Charlottes Traumpferd 2: Gefahr auf dem Reiterhof - Nele Neuhaus - E-Book

Charlottes Traumpferd 2: Gefahr auf dem Reiterhof E-Book

Nele Neuhaus

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Beschreibung

Ein neues Pferde-Abenteuer von Spiegel-Besteller-Autorin Nele Neuhaus!

Als Charlottes Traumpferd endlich in Deutschland ankommt, kann sie es kaum erwarten, Won Da Pie ihren Freundinnen zu zeigen. Doch besonders Inga scheint ihr das neue Glück nicht zu gönnen. Und sie ist nicht die Einzige. Kurz vor dem Reiterabzeichen macht sich ein Unbekannter an Charlottes Sattel zu schaffen. Als dann noch ein geheimnisvoller Brief auftaucht, ist Charlotte klar: Jemand will ihr schaden. Aber sie gibt nicht auf und macht sich auf eine gefährliche Spurensuche ...

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Seitenzahl: 244

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Das Buch

Noch ein paar Stunden und ihr Traumpferd würde endlich da sein! Charlotte ist überglücklich und kann es kaum erwarten, Won Da Pie ihren Freundinnen zu zeigen. Doch nicht alle scheinen ihr dieses Glück zu gönnen. Kurz vor dem Reitabzeichen macht sich ein Unbekannter an Charlottes Sattel zu schaffen. Als dann noch ein geheimnisvoller Brief auftaucht, ist Charlotte klar: Jemand will ihr schaden. Eine gefährliche Spurensuche auf dem Reiterhof beginnt.

Die Autorin

© Felix Bruegemann

Nele Neuhaus, geboren in Münster/Westfalen, lebt heute im Taunus. Sie reitet seit ihrer Kindheit und schreibt bereits ebenso lange. Nach ihrem Jurastudium arbeitete sie zunächst in einer Werbeagentur, bevor sie begann, Erwachsenenkrimis zu schreiben. Mit diesen schaffte sie es auf die Bestsellerlisten und verbindet nun ihre zwei größten Leidenschaften: Schreiben und Pferde. Ihre eigenen Pferde Fritzi und Won Da Pie standen dabei Pate für die gleichnamigen vierbeinigen Romanfiguren.

Mehr über Nele Neuhaus: www.neleneuhaus.de

Nele Neuhaus auf Facebook: www.facebook.com/neleneuhausbuecher/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch! Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren: www.planet-verlag.de

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Viel Spaß beim Lesen!

»Charlotte! Da bist du ja wieder!« Frau Friese, die Mutter meiner besten Freundin Dorothee, lächelte freundlich, als sie die Haustür öffnete und mich erkannte. »Wann seid ihr zurückgekommen?«

»Hallo, Frau Friese.« Ich trat aufgeregt von einem Fuß auf den anderen und wäre am liebsten an ihr vorbei direkt in Doros Zimmer gestürzt, um ihr sofort die sensationelle Neuigkeit mitzuteilen. »Vor einer Viertelstunde. Ist Doro da?«

Während der langen Fahrt von Noirmoutier nach Bad Soden hatte ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt, meinen Vater um sein Handy zu bitten, damit ich Doro anrufen und ihr von Won Da Pie erzählen konnte. Aber ich hatte der Versuchung widerstanden, nicht zuletzt deshalb, weil mein älterer Bruder Phil mit großen Ohren neben mir gesessen und sich todsicher über mich lustig gemacht hätte.

»Nein, sie ist nicht da«, antwortete Frau Friese. »Dreimal darfst du raten, wo sie ist.«

»Im Reitstall?«

»Natürlich. Wo sonst?« Frau Friese verzog in gespielter Verzweiflung das Gesicht. »Seit sechs Wochen findet man sie nirgendwo anders mehr.«

Das konnte ich gut verstehen. Immerhin wohnten wir kaum hundertfünfzig Meter vom Reitstall entfernt, Doro, die Tochter unserer Nachbarn, sogar nur hundert Meter.

