Cixi - Heide-Renate Döringer - E-Book

Beschreibung

Die letzten Jahrzehnte des chinesischen Kaiserreichs waren geprägt von inneren Unruhen und Aggression von außen. Die mandschurische Qing-Dynastie endete mit der Einflussnahme der Kaiserinwitwe Cixi auf das politische Geschehen während der Herrschaftsperioden ihres Gemahls, ihres Sohnes und ihres Neffen. Während dieser Zeit bestimmte sie dreimal als Regentin aktiv und offiziell die Politik des Reiches. So erscheint die letzte Kaiserin Chinas, Kaiserinwitwe Cixi (Tzu-Hsi, 1835-1908), als eine der faszinierendsten und facettenreichsten Frauen des letzten Jahrhunderts. Jahrzehntelang wurde Cixi einem westlichen Publikum von männlichen Autoren als machtgierige, mordende, sexbesessene Hexe dargestellt, obwohl die Männer die Kaiserinwitwe nie selbst getroffen hatten. Zum Ende ihrer Regierungszeit lud Cixi einige Damen zu persönlichen Besuchen in die Verbotene Stadt ein. Die Schilderungen dieser Frauen erlauben einen Einblick in das Leben und die Pracht hinter den dicken Mauern. Sie erzählen von Zeremonien und Riten, die jahrhundertelang während jeder Dynastie strikt befolgt wurden, und sie beschreiben den Prunk der Kostbarkeiten, von denen heute nur noch wenige Exponate in den Palastmuseen zu bewundern sind. Die Damen scheuen sich nicht, ein positives Bild dieser einsamen, fremdartigen Kaiserinwitwe zu zeichnen, die sonst nur belächelt, verachtet oder verunglimpft wurde. Aus vielen Mosaikstücken zusammengesetzt, ergab sich das Lebensbild einer faszinierenden Frau, die während der letzten chinesischen Dynastie fast 40 Jahre lang vom Drachenthron aus regierte.

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Für Elean (Sook Han)

I am the Empress Dowager of China.

I am Lao Foye, the Great Old Buddha.

I am Cixi, the Holy Mother.

I am and I was born, Langui, the Orchid.

I am she about whom history will be written.

David Bouchard

Ich bin die Kaiserinwitwe von China.

Ich bin Lao Foye, der Große Alte Buddha.

Ich bin Cixi, die Heilige Mutter.

Ich bin und ich wurde geboren, Langui, die Orchidee.

Ich bin die, über die Geschichte geschrieben werden wird.

Inhalt

Vorwort

Geschichtlicher Hintergrund

Die Qing-Dynastie (1644-1912)

Das Opium

Der 1. Opiumkrieg und der Vertrag von Nanjing (1840-1842)

Der Taiping Aufstand (1850-1853)

Lebensbild einer außergewöhnlichen Frau (1835-1908)

Cixis unbeschwerte Kindheit (1835-1851)

Der Mandschu Clan und die Familie

Eine Konkubine fünften Grades (1851-1853)

Die Verbotene Stadt

Zur Konkubine bestimmt

Das einsame Leben

Eunuchen

Kaiser Xianfeng

Der Sommerpalast

Die Favoritin des Kaisers (1853-1860)

Die Auserwählte

Geburt des Sohnes Zaichun

Geburtstagsfeier

Der 2. Opium-Krieg (1856-1860)

Fremde Teufel stellen Forderungen

Die Arrow

Der Vertrag von Tientsin

Plünderung und Zerstörung des Sommerpalastes

Flucht nach Jehol

Eine junge Kaiserinwitwe (1861-1873)

Das Komplott

Tod des Kaisers Xianfeng

Zaichun wird Kaiser Tongzhi

Hinter dem Gelben Vorhang

Kaiser Tongzhi wird erwachsen (1869-1875)

An Te-hai

Li Lien-ying

Tongzhi und Alute

Abermals Regentin (1875-1898)

Wahl eines Nachfolgers

Kaiser Guangxu

Jahre der Ruhe

Tod der Kaiserin des Ostens

Chinesisch-Japanischer Krieg

Die Hundert-Tage-Reform (1898)

Reformversuche des Kaisers

Der Verrat

Verbannung auf die Insel

Besuch der ausländischen Damen (1898)

Erinnerungen von Sarah Conger

Lady Susan Townley

Mrs. MacDonald

Paula v. Rosthorn

Die Boxer (1895-1900)

Unruhe im Reich der Mitte

Die Missionare

Cixi und die Boxer

Ein heißer Sommer (1900)

Freiherr Clemens von Ketteler

Belagerung der Gesandtschaften

Befreiung

Plünderung und Zerstörung

Flucht nach Xi‘an

Das Boxerprotokoll

Cixis Bild in der westlichen Presse

Rückkehr nach Peking und Öffnung Chinas (1902-1905)

Die Rückreise - Glanzvoller Einzug

Begegnung mit Ausländern:

Der Gesandte A. Mumm v. Schwarzenstein

Familie Yu Ken

Eine Hofdame berichtet (1902-1904)

Der Tag der Kaiserinwitwe

Traditionelle Feste

Die kaiserliche Gärtnerin

Die Fotografie

Mit Fremden befreundet (1898-1908)

Sarah Conger, die Vermittlerin

Katherine A. Carl, die Malerin

Hubert Vos, der Hofmaler

Sir Robert Hart, der Finanzmann

Cixi und die Familie Roosevelt

Ein neues Jahrhundert eine neue Zeit (1902-1908)

Der Russisch-Japanische Krieg

Der Friede von Portsmouth

Viele Reformen

Das Ende der Qing-Dynastie (1908-1911)

