Mlyss - Anja Berger - E-Book

Mlyss E-Book

Anja Berger

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Beschreibung

In Dhravannor wird gefeiert. Die Dunklen sind besiegt, die Festung ist gerettet und alle verehren Kira als ihre Retterin. Niemand ahnt, dass nicht sie das Gleichgewicht der magischen Kräfte gerichtet hat, sondern ihr Amtsvorgänger Laon dei Savren - zu einem schrecklichen Preis. Kira bleibt nicht viel Zeit um einen Ausweg zu finden, bevor der mächtige Magier die Einlösung eines Versprechens einfordern wird. Eines Versprechens, das ihren Tod bedeutet. Während ihr Amt als Mlyss d'Eartha Kira immer tiefer in die politischen Machenschaften der verschiedenen Länder hineinzieht, suchen sie und ihre Freunde unbeirrbar nach einer Möglichkeit, die Rückkehr des Herrschers der Weltenkraft zu verhindern. Gleichzeitig jedoch erwacht in Aidris ein alter Bund zu neuem Leben, dessen einziges Ziel die Wiederkehr dieses Mannes ist.

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Inhaltsverzeichnis I

Was bisher geschah

Verpflichtungen

Gebunden

Verhandlungen

Quo

Ethialla d‘Eartha

Nemokatar

Länder und Personen

Was bisher geschah

Für alle neuen Leser:

Bei einer Reihe ist es natürlich am sinnvollsten, sie mit dem ersten Band zu beginnen. In diesem Fall wäre das »Catron – Die Melodie der Sterne« worauf »Quo – Die Dunkelheit hinter den Sternen« folgt. Der vorliegende dritte Band »Mlyss – Zwischen Licht und Dunkel 1« beginnt genau dort, wo »Quo« endet - mit Kira in der Festung Drawahr, nach der Vernichtung der Dunklen durch die Wiederherstellung des Gleichgewichtes. Leider musste dieser Band aufgrund seines Umfanges geteilt werden, jedoch schließt der vierte Band »Mlyss – Zwischen Licht und Dunkel 2« nahtlos an den ersten Teil des dritten Bandes an. Wer sich nicht mehr genau an die Geschehnisse in Band 1 und 2 erinnert oder mit diesem Band der »Zwischen Licht und Dunkel - Trilogie« beginnt, für den habe ich hier eine Kurzzusammenfassung erstellt. Alle anderen starten einfach in Kapitel 1 »Verpflichtungen«.

»Catron«

Als die Studentin Kira Sanders einen verzweifelten Hilferuf hinter einer geheimnisvollen Melodie wahrnimmt, hält sie diesen zunächst für ein Produkt ihrer Fantasie. Kurz darauf findet sie sich jedoch in einer mittelalterlich anmutenden, halb zerstörten Stadt wieder, die von grauenerregenden Kreaturen heimgesucht wird. Zunächst will sie nur zurück nach Hause, lässt sich dann aber überreden zu bleiben und zu helfen. Mit Skjaldan, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre magischen Fähigkeiten auszubilden, begibt sie sich auf die Reise nach Quo, der Schule des Lichts. Doch Skjaldan ist nicht der Einzige, der sich für Kira interessiert. Unterwegs werden sie von Shadar abgefangen, der alles daran setzt, Kira in die konkurrierende magische Schule, Catron, zu holen.

Von Skjaldan getrennt, ist Kira bei ihrer Flucht vor Catrons Magiern auf sich allein gestellt, findet aber Hilfe bei einer Gauklertruppe, die sie bei sich versteckt. Ihre Tarnung fliegt bei einem Auftritt der Truppe auf und es gelingt Shadar, Kira nach Catron zu holen. Dort bemüht man sich, ihr die Kraft der Dunkelheit nahezubringen, was erst glückt, nachdem sie einige Zeit im dortigen Tempel verbracht hat. Bei ihrem Aufnahme-Ritual kommt es zum Eklat, als ein Ratsmitglied von ihr verlangt, dem Licht abzuschwören. Kira sieht in dieser Situation keine andere Möglichkeit, als den versammelten Magiern die Melodie des Lichts vorzuspielen, um sie von der Richtigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Damit weckt sie unbeabsichtigt den seit vierhundert Jahren in Catron ruhenden Stein der Dunkelheit, der sie vor eine schwerwiegende Entscheidung stellt. Mit der Erweckung des dunklen Steins hat Kira Anspruch auf das Amt des »Magiers der Weltenkraft«, einen politisch wie magisch einflussreichen Posten, den zuletzt vor vierhundert Jahren der Erschaffer der Steine, Laon dei Savren, inne hatte. Einerseits wächst dadurch die Hoffnung, ihre Fähigkeiten könnten es ihr ermöglichen, die Aufgabe zu erfüllen, für die sie in diese Welt gerufen wurde, nämlich, das magische Gleichgewicht zwischen den Welten wiederherzustellen, andererseits wird sie auch immer tiefer in den Konflikt der beiden magischen Schulen hineingezogen.

»Quo«

Somit rückt Kira ebenfalls in den Fokus der Herrscher verschiedener Länder und der ohnehin labile Frieden zwischen den Reichen Aidris und Andoran droht zu kippen. Zudem fühlt sich Quo von der Aktivierung des dunklen Steins bedroht und befürchtet die einstmals prophezeite Zerstörung des lichten Steins, der sich in der Obhut der Schule befindet. Während Kira in Catron den Rat der Schule davon zu überzeugen versucht, sie nach Quo reisen zu lassen, da sie inzwischen zu der Erkenntnis gelangt ist, auch den lichten Stein aktivieren zu müssen, um ihr Amt in vollem Umfang antreten zu können, setzt man ihrem Erscheinen in Quo erbitterten Widerstand entgegen. Auch Skjaldan, entsetzt von Kiras scheinbaren Verrat am Licht, reagiert zunächst ablehnend, geht aber dennoch auf deren Wunsch ein, ihn in Aidris zu treffen. Dort gelingt es Kira, Skjaldan davon zu überzeugen, dass sie den Frieden mit Quo will und weiterhin bereit ist, dem Land gegen die Dunklen beizustehen. Shadar rät ihr jedoch ab, sich mittels eines magischen Transports nach Quo zu begeben. Stattdessen erklärt er sich bereit, die Reise, die er mittlerweile selbst für nötig hält, gemeinsam mit ihr und Skjaldan anzutreten, um ihr zu helfen, die Schule unbeschadet zu erreichen. Zusammen planen sie die Flucht aus Aidris, denn der Herrscher des Landes will Kira aus politischen Gründen nicht gehen lassen. Ihr Weg führt die Gefährten durch eine unterirdische Mine im Kheralis Massiv. Dort wird Kira von Laon dei Savren angegriffen. Er versucht, in ihren Geist einzudringen, was Skjaldan glücklicherweise zu verhindern gelingt. Die Aktion indessen offenbart, dass der ehemalige Magier der Weltenkraft einen Anker zur Ebene der lebenden besitzen muss, um auf diese Weise agieren zu können. Wenngleich das Entkommen aus Aidris gelingt, setzen nicht nur politische Intrigen, Winkelzüge und Misstrauen der Gruppe zu. Erst ein durch Kira abgewehrter Angriff der Dunklen bringt einige Magier auf ihre Seite, und nachdem sie aus eigener Kraft die Brücke nach Quo überschreiten konnte, kann ihr nicht einmal mehr der Erzmagier den Besuch verwehren und Kira gelangt zum Stein des Lichts. Hier erst erfährt sie, welchem Betrug sie alle aufgesessen waren. Kira wurde nicht gerufen, um die Welt zu retten, sondern um dem einstigen Magier der Weltenkraft als Gefäß für dessen Rückkehr zu dienen. Zwar erklärt sich Laon dei Savren bereit, das Gleichgewicht der Kräfte zu richten, doch fordert er als Gegenleistung, dass Kira ihm nach Ablauf eines Jahres ihren Körper für seine Wiederkunft zur Verfügung stellt. Obwohl Kira mittlerweile erkannt hat, dass dieser selbst die Dunklen in die Welt geschickt hat, willigt sie mit einem bindenden Versprechen ein, um Drawahr vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Sie bittet sich jedoch aus, von ihrem Vorgänger zu lernen, wie das Gleichgewicht eingerichtet werden kann und hofft, innerhalb der gesetzten Frist die Bindung an Laon dei Savren lösen zu können, ohne ihren Teil der Abmachung erbringen zu müssen.

Verpflichtungen

Kira

»Eigentlich wollte ich lediglich die Dunklen loswerden!«

Kira Sanders, inzwischen Magierin der Weltenkraft, Drawahr, Dhravannor.

Stimmen drangen wie aus weiter Ferne an ihre Ohren – ein leises Rauschen, an und abschwellend, wie ferne Meeresbrandung. Dann mischte sich Musik in die Worte, perlend und leicht wie Luftblasen, die in einem Becken nach oben stiegen. Kira hatte das Gefühl, einem Licht entgegen zu schweben, das alles umfasste. Ein lauter werdendes Stampfen schob sich in den Klang, das nicht zum Rhythmus passte. Sie versuchte, es zu ignorieren, aber gerade, als sie es fast geschafft hatte, das Geräusch auszublenden, verklang es. Die Stille, mit der die Stimmen wie auch die Melodie verschwanden, holte sie endgültig in die Realität zurück. War sie tatsächlich in einer Nische im Nordflügel der Festung Drawahr eingeschlafen?

