Celesta: Schatten und Glut (Band 3) - Diana Dettmann - E-Book
SONDERANGEBOT

Celesta: Schatten und Glut (Band 3) E-Book

Diana Dettmann

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Wenn dich eine fremde Macht zu verschlingen droht...** Das Geheimnis um ihre verschwundene Mutter und der tiefsitzende Verrat von Quinn machen es Emma schwer, ihr zerrüttetes Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Nicht nur ihr Vertrauen wurde erschüttert, sondern auch ihr Herz. Nach wie vor ist sie sich unsicher, wer in all dem Chaos um sie herum Freund oder Feind ist. Dennoch setzt sie alles daran, die Clans der Celesta, Cinder und Amber endlich zu einen. Denn nur so haben sie eine Chance gegen einen ganz anderen, übermächtig erscheinenden Gegner…   //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.//   //Alle Bände der düsteren Fantasy-Serie:   -- Celesta: Asche und Staub (Band 1)  -- Celesta: Staub und Schatten (Band 2) -- Celesta: Schatten und Glut (Band 3) -- Celesta: Glut und Asche (Band 4)//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Diana Dettmann

Celesta: Schatten und Glut (Band 3)

**Wenn dich eine fremde Macht zu verschlingen droht …**Das Geheimnis um ihre verschwundene Mutter und der tiefsitzende Verrat von Quinn machen es Emma schwer, ihr zerrüttetes Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Nicht nur ihr Vertrauen wurde erschüttert, sondern auch ihr Herz. Nach wie vor ist sie sich unsicher, wer in all dem Chaos um sie herum Freund oder Feind ist. Dennoch setzt sie alles daran, die Clans der Celesta, Cinder und Amber endlich zu einen. Denn nur so haben sie eine Chance gegen einen ganz anderen, übermächtig erscheinenden Gegner …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Das könnte dir auch gefallen

© privat

Diana Dettmann ist geboren und aufgewachsen im häufig recht nasskalten Norden von Deutschland. Und weil die Welten und Abenteuer in den Büchern meistens viel interessanter waren als der Blick aus dem Fenster, verbrachte sie oft Stunden damit, sich in eben diesen Welten zu tummeln, mit tapferen Helden Schlachten auszufechten oder mit edlen Ladys in mittelalterlichen Settings durch wildromantische Wälder zu fliehen. Seit 2012 veröffentlicht sie selbst Fantasyromane für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene, die den Spaß an romantisch-abenteuerlichen Geschichten nicht verloren haben.

Prolog

Thea

Jasper ist etwa vor einer Stunde aufgebrochen und ich sitze noch immer mit leerem Blick auf der Couch. Das Buch, das ich vorhin gelesen habe, an mich gepresst, kann ich an kaum etwas anderes denken, als an mein schlechtes Gewissen und meine Sorge um ihn. Selbst als ich das Knarzen der Tür höre, sehe ich nicht auf, denn ich weiß auch so, wer gerade gekommen ist.

Ich lege mein Buch beiseite, wickle mich fester in meine Decke und lausche dem Klappern in der Küche, das Finn mittlerweile verursacht. Wenig später stellt er meine Lieblingstasse gefüllt mit dampfendem, fruchtigem Tee vor mir ab und kniet sich in mein Blickfeld.

»Mach dir nicht so viele Gedanken um ihn, Thea. Er kommt klar«, raunt er und ich nicke träge. Ich weiß, dass er klarkommen wird. Es tut trotzdem weh. »Die Frage ist: Kommst du auch klar?« In seiner Frage schwingen deutliche Zweifel mit. Zweifel, die ich durchaus nachvollziehen kann. Was soll er angesichts meiner Reaktion auch anderes denken?

»Es ist nicht, wie du denkst, Finn«, murmle ich und lächle ihn an. Ehrlich. Aus tiefstem Herzen.

»Du bist also nicht am Boden zerstört, weil der Kerl, den du eigentlich wolltest, abgehauen ist und du dich jetzt mit seinem kleinen Cousin zufriedengeben musst?«

Ich lache und lege meine Hände an seine Wangen. »Nein, Finn. Ich bin nicht am Boden zerstört. Ich hätte nur gern mit ihm gesprochen. Das ist alles. Mach dir keine Sorgen. Du bist der Mann, den ich will«, raune ich und ziehe ihn zu mir auf die Couch. Ich bin dankbar für ihn. Dankbar dafür, dass er jetzt hier und immer an meiner Seite ist. Ich habe zwar eine ganze Weile gebraucht, um mir einzugestehen, wen und was ich will, aber das war es wert.

Finn zieht mich auf seinen Schoß und das Buch, das ich vorhin noch gelesen habe, fällt auf den Boden. Lachend angle ich danach und mein Blick bleibt an der aufgeschlagenen Seite hängen – markiert mit einer getrockneten Blume, die ich vor Ewigkeiten gesammelt habe. Es ist eines meiner Lieblingszitate von E. E. Cummings. Einfach weil es so simpel und unglaublich wahr gleichzeitig ist:

It takes courage to grow up and become who you really are.

»Alles in Ordnung?«, fragt Finn, nachdem ich mich eine Weile nicht gerührt habe. Ich löse meine Starre, klaube das Buch vom Boden auf, klappe es zu und lege es auf den Tisch, der seitlich neben der Couch steht.

»Alles bestens«, antworte ich und wende mich wieder ihm zu. Die Trauer darüber, dass Jasper weg ist, sitzt noch immer tief, doch ich teile Finns Optimismus. Jasper wird es verstehen. Ganz sicher wird er das.

Eins

Durchnässt vom anhaltenden Nieselregen stehe ich gegen die massive Absturzsicherung des Daches gelehnt, lasse den Blick über die naheliegenden Häuser der Stadt gleiten und hebe zum wiederholten Mal die Flasche an meine Lippen. Das furchtbare Zeug hinterlässt selbst nach der Menge, die ich bereits intus habe, noch eine brennende Spur meine Kehle hinab bis in meinen Magen. Doch das nehme ich in Kauf, denn es betäubt mit jedem Schluck einen der miesen Gedanken, die mich von innen heraus auffressen. Leider aber auch zunehmend meine Fähigkeit, geradeaus zu laufen oder verständliche Worte zu bilden. Da ich allerdings allein bin und auch gedenke, es zumindest für heute zu bleiben, ist mir das herzlich egal.

Ich lasse den Blick über die Dächer Thiernans gleiten, hinüber zu der heranrollenden, dunkelgrauen Wolkenwand und umklammere die Flasche, als wäre sie das Einzige, was mich davon abhält, irgendwo in dem Chaos unterzugehen, das mein Leben mittlerweile darstellt. In Selbstmitleid versunken pule ich das vom Regen feucht gewordene Etikett von der Flasche, als ich Schritte hinter mir höre und eine Gänsehaut über meinen Rücken rieselt. Ich weiß, wer das ist, ehe er beginnt zu sprechen.

»Party for one?«, brummt seine raue Stimme hinter mir. Vielleicht irre ich mich oder der Alkohol spielt mir einen Streich, aber er klingt ein wenig unsicher.

Ich richte mich auf, drücke den Rücken durch und kann nur mit Mühe dem Drang widerstehen, die Flasche vor ihm zu verbergen. Ich weiß, wie er über diese Form der Problembewältigung denkt, und grundsätzlich gebe ich ihm ja auch recht – nur eben heute nicht. Dementsprechend harsch fällt meine Antwort aus.

»Ich bin nicht in der Stimmung für Moralpredigten, Quinn.« Demonstrativ nehme ich einen weiteren Schluck von dem billigen Rum, den ich unten im Schrank gefunden habe.

»Wer will denn eine halten?«, fragt er unschuldig, lehnt sich rücklings neben mir an die niedrige Mauer und zieht grinsend eine Flasche aus seiner Jacke hervor. »Aber wenn du dich schon betrinken willst, dann mit der guten Sorte.«

Misstrauisch beäuge ich das Etikett, ziehe eine Augenbraue hoch und kann mir ein sarkastisches Auflachen nicht verkneifen. »Echt jetzt? Kein Vortrag, dass das Zeug es auch nicht besser machen wird?«

Schnaufend schraubt er den Deckel von der Flasche, nimmt einen großen Schluck und hustet. Keine Ahnung, ob das wirklich am Alkohol liegt oder er die Stimmung auflockern will, ein Lachen entlockt er mir damit jedenfalls nicht. Ein Auge geschlossen und das Gesicht angestrengt verzogen hält er mir schließlich die Flasche entgegen. »Auf Emma, die mir heute das verdammte Leben gerettet hat. Sieh es als Dankeschön …«

Ich rechne noch immer mit einem Bluff, hebe die Hand, um nach der Flasche zu greifen, und bin ein wenig überrascht, als er sie nicht zurückzieht. Dennoch nehme ich nur zögerlich einen ähnlich großen Schluck wie er zuvor und stelle fest, dass dieser Rum um Längen besser ist als meiner. Das Brennen in meiner Kehle ist angenehm statt schmerzhaft und hinterlässt einen Geschmack auf meiner Zunge, der mich entfernt an Karamell erinnert.

