«

Kira ließ sich nach hinten ins Gras fallen. Arbeit war nicht das, woran sie im Moment denken wollte. Allerdings war Geld durchaus nötig. Kellnern oder Callcenter. Beides war im Semester möglich. Gestern hatte ihre Suche ein Ende gefunden. Kellnern am Medienhafen.

»Nächste Woche das erste Mal. Sie bestehen in dem Café auf knielangen Röcken. In Schwarz!«

Sonja warf ihr einen belustigten Blick zu. Kira trug Jeans, wie immer. Die ausgelatschten Sneakers hatte sie achtlos neben sich ins Gras geworfen. Das T-Shirt, geringelt in Pink und Orange, zierten einige Grasflecke. Die langen braunen Haare hatte sie lieblos mit einem gelben Haargummi im Nacken zusammengefasst. Kira konnte sich lebhaft ausmalen, was gerade in Sonjas Kopf vorging. Ihr war es zuzutrauen, dass sie in dem Café einkehrte, nur um ein Foto zu machen.

»Hast du überhaupt einen schwarzen Rock?«

Sonja grinste immer noch.

»Ja, exakt einen, fürs Orchester.«

Kira zwinkerte ihrer Freundin zu. »Den hatte ich auch beim Vorstellungsgespräch an. Ist aber gar nicht nötig. Ich kriege einen gestellt. Mit dem Logo von dem Laden.« »Ich komme vorbei, wenn du da arbeitest. Das muss ich sehen!«

»Bring Mark mit. Pass nur auf, dass er keine Löffel einsteckt, um seinen Vorrat aufzufüllen.«

Ein breites Grinsen erschien auf Sonjas Gesicht.

»Vielleicht schenke ich ihm einen zum Geburtstag.« Sie wischte sich demonstrativ über die Stirn. »Kellnern … Das ist das Letzte, was ich machen würde! Warum nichts Musikalisches? Mit einer Band auf Tournee, das wäre was!«

»Du hast Träume.«

Kira verdrehte die Augen. »Davon einmal abgesehen. Ich kenne keine Band, die gerade eine klassische Flötistin sucht.«

»Gründe doch selbst eine.«

Sonja war offensichtlich nicht bereit, ihre Idee so schnell aufzugeben. »Außerdem spielst du nicht bloß Klassik. Du kannst auch improvisieren!«

Kira hob die Schultern. Von der Musik zu leben war einer der Träume, der sich hartnäckig hielt. Kein sehr realistischer Traum und schon gar keiner, der ihr das nächste Semester finanzieren würde.

Sonja sah sie herausfordernd an. »Falls du genug Geld hättest und machen könntest, was du wolltest, was würdest du tun?«

Kira breitete die Arme aus. »Die Flöte einpacken und reisen. Bretagne, Irland …«

»Europa? Also wenn ich Geld hätte …«

Sonja deutete auf den Kondensstreifen eines Flugzeugs. »Mich würdest du vor Thailand oder Indien gar nicht zu fragen brauchen! Goa, Seychellen, Dominikanische Republik, Mauritius … Was zieht dich nach Frankreich?«

»Die Musik!«

Kira begann zu pfeifen und Sonja schüttelte den Kopf. »Folk?«

»Folk«, bestätigte Kira. »Danach England. Ich möchte die Landschaft kennenlernen, die Dowland so geliebt hat, dass er immer wieder versuchte, dorthin zurückzukehren.«

»Dowland? Oh Mann! Langweiliger geht's nicht, oder? Das ist doch diese melancholische Gruftiemusik. Lissy hat mir das vorgespielt. Die CD habe ich mir nur gemerkt, weil ich den Namen schon mal bei dir gehört habe. Flow my tears! In darkness let me dwell! …«

»Das ist Spätmittelalter. Da gab es noch keine Grufties!« Sonja kicherte. »Oder ausschließlich Grufties. War nicht die achte Frau von König Henry eine Hexe?«

»Heinrichs zweite Frau. Sie hatte wohl zu viele Liebhaber.«

Kira grinste ihre Freundin an. »Zumindest wurde sie, soweit ich weiß, dafür hingerichtet.«

Als Anne Boleyn starb, durfte Dowland vielleicht gerade geboren worden sein.

»Zu viele Liebhaber kann man nicht haben.«

Sonja gähnte. »Ich mag es am liebsten, wenn du improvisierst!«

Kira sah auf ihre Uhr. »Apropos Musik, ich muss zur Probe.« Sofern sie vorher duschen wollte, musste sie sich langsam beeilen.

Als Kira ihr Zimmer im Wohnheim betrat, kickte sie rasch die Schuhe in eine Ecke und schlüpfte aus T-Shirt und Jeans. Sie begann das Thema von Pachelbels Kanon zu pfeifen, während sie ihre Sachen zusammensuchte. Die Jeans konnte sie auf der Probe gut noch einmal tragen. Das T-Shirt war durch. Sie öffnete ihren Kleiderschrank für die Inspiration und packte in der Zwischenzeit Noten und Flöte ein. Proben würden sie diesmal auf Schloss Eller, wo in einer Woche die Aufführung sein sollte. Romantischer Abend. Sie freute sich darauf.

Das Handy klingelte. Typisch! Sobald sie es eilig hatte, versuchte garantiert jemand, sie zu erreichen. Rasch blickte sie auf das Display. Mia! Sicherlich ging es um das Orchester.

»Ja?«

»Kira? Hi! Fährst du mit dem Rad nach Eller?«

Kira überlegte nur kurz. Es war warm und nicht allzu weit entfernt. Kein Regen in Sicht.

»Ja, können wir zusammen fahren?«

»Gern! Ich muss dir sowieso noch was erzählen! Peter und der Wolf …«

»Sag mal Mia, kannst du mir das nachher sagen? Ich will duschen und …«

»Dann beeil dich! Ich bin in etwa einer Viertelstunde an der Kreuzung.«

Mia hatte aufgelegt. Beeil dich! Super. Kira zog, ohne zu überlegen, ein neues T-Shirt aus dem Schrank. Blau. Etwas langweilig, aber in Ordnung. Um sich jetzt mit Kleidung zu beschäftigen, reichte die Zeit nicht. Als sie unter der Dusche stand, grübelte sie fieberhaft, wer Wolf sein mochte. Peter glaubte sie einordnen zu können. War das nicht Mias Bekannter, dieser Biologe? Sie würde es sicher gleich erfahren. Haare föhnen musste heute ausfallen, das gelbe Gummi passte auch zum blauen T-Shirt … Fertig! Sie warf sich rasch die Tasche über die Schulter und lief in den Fahrradkeller.