»Man sagte mir, die Mlyss d'Eartha sei hier zu finden?«

Kira öffnete die Augen. Direkt vor ihrem Gesicht befanden sich zwei braune, nicht allzu saubere Lederstiefel. Die Wollhose, durch gekreuzt verschnürte Bänder an den Beinen gehalten, hatte ebenfalls bessere Tage gesehen. Der schwere, mit Schaffell gefütterte Umhang, graublau und auf der Kira zugewandten Rückseite schmierig von irgendeinem dunkelbraunen Zeug, war ihr liebevoll vertraut. Ihre Augen wanderten weiter nach oben zu den ungekämmten schwarzen Haaren. Skjaldan. Neben seinen Stiefeln befand sich ein mit roter Stickerei verziertes, deutlich ansehnlicheres Paar. Rostbraune Samthosen steckten darin. Ein königlicher Sekretär wie es aussah, und wahrscheinlich der Mann, der eben gesprochen hatte. Skjaldan breitete die Arme aus und neigte den Kopf leicht seitwärts.

»Ja, sie ist häufig hier, aber gerade sehe ich sie nicht.«

Immerhin log Skjaldan den Mann mit dieser Antwort nicht direkt an, denn er stand mit dem Rücken zu ihr.

»Ich habe eine Nachricht für sie, doch ich kann auch später wiederkommen.«

»Ich werde es ausrichten. Worum geht es?«

»Das Rikafest.«

Das war morgen. Aliard hatte gesagt, dass er unbedingt mit ihr über das Zeremoniell sprechen wollte. Wahrscheinlich wartete er bereits.

»Der König lädt die Mlyss d‘Eartha ein, mit ihm zu feiern ...«

Damit hatte sie gerechnet. Wieder eine Möglichkeit, um die empfindliche Etikette zu verletzen. Außerdem würde der König sie den beiden Diplomaten vorstellen, die es tatsächlich aus Andoran über den Pass geschafft hatten, eine Leistung im dhravannorischen Winter.

»... auch zur Jagd. Der König selbst kann sie noch nicht anführen, daher wird der Danyel das tun. Erík, sein ältester Sohn. Sofern sie einen Vogel führen möchte, sollte sie sich an den Vogelmeister wenden.«

Einen Vogel? Die Jagd hatte Mael Aliard erwähnt - nur nicht, dass es sich um eine Beizjagd handelte. Um diese Jahreszeit? Es war tiefster Winter, Mittwinter, um genau zu sein, was bedeutete, dass der Schnee mindestens hüfthoch vor der Festung lag. Das Rikafest richtete sich nach der längsten Nacht im Jahr und die war heute. Am nächsten Morgen feierte Dhravannor die nun wieder länger werdenden Tage.

»Ich wäre Euch wirklich dankbar Mael ... Melen Skjaldan, wenn Ihr der Mlyss die Einladung überbringen könntet.«

»Sicher.« Skjaldan nickte seinem Gegenüber zu, der froh zu sein schien, dem Lazarett im Nordflügel entkommen zu können. »Soll ich mich umdrehen, dich sehen und dir die Einladung ausrichten oder verschwindest du, bevor ich herausfinde, wo du bist?« Skjaldans Stimme hatte einen amüsierten Unterton. Kira setzte sich auf.

»Ich kann die Einladung unmöglich ablehnen, also dreh dich ruhig um.« Sie gähnte. Skjaldan streckte seine Hand aus, um ihr aufzuhelfen.

»Es wird Aliard freuen, dass du das einsiehst! Er ist bei Aris und definitiv der Meinung, du brauchst eine Vorbereitung für morgen.«

»Stimmt.« Kira rieb sich den Nacken. Der Schlaf auf dem harten Steinboden hatte Spuren hinterlassen. Ihr Rücken fühlte sich an wie ein Brett.

»Ich hatte nicht wirklich vor, hier einzuschlafen.« Sie stöhnte, als der Magier sie nach oben zog, und rieb sich das Kreuz. Für einen Moment nahm Skjaldans Gesicht einen besorgten Ausdruck an.

»Geht es dir gut? Schmerzt dein Bein?«

»Der Arm ist schlimmer, doch jetzt war es der Rücken.« Kira schüttelte den Kopf. »Es gibt nicht zufällig einen magischen Trick, der es mir ermöglicht, meinen Körper aus neuen Einzelteilen zusammenzusetzen?«

Skjaldan grinste. »Das hätte ich längst getan, wenn es möglich wäre. Du möchtest also morgen lieber nicht mit auf die Jagd?«

»Ich will unbedingt mit! Allein wegen der Möglichkeit, diese Festung für ein paar Stunden zu verlassen. Mit Vögeln jagen wollte ich schon immer einmal!«

»Du willst einen Vogel führen?« Skjaldan sah sie ungläubig an. »Hast du damit Erfahrung?«

»Ehrlich gesagt, nein. Ich hätte allerdings Lust, es zu versuchen.«

»Mutig!« Skjaldan neigte den Kopf. »Ich bezweifle zwar, dass der Vogelmeister in diesem Fall auf deine Bitte eingehen wird, aber sofern er es doch tut, sollte dein Schild stehen.«

»Übertreibst du nicht etwas? Der Danyel führt die Jagd. Ich glaube, Erík ist acht oder neun Jahre alt.« Kira breitete die Arme aus. Sicher, ein Falke hatte einen kräftigen Schnabel und wahrscheinlich auch scharfe Krallen, aber soweit sie wusste, trug man bei dieser Art Jagd einen Lederhandschuh.

»Keineswegs.« Skjaldan verengte vergnügt die Augen. »Der Sohn des Königs ist übrigens elf und ein bisschen empfindlich, was sein Alter betrifft. Ist dein Arm stark genug?«

»Einen Vogel wird er aushalten.«

Skjaldans Grinsen verbreiterte sich. »Dann gehst du am besten direkt zum Vogelmeister, sobald Aliard mit dir fertig ist! Tu mir nur einen Gefallen: Nimm mich mit. Das möchte ich nicht verpassen!«

Kira kamen erste Zweifel, die sie jedoch beiseiteschob. Sie wollte unbedingt aus der Festung heraus und Greifvögel fand sie faszinierend, seit sie als Kind in ihrer Welt eine Flugschau gesehen hatte. Wie weit das inzwischen zurückzuliegen schien. Dabei war nur wenig mehr als ein halbes Jahr vergangen. Sie grinste ebenfalls.

»Also auf zu Aliard!«

»Da ist noch etwas: Einer der andoranischen Abgesandten ist Rugan Dary.«

Kira überlief eine Gänsehaut. »Ausgerechnet der! Was ist seine Aufgabe bei Hof? Oder hier? Ich hatte beim letzten Mal das Gefühl, dass er eher fürs Grobe zuständig ist! Was wird er tun, wenn er mich sieht?«

»Ich glaube, für Rugan eine korrekte Aufgabenbeschreibung zu finden dürfte schwierig werden und er wird dir ganz sicher nichts tun. Zumindest nicht offen. Voraussichtlich soll er herausfinden, was deine nächsten Schritte sein werden, jetzt, wo du dein Amt angenommen hast. Es ist nicht so ungewöhnlich, dass Andoran gerade ihn schickt. Der König vertraut ihm und Rugan kennt dich. Außerdem wird er sehr zuverlässig berichten.«

Kira fröstelte. »Wenn ich ehrlich bin, graut mir genau davor. Vertraust du ihm?«

Dem Magier entfuhr ein belustigtes Schnauben. »Vertrauen? Rugan Dary?« Er schüttelte den Kopf. »Es gibt auf dieser Welt nur einen Menschen, der ihm vertrauen kann und das ist Andorans Herrscher. Was immer die beiden aneinander bindet, ihn hat er bisher niemals enttäuscht.«

»Na prima! Falls der andere Delsjen ist, nehme ich dein Angebot an, den Rest des Winters im Nahar-Wald zu verbringen!«

Skjaldan kicherte. »Es gibt schlimmere Personen an Andorans Hof als Melen Delsjen, doch du hast Glück. Der zweite Mann, den der König schickt, ist der offizielle Botschafter Pagon dei Lorana. Mit ihm hatte ich bisher nichts zu tun.«

»Ein Verwandter von Amyu?« An den Berater des Königs in Fragen des Militärs erinnerte sie sich nur zu gut. »Dasselbe Haus.« Skjaldan nickte. »Nur, wie nah sie verwandt sind, weiß ich nicht.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Sei vorsichtig Kira. Es ist bestimmt nicht von Vorteil, wenn der Abgesandte Mayedan Alrons dich schlafend in einem Korridor findet.«

»Ich dachte, es wäre Aliards Part, mich an die Etikette zu erinnern?«, stöhnte Kira. Skjaldan hob die Brauen.

»Vielleicht sollte es dir zu denken geben, dass ich das tue.«

Kira lachte auf. »Du hast ja recht! Ich hatte wirklich nicht vor, da einzuschlafen, aber es ist passiert.«

»Schon gut! Mir ist es relativ egal – bis auf die Tatsache natürlich, dass es im Gang kalt ist.« Er stieß sich von der Wand ab, an der er während des Gesprächs gelehnt hatte und schritt zügig aus. Kira beeilte sich, ihm zu folgen.

Aliard war bei Aris im Hauptraum des Nordflügels. Einer der Helfer hatte offensichtlich erst kürzlich das Stroh ausgetauscht, das den Steinboden bedeckte und so wirkte der weite Raum beinahe frisch. Der Geruch von Suppe und Tee durchzog ihn verheißungsvoll, die offene Feuerstelle an der Stirnwand verbreitete ein warmes Licht. Aris stand vor einem Tisch voller Kräuter und zerrieb etwas, das Kira nicht erkennen konnte, in einem Steinmörser. Dabei sprach er mit Aliard, der Kira den Rücken zuwandte.