Tod des Kaisers Guangxu

Die Kaiserinwitwe besteigt den Goldenen Drachen

Pu Yi, der neue Kaiser

Trauerrituale

Die Grablegung

Das Ende des chinesischen Kaiserreichs

Anhang

Nachwort

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Personenliste

Zeitlinie

Autorenporträt

Vorwort

Die letzten Jahrzehnte des chinesischen Kaiserreichs waren geprägt von der Unzufriedenheit der eigenen Bevölkerung, die zu inneren Unruhen führte, und der Aggression von außen. Imperialistische Gewalt der westlichen Mächte verursachte schließlich den Untergang des chinesischen Kaiserreichs. Die mandschurische Qing-Dynastie endete mit der Einflussnahme der Kaiserinwitwe Cixi auf das politische Geschehen während der Herrschaftsperioden ihres Gemahls, ihres Sohnes und ihres Neffen. Während dieser Zeit bestimmte sie dreimal als Regentin aktiv und offiziell die Politik des Reiches. So erscheint die letzte Kaiserin Chinas, Kaiserinwitwe Cixi (Tzu-Hsi, 1835-1908), als eine der faszinierendsten und facettenreichsten Frauen der letzten Jahrhunderte.

Jahrzehntelang wurde Cixi einem westlichen Publikum als machtgierige, mordende, sexbesessene Hexe dargestellt; man verglich sie mit Messalina, der dritten Frau des römischen Kaisers Claudio, die als ausschweifende Nymphomanin galt, oder mit Jezebel, laut Bibel einem unmoralischen, sexuell bedrohlichen Weib. Mit Referenz zu China schimpfte man sie „Alte Mandschu Odaliske“ (Haremsfrau) oder aber „Niederträchtige Drachenkaiserin“, die jeden vergiften, erwürgen, enthaupten oder Selbstmord begehen ließ, der jemals ihre autokratische Herrschaft in Frage stellte. Das Porträt von Cixi als einer erbarmungslosen, egoistischen Despotin, die mit eisernem Willen 1861 die Macht an sich gerissen hatte, um China ein halbes Jahrhundert lang mit Perversionen, Korruption und Intrigen zu regieren, wurde hauptsächlich von drei westlichen Männern gezeichnet. Da war zum einen Dr. George Ernest Morrison, Peking-Korrespondent der Londoner Zeitung TIMES, der in jenen Zeiten größten Zeitung der Welt. Er war der einzige ganzjährig in Peking ansässige Journalist, der bei gesellschaftlichen Ereignissen allen Klatsch aufschnappte und sich ansonsten auf die Berichte seiner Zuträger verlassen musste. Obwohl er 20 Jahre in China verbrachte, lernte er die chinesische Sprache nicht und konnte deshalb den Wahrheitsgehalt seiner Informationen kaum überprüfen. Somit wurden seine Artikel mitverantwortlich für viele Verleumdungen, die bis heute das Bild der Kaiserinwitwe prägen.

Ihm zu Diensten stand John Ottway Percy Bland, ein Shanghai-Korrespondent der TIMES und Sekretär des Gemeinderats der Internationalen Ansiedlung in Shanghai. Bland las und schrieb perfekt Chinesisch, interessierte sich sehr für Klatsch und lieferte einseitige und falsche Berichte an Morrison.

Der dritte im Bunde war Edmund Blackhouse, ein junger Sprachwissenschaftler, der von Oxford kam und behauptete zwölf Sprachen zu sprechen. Binnen kurzer Zeit lernte er Chinesisch und Mandschu und bewarb sich als Dolmetscher beim Zolldienst. Nebenbei übersetzte er Zeitungsartikel und Dokumente, auf deren Grundlage Morrison ebenfalls seine Artikel verfasste. Nach dem Tod der Kaiserinwitwe 1908 kündete Blackhouse außerordentliche Entdeckungen an, die er angeblich in Archiven und Dokumenten des Hofes gemacht hatte. Im Jahre 1910 brachte er zusammen mit Bland ein Buch heraus mit dem Titel “China under the Empress Dowager“ und 1914 folgte “Annals and Memoirs of the Court in Peking“. Den größten Schaden richtete Blackhouse an, indem er auf hinterhältige Weise das Bild der Kaiserin pornographisch entstellte. Auf diesem Gebiet war er ein Könner, denn schon in England hatte er Briefe mit der Schilderung homosexueller Begegnungen geschrieben und heimlich in Umlauf gebracht. Und so durchzog das Thema der sexuellen Perversion der Kaiserin seine beiden Biografien über Cixi, in denen er sie als ein verworfenes Geschöpf darstellte. Gleichzeitig wurde ihr angelastet, sie habe den Mandschu-Hof so sehr durch Korruption zersetzt, dass dieser unfähig geworden sei, der aggressiven Politik der ausländischen Mächte in den vergangenen Jahrzehnten zu widerstehen. 1974 wurde Edmund Blackhouse als Betrüger und Schwindler überführt und sein Werk als eine einzige Fälschung entlarvt.

Ein Chinese trug ebenfalls zum Negativbild der Kaiserinwitwe bei. Kang Yu-wei, ein Reformist, der zum Ratgeber von Kaiser Guangxu wurde und der verantwortlich zum Scheitern der Hunderttagereform beigetragen hat. Nach seiner Flucht aus China feierte man ihn Anfang des 20. Jahrhunderts in der westlichen Welt als den großen Helden der Reformbewegung. Unbekümmert versorgte er Westeuropäer und Amerikaner mit gefälschten schockierenden Enthüllungen über das geheime Leben einer bösartigen Tyrannin, des „Alten Buddha“.