Mia erwartete sie bereits an der Kreuzung und wedelte, als sie Kira sah, enthusiastisch mit einem Stapel Papier. Ihre Geige hatte sie achtlos im Korb auf dem Gepäckträger verstaut.

»Was ist das?«

Kira deutete auf die Blätter, die Mia ihr direkt vor die Nase hielt. »Noten?«

»Peter und der Wolf! - Habe ich doch eben gesagt.«

Kira stöhnte auf. »Hast du, stimmt.«

Das sinfonische Märchen von Prokofjew. Man hätte darauf kommen können – oder eben nicht.

»Wir wollen im Reitverein eine Vorstellung für Kinder machen – mit Kostümen. Mein Vater macht den Sprecher. Die Musik live! Wenn du den Vogel übernehmen könntest, brauchen wir nur noch Katze und Großvater …«

»Halt mal. Wann soll das sein und – du sagtest Reitverein? Habe ich da irgendwas mit Pferden zu tun?« »Am Ende der Semesterferien und mit Pferden brauchst du nichts zu machen!«

Mia kicherte »Außer, dass du in der Reithalle stehen wirst und sie um dich herumlaufen.«

»Wir sollten losfahren!«

Kira nahm die Noten, was Mia mit einem befriedigten Grinsen quittierte. »Ich überlege mir das. Wird jemand auf den Pferden sitzen, solange sie um mich herumlaufen?«

Mia lachte laut auf. »Nein! Wir stellen die Musiker in die Halle und lassen dann die Pferde rein. Vielleicht scheuchen wir sie noch ein wenig? – Natürlich sitzt da einer drauf! Hast du Angst vor Pferden?«

»Ja.«

Mia sah Kira vollkommen entgeistert an.

»Warum?«

Kira enthielt sich eines weiteren Kommentars. Sie hatte nie verstanden, wie man sich freiwillig auf ein Pferd setzen konnte. Genauso wenig wie Mia es verstehen würde, weshalb genau das jemand nicht tat.

»Ich mache den Vogel und du hältst mir die Pferde vom Leib.«

Moanir

„Wenn du weißt, dass etwas getan werden muss, tu es auch.“ Moanir von Quo, Gae, Dhravannor

Jetzt wurde es also ernst. Moanir ließ seinen Blick über die Hügel streifen. Skjaldan ritt voller Tatendrang und scherzte mit Elmaryn, der ihm jedoch nur ein halbes Ohr schenkte. Immer wieder sah der Barde zurück, verhielt sein Pferd und warf Moanir besorgte Blicke zu. Er war immer schon der Aufmerksamere der beiden gewesen, konnte Stimmungen besser erfassen ... Den Ruf nach Hilfe außerhalb von Gae auszusenden, war ein wenig unbequem, doch in Anbetracht von Leandars Verbot machte es keinen Sinn, Aliard mit in diese Angelegenheit hineinzuziehen.

»Ich hoffe, ihr wisst, was ihr tut.«

So hatte er sie an den Toren der Residenz verabschiedet und resigniert den Kopf geschüttelt, als Moanir die angebotene Eskorte ablehnte. Obwohl er genau wusste, dass die Soldaten unnötig waren. Gefahr drohte ihnen nicht durch einen Angriff von außen.

Moanir schloss die Augen und fühlte die ersten kühleren Windstöße auf dem Gesicht. Das Wetter passte gut zur Situation. Noch schien die Sonne, der Wind war jedoch bereits ein Vorbote des aufkommenden Sturms. »Können wir den Sturm aufhalten?«

Elmaryn parierte sein Pferd zum Halten und wartete, bis Moanir zu ihm aufgeschlossen hatte.

»Du meinst nicht das Wetter.« Er gestikulierte vage in Richtung der am Horizont auftauchenden Wolken. »Ob wir es aufhalten können? Wären wir hier, falls du nicht daran glauben würdest?«

Moanir nickte. Sie brauchten Hilfe und es war sinnlos, länger damit zu warten. Ohnehin ist es schon fast zu spät! Es gab nichts außer seiner Angst, was ihn davon abhielt, doch das war etwas, womit er allein zurechtkommen musste.

»Skjaldan, ich denke, wir sind weit genug von Gae entfernt, um nicht gestört zu werden. Sobald du einen Platz siehst, der geeignet erscheint, sag Bescheid. Elmaryn, du auch! Vielleicht können wir das Wetter nutzen.«

Skjaldan lenkte sein Pferd neben Moanirs.

»Was hältst du von der kleinen Kuppe? Da ist ein Wäldchen, das uns nachher vor dem Gröbsten schützt. Trotzdem sind wir auf der Erhebung mittendrin, sofern du das möchtest?«

»Es wird gehen!«

Der Hügel schien in der Tat ideal. Die Bäume boten Schutz, um notfalls zu übernachten, sollte ihn der Ruf zu sehr anstrengen. Der Wind wurde stärker.

»Elmaryn, kannst du mir Kraft aus diesem Sturm geben?«

»Ich werde mit ihm spielen und dir die Kraft aus meinem Spiel geben.«

Der Barde fixierte ihn mit seinem Blick. Sein Gesicht und seine ganze Haltung erschienen ruhig und gefasst, aber die Augen verrieten die Frage, die er nicht aussprach. Ist das genug?

Es musste reichen.

»Falls es nicht reicht, brauche ich das Licht.«

Elmaryn nickte.

»Ich werde tun, was ich kann.« Dann legte er Moanir seine Hand auf den Arm und drückte leicht zu. »Mehr als unser Möglichstes können wir alle nicht leisten.«

Elmaryn kannte ihn viel zu gut, um seine Angst nicht zu spüren. Und seine Verzweiflung. Moanir schloss erneut die Augen.

»Manchmal müssen wir über uns hinauswachsen.«

»Und es ist bitter, wenn man seine Grenzen findet.«

Der Blick des Barden war forschend. »Welche Antwort hat dir der Stein des Lichts auf deine Frage gegeben? Worüber machst du dir Sorgen?«

Moanir wich ihm aus.

»Später, ich … wir sprechen ein anderes Mal.«

Er hatte Leandar die Bilder gezeigt, die der Stein ihm übermittelt hatte und der Erzmagier war genauso entsetzt gewesen, wie er selbst. Nur ging der davon aus, dass Moanir sich täuschte, dass er die Antwort falsch interpretierte. Leandar hatte nie in Kontakt mit dem Stein gestanden. Wer mit den Stian-Kar sprach, der sah, und Moanir hatte gesehen.