Mael Aliard, der Cousin des Königs von Dhravannor sowie einer der führenden Magier Quos, hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und sah wie immer makellos aus. Das reine Weiß seiner Roben hob sich im starken Kontrast von den rußigen Wänden der Feuerstelle ab. Der mit silbernen Stickereien versehene Saum schimmerte im Licht der Flammen und wies, genau wie die weiten Ärmel, keinen einzigen Fleck auf. Kira deutete auf den Pelzbesatz unter dem Saum. Nicht einmal Stroh hing darin, obwohl er den Boden beinahe berührte.

»Wie macht er das, so sauber zu sein? Nutzt er Magie?«

Skjaldan warf einen Blick auf seinen eigenen Überwurf und hob die Schultern. »Keine, die ich kenne.«

»Stimmt!« Kiras zerknitterte Tunika aus grauer Wolle war im Vergleich zu Skjaldans Kleidung blütenrein, obwohl sie damit auf dem Boden geschlafen hatte. »Weshalb frage ich dich eigentlich?«

Die Antwort war kurzes Lachen, ehe Skjaldan die Hand hob und Aris zuwinkte. Der Heilkundige winkte zurück und Aliard drehte sich zu ihnen um. Als er Kira sah, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht und die Falten über seinen Brauen glätteten sich.

»Gut, dass Ihr da seid, Mlyss. Wir müssen uns über das Fest unterhalten!«

»Wenn Aris mich nicht im Lazarett benötigt?«

»Ich kann dich immer gut brauchen, das weißt du, aber du bist bereits seit heute früh hier. Ich denke, du hast eine Pause verdient.« Aris legte die Fingerspitzen aneinander. »Außerdem nehme ich an, du hast morgen ein paar Verpflichtungen?« Sein Blick ging zu Skjaldan, der sich die Hand vor den Mund hielt, um sein Schmunzeln zu verbergen. Es gelang ihm nur unzureichend.

»Bestimmt.« Kira lächelte ihm zu. »Dann stehe ich jetzt vollkommen zu Eurer Verfügung, Mael Aliard.«

»Umgekehrt, Mlyss.«

Aliard verneigte sich. Kira fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Skjaldans unterdrücktes Prusten machte es nicht besser. Aliard warf ihm einen scharfen Blick zu und räusperte sich.

»Skjaldan, dein Verhalten ist wenig hilfreich. Die Mlyss d‘Eartha bekleidet ein wichtiges Amt, dem kaum gedient ist, wenn sie nicht lernt, sich den gebührenden Respekt zu verschaffen.«

Kira sah zu Boden. Aliard hatte recht. Dem Amt war es egal, dass sie Aufmerksamkeit hasste und sich lieber im Nordflügel bei den Heilern aufhielt, als an der Seite des Königs – oder in Quo. Dort gehörte sie, wenn es nach Aliards Willen ging, eigentlich hin. Er wünschte sich ein klares Zeichen ihrer Loyalität zum Licht und war zudem der Meinung, dass sie noch viel zu lernen hatte. Sie schloss die Augen. In den letzten Wochen hatte sie die Entscheidung vor sich hergeschoben und mit Aris im Lazarett gearbeitet, so oft es ging. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass sie nicht bleiben durfte. Sie musste einen Nachfolger finden - jemanden, der besser für ihr Amt geeignet war als sie.

»Ich habe in Euren Räumen ein Bad und eine Mahlzeit richten lassen, Mlyss« Aliards Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Mael Kael wird ebenfalls mit uns speisen, um Näheres über die anstehende Jagd zu berichten. Ihr braucht nicht daran teilzunehmen, sicherlich ...«

»Ich würde gern mitkommen. Was wird gejagt?«

»Wölfe, Mlyss.«

Kiras Gesicht musste ihre Gedanken verraten haben, denn Aliard lächelte sie beruhigend an und legte ihr eine Hand auf den Arm.

»Es stellt kein Problem dar, Euch für die Jagd zu entschuldigen.«

»Wölfe? Mit Falken? Sind die nicht etwas klein?«

»Mit Adlern, Mlyss. Mael Kael kann Euch das später erklären. Er kennt sich mit der Jagd hervorragend aus.«

Kira warf Skjaldan einen Blick zu, von dem sie hoffte, dass er vernichtend wirkte, doch der richtete seinen Blick betont unschuldig auf die Decke des Raumes. »Hättest du mir das nicht vorhin sagen können?«, zischte sie leise.

»Warum? Dein Gesicht beim Vogelmeister hätte ich zu gern gesehen. Den Spaß hat mir Aliard nun leider genommen.«

»Lass uns trotzdem hingehen. Vielleicht möchtest du einen Vogel führen?«

Er nickte ihr zu. »Wenn du mitreiten willst, werde ich das tun. Und ich bleibe dabei an deiner Seite. Kael wird es freuen. Er hat nämlich schon befürchtet, dass du hierbleiben wirst und er das ebenfalls tun muss.«

»Kael könnte jederzeit ohne mich jagen gehen.«

»Das würde er niemals tun. Du weißt genau, weshalb.«

Kira nickte. Obwohl Kael ihr nicht mehr bei jedem Schritt in der Festung folgte, nahm er die Sorge um ihre Sicherheit doch immer noch sehr ernst. »Dann schlage ich vor, jetzt zu Euren Räumen zu gehen, Mlyss. Ich werde veranlassen, dass man ein Bad richtet.« Aliard streckte einladend die Hand aus.

Nicht nur Mael Kael war anwesend, als sie ihr Bad beendet hatte, sondern auch der Kommandant der Garde, Dregan. Außerdem hatte jemand Kleider bringen lassen, denn über die Stühle drapiert lagen einige Stücke in Weiß und einem hellen Silberton. Dregan verneigte sich, blieb jedoch sitzen. Inzwischen wussten die meisten am Hof, dass sie Ehrbezeichnungen hasste. Also verzichteten sie darauf, soweit es möglich war. Morgen beim Fest würde das anders aussehen.

»Ich will Euch nicht lange stören, Mlyss, doch es gibt noch ein paar Dinge zu besprechen, die die Zeremonie betreffen. Mael Aliard hat mir bereits berichtet, dass Ihr an der Jagd teilzunehmen gedenkt. Es ist üblich, Euch in diesem Fall eine Eskorte zu stellen. Ich nehme indessen an, dass Ihr das eher nicht möchtet?«

»Würde es dem König als Unhöflichkeit ausgelegt werden, wenn er es unterlässt?«

Kira sah Dregan forschend an. Sie wollte keine Eskorte, aber sie konnte Mayedan Arel auch nicht brüskieren.

»Nicht unbedingt, zumal es auf Euren Wunsch geschieht.«

Dregans Gesicht blieb neutral. »Nur ließe ich Euch ungern aus der Festung, ohne jemanden an Eurer Seite, der weiß, worauf er im Notfall zu achten hat.«

»Ich reite mit.« Kael verschränkte die Arme vor der Brust. »Skjaldan ebenfalls, wie ich ihn kenne.«

Als Kira ihm bestätigend zunickte, erschien ein Lächeln auf Dregans Lippen.

»Das sollte genügen.« Der Kommandant wirkte ein wenig entspannter. »Es bleibt allerdings die morgendliche Feier. Was diese betrifft, wäre es ein grober Bruch der Etikette, wenn Ihr sie ohne entsprechende Begleitung begehen würdet.« Er stockte kurz, als suchte er nach weiteren Worten. Sein Blick glitt über die Kleider, dann zu Kira zurück. »Es ist üblich, Eure Eskorte mit den Farben Eures Hauses auszustatten. Ich war jedoch unsicher, welche das sind.«

Kira hob die Schultern. »Ich habe kein Haus und somit keine Farben. Ich denke, dieser Punkt ist nicht so wichtig.«

»Ganz so würde ich das nicht sehen.« Aliard zog die Brauen zusammen und neigte den Kopf. »Was immer Ihr tut, Mlyss, es wird gesehen. Ihr könnt zu diesem Anlass die Farben Eures Amtes tragen. Daher habe ich etwas bringen lassen.«

Kira sah überrascht auf. »Die Farben meines Amtes? Das wäre schwarz oder schwarz-weiß – zumindest war das bisher so.«

»Bisher, ja.« Aliard atmete mit leicht gespitzten Lippen ein. Es wirkte beinahe vorsichtig. »Inzwischen hat sich einiges geändert. Ihr habt Euch klar von eurem Vorgänger distanziert und das Fest bietet eine Gelegenheit, das auch zu zeigen. Wenn die Menschen sehen, dass Ihr auf der Seite des Lichts steht, auf Quos Seite, ist das ein Zeichen, das gesehen wird.«

Kira biss sich auf die Lippe. Verdammt! Kleidung war wirklich das Letzte, worüber sie sich Gedanken machen wollte, doch mit dieser Aussicht bekam das Ganze eine völlig neue Dimension. »Mael Aliard, Ihr wisst, ich stehe auf der Seite des Lichts aber genauso auf Seiten der Dunkelheit. Das Gleichgewicht ist meine Aufgabe. Reines Weiß passt also nicht.«

»Schwarz-weiß dann?«

Dregan neigte fragend den Kopf. Laon dei Savrens Roben kamen ihr in den Sinn. Die Erinnerung ließ sie innerlich zusammenzucken.

»Nein, das erinnert mich zu sehr an meinen Vorgänger.«

»Mlyss, Ihr dürft auf keinen Fall schwarz tragen!« Jetzt stand echtes Entsetzen in Aliards Gesicht. Kira stöhnte auf.