Ganz anders erschien die Kaiserinwitwe in Briefen und Tagebüchern von Diplomaten, Militärs, Missionaren und Geschäftsleuten sowie deren Ehefrauen. Zwei Herren, die von der Kaiserinwitwe berichteten, trafen sie persönlich, und deshalb sind ihre Aussagen über Aussehen und Verhalten der Herrscherin authentisch. Die ihr wohlgesinnten Herren waren der Zollbeamte Robert Hart, welcher mehr als 40 Jahre in China lebte, und der niederländische Maler Hubert Vos, der Cixi 1905 porträtierte. Der China-erfahrene Missionar und Professor I.T. Headland hatte Einblick in das Leben am Kaiserhof, und er verehrte die Kaiserinwitwe als intelligente Herrscherin in schwierigen Zeiten. Auch der während der letzten Regierungsjahre Cixis in Hongkong lebende Herausgeber der Hongkong Daily Press, P. W. Sergeant, berichtet fundiert und objektiv.

Bei der Recherche zu diesem Buch stellte sich heraus, dass etliche Frauen um die Jahrhundertwende über ihren Aufenthalt in China, über die Belagerung der Gesandtschaften während des Boxeraufstandes und über private Begegnungen mit der Kaiserinwitwe geschrieben haben. Besonders zu erwähnen sind: Der Ling Yu Ken, Sarah Pike Conger, Katherine Carl und Lady Townley. Die schmeichelnden Aussagen dieser Damen wurden von den männlichen Zeitgenossen jedoch als Produkt zielstrebiger Frauen abgetan, die sich von den honigsüßen Worten und wertvollen Geschenken der Regentin beeinflussen ließen. Dabei war Der Ling die erste westlich erzogene Chinesin, die als Hofdame der Kaiserinwitwe zwei Jahre lang in der Verbotenen Stadt lebte und ausführlich von ihren Erfahrungen berichtete. Sarah Pike Conger, die Ehefrau eines amerikanischen Ministers, entwickelte ein fast freundschaftliches Verhältnis zu der alternden Herrscherin, und auch sie erzählte davon in ihrem Buch „Briefe aus China“. Sarah Conger brachte schließlich die amerikanische Malerin Katherine Carl an den Kaiserhof. Katherine Carl residierte als erste Ausländerin mehrere Monate hinter den geheimnisvollen Mauern und malte während ihres Aufenthaltes ein Portrait von Cixi, das um die Welt reiste. Lady Townley bereiste mit ihrem Mann China und schildert mehrere private Treffen mit der Kaiserinwitwe.

Dieses Buch erzählt vom Leben einer Frau, die als Kind unbeschwert in einfachen Verhältnissen aufwuchs, die als junge Frau Konkubine eines Kaisers, dann Mutter eines Kaisers und Ehefrau eines Kaisers wurde, die als Witwe Kaiser bestimmen und Kaiser verbannen konnte und die fast 50 Jahre lang Regentin eines riesigen Kaiserreichs war – und dies alles während der dramatischen politischen Geschehnisse Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Romane und unzählige Geschichten ranken sich um diese faszinierende Herrscherin und geben einen Einblick in die alte traditionelle Lebensweise der Chinesen, die uns Europäer immer noch in Erstaunen zu versetzen vermag. Die geschichtlichen Tatsachen erscheinen heute in einem anderen Licht. Während der deutsche Kaiser von den Chinesen als der „Gelben Gefahr“ sprach, sah der zu Cixis Zeiten lange Jahre in China lebende Missionar und Professor an der Pekinger Univertät, I.T. Headland, die westlichen Alliierten als die „Weiße Gefahr“ an.

Geschichtlicher Hintergrund

Die Qing-Dynastie (1644-1908)

Um Cixi verstehen zu können, nützt es, sich mit der Geschichte Chinas vom 17. bis zum 20. Jahrhundert zu befassen. Obwohl die Han-Chinesen den Hauptanteil der chinesischen Bevölkerung bildeten, wurde seit dem Beginn der Qing-Dynastie vor mehr als 200 Jahren das Land von den Mandschu regiert. Mit dem Machtwechsel hatte es folgende Bewandtnis:

Im Jahre 1644 rief die chinesische Ming-Dynastie die Mandschu zu Hilfe, um die im Lande übermächtigen Rebellen zu vernichten. Die Mandschu-Armee war in „Banner“ unterteilt, ein System, das ursprünglich auf unterschiedliche Stammeszugehörigkeit zurückging. 24 Banner waren nun an der Eroberung Chinas beteiligt; dabei nahmen etwa 170.000 Mann an dem Angriff aus dem Nordwesten des Reiches teil. Das abgehärtete, an Entbehrungen gewöhnte Volk der Mandschu besiegte die Aufständischen, wollte dann aber nicht in die Steppe zurückkehren. Stattdessen setzten die Eroberer Shun-chih, den Sohn ihres Anführers Nurhaci, auf den Drachenthron, um ihren Herrschaftsanspruch zu unterstreichen. Der letzte, kraftlose Ming-Kaiser Chongzhen stieg daraufhin in Peking hinauf zum Pavillon auf dem Aufsichtsberg hinter der Verbotenen Stadt. Während unten die Banditen durch die staubigen Straßen galoppierten, knüpfte er eine gelbseidene Bogenschnur um eine der rotlackierten Holzsäulen und erhängte sich. Seine letzten Worte werden folgendermaßen wiedergegeben:

„Schwach und wenig tugendhaft habe ich den Himmel beleidigt. Weil ich mich von meinen Ministern täuschen ließ, haben Rebellen meine Hauptstadt eingenommen. Ich sterbe zu beschämt, um meinen Ahnen zu begegnen. Ohne Kopfbedeckung, mit übers Gesicht hängenden Haaren, so möge mein Leib von den Rebellen gevierteilt werden..“1

Die Mandschu-Herrscher übernahmen die konfuzianische Ethik und den buddhistischen Glauben dieser höchst zivilisierten Gesellschaft, die sie besiegt hatten. Hierin hatte der Kaiser ein zweifaches Mandat: Auf religiösem Gebiet war er der Sohn des Himmels, die Verbindung zu den Göttern und Ahnen, auf Erden musste er das Land gerecht regieren. Die neuen Herrscher stützten sich weiterhin auf das Mandarinat, das heißt, auf die Klasse der Beamten, welche die kaiserlichen Prüfungen erfolgreich abgelegt hatten. Alle Minister und Beamten trugen zur ihrer eindeutigen Identifizierung eine runde Kappe in unterschiedlichen Farben und mit Juwelen geschmückt, die ihren Rang anzeigten; die höchsten Würdenträger wurden noch mit einer zusätzlichen Pfauenfeder ausgezeichnet.

Als Cixi, ein junges Mandschu-Mädchen aus dem Stamm der Yehe Nara, 1851 in die Verbotene Stadt kam, herrschte der sibirische Volksstamm schon mehr als zweihundert Jahre über China. Die Mandschu-Eroberer waren, wie schon erwähnt, den ethnischen Chinesen, den Han, zahlenmäßig im Verhältnis von hundert zu eins unterlegen und setzten deshalb ihre Herrschaft mit brutalen Mitteln durch. Männliche Han-Chinesen mussten als Zeichen der Unterwerfung die Haartracht der Mandschu tragen. Traditionell hatten die männlichen Han lange Haare, die sie zu einem Knoten banden; die Mandschu-Männer hingegen rasierten sich an der Stirn und den Seiten die Haare ab und ließen sie nur in der Mitte wachsen. Diese Haare flochten sie dann zu einem langen Zopf, der über den Rücken herunter hing. Wer von den Han-Chinesen sich weigerte, den Zopf zu tragen, wurde ohne viel Federlesen geköpft.

Im 19. Jahrhundert lebten in der Hauptstadt Peking zwei bis drei Millionen Mandschu – eine winzige Schicht fremdstämmiger Herrscher. Der höfische Zwang und die Haremswirtschaft hatten die Einfachheit ihrer Sitten bereits ebenso zerstört wie ihre innere Kraft, und der letzte große und tatkräftige Kaiser Qianlong war schon hundert Jahre zuvor gestorben. Mit ihm rissen die Wurzeln zum mandschurischen Urvolk ab, und es gab jetzt in der gesamten Stadt keinen einzigen Mandschu, der die Sprache seiner Ahnen noch richtig sprechen konnte. Das wilde Reitervolk aus der Steppe war von China aufgesogen und assimiliert worden und seine ehemalige Heimat nur noch eine Provinz des jetzigen Reiches. Unendliche Zeremonien bestimmten den Tagesablauf am Hof und seit alters her überlieferte Vorschriften wurden strikt befolgt. So durften zum Beispiel die Gemahlinnen des Kaisers und auch seine Konkubinen nur Mandschu-Frauen sein. Kaum einer erinnerte sich noch an die alten Legenden der Urväter oder brachte Cixi (aus dem Stamm der Yehe Nara) damit in Verbindung. Nach Grießler ist folgende Legende über die Thronfolge wichtig:

Eine Vorhersage

Der Begründer des mandschurischen Herrscherhauses ist der tungusische Stammesfürst Nurhaci. Als er im Jahre 1618 seinen letzten verbliebenen großen Feind, nämlich den Stamm der Yehe Nara besiegt, belegt der unterlegene Stammesanführer seinen Bezwinger mit einem Fluch: „Der Stamm deiner Nachkommen wird eines Tages durch eine Frau aus dem Stamm der Yehe Nara zu Fall kommen!“

Auch mandschurische Sieger sind abergläubisch, und Nurhaci befiehlt deshalb: „Künftigen Generationen meines Herrscherhauses ist es untersagt, eine kaiserliche Konkubine aus dem Stamm der Yehe Nara an den Hof zu nehmen!“ Doch der 7. Qing-Herrscher, Kaiser Xianfeng, weiß nichts mehr von diesem Fluch oder glaubt nicht daran. So verstößt er gegen das legendäre Gebot und nimmt Yehonala, die diesem Stamm angehört, zur Konkubine.2

Die Lebensgeschichte dieser außergewöhnlichen Frau, die später fast 50 Jahre lang das Chinesische Kaiserreich regierte, wird zeigen, dass Cixi nur zum Teil dafür verantwortlich war, dass sich die Vorhersage schließlich bewahrheitete.