Quinn beobachtet meine Mimik, wohl um den Moment nicht zu verpassen, in dem mir meine Gesichtszüge entgleisen, und lächelt, als ich ihm vollkommen ungerührt die Flasche zurückgebe. In diesem Augenblick sieht er so vertraut aus, so … normal. Als wäre unsere Geschichte und jedes Gefühl, das ich mit ihm verbinde, nicht völlig verkorkst. Wenn er mich so ansieht, zieht sich mein Magen zusammen, und zwar, weil ich ihn liebe – und gleichzeitig hasse.

Entschlossen wende ich den Blick von ihm ab, räuspere mich und beobachte im Augenwinkel, wie er die Flasche wieder zuschraubt, sie mit den Händen umschließt und sich danach, mit einem angemessenen Abstand zwischen uns, ebenfalls gegen die niedrige Mauer lehnt, um mit mir die trügerisch friedliche Stadt zu betrachten.

»Was hast du jetzt vor?«, fragt er schließlich und katapultiert mich damit zurück in die äußerst anstrengende Realität, die ich eigentlich hier oben vergessen wollte. Um den Anschein von Gleichgültigkeit bemüht zucke ich mit den Schultern und lege den Kopf ein wenig schief, woraufhin der Horizont einen Moment braucht, um meiner Bewegung zu folgen. Ich schwanke, kralle mich an der Mauer fest und kann mir dabei ein Kichern nicht verkneifen.

»Ich werde mich betrinken, bis ich nicht mehr stehen kann, und morgen meinen Kater ausschlafen. Alles jenseits dieses Plans lasse ich auf mich zukommen.« Meine Zunge ist bereits verdammt träge und die Worte klingen nicht ganz so klar, wie ich es gewohnt bin.

Quinn zieht angesichts des unüberhörbaren Beweises meines Alkoholpegels eine Augenbraue hoch. »Das ist ein nachvollziehbarer, aber schlechter Plan, wenn du mich fragst.«

»Na wie gut, dass ich dich nicht frage.«

»Emma, deine Mutter ist nur ein paar Meter von dir entfernt. Du solltest nicht hier sein und dich betrinken, sondern da unten und mit ihr reden.« Er klingt nicht anklagend, als er das sagt. Es wirkt eher wie ein gut gemeinter Rat. Um ihm zu zeigen, was ich davon halte, pflücke ich die Flasche abermals aus seiner Hand und nehme einen weiteren tiefen Zug.

»Dieser Ratschlag kommt genau soooo«, ich messe mit Daumen und Zeigefinger die Menge Flüssigkeit ab, die bereits aus der Flasche verschwunden ist, »viel zu spät.«

Quinn seufzt und will nach dem Rum greifen, doch ich presse die Flasche an mich und drehe mich von ihm weg. Mein Verhalten kostet ihn sichtlich Nerven. Er seufzt und lehnt sich in meine Richtung. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist das amüsante Geplänkel nun vorbei. »Es war ein harter Tag und du –«

»Ja, verdammt, es war ein harter Tag«, unterbreche ich seinen beginnenden Vortrag – vermutlich über Vernunft, Verantwortung und erwachsenes Verhalten. Sein verblüffter Gesichtsausdruck aufgrund meines abrupten Stimmungswechsels lässt mich jedoch innehalten, ehe ich ihm gemeine Dinge an den Kopf werfen kann. Ich verliere schon wieder die Kontrolle. Wie so oft in letzter Zeit. Ich presse die Lippen zusammen und sehe weg.

Quinn startet keinen weiteren Versuch, ein vernünftiges Gespräch anzufangen, stattdessen schnauft er leise und wendet schließlich den Blick ab. Schuldbewusst lasse ich meinen auf den Boden sinken.

»Ich … wir … haben Will verletzt«, knurre ich mit nur schwer beherrschbarer Scham über das, was ich Will angetan habe. »Ich habe jetzt einen Bruder und plötzlich auch wieder eine Mutter und du …« Ich sehe ihn an, lache, doch dieses Lachen schmerzt. »D… Du sagst mir mal so nebenbei, dass du abgehauen bist, weil du Gespenster jagen musstest.«

Er bewegt sich nicht und auch sein Gesichtsausdruck verändert sich nicht. Wohl aber sein Blick. Und obwohl ich weiß, dass ihn meine Worte verletzen, dass sie falsch und unfair sind, tut es mir nicht leid, sie gesagt zu haben. Ich bin verdammt sauer auf ihn. Auf alle. Auf mich selbst allerdings am meisten.

Mit noch immer brodelnder Wut im Bauch wende ich mich von ihm ab und nehme einen weiteren Schluck vom Rum. »Mein Bedarf an Katastrophen ist für heute gedeckt. Und an Gesprächen im Übrigen auch.« Ja, ich bin unfreundlich. Und ja, ein kleiner Teil von mir möchte sich zu ihm umdrehen, sich gegen ihn lehnen und die Tatsache feiern, dass er noch lebt. Dieser kleine Teil möchte das alles hinter sich lassen, sämtliche Zelte abbrechen und so weit laufen, dass die Celesta, die Cinder, meine Mutter, Liam und all die anderen zu grauen Schatten in der Vergangenheit werden. Dass ich das nicht kann, dass ich gezwungen bin, mich mit dem auseinanderzusetzen, was morgen und die darauffolgenden Tage auf mich wartet, lässt meine Zukunft so unfassbar dunkel und schwarz erscheinen, dass ich nicht weiß, ob ich mich ihr überhaupt stellen will. Im Moment weiß ich gar nichts mehr. Ich kann nichts entscheiden, nicht denken. Und das liegt nicht am Alkohol, sondern an all den Dingen, die ich irgendwie begreifen, denen ich eine Wertung und eine Richtung geben muss, und ich fühle mich hoffnungslos überfordert.

Ich will nicht gezwungen sein, irgendwas in Worte zu fassen, Fragen zu beantworten, Dinge, die ich selbst nicht begreife, zu erklären. Ich möchte allein sein. Gerade jetzt, in diesem Moment, möchte ich einfach für mich sein, mich betrinken und nicht nachdenken. Ich möchte mich nicht unterhalten, nicht nett sein, nicht darauf achten müssen, was ich sage und zu wem. Doch Quinn wäre nicht Quinn, wenn ein paar wenige, patzige Worte ausreichen würden, um ihn zu vertreiben.

»Ich kann verstehen, dass du noch sauer bist –«, hebt er abermals an, als spräche er mit einem Kind, und ich lache, obwohl ich weiß, wie unangemessen das ist. Aber mal ehrlich: Sauer? Ernsthaft?

»Ich bin weit jenseits von sauer, Quinn.«

Er schnauft, reibt sich mit beiden Handflächen übers Gesicht und erst jetzt erkenne ich, wie müde er aussieht. Und wie angespannt. Und erschöpft. »Emma, bitte, du musst mich verstehen! Ich konnte dich kaum noch ansehen, ohne zu wissen, ob Clay die Wahrheit gesagt hat und ich derjenige gewesen bin, der sie dir genommen hat. Du hast keine Ahnung, was diese Angst mit mir gemacht hat.«

»Nein! Hörst du? Nein!«

»Emma …«

»Ich will das jetzt nicht. Ich … Ich ertrage das jetzt nicht. Ich kann kaum aufrecht stehen, Quinn. Geh! Weg!«

»Du kannst so … so scheiß egoistisch sein, Emma!«, ruft er ein wenig zu laut und reißt die Hände hoch. »Meinetwegen betrink dich. Weigere dich, mit mir zu reden. Aber nichts von dem, weshalb du gerade dieses Zeug in dich reinschüttest, wird dadurch verschwinden. Nichts wird einfacher!«

»Glaubst du, das weiß ich nicht?«, brülle ich und umklammere die Flasche so fest, dass es schmerzt. »Glaubst du, ich weiß nicht, dass ich nicht morgen aufwache und alles in pinkfarbene Watte gehüllt ist?«

Er schweigt, starrt mich lediglich mit verbissener Miene an.

»Herrgott, Quinn, kannst du nicht verstehen, dass ich nur ein paar beschissene Stunden für mich will? Ich will dein Gewissen jetzt nicht erleichtern. Ich will dich jetzt nicht verstehen und ich will dir jetzt nicht vergeben. Ich will nicht einmal darüber nachdenken, verdammt!«

Da ist er wieder, dieser Glanz in seinen Augen, der mein Herz schnell und schmerzhaft schlagen lässt. »Und jetzt hau bitte endlich ab!«

Ich wende mich wieder der Stadt zu, sicher, mich dieses Mal klar ausgedrückt zu haben. Doch Quinn bleibt, wo er ist. Ich kann seine Anwesenheit noch immer deutlich spüren und der Zwang, etwas zu tun oder zu sagen, prickelt förmlich in meinem Nacken. Schließlich gibt er auf, sieht ein, dass wir heute keine Lösung finden werden, und wendet sich ab. Emotionslos verfolge ich seine sich entfernenden Schritte und das Zuschlagen der Tür. Dann höre ich nichts mehr – außer dem Wind und dem Lärm der Stadt.