Vor vier Wochen hatte ich meine Eltern angebettelt, den Sommer über bei Frieses bleiben zu dürfen, denn ich hätte auch so gerne das Reitabzeichen gemacht und jeden Tag im Reitstall verbracht, aber da hatte es natürlich keine Diskussion gegeben. Zum Glück, wie ich jetzt dachte, denn sonst hätte ich den wohl tollsten Sommer meines Lebens verpasst.

»Alles klar«, sagte ich zu Frau Friese. »Danke!«

Ich wollte mich schon umdrehen, doch sie hielt mich zurück.

»Charlotte, warte mal. Ich möchte dir etwas sagen«, begann sie nach einem kurzen Zögern. Sie druckste ein bisschen herum. »Es … es hat sich überraschend etwas ergeben.«

Bei mir auch, dachte ich, schwieg aber.

»Doro fürchtet, du könntest böse auf sie sein«, fuhr unsere Nachbarin fort. »Aber es musste plötzlich alles ganz schnell entschieden werden.«

Jetzt war ich echt neugierig, was sie mir Geheimnisvolles zu erzählen hatte. Wieso sollte ich auf meine beste Freundin böse sein?

»Was ist denn passiert?«, wollte ich wissen.

Doros Mutter suchte nach den passenden Worten, und was sie dann sagte, versetzte mir einen Schock.

»Nun ja, hm, Ingas Eltern und wir haben vor drei Wochen ein Pferd gekauft.«

Ich starrte Frau Friese an, als hätte sie mir gegen das Schienbein getreten. Für einen Moment hatte es mir echt die Sprache verschlagen.

»Das … das ist ja toll«, brachte ich nur mühsam heraus. Seit Ewigkeiten schmiedeten Doro und ich Pläne, uns gemeinsam ein Pferd zu kaufen, wir sparten jeden Cent für diesen Traum. Jetzt hatte sie also ein Pferd zusammen mit Inga, nur weil ich vier Wochen im Urlaub und weit weg gewesen war. Wenn es sich nicht zufällig vor ein paar Tagen ergeben hätte, dass auch meine Eltern mir ein Pferd gekauft hätten, so wäre ich wahrscheinlich in diesem Augenblick vor Enttäuschung in Tränen ausgebrochen. Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals und in einer Ecke meines Herzens flammte Zorn auf. Ich gönnte meiner besten Freundin ein eigenes Pferd, darum ging es mir gar nicht. Aber hätte sie das nicht in dem Brief, den ich in der letzten Woche auf Noirmoutier von ihr bekommen hatte, wenigstens erwähnen können? Kein Wort hatte sie davon geschrieben! Warum nicht?

»Lotte, sei nicht böse auf Doro«, bat Frau Friese mich. »Weißt du, Inga und Doro haben zufällig eine Verkaufsanzeige im Internet gesehen, und Inga kannte das Pferd von dem Reiterhof im Vogelsberg, auf dem sie schon ein paarmal Reiterferien gemacht hat.«

»Ich bin nicht sauer«, antwortete ich. »Nur … enttäuscht.«

Doros Mutter schien nicht wohl dabei zu sein, dass ihre Tochter und Inga mich so hintergangen hatten. Schließlich war ich Doros beste Freundin, nicht Inga. Sie sah wirklich bekümmert aus.

»Die beiden lassen dich sicherlich auf Corsario reiten«, versuchte sie mich zu trösten.

Ich hatte es mit einem Mal nicht mehr besonders eilig, in den Stall zu kommen. In den letzten Wochen hatte ich fast vergessen, wie es dort tatsächlich war. Meine Eltern glaubten, alle Jugendlichen im Reitstall seien die besten Freunde, aber diese Illusion hatte ich schon lange nicht mehr. Die Wirklichkeit war leider völlig anders. Zwar taten alle immer freundlich, aber insgeheim war jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Gerade unter denen, die kein eigenes Pferd besaßen und nur auf Schulpferden ritten, war die Konkurrenz am größten.