Das Opium

Einen weit größeren Einfluss auf den Niedergang der Qing-Dynastie hatten die politischen Ereignisse, bei denen West und Ost aufeinanderstießen. Am bedeutendsten waren die Opiumkriege und die daraus resultierenden Verträge. Die Situation war folgende:

Die Briten versuchten ihre umfangreichen Importe aus China, vor allem Tee, durch den Export von Opium aus Indien auszugleichen. Die Ostindische Handelskompanie und mit ihr die Britische Regierung verdienten dabei außerordentlich gut. Die Opium-Exporte stiegen bis 1820 auf 900 Tonnen und bis 1883 auf 1400 Tonnen jährlich. Alle Waren wurden in den damals einzigen für Ausländer geöffneten chinesischen Handelshafen Kanton (heute Guangzhou) geliefert. In China jedoch waren Import, Anbau und das Rauchen von Opium seit 1793 verboten, weil man wusste, welch gewaltigen Schaden die Droge der Wirtschaft und den Menschen zufügte. In einer zeitgenössischen Beschreibung von Opiumsüchtigen hieß es: Die Schultern hängen herab, die Augen sind wässrig, die Nase läuft, der Atem geht stoßweise, sie sehen mehr tot als lebendig aus. Deshalb erging folgender kaiserlicher Erlass:

„Opium ist ein Gift, das unsere guten Sitten und die Moral untergräbt. Sein Gebrauch ist gesetzlich verboten... Den Vizekönigen, Gouverneuren und Seezoll-Hauptkommissaren der Provinzen Guangdong und Fujian, aus denen Opium kommt, befehlen wir eine gründliche Suche nach Opium durchzuführen und den Nachschub zu unterbinden.“3

„Kaufen Sie das Gift sofort, damit wir viel Tee haben können, um unser Roastbeef zu verdauen!“4

Am Hof herrschte große Angst, dass – sollte die Sucht sich weiter ausbreiten – das Land bald keine fähigen Soldaten und Arbeitskräfte mehr haben würde, von Silber, dem Zahlungsmittel, ganz zu schweigen. Im März 1839 schickte Kaiser Daoguang, Cixis späterer Schwiegervater, einen Drogenbekämpfer, Lin Zexu, als Kaiserlichen Kommissar nach Kanton, wo ausländische Schiffe vor Anker lagen. Kommissar Lin verlangte, dass die Händler ihm sämtliche Opiumvorräte übergeben sollten. Die Händler widersetzten sich, woraufhin Lin das Wohngebiet der Ausländer abriegeln ließ und erklärte, sie würden erst freigelassen, wenn alles Opium, das sich in chinesischen Gewässern befände, übergeben worden sei. Letzten Endes wurden Kommissar Lin 20.813 Kisten mit jeweils 50 kg Opium ausgehändigt, mehr als eine Million Kilogramm; daraufhin hob er die Abriegelung auf. Lin ließ das Opium vor den Toren von Kanton vernichten: Zuerst wurde es geschmolzen und dann ins Meer gekippt. Bevor der Kommissar die Droge dem Meer übergab, vollzog er ein Opferritual für den Gott des Meeres, in dem er ihn bat, er möge den Fischen raten, diesen Platz zu verlassen, um dem Gift zu entgehen.

Kommissar Lin wusste, dass das Oberhaupt Englands eine Frau war, eine ziemlich junge, von der aber alle Befehle kamen. Aus diesem Grund verfasste er einen Brief an Königin Victoria, die seit 1837 auf dem Thron saß, und bat sie um Kooperation. Lin schrieb:

Laßt uns anfragen, wo ist Euer Gewissen? Ich habe gehört, daß das Rauchen von Opium in Eurem Lande auf das strengste verboten ist, und zwar, weil der Schaden, der durch Opium verursacht wird, klar verstanden wird. Da es nicht gestattet ist, in Eurem eigenen Lande Schaden zu tun, um wie viel weniger solltet Ihr gestatten, daß es weitergegeben wird, um in anderen Ländern Schaden zu tun – und um so viel weniger auch in China. Von allen Dingen, die China nach fremden Ländern exportiert, ist nicht eine einzige Sache, die nicht für die Völker wohltätig wäre. Sie sind von Nutzen, wenn man sie ißt, sie sind von Nutzen, wenn man sie gebraucht, sie sind von Nutzen, wenn man sie wiederverkauft.5

Kaiser Daoguang war mit dem Brief des Kommissars einverstanden, aber man weiß nicht, ob Königin Victoria ihn je erhalten hat. Belegt ist jedoch, dass er in der zeitgenössischen englischen Presse in Kanton, der Canton Press, und in der Februar-Ausgabe der Chinese Reprository, einer „Zeitschrift für protestantische Missionare“, veröffentlicht wurde.

Der 1. Opiumkrieg und der Vertrag von Nanjing 1840-1842

In den nächsten beiden Jahren griffen dutzende britischer Kriegsschiffe und 20.000 Soldaten die chinesische Küste im Süden und Osten an, sie besetzten Kanton und kurz auch Shanghai. China, das keine Kanonenboote besaß und nur über eine schlecht ausgerüstete Armee verfügte, wurde besiegt. Im Jahre 1842 bat der Hof um Frieden mit England. Der ausgehandelte Vertrag von Nanjing war der erste einer Reihe „ungleicher Verträge“, die dem chinesischen Reich in den nächsten Jahrzehnten aufgezwungen wurden; am 29. August 1842 wurde er auf einem Kriegsschiff auf dem Jangtse unterzeichnet. Die für China wichtigste Klausel lautete:

Hongkong und einige kleinere Inseln in der Nähe müssen für 99 Jahre an die Briten verpachtet werden. China wird gezwungen, außer Kanton die Häfen Amoy (heute Xiamen), Foochow (heute Fuzhou), Ningpo (heute Ningbo) und Shanghai für den Handel zu öffnen und die Zölle für Ausländer zu senken. England wird für den Verlust des Opiums eine Entschädigung von 21 Millionen Silberdollar zugesagt. Der Opiumhandel darf fortgesetzt werden und britische und französische Missionare erhalten die Erlaubnis, nach China einzureisen.6

Die Vertragsbedingungen führten zu einer finanziellen Krise der kaiserlichen Kasse. Kaiser Daoguang verfügte daraufhin strikte Sparmaßnahmen. Selbst die Ausgaben für Kleidung und Schmuck der Kaiserin und der Konkubinen wurden beschränkt. Er selbst trug fortan alte Kleider und verzichtete auf Jagdausflüge – geringe Maßnahmen, welche die finanzielle Situation nicht verbessern konnten.