Zwei

Als ich die Augen aufschlage und den Kopf ein Stück anhebe, brauche ich einen Moment, um mich zurechtzufinden. Einen langen Moment, in dem mein benebeltes, pochendes Hirn versucht, die bruchstückhaften Erinnerungen von letzter Nacht in eine logische Abfolge zu bringen und mir Informationen darüber zu liefern, welche Tageszeit wir in etwa haben und wo ich gerade sein müsste. Doch es bleibt bei dem Versuch, sodass ich gequält die Augen wieder schließe.

Mein Mund ist trocken und ich wälze mich stöhnend zur Seite. Alles dreht sich und für einen Moment habe ich ein wenig Sorge, dass mein Magen rebellieren könnte. Doch er beruhigt sich wieder und ich lasse den Kopf erleichtert zurück aufs Kissen sinken.

Moment … Kissen? Ein weiches Bett statt des harten Betonbodens, auf dem ich eigentlich liegen müsste? Immerhin ist das Letzte, an das ich mich erinnern kann, eine etwas aus dem Ruder gelaufene Selbstmitleidsorgie auf dem Dach und das vorangegangene Gespräch mit Quinn.

Stöhnend greife ich mir an die Stirn, hinter der ein Presslufthammer im Takt eines vor dem Fenster kreischenden Vogels versucht, die verloren gegangenen Erinnerungen von gestern freizulegen. Zielstrebig, nervtötend, schmerzhaft – und trotzdem erfolglos.

Blinzelnd öffne ich abermals ein Auge. Weißes Bettzeug. Eine warme Decke, die irgendwie bekannt riecht. Um mich herum nichtssagende Wände. Unweit von mir entfernt ein Fenster mit schmutzigen Vorhängen. Und etwas, das mich schlagartig aus dem Nirwana meines benebelten Geistes ins Hier und Jetzt katapultiert: die Gewissheit, nicht allein zu sein.

Sofort sitze ich kerzengerade im Bett und starre hinüber in die Zimmerecke, von der aus leises Geschirrgeklapper an mein Ohr dringt. Meine Augen brennen und tränen entsetzlich, und doch erkenne ich sie sofort. Das da ist meine Mum.

Sie gefriert förmlich in der Bewegung, als sie bemerkt, dass ich mehr oder weniger wach bin. Ihre Finger umklammern eine kleine, recht fragil wirkende Tasse und ihr Blick drückt Hilflosigkeit, ja fast Panik aus. Doch dann zwingt sie ein etwas unbeholfenes Lächeln auf ihre Lippen und ihre hochgezogenen Schultern sinken ein wenig herab.

»Gu… Guten M–morgen«, stammelt sie leise. Ihre Stimme bringt mich vollends aus dem Takt. Ich war schon gestern nicht in der Lage, mit ihr zu sprechen, und jetzt bin ich es noch viel weniger. Ein dicker Kloß versperrt meine Kehle und würde jedes Wort zu einem Drahtseilakt machen. Also nicke ich nur und ziehe die Decke schützend ein Stück höher, als ich registriere, dass ich kaum etwas anhabe.

Sie schaut mich an, als würde sie noch immer auf eine Antwort warten, und erst als ich mich unbehaglich räuspere, wendet sie den Blick ab – zurück auf die Tasse.

»Ich wollte dir einen Tee einschenken. Die … Die Tasse ist umgekippt. Ich wollte dich nicht wecken. Tut mir leid.«

Ich höre das Plätschern des Tees, den sie behutsam einschenkt, und auch ihre Schritte, als sie sich mir nähert, doch das überlaute Pochen meines Herzens und das Dröhnen in meinem Schädel nehmen den Großteil meiner Aufmerksamkeit ein.

Vorsichtig setzt sich die Frau, die riecht, spricht und aussieht wie meine verschwundene Mutter, auf die Bettkante zu meiner Rechten und reicht mir wortlos die für mich vorgesehene Tasse. Ich hebe ihr die Hände entgegen, doch sie zittern so sehr, dass ich sie umgehend wieder sinken lasse und überfordert den Blick abwende. Mum zögert kurz, bevor sie die Tasse ohne weitere Worte auf der vergilbten Untertasse abstellt, die auf dem kleinen Tisch neben dem Bett steht. Auf dem Rand der Untertasse liegen zwei kleine Tabletten.

»Gegen deine Kopfschmerzen«, erklärt sie lächelnd. Erst jetzt bemerke ich den Verband, der um meinen Kopf geschlungen ist, und betaste ihn in einem Anflug von Panik. »Es ist nichts Schlimmes. Du bist gestürzt und hast eine kleine Platzwunde.«

»Wo …«, hebe ich an und muss mich schon nach diesem winzigen Wort räuspern. »Wo sind meine Klamotten?«

»In der Wäsche«, antwortet sie hektisch und ihre Augen leuchten plötzlich. Wahrscheinlich ist sie glücklich, dass ich noch in der Lage bin zu sprechen. »Du … Es ist ein kleines Unglück passiert.«

Soso, ich hab mich also entweder bekotzt oder sie meint ein anderes ›Unglück‹. Schnaufend lasse ich den Kopf in meine Hände sinken und möchte umgehend im Erdboden versinken.

»Was ist passiert?«, will ich kleinlaut wissen und schäme mich. Ich schäme mich bis auf die Knochen.

»Du hast … lange Zeit auf dem Dach verbracht und … und als du runtergekommen bist, bist du gefallen. Auf der Treppe.«

Ich nicke. Das erklärt die rasenden Kopfschmerzen, die mich nun doch veranlassen, nach den Tabletten zu greifen und sie mit dem Tee runterzuspülen. Nach dem ersten Schluck stocke ich allerdings und meine Finger zittern schon wieder.

Er schmeckt wie damals. Er schmeckt, wie der Tee meiner Mum immer geschmeckt hat. Nach Kuschelstunden auf der Couch, nach langen Lesenachmittagen in selbst gebauten Höhlen und nach Erinnerungen, die mehr in mir aufwühlen, als ich ertragen kann. Ich starre den rötlich schimmernden Inhalt meiner Tasse an und habe Schwierigkeiten zu atmen. Ich blinzle und versuche das Brennen in meinen Augen und die vielen Erinnerungen zu verdrängen, die ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen kann. Doch so recht gelingt es mir nicht. Mum muss bemerkt haben, dass etwas nicht stimmt. Sie nimmt mir die Tasse ab und stellt sie abermals zurück auf die Untertasse. Dabei ruht ihr aufmerksamer Blick auf mir.

»Dein Freund hat auf dich gewartet. Die ganze Zeit. Quinn, richtig?«

Ich nicke und schlucke zweimal, ehe ich es wage zu sprechen. »Wo ist er?«

»Er sagte, du würdest ihn nicht sehen wollen, aber er ist erst gegangen, als er wusste, dass es dir gut geht.«

Ich hebe das Kinn, vermeide es jedoch, sie anzusehen und starre stattdessen hilflos auf meine zu Fäusten geballten Hände auf der Bettdecke.

»Ich … Ich war diejenige, die sich um dich gekümmert, dir die Sachen ausgezogen und dich ins Bett gebracht hat. Du musst dir keine Sorgen machen, dass –«

»Das wäre nicht nötig gewesen«, unterbreche ich sie barscher, als ich wollte, schlage die Decke zur Seite und schwinge die Beine über die Bettkante. Ich will nicht hier sein, ist alles, was ich im Augenblick denken kann, und das Unbehagen über die Situation lässt meinen Magen zu einer kleinen Kugel zusammenschrumpfen. Das und der noch immer quälende Gedanke an Quinn. Ich versuche zu rekapitulieren, was ich zu ihm gesagt habe, doch der Blick meiner Mutter und die nur kläglich zurückgehaltenen Tränen, die in ihren Augen schimmern, machen es mir nicht gerade leicht.

Ich reiße mich zusammen, stehe auf, schwanke jedoch und falle beinahe zurück aufs Bett. Mum ist sofort bei mir, krallt ihre Hände in meine Schultern. Sorge verzerrt ihre Gesichtszüge. Und zwar so viel, dass mir abermals schlecht wird und ich mich aus ihrem Griff winde.

»Bitte, Emma, ich kann verstehen, dass es schwer ist und dass du … mich hasst, aber …«

Ich versteife mich, stelle meine Gegenwehr ein und kann nicht anders, als leise aufzulachen. »Ich dich hassen?«, flüstere ich, komme erneut auf die Beine und bringe, sobald sich der Raum nicht mehr dreht, etwas Abstand zwischen uns. Sie beobachtet mich mit einer Mischung aus Angst und Vorsicht.