»Was ist mit ganz normalen Farben? Ich mag blau, vielleicht gelb? Ich könnte Hausfarben erfinden. Das merkt sowieso niemand, ich meine, wenn es keiner weiß.«

Kael legte ihr eine Hand auf den Arm. »Ich gehe davon aus, dass es dir nicht bewusst ist, aber Hausfarben einfach zu erfinden, ist nicht möglich.« Er breitete die Arme aus. »Es wäre nicht direkt verboten, doch es würde als Betrug ausgelegt werden.«

»Dann grau.« Kira war die Diskussion gründlich leid. »Grau ist praktisch, einigermaßen leicht sauber zu halten und weder schwarz noch weiß. Ich habe sogar schon einiges in dieser Farbe.«

»Grau also«, stimmte Dregan zu und erhob sich. »Ich kümmere mich darum.«

Für einen Moment war Kira sich sicher, dass Aliard noch etwas sagen wollte, doch der Magier schwieg. Sie sah auf ihre Hände. So einfach ist es, Tatsachen zu schaffen. Ich lege Standards für ein Amt fest, welches ich nicht ausüben werde – nicht lange zumindest. Ich muss dringend einen Nachfolger finden, nur wen? Skjaldan? Kira vertraute ihm blind. Er würde mit Sicherheit seine gesamte Kraft auf die Aufgabe konzentrieren, aber er war ein Magier des Lichts und das würde er sein Leben lang bleiben, selbst nachdem er aus Quo ausgeschlossen worden war. Weil er mir geholfen hat! Sie fühlte sich immer noch schuldig, wenn Skjaldan nicht mehr mit Mael angesprochen wurde, dem offiziellen Titel aller Magier, die mit den Schulen Quo oder Catron verbunden waren. Ich brauche jemanden, der bereit ist, Licht und Dunkelheit anzunehmen.

»Es gibt noch einige andere Dinge zu besprechen, Mlyss.« Aliard riss sie aus ihren Gedanken und Kira zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf die morgige Zeremonie zu richten.

Skjaldan

»Alles wird sich richten, wenn wir aus dieser Festung heraus können.«

Skjaldan Briskfadar, ehemaliger Magier Quos, Drawahr, Dhravannor.

Als Kael ihn fand, stand Skjaldan fast bis zu den Hüften im Schnee. Er konzentrierte sich darauf, einen Steinblock, der ursprünglich zur Mauer des Westflügels gehört hatte, in der richtigen Balance zu halten. Der Wiederaufbau der Festung zögerte sich durch den Winter hinaus, doch konnte man die verbliebenen Mauern abstützen und stabilisieren. Ihn kostete es lediglich Konzentration, den Steinblock zu halten. Vom Bautrupp der Garde forderte es Kraft sowie den Einsatz von Pferden, die im Schnee rutschten und für andere Dinge wichtiger waren. Er wartete, bis der Steinblock sicher platziert war, bevor er seinen Freund ansprach.

»Was ist in der letzten Zeit mit Kira los?«

Skjaldan wandte sich überrascht um. In der Stimme seines Freundes war echte Sorge zu hören.

»Wieso? Ich glaube, sie ist die Festung leid, genauso, wie alle inzwischen, aber ich wüsste nicht ...«

»Heute ist sie bereits vor dem Frühstück zu Aris in den Nordflügel verschwunden und hat bis zur Erschöpfung dort gearbeitet. Sie ist auf dem Flur eingeschlafen, wie du sehr wohl weißt. Es ist unnötig, sich derart zu verausgaben. Alle, die sich jetzt noch im Nordflügel in Aris’ Obhut befinden, sind nicht in direkter Lebensgefahr.«

Skjaldan hob die Brauen. »Lässt du sie beobachten?«

»Allerdings, und du weißt, weshalb! Ich möchte nicht, dass sie in irgendeinem Winkel der Stadt jemandem über den Weg läuft, der ein Paar feste Stiefel benötigt. Es gibt leider genügend Menschen hier, die der Meinung sind, sich nehmen zu können was sie brauchen. Wenn sich die Mlyss d‘Eartha so kleiden und benehmen würde, dass jeder erkennt, wer sie ist, hätte ich bedeutend weniger Sorgen – und Dregan ebenfalls.«

Skjaldan seufzte. Niemand in Drawahr, wahrscheinlich sogar in ganz Dhravannor, würde Kira etwas antun, sofern er wusste, was und wer sie war. Die einen, weil sie ihr dankbar waren, dass sie die Stadt und das Land vor den Dunklen gerettet hatte. Die anderen, weil sie es schlicht nicht wagten, sich mit der Mlyss d‘Eartha, der Wächterin des Gleichgewichts und Magierin der Weltenkraft, anzulegen – freilich nur, solange sie nicht wussten, dass in Kiras Fall eine magische Anfängerin dieses Amt inne hatte.

»Also, was ist mit ihr los?« Kael fixierte ihn mit seinem Blick. »Seitdem es hier etwas ruhiger geworden ist und jeder sich eigentlich ein wenig entspannen könnte – also während der gesamten letzten Wochen – geht sie mir konsequent aus dem Weg. Kira sucht verzweifelt nach Beschäftigungen, die nichts mit ihren eigentlichen Aufgaben hier zu tun haben. Warum? Über was möchte sie lieber nicht nachdenken?«

»Du übertreibst!« Skjaldan klopfte sich den Schnee von seinem Überwurf und setzte sich auf einen Stein. »Sie braucht eben sinnvolle Beschäftigung. Hier in der Festung fällt uns allen langsam die Decke auf den Kopf. Mit den Flüchtlingen aus den Ebenen und dem Platzmangel ist man nirgendwo für sich. Im Winter kann man auch nicht mal eben für ein paar Tage verschwinden. Vielleicht will sie sich einfach nur nützlich fühlen? Die Angriffe der Dunklen sind vorbei, das Gleichgewicht ist gerichtet. Du müsstest das doch kennen.«

»Ja.« Kael schien nicht überzeugt. »Ich habe nur manchmal das Gefühl, sie ist unzufrieden. Sie hat dieses Land gerettet, möglicherweise die ganze Welt, aber sie wirkt unglücklich damit.«

»Glaub mir, sie ist froh, dass die Dunklen ...«

»Das meine ich nicht!« Kaels Erwiderung klang scharf. »Skjaldan, was denkst du, hält Kira hier in Drawahr? Und komm mir nicht mit dem Wetter!«

»Sie ...« Skjaldan stockte. Plötzlich war ihm kalt. Was hielt Kira in dieser Welt, die nicht die ihre war und die sie, Moanirs Ruf folgend, unabsichtlich betreten hatte? Obwohl sie die Bitte um Hilfe seinerzeit nicht ernst genommen, sondern ein Produkt ihrer eigenen Fantasie hinter den Worten vermutet hatte, war sie geblieben, um zu helfen. Jetzt war dieser Teil ihrer Aufgabe beendet und sie hatte damals schon nach Hause gewollt. Skjaldan musste schlucken.

»Sie hat ihr Amt angenommen.«

»Um die Dunklen besiegen zu können. Das ist ihr bereits gelungen. Was hält sie hier?«

»Sie hat Verpflichtungen.«

»Die sie nicht will.«

»Sie besitzt Freunde und ich dachte, sie hätte begonnen, diese Welt zu mögen.«

»Ja, Freunde hat sie und das ist es, was mich ein wenig beruhigt. Dich, Elmaryn, Aris.«

»Shadar.«

Kael schnaubte. »Ich habe nichts darüber gesagt, nach welchen Kriterien sie ihre Sympathie verteilt.«

»So schlecht können die nicht sein, von dir hält sie sich fern.«

»Leider.«

Skjaldan biss sich auf die Zunge, als er Kaels trockene Erwiderung auf seinen Scherz vernahm. »Ich wusste noch gar nicht, dass du es darauf anlegst, ihr Freund zu sein.«

»Ihr Vertrauen würde mir reichen.« Kael seufzte und schüttelte den Kopf. »Damit wäre so vieles einfacher. Ich müsste mich zum Beispiel nicht auf deine Menschenkenntnis verlassen, um herauszufinden, was sie beschäftigt.«

Skjaldan lachte auf und stieß seinem Freund die Faust in die Seite. »Wessen Menschenkenntnis hat denn von Anfang an gesagt, dass Kira uns helfen kann und auf der richtigen Seite steht? Sie ist niemand, der einfach alles fallen lässt und verschwindet, Kael. Da müsste schon etwas mehr geschehen.«

Kael grinste und ließ sich neben ihn auf den Steinblock fallen.

»Ein seltener Moment geistiger Klarheit. Ich hoffe, das wiederholt sich irgendwann und ich bete darum, dass du recht hast. Morgen beim Fest kommt sie hier ja raus. Meinst du, sie ist in der Lage, an der Jagd teilzunehmen? Ihr Bein und der Arm waren schwer verletzt.«

»Aris hat gesagt, es wird anstrengend, aber sie ist wieder so weit hergestellt, dass sie es wagen kann, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen. Übrigens hatte ich ihr versprochen, mit ihr zum Vogelmeister zu gehen. Meinst du, Aliard ist inzwischen damit durch, sie über das Zeremoniell ins Bild zu setzen?«

»Will sie einen Vogel führen?«

»Nein. Seit Aliard ihr verraten hat, dass nicht mit Falken, sondern mit Adlern gejagt wird, verzichtet sie freudig. Ich denke, sie möchte einfach gerne die Vögel sehen.«

»Gut.« Kael atmete erleichtert aus. »Aliard sollte fertig sein. Falls er es nicht ist, wird sich Kira umso mehr freuen, dass du kommst.«

Feixend stand Skjaldan auf. »Hier sind wir für heute sowieso durch. Es wird dunkel.«

Kira

»Ich kann diese Verantwortung nicht einfach hinschmeißen.«

Kira Sanders, Drawahr, Dhravannor.