Der Taiping-Aufstand (1850-1864)

Der Ausgang des 1. Opiumkrieges bedeutete, dass China in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine starke Führung brauchte. Zu den erdrückenden Forderungen der Westmächte kamen weitere Faktoren: Naturkatastrophen entzogen den Bauern ihre Lebensgrundlage, in den Grenzregionen gab es Unruhen und in Südchina gewannen Piraten und Triaden (kriminelle Organisationen) zunehmend an Macht.

In diesen turbulenten Zeiten glaubte ein junger Lehrer namens Hong Xiuquan seine Bestimmung gefunden zu haben. Hong entstammte einer Bauernfamilie vom dunkelhäutigen Hakka-Stamm der Bergvölker, die südlich von Guilin in der Nähe von Thistle Mountain lebten. Sein eigentlicher Name war Hsiu Tsuan. Er war ehrgeizig, studierte und meldete sich zu den kaiserlichen Prüfungen in der Hoffnung, einmal Gouverneur zu werden. Aber trotz aller Anstrengungen fiel er dreimal hintereinander durch die Examen. Zu dieser Zeit lernte er einen Christen kennen, der ihm von seinem Gott Jesus erzählte, der in leiblicher Gestalt als Mensch auf die Erde gekommen und von seinen Feinden getötet worden, aber von den Toten auferstanden und wieder in den Himmel aufgefahren sei. Der durchgefallene Examenskandidat kam nun auf den Gedanken, sich als den jüngeren Bruder Jesu auszugeben, nachdem er einen seltsamen Traum gehabt hatte:

Er steigt in den Himmel auf, wo er einem hochgewachsenen, eindrucksvollen Mann mit einem langen goldenen Bart begegnet, der „Dämonenteufel“ beschuldigt, die Welt zu peinigen. Hong springt auf, erklärt sich zum Kaiser und schreibt den Titel „Himmlischer König, Herr des Königlichen Weges“ mit roter Tinte auf ein Blatt Papier. Zuerst weiß er nicht, wie er die Vision deuten soll. Aber nach der Lektüre einiger christlicher Traktate kommt er zu dem Schluss, dass der hochgewachsene Mann der christliche Gott gewesen ist und er selbst ein Sohn Gottes und somit der Bruder Jesu Christi. Die auszurottenden „Dämonenteufel“ seien die Qing. Der Konfuzianismus müsse vernichtet und ein Himmlisches Reich des Taiping (des Großen Friedens) errichtet werden.7

Dies und uralte Gleichheitsideale predigend, sammelte Hong Anfang der 1850er Jahre alle unzufriedenen und aufrührerischen Elemente als Anhänger um sich, um mit ihrer Hilfe die regierende Dynastie zu beseitigen und ein neues Reich aufzubauen, das den Namen „Königreich des Großen Friedens“ – „Taiping“ führen sollte. In diesem neuen Reich sollten die Wohlhabenden arm gemacht und die Armen reich werden, die Hohen sollten erniedrigt und die Niedrigen erhöht werden. Mit solchen Versprechungen gewann er viele Anhänger.

Lied der Rebellen:Die, die Millionen besitzen, schulden uns ihr Geld. Die halb reich, halb arm sind, können ihre Felder bestellen. Die mit Ambitionen, aber ohne Geld, sollten mit uns gehen. Arm oder hungrig, der Himmel wird euch erhalten.8

1850 brach in der Provinz Guangxi die größte Bauernrevolte in der chinesischen Geschichte aus. Nach einer großen Hungernot hatten dort Zehntausende Bauern in ihrer Verzweiflung zu diesem letzten Mittel, dem bewaffneten Aufstand, gegriffen, ungeachtet der entsetzlichen Folgen, die ihnen drohten. Die obligatorische Strafe für die Anführer war „Tod durch tausend Schnitte“, dabei wurde der Verurteilte öffentlich in Stücke geschnitten. Schnell wuchs die Zahl der Aufständischen auf mehrere Millionen an. Durch Räubereien und Plünderungen sammelte Hong großen Reichtum an und kaufte Waffen von den Europäern. Verbrecher aus dem ganzen Reich stießen täglich zu ihm. Seine Anhänger nannten ihn ehrfurchtsvoll den „Himmlischen König“. Unter seinem magischen Einfluss fielen sie in Verzückung und hatten Visionen. Sie glaubten auch, dass der Himmlische König Soldaten aus Papier schneiden konnte, sie anhauchte und damit zu wirklichen, lebendigen Kriegern machte. Überall verbreitete dieser Rebellenführer Angst und Schrecken. Aber niemand wagte es, sich ihm entgegenzustellen, denn ohne Gewissen, ohne Furcht, ohne Gefühl für Recht oder Unrecht jagte er wie ein Tobsüchtiger alle, die sich ihm nicht anschlossen, in die Flucht. Die Rebellen begannen mit der Zerstörung von Tempeln, bauten eine bewaffnete Streitmacht auf und erzielten Siege über kaiserliche Truppen. Ermutigt marschierten Hong und seine Getreuen nach Norden in die Provinz Hunan und danach zum mächtigen Jangtse-Fluss, wo sie weiteren Zulauf von Bauern erhielten. – Auch in Ost-, Südwest- und Westchina gab es größere Aufstände.