»Es ist okay! Wirklich. Aber … bitte … versteh mich nicht falsch, es ist dein gutes Recht. Ich … habe alles falsch gemacht. Ich habe dich verlassen. Ich habe –«

»Du hast nichts falsch gemacht!«, donnere ich aufgebracht. Doch als ich sehe, wie sie zusammenzuckt, tut es mir sofort leid. »Ich bin es, die alles falsch gemacht hat«, ergänze ich versöhnlicher, fast schon kleinlaut. Meine Stimme schwankt. Mum reibt sich die Oberarme und schaut mich verständnislos an, während ich den Blick schniefend auf meine nackten Füße richte. »Ich meine … sieh mich doch an.«

Sie nickt und kommt einen Schritt auf mich zu. »Das tue ich«, murmelt sie und legt den Kopf leicht schräg. »Ich sehe meine kleine, wilde Emma. Meinen geliebten, widerspenstigen Lockenkopf, der zu einer wunderschönen und starken jungen Frau geworden ist.«

Ihre Worte hinterlassen ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Brust und ich kralle eine Hand dort in mein Shirt, wo es besonders wehtut. Ich kann sie kaum ansehen.

»Du siehst eine Versagerin, Mum.« Meine Stimme bricht und meine Unterlippe zittert. »Ich bin kein bisschen wie du. Und … und ich habs versucht, glaub mir! Ich wollte, dass du stolz auf mich bist. Das war alles, was ich immer wollte.« Tränen laufen über meine Wangen, doch ich weiche zurück, als sie eine Hand hebt, um sie fortzuwischen. »Sieh mich an. Ich falle stockbesoffen irgendwelche Treppen runter, schlage mir den Kopf an und bekotze mich vor dir. Ist es das, was du von deiner Tochter erwartet hast?«

»Nein«, antwortet sie resolut und greift trotz meiner Gegenwehr erneut nach meiner Hand. Obwohl ich versuche, mich ihr zu entziehen, hält sie mich mit erstaunlicher Kraft fest. »Nein, das habe ich nicht. Ich habe gar nichts erwartet, Emma. Weil ich nicht das Recht dazu hatte. Ich habe dich verlassen. Ich war feige, all die Jahre über. Und wenn ich mir dich so ansehe«, sie tritt einen Schritt zurück und lässt ihren Blick über meinen von Narben entstellten Körper gleiten, »dann sehe ich vieles – aber ganz sicher keine Versagerin.«

Ich schluchze. So heftig, dass es wehtut. Schließlich lasse ich mich gegen sie sinken, schlinge meine Arme um ihren schmalen Körper und halte mich an ihr fest. Ich spüre ihre Wärme, atme ihren immer noch so bekannten und lange vermissten Geruch tief ein und kann kaum glauben, sie endlich wiederzuhaben.

***

Etwas später, nachdem wir uns ein wenig beruhigt haben, sitze ich im Schneidersitz auf dem Bett, die wärmende Decke wie einen Kokon um mich geschlungen, und schlürfe den herrlich nach Karamell duftenden Tee, den Mum vorhin gekocht hat. Meine Kopfschmerzen sind auf ein erträgliches Maß zusammengeschrumpft und Mum hat mir was Vernünftiges zum Anziehen besorgt und sitzt mir nun, ebenfalls im Schneidersitz, gegenüber. Ich nehme mir die Zeit, sie eingehender zu betrachten und mit meinen Erinnerungen an sie abzugleichen. Ein paar Falten, die damals nicht da waren, und ein paar graue Haare hier und da – ansonsten hat sie sich äußerlich nicht verändert. Und wenn sie lacht, sieht sie tatsächlich ein bisschen so aus wie ich. Eine Erkenntnis, die mir ein warmes Flackern in der Magengrube beschert.

»Ich hab so unendlich viel verpasst«, raunt sie schließlich und lässt ihre Tasse ein wenig sinken. Bedauern liegt in ihrer Stimme. Und Trauer.

»Erzähl mir, was passiert ist. Damals«, flüstere ich und kann meine Neugier kaum bändigen. Tausend Fragen wirbeln in meinem Kopf herum. Tausend Fragen, die ich gestern nicht einmal ansatzweise hätte formulieren können.

Nachdem sie beinahe Quinn erschossen hätte und ich erkannt hatte, wer da vor mir steht, bin ich geflohen. Blindlinks raus aus dem Gartenhaus, in dem sie sich mit Dad und Riley verbarrikadiert hatte – überfordert, angsterfüllt und nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Es war Quinn, der mich schließlich Stunden später, splitternackt und leicht apathisch, in einer dunklen Gasse in Thiernan aufgegabelt und zu dem Versteck gebracht hat, das Will für uns hatte organisieren können. Die Wohnung eines Bekannten im Industriegebiet von Thiernan. Die heruntergekommene Bude, von der er gesprochen hatte, als wir nicht wussten, wo wir uns vor den Dämonen verstecken könnten.

Mum zuckt angesichts meiner Frage mit den Schultern, drückt den Rücken ein wenig durch und legt den Kopf schief. »Ich … hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wo ich anfangen soll.«

»Wie wäre es damit: Weshalb hast du dich mit Dad zusammen im Gartenhaus verbarrikadiert? Und warum wolltest du Riley umbringen? Und Quinn?«

»Ich hatte Angst, Emma. Ich sollte eigentlich auf Liams Rückkehr warten, aber ich wollte so dringend zu deinem Vater. Und dann war da dieses Mädchen und ich wusste einfach nicht …« Sie spricht nicht weiter und ringt hilflos die Hände. Sie hebt den Kopf und lächelt mich entschuldigend an. »Als ich begriffen habe, dass du es warst, die ich beinahe getötet hätte … Gott, Emma, es tut mir unglaublich leid!« Sie schluchzt leise und wendet das Gesicht ab, bevor sie sich hektisch einige Tränen von den Wangen wischt. Ich denke, es ist Zeit für einen Themenwechsel.

»Du hast deine Spuren gut verwischt, damals«, murmle ich leise, aber anerkennend und ein kleines Lächeln hellt ihre Züge auf. »Ich hab lange versucht, zumindest ein bisschen über dich rauszufinden. Ich meine, einfach irgendwas. Aber alle haben ein großes Geheimnis um dich gemacht. Nicht mal Ezra hat viel von dir erzählt.«

»Ezra …«, wiederholt sie, doch ihr Gesicht bleibt seltsam unbewegt bei seinem Namen, während ich mich an die Dinge erinnere, die dank Liam nun anklagend im Raum stehen. Augenblicklich kehrt die leichte Übelkeit von vorhin zurück.

»Quinn hat mir erzählt«, rede ich schnell weiter, ehe das flaue Gefühl in meinem Magen die Oberhand gewinnen kann, »du wärst nicht nur ein Teil des Aufstands gewesen, sondern hättest ihn angeführt. Er sagte, du wärst damals gestorben.« Dass er glaubte, derjenige zu sein, der sie getötet hat, lasse ich der Einfachheit halber weg. Ich will nicht mehr Fragen aufwerfen als unbedingt nötig.

Mum verzieht den Mund und nickt. »Ja, das war wohl einer der größten Fehler, die ich jemals begangen habe.«

»Dass du deinen Tod vorgetäuscht hast?«

»Nein … Der Aufstand.« Sie nimmt noch einen Schluck aus ihrer Tasse und hält sie dann fest umklammert. »Weißt du, die Zeiten damals waren andere. Ian war ein brutaler, herrischer Anführer, der viel von sich selbst und noch mehr von der Überlegenheit der Celesta hielt. Für ihn gab es nur schwarz oder weiß und am liebsten wäre es ihm gewesen, sämtliche potenziellen Gefahren für die Celesta auszuschalten. Er hat in den Cinder und den Amber immer nur eine Bedrohung seiner Macht gesehen. Und seine Methoden, mit dieser Bedrohung umzugehen, nahmen immer skrupellosere Formen an.« Sie schließt die Finger noch fester um die inzwischen leere Tasse, sodass ich befürchte, sie könnte zerspringen. »Es dauerte nicht lange, bis sich außer mir noch andere Celesta fanden, die das nicht länger hinnehmen wollten. Wir waren … jung … und dumm. Außerdem dachten wir, wir könnten die Welt verändern.«

Sie lächelt schmerzlich und in mir wächst das Bedürfnis, meine Hand auf ihre zu legen. Doch ich wage es nicht. Denn obwohl ich weiß, dass die Frau vor mir meine Mutter ist, fühlt es sich nicht so an. Die Mauer, die uns all die Jahre getrennt hat, ist noch immer da, und auch wenn sie aussieht wie die Frau, an die ich mich erinnere, ist sie eine Fremde.