Shadar? Wäre er eine gute Wahl? Wie lange konnte sie es noch heraus zögern, ihn einzuweihen? Fest stand, wenn sie ihn bat, ihr Amt zu übernehmen, würde er Fragen stellen. Einige davon durfte sie nicht beantworten, was wiederum neue aufwarf. Und ihr blieb nur ein Jahr …

Kira presste die Lippen zusammen. Sie scheute vor der Entscheidung zurück, doch es nutzte nichts, sie länger aufzuschieben. Sie musste diese Welt verlassen, bevor ihr nichts anderes übrig blieb, als ihr Versprechen zu halten, welches auf keinen Fall eingelöst werden durfte. Shadar? Er war nicht ideal, ein Magier der Dunkelheit. Ob er in der Lage war, das Licht anzunehmen, stand in den Sternen, aber zumindest hatte er es bereits einmal versucht. Außerdem hatte er das Gleichgewicht gesehen und wusste, dass es das Einzige war, was zwischen dieser Welt und den Dunklen, oder Schlimmerem stand. Shadar also. Sie musste ihn kontaktieren – am besten sofort, solange sie den Mut dazu hatte.

»Kira! Wie ich sehe, hat dich Aliard inzwischen aus seiner Obhut entlassen!«

Skjaldan! Sie fuhr heftig zusammen.

»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.« Verlegen grinsend ließ Skjaldan sich auf einen Stuhl fallen. Seine Stiefel hinterließen eine feuchte, schmutzige Spur auf dem Steinfußboden. »Ich war draußen beim Bautrupp«, erklärte er schulterzuckend, als er Kiras Blick bemerkte. »Du wolltest noch zum Vogelmeister oder bist du ...« Er brach ab, als er das graue Unterkleides bemerkte, das auf Kiras Bett lag. »Grau?«

»Frag nicht!«

»Ist mir ehrlich gesagt auch egal, aber Aliards Wahl war das nicht, wette ich!«

Kira stöhnte. Wahrscheinlich waren gerade diverse Schneider sowie deren Lehrlinge damit beschäftigt, das Überkleid und den Umhang passend zu besticken. Nie hätte sie geahnt, dass die Wahl ihrer Kleiderfarbe solche Schwierigkeiten aufwerfen würde. Grau, das war ihr erst jetzt zu Bewusstsein gekommen, war eher eine Farbe des Volkes. Einfache, ungefärbte Wolle trugen die vornehmeren Damen selbst in Dhravannor nicht. Somit war für Kira nur schwer ein passend geschnittenes Kleid aufzutreiben gewesen und das, was man letztlich gefunden hatte, war zu schlicht für die Zeremonie.

Sie stand auf. »Lass uns gehen, Skjaldan. Ich denke, die Vögel bringen mich auf andere Gedanken, wenn sie jetzt noch nicht schlafen.«

»Du würdest dich wundern, wie viel vom Geschäft eines Vogelmeisters in völliger Dunkelheit abläuft. Ich bin mir sicher, Seran Ragnar wird dir einiges erklären und auch zeigen, falls es dich interessiert.«

Kira ergriff ihren Umhang, den dicken gefütterten Überwurf sowie ein wollenes Tuch, das sie sich um den Kopf wickelte. Nach Einbruch der Dunkelheit sanken die Temperaturen in der dhravannorischen Hochebene rapide ab und sie hatte keine Lust auf Erfrierungen. Natürlich gab es hier nichts, mit dem sich die Temperatur messen ließ, aber es reichte, einmal erlebt zu haben, wie schnell das Wasser in einem Eimer gefror. Sie hatte dabei zusehen können, wie sich auf der Oberfläche eine feste Schicht bildete.

»Wo genau müssen wir hin?«

»Ein gutes Stück durch die Stadt: Innere Ringmauer, beim Westtor«, erklärte Skjaldan. Dann brachen sie auf. Der Wind fuhr unter ihren Umhang, als sie die Mauern der inneren Festung hinter sich ließen. Am Tor hatten sich ihnen zwei Gardisten angeschlossen, die sich jetzt stoisch neben ihr hielten und trotz der Kälte aufmerksam die umliegenden Gassen absuchten. In den letzten Wochen hatten die Bautrupps der Garde die Straßen weitgehend von Trümmern freigeräumt, sodass man sie ungehindert passieren konnte. Trotzdem sah man nur zu deutlich die Spuren der Angriffe: Ruinen zerstörter Gebäude und Lücken, wo man bereits für andere Zwecke Steine abgetragen hatte. Halb zerstörte Mauern waren mit losem Geröll, Schnee und Schilfgras ausgebessert worden.

Da lag etwas. Kira stoppte unwillkürlich und sogleich richtete sich die Aufmerksamkeit beider Wachen auf eine unförmige, halb von Schnee bedeckte Erhebung neben einem Hauseingang. Als das Licht der Fackel darauf fiel, atmete Kira erleichtert auf. Es waren nur Gesteinsbrocken, kein Toter, wie oft zu Zeiten der Angriffe.

Skjaldan drückte leicht ihren Arm und nickte ihr zu, doch in seinen Augen lag ein harter Glanz.

Innerhalb der ersten Ringmauer fanden die Wachen inzwischen morgens keine Toten mehr, außerhalb sah das indessen anders aus. Dort waren die Verwüstungen schlimmer. Die Menschen besaßen oft lediglich die Kleidung, die sie am Leib trugen. Krankheiten stahlen sich in die provisorischen Unterkünfte und raubten ihnen die Kraft, zu den Suppenküchen oder einem Heilkundigen zu gehen.

Kira hielt sich dicht neben dem Magier, der allein mit seiner massiven Statur den eisigen Wind brach. Er deutete die breite Straße hinunter, die zum Westtor führte. Dann steigerte er sein Tempo.

Kira gab sich Mühe mitzuhalten und trotzdem gleichmäßige Schritte zu machen. Noch fühlte sie keine Schmerzen in ihrem Bein, nur ein gelegentliches Ziehen. Bald würde auch das vorbei sein. Lediglich die silbrig weißen Narben, die die gesamte rechte Seite ihres Körpers bedeckten und am stärksten auf ihrer Hand zutage traten, blieben als Erinnerung zurück. Zwar würden sie sich mit der Zeit ihrer Hautfarbe annähern, aber nie gänzlich verschwinden.

Eine sanfte Berührung an der Schulter dirigierte sie durch ein Tor in einen weitgehend intakten Innenhof. Aus dem seitlich an der Mauer gelegenen Schuppen hörte Kira Stimmen. Sehen konnte sie allerdings nichts, denn Fenster wie Türen waren gegen die Kälte verhängt oder mit Brettern vernagelt. Skjaldan steuerte zielsicher auf das Haupthaus zu und klopfte an die Tür.

Seran Ragnar saß mit seiner Familie bei einem einfachen Abendessen. Trotzdem wurden sie sofort eingelassen. Ragnars Frau Skelde überschlug sich fast vor Begeisterung, als ihr klar wurde, wer ihre Besucher waren. Es kostete die beiden einige Mühe, sie davon abzuhalten, sogleich die Tafel abzubrechen und sie zu den Vögeln zu führen.

Als Ragnar sie schließlich in den Anbau geleitete, begannen die Verbleibenden damit, Glöckchen an Stoffstreifen zu knoten, um sie am nächsten Tag beim Rikafest parat zu haben.

Die Vögel saßen, voneinander getrennt, in einzelnen Abteilen eines großen gemauerten Raumes, dessen eine Wand jedoch etwa auf Hüfthöhe endete. Zuerst dachte Kira an einen Schaden, der bei einem der Angriffe entstanden war. Dann allerdings sah sie die schlanken Säulen und engmaschigen Netze, mit denen die Volieren nach außen und oben hin bespannt waren. Der Boden der Abteile war mit Stroh bedeckt. Dies fand sich auch in besonders geschützten Nischen, die man in die Wand eingelassen hatte. Die Vögel selbst gaben keinen Laut von sich, doch alle verfolgten jede Bewegung der Besucher mit ihren Augen. Als ein riesiger Adler die Flügel ausbreitete und sie träge einmal auf und ab schlug, stäubte Schnee über den Boden.

»Ihr wünscht morgen einen Vogel zu führen, Mael Skjaldan?« Der Vogelmeister verneigte sich leicht und Kira sah, wie der Magier kurz die Lippen zusammenpresste. Die Anrede Mael hatte ihn schmerzhaft an seine nicht mehr bestehende Zugehörigkeit zu Quo erinnert.

»Ihr ebenfalls, Mlyss?« Erneut verneigte sich Ragnar, diesmal vor ihr.

»Nein danke. Dafür fehlt mir, fürchte ich, die Erfahrung. Obwohl ich gern mehr darüber wüsste.«

»Ihr seid jederzeit willkommen, Mlyss. Mein Haus steht Euch offen und meine Kenntnisse sind Eure, sofern Ihr sie benötigt.« Dann wandte er sich Skjaldan zu. »Ihr habt schon früher die Beize betrieben, Mael?«

»Nicht Mael. Skjaldan genügt.«

Kira schloss die Augen, als ihr Begleiter bei diesen Worten kurz den Blick senkte.