Ich trottete langsam Richtung Reitstall. Wenn ich es mir recht überlegte, war es eine ganz schöne Gemeinheit von Doro und Inga, hinter meinem Rücken zusammen ein Pferd zu kaufen. Inga war immer ein bisschen eifersüchtig auf die Freundschaft zwischen Doro und mir gewesen. Wir wohnten direkt nebeneinander, sie dagegen ein paar Kilometer entfernt im Nachbarort. Oft konnten wir noch länger im Stall bleiben, wenn sie von ihrer Mutter abgeholt wurde. Schon ein paarmal hatte es Streit gegeben, weil Inga sich zwischen uns drängte und der einen Lügenmärchen über die andere erzählte. Und nun, mit dem gemeinsamen Kauf eines Pferdes, meinte sie wohl, es endlich geschafft zu haben, einen Keil zwischen Doro und mich zu treiben.

Wenn Reitlehrer Kessler Wort gehalten hatte – und daran zweifelte ich nicht –, wusste noch niemand etwas von meinem Won Da Pie. Ich beschloss, diese Neuigkeit erst mal für mich zu behalten und meine beiden großartigen Freundinnen eine Weile mit einem schlechten Gewissen herumlaufen zu lassen. Noch hatte ich selbst nicht wirklich begriffen, dass mein Traum von einem eigenen Pferd Realität geworden war. Tatsächlich war es erst drei Tage her, dass ich das größte Abenteuer meines Lebens erlebt und unversehens zur Pferdebesitzerin geworden war.

Ausgerechnet zu Beginn der Sommerferien war mein geliebtes Pflegepferd Gento verkauft worden, einfach so, aus heiterem Himmel. Das hatte mich tief getroffen, und ich hatte mir fest vorgenommen, nie wieder mein Herz an ein Pferd zu hängen. Doch dann war alles anders gekommen. Mit dem festen Vorsatz, kein Pferd mehr anzuschauen, war ich vor vier Wochen mit meiner Familie in den Sommerurlaub auf die französische Atlantikinsel Noirmoutier gefahren. Eines Abends hatte ich eine Gruppe Reiter gesehen, die mit ihren Pferden durch die Dünen hinunter an den Strand geritten waren. Der Anblick, wie sie durch das hoch aufspritzende Wasser der heranbrandenden Wellen im Licht der Abendsonne den Strand entlanggaloppiert waren, hatte meine Sehnsucht sofort geweckt, und ich hatte mich insgeheim geärgert, dass ich meine Reitsachen nicht mitgenommen hatte. Aber Mama hatte sie heimlich eingepackt und am nächsten Tag war Papa mit mir zum Club Hippique, einem Reiterhof auf Noirmoutier, gefahren. Dort hatte ich Reitlehrer Nicolas, seine Frau Véronique, deren Neffen Thierry und dessen Schwester Sophie kennengelernt. Beinahe jeden Ferientag hatte ich im Club verbracht, Pferde und Sattelzeug geputzt, Boxen gemistet und überall mit angepackt. Als Gegenleistung dafür hatte Nicolas mir strengen, aber sehr lehrreichen Reitunterricht auf den unterschiedlichsten Pferden gegeben, aber ich war auch ohne Sattel an der Longe geritten, um meinen Sitz und meine Balance zu verbessern. Ja, es war zweifellos auch dadurch schon der Sommer meines Lebens gewesen! Niemals würde ich meinen allerersten Galopp am Strand vergessen, im Sattel von Brunette, einem ehemaligen Rennpferd. Oder das Wettrennen, das ich mit Le Zaza gegen Thierry gewonnen hatte! Am Anfang hatte ich noch ziemlich hilflos im Sattel gesessen, denn ich war keine besonders gute Reiterin und kein bisschen mutig, aber es war immer besser geworden. In den vier Wochen war ich fast jeden Tag geritten und hatte unglaublich viel gelernt, es kam mir fast so vor, als sei mindestens ein halbes Jahr vergangen, seitdem ich deprimiert nach Frankreich gefahren war!