»Die Sache mit dem Aufstand begann ziemlich unscheinbar«, spricht sie schließlich weiter, steht auf und bringt etwas Abstand zwischen uns. Erst jetzt bemerke ich, wie die Anspannung allmählich von mir weicht, mein Herz ruhiger schlägt, und entspanne den Nacken ein wenig. »Wir trafen uns heimlich, besprachen wirre Pläne, um Ian zu stürzen. Wir waren wie Kinder mit einem Schlachtplan, über dessen Tragweite wir uns in keiner Weise bewusst waren. In dieser Zeit nahmen wir auch Kontakt zu den Cinder auf. Wir erfuhren, wie es ihnen ergangen war und wie man mit ihnen umging. Das war natürlich Brennstoff für unsere Wut.«

»Ich hab deine Tagebücher gefunden … und die versteckten Botschaften darin ebenfalls.«

»Du bist clever, Schätzchen«, lächelt sie, doch dieses Lächeln erreicht ihre Augen nicht. »Es war eine von vielen Varianten, wie wir miteinander kommuniziert haben.«

»Ich war auch in dem Krankenhaus. In deinem Zimmer. Ich hab die Zeichnung an der Wand gesehen.«

»Eine Falle«, murmelt sie und schenkt sich Tee nach. »Wir wollten sehen, ob uns jemand auf den Fersen ist. Die aufgemalte Karte führt in eine Sackgasse. Bist du ihr gefolgt?«

»Nein«, raune ich und schüttle den Kopf. »Ich kam nicht dazu. Aber weshalb warst du überhaupt dort?«

»Eine Bestrafung von Ian. Eine nette kleine Erinnerung, wohin ich gehöre.« Ich ahne, was für eine Art Erinnerung das gewesen ist.

»Ich habe damals etwas ins Rollen gebracht, von dem ich niemals auch nur geahnt hätte, dass es so weite Kreise ziehen würde.«

»Aber es war doch richtig. Du hast dich aufgelehnt. Du hast dich für sie stark gemacht. Du hast ein paar deiner eigenen Leute wachgerüttelt!«

»Es war nicht richtig!«, kontert sie ruppig und ich verstumme sofort. Augenblicklich werden ihre Gesichtszüge wieder weicher und sie räuspert sich leise. »Es hätte andere Wege gegeben, um unsere Ziele zu erreichen und die Celesta wachzurütteln. Dieses ganze Unterfangen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.« Sie lässt ein Stück Zucker in ihre Tasse fallen und rührt gedankenverloren darin herum. »Die Sache schwelte lange vor sich hin, brodelte unter der Oberfläche. Monat für Monat und Jahr für Jahr. Irgendwann lernte ich deinen Vater kennen und verliebte mich. Ich war … müde. Von all dem. Ich wollte meinem Clan und dieser Auseinandersetzung ein für alle Mal den Rücken kehren, doch wir waren bereits zu weit gegangen. Die Cinder und die Amber verließen sich auf uns und die Augen vor ihrem Schicksal zu verschließen erschien mir falsch. Aber schließlich lieferte Ian selbst mir die Idee, wie wir einen Krieg umgehen könnten. Sein Preis für den Ausstieg aus dem Clan sollte ein Kind sein. Mein Kind. Unser Kind.«

»Liam«, murre ich und sie nickt. Es ist also wahr. Er ist mein Bruder.

»Besser als einen Krieg anzuzetteln ist es doch, es die nächste Generation besser machen zu lassen. Ich dachte, ich würde Liam von meinen Werten überzeugen können, aus ihm den Anführer machen, den die Celesta und vor allen Dingen die Cinder brauchten.«

»Und Ian stand einfach daneben und hat zugesehen, wie du seinem Sohn deine Überzeugung eintrichterst? Nachdem du behauptet hast, den Clan verlassen zu wollen? Er hat doch sicherlich gewusst, dass du gefährlich bist.«

»Natürlich war er sich bewusst, wie wichtig ich inzwischen war. Auch wenn er keine Ahnung hatte, wie viele Anhänger tatsächlich hinter mir standen. Er wusste aber, dass es viele waren und er mich mit unserem Kind ebenso in der Hand hätte wie ich ihn.«

»Er hätte dich umbringen lassen können«, murmle ich, doch sie zuckt nur unbeeindruckt mit den Schultern.

»Er stand nicht auf Märtyrer. Und er war niemand, der sich eine solche Intrige hätte nachsagen lassen. Wenn es etwas Positives über ihn zu sagen gibt, dann, dass er direkt war. Und loyal.«

»Und du hast ihm dein Kind überlassen. Im Ernst?«

Ihr Blick ruht auf mir, so als würde sie herausfinden wollen, in welches Bild sie die nachfolgende Antwort rücken würde.

»So lautete der Deal. Aber ich konnte ihn überzeugen, mich Zeit mit meinem Sohn verbringen zu lassen. Damals war Liam zu klein, um die Zusammenhänge zu verstehen, und ich blieb vorsichtig. Ich ließ Ian glauben, dem Aufstand entwachsen zu sein und seine Ansichten nun besser zu verstehen.«

»Was war mit uns? Mit Dad und mir?«

»Ich habe dafür gesorgt, dass Ian euch in Ruhe ließ, außerdem haben dein Dad und ich alles getan, um dich zu schützen. Ian wusste, dass es euch gibt, aber er hat euch nicht einziges Mal zu Gesicht bekommen. Ich lebte ein Doppelleben – und das war in mehr als einer Hinsicht dumm.«

»Und du hast wirklich gedacht, das würde auf Dauer gut gehen?«

»Auf Dauer sicher nicht. Aber ich hatte Hoffnung.« Dass diese schnell geschwunden war, kann ich ihrem Blick ansehen, der sich schlagartig verdunkelt.

»Es dauerte allerdings nicht lange, bis die Unruhen lauter wurden. Die Cinder trommelten ihre Leute zusammen und waren der Überzeugung, sich ihre Freiheit erkämpfen zu können. Schließlich war es zu spät, um umzukehren. Ich konnte nicht zurück, Emma. Selbst wenn ich gewollt hätte. Ich hatte diesen Krieg angezettelt, also musste ich ihn auch führen.«

Ich nicke. Und weil ich weiß, wie alles ausging, wird meine Kehle erneut eng.

»Ich bin in der Nacht der Schlacht nur knapp mit dem Leben davongekommen, doch Ian wollte es natürlich nicht dabei belassen. Niemals werde ich«, sie muss kurz schlucken, »den blanken Hass in seinen Augen vergessen. Verraten – ausgerechnet von mir. Er wollte mich töten, doch Liam flehte um mein Leben.«

Ich richte mich auf und schaue sie an, wohlwissend, dass Liam damals nur wenig älter war als ich.

»Das war das erste Mal, dass er gegen seinen Vater rebelliert hat. Ian schlug ihn, ich ging auf Ian los und gemeinsam konnten wir ihn überwältigen. Dennoch brachte ich es nicht fertig, ihn zu töten. Ich war schwach und ich hatte furchtbare Angst.«

»Was … Was ist dann passiert?«

»Ezra fand uns, begriff sofort, was passiert war, und drängte mich, sofort zu verschwinden. Ich wollte Liam natürlich mitnehmen, doch er meinte, Ian würde dann niemals aufhören, nach uns zu suchen.« Ihr Blick ist leer. »Ezra hat es irgendwie geschafft, mich davon zu überzeugen, ohne mein Kind zu gehen.«

Mit zu Fäusten geballten Händen steht sie am Fenster und starrt hinaus. Vielleicht kämpft sie mit den Erinnerungen, die sie mir soeben offenbart hat. Tränen schimmern in ihren Augen.

»Ich habe mich für meine Feigheit gehasst. Ich meine, ich habe ihn tatsächlich zurückgelassen. Und im Gegensatz zu dir ließ ich ihn nicht einmal bei einem liebenden Vater, sondern bei einem Tyrannen.«

Ich sage ihr natürlich nicht, wie liebend dieser Vater gewesen ist, nachdem sie weg war. Ich bin mir sicher, Liam hat es übler getroffen als mich.

»Tausendmal habe ich mich gefragt, ob er überhaupt noch lebt. Ezra hatte mir zwar versprochen auf Liam aufzupassen und ich vertraute ihm, doch all die Jahre konnte ich mir nicht sicher sein und das hat mich aufgefressen.«

Schweigen erfüllt den Raum, während wir beide mehr oder weniger hilflos auf unsere Hände starren.

»Wusste Dad, was passiert war?« Ich erinnere mich an die vielen Besuche von Polizisten, an unendlich viele Befragungen, an Flugblätter und seine jahrelange Suche. Eigentlich kenne ich die Antwort bereits.

Erwartungsgemäß senkt sie den Blick, bevor sie schließlich den Kopf schüttelt. »Er wusste nur das Nötigste. Er wusste, dass ich anders war. Und obwohl er sicher viele Fragen hatte, hat er akzeptiert, dass es immer Dinge geben würde, die ich ihm nicht sagen kann. Er war bereit das zu akzeptieren.«

»Selbst dass du schwanger warst? Hat er von Liam gewusst?«

»Ja. Allerdings hatte er keine Ahnung, wo Liam lebte, wenn er nicht bei uns war, oder wer Liams Vater ist.«

Ihre Worte rücken meinen Dad in ein anderes Licht. Er hat all diese Geheimnisse stillschweigend ertragen, hat hingenommen, dass sie ein Kind bekam, das nicht seines war, nur um sie nicht zu verlieren.