Er verscheuchte die Gedanken aus seinem Kopf. Der Ruf war wichtig und sonst nichts.

Skjaldan winkte ihnen von der Hügelkuppe aus zu. Er hatte eine Mulde gefunden, in der man bequem sitzen und sich sogar anlehnen konnte. Die Pferde banden sie am Waldrand an einen Baum.

Es war so weit und Elmaryn begann zu spielen. Die Melodie, die er mit seiner einfachen Rohrflöte blies, fing die ersten, heftiger werdenden Windstöße ein. Fast schien es, als richtete sich der Wind nach seinen Wünschen und nicht umgekehrt. Vielleicht war es so? Moanir spürte die Kraft in Elmaryns Spiel und begann sich zu konzentrieren. Er fühlte, wie die Melodie seine Konzentration verstärkte. Dann sandte er seinen Geist aus und ließ ihn von der Musik und dem Wind weitertragen. Tastete sich vorwärts, suchte, bis an die Grenzen seiner Kraft.

Es reichte nicht aus. Würde er hier scheitern? Erneut? Elmaryn variierte das Spiel. Am Rande seines Bewusstseins nahm Moanir sie wahr, die Melodie des Lichtes. Licht ... Wenn du es nicht tun kannst, finde jemanden, der es vermag. Und nicht einmal dazu bin ich in der Lage. Frustriert stöhnte er auf und spürte kurz darauf, wie Skjaldan die Hand auf seine Schulter legte. Neue Energie strömte in seinen Körper. Ein Tropfen, der rascher verdunstete, als er etwas bewirken konnte. So viel mehr Kraft war nötig. Er musste mit seinem Ruf über die Grenzen hinausgreifen, sofern er Erfolg haben wollte. Der Wind peitschte über die Kuppe. Erste Regentropfen begannen zu fallen. Moanir richtete seine Gedanken nach Quo zum Stein des Lichtes.

»Ich kann nicht aufhalten, was kommt, doch ich bin hier, um das zu tun, was du mir gesagt hast. Denjenigen zu finden, der uns helfen kann. Also hilf mir jetzt!«

Es war leichter, den Kontakt herzustellen, als beim ersten Mal. Da war zunächst wieder das Gefühl, im leeren Raum zu schweben. Dann sah er das Licht und es erfüllte sein Bewusstsein so vollständig, dass er einen Moment die Wahrnehmung für Raum und Zeit verlor. Alles wurde eins und das Gefühl, mit der Welt zu verschmelzen, war überwältigend. Die Kraft des Steins erfasste seinen Körper mit einem Prickeln, als hätte er in Nesseln gegriffen. Er wusste, was es ihn kosten würde. Es fiel ihm nicht leicht, diesen Preis zu zahlen, aber es gab keinen anderen Weg. Er fühlte, wie sich sein Bewusstsein über die Welt ausbreitete und über ihre Grenzen hinausgetragen wurde. Dann spürte er den Kontakt. Es gab jemanden, den er erreichen konnte.

Kira

„Carpe Diem! Wer immer das gesagt hat, er hatte Recht.“ Kira Sanders, Unterbacher See, Düsseldorf

Kira bohrte ihre Zehen in den weichen, sonnenwarmen Sand und gähnte.

»Bei dem Wetter wird man viel zu schnell müde!«

Die anderen Orchestermitglieder brachen langsam auf.

»Soll ich dich nach Hause fahren?«

Thomas hatte seine Tasche bereits geschultert und deutete in Richtung Parkplatz. »Dein Rad kriege ich in den Kofferraum.«

Kira gähnte erneut.

»Lass mal, ein bisschen Sport tut mir gut.«

»Du siehst gerade nicht so aus. Außerdem gibt es gleich ein Gewitter.«

»Darauf hoffe ich!«

Kira sammelte ihre Sachen ebenfalls ein. Sie mochte Gewitter und liebte vor allem die Stimmung kurz davor, wenn es schon nach Regen roch und dieses elektrische Kribbeln in der Luft lag.

»So werde ich wenigstens wieder wach.«

Thomas lachte. »Na dann viel Spaß!«

Kira unterdrückte ein weiteres Gähnen und ging zu ihrem Rad. Mia war nach der Probe nicht mehr mit an den See gekommen. Ein Blick zum Himmel sagte ihr, dass das Gewitter nicht lange auf sich warten lassen würde. Es war Zeit loszufahren. Sie winkte den Anderen zum Abschied zu und radelte los.

Als sie den Wald erreichte, fuhr der Wind bereits mit kräftigen Stößen durch die Kronen. Rückenwind! Kira ließ das Rad rollen und versuchte mit der Fußspitze das hohe Gras am Wegesrand zu streifen. Es wogte in Wellen hin und her. Wunderschön! Sie ertappte sich dabei, dass sie eine Melodie vor sich hin summte. Eine gute Melodie, die die Stimmung wunderbar einfing.

Sie stellte das Fahrrad ab und setzte sich auf einen Stein. Wenn sie weiterfuhr, wären die Töne vielleicht schon fort und das wollte sie auf keinen Fall. Sie musste sich konzentrieren. Leise begann sie wieder zu summen. Diesmal mit größerer Aufmerksamkeit. Sie suchte das, was eben auf ihren Lippen gelegen hatte ...

Die Töne schienen aus den zunehmenden Böen zu kommen, wurden lauter und verloren sich wieder, sobald der Wind abschwächte. Vielleicht war es auch umgekehrt? Beschrieb die Melodie den beginnenden Sturm oder folgte er der Musik? Kira brauchte nicht mehr mit zu summen. Die Töne waren jetzt klar zu vernehmen.

Ein irres Gefühl. Es drängte sie geradezu, ihre Flöte zu nehmen und mit dem Wind zu spielen. Etwas Ähnliches hatte sie noch nie erlebt. Sie hörte die Melodie so deutlich, dass sie keine Probleme hatte, sie aufzugreifen. Es war leicht, Harmonien zu suchen, eine zweite Stimme?

Fasziniert bemerkte Kira, wie die erste Melodie auf ihr neues Thema einging. Das war doch nicht möglich! Egal! Kira hatte vor, den Moment so lange aufrechtzuerhalten, wie es nur ging. Es war einfach fantastisch.