»Ihr habt jedoch recht,« fuhr Skjaldan fort. »Ich habe bereits mit Adlern und Falken gejagt. Einmal hatte ich auch das Vergnügen mit einer Eurer Damen, Seran Ragnar. Brunka, falls mich meine Erinnerung nicht trügt. Ein hervorragendes Tier!«

Der Vogelmeister lächelte. »Sie fliegt wieder frei. Flaug wäre vielleicht etwas für Euch. Ihr Temperament ist nicht immer angenehm, aber sie hat einen sicheren Flug und wird Euch keine Schande machen.«

Er deutete auf ein großes Tier, das nahezu reglos auf einer Sitzstange saß. Als Skjaldan sich seiner Voliere näherte, ließ das Adlerweibchen ein Zischen hören.

»Wartet, ich gebe Euch einen Armschutz, dann könnt Ihr sie näher kennenlernen.«

Kira blickte von Skjaldan zu Flaug und wieder zurück. »Bist du sicher, dass du nur einen Armschutz brauchst?«

Skjaldan grinste. »Sie dürfte hungrig sein und ich nehme an, dass Ragnar mir ein wenig Fleisch mitbringt.«

Die Vermutung erwies sich als richtig. Während der Magier den Schutz anlegte, wiederholte der Vogelmeister die Kommandos, mit denen er den Adler abgerichtet hatte. Zu Kiras Überraschung schienen sie hauptsächlich aus Gesten zu bestehen.

Sie war fasziniert. »Zieht Ihr die Vögel selbst auf, Seran Ragnar?«

Der Vogelmeister schüttelte den Kopf. »Das überlassen wir ihren Eltern. So kann man sie beim Flug und bei der Jagd beobachten und sehen, ob sie gut sind. Wir fangen sie, wenn sie etwa drei Jahre alt sind. Meist braucht es ein halbes Jahr, um sie abzutragen. Ein paar Jahre fliegen sie für uns, danach geben wir sie den Bergen zurück.«

Er reichte Kira einen Handschuh und bedeutete ihr, ihn über die linke Hand zu ziehen. Dann führte er sie zu einer Voliere am Rand des Raumes. Ein hübscher Vogel mit heller, zart grau gestreifter Brust beäugte sie aufmerksam und trippelte ein wenig auf der Sitzstange in ihre Richtung. Das Rückengefieder sah im schwachen Licht einheitlich grau aus. Das Tier hatte in etwa die Größe einer Taube.

»Ist das ein Falke?«

»Ein Sperberweibchen. Sie heißt Driwa. Wenn Ihr wollt, dass sie anfliegt, hebt die Hand, Mlyss. Das Fleisch haltet Ihr am besten schon parat – so. Berührt sie mit der ungeschützten Hand nur, während sie frisst. Sie kennt Euch noch nicht.«

Ein bisschen mulmig war Kira schon zumute, als sie mit Ragnar die Voliere betrat. Kaum hatte sie die Hand gehoben, da schlug der Vogel bereits mit den Flügeln und hob ab. Die Klauen gruben sich mit erstaunlicher Kraft in den Handschuh, als er landete. Rasch hielt Kira dem Tier ein Stück Fleisch hin, das Driwa ihr gierig aus den Fingern zog. Unsicher sah sie zu Ragnar hinüber. Der schüttelte verhalten den Kopf und deutete auf den Vogel.

»Solange Ihr das Tier auf der Hand haltet, richtet Eure Aufmerksamkeit auf dieses.«

Kira nickte und reichte dem Sperber ein weiteres Fleischstück. Vorsichtig berührte sie dabei die Federn an seiner Seite. Irritiert ruckte das Tier mit dem Kopf, fraß jedoch weiter.

»Streichelt sie an der Brust, Mlyss. Das mag sie.«

Kira versuchte es mit dem nächsten Fleischstreifen. Diesmal hielt der Vogel still. Ragnar zeigte ihr, wie sie Driwa zurück auf die Sitzstange bringen konnte. Dann verließ er mit ihr die Voliere. Auch Skjaldan stand wieder in dem kleinen Vorraum und nahm sich den Armschutz ab.

»Flaug ist in der Tat ein schönes Tier!« Er lächelte breit und schüttelte Ragnar die Hand. »Es wird mir eine Ehre sein, sie morgen tragen zu dürfen.« Mit einem anerkennenden Nicken reichte er den Schutz zurück.

Ragnar verneigte sich. Seine Freude war ihm deutlich anzusehen. Kira lächelte ihm zu. »Ihr habt wundervolle Vögel, Seran Ragnar. Ich danke Euch für die Erfahrung, Driwa einmal zu halten. Es war mein erstes Mal.«

»Das muss es nicht bleiben!« Der Vogelmeister strahlte sie an. »Kommt, wann immer es Euch beliebt und ich zeige Euch, wie sie jagt. Sie ist mein eigener Vogel. In zwei Jahren werde ich sie freilassen. Bis dahin jedoch wird sie mir noch viele Tauben und Wachteln bringen.«

Im Wohnraum lagen bereits einige Stoffstreifen, mit Knoten und Glöckchen versehen, in einem Korb. Skjaldan stieß Kira leicht in die Seite.

»Spuck drauf, falls du hier jemandem eine Freude machen möchtest«, flüsterte er ihr zu.

»Wie bitte?« Sie musste sich verhört haben. Von diesem Brauch hatte Aliard ihr nichts gesagt. Sie spürte, wie Skjaldan ihre Gedanken berührte.

»Spucke in den Korb mit den Bändern, Kira. Das bringt Glück.«

»Im Ernst?«

»Du unterstützt damit die Wünsche und Bitten. Da du nun einmal die Mlyss d‘Eartha bist, glauben alle, dass deine Unterstützung besonders mächtig ist.«

Kira sammelte Spucke in ihrem Mund. Wenn es jemanden glücklich macht. Hoffentlich traf sie den Korb. Vorsichtshalber trat sie noch einen Schritt näher heran, bevor sie ausspuckte. Die Reaktion der Kinder nahm ihr jeden Zweifel, das Richtige getan zu haben. Vor Freude hüpften sie auf und ab. Das Mädchen flitzte in den Nebenraum und kam mit einem kleinen Glöckchen zurück, das sie Kira reichte.

»Es ist mit unseren Adlern geflogen!«, sagte es voller Stolz. »Es war im Himmel und auf der Erde.«

Kira nahm das Glöckchen und und bedankte sich, was dem Kind ein verschämtes Kichern entlockte. Mit hochrotem Kopf blickte das Mädchen zu ihr auf, als sie ihm beide Hände zum Abschied reichte.

»Was hat es mit dem Glöckchen auf sich?«, fragte sie Skjaldan leise, als sie kurz darauf gefolgt von den Gardisten, die Straße zur Festung entlanggingen.

Er sah sie überrascht an. »Ich dachte, Aliard hat es dir erklärt. Du knotest deine Wünsche und Bitten an die Götter in der längsten Nacht des Jahres in ein Band und hängst es in den Wind. Die Glöckchen machen sie auf deine Bitten aufmerksam.«

»Das weiß ich, aber was ist das Besondere an diesem hier?«

»Es war im Himmel und auf der Erde.« Skjaldan sah sie verständnislos an, als sei diese Aussage Erklärung genug.

Als sie später zurück in ihrem Zimmer war, holte Kira das Glöckchen aus ihrem Beutel. Sie hatte einige Wünsche, und ein Versuch konnte nicht schaden. Jeder, den sie in dieser Welt bisher getroffen hatte, glaubte an die Götter – und das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ihre Existenz eher eine Gewissheit als eine Hoffnung zu sein schien. Vielleicht war an der ganzen Sache ja etwas dran. Allzu viele Dinge besaß sie nicht, doch irgendwo in ihrem Gepäck war sicherlich ein Stoffrest, der sich als Band benutzen ließ. Dann fiel ihr Blick auf das Bett. Dort lag, quer über der mit Stroh gestopften Matratze, ein aufwendig mit roten Ornamenten besticktes Band. Ein paar Glöckchen waren bereits an die Fransen gebunden. Sie sah zur Tür, aber dort stand lediglich Skjaldan, im Gespräch mit der Wache. Als sie zu ihm herübersah, trafen sich ihre Blicke. Kira hob das Band leicht an.

»Weißt du, von wem das ist?«, fragte sie in seine Gedanken.

»Ich tippe auf Aliard. Es könnten auch Kael oder der König gewesen sein.«

»Kael? Er würde garantiert nie ...«

Skjaldan hob amüsiert die Brauen, blieb ansonsten jedoch ernst. »Unterschätze ihn nicht, Kira. Du lässt ihm keine Chance.«

Meinte er tatsächlich, was er gesagt hatte? Kira war sicher, dass Kael sie nicht besonders mochte. Er misstraute ihr. Zu Recht, wenn sie ehrlich mit sich war. Sie musste Shadar unbedingt heute noch schreiben – und schnellstmöglich einen Weg finden, diese Welt zu verlassen, bevor er ihr Angebot ablehnen oder zu viele Fragen stellen konnte. Ihr Blick fiel erneut auf das Band. Vorsichtig strich sie mit der Hand darüber, ehe sie es aufhob. Ein seltsames Gefühl durchströmte sie, als sie den ersten Knoten knüpfte. Bitte lasst alles gut ausgehen. Lasst mich den Richtigen für mein Amt finden. Der nächste Knoten. Achtet auf meine Freunde. Es muss Frieden zwischen Quo und Catron geben. Helft Shadar dabei. Langsam knüpfte sie den dritten Knoten und band das Glöckchen, das im Himmel und auf der Erde gewesen war, daran. Helft mir, alles zu tun, was nötig ist, damit Laon dei Savren nie wieder diese oder eine andere Welt betritt!