»Ich war nicht fair euch gegenüber. Ich wollte zu viel und habe dafür einen hohen Preis gezahlt.« Sie presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, stellt die Teetasse unangetastet auf den Tisch und sinkt noch etwas weiter in sich zusammen. Ihre Augen wirken leer und müde. Wieder einmal tut sie mir schrecklich leid. Sie hat Fehler gemacht und viel verloren. Vielleicht zu viel.

»Wo bist du all die Zeit über gewesen?«, frage ich leise und sie reibt sich müde über die leicht geröteten Augen.

»Ich bin geflohen. Kreuz und quer durchs Land gezogen. Ruhelos und immer auf der Hut, weil dein Dad nach mir suchen ließ und ich es mir nicht leisten konnte, gefunden zu werden. Ich habe gehofft, dass Ian dich und deinen Vater nicht finden würde.«

»Das heißt, du warst die ganze Zeit über in der Nähe?«

Sie zögert, starrt verbissen in den Raum hinein. »Die ersten Jahre, ja. Ich war noch einmal in Thiernan, um nach dir und Liam zu sehen. Dich hab ich nur aus der Ferne sehen können, doch bei Liam war ich unvorsichtig. Er hat mich erkannt und mir geholfen. Er gab mir Geld, damit ich das Land verlassen konnte.«

Schlagartig erinnere ich mich an das Bild, das ich bei der Einweihung vor Augen hatte. Das Bild von Liam und Mum. Das Bild, das mich überhaupt erst dazu veranlasst hat, mich eingehender mit ihr zu beschäftigen. War es also wirklich eine Erinnerung? Vielleicht von Ezra? Hat er die beiden gesehen? Damals? Vor so vielen Jahren? Konnte ich seine Erinnerungen sehen? Vielleicht, weil er bei der Einweihung dabei war?

»Glaub mir, Emma. Es war so schwer, abermals zu gehen, aber ich hatte keine Wahl. Mit dem Geld besorgte ich mir einen gefälschten Pass und verließ das Land.«

»Wohin?«

»Nach Island.«

Ich werde blass und auch das kann ihr nicht entgangen sein. Aufmerksam betrachtet sie mich, spricht aber weiter.

»Ich wusste, dass es dort ein paar Cinder gibt, und habe geglaubt, bei ihnen Hilfe zu finden. Doch ich hatte mich geirrt.«

»Was meinst du?«, frage ich vorsichtig und sie schaut mich mit verbissener Miene an.

»Sie verstießen mich. Sie gaben mir die Schuld am Ausgang des Aufstands, an den vielen Toten und der nach der Schlacht noch auswegloseren Situation der Cinder. Sie ließen mich wissen, dass sie mich umbringen würden, wenn ich es noch ein einziges Mal wagen sollte, mich ihnen zu nähern.«

Mein Magen wird klein und fest und ich schlucke schwer. Was, wenn Jasper, Thea, Finn und all die anderen die ganze Zeit über wussten, dass meine Mum da war? Ganz in der Nähe? Mein Herz rast und meine Hände werden schwitzig.

»Ich habe mich eine Weile durchgeschlagen«, hebt Mum erneut an und ich blinzle, um mich wieder auf ihre Worte konzentrieren zu können. »Dann verlor ich allerdings meinen Job und kurz darauf meine Wohnung. In meiner Verzweiflung fand ich einen Unterschlupf in einem abgelegenen, verlassenen Hof und lebte wie eine Einsiedlerin von dem bisschen, das ich anbauen konnte, und von den Gelegenheitsjobs, die ich bekam. Und dann, an einem schrecklichen Tag mitten im schlimmsten Gewitter, steht plötzlich dieses Mädchen vor mir und sieht aus wie meine Tochter.«

Wie vom Donner gerührt sitze ich kerzengerade im Bett und starre sie an. »Auf dem Hof? Das warst du?« Sie war die ganze verfluchte Zeit über auf diesem Hof?

»Ich dachte, du wärst einer von ihnen, und wir hatten die stille Vereinbarung, dass sie das Grundstück nicht betreten. Ich ließ sie in Frieden und sie mich. Aber du warst keine von ihnen. Ich wusste nicht, was ich denken sollte oder ob ich vielleicht einfach den Verstand verloren hatte.«

»Also warst du es, die mich von der Klippe gerettet hat?«

»Ja, ich habe dich in die Scheune gebracht und das Feuer angezündet. Dann kam dieser … dieser bärtige Cinder und hat sich um dich gekümmert. Er schien dich zu kennen und hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, dir schaden zu wollen, also habe ich ihm nichts getan. Ich … Ich hatte solche Angst, Emma. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste ja nicht einmal, ob du es wirklich warst. Deshalb bin ich noch in dieser Nacht zurück in die Stadt gegangen. Ich hab überall nach Arbeit gefragt, alles versucht, bis ich schließlich genug Geld hatte, um zurückzukehren. Ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwarten oder wen ich hier antreffen würde. Als Liam mir erzählt hat, was passiert ist …« Sie stockt und schlägt sich die Hände vor den Mund. »Es ist alles meine Schuld. Alles, was dir widerfahren ist. Ich hätte niemals weggehen dürfen. Ich hätte diesen Mistkerl Ian umbringen müssen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich hätte bei dir bleiben und eine Mutter sein sollen. Stattdessen –«

»Mum … Du warst eine Mutter!«, unterbreche ich sie, rutsche an den Rand des Bettes und stehe auf. Ich zwinge ein Lächeln auf meine Lippen und trete dicht an sie heran. »Wir können an dem, was geschehen ist, nichts mehr ändern, okay? Aber wir können es jetzt besser machen.«

Sie nimmt meine Hände in ihre, dreht und wendet sie und ihr Blick bleibt an meinen Narben hängen. »Liam hat es mir gestern erzählt. Er wusste nichts davon, Emma. Wirklich. Er ist ein lieber Junge. Er hat mir immer geholfen. Dasselbe würde und will er auch für dich tun.«

Mein Nacken prickelt bei diesen Worten. »Was das angeht, bin ich mir noch nicht so sicher. Wir sollten momentan ganz genau abwägen, wem wir vertrauen.«

»Er ist mein Sohn. Dein Bruder. Ich denke, wir können ihm vertrauen.« Ihre Stimme klingt etwas gekränkt.

Da ich keinesfalls einen Streit vom Zaun brechen möchte – schon gar nicht jetzt –, lenke ich ein und murmle ein halbherziges »Okay«, woraufhin sich ihre Miene zumindest ein wenig entspannt. Sie blinzelt und wischt sich die letzten Tränenspuren von den Wangen.

»Hast du Hunger?«, fragt sie leiser als eben noch und ich nicke. »Pancakes?«

»Wie könnte ich dazu Nein sagen?«, murmle ich, bevor sie mich zu einer langen, aber dennoch zurückhaltenden Umarmung an sich heranzieht.

Alles wird gut, denke ich und vertreibe den leisen, ziehenden Zweifel, der wissen will, wie zur Hölle das alles weitergehen oder jemals gut werden soll.

Drei

Als wir die Küche betreten, sitzt Dad am Küchentisch. Vor sich eine Zeitung und eine Tasse mit dampfendem Kaffee. Zartes Sonnenlicht schimmert durch die schmalen, schmutzigen Fenster, fällt auf den zerkratzten, nur notdürftig gereinigten und stellenweise verdreckten Boden und auf die von Flecken und Kratzern übersäte Oberfläche des Tisches. Versunken in seine Zeitung, den Kopf geneigt und die Augenbrauen konzentriert zusammengezogen, sieht er dem Dad aus meiner Erinnerung, dem guten Dad, so ähnlich, dass es mir für einen Moment den Atem raubt und meine Brust erneut eng wird. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und suche am Türrahmen Halt.

Das ist der Moment, in dem er aufblickt und so was wie ein inneres Leuchten sein Gesicht strahlen lässt. Eines, von dem ich dachte, dass ich es niemals wiedersehen würde. Doch dieses Strahlen gilt natürlich nicht mir, sondern Mum, die sich langsam von mir löst und elfengleich auf ihn zuschwebt. Er streckt ihr die Hand entgegen, sie ergreift sie und er haucht einen sanften Kuss auf ihre Haut, während sie sich kichernd wie ein Schulmädchen hinter ihn stellt und ihre Hand dabei zärtlich seinen Nacken streift. Dad ist kaum wiederzuerkennen. Nichts erinnert mehr an den Mann, der mich früher tagelang ignoriert, meine Existenz beinahe vergessen hat. Der Mensch, der nun vor mir sitzt, verehrt meine Mutter wie eine Heilige und alles an ihm zeigt deutlich, dass mit ihr das Einzige in sein Leben zurückgekehrt ist, dass ihm überhaupt einen Sinn gibt. Er liebt sie – und sie liebt ihn.

Das Ziehen, das sich bei diesem Anblick in meinen Eingeweiden ausbreitet, verdeutlicht mir, dass dieser Moment hier genau das ist, was ich immer wollte. Dieses nicht greifbare, unbeschreibliche Etwas, das die beiden schon damals verband und mich seit jeher faszinierte. Sie strahlen zusammen.