Die Musik wurde jetzt stärker, drängender, als hätte jemand wahrgenommen, dass sie mitspielte.

Sie spürte Freude darüber, dass sie zuhörte und dahinter eine tiefe Verzweiflung?

»Komm und hilf uns!«

Kira sah sich um. Wer hatte mit ihr gesprochen? Im Wald war niemand zu sehen.

»Hallo?«

Es war niemand zu sehen.

»Komm und hilf uns!«

Sie hörte die Worte klar und deutlich. Kira wurde kalt und ihr Magen zog sich zusammen. Die Stimme war in ihrem Kopf! Wie ...

»Komm nach Quo als ein Licht in der Dunkelheit!«

Vollkommen verrückt! Sie hatte am See ein Bier getrunken. Eines! Es konnte unmöglich sein, dass sie davon betrunken war.

»Du musst kommen und helfen!«

»Wie?«

War das jetzt der Wahnsinn? Nicht nur Stimmen zu hören, sondern ihnen auch zu antworten? Wie hieß diese Geisteskrankheit doch gleich, bei der so etwas auftrat? Schizophrenie?

»Darum kümmere ich mich.«

Die Stimme klang unendlich erleichtert. Na prima! Das war doch irgendein dämlicher Scherz. Gleich würde einer ihrer Freunde aus dem Gebüsch kommen ... nur, dass es hier kein Gebüsch gab. Vielleicht hörte die Stimme ja auf, wenn sie zustimmte?

»Gut, du kümmerst dich – wir sehen uns!«

Kira verspürte leichten Schwindel. Sie hätte Thomas‘ Angebot annehmen sollen, sie nach Hause zu fahren.

»Wir werden uns leider nicht sehen.«

Die Stimme wurde leiser, als ob sie sich entfernte. Gut ... Kiras Schwindelgefühl verstärkte sich. Sie presste die Hände an die Schläfen.

»Du musst … suchen …«

Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen, alles schien sich zu drehen. Dann war da nur noch Licht, das sie umhüllte.

Verzweiflung

Aliard

„Ich bin es gewohnt, für nahezu jede Situation die passenden Worte zu finden, aber das ...“

Aliard von Quo, Gae, Dhravannor

Aliard starrte in den Regen. Was er sah, machte ihm Angst. Elmaryn stand vor ihm, vollkommen durchnässt, aber das war es nicht, was ihm Sorge bereitete. Es war Elmaryns Gesicht. Nahezu weiß im Licht der Lampe. Der Barde wirkte zutiefst verstört, wie unter Schock. Als er jetzt sprach, klang die sonst so sichere Stimme tonlos und flach.

»Komm, du musst Skjaldan helfen.«

Dann drehte er sich einfach um und ging zu den Ställen. Aliard nahm seinem Diener die Lampe aus der Hand und hastete hinterher. Was er im Stall sah, konnte er zunächst nicht einordnen. Die Pferde standen noch unversorgt an der Wand. Skjaldan kniete im Stroh mit dem Rücken zu ihm. Was tat er da und wo war Moanir? Und weshalb kauerte der Stallbursche wie festgefroren vor einem Verschlag und kümmerte sich nicht um die Tiere? Einen Moment betrachtete er die Szene, ohne zu verstehen. Als er begriff, was Skjaldan tat, lief es ihm kalt den Rücken herunter. Unwillkürlich packte er den Griff der Lampe fester. Skjaldan kniete im Stroh und weinte. Ein hemmungsloses, verzweifeltes Weinen, das seinen gesamten Körper schüttelte. Mechanisch machte Aliard ein paar Schritte in seine Richtung. Was lag da im Stroh? War das ... Moanir? Schrecken erfasste ihn, als er näher trat. Moanirs Gesicht sah friedlich, beinahe heiter aus, aber es war kein Leben darin. Aliard bemerkte nicht, dass ihm die Lampe aus der Hand fiel und verlosch, während er die letzten Schritte mehr stolperte als lief.

»Was ist geschehen?«

Skjaldan schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen. Er reagierte weder, als Aliard ihn berührte, noch als er ihn schüttelte.

»So sitzt er, seit wir angekommen sind.« Elmaryn lehnte an der Wand, unendlich traurig und müde. »Ich weiß nicht, wie lange schon, ich …«

Seine Stimme verlor sich, wurde zu leise, als dass Aliard sie noch hören konnte.

»Bei den Göttern, was ist passiert?«

»Der Ruf«, Elmaryn war die Mauer heruntergeglitten und saß jetzt auf dem Boden, den Kopf in die Hände gestützt. »Wir hatten zu wenig Kraft. Moanir … ich glaube, er hat den Stein gebeten, ihm zu helfen. Er bekam auch Hilfe, aber es war ... zu viel, was er brauchte.«

Aliard schauderte. Zu viel Kraft. Wenn ein Magier über seine eigenen Möglichkeiten hinausging, zog er zunächst seinen Körper in Mitleidenschaft. Wer diese Schwelle überschritt starb. Moanir musste gewusst haben, was er tat. Aliard schloss kurz die Augen. Dann wandte er sich an den Stallburschen.

»Lauf in die Wachstube und hole zwei Gardisten. Lass sie eine Trage mitbringen, und eine saubere Decke!«

Der Junge rannte los. Die Erleichterung stand deutlich in seinem Gesicht. Aliards Diener verweilte noch in der Tür. Er winkte ihn zu sich.

»Geh ins Haus und besorge uns etwas Heißes zu trinken . Naldjantee, falls du welchen auftreiben kannst.«

Als er ging, trafen die Gardisten ein. Hauptmann Dregan war selbst mitgekommen. Seine Augen weiteten sich, als er die Situation erfasste. Er sah Aliard an, wartete auf seine Order.

»Wir bringen ihn ins Haus. In das Zimmer, in dem er auch geschlafen hat.«

Skjaldan hatte bisher keine Reaktion gezeigt. Erst jetzt, als die beiden Gardisten Moanirs Körper auf die Trage hoben, sah er auf.

»Aliard?«

Er schien überrascht, ihn zu sehen. Als die Trage angehoben wurde, versuchte er aufzustehen. Hauptmann Dregan trat rasch hinzu, um ihn zu stützen. Skjaldans Stimme klang brüchig, aber bestimmt.

»Ich werde die Totenwache halten.«

Aliard schüttelte den Kopf und legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Du bist vollkommen erschöpft, wie willst du …«

Skjaldan wischte den Einwand und die Hand mit einer ungelenken Bewegung beiseite, die ihn ohne Dregans Hilfe sein Gleichgewicht gekostet hätte.