Im Frühjahr 1863 erreichten und besetzten die „Gotteskrieger“ die ehemalige Ming-Hauptstadt Nanjing, in jenen Tagen die zweitgrößte Stadt des chinesischen Reiches. Sie töteten dabei 20.000 Mandschu. Am 29. März erschallte feierliche Musik aus den rauchenden Trümmern und alle Bürger mussten sich an den Straßen aufstellen – in langer Prozession zogen die Sieger ein. Der wichtigste Mann erschien zuletzt. Auf einer goldenen, von 16 Männern getragenen Sänfte saß Hong Xiuquan, der Rebellenführer, nun Himmelskönig. Für seine Kleidung, von den Schuhen bis zur drachenbestickten Robe, hatte er Gelb gewählt, ein Sakrileg, denn diese Farbe, welche die Sonne, Gold, Reichtum, Macht und Herrlichkeit symbolisierte, war ausschließlich dem Kaiser vorbehalten. Über seiner Sänfte schwebten die Bildnisse fünf weißer Kraniche, Symbol der Langlebigkeit und des Glücks. Hinter ihm ritten 32 Frauen mit gelben Sonnenschirmen. Nanjing sollte von nun an „Himmlische Hauptstadt“ des „Himmlischen Königreichs Taiping“ sein. Als Kaiser Xianfeng die Nachricht von der Einnahme Nanjings erhielt, brach er vor seinen Beamten in Tränen aus.

Ein Jahr lang kämpften Rebellen und kaiserliche Truppen gegeneinander und verwüsteten das Land. Während dieser Zeit erschien Hong, der selbsternannte „Himmlische König“, kaum noch in der Öffentlichkeit, sondern führte ein ausschweifendes Leben mit seinem Harem. Die Taiping-Soldaten verloren fortan die meisten Kämpfe und Hong nahm sich am 1. Juni 1864 in Nanjing das Leben, indem er „Gold“ schluckte. Nur anderthalb Monate nach seinem Tod sprengten kaisertreue Truppen von einem eigens gegrabenen Tunnel aus ein Loch in die Stadtmauer. Alle Taiping-Rebellen, die die Stadt zu verteidigen versuchten, wurden getötet. Der Hof erließ folgendes Edikt :

„Worte können nicht ausdrücken, welches Elend und welche Verheerung er verursacht hat. Das Maß seiner Gräuel war voll, und der Zorn der Götter und der Menschen hat sich gegen ihn gerichtet.“9

Obwohl dieser Aufstand der Bauern und Unzufriedenen nach 14 Jahren niedergeworfen wurde, waren seine Auswirkungen auf China und das 2000 Jahre alte Kaisertum fatal. Die Taiping-Rebellion hatte circa 20 bis 30 Millionen Menschen das Leben gekostet und das Land völlig ausgelaugt. Aus den weiten fruchtbaren Gebieten Süd- und Mittelchinas waren Wüsteneien geworden. Die politischen und militärischen Machtverhältnisse hatten sich verschoben, und die Erfolge mächtiger Provinzbeamter und Warlords im Kampf gegen die Taiping hatten die Zentralregierung entscheidend geschwächt. Kein Herrscher in der Verbotenen Stadt würde wieder mächtig genug sein, dem erschöpften und zerrissenen Imperium eine neue Ordnung aufzwingen zu können.

1. Cixis unbeschwerte Kindheit (1835-1851)

Der Mandschu-Clan und die Familie

Cixi wuchs also in politisch unsicheren Zeiten auf, ihre Kindheit schien jedoch von den Unruhen im Land unberührt. Die Erziehung stand noch fest in den althergebrachten Traditionen der Familie. Über diese Familie gibt es unterschiedliche Aussagen. So soll sich einer Deutung nach die Ahnenreihe bis zum Begründer der Qing-Dynastie zurückführen lassen. Angeblich war Vater Huizheng ein Mandschu-Adliger aus der Nara-Sippe, die wiederum Teil der Banner war, welche sich im frühen 17. Jahrhundert im Kampf gegen die Ming-Dynastie ausgezeichnet hatten.

Da das erste Kind der Familie ausgerechnet ein Mädchen war, wurde die Kleine nicht allzu freudig willkommen geheißen, als sie am 29. November 1835 das Licht der Welt erblickte. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt vorhersehen, dass dieses kleine Wesen einmal die mächtigste Frau des Chinesischen Reiches werden würde. Das Mädchen führte ein sorgloses Leben mit Geschwistern und anderen Kindern in der Nachbarschaft. Zu seiner Kindheit erzählt man folgende Geschichte:

Eines Tages, als sie fünf Jahre alt ist, necken die Spielgefährten sie, weil sie im Jahr des Schafes geboren ist. Sie rufen: „Mäh, mäh, nicht mehr lange und du wirst geschlachtet!“ Weinend läuft das Mädchen nach Hause. Der Vater tröstet sie: „Das Schaf ist eine bewundernswerte Kreatur. Es ist Symbol von Bescheidenheit, Harmonie und Pflichterfüllung. Außerdem hast du in deinem Geburtsdatum eine doppelte 10, denn der 29. November 1835 war der 10. Tag des 10. Mondmonats. Das ist ein äußerst starkes Zeichen.“