Eines von Nicolas’ Pferden, ein sechsjähriger brauner Wallach, hatte mich auf den ersten Blick an Gento erinnert, allerdings nur äußerlich, denn er war längst nicht so sanftmütig und gut erzogen. Nicolas hatte den Braunen gerade gekauft und feststellen müssen, dass das Pferd von seinem Vorbesitzer schlecht behandelt worden war. Tagelang hatte es sich überhaupt nicht anfassen lassen. Schließlich war es mir mit viel Geduld gelungen, sein Vertrauen zu gewinnen, und ich war zum Erstaunen aller die Einzige gewesen, die das Pferd auf seinem Rücken duldete. Heimlich hatte ich ihm den Namen Won Da Pie gegeben und mich jeden Tag um ihn gekümmert. Bei meinem letzten Ausritt an den Strand und durch die Salzsümpfe hatte ich Won Da Pie reiten dürfen. Auf dem Heimweg hatte uns ein heftiges Gewitter überrascht. Véronique, die Reitlehrerin, war mit ihrem Pferd verunglückt und in einen Salzsee gestürzt. Bei Blitz und Donner war ich mit Won Da Pie losgaloppiert und hatte Hilfe geholt. Abends waren Nicolas und Véronique, die sich glücklicherweise nicht schlimm verletzt hatte, zu uns gekommen, um sich bei mir zu bedanken. Sie hatten meinen Eltern angeboten, Won Da Pie an uns zu verkaufen, und zu meiner völligen Verblüffung hatten meine Eltern zugestimmt.

So war es gekommen, dass dieses wunderbare Pferd nun mir gehörte. Am kommenden Montagmorgen würde Won Da Pie in Nantes auf den Lkw einer Pferdespedition verladen, um die Reise nach Deutschland anzutreten! Nicolas hatte ausgerechnet, dass die Fahrt ungefähr dreißig Stunden dauern würde. Spätestens am Dienstag also würde mein Pferd bei mir sein. Und damit würde sich mein ganzes Leben vollkommen verändern! Ich konnte jeden Tag reiten und würde nicht mehr auf eine einzige Reitstunde in der Woche auf einem Schulpferd angewiesen sein.

Auf der langen Fahrt von Noirmoutier hatte ich mir immer wieder ausgemalt, was die anderen im Reitstall für Gesichter machen würden! Simon, Dani, Annika und Susanne, die zu den Älteren im Reitstall gehörten und uns Jüngere entweder wie Luft oder wie ihre Sklaven behandelten, würden zweifellos vor Neid platzen. Bis jetzt war mir gar nicht so recht bewusst geworden, was es wirklich bedeutete, ein eigenes Pferd zu besitzen, doch nun verschlug mir die Aussicht auf die zukünftigen Privilegien fast den Atem.

Montags, wenn für die Schulpferde Stehtag war, konnte ich reiten. Ich musste nicht länger meinen Putzkasten mit nach Hause nehmen, denn mir stand ein Schließfach hinter dem Umkleideraum zu. Wenn ich wollte, konnte ich auf dem Platz reiten oder ins Gelände gehen, und ich konnte jede Reitstunde mitreiten – wie ich gerade Lust hatte. Meine Freude über diese Aussichten war schließlich stärker als meine Enttäuschung.

Auf dem Reitplatz war eine Menge los. Herr Kessler gab Reitstunde, Frau Schlichte und Ralf ritten auf der anderen Hälfte des großen Platzes. Merle longierte auf dem oberen Zirkel ihr Pflegepferd Obermaat. Es war ein vertrauter Anblick, und dennoch hatte ich das Gefühl, hier fremd zu sein. Ich hatte die letzten Wochen in einer gänzlich anderen Welt verbracht und plötzlich vermisste ich Nicolas und Véronique, Sophie, Rémy und … Thierry. Immer wieder musste ich an ihn denken, an seine blauen Augen und sein Grinsen, das zuletzt gar nicht mehr spöttisch, sondern richtig nett gewesen war. Vier Wochen lang hatte er mich geärgert und sich über mich lustig gemacht, aber ich hatte mich von ihm nicht einschüchtern lassen. Und vorgestern, als ich mich von allen im Club verabschiedet hatte, da war er mir bis zum Auto nachgelaufen, er hatte mich völlig unverhofft umarmt und mir sogar eine Visitenkarte mit seiner Telefonnummer und seiner E-Mail-Adresse gegeben. Beim Gedanken daran flatterte ein Schwarm Schmetterlinge durch meinen Bauch. Wie schade, dass er nicht hier sein konnte! Ob es wohl von ihm ernst gemeint war, als er gesagt hatte, ich solle ihn in Paris besuchen?