»Ich werde es tun. Das wenigstens kann ich tun!«

Kira

„Es gibt für alles eine vollkommen logische Erklärung. Die muss ich nur finden. Mit ein bisschen Pech bin ich aber einfach verrückt.“

Kira Sanders, nicht sicher, wo sie sich befindet.

Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen. Licht und Grün. Das Licht wurde schwächer, das Grün wurde mehr. Irgendjemand hielt ihren Kopf mit eisernem Griff fest.

»Lass das«, protestierte sie schwach. »Geh weg!«

Keine Reaktion. Es kostete Kira einige Mühe, die Hand zu heben und nach oben zu tasten. Da war niemand. Der Schmerz war in ihrem Kopf?

Vorsichtig öffnete sie die Augen weiter. Grün, Blätter, Gras, Bäume … Sie war im Wald?

Im Wald. Natürlich. Die Orchesterprobe, der Abend am See, die Heimfahrt.

Da musste ihr Kreislauf irgendwie zusammengebrochen sein. Ein Sonnenstich?

Vorsichtig setzte sie sich auf und blieb eine Zeit lang vornübergebeugt sitzen. Als sich der Wald nicht mehr um sie drehte, hob sie langsam den Kopf und sah sich um. Ihr Fahrrad war nirgendwo zu sehen.

»Das ist ja wohl das Allerletzte!«

Wut flammte in ihr auf. »Da kippe ich im Wald um und dann klaut einer mein Fahrrad! Anstatt dass mal einer den Krankenwagen ruft oder so?«

Der Ärger gab ihr die Kraft, vollends aufzustehen.

»Wie soll ich nach Hause kommen? Laufen?«

Mit dem Rad war auch ihre Tasche verschwunden. Geld, Handy ... Die Flöte! Lange konnte sie nicht bewusstlos gewesen sein. Sollte sie zum Strandbad zurücklaufen und die Polizei anrufen? Wo war überhaupt der Weg?

Kira sah sich um … und stockte.

Das war nicht der Wald, den sie kannte. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand. Die Umgebung wirkte völlig fremd. Die Bäume ... jetzt standen dort nicht mehr nur Buchen, sondern ein dichtes Gewirr von verschiedenen Baumarten. Überall, wo das Licht den Boden erreichte, wucherten zusätzlich Sträucher, Farnkraut und andere Pflanzen. Selbst auf dem Weg. Angst kroch langsam in ihr hoch. Das ist nicht der Wald, in dem ich vom Rad gestiegen bin.

Das Schwindelgefühl kam zurück und sie lehnte sich an einen Baum.

»Immer mit der Ruhe. Ich muss jemanden finden, der mir hilft. Irgendwo ist hier ein Ort, da sind Menschen und fast jeder hat heute ein Handy.«

Da vorne sah es doch so aus, als würde der Weg den Wald verlassen? Langsam ging sie in Richtung Waldrand, dann rannte sie.

Als Kira zwischen den Bäumen hervortrat, verschlug es ihr den Atem. Vor ihr lag ein scheinbar unendliches Hügelland, das in den Strahlen der Abendsonne wirkte, als sei es mit Gold übergossen. Langes Gras, durch den Wind zu Wellen geformt, Blumen dazwischen, durchsetzt mit niedrigen Sträuchern. Ein wenig entfernt eine kleine Gruppe Birken, die mit ihren schlanken Stämmen wie gemalt wirkten. Eine Landschaft in einer Weite, wie man sie in Schweden oder Norwegen erwartet hätte.

Kira blieb stehen und konnte sich einem Moment nicht rühren. Fassungslos starrte sie auf die Hügel, das Gras. Keinerlei Anzeichen einer Stadt. Nicht einmal ein Dorf. Definitiv nicht Düsseldorf.

Im ersten Impuls wollte sie in den Wald zurücklaufen. Sie musste sich getäuscht haben, irgendwo waren ihr Fahrrad und der Weg. Sobald sie beides fand, würde alles in Ordnung kommen. Wenn sie die Augen öffnete, wäre sie wieder im Eller Forst, ihr Fahrrad neben sich … Sie tat es, schloss sie erneut, öffnete sie, es blieb dabei. Die Blätter der Birken flirrten im Wind und schienen ihr dabei spöttisch zuzuwinken.

Nicht die Nerven verlieren. Vor ihr war eine leichte Erhebung. Vielleicht war von dort aus etwas zu sehen? Kira stieg die kleine Kuppe hinauf.

Der Weg wurde außerhalb des Waldes ein wenig breiter und lief an der Flanke des Hügels mit einem weiteren Pfad zusammen. Ein Stück entfernt auf einer Anhöhe gab es Mauern, die aussahen wie eine Burgruine. War das Rauch? Eine verzweifelte Hoffnung ergriff von ihr Besitz. Wo Rauch war, gab es in der Regel auch Menschen.

Die Ruine wurde beim Näherkommen deutlich größer, als es aus der Ferne den Anschein gehabt hatte. Die Reste einer Mauer, die ein Dorf umgeben hatte. Kira erkannte dahinter Häuser aus Stein und Holz. Einige zerfallen, manche äußerlich unversehrt. Und da waren Menschen, die zwischen den Häusern umherliefen. Das Ganze wirkte mittelalterlich. Ein Freilichtmuseum? Kira wurde wieder etwas ruhiger. Dort gab es mit Sicherheit Leute, die ihr weiterhalfen und ein Telefon.

Die Mauer musste gewaltig gewesen sein. Überall lagen grob behauene Steine herum. Trotzdem wirkte alles merkwürdig neu. Als hätte jemand erst kürzlich die Brocken aus dem Wall gebrochen. Sie hob die Schultern. Alles war seltsam, seit sie im Wald aufgewacht war. Es nützte nichts zu grübeln. Hinter den Resten eines Tors waren viele Menschen auf der mit Kopfsteinpflaster versehenen Straße.

Die Kleidung ... Es musste ein Museum sein. Mit Schauspielern! Fand dort gerade ein Fest statt? Die Menschen trugen Kleidung wie Bauern aus einem historischen Märchenfilm. Einfaches Leinen und Wolle. Ein Pferdefuhrwerk klapperte ins Innere des Dorfes, ein Mann mit einem großen Tragekorb überquerte die Straße im Laufschritt.