Die Mutter aber ist unsicher und ruft einen Astrologen herbei, der die Zukunft des Kindes vorhersagen soll. Der Zukunftsdeuter zeigt sich von der doppelten Zehn nicht sehr begeistert und erklärt: „Eure Tochter wird ein störrisches Schaf werden und unglücklich enden. Ich empfehle euch, dem Mädchen einen Namen zu geben, der das Ganze etwas mildert.“ So nennt man das Kind „Orchidee“, da diese Blume zu allen Jahreszeiten grün ist, da die Blüte in eleganten Farben leuchtet, ihre Form anmutig ist und ihr Duft betört.1

Als Tochter einer gebildeten Familie lernte Orchidee lesen, ein wenig Chinesisch schreiben, zeichnen, sticken und nähen – alles Fähigkeiten, die eine junge Dame beherrschen sollte. Später würde sich das als nützlich erweisen, denn für eine Kaiserinwitwe war es traditionelle Pflicht, als Symbol der Weiblichkeit an einem bestimmten glücksverheißenden Tag das Muster für ein eigenes Kleid auszuschneiden.

Die Mutter liebte Gedichte von Li Po, dem berühmten Poeten der Tang Dynastie, gleichzeitig war sie eine große Opernliebhaberin. Das ganze Jahr über sparte sie, damit sie zum Neujahrsfest eine Gruppe Sänger und Schauspieler zu einer Aufführung ins eigene Haus einladen konnte. Jedes Jahr wurde eine andere Oper aufgeführt und alle Nachbarn durften daran teilnehmen. Als Orchidee zwölf Jahre alt war, wurde die Oper „Hua Mulan“ aufgeführt, und Orchidee soll von der Heldin so bezaubert gewesen sein, dass sie dieser ihr Taschengeld schenkte. 2

Im Jahre 1849 ernannte Kaiser Daoguang den Vater zum Gouverneur einer großen Region in der Mongolei. Im Sommer dieses Jahres reiste er mit seiner Familie dorthin und ließ sich in Hohhot, der heutigen Provinzhauptstadt der Mongolei, nieder. Zum ersten Mal kam Orchidee aus dem übervölkerten Beijing heraus, lernte die Natur schätzen und verliebte sich in das Grasland der mongolischen Steppe. Doch lange konnte sie die herrliche Gegend nicht genießen. Schon wenige Monate nach dem Umzug starb Kaiser Daoguang im Februar 1850 und sein neunzehnjähriger Sohn Xianfeng wurde sein Nachfolger. Nach der Krönung wurden im ganzen Land Gemahlinnen für ihn gesucht. Alle Mandschu-Familien ab einem bestimmten Rang mussten ihre Töchter registrieren lassen, sobald sie in die Pubertät kamen. Orchidee stand auf der Liste, ebenso wie ihre um ein Jahr jüngere Schwester. Im Alter von 16 Jahren würde sie nun die Kaiserstadt, die Verbotene Stadt, zum ersten Mal besuchen.

2. Eine Konkubine 5. Grades (1851-1853)

Die Verbotene Stadt

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Die rechteckige, 720.000 Quadratmeter umfassende Anlage, der vielleicht größte Kaiserpalast der Welt, bestand seit dem 15. Jahrhundert. Hier befanden sich neben vielen kleineren Gebäuden mehr als zehn Hauptpaläste, drei Parkanlagen und ein lamaistischer Tempel. Der Kaiserthron stand im Zentrum, in der Mitte der Verbotenen Stadt. Alle Bauten waren nach Süden ausgerichtet. Außen herum verlief eine rund zehn Meter hohe und an der Basis beinahe neun Meter dicke Mauer mit einem herrlichen Tor zu jeder Seite und je einem prächtigen Wachturm an den Ecken. Fast alle Gebäude innerhalb der Anlage hatten glasierte Ziegel in einem ausschließlich dem Hof vorbehaltenen Gelbton. In der Sonne schimmerten die Dächer wie ein Meer aus Gold – hoch über der Stadt, denn kein Untertan durfte über dieses „kaiserliche Maß“ hinaus bauen.

Das Große Innen, wie die Verbotene Stadt auch genannt wurde, war eine seltsame und schwierige Welt, insbesondere für die Frauen, die dort lebten. Obgleich sich in ihren Räumlichkeiten zu Zeiten nicht weniger als 6000 Menschen aufhielten, war nach Sonnenuntergang nur noch ein einziger von ihnen ein echter Mann. Während des Tages gingen Leute von außen hier ihren Geschäften und Amtspflichten nach, doch die einzigen männlichen Personen, denen man erlaubte, über Nacht hier zu bleiben, waren der regierende Kaiser und seine unverheirateten Söhne unter 15 Jahren. Die 3000 kaiserlichen Eunuchen waren sogenannte „Halbmänner“. Diese strengen Regeln sollten verhindern, dass dem Kaiser Hörner aufgesetzt würden.

Die verbotene Stadt war außerdem das Altenteil für alle Witwen und Konkubinen früherer Kaiser. Die hinterbliebenen Frauen erhielten kleine Pavillons im nordöstlichen Viertel, wo sie die restliche Lebenszeit im „Pavillon der Vergessenen Favoritinnen“ verblieben. Dort widmeten sie sich der Seidenraupenzucht und verbrachten die Tage mit dem Nähen und Sticken von Schuhen, Taschen und allerlei Kleinkram. Einige von ihnen waren kaum 15 Jahre alt, als der Kaiser starb, und dennoch durften sie die Verbotene Stadt niemals mehr verlassen. Viele Mandschu-Familien waren deshalb froh, wenn ihre Töchter nicht zur Konkubine erwählt wurden und ein Leben in Freiheit führen durften.

Zur Konkubine bestimmt