Ich hatte das Ende der Auffahrt erreicht und holte tief Luft. Was, wenn ich nun nicht mehr Doros beste Freundin sein würde? Wem konnte ich dann von meinen Erlebnissen auf Noirmoutier erzählen, von den Ausritten, meinem abenteuerlichen Ritt durch das Gewitter und von … Thierry?

Vor dem Stall waren ein paar Pferde angebunden, die ich sofort erkannte. Vicky, Quick und Barbados. Doch ein Pferd war mir gänzlich unbekannt. Das musste Corsario sein. Und tatsächlich: Doro und Inga waren damit beschäftigt, den Schimmel zu putzen.

»Lotte!«

Doro ließ Kardätsche und Striegel fallen, als sie mich er-blickte, und lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ihre braunen Locken flogen um ihr strahlendes Gesicht, sie umarmte mich herzlich. Obwohl ich mich eben noch über sie geärgert hatte, freute ich mich doch ehrlich, sie wiederzusehen. In den vergangenen Wochen auf Noirmoutier hatte ich sie häufig vermisst. Mit ihr zusammen hätte vieles noch mehr Spaß gemacht.

»Hallo, Inga!«, rief ich mit gespielter Arglosigkeit dem Mädchen zu, das ich auch immer für meine Freundin gehalten hatte. Nur zögernd, aber mit einem unverhohlenen Triumph in den Augen, kam sie auf mich zu. Ihr linker Arm steckte noch immer in einem Gips. In der ersten Springstunde des Reitabzeichenlehrgangs war sie gestürzt und hatte sich den Arm gebrochen, das hatte Doro mir in ihrem Brief verraten.

»Hey, Lotte«, antwortete Inga.

»Wie war’s in Frankreich?«, erkundigte Doro sich. »Du hast dich ja überhaupt nicht gemeldet! Dabei hast du’s doch versprochen!«

Mist. Damit hatte sie den Spieß umgedreht. Ich hatte es tatsächlich vergessen. Nein, ich hatte ihr mit Absicht nicht geschrieben, weil ich gekränkt gewesen war und eifersüchtig darauf, dass Doro, Inga und die anderen in den Sommerferien das Reitabzeichen gemacht hatten. Ohne mich.

»Was hätte ich dir schon schreiben können?«, erwiderte ich achselzuckend. »Ist nicht viel passiert. Und die Leute in Frankreich kennst du ja gar nicht. Und hier? Gibt’s was Neues?«

Doro und Inga wechselten einen raschen Blick.

»Was denn?«, drängte ich. »Erzählt schon!«

Ich stellte mich mit Absicht unwissend, denn natürlich wäre mir das neue Pferd sofort aufgefallen, selbst wenn ich nicht von Frau Friese informiert worden wäre.

»Es ist … nun ja … wir haben …«, begann Doro verlegen. »Ich hätte es dir gerne gesagt, aber wir hatten die Handynummer von deinem Vater nicht … sonst hätten wir …« Sie brach ab.

»Sonst hättet ihr – was?« Was für eine lahme Ausrede! Ich zitterte innerlich, aber es gelang mir mit gespielt harmloser Neugierde von Doro zu Inga und wieder zurückzublicken.

Es fiel meiner Freundin sichtlich schwer, mir ihren Vertrauensbruch zu gestehen. Sie wusste genau, wie tief mich der Verlust von Gento getroffen hatte, und nun stand sie da vor mir und wand sich vor Verlegenheit, sie, die sonst immer so forsch und unbekümmert war. In ihrem Brief hatte sie keine Silbe von ihrem Pferd geschrieben. Aber sie besaß im Gegensatz zu Inga wenigstens den Anstand, ein schlechtes Gewissen zu haben. Inga konnte nämlich ihr zufriedenes Grinsen nicht unterdrücken. Sie war jetzt eine Pferdebesitzerin, zusammen mit Doro, deren Freundschaft sie immer mehr gewollt hatte als meine. Ich war nur eine lästige Konkurrentin gewesen, zwar eine etwas bessere Reiterin als sie, aber das schien nun erledigt. Als Schulreiterin war ich ihr meilenweit unterlegen. Die Erkenntnis, dass sie so gemein war, ließ mich schlucken. Nicht auszudenken, wie ich mich jetzt gefühlt hätte, würde es Won Da Pie nicht geben! Mit einem Mal war mir der Reitstall, der mir immer eine zweite Heimat gewesen war, unendlich fremd.