Wo war sie nur gelandet? Ein Live-Rollenspiel? Besucher gab es nicht, es sei denn, man hatte die ebenfalls kostümiert. Das Ganze roch, als hätten alle Darsteller ihre Rolle sehr ernst genommen und sich seit Wochen nicht gewaschen.

Je länger Kira dem Treiben zusah, umso unwohler wurde ihr. Über allem lag eine seltsam angespannte Stimmung. Keiner bewegte sich, als trüge er ein Kostüm. Der Mann, der einen Karren mit Tongeschirr die Straße entlang manövrierte, tat das mit einer Geschicklichkeit, die selbstverständlich wirkte. Trotzdem schien er seine Waren so schnell wie möglich von der Straße holen zu wollen. Frauen riefen sich mit schriller Stimme über eine Gasse hinweg etwas zu, das Kira nicht verstand. Zwei Kinder rannten barfuß im Zickzack zwischen den Häusern hindurch. Sie wirkten vollkommen vertraut mit ihrer Umgebung. Sie sahen nicht einmal auf, als sie das Pferdefuhrwerk überholten. Sie selbst schien die einzige Anwesende zu sein, die nicht ins Geschehen passte und doch ... keiner der Anwesenden schien sich wirklich wohlzufühlen. Die Angst der Menschen war fast greifbar.

Egal, irgendjemand musste ein Telefon haben oder zumindest wissen, wo eines sein könnte. Sie entschloss sich einen Mann anzusprechen, der gerade Körbe mit Äpfeln in ein Haus trug.

»Können Sie mir sagen, wo ich ein Telefon finden kann?« Der Mann sah auf und starrte Kira mit offenem Mund an. Sein Blick wanderte einmal an ihr herunter, verweilte auf ihrer Jeans, um an den Schuhen hängen zu bleiben. Dann murmelte er etwas, was sie nicht verstand.

»Bitte, ich suche ein Telefon ... oder jemanden, der hier verantwortlich ist?«

Sprachloses Unverständnis. Neben dem Mann war jetzt ein kleiner Junge aufgetaucht, der von seinem Vater beinahe hektisch ins Innere des Hauses zurückgescheucht wurde. Was er dabei rief, war kein Deutsch. Es war keine Sprache, die Kira bisher gehört hatte. Das ... Sie hielt sich die Hand mit ausgestrecktem Daumen und kleinem Finger ans Ohr.

»Do you speak englisch? I need a phone …«

Der Mann ergriff den Korb und rannte nun ebenfalls ins Haus. Die Tür schlug er Kira vor der Nase zu.

»Was zum …« Sie stand einen Moment vollkommen fassungslos vor der geschlossenen Tür. Hoffentlich waren nicht alle Menschen derart zuvorkommend!

Die Straße hatte sich zusehends geleert. Wo sich noch Türen in den Gebäuden befanden, wurden diese geschlossen und, wie es sich anhörte, verriegelt. Die meisten Fenster waren mit Brettern vernagelt, das Fuhrwerk war längst verschwunden. Eine Frau scheuchte zwei kleine Mädchen in einen Hauseingang, dessen Tür sie mit einem Knall zuwarf. Eines der Mädchen weinte.

Plötzlich lag eine Stille in der Luft, die erdrückend wirkte. Nicht einmal mehr das Weinen des Kindes drang auf die Straße. Das ist nun endgültig übertrieben. Kira schloss einen Moment die Augen. Unwillkürlich sah sie an sich selbst hinunter. War irgendetwas mit ihren Schuhen?

Jeder, der sich jetzt noch in Sichtweite befand, trug Uniform und Waffen. Sie konnte einige Männer mit Bögen erkennen, andere wiederum trugen Schwerter. Manche kontrollierten immer wieder ihre Ausrüstung oder schienen im stummen Gespräch mit sich selbst versunken. Deutlich las Kira in den Gesichtern offene Angst. Das hatte nichts mit ihrem Auftauchen hier zu tun. Diese Menschen warteten auf etwas. Lediglich ein Mann, der abseits, ganz in der Nähe des Tores stand, besaß keine erkennbare Uniform und schien nicht bewaffnet. Ein langer, blauer Überwurf, der bereits an einigen Stellen geflickt und ausgebessert worden war, verdeckte den Großteil seiner Kleidung. Der Mann musste noch jung sein. Sein Haar war voll und nahezu schwarz. Als Einziger zeigte er keine Angst und strahlte eine unglaubliche Ruhe und Konzentration aus. Als hätte er Kiras Blick gespürt, drehte er sich zu ihr um.

Für ein paar Sekunden sah sie Überraschung auf seinem Gesicht. Dann wandte er sich von ihr ab, winkte einen Mann heran, der in seiner Nähe stand, sprach leise mit ihm und deutete auf Kira. Der Angesprochene kam daraufhin auf sie zu. Aus dem Tonfall konnte Kira schließen, dass er sie etwas fragte. Schon wieder diese Sprache. Die Worte klangen nicht einmal im Ansatz vertraut. Kira versuchte es mit Englisch, Französisch, Deutsch und den paar Brocken Spanisch, die sie aufgeschnappt hatte, erzielte jedoch keine Verständigung. Panik begann in ihr hochzukriechen und gleichzeitig überkam sie ein Gefühl von Surrealität. Träumte sie? Nahezu in jedem Teil der Welt waren doch Englisch oder Spanisch zumindest bekannt.

Auch der Mann wirkte verwirrt. Er schien ebenso überrascht wie Kira, dass sie keine Sprache benutzte, die er kannte. Unablässig wanderte sein Blick über ihre Kleidung und blieb, wieder einmal, an ihren Turnschuhen haften.

Dann rief der blau Gekleidete zwei Worte, die den Mann augenblicklich jegliches Interesse an Kira verlieren ließen. Die Nervosität schien sich noch zu verstärken, als alle Anwesenden in ein und dieselbe Richtung sahen, die Straße hinunter zum Tor. Kira versuchte etwas zu erkennen. In der beginnenden Dunkelheit wirkte der Himmel nahezu schwarz. Eine seltsame Schwärze war das. Merkwürdig tief und intensiv. Als ob jegliches Licht geschluckt würde. Kira sah wie gebannt auf die Erscheinung. Schlagartig kam der Schrecken.