Irgendjemand hatte über Nacht ein kleines Wunder vollbracht und ihr Kleid an Saum und Ärmeln mit weißen und schwarzen ineinander verschlungenen Linienmustern bestickt. Kira musterte sich in der polierten Metallplatte, die als Spiegel diente. Das Ganze wirkte schlicht, aber das war ihr nur recht. Zum Glück herrschte in Dhravannor generell kein solcher Prunk vor wie in Andoran.

Für einen Moment ertappte sie sich bei der Überlegung, wie Rugan Dary wohl zu der Feier erscheinen würde. Sie hatte ihn noch nie bei einem offiziellen Anlass gesehen und kannte ihn ausschließlich in einfacher dunkler Kleidung oder gerüstet.

»Durch Schlaf befreit von Not und Sorgen,

Wir danken für den neuen Morgen.

Unter Nathas Tuch, mit Lichtern verziert,

Ein neuer Tag, den das Leben gebiert.

Die Nacht ist vorbei und der Tag bricht an,

In den ich sicher vertrauen kann:

Der Liebe, die Licht an den Himmel setzte,

Dem Kuss, der das Wasser mit Leben benetzte,

Dem Licht und der Liebe, dem heiligen Band,

Wend’ ich mich zu und reiche die Hand,

Dem Leben, dem Wachsen, der Freundschaft,dem Mut,

So nimm uns, Elion, in deine Hut.«

Der Gesang zog durch die Gänge der Festung, als Aliard die Tür öffnete, um sie abzuholen. Neben ihm sah sie Skjaldan und Elmaryn. Sie waren beide gekommen. Elmaryn hatte sie erwartet, doch was Skjaldan betraf, war sie unsicher gewesen, ob er sich dazu durchringen konnte, in aller Öffentlichkeit ohne Quos weiße Roben neben den anderen zu stehen und damit die Gerüchte zu bestätigen, die in der Festung bereits über seinen Ausschluss aus der Schule kursierten. Jetzt trug er, genau wie Elmaryn, grau, das mit weißem Faden bestickt war.

Kira sah ihn überrascht an. Der Barde liebte bunte Farben und hätte sicherlich etwas anderes auftreiben können. Es sei denn …

»Habe ich aus Versehen Savraneys Hausfarben gewählt? Falls ja, tut es mir leid.«

»Savraneys Farben sind violett und grün.« Elmaryn wirkte etwas verlegen. »Ich habe sie seit Langem nicht mehr getragen und besitze nichts in diesen Farben. Daher dachte ich, es wäre schön, dein Grau zu unterstützen. Ich hätte dich fragen sollen, aber Skjaldan meinte, dir wäre das wahrscheinlich egal.«

»Egal ist mir das ganz und gar nicht!« Kira griff nach Elmaryns Händen. »Das ist eine großartige Idee und ich freue mich darüber! Wer ist darauf gekommen? Skjaldan oder du?«

»Er natürlich!« Skjaldan hob die Brauen.

»Hast du es jemals erlebt, dass ich mir über Kleidung Gedanken gemacht hätte?«

Kael hielt sich rasch die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu verbergen.

Aliard räusperte sich vorsichtig. »Wir sollten gehen, Mlyss. Eure Eskorte wartet vor der Tür.«

Nun ging es also los. Das Singen wurde lauter, als sie auf den Korridor heraustraten. Kira ertappte sich dabei, wie sie die Melodie mitsummte. Sie war einfach und eingängig. Ihre Hand umschloss das Band mit den Glöckchen. Eines davon klingelte leise. Wenn die drei Wünsche, die sie in die Knoten geknüpft hatte, in Erfüllung gingen, würde sich alles richten. Ein leises Seufzen mischte sich in ihr Summen. Das wäre zu schön.

Der Gesang folgte ihnen durch die Gänge. Als sie den Saal betraten, öffnete sich eine Gasse für sie. Die Stimmen der Menschen im Raum wurden leiser, doch der Gesang blieb. Die Gardisten mit den grauen Schärpen steuerten zielstrebig auf das Podest zu, das die Stirnseite des Raumes einnahm. Dort standen Stühle für die königliche Familie und ihre Gäste.

Die Königin unterhielt sich mit einem hochgewachsenen Mann in blaugelben Gewändern, der einen Hut sowie einen pelzbesetzten Umhang trug. Das musste der andoranische Abgesandte sein. Seinen Namen hatte Kira bereits wieder vergessen, nicht jedoch, dass er aus dem Haus Lorana stammte. Rugan Dary war also auch irgendwo. Kira ließ den Blick über das Podium streifen. Dann sah sie ihn. Er stand nahezu direkt hinter den Sitzenden bei der Eskorte – nicht als Abgesandter, sondern als Diener, wie es ihr schien. Ein seltsamer Witz. Wenn jemand ganz gewiss kein Diener ist, dann Rugan Dary.

»Die Mlyss d‘Eartha, Mael Aliard von Quo, Mael Kael von Quo, Elmaryn dei Savraney und Skjaldan Briskfadar.«

Kira fuhr zusammen, als der Herold ihre Namen gerade in dem Moment durch den Raum schallen ließ, als sie ihren Fuß auf die kleine Treppe zum Podest setzte. Sie fühlte Rugans Blick auf sich. Der andoranische Abgesandte war, wie alle anderen, aufgestanden, um sie zu begrüßen, doch Rugan blieb im Hintergrund bei den Dienstboten. Er neigte lediglich kurz den Kopf, als er ihrem Blick begegnete.

»Ich darf Euch den andoranischen Botschafter Pagon dei Lorana vorstellen, Mlyss?«

Der König wies mit einer ausholenden Geste auf den Mann, der jetzt seine Kopfbedeckung in der Hand hielt. Diese wirkte ein wenig wie jene Tücher, die sich die Wüstenreiter in Aidris um den Kopf geschlungen hatten. Allerdings war sie schmaler und schien ein festes Gerüst zu besitzen. Er trat einen Schritt nach vorn und hielt das Gebilde, ohne hinzusehen, zur Seite, wo Rugan wie aus dem Nichts auftauchte, um es entgegen zu nehmen. Dann verneigte sich dei Lorana tief und reichte Kira beide Hände.

»Es ist mir eine Ehre Euch zu treffen, Mlyss, und es entschädigt mich für alle Strapazen der Reise. Ich wurde zudem mit der Bitte betraut, Euch zum Frühlingsfest nach Andoran einzuladen. Mayedan Alron wäre erfreut, einen so hohen Gast zu empfangen.«

»Ich danke Euch, Melen Pagon.« Kira konnte gerade noch eine Verneigung ihrerseits zurückhalten. Eine Einladung zum Frühlingsfest in Andoran? Ist es möglich, diese abzulehnen, ohne unhöflich zu wirken?

Aliard berührte sie am Arm. Der König und seine Familie strebten ihren Plätzen zu. Das rettete sie fürs Erste. Kira atmete einmal tief durch. Es bestand kaum Hoffnung, Pagon dei Lorana in der Festung dauerhaft aus dem Weg gehen zu können. Noch weniger Chancen hatte sie jedoch, Rugan zu vermeiden. Sie musste mit Shadar sprechen. Heute Morgen hatte sie ihm geschrieben. Da sie den Brief magisch versendet hatte, hielt er ihn wahrscheinlich bereits in den Händen. Erst, als eines der Glöckchen ihr schmerzhaft in den Handballen schnitt, bemerkte Kira, dass sie die Faust um den Stoffstreifen in ihrem Ärmel verkrampft hatte. Sie biss sich auf die Lippen und zwang sich, der Zeremonie zu folgen.

»Als Alles Nichts war und Nichts Alles, war die Liebe der einzige Boden, auf dem etwas gedeihen konnte. Aus Liebe schenkte Elion Natha die Sonne und ihr Licht durchstrahlte das Nichts. Natha formte den Mond und die Sterne aus ihrer Liebe zu Elion und auch dieses Licht reichte bis an die Enden des Seins.«

Ein Priester in nachtblauen Roben war nach vorne getreten und begann, von der Schöpfung der Welt zu sprechen. Kira kannte die Worte inzwischen gut, hörte sie aber immer wieder gerne.

»Unsere Liebe soll der Boden sein, auf dem das Leben gedeiht, sprach Natha und breitete ihr Tuch über den Grund. Da entstand das Wasser, aus dem alles Leben entspringt und Natha streute eine Handvoll Edelsteine darüber. Die wurden zu Fischen und anderen Tieren in den Wassern …«

Kira schloss die Augen. Liebe – der Boden von allem, die Grundlage für das Leben. Shadar musste es schaffen, die Fehde zwischen Catron und Quo zu beenden. Mögen die Götter ihm helfen! Er würde jede Hilfe nötig haben. Sie lauschte dem Priester weiterhin und ihre Gedanken wanderten zu Eldin in Catron, den Diener der Götter, wie er sich selbst bezeichnet hatte. Er hatte ihr Mut gemacht, obwohl es so aussah, als gäbe es keine Hoffnung mehr.

»Und so gibt es in diesem Jahr vieles, für das wir dankbar sind und vieles, um das wir trauern. Manches, was wir erbitten möchten und anderes, was wir leisten können.«

Während der Priester sprach, entstand vor Kiras Augen das Bild des Tempels in Catron und sie fühlte sich gleich ein wenig geborgener.

»Lasst und jetzt an das denken, wofür wir danken sowie an jenes, worum wir trauern. Möge die Trauer mit der langen Nacht enden, während unser Dank fortbesteht. Später übergeben wir unsere Bitten dem Himmel und der Erde. Das, was wir leisten können, begleite uns alle Tage.«

Im Saal setzte ein Murmeln ein und Kira wurde bewusst, dass jeder seine eigene Trauer oder seinen Dank aussprach.