Mein ganzes Leben lang habe ich nach dieser besonderen Wärme gesucht, die zusammen mit Mum verschwunden war – und sie doch nie gefunden. Zumindest nicht so ganz. Vielleicht den Ansatz davon. Damals. In der letzten Nacht im Internat. In Quinns Zimmer. In der Abgeschiedenheit dieses winzigen Augenblicks, in der Wärme seiner Umarmung und in dem Vertrauen, das ich in ihn gesetzt hatte. Doch wenige Stunden später hatte ich all das bereits wieder verloren.

»Schätzchen, komm, setz dich«, flötet Mum lächelnd und reißt mich aus meinen düsteren Gedanken. Sie löst sich von Dad und huscht hinüber zur Küchenzeile, begleitet von seinem sehnsüchtigen Blick. Ich komme ihrer Aufforderung mit steifen Gliedern nach und nehme Dad gegenüber am Tisch Platz. Er weiß offensichtlich nicht, wie er sich verhalten soll, und starrt in seine Zeitung.

»Wo ist eigentlich Will?«, frage ich wie beiläufig, woraufhin Mum nur kurz mit den Schultern zuckt.

»Will sagte, er müsse noch ein paar Dinge klären oder irgendwas besorgen oder so. Du sollst dir keine Sorgen machen. Er ist bald wieder da.«

Ich kann meine Erleichterung kaum verbergen und ein winziges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er nach dem Debakel mit Quinn endgültig verschwunden wäre.

»Und Riley? Geht es ihr gut?«

Dieses Mal zögert sie mit ihrer Antwort und gibt vorerst nur ein undeutliches Schnauben von sich. »Ihresgleichen erholt sich ziemlich rasch.«

Ich kann mir nicht helfen, aber es klang irgendwie merkwürdig, wie sie ›ihresgleichen‹ gesagt hat. »Ist sie bei Quinn?«, frage ich dennoch ohne Vorwurf in der Stimme, sondern einfach nur neugierig.

Dennoch lässt Mum, begleitet von einem leisen, aber deutlich genervten Schnauben, die Schultern sinken und fischt in einem der Schränke nach einer Schüssel. »Ich weiß es nicht, Schätzchen. Wirklich. Keine Ahnung. Sie ist jedenfalls nicht hier. Sie hat die Hütte verlassen und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.« Routiniert schlägt sie ein paar Eier auf und lässt deren Inhalt in die bereitgestellte Schüssel gleiten. Trotzdem schafft sie es, mich nebenbei mit einem ziemlich intensiven Seitenblick zu bedenken. »Und wo Liam ist, willst du nicht wissen?«

Hoffentlich weit weg, ist wahrscheinlich nicht die Antwort, die sie hören möchte. Deshalb schlucke ich sie herunter und zwinge ein Lächeln auf meine Lippen.

»Ich wollte gerade nach ihm fragen«, nuschle ich zuckersüß und ignoriere die feinen Härchen in meinem Nacken, die sich angesichts meiner Lüge aufstellen.

»Dein Bruder ist zurück im Internat und sorgt dafür, dass unser Geheimnis weiterhin ein Geheimnis bleibt.«

Die Betonung unseres Verwandtschaftsverhältnisses entgeht mir keinesfalls, aber nie im Leben werde ich ihn als meinen Bruder akzeptieren.

»Welches Geheimnis?«, frage ich, um abzulenken. Mit Erfolg.

»Na, dass du zurück in Thiernan bist. Von mir ganz zu schweigen. Er sagte mir, er hätte mit dir gesprochen. Über Ezra«, murrt Mum und augenblicklich verkrampfen meine Nackenmuskeln aufs Neue.

»Er hat mir von seinem Verdacht erzählt, richtig.« Sein Verdacht, dass Ezra derjenige sein könnte, der falschspielt und im Hintergrund die Fäden zieht. Etwas, das ich nicht einmal im Traum in Betracht ziehen würde.

»Es ist mehr als das, Emma. Vertrau ihm bitte. Du setzt am besten keinen Fuß vor die Tür, ehe die Sache geklärt ist.«

Na großartig. Als würde es nicht reichen, dass Will und Quinn um mich herumscharwenzeln wie zwei Schäferhunde, habe ich jetzt auch noch eine überfürsorgliche Mutter im Nacken, die mich auf Schritt und Tritt bewachen wird. Das dürfte den beiden ja außerordentlich gut gefallen.

Weil ich begreife, dass Widerworte rein gar nichts bringen würden, schweige ich und hoffe, dass sich das Thema von selbst erledigen wird. Mum offenbar auch, denn sie beginnt ohne weitere Diskussionen und mit geübten Handgriffen den Teig für die Pancakes zusammenzurühren. Und während sie beschwingt mit dem Schneebesen in der Schüssel hantiert, entsteht eine unbehagliche Stille im Raum. Die Art Stille, die körperlich fast wehtut, weil man weiß, dass tausend ungesagte Dinge in der Luft hängen. Doch der Mann, der die ganze Zeit über still am Tisch mir gegenübersitzt – so bekannt und fremd zugleich –, wagt es noch immer nicht, den Blick von seiner Zeitung zu heben und mich anzusehen. Genau genommen hat er das seit gestern nicht ein einziges Mal getan. Doch ich sehe ihm die Nervosität deutlich an und spüre seine Angst. Angst davor, dass Mum erfahren könnte, was für ein Vater er nach ihrem Verschwinden gewesen ist.

Als hätte sie unsere Anspannung gespürt, wendet sie sich zu uns um und strahlt – vermutlich angesichts ihrer wiedervereinten Familie – wie ein Honigkuchenpferd.

»Ihr seid so still. Was ist los?«, fragt sie fast schon ein wenig überdreht, so als wüsste sie, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich räuspere mich, stehe auf und schenke mir ein Glas Wasser ein, um zu überspielen, wie nervös mich all das macht. »Ihr müsst mir unbedingt erzählen, was in den letzten Jahren passiert ist. Wie es euch ergangen ist und wie das alles«, sie macht eine hektische Handbewegung in meine Richtung, »überhaupt so weit kommen konnte. Immerhin wollte ich nie, dass du Teil dieser ganzen Sache wirst. Ich dachte ehrlich gesagt, dein Vater würde dir da etwas energischer ins Gewissen reden, Schätzchen.«

Als wieder niemand etwas sagt, unterbricht sie das Rühren und schaut prüfend erst zu mir, dann zu Dad. »Ihr habt doch darüber gesprochen, oder nicht?«, fragt sie ein wenig zögerlicher und ihr rechter Mundwinkel zuckt leicht, während ihr offenbar ein schlimmer Gedanke kommt. »Ich … Ihr hattet doch Kontakt, oder?« Nun liegt pure Angst in ihrem Blick und die Knöchel der Hand, mit der sie den Schneebesen umfasst, werden weiß. Ich schlucke schwer und nicke schließlich, werfe Dad einen kurzen, verschwörerischen Blick zu und lächle.

»Machst du Witze, Mum? Natürlich hatten wir Kontakt. Was denkst du denn?« Quinn hätte sofort erkannt, dass ich lüge. Wahrscheinlich hätte jeder, der mich länger als einen Tag kennt, gewusst, dass ich lüge. Vielleicht weiß sie das auch. Dennoch sage ich, was sie hören will. Was sie hören muss. Ich sage genau das, was die Wärme, die bis eben diesen Raum erfüllt hat, am Leben erhält. Ich will nicht, dass sie ihn mit meinen Augen sieht. Ich will nicht, dass sie noch mehr Schuldgefühle hat als ohnehin schon. Also spiele ich das Spiel weiter, setze mich zurück an den Tisch, greife über die unebene, an mehreren Stellen aufgebrochene Holzoberfläche nach seiner Hand und umschließe sie lächelnd. »Sicher nicht mehr so häufig wie früher, aber das gehört wohl dazu, wenn man erwachsen wird. Nicht wahr … Dad?«

Er ist kalkweiß und Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Für einen Moment blinzelt er mich überrascht und fassungslos an, doch er fängt sich schnell und legt seine freie Hand auf meine, um sie zu tätscheln. Unser Plan geht auf: Mum beruhigt sich augenblicklich, die Panik verschwindet aus ihrem Blick und ihre Schultern sinken ein Stück herab. Beschwingt wie zuvor nimmt sie das Rühren wieder auf und ein seliges Lächeln liegt auf ihren Lippen.

»Und ja, er hat natürlich versucht es mir auszureden. Er hat mir erzählt, dass du es nicht gewollt hättest und dass er es auch nicht will. Er hat … Angst um mich gehabt, denke ich. Immerhin hätte ich sterben können«, flüstere ich und beobachte, wie er mit jedem Wort wieder blasser wird. Zögerlich lässt er meine Hand los und sinkt auf seinem Stuhl zurück. Wie gut, dass Mum ihn jetzt nicht sieht, denn er kann nicht verbergen, wie wenig ihm bisher bewusst war, was aus mir wird … oder vielmehr: Was aus mir geworden ist.