»Doro und ich haben zusammen ein Pferd gekauft!«, platzte Inga schließlich heraus. Ihr Grinsen konnte man nur als hämisch bezeichnen.

»Was? Wann denn?« Ich tat vollkommen überrascht, und es gelang mir problemlos, schockiert auszusehen, schließlich war ich es ja auch.

»Vor drei Wochen«, sagte Inga und bestätigte damit, dass Doro mir in ihrem Brief diese Neuigkeit feige verschwiegen hatte. »Da drüben, der Schimmel, das ist unser Corsario.«

»Lotte, ich … ich … äh … es … ich wollte es dir wirklich sagen, damit du nicht plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt wirst«, stotterte Doro und wurde ganz rot im Gesicht.

Ich ging zu dem Schimmel hinüber und betrachtete ihn. Eine große Pferdekennerin war ich zwar nicht, aber ich musste neidlos anerkennen, dass Corsario ein beeindruckendes Pferd war, sicher zwei Handbreit höher als mein Won Da Pie und schneeweiß. Er hatte freundliche dunkle Augen und machte einen gutmütigen Eindruck.

»Das ist euer Pferd?«, vergewisserte ich mich noch einmal.

Die beiden Mädchen nickten – Inga stolz, Doro verlegen.

»Wie heißt er und wie alt ist er denn?«

»Corsario. Er ist fünfzehn«, erwiderte Inga. »Ein Holsteiner. Er hat über zwanzig M-Springen gewonnen.«

»Aha. Und wer von euch reitet mit ihm Springen? Beim Abzeichenlehrgang habt ihr das ja jetzt richtig gelernt.«

Diesen Seitenhieb konnte ich mir nicht verkneifen. Zumindest Inga hatte beim Abzeichenlehrgang nämlich rein gar nichts gelernt, denn sie hatte sich ja gleich zu Beginn den Arm gebrochen.

»Wir teilen uns Corsario«, sagte Inga schnell. »Doro reitet die nächste Springstunde und ich dann, sobald der Gips ab ist.«

»Warum hast du überhaupt einen Gips?«, fragte ich, obwohl ich es natürlich längst wusste.

»Ein Sturz beim Parcourstraining.« Inga winkte lässig ab und tätschelte Corsarios Hals. »Er ist total lieb und süß. Er würde nie bocken oder durchgehen.«

Ich warf Dorothee einen Blick zu und sie senkte die Augen.

»Toll«, sagte ich. »Herzlichen Glückwunsch!«

»Hallo, Charlotte!«, rief in diesem Moment Herr Kessler. Der Reitlehrer hatte die abendliche Unterrichtsstunde beendet und bückte sich unter der Umzäunung des Platzes hindurch.

»Na, wieder im Lande? Wie war der Urlaub?«, fragte er.

»Prima«, erwiderte ich und grinste. Er grinste auch und machte mir ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Wann kommt dein Pferd?«, erkundigte er sich, als wir außer Hörweite der anderen waren.

»Am Dienstagmittag«, antwortete ich. »Er wird am Montag früh in Nantes verladen. Die Fahrt dauert etwa dreißig Stunden.«

»Aha. Hast du gewusst, dass sich deine Freundinnen auch ein Pferd gekauft haben? Ich war etwas erstaunt.« Er blickte zu Inga und Doro hinüber, die neugierig, aber vergeblich die Ohren aufsperrten.

»Inga hat’s mir gleich unter die Nase gerieben.« Ich zuckte die Schultern. »Scheint ein tolles Pferd zu sein. Won Da Pie ist allerdings … ganz anders.«

»Wie meinst du das?«, wollte Herr Kessler wissen. Ob ihn das tatsächlich interessierte?