»Melian.« Elmaryn knapp hinter ihr hatte gesprochen. Ihr war nicht ganz klar, ob er um Melian trauerte oder für die Zeit dankte, die er ihn gekannt hatte. Womöglich beides.

Skjaldan, Shadar, Elmaryn, Eldin, Mahir ... Das waren die Menschen in dieser Welt, für die sie dankbar war. Auch Jabin, Les, der Nuri-Junge, der ihr so sehr geholfen hatte, Quent und Rya …

Laon dei Savren. Der Name kam ungebeten, drängte sich auf. Er hatte getan, was ihr unmöglich gewesen war: Er hatte das Gleichgewicht gerichtet – nicht sie selbst, wie alle dachten. Jeder, der sich in diesem Saal über das Verschwinden der Dunklen freute, müsste eigentlich ihm dafür danken.

Kira schloss die Augen. Ja, ich danke Laon dei Savren dafür, dass er das Gleichgewicht gerichtet hat. Obwohl er es war, der es überhaupt erst in Gefahr gebracht hatte.

Die Menschen bildeten eine Gasse und Kira beeilte sich, aufzustehen. Flankiert von ihren Freunden und der Eskorte, folgte sie dem König und seiner Familie. Die Menschen standen so dicht, dass sie erst, als sie ins Freie traten, bemerkte, wohin sie gingen: zum großen Platz im Innern der Festung.

Als sie das erste Mal in Drawahr gewesen war, hatte hier ein Turm gestanden. Allerdings war er den Angriffen zum Opfer gefallen. Jetzt war eine hohe Stange aufgestellt worden, von der aus sich Schnüre in alle Himmelsrichtungen spannten. Daran, so hatte Aliard ihr erklärt, wurden die Bänder befestigt und blieben dort so lange, bis der erste Frühlingssturm sie forttrug. Dann, so sagte man, hatten Natha und Elion sich der Bitten angenommen.

Kira trat mit dem König und seiner Gemahlin gemeinsam nach vorn. Sie waren die Ersten, die ihre Bänder anbringen durften. Als sie den weichen Stoff mit einer der Leinen verknotete, hoffte sie mehr denn je, dass ihre drei Wünsche in Erfüllung gehen würden.

Shadar

»Langsam wird Kiras Ignoranz der politischen Gegebenheiten gefährlich.« Shadar von Catron, Ratsmagier der Schule Catron, Catron, Aidris.

Erst als Mahir seine Schulter berührte, wurde Shadar bewusst, dass er den Brief immer noch anstarrte.

»Alles in Ordnung?« Mahirs Stimme klang besorgt. »Wer schreibt dir?«

»Kira!« Shadar schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Langsam beruhigte sich sein Herzschlag wieder.

»Ist ihr etwas passiert? Was hat Quo mit ihr gemacht?« Mahirs Griff um seine Schulter wurde fester.

»Was immer man dort getan hat …« Der Drang, auf den Boden zu spucken, wuchs. Aber er befand sich in Mahirs Räumen, die liebevoll mit weichen Seidenteppichen ausgelegt waren, daher begnügte er sich mit einem frustrierten Knurren. Quo! Alles, was Kira bisher berichtet hatte, war bestenfalls erträglich gewesen. Es wurde Zeit, dass sie nach Aidris zurückkam.

»Das hier haben sie dort mit Sicherheit nicht bezweckt.« Er schwenkte den Brief vage in Mahirs Richtung. »Die Mlyss d‘Eartha bietet mir ihre Nachfolge an. Ab sofort.«

»Was?« Mahir wich die Farbe aus dem Gesicht und er ließ sich auf eines der Sitzkissen fallen. »Warum und weshalb dir?«

»Sie schreibt nur, dass sie mich bittet, es zu tun.«

Mahir schüttelte den Kopf. »Mler d‘Eartha! Du? Glaubst du, du wärst dazu in der Lage?«

»Kira ist der Ansicht. Sie schreibt: Du kannst es schaffen, Shadar. Ich habe Vertrauen zu dir und du bist dem Licht nicht so abgeneigt, wie du behauptest. Wir sind zusammen gereist. Ich weiß es. Wenn du dich nur entschließt, das Licht anzunehmen. Ich bin sicher, du könntest das.«

Mahir hob den Kopf und starrte ihn ungläubig an. »Das hat sie geschrieben? Selbst falls das stimmen sollte, wie kann sie es schreiben?«

»Was Politik angeht, war Kira immer schon sehr naiv.« Shadar seufzte. Falls dieser Brief irgendjemand anderem in Aidris in die Hände geraten sollte, wäre diese Passage sein sicherer Tod. Er öffnete die Scheibe der auf dem Tisch stehenden Lampe, hielt das Pergament in die Flamme und ließ es, als es Feuer gefangen hatte, in eine glasierte Schale fallen.

Mahir sah zu, wie die Feuerzungen die Schrift verzehrten. »Wenigstens hat sie den Brief auf magische Weise zugestellt. So kannst du sicher sein, dass ihn außer dir niemand gesehen hat.«

»In Aidris.« Shadar hob die Brauen. »Was Dhravannor angeht, würde ich dafür keine Hand ins Feuer legen. Kira würde ich zutrauen, ein solches Schreiben in ihrem Zimmer auf dem Tisch liegen zu lassen. Hat der Khalid Leute in Drawahr?«

Mahir hob die Schultern. »Was gedenkst du zu tun?«

»Ich werde sie kontaktieren. Möglicherweise herholen, oder ich muss zu ihr.«

Mahir sog scharf die Luft ein. »Hol sie her! Du darfst nicht nach Drawahr reisen. Sie ist dort mit Quos Magiern zusammen. So freundlich Mael Skjaldan gewesen sein mag, als ihr ein gemeinsames Ziel hattet ...«

»Skjaldan Briskfadar.« Shadar konnte bei dem Gedanken an Skjaldan ein Lächeln kaum unterdrücken. »Nicht mehr Mael. Er wurde aus Quo ausgeschlossen. Gut für ihn. Diese Schule ...«

»Soweit ich weiß, sieht er selbst das vollkommen anders.« Mahirs Ton war scharf. »Zudem hat er seinen Eid nicht widerrufen.«

»Das wird er auch niemals tun.« Shadar seufzte. Er hatte auf ihrer Reise begonnen, den Mann zu mögen, doch Skjaldan würde das Licht niemals aufgeben. »Ich nehme an, Kira hat ihn zuerst gefragt, ob er ihr Amt übernehmen möchte und er hat abgelehnt.«

»Du wirst ebenfalls ablehnen! Dein Eid! Shadar, du denkst doch nicht ernsthaft darüber nach?« Der Blick, den Mahir ihm zuwarf, war scharf.

Shadar musste unwillkürlich grinsen. »Das Amt des mächtigsten Magiers der Welt? Ich soll es ablehnen und wem überlassen? Falls ich mich weigere, wem wird Kira das Amt als nächstes anbieten? Gran Mael Leandar?«

Mahir griff nach der Kante des Tischchens und schnappte nach Luft. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. »Das wird sie doch nicht tun!?«

»Sofern sie verzweifelt genug ist, fällt ihr einiges ein. Hör zu, an diesem Brief gibt es noch drei weitere Dinge, die mich sehr wachsam werden lassen. Das Erste ist ihr Ton. Sie schreibt, als sei ihr das Anliegen wirklich wichtig, aber sie kommt nicht her, um es mir persönlich mitzuteilen. Das Zweite: Sie bietet ihr Amt an, wo sie doch gerade alle Schwierigkeiten beseitigt hat. Die Dunklen, das Gleichgewicht! Sie hat gewonnen. Sie könnte sich jetzt zurücklehnen und genießen. Weshalb will sie nicht mehr?«

»Was meinst du damit, sie will nicht mehr?«

»Die Dunklen haben sie nicht davon abhalten können, ihre Aufgabe auszuführen. Was ist passiert, dass sie aufgeben möchte?«

»Vielleicht wünscht sie sich einfach nach Hause?«

»Dann hole ich sie her! Dass sie Quo und die Magier dort gründlich leid ist, ist verständlich. Hier kann sie sich ausruhen und wieder zu sich finden. Ich gehe selbst zu ihr, wenn es etwas gibt, das ihr größere Angst macht als die Dunklen.«

Mahir nickte langsam. »Sollen wir den Rat zusammenrufen?«

»Ja«, Shadar rieb sich die Stirn, »das sollten wir unbedingt.« Er stand auf. »Lass uns das gleich tun!«

Mahir blieb auf seinem Kissen sitzen. Der Blick, mit dem er Shadar musterte, war besorgt. »Und was ist das Dritte?«

»Sie schreibt mir, falls ich bereit bin, das Amt anzunehmen, muss ich mich von den Stian-Kar fernhalten. Ich soll keinen der beiden Steine kontaktieren.«

Kira

»Etwas vor Kael von Quo zu verstecken ist in etwa so leicht,

wie der Sonne das Aufgehen auszureden.«

Kira Sanders, Drawahr, Dhravannor.

Der Wind trieb ihr einen Schauer aus spitzen Eiskristallen entgegen. Kira versuchte vergeblich, sich enger auf ihrem Pferd zusammenzukauern. Skjaldan sah zu ihr herüber und verzog amüsiert die Lippen. Sein Bart war weiß vom Reif, genauso wie alles andere, was von seinem sonst schwarzen dichten Haar unter der Kapuze zu sehen war.

»Stell dich nicht an!«, rief er ihr gegen den Wind zu. »Heute ist ein warmer Tag!«