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Drei Kurzgeschichten für all diejenigen, die mit Weihnachten wenig bis nichts anfangen können. Sie spielen am Heiligabend, wobei "Der Weg zurück" bereits im Oktober beginnt - in jener Zeit, in der in den Geschäften die Weihnachtsdekoration aufgebaut wird und die übliche Keksmischung den Spekulatius weichen muss. Ob die Protagonisten ihren Weihnachtsabend in der Kneipe verbringen oder am Küchentisch zu Hause - sie sind sich ihrer Einsamkeit an diesem Familientag überdeutlich bewusst. Mit der christlichen Tradition können sie eher wenig anfangen. Stimmt es, dass die Selbstmordraten an Heiligabend in die Höhe schnellen? Und: Würde Jesus heute Weihnachten feiern? Drei Geschichten mit Überraschungseffekt.
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Seitenzahl: 19
Veröffentlichungsjahr: 2016
Norbert Krüger
Christmas Blues
Geschichten für Weihnachtshasser
Impressum
Copyright © 2016 bei Norbert Krüger
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Eben hob die große Glocke der St. Marienkirche ihr Geläut an. Quer durch die Kneipe, hinüber zur Theke, drang ihr tiefer, wabernder Schall, dorthin, wo Stefan nachdenklich den goldgelben Whisky in seinem Glas betrachtete. Seine Gedanken kreisten um seine Familie. Berenice würde jetzt die Lichterkette am Baum anschalten und Leonie und Lucas hereinrufen.
„Bereuen Sie es?“, fragte der Mann auf dem Hocker neben ihm.
Stefan sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Nicht das mit Berenice“, sagte er. „Aber die Kleinen, die vermiss' ich.“
Er ließ seinen Blick in Richtung Fenster schweifen. Unter dem weichen Licht der Laterne schimmerte ein feiner Regen. Nur wenige Menschen huschten zu dieser Zeit noch durch die Stadt. Ab und zu warf der Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Fahrzeugs seinen Strahl gegen die regennasse Scheibe der Kneipe. In der Straßenschlucht zwischen den alten Backsteinbauten hallte der Lärm der Motoren nach. Hinter den Gardinen der Häuser schien das Licht heute Abend wärmer als sonst. Das sind die Kerzen, dachte er. Kerzen geben ein viel wärmeres Licht als Glühbirnen.
Die Vorstellung behagte ihm nicht, noch einmal raus in den Regen und in die leere Wohnung zurückkehren zu müssen. Er sah sich um. Nur wenige Gäste verbrachten diesen speziellen Abend hier, saßen schweigsam an einem der alten Holztische, gebeugt über einen Kaffee oder ein Glas Bier. Aus den Lautsprechern tönte leise Tom Waits‘ „Christmas card from a hooker in Minneapolis“.
„Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen“, fragte sein Nachbar in die Stille hinein. „Die Wahrheit über Weihnachten?“
Stefan sah ihn müde an, ohne zu antworten.
„Weihnachten ist ein einziger großer Betrug“, fuhr der Fremde fort.
Ungewollt musste Stefan lachen. Er gab dem Wirt ein Handzeichen und bestellte ein neues Glas.