Es war wie das Erwachen aus einem Albtraum, nur um festzustellen, dass die Wirklichkeit grausamer war. Mit der Dunkelheit kamen Wesen, nein, das Dunkel bestand aus Wesen, war lebendig, teilte sich und floss wieder zusammen. Keine dieser Kreaturen ließ sich in ihrer Form fassen. Manche schienen zu kriechen, andere wiederum zu fliegen. Dort formte sich eine Klaue aus undurchdringlicher Schwärze. Hier erschien eine geduckte Gestalt mit dem Gesicht einer Raubkatze, nur um gleich wieder zu zerfließen und eine neue Form anzunehmen. All das geschah nahezu lautlos.

Kira schlug von diesen Wesen ein so unglaublicher Hass entgegen, dass sie im ersten Moment nicht in der Lage war, sich auch nur zu bewegen. Diese Kreaturen strahlten eine Grausamkeit und Willkür aus, die jedes bewusste Handeln auslöschte.

Sie rannte, ohne zu denken. Fort, nur weg von diesem Grauen, aber ein Entkommen schien es nicht zu geben. Überall war diese Dunkelheit. Die Wesen überholten sie spielend. Genau vor ihr tauchten zwei davon wie aus dem Nichts auf. Entsetzt blieb sie stehen, nur um zu sehen, wie neben ihr die Wand eines Hauses einstürzte. Sie hörte Schreie und bemerkte, dass sie selbst ebenfalls schrie. Dann war eine der Kreaturen bei ihr. Sie berührte sie eher flüchtig und Kira spürte eisige Kälte. In Panik wich sie zurück, prallte dabei gegen jemand anderen, stürzte. Das Wesen sprang über sie hinweg und hüllte den anderen in undurchdringliche Dunkelheit. Kira kroch blindlings rückwärts, bis sie eine Mauer hinter sich spürte. Sie tastete nach einem Halt und fühlte etwas Weiches. Als ihr Blick darauf fiel, konnte sie einen Schrei nicht unterdrücken. Direkt neben ihr, unter den Steinen der zusammengestürzten Hauswand, ragte eine Hand hervor. Kira sprang auf und begann erneut zu rennen, bis sie in völliger Erschöpfung zusammenbrach.

Elmaryn

„Solange mal lebt, ist nichts endgültig. Und wir leben noch!“

Elmaryn von Savraney, fahrender Sänger, Gae, Dhravannor ´

»Wir bringen alle Verletzten in den großen Saal!«

Der hatte wenigstens noch eine Decke. Zwar nicht mehr durchgängig aber immerhin. Zudem gab es dort genügend Platz, nachdem nahezu das gesamte Mobiliar zerstört war. Die Reste der Wandvertäfelung wurden inzwischen als wertvolles Feuerholz genutzt.

Elmaryn half Aris dabei, ein Kind auf seinen Karren zu heben. Der Heilkundige hatte einen harten Zug um den Mund.

»Es wird Zeit, dass Teja hier mit den Siedlern ankommt!« Seine Stimme klang heiser vor Erschöpfung. »Sofern sie noch lebt!«

Elmaryn stemmte sich mit der Schulter gegen den Karren und schob. In spätestens drei Tagen mussten sie aufbrechen, ob Teja erschien oder nicht. Er konnte nur hoffen, dass sie es schaffte. Und dass er selbst die nächsten Tage überlebte.

»Na, was bei den Göttern …!«

Alarmiert hob Elmaryn den Kopf, als er Aris´ überraschten Ausruf hörte. Schräg neben ihnen, an der Mauer eines weitgehend intakten Hauses, lag eine junge Frau. Die mit der seltsamen Kleidung, die kurz vor dem Angriff auf der Straße gewesen war. Sie hatte keine ihm bekannte Sprache gesprochen und auch sonst ... Dann war der Angriff gekommen und er hatte nicht mehr an sie gedacht, bis er sie jetzt vor sich sah. Aris winkte ihn zu sich heran. Verwirrung stand in seinem Gesicht.

»Hast du so etwas schon einmal gesehen? Was hat sie da in ihrem Haar?«

Das Ding war gelb und sah ein wenig aus wie Fell. Gelbes Fell, doch das konnte nicht sein, es glänzte zu stark.

»Und überhaupt die Kleidung …«

Aris schüttelte den Kopf. Er beugte sich zu der Frau herunter.

»Was ist das für ein Stoff?«

Er zog an dem Hemd der Frau und Elmaryn sah überrascht, dass sich das Material dehnte, ohne zu zerreißen. Er trat neben Aris und sah genauer hin. Die Fäden wirkten unglaublich fein und waren seltsam ineinander verschlungen. Es fühlte sich sehr weich an. Weich und dünn. »Sie braucht wärmere Sachen«, bemerkte Aris im selben Moment, als hätte er Elmaryns Gedanken gelesen.

»Wer ist das? Wo trägt man solche Kleidung?«

Elmaryn hob die Schultern.

»Ich habe sie kurz vor dem Angriff auf der Straße gesehen. Sie verstand keine Sprache, die ich kenne.«

Aris pfiff leicht durch die Zähne, dann wurde er schlagartig ernst.

»Meinst du, sie hat mit dem Angriff zu tun? Du warst doch schon einmal in den dunklen Ländern. Ist sie … könnte sie …«

»Ich weiß es nicht.«

Elmaryn schüttelte den Kopf. Er musste einfach das gelbe Ding in ihren Haaren berühren. Kein Fell! Es fühlte sich seltsam an.

»Elmaryn?«

»Ich glaube nicht, dass sie etwas damit zu tun hat.«

Er richtete sich auf.

»Sie schien verzweifelt zu sein. Und genauso überrascht wie ich, dass sie mich nicht verstand. Für jemand aus Aidris hat sie zu helle Haut. Außerdem habe ich es in der Khedra versucht. Die spricht sie nicht.«

Er rief sich die Szene ins Gedächtnis. Überrascht traf es nicht ganz.

»Verwirrt!«

Aris sah ihn fragend an.

»Verwirrt«, Elmaryn nickte ihm zu. »Es war eher Verwirrung, nicht Überraschung.«

»Ich habe solche Kleidung noch nie gesehen. Die Schuhe …«

Aris war bei der Untersuchung der Frau an ihren Beinen angekommen. »Das ist kein Leder, oder? Elmaryn, ist das magisch?«

Elmaryn berührte die Schuhe. Aufgefallen waren sie ihm bereits am Abend des Angriffs. Inzwischen wirkten sie durch den Schmutz der Straße weniger beunruhigend. Nicht mehr so weiß. Er schloss die Augen und lauschte auf eine Melodie, den Hinweis auf eine Kraft. Fremd, nicht magisch, nur fremd. Jemand hatte das Material gemacht. Er öffnete die Augen wieder und schüttelte den Kopf.