Und eigentlich galten meine letzten Worte auch gar nicht ihm, sondern vielmehr Ezra. Denn er war es, der es mir ausreden wollte. Ezra war es, der mir von Mum und davon erzählt hat, dass sie das alles nicht für mich gewollt hatte. Er ist es gewesen, der Angst um mich hatte. Er ist mir in den wenigen Monaten, die ich im Internat verbracht habe, mehr ein Vater gewesen als mein Dad in all den Jahren davor. Und wahrscheinlich frisst der Gedanke, dieser Mann, Ezra, könnte mich belogen haben – ja, vielleicht sogar eine Gefahr für mich darstellen – gerade deshalb ein schmerzhaftes Loch in meine Eingeweide. Ich habe Mühe, das Brennen in meinen Augen unter Kontrolle zu halten.

»Wisst ihr, das hat mich die ganze Zeit am Leben gehalten«, säuselt Mum, während der erste Pancake in der Pfanne Farbe annimmt und den Geruch von karamellisiertem Zucker verströmt. Sie wendet sich zu uns um und lächelt wieder. So breit, dass mir das Herz schwer wird. »Zu wissen, dass ihr zumindest noch einander habt.«

Ich nicke, bringe jedoch wieder kein Wort heraus und schiebe die Tränen, die mir über die Wangen kullern, auf die Gefühlsachterbahn, die mit dieser Familienzusammenführung einhergeht. Glücklicherweise scheint sie mir und Dad unsere kleine Show abzunehmen. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, dieser Farce zu entkommen, und schiebe mir wenig später ohne großen Appetit ein Stück Pancake nach dem anderen in den Mund. Emotionslos. So lange, bis der Teller leer ist. Und währenddessen muss ich darum kämpfen, die mühsam erkämpfte Fassade aufrechtzuerhalten. Ich lächle, lache über Witze und spiele mit. Ihr zuliebe. Weil es das ist, was sie glücklich macht, und ich gern sehe, dass sie glücklich ist.

Dennoch fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich eine bekannte Stimme vor der Tür höre. Sofort sitze ich kerzengerade am Tisch, in freudiger Erwartung einer Unterbrechung unserer Dreisamkeit, einer Ausrede, um diesem Theater entkommen zu können. Während ich es kaum erwarten kann, dass der Knauf sich dreht, ist Mum plötzlich erstaunlich angespannt. Die Finger, die eben noch locker auf meinem Unterarm lagen, bohren sich nun schmerzhaft in meine Haut und ich muss mich mit sanfter Gewalt aus ihrem Griff befreien.

»Mum, das ist nur …«, hebe ich an, höre aber in diesem Augenblick das Knarzen der Tür, wende den Kopf und schaue nicht etwa, wie erwartet, in Quinns Gesicht, sondern in ein anderes. Ein sehr bekanntes. Eines, das mein Herz für zwei oder drei Schläge aussetzen lässt. »… Jasper«, flüstere ich fassungslos und brauche einen winzigen Moment, um zu begreifen, dass es wirklich und wahrhaftig Jasper ist.

Und dann springe ich vom Tisch auf. So ruckartig, dass mein Stuhl gegen die Wand dahinter knallt und umkippt. Doch das ist mir egal. Ich sprinte durch die kleine Küche, springe ihm entgegen, schlinge die Arme um ihn und drücke mein Gesicht keuchend in die Mulde zwischen seiner Schulter und seinem Hals. Jasper schwankt einen Moment und ist offenbar mit meinem emotionalen Ausbruch ein wenig überfordert. Doch nach kurzem Zögern erwidert er meine Umarmung und drückt mich an sich. »Scheiße, Emma, eigentlich wollte ich dich gerade anschreien«, brummt er leise und sogar eine Spur amüsiert in mein Ohr, während ich ein Geräusch von mir gebe, das Schluchzen und Lachen zugleich ist.

»Warum denkst du, mache ich das hier wohl, hmm?«

Ein tiefes Brummen bringt seine Brust zum Vibrieren und seine Umarmung wird für einen Moment etwas fester, ehe er sich langsam aufrichtet und ich widerwillig die Arme sinken lassen muss. Doch ich schaffe es nicht, den Blick von ihm zu lösen. Sein Haar ist zu einem unordentlichen Zopf gebunden und an den Seiten nicht mehr ganz so kurz geschoren, wie ich es in Erinnerung habe. Sein Bart ist allerdings kürzer und mindert den wilden Eindruck ein wenig.

»Du siehst gut aus«, schniefe ich, noch immer nah dran, erneut in Tränen auszubrechen. »Für einen Toten, meine ich.«

»Es braucht schon mehr, um mich aus dem Weg zu räumen«, raunt er. Trotzdem tauchen die Bilder von damals ungebeten vor meinem inneren Auge auf. Fox, die anderen beiden und ein lebloser Jasper vor mir auf dem Boden liegend. Augenblicklich wird mir kalt und ein Schauer rieselt über mich hinweg, sodass ich die Arme um mich schlinge, um die Kälte zu vertreiben. Dabei fällt sein Blick auf meine Narben und für einen Moment weiten sich seine Nasenlöcher, und sein Blick wird starr und dunkel. Augenblicklich verberge ich meinen Makel und verfluche mich dafür, nichts angezogen zu haben, das die Narben verdeckt.

»Mum … Mum hat Pancakes gemacht und es sind noch einige übrig. Setzt euch doch.« Meine Ablenkung fällt nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden und so ist es wohl eher Höflichkeit, die Jasper dazu bewegt, meiner Einladung zu folgen. Was nicht bedeutet, dass wir dieses Gespräch nicht später ausgedehnt weiterführen werden. Jetzt aber schiebt er sich mit starrer Miene an mir vorbei und nähert sich dem Tisch. Währenddessen schält er sich aus seiner Jacke, entblößt seine eindrucksvollen, vollständig tätowierten Arme und ignoriert gekonnt die Blicke, die meine Mum und mein Dad erst ihm und dann mir zuwerfen. Er grüßt formvollendet höflich, fragt, ob er sich dazusetzen dürfe, und wertet ihr eingeschüchtertes Nicken als Zustimmung.

Ich für meinen Teil wende mich Quinn zu, der noch immer an der Eingangstür steht und das Geschehen leicht amüsiert verfolgt. Zumindest so lange, bis er meinen Blick auffängt und sein Lächeln sofort verliert. »Ich … Ich hab ihn nur hergebracht, weil er … sonst … mit dem Taxi hätte fahren müssen und … na ja, er ist nicht gerade unauffällig. Ich bin gleich wieder weg, keine Sorge.«

Der Kloß, der sich in meiner Kehle bildet, ist schmerzhaft. Aber er gehört mittlerweile zu mir, sodass ich gelernt habe ihn weitestgehend zu ignorieren. »Sei nicht albern. Ich war betrunken und erinnere mich nicht einmal an die Hälfte unserer Unterhaltung von gestern.« Ich hole tief Luft und befeuchte meine Lippen. »Ich will nicht, dass du gehst, okay?«

Seine Augen leuchten kurz auf und da ist es wieder – sein Lächeln. Winzig, aber vorhanden.

Ich greife nach seinen Händen, stelle mich auf die Zehenspitzen und hauche einen zarten Kuss auf seine Wange. Quinn versteift sich. Offenbar hat er nicht mit einer solchen Geste gerechnet.

»Wofür war der?«

»Du bist das Risiko eingegangen, einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Erinnerst du dich?«

Quinn grübelt kurz und dann fällt ihm Jaspers Drohung offenbar wieder ein – die, was mit ihm passiert, wenn ich das Haus verlasse und Liam begleite. Da ich beides getan habe, war das Abholen von Jasper wahrscheinlich keine besonders angenehme Aufgabe für Quinn. Meine Vermutung wird durch den Blick bestätigt, den Quinn dem pancakeverschlingenden Wikinger nun zuwirft. Ich folge ihm und Wärme durchflutet mich.

»Danke, dass du ihn hergebracht hast«, raune ich dicht an seiner Seite und Quinn gluckst leise.

»Dein ›Danke‹ überlegst du dir mit Sicherheit ziemlich bald noch mal«, knurrt er grinsend, bevor er sich abwendet, um Jasper dabei zu helfen, die restlichen Pancakes zu vernichten.

Vier

Das restliche Frühstück verläuft eher wortkarg und die beschwingte Stimmung, die meine Mutter eben noch verbreitet hat, ist ebenso verschwunden wie der Berg Pancakes, den sie zubereitet hat. Satt wirkt Jasper dennoch nicht, denn er wirft immer wieder einen sehnsüchtigen Blick zum Kühlschrank.

»Emma, kann ich dich kurz sprechen?«, unterbricht Mum meine amüsante Beobachtung. Ich schrecke hoch, blinzle und nicke schließlich. Sie erhebt sich, lächelt sowohl Quinn als auch Jasper verkrampft an und schiebt mich dann sanft zurück in das Zimmer, in dem ich vorhin aufgewacht bin und das direkt an die Küche grenzt.