»Na ja.« Ich zögerte. In Frankreich war es mir nicht aufgefallen, aber Won Da Pie war längst nicht so elegant und gepflegt wie dieser Schimmel. »Er ist erst sechs und ziemlich temperamentvoll. Ich bin ein paarmal in hohem Bogen von ihm heruntergeflogen. Er hat eine ganz berühmte Abstammung, und der Mann, von dem wir ihn gekauft haben, meint, er könnte einmal ein gutes Springpferd werden. Aber noch kann er nicht besonders viel.«

»Mit sechs ist er ja auch noch sehr jung. Kennst du seine Abstammung?«, fragte der Reitlehrer neugierig und ich erinnerte mich, dass er in jüngeren Jahren ein recht erfolgreicher Springreiter gewesen war.

»Der Vater heißt Quidam de Revel, seine Mutter stammt von Le Tôt de Semilly und Starter ab.« Die französischen Namen kamen mir mittlerweile flüssig über die Lippen. »Das sind in Frankreich alles ganz gute Springpferde.«

Herr Kessler riss die Augen auf.

»Ganz gute?« Der Reitlehrer schien plötzlich wirklich beeindruckt. »Das ist wohl die Untertreibung des Jahres!! Wie kommst du zu einem solchen Pferd?«

»Ich … äh … das war eher Zufall«, stotterte ich überrascht.

»Mein lieber Mann!« Er grinste. »Da bin ich ja mal gespannt. Bei dieser Abstammung musst du seine Papiere festhalten, damit sie nicht vom Tisch springen.«

Er lachte über seinen Witz, ich jedoch nicht.

»Was meinen Sie damit?«, fragte ich verwirrt.

»Ich meine«, sagte der Reitlehrer nun wieder ernst, aber voller Begeisterung, »dass diese Hengste, die du aufgezählt hast, zu den besten Springpferdevererbern der internationalen Sportpferdezucht gehören. Der Vater von Quidam de Revel ist Jalisco B, der wiederum von Almé Z abstammt, wie der berühmte Galoubet, der Vater von Rodrigo Pessoas früherem Spitzenpferd Baloubet du Rouet. Aus diesen Linien stammen zig Weltmeister und Olympiasieger!«

Ich kapierte kein Wort, stand nur ziemlich belämmert da und starrte ihn an. So euphorisch kannte ich den Reitlehrer gar nicht! Herr Kessler war sonst eher phlegmatisch und neigte nicht zu Überschwänglichkeit. War das die erste Veränderung, wenn man kein Schulreiter mehr war, sondern ein Privatpferd besaß? Unsere Unterhaltungen hatten sich bisher meistens auf seine Kommandos während des Reitunterrichts und ein freundliches »Guten Morgen!« und »Auf Wiedersehen!« beschränkt.

Leicht benommen blickte ich ihm nach, als er in der Stalltür verschwand.

»Warum hat der Kessler denn so auf dich eingeredet?« Doro stand hinter mir, und ich fuhr erschrocken herum, denn ich hatte sie gar nicht kommen sehen.

»Ach, es ging um … Frankreich«, redete ich mich heraus. Im weitesten Sinne stimmte das ja.

»Lotte«, sagte Doro nun. »Ich weiß, du bist sicher sauer auf mich. Und ich versteh das auch.«

Ich war in Gedanken ganz woanders und wusste im ersten Augenblick überhaupt nicht, was sie meinte.

»Wieso sollte ich denn sauer sein?«, erwiderte ich überrascht.

»Na ja, wegen Corsario.«

»Ach so. Deine Mutter hat’s mir schon gesagt«, gab ich zu. »Ich bin nicht sauer. Vielleicht ein bisschen enttäuscht.«

»Du musst mir glauben, Lotte, ich wollte es echt nicht. Aber Inga hat total genervt. Du weißt ja, wie sie ist, wenn sie irgendetwas unbedingt will.« Doro hob die Schultern und sah so unglücklich aus, dass ich es kaum übers Herz brachte, sie weiter in dem Glauben zu lassen, ich sei wütend auf sie. Vor allen Dingen brannte ich darauf, ihr von Noirmoutier zu erzählen.