»Keine Magie, aber auch nicht natürlich. Das wurde hergestellt. Ich kenne allerdings keinen Handwerker, der das könnte. Sie muss von sehr weit her kommen.«

»Moanirs Ruf?«

Aris fasste seinen Arm.

»Wenn sie nicht von hier ist, vielleicht ist sie deshalb erst jetzt …« Er brach ab und Elmaryn wusste weshalb.

Vier Wochen war es her, dass Moanir seinen Ruf losgeschickt hatte. Niemand war seitdem gekommen. Allerdings hatten die Angriffe begonnen. Aus dem Nichts. Alle waren ratlos und Moanir war tot. Das hatte Skjaldan in völlige Verzweiflung gestürzt. Nur wegen der Angriffe hielt er noch durch. Als Aliard mit der Königsfamilie nach Drawahr aufgebrochen war, hatte er Skjaldan beauftragt in Gae zu bleiben, um die Trecks zu organisieren, die die Siedler aus den Ebenen in die Festung bringen sollten. Zu Beginn hatte der Magier, wie alle, auf baldige Hilfe gehofft. Jeder Fremde, der nach Gae kam, wurde befragt. Er hatte Männer ausgeschickt, die Umgebung zu durchsuchen. Er hatte jemanden an dem Platz postiert, von dem der Ruf ausgegangen war. Nichts. Niemand kam auf Moanirs Ruf und auch in Quo war man ratlos, was diese Wesen betraf, die Gae angriffen. Skjaldan versank in Verzweiflung und sprach nur noch, sofern es sich nicht vermeiden ließ. Niemand durchsuchte mehr die Wälder. Seit sieben Tagen hatte man den Posten auf dem Hügel abgezogen. Nach dem zweiten Angriff auf Gae. Elmaryn sah auf die Frau.

Von sehr weit her … wiederholte er in Gedanken Aris Worte. Sehr weit. Kein ihm bekannter Teil dieser Welt. Dieser Welt? Was, wenn sie aus der anderen Welt kam! Konnte das sein? Es gab ein Tor bei Drawahr und die Festung war mit einem schnellen Pferd in einer Woche zu erreichen. Ein Pferd hatte er nicht gesehen. Zu Fuß? In vier Wochen? Das ...

Aris schüttelte seinen Arm.

»Elmaryn? Hilf mir mal sie hochzuheben. Wo immer sie herkommt, sie braucht etwas Wärmeres auf dem Leib und auf der Straße liegen lassen sollten wir sie nicht.«

Aris griff unter die Achseln der Frau und stützte ihren Kopf mit der anderen Hand. Elmaryn übernahm die Beine.

»Die andere Welt, das könnte sein.«

Aris sah bei Elmaryns Bemerkung auf.

»Du meinst, sie kommt dort her? Durch ein Tor?«

»Bei Drawahr ist eines. Skjaldan wird uns sagen können, ob sie auf Moanirs Ruf gekommen ist, wir sollten …«

Aris legte die Frau vorsichtig auf den Karren. Sie hatte weder während seiner Untersuchung noch jetzt ein Lebenszeichen von sich gegeben. Sie atmete und das war alles.

»Damit warten wir besser, bis sie aufwacht.«

Elmaryn war klar, was Aris meinte und ihm wurde kalt. Wenn sie aufwachte. Eine weitere verlorene Hoffnung für Skjaldan würde ihn nur tiefer in die Verzweiflung stürzen.

Kira

„Realität ist etwas Feines. Bis sie sich auf den Kopf stellt und dir im freien Fall lachend zuwinkt.“

Kira Sanders, Wunschort: Das heimische Bett

Sie wachte davon auf, dass eine Schale mit Flüssigkeit an ihren Mund gehalten wurde. Aus Reflex schluckte sie ein paar Mal. Das Zeug war warm, sirupartig und schmeckte gut. Allerdings recht süß. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch der Mann mit der Schale drückte sie sanft an der Schulter nach unten. Er sagte etwas, was beruhigend klang. Die Sprache …

Mit dem fremden Klang der Worte kehrte die Erinnerung zurück. Dieser merkwürdige Ort und das unglaubliche Grauen danach. Panik erfasste sie. Sie musste hier weg. Sofort!

Kira wollte aufzuspringen. Der Mann hielt sie inzwischen an beiden Schultern fest. Wieder sagte er etwas, sanft aber bestimmt.

»Lassen Sie mich los!«

Kira versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien. »Ich will nach Hause!«

Jetzt begann der Mann zu summen. Es hörte sich beinahe an wie ein Schlaflied. Merkwürdigerweise beruhigte es sie tatsächlich. Der Griff lockerte sich und erneut wurde ihr die Schale an die Lippen gehalten. Wie in Trance trank sie aus. Der Mann lächelte sie an. Er wirkte erleichtert. Hatte sie ihn nicht auf der Straße getroffen?

Er deutete auf seine Brust.

»Elmaryn.«

Er wiederholte seine Geste, als Kira ihn im ersten Moment nur überrascht ansah. Auch das Wort. Seinen Namen? Als ein zweiter Mann mit einem Bündel hinzutrat, deutete er auf ihn.

»Aris.« Dann noch einmal auf sich selbst. »Elmaryn.« Auf den Anderen. »Aris.«

Ich Tarzan, du Jane. Kira verstand. Sie nannte ihren Namen. Der zweite Mann, Aris, legte das Bündel vor ihr auf den Boden. Kleidung. Ein graues Kleid aus Wolle, wie es schien, eine Decke und ein etwas helleres Kleid. Leinen?

Elmaryn bedeutete ihr mit Gesten, sie solle sich umziehen. Das Wollkleid sah angenehm warm aus und Kira bemerkte, dass sie fror. Ihre eigenen Sachen waren vollkommen verdreckt. Die Jeans wies ein großes Loch auf. Als sie sich durch die Haare strich, fühlte sie Erde darin.

»Wo … gibt es hier ein Badezimmer?«

Beide Männer sahen sie freundlich lächelnd an.

»Nes ta?«

Also Zeichensprache. Kira tat so, als würde sie sich waschen. Aris lächelte. Er stand auf, kam mit einem Eimer und einem Lappen wieder und reichte beides an sie weiter. Dann zogen sie sich zurück. Offensichtlich, um sie beim Waschen nicht zu stören.